17.01.2013 Aufrufe

vom chefredakteur zum winzer - Zappner, Jan

vom chefredakteur zum winzer - Zappner, Jan

vom chefredakteur zum winzer - Zappner, Jan

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Er war erfolgreicher Journalist, arbeitete für die Frankfurter Rundschau<br />

als Korrespondent in Washington und wurde im Jahr 2000 ihr Chefredakteur.<br />

Dann schmiss er alles hin und kaufte ein Weingut in Rheinland-Pfalz.<br />

INSIGHT traf sich mit dem Aussteiger Jochen Siemens.<br />

UND TSCHÜSS!<br />

Der Bart ist weiß geworden<br />

und der Händedruck noch<br />

kräftiger als früher. Doch<br />

hinter der runden Brille strahlen noch<br />

dieselben jungen Augen. Mehr als 25<br />

Jahre hat Jochen Siemens als Journalist<br />

gearbeitet. Dann kaufte er sich<br />

ein Weingut an der Saar und stieg<br />

aus seinem alten Beruf aus. Seit 2006<br />

ist der 60-Jährige begeisterter Winzer<br />

und hat diesen Schritt bislang<br />

nicht bereut. Nur angesichts der<br />

aufregenden Wahl in den USA wurde<br />

der frühere US-Korrespondent etwas<br />

nostalgisch. „Diesen Wahlkampf hätte<br />

ich gerne begleitet“, sagt er. Stattdessen<br />

war er im Herbst mit der<br />

Wein ernte beschäftigt.<br />

Nun ist die Ernte eingebracht<br />

und der Winzer kommt in die Haupt-<br />

Jochen Siemens, geboren 1948 in Frankfurt am<br />

Main, studierte nach dem Abitur Neuere Geschichte,<br />

Politische Wissenschaft und Volkswirtschaft und<br />

volontierte anschließend bei der Frankfurter Rundschau<br />

(FR). Hier blieb er, wurde für das Blatt zuerst<br />

Korrespondent im Inland, dann berichtete er sieben<br />

Jahre aus den USA. 1992 stieg er in die Chefredaktion<br />

der Zeitung auf und wurde acht Jahre später ihr<br />

Chefredakteur. 2002 verließ der zweifache Vater die<br />

FR und wurde Chefredakteur beim Fachblatt Alles<br />

über Wein. Als die Zeitschrift vier Jahre später<br />

aufgekauft wurde, begann Siemens‘ zweite Karriere:<br />

In Rheinland-Pfalz kaufte er das Weingut Herrenberg<br />

und zog mit seiner amerikanischen Frau Karen und<br />

den beiden Söhnen Zappa und Cosmo um. Heute<br />

produziert er hauptberufl ich Wein und schreibt nur<br />

noch gelegentlich für die Zeitschrift Vinum.<br />

stadt, um seinen Wein, Marke Dr.<br />

Siemens, an die Kunden zu bringen.<br />

Nach dem Abfüllen müssen 90.000<br />

Flaschen verkauft werden, jetzt ist<br />

das richtige Marketing gefragt. Deshalb<br />

ist die Weinbar Rutz im Berliner<br />

Stadtteil Mitte ein guter Treffpunkt:<br />

Exzellenter Wein steht dort im Mittelpunkt<br />

des Gastronomiekonzepts<br />

und bis vor Kurzem wurde hier auch<br />

der Wein von der Saar ausgeschenkt.<br />

Wer Siemens noch als gestressten<br />

Journalisten im Redaktionsalltag<br />

kannte, sieht dem hochgewachsenen<br />

Mann in dunkler Hose und Timberlands<br />

auf den ersten Blick an, dass es<br />

ihm gut geht mit seiner Lebensentscheidung.<br />

Er wirkt fröhlich und entspannt.<br />

Lachend sagt er über seinen<br />

neuen Job: „Das Wichtigste ist eine<br />

gute Handcreme.“<br />

Und Siemens muss es<br />

wissen: Vor ein paar<br />

Wochen hat er für<br />

guten Rotwein noch<br />

bis zu den Ell bogen in<br />

Holzfässern gesteckt.<br />

Der Seiteneinsteiger<br />

liebt seinen neuen<br />

Job und hat sich mit<br />

viel Elan in die neue<br />

Berufswelt gestürzt.<br />

„Es gibt da beim Wein<br />

eine kulturelle Komponente,<br />

die Spaß<br />

macht, und eine geistigeHerausforderung.<br />

Anders als beim<br />

Kartoffelanbau“, sagt<br />

er. Als Teil der Win-<br />

zergemeinde sieht sich Siemens aber<br />

noch nicht. Kollegen kennenzulernen<br />

benötige seine Zeit. Außerdem habe<br />

er sich als Journalist immer sehr bewusst<br />

bemüht, sich aus allem Klüngel<br />

herauszu halten, habe zu Verbänden,<br />

Parteien und Clubs immer Distanz<br />

bewahrt. Diese Haltung lege man<br />

auch nach dem Berufswechsel nicht<br />

so leicht ab.<br />

Im Journalismus hatte Siemens es<br />

weit gebracht. Nach dem Studium der<br />

Geschichte, Politikwissenschaften und<br />

Volkswirtschaft in München hatte der<br />

gebürtige Hesse bei der Frankfurter<br />

Rundschau (FR) volontiert und sich in<br />

der Redaktion hochgedient, bis er im<br />

Jahr 2000 zusammen mit dem Kollegen<br />

Hans-Helmut Kohl Chef redakteur<br />

wurde. Obwohl sein ganzes journalistisches<br />

Leben so eng mit der FR verbunden<br />

war, fehlte Siemens in den<br />

Augen einiger alt-linker Redakteure<br />

immer der typische Stallgeruch. Sein<br />

Frankfurter Elternhaus war eher konservativ<br />

geprägt, dabei lag zu Hause<br />

neben der Frankfurter Allgemeinen<br />

Zeitung auch immer die Rundschau.<br />

„Mein Vater sagte immer, er lese gerne<br />

beide Seiten und suche sich dann aus,<br />

was ihm gefällt“, erzählt Siemens.<br />

Von diesem liberalen Geist<br />

wurde er maßgeblich geprägt und<br />

fühlte sich damit lange Zeit bei der<br />

Frankfurter Rundschau gut aufgehoben.<br />

Doch mit der Medienkrise verschärfte<br />

sich 2002 auch der schon<br />

länger andauernde Konfl ikt zwischen<br />

Chef redaktion und der Geschäftsführung.<br />

Im Jahr zuvor hatte die<br />

VOM CHEFREDAKTEUR ZUM WINZER: JOCHEN SIEMENS<br />

1/09 INSIGHT<br />

41

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!