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Soziale Ungleichheit und gesundheitliche Versorgung

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<strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong> <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitliche<br />

<strong>Versorgung</strong><br />

Olaf v.d. Knesebeck, Hamburg


Einleitung<br />

• Nach einer längeren Phase, in der offenbar davon<br />

ausgegangen worden ist, dass <strong>Ungleichheit</strong>en in der<br />

ges<strong>und</strong>heitlichen <strong>Versorgung</strong> in Deutschland kein<br />

vordringliches Problem darstellen, erfährt das Thema<br />

in der Diskussion ges<strong>und</strong>heitlicher <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit.<br />

• Die Diskussion wird dabei zum Teil medienwirksam<br />

<strong>und</strong> auch kontrovers geführt („Zwei-Klassen-Medizin“).<br />

Darüber hinaus werden <strong>Ungleichheit</strong>en in der<br />

<strong>Versorgung</strong> in Deutschland häufig <strong>und</strong>ifferenziert betrachtet.


Ziel des Vortrags<br />

• Es soll ein Analyseschema vorgeschlagen werden, das<br />

eine differenzierte Einordnung der einschlägigen Studien<br />

<strong>und</strong> des Forschungsbedarfs ermöglicht.<br />

• Dabei wird zwischen verschiedenen <strong>Versorgung</strong>sbereichen<br />

<strong>und</strong> zwischen Aspekten der Zugänglichkeit, der Inanspruchnahme<br />

<strong>und</strong> der Qualität der <strong>Versorgung</strong> unterschieden.<br />

• Zur Veranschaulichung werden ausgewählte Studienergebnisse<br />

aus Deutschland vorgestellt.


Ambulante <strong>Versorgung</strong><br />

- (zahn)ärztliche Leistungen<br />

- Arzneimittel<br />

- Heil- <strong>und</strong> Hilfsmittel<br />

-Pflege<br />

Stationäre <strong>Versorgung</strong><br />

- (Akut-) Krankenhaus<br />

- Rehabilitation<br />

-Pflege<br />

Prävention <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

- primäre Prävention<br />

- sek<strong>und</strong>äre Prävention<br />

- Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

<strong>Ungleichheit</strong> in<br />

- Zugang<br />

- Inanspruchnahme<br />

- Qualität<br />

Knesebeck et al. 2008


Zugang<br />

• Horizontale vs. vertikale Gerechtigkeit im Zugang<br />

• Horizontale Gerechtigkeit liegt vor, wenn Personen mit<br />

gleichem Bedarf die gleichen Möglichkeiten des Zugang<br />

zu ges<strong>und</strong>heitlicher <strong>Versorgung</strong> haben.<br />

• Von vertikaler Gerechtigkeit wird dann gesprochen, wenn<br />

ein ungleicher Bedarf ungleiche Zugangsmöglichkeiten<br />

impliziert, also z.B. sozial Benachteiligte erweiterte Zugangsmöglichkeiten<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer höheren Ges<strong>und</strong>heitsrisiken<br />

<strong>und</strong> ihrer stärkeren Betroffenheit von Komorbidität haben.


Inanspruchnahme<br />

• Zugänglichkeit ist eher ein Merkmal der Anbieterseite<br />

(<strong>Versorgung</strong>seinrichtungen), Inanspruchnahme eher ein<br />

Merkmal der Nachfragerseite (Patienten).<br />

• Bei der Inanspruchnahme gilt es zu unterscheiden zwischen<br />

einer <strong>Ungleichheit</strong> als Ausdruck unterschiedlicher Präferenzen<br />

<strong>und</strong> einer <strong>Ungleichheit</strong> als Ausdruck unterschiedlicher<br />

Möglichkeiten z.B. in Folge unterschiedlich ausgeprägter<br />

Informiertheit über <strong>Versorgung</strong>sangebote.<br />

• Eine angemessene Interpretation von Inanspruchnahmeunterschieden<br />

erfordert eine Kontrolle von Indikatoren des<br />

Bedarfs (z.B. Morbidität vor der Behandlung).


