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Ende eines Versteckspiels<br />

Zur Tarnung mieteten die Avalanche-Täter Server auf allen<br />

Kontinenten, über die sie ihre Attacken steuerten. Am<br />

Tag X schalteten die Ermittler die mehr als 200 Rechner<br />

aus und leiteten gleichzeitig 830 000 Zieladressen um<br />

Avalanche kaputt, dann fehlt das<br />

technische Wissen. Anfang 2016 ist<br />

Frank Lange sich erstmals sicher,<br />

dass sie es schaffen können. Vorausgesetzt,<br />

in den nächsten Monaten<br />

geht nichts schief.<br />

Die Europol-Zentrale in Den Haag<br />

ist ein moderner Hochsicherheitsbau.<br />

Um im Innern die Türen<br />

zu öffnen, werden die Handflächen<br />

gescannt. Frank Lange staunt.<br />

Bei ihm in Verden sitzt ein Wachmann<br />

an der Pforte. Seinen neuen,<br />

allmächtigen Zugangspass fotografiert<br />

er mit dem Handy, als Andenken.<br />

In dieser Festung planen<br />

sie den Showdown. Hans Schäfer<br />

reist aus Bonn an, dazu Fahnder aus<br />

den USA, Taiwan, der Ukraine, Litauen<br />

und anderen Staaten. Abends<br />

fachsimpeln sie in der Kneipe beim<br />

Bier, eine verschworene Truppe.<br />

Lange nennt sie: die guten Menschen<br />

des Internet.<br />

In einer weltweiten Kommandoaktion<br />

wollen sie an Tag X erst die<br />

Täter verhaften, dann alle Steuerserver<br />

ausschalten, insgesamt über<br />

200 auf allen Kontinenten – und das<br />

möglichst gleichzeitig. Schon das<br />

ist hochkomplex. Das Schwierigste<br />

aber wird Teil drei ihres Plans: Sie<br />

wollen das komplette Netzwerk für<br />

immer stilllegen – und dafür müssen<br />

sie alle Opferrechner von der<br />

Schadsoftware befreien. Wie viele<br />

das sind und wo sie stehen, ob in Firmenbüros<br />

oder in Kinderzimmern?<br />

Weiß niemand. Klar ist nur: Werden<br />

die Computer nicht bereinigt,<br />

schlummern die Zombies nur. Dann<br />

Herr der Cyberkrieger:<br />

Arne<br />

Schönbohm,<br />

Präsident des<br />

Bundesamts<br />

für Sicherheit in<br />

der Informationstechnik<br />

hätten die Jäger zwar deren Mutterschiff<br />

zerstört, aber sobald jemand<br />

ein neues Schiff platziert, könnten<br />

die Zombies wieder aktiv werden –<br />

alles wäre umsonst gewesen.<br />

Das ist der entscheidende Auftritt<br />

der Cyberkrieger. Schäfer und seine<br />

Kollegen bauen eine Falle, ein Sinkhole.<br />

Ein eigener Server soll den<br />

Zombies vorgaukeln, er sei das Mutterschiff.<br />

Nehmen sie automatisch<br />

Kontakt auf, können die Jäger ihren<br />

Standort erkennen – und die Besitzer<br />

informieren. Und die wiederum<br />

können dann ihre Computer säubern.<br />

Das Problem ist nur: Schäfer<br />

muss die einprogrammierten Zieladressen,<br />

die zum Teil erst in der<br />

Zukunft generiert werden, sperren<br />

und umleiten. Das sind: 830 000!<br />

Eine Falle in dieser Dimension<br />

hat es nie zuvor gegeben. Vergessen<br />

die Jäger nur eine der Zieladressen,<br />

lassen sie nur ein einziges Schlupfloch,<br />

könnte Avalanche später wieder<br />

aufleben. Weltweit müssen sie<br />

darum über 40 Firmen, die Internetadressen<br />

verwalten, zur Kooperation<br />

verpflichten. Manchmal gelingt<br />

das per Rechtshilfe, manchmal nach<br />

ein paar Gläsern Whiskey. Die Zahl<br />

derer, die von der Jagd wissen, steigt<br />

von Woche zu Woche. Die Anspannung<br />

ebenfalls.<br />

