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medizin&technik 01.2020

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■ [ MEDIZIN IM DIALOG

■ [ MEDIZIN IM DIALOG ] TECHNIK SOLL HELFEN, MEHR ÜBER DAS MIKROBIOM ZU LERNEN Mikrobiom und Krankheit | Wer das Mikrobiom – alle Mikroorganismen, die in und auf Menschen leben – versteht, bekommt eine neue Sicht auf die Ursachen und die Behandlung von Erkrankungen. Mikrobiom-Forscher Prof. Dirk Haller von der TU München erläutert, wo die Forschung steht und wofür Medizintechnik gebraucht würde. (Bild: TU München/privat) IHR STICHWORT ■ ■ ■ ■ ■ Stand der Mikrobiomforschung Krankheitsursachen Prävention Neue Möglichkeiten für Therapien Medizintechnik und Mikrobiom Prof. Dirk Haller forscht an der TU München zu Bakterien im Darm und ihrer Rolle bei chronisch entzündlichen Krankheiten und der Krebsentstehung. Er leitet das Zentralinstitut Food & Health und koordiniert den Sonderforschungsbereich 1371 „Micro - biome Signatures“ ■ Herr Professor Haller, was ist mit „Mikrobiom“ gemeint? Der Begriff wird heute für die Gesamtheit der Mikroorganismen verwendet, die als komplexes Ökosystem im und auf dem Körper leben und vielfältige Funktionen übernehmen können. Früher sprach man von Mikroflora, aber der Bezug zu Pflanzen war irreführend. Der Begriff Mikrobiom leitet sich als Kunstwort auch vom Genom ab, der Gesamtheit der Erbinformationen all dieser Lebewesen. Das zu betonen ist richtig, denn das Volumen ihrer genetischen Informationen übersteigt das, was das menschliche Genom mitbringt, um den Faktor 500. Das zeigt, welche unglaubliche Vielfalt an Fähigkeiten, bestimmte Stoffwechselprozesse durchzuführen, da verborgen ist. Wie das Zusammenspiel untereinander und mit dem menschlichen Stoffwechsel aussieht, fangen wir gerade erst an zu verstehen. ■ Was wissen Forscher über die Rolle, die das Mikrobiom im Körper spielt? In den vergangenen gut zehn Jahren ist sehr viel zu genetischen Analysen der Mikroorganismen veröffentlicht worden. Das geht damit einher, dass seit etwa 2006 die Technik zur Verfügung stand, solche Daten mit Hochdurchsatzsequenzierern automatisiert zu erheben. Das hat eine Vielzahl von Vergleichen zwischen dem Mikrobiom bei Gesunden und Erkrankten ermöglicht. Dabei zeigten sich auch Korrelationen zwischen Mikrobiomzusammensetzung und bestimmten Erkrankungen. Beispiele dafür sind chronische Darmentzündung, Diabetes typ II oder Multiple Sklerose. Nun liegt die Aufgabe vor uns, 12 medizin&technik 01/2020

zu schauen, wo es über die Korrelation hinaus ursächliche Zusammenhänge gibt und wie wir solche Erkenntnisse medizinisch nutzen können. ■ Was ist aus Ihrer Sicht die spannendste Erkenntnis, die die Mikrobiomforschung bisher hervorgebracht hat? Am spannendsten ist die Komplexität. Obwohl so viel geforscht wurde, können wir bisher kaum mehr als die Vermutung zu bestätigen: Ja, das Mikrobiom beeinflusst seinen Wirtsorganismus. Die vielen Hypothesen, die aus den Daten schon abgeleitet wurden, müssen nun bestätigt oder widerlegt In zehn Jahren könnten Mikrobiomanalysen klinischer Standard sein werden. Das dauert nicht selten zehn Jahre. Heute betonen manche Forscher sogar schon mit einem Augenzwinkern, dass das Mikrobiom nicht an allem Schuld sein könne. Das soll aber nicht den Blick darauf verstellen, dass wir klinisch relevante Zusammenhänge sehen und diese auch nutzen wollen. ■ Welche Behandlungsmöglichkeiten ergeben sich aus der Mikrobiomforschung? Klinische Relevanz haben heute schon Stuhltransplantationen gegen Clostridium-difficile-Infektionen, die zu Dickdarmentzündungen führen können. Die Idee dahinter ist, die übermäßige Entwicklung des krankmachenden Mikroorganismus zurückzudrängen, in dem er Konkurrenz durch eine gesunde Mischung aus anderen Bakterien bekommt. Ein weiterer Fall ist die unerwünschte immunologische Abwehrreaktion des Körpers, die nach einer Stammzelltransplantation auftreten kann, mit der eine Leukämie behandelt werden soll. Eine Stuhltransplantation, die Pathogene verdrängt, kann auch hier lebensrettend sein. Noch komplexer sind die Zusammenhänge, wenn über das Mikrobiom die Wirksamkeit von Medikamenten für die Krebstherapie gesteigert werden kann. In Mäusen sehen wir da schon Erfolge. ■ Wie verändert die Mikrobiomforschung die Medizin? Es wird eine neue Sicht auf Krankheit und Gesundheit diskutiert. Durch unsere Ernährung beeinflussen wir die Zusammensetzung des Mikrobioms. Eine ungünstige Kombination kann Menschen anfälliger machen für bestimmte Krankheiten. Das kann uns künftig ermöglichen, präventiv zu handeln. Seriöse Forscher sind mit Aussagen dazu aber noch sehr vorsichtig. ■ Was wird gebraucht, um die Mikrobiomforschung voranzutreiben? Zeit und Geld. Als aus dem Human Genome Project vollständige Sequenzdaten für das menschliche Genom vorlagen, haben diese auch nicht sofort die erhofften Antworten auf medizinische Fragen geliefert. Vielmehr stieß man in der Folge auf individuelle chemische Veränderungen an der Erbsubstanz, die die Epigenetik beschreibt und die wir noch nicht restlos verstehen. Da die genetische Informa tion im Mikrobiom um so viel umfangreicher ist, werden wir 01/2020 medizin&tec hn i k 13

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