Qualität<br />

• <strong>Ungleichheit</strong> in der Qualität der ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

<strong>Versorgung</strong> wird häufig durch Ergebnisindikatoren<br />

(outcomes), vor allem Morbiditäts- oder Mortalitätsmaße<br />

erfasst.<br />

• Morbidität <strong>und</strong> Mortalität ist aber von einer Vielzahl<br />

anderer Faktoren abhängig, eine Interpretation identifizierter<br />

<strong>Ungleichheit</strong>en ist deshalb häufig schwierig.<br />

• Andere Qualitätsdimensionen, die beispielsweise eher<br />

den <strong>Versorgung</strong>sprozess (z.B. die Arzt-Patienten Interaktion)<br />

betreffen, sollten ebenfalls berücksichtigt werden.


Ambulante<br />

<strong>Versorgung</strong><br />

Stationäre<br />

<strong>Versorgung</strong><br />

Prävention/<br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

<strong>Ungleichheit</strong> im Zugang<br />

Studie zu Unterschieden in den<br />

Wartezeiten nach Versichertenstatus<br />

(Lüngen et al. 2008)<br />

Studie zu Unterschieden in der<br />

Häufigkeit von Transplantationen<br />

nach Versichertenstatus (Lüngen<br />

et al. 2007)<br />

medizinische Präventionsleistungen<br />

auf privat-ärztlicher<br />

Basis (www.mpch.de)<br />

Knesebeck et al. 2008


Wartezeit für Facharztbehandlung in<br />

Abhängigkeit von der Krankenversicherung<br />

Ratio GKV/PKV Werktage<br />

Allergietest 1,4 17,6<br />

Augenuntersuchung 2,9 17,0<br />

MRT des Knies 16,8 9,5<br />

Gastroskopie 4,9 24,8<br />

Hörtest 2,1 4,6<br />

Lüngen et al. 2008


Anteil (%) der privat Versicherten (PKV) in der<br />

Bevölkerung <strong>und</strong> bei Transplantationen<br />

PKV<br />

Anteil an der Bevölkerung 10,25<br />

Postmortale Spende 14,13<br />

Lebendspende 20,71<br />

Transplantationen gesamt 14,96<br />

Lüngen et al. 2007


Ambulante<br />

<strong>Versorgung</strong><br />

Stationäre<br />

<strong>Versorgung</strong><br />

Prävention/<br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

<strong>Ungleichheit</strong> Inanspruchnahme<br />

Unterschiede in der Inanspruchnahme<br />

niedergelassener Ärzte<br />

von Kindern nach soz. Schicht<br />

(Kamtsiuris et al. 2007)<br />

Unterschiede in der Inanspruchnahme<br />

von stationärer kardiologischer<br />

Rehabilitation nach soz.<br />

Schicht (Altenhoener et al. 2005)<br />

Unterschiede in der Inanspruchnahme<br />

von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen<br />

nach Bildung<br />

(Knesebeck <strong>und</strong> Mielck 2008)<br />

Knesebeck et al. 2008


Inanspruchnahme niedergelassener Internisten in den letzten<br />

12 Monaten nach Sozialstatus <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand (KiGGS ( KiGGS)<br />

Kamtsiuris et al. 2007


<strong>Ungleichheit</strong> in der Inanspruchnahme<br />

stationärer Leistungen<br />

Angehörige unterer <strong>und</strong> mittlerer sozialer Schichten<br />

nehmen häufiger an stationärer kardiologischer<br />

Rehabilitation teil als Angehörige oberer sozialer<br />

Schichten (Altenhöner et al. 2005).


2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

Bildung <strong>und</strong> Teilnahme an Vorsorge- Vorsorge<br />

Untersuchungen bei Älteren<br />

(SHARE): Odds Ratios (1=niedrige Bildung)<br />

* *<br />

Mammografie in den<br />

letzten 2 Jahren (Frauen)<br />

mittlere Bildung hohe Bildung<br />

Darmspiegelung zur<br />

Früherkennung (jemals)<br />

* *<br />

*<br />

Augenuntersuchung in<br />

den letzten 2 Jahren<br />

Knesebeck <strong>und</strong> Mielck 2008


Ambulante<br />

<strong>Versorgung</strong><br />

Stationäre<br />

<strong>Versorgung</strong><br />

Prävention/<br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

<strong>Ungleichheit</strong> in der Qualität<br />

Unterschiede in den Ergebnissen<br />

der Diabetesversorgung nach<br />

sozialer Schicht (Reisig et al. 2007)<br />

Unterschiede in der Anwendung<br />

der Peridualanästhesie subpartal<br />

nach Versichertenstatus (Morr et<br />

al. 2007)<br />

Unterschiede im geriatrischen<br />

Assessment (Knesebeck <strong>und</strong><br />

Mielck 2008)<br />

Knesebeck et al. 2008


Nicht erreichte empfohlene HbA1c Werte<br />

bei Diabetes Typ 2 Patienten<br />

Odds Ratio Prävalenz<br />

Hoher Sozialstatus 1,0 40,2<br />

Mittl. Sozialstatus 1,4 48,2<br />

Niedr. Sozialstatus 2,5 62,6<br />

Reisig et al. 2007


Vergleich der Geburten mit <strong>und</strong> ohne Peridualanästhesie<br />

bei Privat- Privat <strong>und</strong> Gesetzlichversicherten (%)<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

