Buch3
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© Auflagen Ewelina Kuczynska
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Karolina Kuczynska
Pädagogin und Mutter von drei Mädchen, den zwei Jahren alten,
eineiigen Zwillingen Elin und Maya und der siebenjährigen Aliyah.
Sie kommt ursprünglich aus Polen. Seit dem Teenageralter lebt sie in
Deutschland und hat dort auch studiert.
Ihr soziales Wesen bringt sie dazu, jeden Menschen als ein einzigartiges
Wunderwerk zu sehen, mit allen Ecken und Kanten.
Denn sie sind es, die den Menschen ausmachen. Sie blickt gerne hinter
die Fassade, sucht nach den schönsten Merkmalen eines Individuums,
auch wenn sie auf den ersten Blick vielleicht nicht als solche zu
erkennen sind. Auf diese Weise möchte sie sich für die Unscheinbaren
einsetzen.
Für die, die durch etwas eingeschränkt sind, sich damit verstecken
möchten und deshalb nicht ihr volles Potenzial entfalten können.
Ein Mensch muss sich nicht schämen, weil er etwas nicht kann oder
anders ist als das Umfeld. Schließlich können wir alle nicht alles.
Wir sind alle ANDERS. Und genau das ist so wundervoll. Mit diesem
Buch, das übrigens während ihrer Studienzeit entstanden ist, möchte sie
die Liebe zu Frida entfachen, welche stellvertretend für die Menschen
mit Schreib- und Leseschwäche steht. Sie möchte dem Umfeld dieser
Menschen zeigen, wie wertvoll es für beide Seiten ist, Unterstützung
anzubieten.
Sie hofft, damit auch den Studierenden der Pädagogik und Psychologie
eine kleine Hilfe zu sein. Ihr Traum ist, noch mehr solcher Bücher
herauszugeben, um die Welt toleranter und offener gehandicapten
Menschen gegenüber zu gestalten. Denn sie sind es wert - jeder
Einzelne von ihnen.
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Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel 1 Seite 13
2. Kapitel 2 Seite 29
3. Kapitel 3 Seite 43
4. Wörterliste Seite 57
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Es war einmal eine junge Frau namens Frida. Sie lebte in einem kleinen,
freundlichen Dorf, das südöstlich der Hauptstadt gelegen war und dessen
Bewohner sich gut untereinander kannten. Wo immer Frida auch hinging,
was immer sie kaufte oder bestellte, ihre Nachbarn waren für das Fräulein
da.
„Danke schön für deine Hilfe, mein lieber Max. Ich könnte das auch selbst
machen, aber mit dir macht es viel mehr Spaß!“, sagte sie eines Tages zu
Maximilian, der ihr gerade eine passende Kutschenverbindung ins nächste
Dorf heraussuchte. Er lebte am Ende des Weges hinter dem Marktplatz
und war ihr guter Freund, den sie zunehmend lieber hatte.
So machten die Freunde heute, wie so oft, gemeinsame Besorgungen,
unterhielten sich viel und verbrachten den ganzen Tag zusammen.
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Als sie am Abend ins Dorf zurückkehrten, verspürten sie großen Hunger.
Also beschlossen die beiden, in der guten, alten Stube bei Tante Isolde
mitten am Marktplatz zu speisen.
„Ich freue mich, dass wir zusammen hier sind, Max! Kannst du mir
vielleicht sagen, welches Tagesgericht das Gasthaus heute empfiehlt?“,
fragte Frida freundlich, mit klimpernden Wimpern und leichtem
Schmunzeln.
„Aber gerne, meine Liebe. Lass mich nur kurz die Tageskarte lesen…
Aktuell gibt es den leckeren Auflauf mit Kartoffeln, dazu Gemüse.
Wenn du magst, können wir uns eine Portion teilen.“
Frida nickte.
Und so aßen sie zu zweit ihr Lieblingsgericht.
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Tag für Tag traf Frida Maximilian, welcher sie bei all ihren Vorhaben
begleitete und unterstützte. Das Fräulein ließ ihn Kutschen heraussuchen,
die Tageskarte erkunden, ihr beim Wocheneinkauf helfen oder die Zeitung
vorlesen.
Doch eines Tages kam Maximilian nicht zu dem üblichen Treffpunkt, denn
er war krank und hatte hohes Fieber. Also ging Frida allein los, um all ihre
Besorgungen zu erledigen. Aber sie wusste nicht, welche Kutsche sie
nehmen sollte, was das Tagesgericht war oder welche Neuigkeiten die
Zeitung kundtat. Sie fühlte sich damit sehr unwohl.
