Das Schauspielhaus. Zweitausendacht, Zweitausendneun.
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Tannöd<br />
nach dem Roman von Andrea Maria Schenkel<br />
Bühnenfassung von Maya Fanke<br />
und Doris Happl<br />
REGIE Crescentia Dünßer<br />
BÜHNE UND CO-REGIE<br />
Otto Kukla<br />
PREMIERE 15. März 2009<br />
Malersaal<br />
»Sie spürt einen Luftzug. Dreht sich um zur Tür. Die Tür steht leicht offen. Sie will<br />
sie schließen. Da bemerkt sie, wie sich die Tür langsam knarrend immer mehr<br />
öffnet. Ungläubig staunend blickt sie auf den größer werdenden Spalt. Bis sie ohne<br />
ein Wort, ohne eine Silbe von der Wucht des Schlages zu Boden fällt.«<br />
SCHENKEL, TANNÖD<br />
Ein Ort, unendlich öde und einsam, ein paar Tannen, ein Gehöft, sonst<br />
nichts. Tannöd, ein vergessener Winkel im Niemandsland, weitab vom<br />
nächsten Dorf und den nächsten Nachbarn. Die Danners, seine Bewohner,<br />
sind eigenbrötlerische, mürrische Menschen, die sich außerhalb der Dorfgemeinschaft<br />
eingerichtet haben. Doch dann dringt seit Tagen kein Lebenszeichen<br />
mehr herüber, nur der Hund kläfft. Im Heu, im Bett, in der Kammer<br />
werden ihre Leichen geborgen: der Bauer, seine verhärmte Frau, die<br />
Tochter mit den beiden Kindern, die neue Magd – ermordet mit einer<br />
Spitzhacke. Vom Mörder fehlt jede Spur. Nur der Zuschauer sieht ihn:<br />
Ohne seine Identität ausmachen zu können, durchwandert er gemeinsam<br />
mit dem Mörder das Stück, sieht ihm bei den alltäglichsten Verrichtungen<br />
zu, beobachtet, wie sich das Verbrechen seinen Weg bahnt, und schaudert<br />
vor der Gewöhnlichkeit, die das Leben des Täters vor und nach dem Mord<br />
annimmt. Der Mord aber fungiert als Katalysator, um ein viel tiefer liegendes,<br />
verschüttetes Geheimnis an die Oberfläche zu holen. Die Familiengeschichte<br />
der Danners endet nicht nur mit dem tragischen Tod aller ihrer<br />
Mitglieder, sondern besteht aus tabuisierten, grausamen Geschehnissen, die<br />
von den Dorfbewohnern zwar nicht akzeptiert, aber geduldet worden sind.<br />
»Tannöd« erschien zunächst als Roman und<br />
erlebte einen sensationellen Erfolg. Andrea<br />
Maria Schenkel greift dabei auf einen realen<br />
Kriminalfall aus dem Jahr 1922 in der bayerischen<br />
Provinz zurück. Ihre Entscheidung, das<br />
Geschehen in die fünfziger Jahre zu versetzen,<br />
verstärkt die Atmosphäre verdrängter Taten, sie lässt politisch<br />
werden, was als private Tragödie hätte abgetan werden können.<br />
Blutbad und Familiengeschichte rekonstruiert sie mosaikhaft<br />
aus ineinander verschnittenen Berichten der Dorfbewohner,<br />
inneren Monologen und realistischem Eintauchen in die Geschehnisse.<br />
Alle kommen zu Wort, auch der Mörder. Die einzelnen<br />
Stimmen mischen sich zu einem Chor aus Lebenden<br />
und Toten, Schuldigen und Unschuldigen, dem Täter und den<br />
Opfern, wobei die eindeutigen Zuweisungen im Verlauf<br />
immer schwerer fallen. Schenkel zeichnet mit brillanter Spra-<br />
che präzise die Wirklichkeit nach. Angeekelt<br />
und fasziniert zugleich verfolgen wir die Weltabgewandtheit,<br />
Bigotterie und blinde Obrigkeitstreue,<br />
die die Figuren deformieren, ihre<br />
Lebenswege bestimmen – und zwangsläufig<br />
ins Unglück führen.<br />
Andrea Maria Schenkel gewann für ihren<br />
Roman zahlreiche Preise, er hielt sich 36 Wochen<br />
in der Spiegel-Bestsellerliste. a<br />
Crescentia Dünßer und Otto Kukla<br />
gründeten 1986 nach ihrem ersten<br />
Engagement als Schauspieler am<br />
<strong>Schauspielhaus</strong> Bochum das Zelt<br />
Ensemble Theater (Z.E.T.). 1993<br />
übernahmen sie gemeinsam die Leitung<br />
des Zimmertheaters in Tübingen<br />
und wechselten nach sechs Jahren<br />
an das Theater Neumarkt,<br />
Zürich. Crescentia Dünßer führte<br />
außerdem bei verschiedenen Dokumentarfilmen<br />
Regie, beide waren als<br />
Schauspieler in etlichen Filmen zu<br />
sehen. Zuletzt inszenierten sie in<br />
Karlsruhe »Ulrike Maria Stuart«<br />
von Elfriede Jelinek und in Stuttgart<br />
»Liebe Jelena Sergejewna« von<br />
Ljudmila Rasumowskaja. Am<br />
<strong>Schauspielhaus</strong> waren Carl-Henning<br />
Wijkmarks »Der moderne<br />
Tod« und Kleists »Michael Kohlhaas«<br />
zu sehen.<br />
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