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Gibt es ein festgelegtes

Gibt es ein festgelegtes Portfolio an Motiven, die ihr stickt oder darf man auch mit Sonderwünschen an euch herantreten? Wir sticken natürlich auch Motive auf Wunsch. Wir haben schon für Firmen und Vereine Kleidung bestickt, für Unis und Junggesellenabschiede. Einzige Voraussetzung bei uns: Wir besticken nur faire und nachhaltige Stoffe. Was hat es mit eurem Namen auf sich? Wir stehen für Langlebigkeit, Schlichtheit und zeitlose Mode. Anders gesagt: Unsere Kleidung soll ein Gegengewicht zu den schnellen Trends darstellen. Und weil man sich an dezenten Designs in der Regel nicht so schnell sattsieht und sie sich wunderbar mit allem kombinieren lassen, war damit auch unser Name geboren. Bei uns findet man weder ausgefallene Schnitte noch eine große Auswahl an Farben. Unsere Shirts und Hoodies sind allesamt weiß, schwarz oder grau gehalten – dezent eben. „Fairness muss zur Normalität werden“ Sarah Gomm und Valentin Wirth (beide 26 Jahre junge Allgäuer) haben vor knapp drei Jahren begonnen, ihre eigene Mode zu gestalten – in Ermangelung an fairer und gleichzeitig schöner Kleidung vor Ort. Weil ständig alle fragten, woher sie ihre genialen Shirts beziehen, wurde aus dem DIY- Projekt ziemlich schnell ein Online-Shop – fair, nachhaltig und mit herrlich puristischen Designs – dezent eben, wie der Name ihres Labels selbst. Wir haben Valentin zum Interview getroffen; besser gesagt: Wir haben telefoniert, wie sich das in Homeoffice-Zeiten gehört … Woher bezieht ihr eure Shirts und Hoodies? Wir lassen in Indien produzieren. Das verwundert vielleicht einige, aber das war eine ganz bewusste Entscheidung. In Indien gibt es eine Produktionsstätte, die auf klimafreundliche Herstellung spezialisiert ist. Dort arbeitet man ausschließlich mit grüner Energie, was zur Folge hat, dass bei der Produktion 95 Prozent CO2 eingespart werden im Vergleich zu konventionellen Herstellern. Dadurch wird der aufwändigere Transport wieder komplett kompensiert. Außerdem sind unsere Kleidungsstücke aus Biobaumwolle gefertigt, die im Anbau weit weniger Wasser verbraucht und vollkommen auf Chemikalien verzichtet. Wir achten auch darauf, auf Plastik zu verzichten – sowohl bei den Textilien als auch bei der Verpackung. Nur in unseren Hoodies ist ein Teil Polyester enthalten, allerdings aus recycelten PET-Flaschen. Die fairen Arbeitsbedingungen vor Ort werden durch unabhängige Organisationen gewährleistet, beispielsweise durch das Fairtrade-Siegel oder auch die Fair Wear Foundation. Lieber Valentin, die wichtigste Frage gleich vorab: Was trägst du? Ich trage heute eines unserer dezent-Shirts mit einem kleinen aufgestickten Eis darauf. Das Teil gehört zu unserer neuen Kollektion, die bald rauskommt. Das ganze wird kombiniert mit der obligatorischen Homeoffice-Jogginghose. Magst du dich und Sarah einmal vorstellen? Wer seid ihr und was macht ihr genau? Sarah und ich haben vor knapp drei Jahren dezent gegründet – ein Modelabel, das fair gehandelte und nachhaltig produzierte Textilien aus Biobaumwolle mit Stickereien verziert und online vertreibt. Eigentlich hatten weder Sarah noch ich jemals etwas mit Textilien zu tun. Ich studiere Psychologie in Innsbruck und Sarah macht gerade ihren Doktor in Umweltpolitik in Zürich. Wir hatten bloß Lust auf nachhaltige Klamotten. Heute machen wir alles selbst – vom Einkauf über die Anfertigung der Stickereien bis hin zum Verkauf. Wie kam die Idee zu dezent? Wir haben schon lange darauf geachtet, fair und nachhaltig einzukaufen. Wenn es ums Thema Kleidung ging, war das hier in Kempten und Umgebung allerdings recht schwierig. Es gab und gibt einfach kaum Stores, in denen man nachhaltige und faire Klamotten kaufen kann. Klar, es gibt die typische Öko-Hippie-Kleidung, aber das war nicht das, was wir gesucht haben. Wir wollten faire und trotzdem stylishe Streetwear. Also haben wir angefangen, unsere Shirts selbst zu gestalten. Wir haben uns eine Stickmaschine gekauft und einfach losgelegt; damals lediglich für den Eigenbedarf. Die Stücke kamen allerdings so gut an, dass wir erst die Klamotten unserer Freunde bestickt und dann irgendwann dezent gegründet haben. 52

