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LERNEN MIT ZUKUNFT September 2019

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Impulsmagazin für Erwachsene, Anregungen zum Nachdenken

information & projekt

information & projekt Stefanie Itto Tapal Mouzoun Gründerin und Gesamtleiterin des campus vivant'e im hohen Atlas von Marokko www.scuolavivante.ch DER CAMPUS VIVANT'E Vor mehr als zehn Jahren begann alles mit einer Idee: Den Kindern von Ait Bouguemez ganzheitliche Bildungswege eröffnen und ihnen die Möglichkeit bieten, sich in ihrem abgelegenen Tal im Hohen Atlas Marokkos zu mündigen weltoffenen Bürgern heranzubilden, die ihre Heimat wertschätzen und den Spagat zwischen Moderne und Tradition, zwischen alter Berberkultur und neuem Fortschritt meistern und mutig und verantwortungsvoll ihren Weg gehen. Die einstige kleine Grundschule ist in den vergangenen 9 Jahren zu einem Bildungs- Campus mit über 80 Schulkindern und 16 Mitarbeitern gewachsen, welcher heute in so vielfältigen Bereichen wie Permakultur, Gehörloseninklusion und Berufsorientierung wirkt. Viele engagierte Menschen vor Ort und aus der ganzen Welt helfen den campus vivant’e weiterzuentwickeln - hin zu neuen Horizonten. Fotos © Archiv Scuola Vivante 6 | SEPTEMBER 2019 Lebendiges Lernen und Wachsen: Hin zu neuen Horizonten DER CAMPUS VIVANT’E – EINE BESONDERE BILDUNGSSTÄTTE IM HOHEN ATLAS MAROKKOS Juli 2019 – die Schultore sind geschlossen und die Klassenräume liegen im « Sommerschlaf », einzig auf den Dächern sind noch ein paar Handwerker mit Ausbesserungsarbeiten beschäftigt und die Hühner scharren im Schatten ihres Käfigs. Ich organisiere noch ein paar bürokratische Dinge und erledige liegengebliebene Schreibarbeit, während die letzten Wochen vor meinem inneren Auge nochmals Revue passieren: es war eine sehr bewegende und intensive Zeit und allmählich setzen sich die Erinnerungen. Unsere erste Schülergeneration hat den kompletten Zyklus am campus vivant’e durchlaufen und abgeschlossen: neun Jahre an einer aktiven und lebendigen Schule. Was 2010 mit 16 Schülern und einem Wagnis, dem Abenteuer „école vivante“, begann, damals noch in unserem Wohnzimmer, findet nun zum ersten Mal seinen Abschluss: zehn aufgeweckte und lebhafte Kinder, die heranwuchsen zu gestandenen jungen Frauen und Männern, die ihren Weg nun selbstständig weitergehen. Hierzu möchte ich Ihnen eine Erfolgsgeschichte erzählen, die Geschichte von Malika. Malika kommt aus einer typischen Familie aus dem Dorf. Ihre Eltern sind einfache Bauern, der Vater arbeitet teils als Tagelöhner um das knappe Haushaltsgeld aufzubessern. Malika ist das einzige Mädchen unter lauter Jungen in der neunköpfigen Familie. Die Eltern, selber kaum zur Schule gegangen, haben uns von Anfang an ihr Vertrauen geschenkt, als wir die Idee einer freien Schule präsentierten. Sie waren von Beginn an offen und dankbar für unser alternatives Bildungsangebot und die Chancen, die wir ihrer Tochter damit bieten. Viele Kinder, vor allem Mädchen, besuchen in unserem abgelegenen Tal häufig - wenn überhaupt - nur die einfache Grundschule im Dorf. Nach spätestens sechs Jahren, viele auch schon früher, verlassen sie ihren Bildungsweg und haben damit keinerlei berufliche Perspektiven. In der ersten Klasse noch „wild und ungezähmt“, hat sich Malika in den letzten Jahren mit viel Freude und Lust, eifrig und engagiert entwickelt - sie konnte sich ihr interessiertes, freiheitsliebendes und kreatives Wesen bewahren und auf wunderbare Art ihren Platz als aktive Schülerin finden, die das Schulleben mitgestaltet. Selbstbestimmt und engagiert ging sie von Anfang an ihren Weg und nahm das Bildungsangebot der école vivante stets mit viel Hunger nach Wissen wahr. Besonders ihr künstlerisches, musikalisches und theatralisches Potential konnte sie bei vielen Projekten entdecken und beweisen. Als sie 2010 als 5-Jährige das allererste Mal mit Farben, Pinsel und Papier in Berührung kam, war das so etwas wie eine Initialzündung für sie. Im college vivant'e, unserer weiterführenden Sekundarschule, entwickelte Malika ihre sprachlichen, wissenschaftlichen und handwerklichen Fähigkeiten weiter. Das eigenverantwortliche Lernen hatte sie inzwischen so verinnerlicht, dass man sie häufig selbstständig arbeitend, in Bücher vertieft, an ihrem persönlichen (von ihr selbst geschreinerten!) Arbeitstisch finden konnte. Auf dem campus vivant'e lernte sie nicht nur die theoretischen Inhalte des marokkanischen Lehrplans sondern auch Praktisches wie Gärtnern,

information & projekt Kochen, Filzen oder sich zurecht zu finden in der Wildnis oder in einer Stadt. Vor allem aber auch Offenheit und Toleranz gegenüber Menschen anderer Kulturen und Religionen, ökologisches Bewusstsein, gewaltfreie Kommunikation, kritisches Denken und besonders: den Mut zu haben, seine eigene Meinung kundzutun und seinen eigenen Weg zu gehen. 2010-2019, das beinhaltet viel mehr als das obligatorische klassische Lehrplanwissen in den einzelnen Fächern hergibt. Lebensschule nennen wir das, lebendiges Lernen und Wachsen, jeder für sich und doch stets miteinander. Zum Abschied erhielten alle zehn Abgänger darum auch zum ersten Mal das sogenannte „vivante- Diplom“ - eine Urkunde und ein ausführlicher Kompetenzbeschrieb in welchem schwarz auf weiß all die Dinge genannt werden, die im normalen Notenzeugnis nicht sichtbar sind. DOWNLOAD Jahresbericht 2018 DOWNLOAD Projektbeschreibung 7 | SEPTEMBER 2019