„Was ist denn nur los mit mir? Ist das die Sehnsucht nach meinem Freund
oder stimmt etwas nicht mit mir? Bin ich vielleicht auch krank?“, fragte
sich Frida. Traurig und gedankenverloren ging sie in den Wald.
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Dort befand sich ein Teich, an dessen Ufer sie sich niederließ. Frida sah
tief in den Teich hinein. Als sie sich im Wasser gespiegelt erblickte,
fragte sie erneut:
„Was ist denn nur los mit dir? Kannst du dir das erklären?“, bitterliches
Schluchzen entfloh ihren roten Lippen.
Plötzlich ertönte eine alte, weise Stimme, die sie bat, doch mit dem
Weinen aufzuhören.
„Junge Dame…“, sagte jene Stimme zu dem Fräulein, welches ihren
eigenen Augen nicht traute und diese deshalb unbewusst rieb.
Am anderen Ende des Parks saß ein kleiner Rabe, welcher kurzerhand
über den Teich flog, sich auf die am Wasserrand stehende Bank setzte und
besorgt in Fridas verweintes Gesicht schaute.
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Er war kein gewöhnlicher Rabe. Er hatte schneeweiße Flügel, dafür aber
einen kohlschwarzen Schnabel sowie silber-glitzernde Augen. Er stellte
sich als Jakob vor. „Junge Dame, warum bist du so bedrückt?“, fragte er.
Frida kam das alles ziemlich merkwürdig vor, aber aus unerklärlichen
Gründen kam jenes Bedürfnis in ihr auf, von ihren Gefühlen zu erzählen.
Sie stotterte:
„Es ist mir offen gestanden nicht so richtig bewusst, was mich bedrückt.
Mein..., m..., mein guter, loyaler Freund namens Max…“, sie unterbrach
kurz und schluckte, „...mit ihm verbringe ich unheimlich gerne Zeit.
Er hilft mir jeden Tag. Jetzt ist er krank und musste zu Hause bleiben.”
Sie hielt kurz inne. „Es fühlt sich etwas eigenartig und komisch an.
Ich konnte keine der üblichen Besorgungen erledigen, verstehe aber nicht
warum! Das tue ich doch Tag für Tag.
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Der alte Vogel hörte aufmerksam zu, um herauszufinden, was das
tatsächliche Problem war.
Nach einem langen Gespräch war Frida immer noch bedrückt und
verzweifelt. Was auch immer der Rabe sagte, ihre Stimmung erhellte sich
nicht. Aber plötzlich hatte Jakob eine großartige Idee:
„Mein Kind, hör‘ mir jetzt genau zu. Ich habe hier etwas, was dich
aufmuntern dürfte. Heute Abend findet die berühmte, jährliche Ballnacht
statt. Suche dir dein Lieblingskleid aus, lasse dir deine Haare schön
machen und trage die bequemsten Schuhe, die du hast!
Heute Abend gehen wir aus. Versprich mir aber, dass du alle deine Sorgen
zu Hause lässt. Wir wollen schließlich einen tollen Abend haben. Hier
deine Einladung, darauf findest du alles.“
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Fridas Augen leuchteten auf, sie lächelte, ihre Freude war kaum zu
übersehen. Sie rannte ungeduldig und aufgeregt los. Aus der Ferne rief sie
noch:
„Danke, lieber Jakob, ich werde da sein!” Fest in der Hand hielt sie ihre
erste Balleinladung, um sie bloß nicht zu verlieren.
Im Haus ging das Fräulein sofort an den Schminkspiegel, um ein wenig
Rouge auf die Wangen aufzutragen sowie ihre blonden Haare zu bürsten.
Danach drehte sie Locken ein.
Ganz hinten im Kleiderschrank hing ihr Lieblingskleid, welches nur zu
besonderen Anlässen getragen wurde, mit einem dünnen Leinentuch
bedeckt. Jenes war wohl das schönste und auch wertvollste Kleid, welches
die junge Frau jemals besessen hatte. Vorsichtig und voller Stolz zog sie
es an.
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Der Blick in den Spiegel zeigte, dass sie sich von der traurigen, bedrückten
und stillen Frida zu einer wieder glücklichen und selbstbewussten jungen
Dame verwandelte.
