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LERNEN MIT ZUKUNFT Juni 2020

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information & wissenschaft Die Meinungs-Kehrtwende: Tierversuche? NEIN DANKE??? WIE SCHNELL SICH DOCH DER WIND DER ÖFFENTLICHEN MEINUNG DREHT Thomas Kolbe Fachwissenschaftler für Versuchstierkunde, Ao. Prof. für die Service-Plattform Biomodels Austria Veterinärmedizinische Universität Wien Foto: © Alexandra Koch | pixabay.com 20 | JUNI 2020 Sehr viele Menschen weltweit machen momentan eine extrem schwierige Zeit durch. Durch diese außergewöhnlichen Bedingungen ist es vermutlich zu erklären, dass sich die Meinung der Öffentlichkeit zu Themen wie Impfungen, Forschung und Tierversuchen um 180 Grad gedreht hat, wenn man nach den Schlagzeilen der Presse geht: Noch bis vor wenigen Monaten wurde der Sinn von Masernimpfungen diskutiert. Jahrzehntelang haben viele von der Herdenimmunität profitiert. Bis fast alle nach dem Motto ›sollen die anderen sich impfen lassen und ich bin dann geschützt‹ gehandelt haben. Mit zunehmenden Krankheitsausbrüchen in den letzten Jahren. Dabei ist das keine harmlose Kinderkrankheit, sondern kann bei Kindern zu ernsthaften Komplikationen mit dauerhaften Gesundheitsschäden führen. Und wehe, wenn sich ein Erwachsener diese Krankheit zuzieht. Bei Männern ist häufig Unfruchtbarkeit die Folge, aber auch andere schwere Schäden können zurückbleiben. Gegen die jährlich auftretende Influenza haben sich nur noch 8% der österreichischen Bevölkerung impfen lassen. Obwohl 83% den Nutzen von Impfungen anerkennen. Dabei kam Influenza nun wirklich nicht unerwartet. Jetzt trifft uns ein neuer Virus mit voller Wucht und alle können es nicht erwarten, dass ein Impfstoff zur Verfügung steht. Am besten gleich morgen. Dabei wird jetzt im Frühjahr z.B. schon mit der Massenproduktion des Influenza-Impfstoffes für den nächsten Herbst begonnen. Wenn es also einen wirksamen Corona-Impfstoff geben sollte, wird allein die Massenproduktion ein halbes Jahr dauern. Einen Impfstoff zu entwickeln, der eine gute und möglichst langanhaltende Immunreaktion hervorruft und dabei keine unerwünschten Nebenwirkungen hat, wird viele Monate dauern. Die Bildung von Antikörpern als gewünschtes Ergebnis einer Impfung dauert mindestens zwei Wochen. Erst dann weiß man über den Erfolg oder Misserfolg eines einzigen Versuchsdurchganges an Testpersonen Bescheid. Vor 60 Jahren kamen bei der voreiligen Anwendung eines Polio- Impfstoffes viele Kinder zu Schaden. So etwas soll sich keinesfalls wiederholen. Wenn also vielleicht nächstes Jahr ein Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht, lassen sich hoffentlich mehr als nur 8% der Bevölkerung impfen. Und in den Jahren danach. Zum Glück werden 79% der Impfstoffe in Europa produziert. Dieser Industriezweig ist noch nicht aus Europa abgewandert. Das ist endlich einmal ein Vorteil der Europäer. Auch der Wert von Forschung allgemein wird nun anscheinend wieder mehr geschätzt. Es gibt viele Berichte über die Arbeit der Forscher. Dabei haben wir die ganzen Jahre nur Glück gehabt, dass bisher alle anderen gefährlichen Erreger außerhalb Europas geblieben sind, wie z.B. der Hendra-Virus 1994 in Australien, der Nipah-Virus 1998 in Malaysia, Sars 2002 und Mers 2012 in Asien, Ebola 2014 in Afrika und Zika-Virus 2015 in Südamerika. Hoffentlich wird die Forschung wieder besser finanziert, damit nicht weiterhin hoffnungsvolle junge Talente in das Ausland abwandern und wir solchen Krankheitserregern hilflos

information & wissenschaft gegenüber stehen und nur darauf hoffen können, dass rasch irgendwo anders ein Heilmittel entwickelt wird. Während die Meinung in einigen europäischen Ländern zuletzt dahin tendierte, Tierversuche möglichst rigoros abzuschaffen, dämmert jetzt in der Krise die Erkenntnis, dass man Forschung über das Immunsystem nicht komplett mit Zellkulturen bestreiten kann. Dazu braucht es auch lebende Organismen. Heiß begehrt sind aktuell Labormäuse mit einer gentechnischen Veränderung des ACE2-Rezeptors. Der bildet nämlich die Eintrittspforte für den Corona-Virus. Mit Hilfe dieser Mäuse kann man Details der Infektion studieren und Gegenmaßnahmen erproben. Leider gibt es nur kleine Zuchtkolonien dieser Mäuse bei einer Firma in Singapur und einem Labor in den USA. Selbst so fortpflanzungsfreudige Tiere wie Mäuse können sich nicht so schnell vermehren, wie sie Forscher aus aller Welt gerne in ihren Labors hätten. Es bleibt zu hoffen, dass auch nach Bewältigung dieser Krise das Verständnis für die Bedeutung von Forschung und deren breite Unterstützung von Seiten der Öffentlichkeit erhalten bleibt. LINKS: Influenza – errechnete Durchimpfungsrate Gesamtbevölkerung Österreich 2004-2019 laut ÖVIH; https://www.profil.at/wissenschaft/pseudomedizin-warumaerzte-unsinn-5544216 https://www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2015/ oeaez-22-25112015/impfungen-impfskepsis-impfgegner-univ-prof-ursula-wiedermann-schmidt.html Bleiben Sie gesund und nutzen Sie dann hoffentlich bald die Möglichkeit einer Corona-Impfung. Foto: © Abhilash Jacob | pixabay.com 21 | JUNI 2020