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UmweltJournal Ausgabe 2017-05

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4 IT IN DER

4 IT IN DER WASSERINFRASTRUKTUR UmweltJournal /September 2017 Exklusivinterview mit ÖWAV-Experten „Wenn wir die nächsten zehn Jahre zu wenig tun, ist unser Vorsprung weg“ Die Wasserinfrastruktur in Österreich steht vor großen Herausforderungen. Vermehrte Starkregenereignisse, zum Teil in die Jahre gekommene Anlagen und die bevorstehende Digitalisierung der Netze führen die Wasserkanäle und -leitungen unseres Landes in eine Phase des Umbruchs und der Modernisierung. Das UmweltJournal sprach dazu mit drei Experten des ÖWAV (Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband): Geschäftsführer Manfred Assmann, Vizepräsident Walter Scharf sowie Wasserexperte und ÖWAV-Vorstandsmitglied Thomas Ertl schilderten Status quo und Zukunft des österreichischen Siedlungswasserbaus. Autor: Alexander Kohl alexander.kohl@sciam.at UmweltJournal: Die Starkregenereignisse in Österreich häufen sich – in diesem Sommer war besonders Oberösterreich betroffen. Mit diesen Wetterextremen einher gehen starke Beanspruchungen der kommunalen Wasserinfrastruktur. Kann man solche Extremereignisse in der Dimensionierung von Kanälen und Abwasserinfrastruktur überhaupt berücksichtigen? Ertl: Ab einer gewissen Stärke eines Unwetters sind planbare Dimensionierungen einfach nicht mehr möglich. Wir reden bei diesen Ereignissen über sogenannte Jährlichkeiten. Bei der Bemessung von Kanälen wird dann vor allem auf die fünfjährlichen, manchmal auch noch zehnjährlichen Starkregen gesehen. Es gibt aber auch hundertjährliche Ereignisse, bei denen es technisch nicht mehr gangbar ist, die Massen unterirdisch abzuleiten. Daher sollte man künftig an der Oberfläche Möglichkeiten der Retention oder Versickerung schaffen. Zum Beispiel auch mehr Dächer in Gründächer umwandeln, manche Dach- oder Straßenflächen gar nicht in den Kanal, sondern in Versickerungsflächen einleiten und so weiter. Viele Experten propagieren in diesem Zusammenhang auch die Digitalisierung der Wasserinfrastruktur. Wie kann IT bei der Bewältigung dieser Szenarien helfen? Scharf: Durch die enormen IT- Rechenleistungen ist es heute möglich viel komplexere Sachverhalte im Infrastrukturmanagement abzubilden, nicht nur – aber auch – in der Wasserinfrastruktur. Vor zehn Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen. Die Auswirkungen von Starkregenereignissen können heute präzise vorab errechnet werden. Ertl: Ein gutes Beispiel ist das Kanalnetz in Wien. Das Kanalsystem selbst ist vollständig im Kanis (digitales Kanalinformationssystem von Wien Kanal) erfasst. In „Real-Time-Control“ werden mit diesen digitalen Daten Modelle gefüttert, die hydraulische Vorgänge im Kanalnetz simulieren. Man kann also Starkregen nachbilden und erkennt schnell, wie sich das Netz verhalten wird und wo es zu Überflutungen kommt. Wien Kanal analysiert zudem noch Radar- und Wetterdaten. So kann man schon einige Stunden im Voraus sehen, wo hohe Wassermengen anfallen werden und in welchen Bezirken noch Speicherraum besteht. Dann werden die restlichen Abflüsse dementsprechend umgeleitet und die Speicher so entleert, dass genug Platz ist für neue Regenmengen. Welche Vorteile würde die Digitalisierung unserer Wasser- und Abwassernetze – über die Bewältigung mehrjähriger Starkregen hinaus – noch