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INJEKTION. CAMPUSMAGAZIN. Heft 1: Aufstieg. Abstieg

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<strong>INJEKTION</strong><br />

Wie Ereignisse zu Themen werden<br />

Sterben die Wälder eigentlich noch? Droht<br />

noch immer der BSE-Erreger in jedem Stück<br />

Rindfleisch? Das Klima erwärmt sich jedenfalls,<br />

und dass Feinstaub unsere Gesundheit<br />

gefährdet, stand auch in der Zeitung. Krisen<br />

und Bedrohungen tauchen aus dem Nichts auf<br />

und verschwinden ebenso schnell wieder aus<br />

den Medien, und damit aus dem Bewusstsein<br />

der Gesellschaft. Themen können Karriere<br />

machen, aufsteigen und wichtig werden; doch<br />

eines ist sicher: früher oder später verlieren die<br />

Medien das Interesse.<br />

Zum einen sind da die großen Katastrophen.<br />

»Die Verarbeitung läuft in den Medien immer<br />

nach dem gleichen Prinzip ab«, sagt Irene<br />

Neverla vom Institut für Journalistik und<br />

Kommunikationswissenschaft der Universität<br />

Hamburg. »Selbst in der Folge des 11. September<br />

2001 spulten die Journalisten sozusagen<br />

ein Standardprogramm ab.« Zunächst gab<br />

es die Live-Berichterstattung. Reporter waren<br />

vor Ort, Ulrich Wickert und Peter Kloeppel in<br />

den Studios. Erste Vermutungen wurden angestellt,<br />

der Schock zum Ausdruck gebracht.<br />

Dann folgte die Phase der »Narrativierung‹«und<br />

»Ritualisierung«, wie die Kommunikationswissenschaftlerin<br />

es nennt. Betroffene erzählten<br />

ihre Geschichte, der Anschlag bekam<br />

Symbole, wie etwa das Bild der brennenden<br />

Text: Hannes Schettler; Illustration: Rebecca Blöcher <strong>Aufstieg</strong> // <strong>Abstieg</strong><br />

Twin Towers oder den Ausdruck . September.<br />

Der dritte Schritt ist schließlich die »Historisierung«,<br />

die Betrachtung aus der Distanz,<br />

die geschichtliche Einordnung.<br />

Dem gegenüber stehen die zuverlässig vorhersagbaren<br />

Ereignisse. Das klassische Beispiel<br />

hierfür sind Parlamentswahlen, deren<br />

routinierte mediale Behandlung offensichtlich<br />

ist: Der Wahlkampf wird mit Reportern und<br />

Kameras begleitet, besonders sensibel wird<br />

auf persönliche Verfehlungen der Kandidaten<br />

reagiert; zuweilen nehmen Medien eindeutige<br />

politische Positionen ein. Dann der Wahlabend,<br />

die Analysen und die obligatorische<br />

Elefantenrunde.<br />

Neben all dem spielen die Medien noch auf<br />

einem ganz anderen Spielfeld: dem der inszenierten<br />

Stories und Kampagnen. Hier werden<br />

bestimmte Themen in den Vordergrund<br />

gedrängt, andere verschwinden wieder. Die<br />

latent aktuellen Ereignisse bieten sich an. Benötigt<br />

wird schlicht ein »Aufhänger«, um das<br />

Thema auf die Agenda der Medien zu bringen.<br />

Diese Aufhänger sind häufig politikorientiert,<br />

wie etwa die Debatte über den so genannten<br />

»Feinstaub« Anfang des Jahres zeigte. Die Gesundheitsgefährdung<br />

durch Feinstaub ist keineswegs<br />

neu. Neu ist vielmehr die europäische<br />

Richtlinie, die Grenzwerte vorschreibt.<br />

Und dennoch wurden neben den neuen politischen<br />

Entwicklungen auch die schon immer<br />

da gewesenen gesundheitlichen Folgen<br />

in der Berichterstattung thematisiert. Oder<br />

umgekehrt: Der BSE-Erreger ist mitnichten<br />

verschwunden – aus der Welt, die uns die<br />

Medien zeichnen, aber schon.<br />

Scheinbar gänzlich nach der Willkür der<br />

Medienmacher fuhr Bild im Jahr 2003 eine<br />

Sozialneid-Kampagne mit schier unglaublichen<br />

Folgen. ›Florida-Rolf‹ wurde zum<br />

Buhmann der Nation, weil er in Miami lebte<br />

und Sozialhilfe aus Deutschland bezog. Der<br />

Mann fiel Bild in die Hände – und die roch<br />

den Braten: Mit Sozialneid lassen sich Leser<br />

gewinnen. Doch nicht nur die Leser, auch die<br />

Politik ging in die Falle. In Rekordzeit passierte<br />

eine Gesetzesnovelle den Bundestag,<br />

die den Bezug von Sozialhilfe im Ausland<br />

erschwert. Knapp tausend Deutsche<br />

lebten damals im Ausland und<br />

bekamen Sozialhilfe. Die Ironie<br />

dabei: Im Ausland lebende Sozialhilfeempfänger<br />

kommen den Staat unterm<br />

Strich billiger.<br />

Die Medien fressen eben, was ihnen vorgeworfen<br />

wird und nutzen die Macht, welche<br />

die Politik ihnen zugesteht. n<br />

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