NACHHALTIGKEIT Nachhaltige Mode steht oft im Verdacht, wahnsinnig teuer zu sein. Wie seht ihr das? Wir haben dezent unter anderem mit dem Ziel gegründet, dass sich jeder faire Kleidung leisten dürfen kann. Natürlich kommen wir mit unseren Preisen lange nicht an die bekannten Fast-Fashion-Ketten heran, aber dafür kann man unsere Kleidung tatsächlich mit einem guten Gewissen kaufen und hat viele Jahre etwas davon. Unsere Shirts und Hoodies sind zum Beispiel Teil des sogenannten Fairshare Projektes. Dabei wird garantiert, dass die Textilarbeiter*innen mehr als den Mindestlohn erhalten, der beispielsweise in Indien oft nicht zum Überleben reicht. Viel mehr wird allen Arbeitskräften ein existenzsichernder Lohn gezahlt. Existenzsichernd heißt, der Lohn muss den Textilarbeiter*innen ermöglichen, sich und ihre Familien zu ernähren, für Bildung aufzukommen, Ausgaben für Gesundheitsvorsorge zu tätigen und Rücklagen zu bilden. Dafür wurde die Differenz zwischen dem vorherigen und dem existenzsichernden Lohn in einem Aufschlag für jedes Produkt umgerechnet. Bei unseren Shirts sind das 14 Cent. Der Betrag mag gering erscheinen, ist aber deshalb wirksam, weil der zusätzliche Gewinn mit der monatlichen Lohnabrechnung direkt an die Arbeiter*innen geht. Erkennt ihr einen Wandel in der Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit? Ich finde schon, dass sich gerade wahnsinnig viel tut. Steffen Kustermann ist ein tolles Beispiel für Kempten. Wir haben uns sehr gefreut, dass sich sein Pop-up-Store jetzt zu einem festen Laden entwickelt hat und das Projekt „Piepmatz“ auch immer weiter wächst. Wenn solche Läden entstehen, werden auch kleine Label präsenter und gleichzeitig tut sich auch etwas in den Köpfen der Menschen. Die ganze Modebranche ist im Wandel. Größere Firmen rüsten um, wollen nachhaltiger werden. Wie fair das am Ende wirklich ist, bleibt erst einmal dahingestellt. Es braucht nicht einige wenige Menschen, die alles perfekt machen, sondern viele, die es unperfekt tun. Mode ist einfach wahnsinnig relevant für viele Menschen und wird in Unmengen konsumiert. Wie schafft man es als Label in der Textilbranche, hier ein Umdenken anzustoßen? Dezent ist tatsächlich nicht bloß ein Label, sondern wir verstehen uns auch politisch und wollen auf Missstände hinweisen und aufklären. Auf unserer Internetseite haben wir einen Blog gestartet, auf dem wir versuchen, Menschen zu informieren. Noch wichtiger ist es allerdings, es vorzuleben. Das versuchen wir beispielsweise, indem wir nur auf Bestellung besticken, um eine Überproduktion zu verhindern. Mode ist für viele Menschen Ausdruck von Individualität, die man sich nur ungern nehmen lassen möchte. Trotzdem sollte man sich einmal fragen, wie individuell es wirklich ist, wenn man sich regelmäßig mit Kleidung großer Fast-Fashion-Ketten versorgt, die fast jeder trägt. Wir hoffen, dass von Seiten der Politik bald etwas kommt, so dass faire und biologische Sachen – egal ob Kleidung oder Nahrung – günstiger und anders besteuert werden. Momentan werden Fleischprodukte mit 7 Prozent besteuert und die Ersatzprodukte mit 19 Prozent. Das heißt, dass vegane Chicken Nuggets tatsächlich teurer sind als das Original. Wenn sich hier etwas im Preis ändern würde, würden auch mehr Menschen umsteigen. Habt ihr Tipps für Verbraucher, wie oder woran man faire Kleidung schnell erkennt? Drei Siegel, denen wir größtes Vertrauen schenken, sind die der Fair Wear Foundation (FWF), Fairtrade und Global Organic Textiles Standard (GOTS). Wer beim Kauf seiner Kleidung darauf achtet, macht schon sehr viel richtig. Außerdem raten wir, in speziellen Shops einzukaufen, die auf faire und nachhaltige Kleidung spezialisiert sind. Außerdem kann man natürlich immer im Laden selbst nachfragen, wo und wie die Kleidung hergestellt wurde. Wenn es dann heißt, man wisse es nicht so genau, kann man davon ausgehen, dass es nicht sonderlich fair oder nachhaltig ist. Die Textilbranche hält unglaublich viele Schocker bereit. Welcher Fakt über Verschwendung, Ausbeutung oder Umweltverschmutzung bekümmert euch am meisten? Seit dem Unglück in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 wissen sehr viel mehr Menschen, welche menschenverachtenden Arbeitsbedingungen dort herrschen. Welche Zahl mich darüberhinaus schockiert hat, war, dass 25 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes auf die Textilbranche entfallen und dass zehn Prozent aller produzierten Kleidungsstücke ungetragen in die Tonne wandern. Das darf einfach nicht sein. Was ist euer größter Wunsch im Hinblick auf die Textilbranche? Ich würde mir wünschen, dass es irgendwann normal ist, dass die Herstellung von Kleidung nicht mehr zu Lasten von Mensch und Natur geschieht. Dass es Standard wird und vielmehr die Kleidung mit speziellen Hinweisen versehen werden muss, die unfair und nicht nachhaltig ist. Wir wünschen uns schlichtweg, dass Fairness zur Normalität wird. Was ist für die Zukunft geplant? Irgendwelche Projekte am Start? Wir haben eine neue Kollektion mit neuen Motiven geplant. Außerdem sind wir weiterhin auf der Suche nach neuen Partnern, die unsere Kleidung vertreiben. Die Kara Brew Bar in Kempten beispielsweise hat mal eine eigene Kaffee-Kollektion mit uns rausgebracht. Solche Kollaborationen machen einfach Spaß und wir hoffen, dass wir weitere Firmen oder Vereine finden, die Lust haben, mit uns zusammenzuarbeiten. Kontakt: www.dezent.me written by LINDA HILD photographed by VALENTIN WIRTH & SARAH GOMM 53