online 4 GRUNDSATZARTIKEL Mehr noch: Ist unser Leben mit Gott primär in unserer Willensentscheidung verankert? Und was mit den Kindern? Erzählen wir ihnen bis sie zwölf Jahre alt sind, <strong>das</strong>s Gott sie liebt und angenommen hat, doch von da an müssen sie sich bekehren, sonst enden sie als von Gott Verworfene? Der Anfang ein<strong>es</strong> Lebens mit Gott Ein Blick ins Neue T<strong>es</strong>tament macht deutlich, wie vielfältig hier über den Anfang ein<strong>es</strong> Lebens mit Gott g<strong>es</strong>prochen wird: • Lukas b<strong>es</strong>chreibt z.B. die Hinwendung ein<strong>es</strong> Menschen zu Gott eher als die Hinwendung Gott<strong>es</strong> zum Menschen; der Hirte sucht <strong>das</strong> Schaf, die Frau <strong>das</strong> Geldstück. Und da, wo Menschen zu Gott umkehrten, sind <strong>es</strong> vor allem solche, die von ihm weggelaufen sind. Zudem hat Lukas die Tendenz, die <strong>Bekehrung</strong> ein<strong>es</strong> Heiden (Apg. 26,18 <strong>–</strong> 20) zum Christentum an- ders zu definieren, als die ein<strong>es</strong> Juden, wobei er wiederum zwischen einem «frommen» Juden und einem Ausg<strong>es</strong>chlossenen (z. B. Zachäus) unterscheidet: Je selbstgerechter die Zuhörerschaft, d<strong>es</strong>to deutlicher der Ruf zur Umkehr (Lk. 13,1 <strong>–</strong> 9), je Hilfloser die Ang<strong>es</strong>prochenen, d<strong>es</strong>to eher wird der Ruf zu einer Heilszusage. • Bei Matthäus und Markus finden wir ein ähnlich<strong>es</strong> Bild: Die selbstgerechten Pharisäer müssen umkehren und sich von ihrer Sünde abwenden. Andere auch, aber in der Tendenz wird ihnen <strong>das</strong> Heil eher zug<strong>es</strong>agt: «Selig ihr geistlich Armen, denn euch gehört <strong>das</strong> Himmelreich.» Im Zentrum der Evangelien steht Gott, der alle rettet, die zu ihm um Hilfe schreien; nicht der Willensentscheid d<strong>es</strong> Menschen. An sie alle ergeht danach gemeinsam der Aufruf zum Gehorsam und zur Nachfolge. • Ein ganz ander<strong>es</strong> Bild zeichnet Christ werden <strong>–</strong> Christ bleiben So wie die drei Streifen <strong>das</strong> Markenzeichen von Adi<strong>das</strong> sind, ist <strong>es</strong> die <strong>Bekehrung</strong> für den Evangelikalismus. Sie ist absolut<strong>es</strong> Muss und Dreh- und Angelpunkt für all<strong>es</strong> andere. Beinahe wie mit einem Sezierm<strong>es</strong>ser werden dann die Busse, die Wiedergeburt, die Geist<strong>es</strong>taufe und die Nachfolge davon unterschieden. Doch redet <strong>das</strong> NT so systematisch von der Neuheit ein<strong>es</strong> Lebens mit Gott und lässt sich unsere Gott<strong>es</strong>beziehung auf vier geistliche G<strong>es</strong>etze reduzieren? Von Matthias Wenk sich bei Johann<strong>es</strong> ab: Er ist der Einzige, der von einer Geburt von oben (oder von neuem) spricht, und <strong>das</strong> auch nur an einer Stelle. Aber gerade di<strong>es</strong><strong>es</strong> Bild passt zu Johann<strong>es</strong>, denn so wie der Mensch wenig dazu beiträgt geboren zu werden, ist er auch für <strong>das</strong> Leben in Christus auf Gott<strong>es</strong> Wirken an ihm angewi<strong>es</strong>en. Daher erstaunt <strong>es</strong> auch nicht, <strong>das</strong>s J<strong>es</strong>us im vierten Evangelium niemanden aufruft, Busse zu tun. Johann<strong>es</strong> geht einfach davon aus, <strong>das</strong>s J<strong>es</strong>us <strong>–</strong> und später der Geist <strong>–</strong> die Menschen von der Sünde überführt, ohne genau zu erklären, wie. Johann<strong>es</strong> ist mehr an der Tatsache