Zeiten zwischen Stuhl und Bank - IG Spielgruppen

Kinder lieben Rituale
Kleine Kinder haben einen ganz besonderen Zugang zu Ritualen.
Sie helfen ihnen, sich in der Welt zu orientieren und machen
Übergänge bewusst. Und abgesehen davon: Feste Gewohnheiten
prägen das ganze spätere Leben! Corinne Graber
Gibt es etwas, das Sie jeden Morgen tun,
damit Sie den Tag so richtig in Angriff
nehmen können? Ist es der erste Gang
zur Kaffeemaschine oder brauchen Sie
eine Dusche? Alle Menschen haben Rituale,
die sie ganz selbstverständlich im
Alltag begleiten.
Was sind Rituale?
Rituale sind Handlungen, die Gross und
Klein immer wieder tut, allein oder mit
anderen zusammen, und dies in einer
bestimmten Art und Weise. Es sind
also (meistens) bewusst wiederholte
Vorgehensweisen. Dabei gibt es unterschiedliche
Ritualformen. Ein Ritual
mit beobachtbarer Bedeutung gehört
beispielsweise zum Spielgruppenbeginn:
Die Jacken aufhängen und die Finken
an ihren Platz stellen. Ein Ritual
symbolhafter, sinnlicher Bedeutung ist
das Kerzenanzünden am Geburtstag. Es
spricht die Sinne und die Seele der
Kinder an.
Selbstständig werden
Kinder wünschen sich Wiederkehrendes.
Sie erhalten dadurch Sicherheit und
Halt. Durch Rituale öffnen sich Erlebnisräume,
in denen Kinder bestimmte
Erfahrungen machen. Mit Ritualen, die
bewusst Werte vermitteln, werden Kinder
in ihrer Entwicklung gestärkt und
unterstützt.
Rituale dienen ihnen als Orientierung
und Hilfestellung, damit sie sich mit
der Welt vertraut machen können. Rituale
sollen aber freiwillig bleiben. Ein
Kind, das nicht teilnehmen möchte, hat
seinen Grund dafür und braucht seine
Zeit. Fazit: Rituale in der Spielgruppe
sollen Spass und Mut machen und zur
Selbstständigkeit verhelfen.
Wann ist weniger mehr?
Wie viele Rituale braucht es in der Spielgruppe?
Anders gefragt: Wozu Rituale
einsetzen? Dienen sie nur zur Disziplinierung
der Kinder oder sichern sie den
Ablauf in der Spielgruppe?
Werden die Kinder während ihres Spiels
dauernd zu einem Ritual «aufgerufen»,
dann ist dies wirklich zu viel des Guten.
Doch wie das richtige Mass finden? Die
Checkliste (siehe Kasten) gibt einige
Impulse.
Checkliste Rituale:
• Fühlen sich alle mit den Ritualen wohl?
• Werden sie ihrem ursprünglichen Sinn gerecht?
• Passen die Rituale noch?
• Bieten sie den Kindern eine sinnvolle Unterstützung?
• Haben sich die Bedürfnisse der Kinder verändert?
• Ist es an der Zeit, ein bestimmtes Ritual anzupassen oder gar wegzulassen?
Woher stammt eigentlich das Wort «Ritual»?
Ritual bezieht sich auf das lateinische Wort «ritus» und bezeichnet einen
feierlichen religiösen Brauch. Die deutschen Begriffe «Ritus» und «Ritual»
und «Reime» leiten sich davon ab. (Quelle: Duden)
Im Gespräch
Zur Person
Corinne Graber, Fachfrau für Jahreszeiten und Feste im
Jahreskreis und Kursleiterin bei der IG Spielgruppen Schweiz,
lebt mit ihrer Familie in Messen SO.
Mit Ritualen durchs Jahr
Der Jahreskreis bietet sich an, in der
Spielgruppe die Jahreszeiten und die dazugehörenden
Feste bewusst zu erleben
und zu feiern. Was wäre Ostern ohne
Osterhasen? Der Samichlaustag ohne
Lebkuchen? Oder Weihnachten ohne
Geschenke? Der immer wieder erlebbare
Jahresrhythmus ist die kindgerechte
Art, die Zeit begreifbar zu machen.
Das vielleicht schönste Ritual dazu ist
der Jahreszeitentisch (siehe Rituale für
Übergänge Seite 6).
Leichter loslassen
Seit Urzeiten und überall auf der Welt
suchen Menschen durch Rituale Unterstützung.
Gerade in Zeiten einschneidender
Veränderungen helfen Rituale
diese Übergänge bewusst zu erleben. Sie
erleichtern das Loslassen. Für Kinder
gehört der Wechsel in den Kindergarten
zu einem Neubeginn. Sie nehmen vom
Vertrauten in der Spielgruppe Abschied.
Einfache und liebevoll gestaltete Abschiedsrituale
wirken dabei unterstützend
und begleitend.
3 • Juni 2012 7
Foto: zVg