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Professionelle Polizeiliche Gesprächsführung - Leseprobe

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Im Polizeialltag treffen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte immer wieder auf Situationen und Menschen, die sie in höchstem Maße fordern – auch kommunikativ. Dieses Lehr- und Trainingsbuch stellt ein neues Konzept und Modell für den Erwerb notwendiger Kompetenzen für die professionelle polizeiliche Gesprächsführung vor. Es zeigt anhand verschiedener Gesprächssituationen auf, wie die Polizei etwa in schwierigen Lagen mit psychisch kranken oder psychisch gestörten Personen wie auch im Umgang mit Gewalttätern oder Opfern einer Straftat zu einer professionellen polizeilichen Gesprächsführung findet.

Teil 1 • Theoretische

Teil 1 • Theoretische Rahmenbedingungen zusammen bilden eine Einheit in der Kommunikation. Ein Widerspruch auf der Inhaltsebene bedeutet, einen sachlichen Widerspruch zu formulieren: Man ist anderer Meinung. Ein Widerspruch auf der Beziehungsebene kann verschiedene Bedeutungen haben: Ich lasse mich von dir nicht unterkriegen, ich habe keine Angst vor dir, ich will mich deinen Aufforderungen nicht unterordnen. Ich respektiere dich nicht! 31 Zwischen Inhalts- und Beziehungsebene können verschiedene Störungen auftreten. 3.4 Intimität und Dominanz in der Kommunikation Neben dem Sachverhalt verhandeln die Beteiligten die Beziehung, in der sie miteinander stehen. Hier sind in der Forschung vorwiegend zwei Dimensionen herausgestellt worden: die Frage nach der Zugehörigkeit oder der Sympathie und die Dimension der Dominanz. Es geht um Statusunterschiede und um Machtverhältnisse. Soziale Kommunikation vollzieht sich immer im Spannungsfeld zwischen Dominanz und Unterwerfung, wobei sich die beiden Dimensionen gegenseitig bedingen. Dominanz fordert Unterwerfung und Unterwerfung lädt zu Dominanz ein. So fordert die Polizei durch dominantes Verhalten von ihrem Gegenüber, sich zu unterwerfen. Trifft die Polizei auf eine Person, die hilflos und schwach ist, wird die Polizei verleitet, sich dominant in Szene zu setzen. Nicht auf jedes dominante Verhalten folgt Unterwerfung und umgekehrt. 32 Um Dominanz auszustrahlen, braucht es die Fähigkeit, die eigenen Interessen oder die polizeilichen Anforderungen überzeugend sichtbar zu machen. In der Kommunikation geht es immer auch um Sympathie und Ablehnung. Aufgrund von verschiedenen Merkmalen wird das Gegenüber als ähnlich und damit sympathisch oder als anders und fremd wahrgenommen und dann als potenziell bedrohlich erlebt. Menschen mit geringer sozialer Macht zeigen in der Kommunikation mit Menschen, die über einen hohen sozialen Status verfügen und Macht über sie haben, typische und erkennbare Merkmale. Diese werden als implizite Erwartungshaltungen im sozialen Austausch eingefordert. Solche Menschen sind in ihren Äußerungen zurückhaltender, sie benutzen höflichere Anredeformen, sie sprechen selbst weniger, sie suchen weniger Blickkontakt und setzen Berührungen seltener ein, ihnen werden häufiger Fragen gestellt. 33 Werden solche Ausdrucksformen nicht gezeigt, wird dies als Bedrohung bewertet. Gerade im Polizeiberuf haben diese Anzeichen einen großen Sinngehalt. Die Polizei versucht, sich mit Dominanz in eine soziale Situation einzubringen, um auf den hohen sozialen Status zu verweisen. Genauso wird sie das Verhalten des Gegenübers nach Anzeichen von Dominanz und Status bewerten. Mit Intimität wird der Grad der Bekanntheit und Nähe zwischen Personen beschrieben. Die Intimsphäre einer Person kennzeichnet ihren Eigenbereich, ihre intimen Bedürfnisse, ihre intimen Kontakte. Sie ist das Maß der Abgrenzung einer Person nach außen. Intimität ist Ausdruck von Sympathie und Vertrauen und gegenseitiger Empathie. Menschen haben grundsätzlich das Bedürfnis, sich mit anderen so auszutauschen, dass eine gewisse Intimität mit anderen Personen hergestellt wird. Die Synchronisierung der Intimitätsgrade in einer Kommunikationssituation stößt auf Schwierigkeiten, wenn ein Teil das notwendige Einfühlungsvermögen für die Intimitätsbedürfnisse des anderen vermissen 31 Vgl. Delhees (1994), S. 15 f. 32 Vgl. Delhees (1994), S. 37 f. 33 Vgl. Hargie (2013), S. 41. © VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden Nolden „Professionelle polizeiliche Gesprächsführung“ 2. Auflage 2023, ISBN 978-3-8011-0929-5 30

