Views
1 year ago

Centurion Germany Spring 2023

  • Text
  • Germany
  • Restaurants
  • Insel
  • Fotos
  • Welt
  • Vorteile
  • Stadt
  • Resorts
  • Centurion
  • Hotels
  • Hilton

|Reſlections|

|Reſlections| entwickeln“, sinniert er. „Es kann nicht aus etwas Neuem entstehen, weil es im Modernen keine Modernität gibt.“ Das ergibt durchaus Sinn, denn Garcias Markenzeichen ist die Kunst der Neuerfindung in Form einer herrlich provokanten Mischung aus verschiedenen Stilrichtungen, historischen Epochen und prächtigen, kostbaren Stoffen aus vergangenen Jahrhunderten. Seine prunkvoll gestalteten Interieurs, die über den ganzen Globus verteilt sind (Hotel Costes, Paris; La Mamounia, Marrakesch; Le Métropole, Monaco; Wynn, Las Vegas; Banyan Tree, Doha), sind nur ein Teil seines kreativen Repertoires, zu dem auch zahlreiche Kooperationen Im Uhrzeigersinn von links: die literarische Proust-Suite des Maison Proust; ein Detail aus der Monet-Suite des Hotels; das maximalistische Interieur der Anna-de-Noailles-Suite mit renommierten Museen wie dem Louvre oder Versailles gehören. „In den 80er-Jahren war alles hellgrau mit einem Hauch von Taupe“, sagt Garcia mit einem amüsierten Lächeln. „In den 90er-Jahren habe ich versucht, das zu ändern, indem ich Farben hinzugefügt habe.“ Wir sitzen in blauen Samtsesseln in der prunkvollen Bar im Belle-Époque-Stil des Maison Proust, einem neu eröffneten Boutique-Hotel mit 23 Zimmern im Marais, einem von Garcias jüngsten Designprojekten. Alle Details, wie die vergoldeten Spiegel, die Kristallkronleuchter im Art-déco-Stil und die weichen Polstermöbel, zaubern die Atmosphäre eines eleganten Pariser Salons der Jahrhundertwende. Man hat den Schriftsteller Marcel Proust hier förmlich vor Augen, wie er sich den Schnurrbart streicht und mit einer Marquise an einem der Nachbartische spricht. Genau das hatten Jacques Garcia und die Eigentümer Yoni Aidan und Sylviane Sanz (Maison Souquet, Maison Athénée) im Sinn, als sie mit der Planung für ihr drittes Hotel begannen. Die Idee war es, erklärt Garcia, einem der größten Autoren des 20. Jahrhunderts zu Ehren jede Suite des sechsstöckigen Stadthauses nach Prousts persönlichen Freunden zu benennen; nach Schriftstellern, Dichtern, Malern, Schauspielerinnen und eleganten Damen der gehobenen Gesellschaft, die seine Werke inspirierten. „Das Erstaunliche an Prousts sozialem Umfeld in den 1900er-Jahren ist die Ähnlichkeit mit den heutigen Eliten. Es ist genau wie damals, es gibt die Guten und die Bösen.“ Garcia schmunzelt und seine Augen funkeln schelmisch hinter seiner Hornbrille FOTOS BENJAMIN ROSEMBERG 46 CENTURION-MAGAZINE.COM