inter<strong>es</strong>siert, <strong>das</strong>s J<strong>es</strong>us <strong>das</strong> Leben ist und uns <strong>das</strong> Leben bringt, als die genaue Rolle d<strong>es</strong> Menschen in di<strong>es</strong>em Vorgang zu definieren. • Paulus b<strong>es</strong>chreibt in Galater 1,11 <strong>–</strong> 17 seine «<strong>Bekehrung</strong>» als radikale Transformation: Er wurde zum Nachfolger d<strong>es</strong> Gott<strong>es</strong>, d<strong>es</strong>sen Kirche er zuvor zerstören wollte, mit dem Ergebnis, <strong>das</strong>s er danach <strong>das</strong> Evangelium unter den Heiden verbreitete. Er b<strong>es</strong>chreibt mit einer Vielzahl von Bildern und Begriffen den Anfang d<strong>es</strong> Christenlebens als einschneidend<strong>es</strong> Ereignis. Di<strong>es</strong>e Vielfalt an Bildern lässt eine Vielfalt der <strong>Bekehrung</strong>serfahrung in den Gemeinden rund um Paulus vermuten. Zudem erwähnt Paulus die Busse nur einmal im Zusammenhang mit der <strong>Bekehrung</strong>, und dort ist sie <strong>das</strong> Ergebnis einer Begegnung mit der Liebe Gott<strong>es</strong> <strong>–</strong> und nicht <strong>das</strong> Ergebnis einer Androhung d<strong>es</strong> Gerichts. W<strong>es</strong>halb wir Christen sind Di<strong>es</strong>er kurze Überblick zum NT macht klar, <strong>das</strong>s darin eine ganze Vielzahl von Bildern und Begriffen verwendet werden, um die Neuheit ein<strong>es</strong> Lebens mit Christus zu b<strong>es</strong>chreiben: Umkehr, Geburt von oben, gefunden werden, Nachfolge, Zusage d<strong>es</strong> Reich<strong>es</strong> Gott<strong>es</strong>, von J<strong>es</strong>us angenommen sein, befreit werden, gerufen werden, Taufe (Röm. 6) und viel<strong>es</strong> mehr. Im Zentrum steht somit nicht so sehr eine f<strong>es</strong>tgelegte Abfolge von Schritten, die dann für alle Menschen gleichermassen gilt, sondern die frohe Botschaft der Neuheit ein<strong>es</strong> Lebens in Christus; <strong>das</strong> NT hat viel mehr Inter<strong>es</strong>se am Leben in Christus und an der Nachfolge, als an einer genauen Definition über d<strong>es</strong>sen Anfang. Einige Menschen erleb(t)en di<strong>es</strong>e Neuheit radikaler als andere, weil für sie der Bruch mit der Vergangenheit auch grösser war (z. B. religiöse Leiter wie ein Paulus oder Heiden), bei andern b<strong>es</strong>tand die Neuheit d<strong>es</strong> Lebens vor allem in der völlig ungewohnten Erfahrung der bedingungslosen Annahme oder Befreiung durch Christus (z. B. Zachäus). Muss ich mich bekehren? Wenn damit ein f<strong>es</strong>tgelegter Ablauf ein<strong>es</strong> klar umrissenen religiösen Erlebniss<strong>es</strong> gemeint ist, <strong>das</strong> alle Menschen nach Schema X durchlaufen müssen, wohl kaum. Wenn damit gemeint ist, zu Gott umkehren: wohl immer wieder. Grundsätzlich aber gilt: Der Mensch ist nicht d<strong>es</strong>halb Christ, weil er sich dazu entschieden hat, sondern weil Gott in Christus ja zu ihm/ihr sagt. Zudem redet <strong>das</strong> NT im Zusammenhang mit der Antwort d<strong>es</strong> Menschen auf Gott<strong>es</strong> Ruf nicht so sehr von unserem Willen, sondern viel mehr von unserem Gehorsam. Der Schwerpunkt liegt somit auf der Nachfolge und nicht auf der Dramatik d<strong>es</strong> <strong>Bekehrung</strong>serlebniss<strong>es</strong>. Eine Hinwendung zu Gott ohne Jüngerschaft ist für die Autoren d<strong>es</strong> NT genauso wenig vorstellbar wie ein Leben mit Gott ohne ein Leben in der Gemeinschaft mit anderen Christen. Das Ziel ist somit klar, die Zufahrtswege mögen variieren. m.wenk@bewegungplus.ch 5