bringen? Scharf: Viele Kanalbewirtschafter stellen im Zuge der Digitalisierung ihrer Netze fest, dass der gesamte Grundstückskataster nicht passt. Daher bekommen wir nun mit der Digitalisierung – also der Erfassung aller Leitungen in digitaler Form – plötzlich eine ganz neue Qualität von Leitungsplänen hinsichtlich Lage und Zustand. Das wirkt in alle Bereiche, wie auch auf andere Leitungsträger oder den Straßenbau, positiv ein. Assmann: Wir kommen in Österreich zudem in die Phase, in der die technische Lebensdauer vieler Bauwerke der Wasserinfrastruktur erreicht ist und wir in „Wir haben in der Wasserwirtschaft an Terrain verloren. Das ist schade und tut weh.“ Manfred Assmann, Geschäftsführer ÖWAV einen Investitionsstau gelangen. Aktuell steht gesellschaftspolitisch aber „Sparen“ an oberster Stelle und die Wasserinfrastruktur ist als „vergrabene“ und „unsichtbare“ nicht gerade populär für Investitionen. Dennoch wird uns nichts anderes übrig bleiben. Der Wirtschaftsstandort Österreich, der Fremdenverkehrsbereich, unsere Umwelt und Natur – alles hängt mit funktionierender Infrastruktur zusammen und einer der wichtigsten Elemente ist da die Qualität unseres Wassers. Im Zuge dieser neuen notwendigen Investitionen nun auch die Digitalisierung voranzutreiben ist natürlich unser klarer Wunsch – der ÖWAV wird sich dafür stark machen. In Deutschland ist das Thema „Wasser 4.0“ bereits in Foto: öwav/vefb ÖWAV-Veranstaltungstermine Ausbildungskurs zur „Fachkraft für Neophytenbekämpfung“ 13.-14. September 2017, Lakeside Science & Technology Park GmbH, Klagenfurt Der Umgang mit Holzabfällen in Österreich – Recycling und energetische Verwertung von Altholz 20. September 2017, Bundesamtsgebäude, Wien Kurs „Das ABC des Abfallrechts“ für EinsteigerInnen und zur Auffrischung 20. September 2017, Seminarhotel Nova Park, Graz Österreichische Umweltrechtstage 2017 „Unfall und Störfall im Umweltrecht“ 27.-28. September 2017, Universität Linz Österreichische Wasserwirtschaftstagung 2017 „Die Zukunft der Abwasserwirtschaft in Österreich“ 4.-5. Oktober 2017, voestalpine Stahlwelt, Linz Raumordnungsrecht für Infrastrukturvorhaben – Vorausschauende Planung oder organisiertes Chaos? 11. Oktober 2017, Bundesamtsgebäude, Wien Erfahrungsaustausch Kompostierung 2017 – Aktuelle Herausforderungen für die Kompostierung 12.-13. Oktober 2017, Redoutensäle, Linz Zustandsermittlung von Hochwasserschutzdämmen als Grundlage für die Sanierung – Vorstellung des ÖWAV-Arbeitsbehelfs 53 24. Oktober 2017, Kommunalkredit Austria AG, Wien Kommunale Abfallwirtschaft – Von der Praxis für die Praxis 7. November 2017, Hypo NÖ Landesbank, St. Pölten Wasserkraft und Ökologie – Ein gemeinsamer Weg 9. November 2017, Universität Innsbruck UVP-Recht in der Praxis 22. November 2017, Bundesamtsgebäude, Wien Abwasserwirtschaft im ländlichen Raum, 28. November 2017, Universität für Bodenkultur Wien Abfallrecht für die Praxis 30. November 2017, Bundesamtsgebäude, Wien Österreichische Abfallwirtschaftstagung 2018 17.-19. April 2017, Salzburg Congress Informationen, Anmeldung und Auskünfte für Aussteller: Irene Vorauer, Tel. +43-1-535 57 20-88, vorauer@oewav.at Martin Waschak, Tel. +43-1-535 57 20-75, waschak@oewav.at www.oewav.at Sujet UJ 5_17_270x200.indd 1 11.08.2017 10:38:34