Colette sah mich an und sagte: „Dieser kleine Junge wird es weit bringen, er ist nicht wie die anderen.“ hervor. Er weiß, wie es läuft, denn viele seiner Kunden gehören zu den reichsten und mächtigsten Menschen der Welt. Für das Maison Proust verbrachte der Designer die letzten dreieinhalb Jahre mit der Auswahl der Tapeten, der Farbgestaltung und der Stoffe, die der unverwechselbaren Persönlichkeit des jeweiligen Namensgebers entsprechen. Eine wirklich illustre Gesellschaft: Baudelaire, Manet, Monet und Aristokraten, wie die scharfsinnige Kunstmäzenin Prinzessin Mathilde. Und damit nicht genug, hat Garcia gleich noch ein eigenes Kunstobjekt entworfen: einen pergamentartigen Lampenschirm, der einem aufgeschlagenen Buch ähnelt, jeweils mit handschriftlichen Auszügen aus Prousts Werk Auf dem Weg zu Swann. „Ich habe für jedes Zimmer andere Zitate gewählt“, sagt Garcia und strahlt. Für die Renoir-Suite wurde der schimmernde, orangefarbene Stoff von Pierre Frey „auf der falschen Seite“ verwendet, als Anspielung auf den Impressionismus. Die Executive Suiten in der sechsten Etage des Maison Proust sind in warmen Brauntönen gehalten, „der Farbe des polierten Holzes um die Jahrhundertwende“, sagt Garcia. Eine komplexe Herausforderung, ja, aber der Designer sagt, er fühle sich auch persönlich mit Prousts erlesenem Freundeskreis verbunden. Die Junior-Suite, die nach der Grande Dame der Jahrhundertwende, der französischen Schriftstellerin Colette, benannt ist, liegt ihm zum Beispiel besonders am Herzen. „Ich lernte Colette im Alter von sechs Jahren zusammen mit meinem Vater kennen, als sie 81 Jahre alt war, ein Jahr, bevor sie starb. Sie sah mich an und sagte: ‚Dieser kleine Junge wird es weit bringen, er ist nicht wie die anderen.‘“ Opulente Stoffe mit Palmenmuster waren ein absolutes Muss für die Räume, die der Gräfin Greffulhe gewidmet wurden, die Prousts fiktive Herzogin von Guermantes inspirierte. „Sie war die attraktivste und eleganteste Frau ihrer Zeit, eine absolute Schönheit! Im Schlafzimmer meiner Mutter hing ein Porträt der Gräfin in einem gelben Kleid, und so verbrachte ich quasi meine gesamte Kindheit mit ihr.“ Garcias Vater Jacques (ein echter Literaturfreund) machte ihn auch mit Jean Cocteau bekannt; in der nach ihm benannten Suite befindet sich sogar eine Originalzeichnung des Dichters und Künstlers. Und dann schwärmte er als Kind von Robert de Montesquiou, dem berüchtigten Dandy der 1900er-Jahre, weil sein Vater eine Tonstatue von Montesquiou im Smoking besaß. „Der Typ war unglaublich gut aussehend – das männliche Pendant zu Claudia Schiffer!“ Was die viel verehrte Schauspielerin Sarah Bernhardt betrifft, so besitzt Garcia einige ihrer Möbel im ägyptischen Stil, die er zufällig bei einem Antiquitätenhändler entdeckte. Das bringt uns zum Thema der bevorstehenden Auktion von Jacques Garcia bei Sotheby‘s in Paris am 16. Mai, wo der Designer anlässlich seines 75. Geburtstags 75 Schätze aus seiner monumentalen königlichen Sammlung veräußern wird. Warum er das tut? „Vor 30 Jahren beschloss ich, mein Leben dem Ansehen Frankreichs zu widmen“, sagt Garcia mit pathetischer Stimme (er zeigt zum Beweis auf den französischen Verdienstorden der Ehrenlegion, der an seiner Jacke befestigt ist). Er beschreibt, was zu einem allumfassenden Projekt geworden ist: die aufwendige Restaurierung des Château du Champ de Bataille aus dem 17. Jahrhundert in der Normandie, das er 1992 erwarb, und das neben anderen architektonischen Besonderheiten auch den größten und am besten gepflegten Privatpark Frankreichs mit einer Fläche von 40 Hektar umfasst, der mit mehreren Gewächshäusern, einer Orangerie und einem atemberaubenden indischen Miniaturpalast aus rotem Stein beeindruckt. Da es keinen direkten Erben gibt, besteht das Ziel der Auktion darin, genügend Mittel für die Gründung einer Stiftung aufzubringen, die den Fortbestand des Schlosses und seiner Außenanlagen sichern soll, erklärt er. Eines der herausragendsten Stücke, die zum Verkauf stehen, ist eine violette Sèvres-Porzellanvase aus dem Jahr 1797, die zwischen 800.000 und 1,2 Millionen Euro geschätzt wird. Darüber hinaus gibt es eine lange Liste kunstvoll verzierter Möbelstücke, die Königen, Baronen und Herzögen gehörten. „Daneben habe ich auch kleinere Stücke ausgewählt, wie sechs wunderschöne Stühle, die in den Gemächern von Ludwig XV. standen, wo er unzählige Stunden mit seiner Mätresse Madame du Barry verbrachte. Und ein Mahagoni-Tablett aus dem Besitz von Marie Antoinette, das sie unter ihrem Bett aufbewahrte, um ihre Liebesbriefe zu sammeln. Eine Dame aus den USA oder Taiwan wird begeistert sein, wenn sie es bekommt.“ „Dinge kommen und gehen“, zuckt Garcia mit den Schultern. „Ich werde sie nicht vermissen.“ Und man neigt dazu, ihm zu glauben. CENTURION-MAGAZINE.COM 47

CENTURION