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OCEAN7 2010-07-08

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Diese Ausgabe ist etwas für Spezialisten, die klassische Schönheiten unter Segel lieben. Außerdem gibt es hier interessante Revierberichte aus den British Virgin Islands und aus Montenegro.

48 Gegen den Srom

48 Gegen den Srom Segel-Österreich hat eine gehandicapte Traumkonstellation im Boot und kaum eine Ahnung davon. Für OCEAN7 ein willkommener Anlass, Sven und seinen starken Männern bei ihrem leidenschaftlichen Wellenritt über die Schultern zu blicken. Wer auf welligem Terrain zu viel Körpereinsatz demonstriert und dabei erwischt wird, sieht gelb und muss seinen Untersatz zweimal um die eigene Achse wuchten. Sir Edmund Rath, der in einer Windwettfahrt durch seine ständigen Gewichtsverlagerungen mehr Meter zurücklegt als ein Mittelstreckenläufer, macht seinem Ärger über und nach dem Jury-Pfiff lautstark Luft. Er habe die Unparteiischen genauso wenig gesehen wie die Wellen, abgesehen davon ist die Entscheidung – eh klar – ein Witz. Die Jury bekommt ihr Fett weg, auch der Steuermann muss sich einiges anhören. Er hat als Ersatzauge schlampig angesagt und nicht rechtzeitig vor den Schiedsrichtern, die seit längerem am Heck der Austro-Segler kleben, gewarnt. Die Ersatzstrafe kostet naturgemäß Zeit und demnach die vorderen Plätze, doch auch die billigeren sind heiß begehrt. Schließlich erfolgt die Verwarnung wegen unerlaubten Vortriebs nicht bei einem schnöden Ententanz auf der Alten Donau, sondern am Gelben Meer im Rahmen der Olympischen Sommerspiele 2008. Sven, Sir Edmund, und Helmut drehen zähneknirschend ihre Extrarunden. Das dem Trio bei sämtlichen Handgriffen auf und abseits des Wassers in Summe zwei Unterarme, ein Unterschenkel und ein Augenpaar fehlt, fällt nicht auf. Ebenso wie ihre Paralympische Premiere, die auf Rang 13 endet und als Randnotiz mehr oder weniger untergeht. Der Doppel-Agent. Sven Reiger konnte nie in seine Hände klatschen, Dinge an zehn Fingern abzählen oder im Doppelstockeinsatz verschneite Hänge hinunterwedeln. Der Leiter und Besitzer zweier Segelschulen ist vor 36 Jahren ohne linken Unterarm zu Welt gekommen. Warum, darüber sind sich die Ärzte bis heute uneinig. Für Sven spielt das Warum keine Rolle, seine Behinderung hat den gebürtigen Wiener nie vom richtigen Leben und schon gar nicht von seinen sportlichen Leidenschaften abgehalten. Im zarten Alter von sechs Jahren begann er dem Optimist die Sporen zu geben, ließ kaum eine Regatta aus und segelte unter anderem mit Franz Urlesberger um die Wette. Zwei Wochen nachdem der Salzburger 1996 vor Savannah und im Laser zu olympischen Ehren kam, lief Sven Reiger im vier Autostunden entfernten Olympiastadion von Atlanta zur paralympischen Silbermedaille. 60.000 Zuschauer jubelten dem Schlussläufer der rot-weiß-roten 100 Meter- Staffel frenetisch zu, ein Erlebnis der Extraklasse und eine Erfahrung, die eine frostbeulengroße Gänsehaut hinterlassen hat. Der Sportstudent blieb den Spikes und der Laufbahn bis 1999 treu, dann warf ihn eine Verletzung aus dem Rennen. Der Ehrgeiz für ein Comeback wurde von den beruflichen Ambitionen überflügelt. Reiger verschlug es nach Kroatien, wo er 2000 eine Segelschule vor Rovinj aus dem Boden stampfte.

