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Beschaffung aktuell 1-2.2022

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» MANAGEMENT Die Importpreise waren im November 2021 um 24,7 % höher als im November 2020. Eine höhere Vorjahresveränderung hatte es zuletzt im Oktober 1974 im Rahmen der ersten Ölpreiskrise gegeben (+28,8 %). Bild: Destatis Potenziale den Unternehmen nicht im erforderlichen Maße zur Verfügung stehen. Stattdessen ist zu erwarten, dass die Mangelwirtschaft mit Material- und immer mehr Personalengpässen zunächst einmal weitergehen wird. Die Engpässe dürften weiterhin mit nicht unerheblichen inflationären Tendenzen, die eh bei den extrem gestiegenen Erzeugerpreisen schon zu besichtigen sind, einhergehen (Quelle: Destatis 11/2021). Zwar werden die Verbraucherpreise zu Beginn 2022 etwas langsamer steigen als in 2021, da die Sondereffekte (z. B. MwSt-Erhöhung) wegfallen. Dem steht jedoch gegenüber, dass sich in den vorgelagerten Wertschöpfungsstufen ein enormer Kosten- und Preisdruck aufgestaut hat, der sich in den nächsten Monaten in den Verbraucherpreisen niederschlagen dürfte. Hinzu kommen die Wechselkurseffekte bei den importierten USD-notierten Rohstoffen (importierte Inflation) sowie auch die „grüne Inflation“ bei wichtigen Rohstoffen. Nach Experteneinschätzungen wird die große Welle der Preiserhöhungen für die Konsumenten im Verlaufe 2022 noch kommen. Unternehmen, die über Preissetzungsmacht verfügen, werden diese ausschöpfen und die Kunden mit Preissteigerungen um fünf bis sieben Prozent zur Kasse bitten. Zwar gibt es in der Industrie bei einzelnen Vorprodukten nach den exorbitanten Preissteigerungen des letzten Jahres Stabilisierungen auf hohem Niveau. An zügige Preissenkungen in 2022 wagt man indessen nicht zu glauben. Diese werden erst dann eintreten, wenn wieder mehr Angebot im Markt ist und sich die Engpässe in der Logistik auflösen. Und dies kann noch dauern! Die steigenden Verbraucherpreise dürften den Druck auf die Gewerkschaften erhöhen, den Kaufkraftverlust ihrer Mitglieder in den kommenden Tarifrunden auszugleichen. Weil Arbeitskräfte knapp werden, steigt der Spielraum für die Gewerkschaften, höhere Löhne durchzusetzen. Die Ökonomen des IfW rechnen daher damit, dass sich der Anstieg der effektiven Stundenlöhne im neuen Jahr auf 2,9 Prozent beschleunigt (nach 1,1 Prozent in 2021). Ein Einstieg in eine Lohn-Preis-Spirale ist nicht auszuschließen. Die deutsche Wirtschaft droht daher im Winterhalbjahr in die Stagflation, d. h. eine Kombination aus stagnierender Produktion und hohen Inflationsraten, zu rutschen. Es darf bezweifelt werden, dass die Annahme der Europäischen Zentralbank (EZB), der derzeitige Inflationsschub sei nur vorübergehend, richtig ist. Das Lieferkettendrama geht weiter Der deutschen Industrie macht nicht die ausbleibende Nachfrage, sondern das fehlende Angebot an Vorprodukten, Rohstoffen und Materialien zu schaffen. Im Frühjahr 2021 gingen die Unternehmen von einer Normalisierung bis zum Sommer aus. Diese trat jedoch nicht ein. Zu den Pandemiebelastungen kamen weitere ernsthafte Störfaktoren hinzu wie etwa die Blockade im Suezkanal und Witterungseinflüsse. Die chemische Industrie beispielsweise hatte über Monate hinweg große Probleme in der Vorproduktversorgung als Folge der Eisstürme in Texas im Winter 2021. Dieses Extremwetter zwang amerikanische Petrochemieunternehmen, mehr als 75 Prozent ihrer Kapazität abrupt herunterzufahren. Hinzu kamen in 2021 exorbitant gestiegene Energiekosten. Die Lieferengpässe in der deutschen Industrie haben sich im Dezember 2021 verschärft. 81,9 Prozent der Firmen klagten nach einer ifo-Umfrage über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Aktuell gehen die Einkaufschefs davon aus, dass die Engpässe bis weit ins Jahr 2022 22 Beschaffung aktuell » 1-2 | 2022