Aus dem Herzen fröhliche Lieder singend und dabei tanzend, als wenn es
kein Morgen gäbe, zog sie anschließend ihre Schuhe an, nahm die
passende Handtasche mit und ging leichten Schrittes sowie strahlenden
Lächelns aus dem Haus.
Doch… Plötzlich wurde Frida wieder ganz traurig, denn sie spürte erneut
die seltsame Verwirrung.
„Aber ich weiß doch gar nicht, wo ich hinmuss!“, Frida starrte ihre
Einladung an, doch sie wurde daraus nicht schlau.
Eine Weile saß sie am Straßenrand und blickte zu Boden.
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Da flog der Rabe mit den schneeweißen Flügeln vorbei – auf dem Weg zur
Ballnacht. Er wurde langsamer, stoppte beinahe und schaute zweimal
runter ins Dörfchen.
„Ist das etwa meine Frida? Die wundervolle, hübsche Frau, die ich zu dem
Ball eingeladen habe?“
Jakob flog tiefer, um besser sehen zu können. Als er deutlich sah, dass dort
tatsächlich Frida weinend am Rande der Straße saß, flog er hinunter und
setzte sich neben sie. „Mein Kind, warum bist du nicht auf dem Weg zu
unserer Verabredung? Ist etwas passiert? Hast du keine Lust mehr? Sag
bitte, was los ist“, sorgte sich der Rabe.
„Lieber Freund, wie soll ich mich auf den Weg machen, wenn mir keiner
sagt, wo ich hinsoll?“
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Auf einmal wurde Jakob so einiges klar.
„Liebchen, ich vermute, die Ballnacht und deine Einladung sind nicht die
Gründe für deine Betrübnis. Doch jetzt genug der Tränen. Wir gehen erst
mal auf den Ball und nachher erkläre ich dir alles in Ruhe. Folge mir!“
Kurz vor Mitternacht, als die großartige Ballnacht endete, begleitete der
Rabe seine Freundin nach Hause. Er versuchte ihr vorsichtig zu erklären,
wieso sie sich in letzter Zeit so verloren fühlte.
„Frida, ich glaube herausgefunden zu haben, wieso deine Besorgungen
neulich unerledigt blieben“, sagte Jakob mit sanfter Stimme. Fridas Augen
öffneten sich weit und schauten den Raben hoffnungsvoll an.
„Es ist wirklich nicht schlimm. Das kannst du schnell verändern! Das
muss ich dir vorab sagen. Und es bleibt unter uns, wenn du das möchtest.“
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„Nun sag‘ schon und rede nicht um den heißen Brei“, Frida konnte keine
einzige Sekunde mehr warten. Sie wollte endlich erfahren, was ihr fehlt
und was sie dagegen tun kann.
„Anfangs konnte ich mir deine Situation gar nicht erklären. Das machte
mir ziemlich zu schaffen. Sehnsucht und klassisches Verliebtsein waren
meine Vermutung. Aaaaaaaber… jetzt bin ich mir ziemlich sicher: Frida,
du bist eine Analphabetin!“, er atmete tief durch.
„Eine was?“, fragte Frida erschrocken, denn ein solches Wort war ihr
unbekannt und hörte sich ziemlich ernst an.
„Analphabeten sind Personen, welche weder das Lesen noch das
Schreiben beherrschen“, erklärte der Rabe.
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Frida senkte beschämt den Kopf, wischte sich dabei verlegen glänzende
Tränen ab, die ihre Wangen hinunter kullerten. Dass sie weder lesen noch
schreiben konnte, war keinem wirklich bewusst, weil es im Alltag immer
verdrängt wurde. Auch, dass es solch einen großen Einfluss auf ihr Leben
hatte, blieb durch die ständige Hilfsbereitschaft der Nachbarn unentdeckt.
Es war ihr unangenehm und sie wusste nicht, wie sie sich nun verhalten
sollte.
„Liebes, das ist wirklich nicht schlimm! Vertraue mir“, sagte Jakob
schnell, als er das bemerkte. „Du bist auch nicht allein auf der Welt.
Die Eulen sprachen neulich darüber, dass in unserem Land über 6,2
Millionen Menschen mit diesen Schwächen leben. Dagegen kann man
jedoch was tun! Also, Kopf hoch. Wenn du magst, kann ich dir helfen“,
bemühte er sich, Frida aufzumuntern.
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„Aber Jakob, wie stellst du dir das nur vor? Wie soll ich das meiner
Familie sagen? Was wird der Max über mich denken? Wie soll ich jetzt
plötzlich lesen und schreiben lernen? Wie fängt man da an?