September 2017/ UmweltJournal IT IN DER WASSERINFRASTRUKTUR 5 Vorteile der Digitalisierung der Wasserinfrastruktur: digitaler Leitungskataster, Real-Time-Control bei Starkregen und besseres Management für Sanierungen und Reparaturen. Foto: Wien Kanal Wir halten alles in Fluss Kanäle richtig konzipiert, dimensioniert, dokumentiert aller Munde. Wie sieht es in Österreich aktuell mit dem Grad der Digitalisierung der Wasserinfrastruktur aus? Ertl: Die Bandbreite in Österreich dazu ist enorm. Wien Kanal hat sicher eines der besten Systeme überhaupt, während andere bis dato noch weniger investiert haben. Wasser 4.0 soll ja heißen, dass man seinen Bestand kennt und einen permanent kontrollierten Zustand unterhält. Man weiß, was sich in einem System abspielt und kann mit Berechnungen und Modellen digitaler Art in die Zukunft schauen. Assmann: Im digitalen Leitungskataster haben wir nun schon etwa 50 Prozent der Kanalleitungen erfasst. Das ist auch der erste Schritt der Digitalisierung; hier sind wir dank der Förderung gut unterwegs. Aber nun müssen wir uns mit weiteren Dingen beschäftigen, wie digitale Messanlagen, Real- Time-Control, die Vernetzung zwischen Siedlungs- und Schutzwasserwirtschaft und so weiter: Das alles wird die Digitalisierung bringen. Es ist dabei keine Frage, ob wir sie wollen oder nicht, ob wir sie gut finden oder nicht, sie wird Einzug halten. Der Leitungskataster ist also ein erster Schritt, aber ansonsten stehen wir noch am Anfang. Haben wir Nachholbedarf etwa gegenüber Deutschland? Assmann: Ja, das muss man klar so sagen. Wir haben in der Siedlungswasserwirtschaft in den letzten Jahren etwas an Terrain verloren. Das ist schade und tut weh, aber wir müssen nachlegen. Die Deutschen haben einen wesentlich höheren Status, was Messsysteme und -einrichtungen betrifft. Im Vergleich zu anderen Ländern wiederum stehen wir gut da, aber wenn wir die nächsten zehn Jahre zu wenig tun, ist auch dieser Vorsprung weg, und davor möchte ich warnen. Die Digitalisierung der Siedlungswasserwirtschaft wird sicher weitere Investitionen und auch weiteren Förderungsbedarf erfordern. Die Gemeinden werden das schwer alleine stemmen. Diese Aufgabe kommt aber auf uns zu. Gibt es eine Vision zu Wasser 4.0 in Österreich? Assmann: Wir beginnen nun darüber nachzudenken, wie man Strukturen in Österreich schaffen und unterstützen kann. Österreich – und das ist eben der große Unterschied zu Deutschland – ist sehr kleinteilig strukturiert. Das hat Vorteile, bringt aber auch – wenn es etwa um Modernisierungen geht – längere Reaktionsphasen und Trägheitskräfte mit sich. Man muss einen österreichischen Weg finden und den gilt es jetzt zu diskutieren, gemeinsam mit den Betreibern, Universitäten, Ländern und dem Ministerium. Wie könnte eine Gemeinde beginnen das Netz auf 4.0 zu modernisieren? Was wären die ersten Schritte und nötigen Investitionen? Ertl: Derzeit sind 40 bis 50 Prozent unserer Leitungen digitalisiert im Leitungskataster. Lage, Tiefe, Material, Durchmesser und so weiter. Das heißt, etwa die Hälfte ist digital erfasst. Das wäre auch das erste „To-do“ einer Gemeinde, die das noch nicht umgesetzt hat. Dann kommen die Verbrauchs- und Durchflussmesser dazu sowie digitale Wasserzähler, Messstellen, Pumpstationen mit Fernübertragung und so weiter. In der gesamten Debatte aber muss man schon aufpassen, ob man sich jetzt eine Stadt wie Wien oder Salzburg ansieht, die sowieso diesen Weg gehen, oder ob man eine kleine Gemeinde begutachtet. Dort muss klar errechnet werden, ob sich die 