hinein anhalten werden. Sie haben die (begründete?) Hoffnung, dass sich die Lage im zweiten Quartal nach und nach verbessert und dann im zweiten Halbjahr weiter normalisiert. Zu Beginn des neuen Jahres könnte es jedoch nicht zuletzt wegen der Omikron-Mutante und der darauf zurückzuführenden Personalengpässe erst einmal schlimmer werden, bevor sich die Lage entspannt. Für Einkäufer und Supply Chain Manager ist dies eine herausfordernde Situation, auch weil sich die Verfügbarkeiten und Preise täglich ändern. Von einer planbaren und zuverlässig vorhersehbaren Verfügbarkeit können sie nicht mehr ausgehen. In den „Verhandlungen“ mit den Lieferanten geht es seit Monaten fast nur noch darum, wann und welche Mengen der Vorprodukte und Materialien wieder verfügbar sein werden, oder wo man diese überhaupt noch herbekommen kann. Die derzeitigen Versorgungsprobleme hängen auch mit den unzureichenden Logistikkapazitäten zusammen. In China könnte sich die Lage schrittweise normalisieren, auch wenn die Häfen teils noch überlastet sind und Berichten aus der Praxis zufolge bisweilen einem Abnehmer Containerkapazität vor der Nase weggeschnappt wird, weil jemand anderes 1000 Dollar mehr zu bezahlen bereit ist. Anders ist es in Europa. Die Häfen beispielsweise in Antwerpen und Rotterdam sind verstopft. Zusätzlich fallen dort auch häufig Kräne mit technischen Problemen aus. Die gesamte Transportschiene entlang des Rheins von den Niederlanden über Deutschland nach Italien steht weiterhin stark unter Druck, klagen etwa Vertreter der chemischen Industrie. Hinzu komme in vielen Ländern der Welt ein Mangel an Lkw-Fahrern, vor allem auch in den USA. Vor diesem Hintergrund sei nicht absehbar, dass die Frachtraten sinken. Darüber hinaus droht ein weiteres, sehr ernst zu nehmendes Risiko: Cyberattacken auf die Lieferketten. Hier sind Lösungen bisher Fehlanzeige. Robuste Lieferketten sind gefragt Nicht nur die Einkäufer und Supply Chain Manager stehen auch im Jahre 2022 wieder vor einem herausfordernden Jahr. Resilienz und Agilität, gepaart mit Unsicherheitskompetenz (Fähigkeit zum Umgang mit unsicheren Verhältnissen) werden bei den Entscheidungsträgern in den Unternehmen zur unverzichtbaren Schlüsselkompetenz. Die Unternehmen stellen nach den Pandemieerfahrungen ihre Lieferketten neu auf. Dabei ist eine Relokalisierung im großen Stil nicht zu erwarten. Es müssen aber Lieferketten aufgebaut werden, die auch unter erschwerten Bedingungen robust sind. Statt ‚just in time‘ und Single Sourcing bedarf es mehr ‚just in case‘ und Multiple Sourcing, um im Falle eines Falles genügend Alternativen zu haben. Ohne kooperatives Lieferantenmanagement ist alles nichts. Prof. Dr. Robert Fieten wissenschaftlicher Berater der Beschaffung aktuell, Köln Digitales Einkaufswunder 4.0 Wie Digitalisierung im Einkauf mit einem Impuls beginnt. quwiki.com/einkaufswunder Beschaffung aktuell » 1-2 | 2022 23

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