Anerkennung und Respekt in der Gesprächsführung lässt oder wenn aus persönlichen Gründen ein starkes Abwehrverhalten gegen das Eindringen in die Intimsphäre aufgebaut wurde. 34 Die fehlende Selbstöffnung lässt keine Intimität entstehen. Polizeiliches Handeln erfordert immer eine gewisse professionelle Distanz, die aber vom Gegenüber nicht als zu groß erlebt werden darf, sodass die geforderte Bürgernähe nicht mehr erlebbar wird. „Zu viel Nähe tötet!“ ist ein beliebter Spruch der Einsatztrainer. Nähe bedeutet räumliche Nähe und damit das Unterschreiten der Distanz, die zu einem Sicherheitsrisiko werden kann. Sie kann auch ein Zuviel an menschlicher Nähe bedeuten, die das Durchführen von sanktionierenden Maßnahmen erschweren kann. Nähe schafft einerseits Intimität und andererseits macht sie auch verwundbar. 3.5 Höflichkeit und Imagepflege Kommunikation ist stets darauf gerichtet, ein vermeintlich gutes Bild von sich selbst abzugeben. Jeder arbeitet an seinem Image und wenn es gut geht, sind Gesprächspartner auch darauf bedacht, das Image des Gegenübers nicht zu beschädigen. Dies lässt sich auch mit dem Konzept der Höflichkeit umschreiben, indem Menschen versuchen, soziale Akzeptanz und Anerkennung zu erreichen: Höflichkeitsstrategien sollen dazu dienen, das eigene Gesicht und das des Gegenübers zu wahren. „Die doppelte Wirkung der Regeln von Selbstachtung und Rücksichtnahme besteht darin, dass jemand sich bei einer Begegnung tendenziell so verhält, dass er beides wahrt: sein eigenes Image und das der anderen Interaktionsteilnehmer (…) Ein Zustand, wo jeder temporär die Verhaltensstrategie jedes anderen akzeptiert, ist erreicht. Diese Art der Anerkennung scheint ein grundlegendes strukturelles Merkmal von Interaktion zu sein, besonders der Interaktion von direkten Gesprächen.“ 35 Auch in der polizeilichen Darstellung ist Höflichkeit ein wesentliches Kennzeichen einer deeskalierenden und professionell ausgebildeten Polizei. 3.6 Anerkennung und Respekt Assmann (2018) schlägt vor, die Höflichkeitsstrategien in einer modernen Welt, die durch Vielfalt und Differenzen geprägt ist, durch die Begriffe „Anerkennung“ und „Respekt“ zu ergänzen. Anerkennung ist nicht nur ein Tribut, der aufgrund besonderer Leistungen verliehen wird. In der Moderne beschreibt sie vielmehr eine Forderung nach sozialer und politischer Teilhabe unter den Bedingungen individueller, sozialer und kultureller Diversität. 36 Mit Anerkennung lässt sich eine Haltung beschreiben, die Menschen brauchen, um ein tragendes Selbstbild aufzubauen. Sie ist etwas, was sie sich gegenseitig schulden, aber eben auch verweigern können. 37 Die Aberkennung von Anerkennung verweist auf mangelnde Würdigung, auf den Entzug von Würde, auf Demütigung und aufgezwungene Unsichtbarkeit mit den dazugehörigen Folgen für die Entwicklung von Identität. 38 34 Vgl. Delhees (1994), S. 37. 35 Goffman (1999), S. 16. 36 Vgl. Assmann (2018), S. 132. 37 Vgl. Assmann (2018), S. 143. 38 Vgl. Assmann (2018), S. 133. © VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden Nolden „Professionelle polizeiliche Gesprächsführung“ 2. Auflage 2023, ISBN 978-3-8011-0929-5 31