Es ist doch viel zu spät für mich!“, Frida wirkte noch bedrückter und
ängstlicher als vorher.
„Zufälligerweise ist da jemand, der sich mit dem Thema bestens auskennt.
Sie wird dir sicherlich gerne helfen. Sie kann das gut, glaube mir!“, Jakob
schmunzelte.
Frida lächelte angestrengt zurück und ging unsicher in ihr Haus hinein.
Bevor sie die Tür schloss, verabschiedete sie sich von ihrem Freund und
versprach:
„Ich komme morgen zur Mittagsstunde an den Teich, dort sprechen wir
weiter. Doch jetzt will ich nur noch schlafen.“
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Früh am Morgen des nächsten Tages erwachte Frida aus ihrem kurzen,
aber dennoch erholsamen Schlaf und sprang aufgeregt zum Fenster.
Sie spürte einen herrlichen Sonnenstrahl, der ihr warm und sanft über die
Wangen streichelte. Die Vögel zwitscherten, die Kinder spielten auf der
bunten Wiese, Kutschpferde stampften über die Straße und schnaubten im
Rhythmus des Hufschlags. Augenblicklich hatte Frida gute Laune.
Also sang sie aus dem Fenster heraus: „Guten Morgen, meine liebe Welt!
Heute ist ein schöner Tag - und mein erfolgreicher Neuanfang!“
Sie zog ihre strahlend weißen Spitzengardinen zur Seite und genoss die
frische Sommerluft. Danach ging sie munter in die Küche, brühte sich
einen heißen Kaffee auf und bereitete sich auf den wichtigen Tag vor.
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So ging sie aus dem Haus, blieb kurz an ihrem Zaun stehen und schaute auf
die Straße, hoffnungsvoll, Maximilian endlich wiederzusehen. Im
wuseligen Dorfgeschehen entdeckte sie ihn dann, zwischen Wochenmarkt,
Kutschen und den lachenden Kindern.
Gesund und strahlend stand er genau an der Stelle, wo sie sich für
gewöhnlich jeden Tag trafen. Sie lief frohen Mutes auf ihn zu und umarmte
ihn, glücklich, dass er wieder gesund war.
„Guten Morgen, hübsche Dame, nun stehe ich wieder putzmunter vor dir
und freue mich darauf, dich den ganzen Tag begleiten zu dürfen.“
Er schmunzelte, nahm ihre Hand in die seine und küsste gefühlvoll ihren
Handrücken.
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„Guten Morgen, lieber Max, dein erholter Anblick lässt meine Seele
Purzelbäume schlagen! Ich habe mir große Sorgen gemacht und nun fällt
mir ein Stein vom Herzen! Heute habe ich jedoch etwas überaus Wichtiges
vor. Ich verspreche, dir bald alles zu erzählen, nur jetzt muss ich los.
Gedulde dich bitte ein wenig“, Frida lächelte ihn freundlich an und lief
Richtung Stadtteich fort.
Geradewegs ging sie in den Wald hinein und setzte sich aufgeregt auf die
Bank am Teich. Sie musste nicht lange warten. Schon nach ein paar
Minuten hörte sie einen lauten und raschen Flügelschlag.
Es war eine große, braungoldene Eule.
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„Sei gegrüßt, bezauberndes Wesen. Du musst Frida sein?“, fragte die Eule
höflich und in ihrer Sprache sehr gewandt. Frida nickte ihr zu, schüchtern
und ruhig, was eigentlich nicht ihre Art war.
„Ich erlaube mir zu Beginn, mich genauer vorzustellen. Ich bin Mirella,
psychologische Beraterin. Du kannst Ella zu mir sagen, so nennen mich
alle hier im Wald. Sie sagen, ich sei gut darin, anderen Menschen zu helfen
und sie in jeglichen Lebenssituationen zu unterstützen.
Jakob hat mich über die Strapazen und Vorkommnisse unterrichtet, die du
kürzlich erlebt hast. Ich würde dir gerne mit Rat und Tat sowie mit stets
offenem Ohr zur Seite stehen. Was sagst du, wie klingt das für dich?“
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Die junge Frau traute sich nicht, Ella zu unterbrechen. Außerdem war die
Eule so eloquent, dass Frida ihr unheimlich gerne zuhörte. Sie freute sich
über die Unterstützung der Eule und nahm ihr Angebot mit leicht zittriger
Stimme an: „Ich bin froh, dass du mir helfen möchtest. Mein erster
Eindruck bestätigt sich bereits jetzt. Du bist so schlau und gebildet.“
„Nun ja, das liegt im Auge des Betrachters, aber genug von mir! Möchtest
du mir ein wenig von dir erzählen?“, Ella setzte sich auf die Bank und
hörte konzentriert und aufmerksam zu.