Dann der große Tag, 30. November<br />

2016. Frank Lange kommt morgens<br />

um vier in die Europol-Zentrale.<br />

Polizeiteams in Kiew, in Chișinău,<br />

in Vilnius und bei Berlin stehen bereit.<br />

Überallhin hat Lange deutsche<br />

Staatsanwälte gesandt, als Aufpasser.<br />

Nur in Poltawa sind US-Fahnder<br />

vor Ort. Sie alle sind per Chat mit der<br />

Zentrale verbunden, Langes Handy<br />

vibriert bei jeder Nachricht.<br />

Zugriff! In Kiew hämmern Polizisten<br />

am frühen Morgen an die<br />

Wohnungstür von Anton Timochin<br />

und nehmen ihn fest. Nicht ganz so<br />

glatt läuft es in Poltawa. Dort stürmt<br />

eine Spezialeinheit in den vierten<br />

Stock eines Wohnhauses, Schüsse<br />

fallen. Gennady Kapkanov flieht auf<br />

einen Balkon. Sie haben ihn! In der<br />

Wohnung findet die Polizei eine<br />

Kalaschnikow, eine Pistole, mehrere<br />

Pässe und 70 000 Dollar in bar.<br />

Ab mittags beginnen sie, die Server<br />

abzuschalten, die letzten laufen<br />

am Abend in Bangladesch. Zwei<br />

Bildschirme zeigen ihnen außerdem,<br />

wie ihre Falle zuschnappt. Balken<br />

flimmern rot, gelb, dann blau –<br />

alles unter Kontrolle. Nachricht im<br />

Handy: „AVALANCHE IS DOWN!<br />

Greetings to all of you.“ Jubel.<br />

Innenminister Thomas de Maizière<br />

spricht später von einer<br />

„Kampfansage an die internationale<br />

Kriminalität im Cyberraum“.<br />

Von einer Aktion „ohne Beispiel“<br />

schwärmt das US-Justizministerium.<br />

„Wir haben gezeigt, dass der<br />

Staat sich wehren kann und dass das<br />

Internet kein rechtsfreier Raum ist“,<br />

sagt Arne Schönbohm, der Präsident<br />

des BSI. Nicht nur die Bösen könnten<br />

moderne Technik einsetzen,<br />

auch der Staat. „Avalanche war ein<br />

singulärer Fall, aber er wird nicht<br />

der letzte gewesen sein. The empire<br />

strikes back!“<br />

Katastrophal ist nur, dass im fernen<br />

Poltawa eine Provinzrichterin<br />

den als Superhirn verdächtigten<br />

Kapkanov freilässt. Vermutlich<br />

fließt Geld. Kapkanov taucht unter,<br />

bis heute fehlt jede Spur von ihm.<br />

Frank Lange ist enttäuscht. Dafür<br />

haben sie gearbeitet? Vier Jahre<br />

und – puff – einfach weg? Er hofft<br />

jetzt, dass zumindest die anderen<br />

verurteilt werden, auch wenn sie<br />

nicht nach Deutschland ausgeliefert<br />

werden. Klar, er hätte seine Täter<br />

gern selbst angeklagt. Wenn das nun<br />

die Kollegen in der Ukraine und in<br />

Aserbaidschan hinkriegen, auch gut.<br />

„Wir können die Täter nicht davonkommen<br />

lassen“, sagt er.<br />

Ärgert er sich, den Männern, die<br />

er so lange gejagt hat, nie persönlich<br />

gegenüberzusitzen? Natürlich sei er<br />

neugierig, sagt er. Aber es sei gar<br />

nicht so sehr die Jagd auf die Unsichtbaren,<br />

die ihn fasziniert habe.<br />

Viel spannender war, diese Hydra<br />

greifbar zu machen und zu vernichten.<br />

„Eine solche Struktur wurde<br />

ja noch nie zerstört. Wir müssen<br />

die Pest des Internets bekämpfen.<br />

Und das nächste Mal werden wir<br />

schneller sein.“ 2<br />

Hätte man Lukas Heiny<br />

vor der Recherche nach einem<br />

„Double Fast Flux“ gefragt,<br />

wäre er vermutlich in den<br />

Baumarkt gegangen. In der Ukraine<br />

recherchierte Bettina Sengling<br />

FOTO: AMIN AKHTAR/LAIF<br />

58 16.2.<strong>2017</strong>

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