Südosteuropäische Hefte
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Claudia Lichnofsky - Identifizierungsprozesse muslimischer Nicht-Albaner im Kosovo und<br />
ihre Strategien der politischen und sozialen Verortung seit 1999<br />
Schluss<br />
Die Ashkali des Kosovos sind ein gutes Beispiel für die ethnische Verortung in<br />
Gesellschaften wie dem Kosovo, in denen die Bevölkerung verschiedene ethnische<br />
Referenzen zur Hand haben. 74 Sie zeigen, dass gerade ethnisierte Gewalt wie in den 1990er<br />
Jahren im Kosovo, welche die albanophone Mehrheitsbevölkerung verfolgte und zu Isolation<br />
und paralleler Organisierung trieb, eine Polarisierung der ethnischen Zugehörigkeit zur<br />
Folge hatte. Aus dieser Polarisierung fielen ethnische Minderheiten, auch wenn sie sich<br />
zuvor einer Gruppe zugehörig fühlten, heraus. Im Fall der Ashkali bedeutete dies auch, dass<br />
große Teile sowohl aus dem staatlichen, serbischen Bildungssystem wie auch aus dem<br />
privaten, albanischen ausgeschlossen wurden und sich die Bildungslücke in dieser<br />
Bevölkerungsgruppe verstärkte. Die Ägypter, zu denen auch einige spätere Ashkali<br />
gehörten, versuchten, sich in das serbische System zu integrieren und wurden nach 1999 zur<br />
Zielscheibe des albanischen Nationalismus.<br />
Die Pogrome und ethnischen Spannungen nach Abzug der serbischen Armee betrafen<br />
aber auch Ashkali, die sich in das albanische Untergrundsystem integriert hatten. Diesen<br />
blieb durch den Ausschluss aus dem albanischen Kollektiv nur der Bezug auf eine eigene<br />
ethnische Gruppe, die sich sowohl von den ebenfalls diskreditierten Roma als auch den als<br />
Kollaborateuren bezeichneten Ägyptern abgrenzte. Gleichwohl nahmen sie beide Gruppen<br />
als Vorbild, um ein eigenes Herkunftsnarrativ zu konstruieren, das sich weder auf Indien<br />
(wie die Roma) noch auf Ägypten (wie die Ägypter) bezog, sondern erkoren Persien zu ihrer<br />
Herkunft. Mit dieser Strategie befinden sie sich allerdings in bester Gesellschaft, denn auch<br />
die mazedonische, griechische und albanische Nation versuchen, ihre möglichst lange<br />
Präsenz in Südosteuropa, wie auch ihren enormen kulturellen Beitrag für die Region zu<br />
beweisen. Diejenigen, die aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe zu Fremden erklärt werden<br />
und trotz ihrer jahrhundertelangen Präsenz nicht als autochthon gelten, sind stärker im<br />
Zugzwang, auf eine Herkunft außerhalb des kosovarischen und südosteuropäischen<br />
Territoriums zu verweisen.<br />
An diesem Beispiel lässt sich sehr gut Elwerts Theorie des ‚switchings„ zwischen Wir-<br />
Gruppen veranschaulichen. Ob erzwungenermaßen, wie von Ägyptern behauptet, oder<br />
freiwillig ist dabei irrelevant. Ein Wechsel der Identifikation mit einer Wir-Gruppe findet<br />
hier offensichtlich statt. Diese hängen von der politischen Situation, den Machtverhältnissen<br />
und den Identifikationsangeboten ab. Nach dem Wechsel von der serbischen zur albanischen<br />
Hegemonie war es eine logische Strategie der Ashkali einen starken Bezug zur albanischen<br />
Mehrheit herzustellen. Auch der Versuch, Indizien zu finden, dass Ashkali zur albanischen<br />
Kultur beigetragen haben, müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden.<br />
Eine Abgrenzung muss vor allem dort am stärksten sein, wo der Unterschied am<br />
kleinsten ausfällt, in diesem Fall gegenüber den Ägyptern, die außerdem als pro-serbisch<br />
angesehen werden. Da es beiden Gruppen nicht gelingt, auf relevante kulturelle Differenzen<br />
zu verweisen, bleibt der Bezug auf eine andere Herkunft, an deren Beweis am intensivsten<br />
gearbeitet wird. Die Wahl zwischen dem einen oder anderen Ethnonym scheint auch davon<br />
abzuhängen, ob man im ethnisch heterogenen Osten oder im stark albanisierten Westen lebt.<br />
74 Elwert (1995), S. 1.<br />
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