mit PDA ohne PDA<br />

privat<br />

gesetzlich<br />

Morr et al. 2007


Vermögen <strong>und</strong> geriatrisches Assessment durch den<br />

Hausarzt (SHARE): Odds Ratios (1=niedriges Vermögen)<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

*<br />

Kontrolle des<br />

Gleichgewichts (nie)<br />

mittleres Vermögen hohes Vermögen<br />

*<br />

Frage nach körperl.<br />

Betätigung (nie)<br />

*<br />

Gewichtskontrolle<br />

(nie)<br />

Knesebeck <strong>und</strong> Mielck 2008


Zusammenfassung<br />

• Es lassen sich <strong>Versorgung</strong>sungleichheiten im Zugang, in der<br />

Inanspruchnahme <strong>und</strong> in der Qualität in unterschiedlichen<br />

<strong>Versorgung</strong>sbereichen beobachten.<br />

• Personen mit niedrigem sozialen Status sind häufig (aber nicht<br />

immer) benachteiligt.<br />

• Es ergibt sich ein differenziertes Bild in Abhängigkeit von<br />

<strong>Versorgung</strong>sbereich <strong>und</strong> <strong>Versorgung</strong>saspekt.


Schlussfolgerungen I<br />

• In Deutschland gibt es nur sehr wenige Studien zu den Themen<br />

<strong>Ungleichheit</strong>en im Zugang <strong>und</strong> <strong>Ungleichheit</strong>en in der<br />

Qualität der ges<strong>und</strong>heitlichen <strong>Versorgung</strong>.<br />

• Es gibt einige Studien zu <strong>Ungleichheit</strong>en in der Inanspruchnahme.<br />

Diese sind aber häufig schwer zu interpretieren, da nicht<br />

immer für den Bedarf adjustiert wird <strong>und</strong> somit unklar bleibt,<br />

inwieweit Unterschiede in der Inanspruchnahme auf<br />

Unterschiede im Bedarf zurück zu führen sind.


Schlussfolgerungen II<br />

• Sind alle <strong>Versorgung</strong>sungleichheiten ungerecht oder betrifft<br />

dies nur sog. „medizinisch notwendige“ Leistungen?<br />

• Die Forschung sollte dazu beitragen, die Leistungen zu<br />

spezifizieren, zu denen ein gleicher Zugang sichergestellt<br />

sein muss. Dies kann z.B. dadurch erfolgen, dass Erkenntnisse<br />

darüber gesammelt werden, mit welchen ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Konsequenzen ein ungleicher Zugang zu bestimmten Leistungen<br />

verb<strong>und</strong>en ist.


Schlussfolgerungen III<br />

• Im Hinblick auf <strong>Ungleichheit</strong>en in der Qualität der<br />

ges<strong>und</strong>heitlichen <strong>Versorgung</strong> wird über die unterschiedliche<br />

Relevanz von <strong>Ungleichheit</strong>en in der Servicequalität <strong>und</strong><br />

der Qualität der medizinischen <strong>Versorgung</strong> diskutiert.<br />

• Weder die ges<strong>und</strong>heitlichen Konsequenzen von Serviceunterschieden<br />

(auf Erkrankungsverlauf, Genesungserfolg usw.)<br />

noch die <strong>Ungleichheit</strong>en in der Qualität der medizinischen<br />

Behandlung sind hinreichend untersucht!


Auch wenn die letzte Schlussfolgerung für einen<br />

Wissenschaftler etwas eigennützig <strong>und</strong> bequem<br />

erscheint, so ist sie doch zwingend:


Auch wenn die letzte Schlussfolgerung für einen<br />

Wissenschaftler etwas eigennützig <strong>und</strong> bequem<br />

erscheint, so ist sie doch zwingend:<br />

„Further Further research is needed!“ needed!“

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