People 49 Parallel dazu nahm der mittlerweile stolze Vater einer quietschvergnügten Dreierbande seine Regattaambitionen wieder auf und begann mit seiner zweiten Olympiakampagne zu liebäugeln. Zunächst mit Marina, einer unterarmamputierten Segellehrerin und dem Rollstuhlfahrer Wilfried an Bord, dann mit Edi Rath und Helmut Seewald. Urlaubstagen und vor allem am Budget, um Sprünge in wärmere Gegenden zu machen. Miami beispielsweise oder Australien, wo ein Großteil der Vollprofis überwintert. Ein üppiger Regattakalender ist ebenso wenig drin wie ein ständiger Trainer, der Enthusiasmus kennt dennoch keine Grenzen. Mit Stefan Hess und Alfred Pelinka hat man profunde Wegweiser, der Behinder- 6 + 3 + 4 = 13. Das Cockpit der sieben Meter langen Sonar, mit einem Tiefgang von 119 Zentimetern und 23 Quadratmetern an Segelfläche gesegnet, teilt man durch drei. Sven steuert und ist für die taktischen Variationen verantwortlich, Edi, der sein Augenlicht 1987 bei einem Böllerschuss verlor, trimmt nach Gefühl und auf Zuruf das Großsegel, Helmut macht das Vorsegel und gemeinsam mit dem Mittelmann den Gewichtstrimm. Die Segler werden nach Behinderung gemäß ihren Fähigkeiten klassifiziert. Jedes Crewmitglied bekommt eine Zahl, die einer Bewertung des Handicaps entspricht. Der Gesamtwert der Mannschaft muss unter vierzehn bleiben, Österreichs Asse haben 13 Zähler auf ihrem Konto, hinten Bei Leichtwind bereits Weltklasse sechs, in der Mitte drei und vorne vier. Reiger und seine Crew steuern demnach ideal besetzt auf die Olympischen Segelwettbewerbe 2012 zu, die Qualifikation für Weymouth muss kommende Saison vor Weymouth gelingen. Während der Weltmeisterschaft 2011 werden an der englischen Südküste sechs weitere Plätze vergeben, bei den ersten sieben Fahrkarten hat man heuer vor Medemblik hauchdünn danebengegriffen. Ein Schicksal, dass sich die Österreicher mit den Olympia-Dritten von 2008 sowie den Weltmeistern von 2007 teilen, die Dichte in der Sonar ist – wie allgemein im olympischen Segelsport – enorm hoch. Auf dem holländischen Ijsselmeer und den heurigen Titelkämpfen schrammte Österreichs paralympische Hoffnung mit Rang elf und als neunte Nation denkbar knapp an der Qualifikation vorbei, nun soll die England-Reise im zweiten Anlauf fixiert werden. Einmal auf der Insel, will man sich im Vergleich zum Olympiadebüt um 100 Prozent steigern und unter die Top sechs segeln. Die Basis dafür wird im Wintertrainingslager zwischen Ebensee und Gmunden gelegt. Von Weymouth in den Hafen der Ehe. Logistisch gesehen liegt der Traunsee im Mittelpunkt der Interessen. Zumindest wenn sich ein Vorarlberger, ein Burgenländer und ein Steirer zum Segeln gehen treffen. Klimatisch gesehen ist man zwischen Oktober und März eher auf der ungemütlichen Seite. Das liegt am Winter und der Kälte und endete bereits im Vorjahr in klammen Fingern und gefrorenen Schoten. Es hapert an tensport-Verband tut, was in seiner Macht steht. Auch Christian Binder legt Hand an, gemeinsam mit dem Himberger Segelmacher wird an dem Olympiasetup gebastelt. Zwei Garnituren müssen für eine ganze Saison herhalten, eine finanziert man aus den eigenen Taschen. Sponsoren sind Mangelware, selbst jene, die nur Gutes tun, damit darüber gesprochen wird. Trotz der erfolgreichen China-Runde finanziert sich das Trio auch ihre zweite Kampagne zum Großteil selber. Die Ausgangsposition und Vorbereitung muss als amateurhaft bezeichnet werden, der Idealismus behält dennoch, oder gerade deshalb die Oberhand. Trotz der schlechten Rahmenbedingungen sind die Österreicher von der Qualifikation überzeugt. Bei Leichtwind ist man bereits Weltklasse, ballert es, muss noch einiges optimiert werden. Aus diesem Grund besetzen die Sonar-Männer den England-Weltcup, zumal dieser die WM- und Olympiageneralprobe, und somit vor Weymouth ist. Im Starkwindrevier will man am Defizit arbeiten und sich auf die kommenden Prüfungen vorbereiten. Die Reise über den Kanal wird zu viert in Angriff genommen. Ein Trainer fällt budgetär zwar aus dem Rahmen, dafür ist Irmi wieder mit von der Partie. Edis beste Hälfte ist gleichzeitig auch das Radar des 49-jährigen Steirers, und apropos Lebensmensch: Nach seiner Rückkehr schippert Sven, der seit heuer vor Jois ein zweites Segelschul-Standbein hat, mit seiner Langzeitliebe Andrea in den Hafen der Ehe. OCEAN7 gratuliert vorab und hält sie über die England-Reise der kongenialen Gang weiter auf dem Laufenden.

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