4.0-Investition rentiert. Es macht keinen Sinn, das beste System mit Real-Time-Control für nur wenige Leitungskilometer einer 100-Seelen-Gemeinde zu installieren und dann kein Kanalmanagement zu haben, das mit den Daten etwas anfangen kann. Manche warnen in der Debatte um digitale Infrastruktursysteme auch immer wieder vor möglicher Cyberkriminalität und Hackerattacken: Was ist die Gefahr in der Abwasserwirtschaft und wie kann man sich schützen? Assmann: Im Zuge der Vorerhebungen zum Cybersicherheitsgesetz haben wir diese Frage sehr genau analysiert. Und wir müssen feststellen, dass die Gefahr in der Wasserinfrastruktur im Abwasserbereich überschaubar ist. Zusätzlich ist bei uns die angesprochene kleine Struktur ein großer Vorteil. Jedem Hacker stehen da circa 1.500 kommunale Kläranlagen als „Inseln gegenüber“. Kein leichtes Terrain also für Attacken. In anderen Ländern der Welt, wie etwa China und Indien, werden Billionen von Investitionen in die Wasserinfrastruktur vorhergesagt. Auch Digitalisierung wird hier eine Rolle spielen. Sind unsere Wassertechnologieunternehmen aufgestellt, um an diesem gewaltigen Märkten teilzuhaben? Assmann: Teils, teils. Unsere Unternehmen werden geschätzt, haben durchwegs Erfahrung und gute Technologie, aber unsere vielen Klein- und Mittelbetriebe mit ihrem immensen technischen Know-how schaffen es vielfach dennoch kaum die fernen Potenzialmärkte wie China, Indien oder auch Afrika konstant zu bearbeiten. Der permanente Export unserer Technologie müsste hier von politischer Seite besser unterstützt werden. Es bedarf eines nationalen Kraftakts um unsere konkurrenzfähigen Wasserund Umwelttechnologien stärker nach außen zu tragen. Der Markt ist gewaltig, aber auch gewaltig umkämpft … und da wartet niemand auf Österreich. Eine gesicherte Entwässerung über Kanäle kann dann gewährleistet werden, wenn in einem Leitungskataster ausreichend Kenntnisse über die in den Gemeinden vorhandenen Abwasserleitungen vorliegen. Aus den Erkenntnissen einer hydrodynamischen Berechnung können in Folge Investitionen minimiert und Projekte zukunftsorientiert dimensioniert werden. Leitungskataster Voraussetzung für die Kanalmodellierung ist ein aktueller Leitungskataster, der alle baulichen und geografischen Informationen über den Zustand des Kanalnetzes beinhaltet. Hydrodynamische Kanalmodellierung Hydrodynamische und hydrologische Modelle dienen z. B. zur Abbildung und dem Nachweis der Leistungsfähigkeit des Kanalnetzes und dessen Überstausicherheit nach ÖWAV Rgbl. 11 oder zur Bestimmung des Weiterleitungsgrades nach ÖWAV Rgbl. 19. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen ein zielgerichtetes Lösen von konkreten hydraulischen Problemen. Finanzielle Vorteile Die vorliegenden Daten liefern die Voraussetzung für optimierte Sanierungsplanungen zur Funktionserhaltung des Kanalnetzes. Eine auf den aktuellen baulichen und hydraulischen Zuständen aufbauende und am Bedarf orientierte Planung bei Neubau und Sanierung führt zu Kosteneinsparungen bei Gemeinden und Abwasserverbänden. Informationen Spezialisten mit langjährigem Know-how beraten Sie gerne: LINZ AG ABWASSER, Wiener Straße 151, 4021 Linz E-Mail: abwasser@linzag.at Internet: www.linzag.at/kanalmodellierung „Man kann heute Starkregen digital nachbilden und erkennt schnell, wie sich das Netz verhalten wird und wo es zu Überflutungen kommt.“ Foto: boku Thomas Ertl , ÖWAV/BOKU