Ausgabe 11 15-02-12 - Besmerhuus
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Die UN–Konvention (Bewohner BOG/ Felix Pillat)<br />
4<br />
Ich beobachte Herrn Frei bei seiner Skulpturenausstellung im Dreispitz. Zwei Bürgerin-<br />
nen von Kreuzlingen betreten das Foyer. Herr Frei in schickem Rollkragenpulli und<br />
schwarzer Hose begrüßt sie sogleich mit seiner freundlichen direkten Art, zeigt ihnen<br />
eine in der Nähe stehende Skulptur und spricht dazu ein paar Worte. Das ist ein ganz<br />
anderer Herr Frei als der, den ich jeden Tag mit Leuchtschutzjacke und hinkendem<br />
Gang etwas gehetzt aus dem Wohnheim in die Tagesstätte laufen sehe. Hier ist er ein<br />
selbstbewusster Steinskulpturen-Künstler, dort ein etwas geduckter Heimbewohner.<br />
Ja, auf der Wohngruppe bei Herrn Frei achten wir sehr darauf, mit den Bewohnern<br />
„auf gleicher Augenhöhe“ zu kommunizieren, sie gleichwertig zu behandeln. Und den-<br />
noch, vor allem durch die gegenwärtigen Strukturen ist die Sicht von Herrn Frei von<br />
seiner Lage etwa folgendermaßen (und das ist auf eine Weise gar nicht soo weit von<br />
der Wahrheit entfernt) : „Du Sozialprofi, weißt Bescheid, gehst Abends<br />
Heim, jeder Monat großen Lohn – Ich Dummi Weisungsempfänger,<br />
muss immer hier schlafen, kein Geld.“<br />
Wenn ich sehe, mit was für einem Ton z.B. ein 17 jähriger Praktikant<br />
nach drei Wochen auf der Wohngruppe den Bewohnern, gestandenen<br />
Frauen und Männer von 50 bis 60 Jahren, seine „Befehle“ durchgeben kann, muss ich<br />
schlucken. Das ist nicht die Regel und passiert meist durch Unwissenheit und wird<br />
durch entsprechende Gespräche geklärt. Es ist aber doch leicht möglich und zeigt ei-<br />
ne in der Gesellschaft noch bestehende Einstellung zu Menschen mit geistiger Behin-<br />
derung – Und dann habe ich plötzlich ein tieferes Verständnis für die morgendlichen<br />
Wutausbrüche von Herrn Frei, besonders nachdem ich seine Biographie gelesen habe.<br />
Wenn man in die Vergangenheit schaut, kann man ganz zufrieden sein. Vor 50 bis 60<br />
Jahren lebten die meisten Menschen mit geistiger Behinderung als „Kranke“ in den damaligen<br />
meist geschlossenen psychiatrischen Anstalten – in riesigen Schlafsälen mit<br />
20, 30, 50 anderen Personen zusammen. Da hat es riesige Fortschritte gegeben, wenn<br />
man die heutige Wohnsituation anschaut.<br />
Und so hoffe ich, dass die Inklusion, das völlige Einschließen der Menschen<br />
mit geistiger Behinderung in die Gesellschaft, in einigen Jahrzehnten ganz<br />
normal sein wird.<br />
Ein Mensch mit geistiger Behinderung wird dann in der Gesellschaft seinen eigenen<br />
Platz und seinen Lebensstil haben, wie es heute ein Künstler, ein Musiker, ein Politiker<br />
oder Angestellter hat. Und man wird vielleicht verwundert auf eine Zeit zurückschauen,<br />
in der die Menschen mit geistiger Behinderung als „Heimbewohner stigmatisiert“,<br />
von einem Team der „Sozialprofis“ betreut, zusammen in einem Heim leben mußten.<br />
Der Weg dahin ist noch weit aber durch die UN-Konvention sind die Grundsteine gelegt.<br />
Und ich hoffe, daß das <strong>Besmerhuus</strong> – parallel zu den Vorteilen, die unser Neubau<br />
räumlich und logistisch mit sich bringt - über die Jahrzehnte den Bewohnern (zuerst,<br />
denen, die dazu leichter in der Lage sind, und dabei natürlich vor allem den Jungen)<br />
Möglichkeiten bieten wird, noch mehr ein Teil der Gesellschaft zu werden.<br />
Die Ausstellung von Herrn Frei ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Schritte in Richtung<br />
Inklusion möglich sind und allen Beteiligten Freude machen, wenn man Hand in<br />
Hand zusammen arbeitet.