Frida erzählte der Eule über ihren Alltag, wie sie diesen zuvor bewältigte,
über Maximilians Krankheit, die komplizierte Zeit ohne ihn und
schließlich über Jakobs Vermutung.
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Ella schien sie zu verstehen. Nach ein paar beantworteten Rückfragen war
sie sich sicher. Sie erklärte der jungen Dame: „Der Fachbegriff für diese
Unannehmlichkeit ist funktionaler Analphabetismus.“
Frida kannte diesen Begriff nicht, fragte jedoch nicht nach. Sie fühlte sich
von der Eule verstanden und sicher in ihrer Nähe.
Sie vertraute ihr sofort, als sie sie sah und sie wusste, dass Ella ihr helfen
wird, wie es sonst keiner könnte.
„Frida, ich fasse es mal kurz zusammen: Du kannst zwar bestimmte
Buchstaben erkennen, kannst diese aber im Alltag nicht sinnvoll nutzen?
Du hast Schwierigkeiten, eine Speisekarte zu lesen oder die Liste für den
Einkauf zu schreiben?“ Frida nickte zustimmend.
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Die kluge Eule fuhr fort: „Ich möchte dir erklären, was das alles überhaupt
bedeutet. Es gibt verschiedene Arten von Analphabetismus. Manche
können wirklich gar nichts lesen und schreiben und kennen nicht mal
einzelne Buchstaben. Das ist der primäre Analphabetismus.
Wenn zwar die Lesefähigkeiten vorhanden sind, aber Schreibfähigkeiten
fehlen, kann man von einem Semi-Analphabetismus ausgehen.
Es gibt auch sogenannte sekundäre Analphabeten, die haben es schlicht
und einfach vergessen. Gründe dafür können zum Beispiel Unfall oder
Krankheit sein oder auch, wenn das Lesen und Schreiben nicht gefördert
wurde. Was man nicht nutzt, vergisst man.
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Zu der vierten Art von Analphabetismus gehören Menschen, die nur
bestimmte Buchstaben oder Wörter lesen und schreiben können. Sie
versuchen, im Alltag mit diesen durchzukommen, sodass keiner jene
Schwäche bemerkt. Das bezeichnet man als funktionalen
Analphabetismus. Du bist eine funktionale Analphabetin. Aber in deinem
Fall haben wir gute Voraussetzungen - und daran müssen wir anknüpfen.“
Das Fräulein antwortete mit erneutem Kopfnicken, blieb jedoch still und
mied jeglichen Blickkontakt.
„Liebe Frida, ich finde es großartig, dass du mit mir darüber sprichst. Du
kannst dir nicht vorstellen, welch einen großen Schritt du damit machst.
Nun gehen wir es gemeinsam an. Wie möchtest du vorgehen? Was ist dir
wichtig? Hast du vielleicht eine Idee, wer dir noch bei deinem Vorhaben
helfen könnte? “
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Frida fühlte sich von Minute zu Minute wohler, denn die Eule nahm sie
ernst und gab ihr ein gutes Gefühl. Sie antwortete schüchtern: „Ich könnte
mir jemanden vorstellen, aber nein! Er würde es doch nicht verstehen.
Solch ein gebildeter, junger Mann mit mir, die nicht lesen und schreiben
kann?“, Frida wirkte wieder bedrückter.
„Versuche, es anders zu sehen. Wenn er dich mag, wird er dich nehmen,
wie du bist. Vertraue mir! Ich höre heraus, dass ihr beide euch sehr
mögt?”, die Eule wurde neugieriger.
„Ja, direkt auf den ersten Blick. Sein Antlitz wie aus dem Bilderbuch,
seine Garderobe, immer adäquat. Dazu clever, warmherzig und
sympathisch. Aber was will solch ein Mann mit solch einer Frau wie mir?“
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Die Eule überlegte nicht lange und rief nach Jakob, welcher nach kurzer
Zeit hinzugeflogen kam: „Ich glaube, wir brauchen hier einen männlichen
Rat“, begrüßte sie ihn.
„Wie kann ich euch behilflich sein, meine Damen?“
Als er hörte, welche Bedenken das Fräulein hatte, wurde er ernst und
setzte sich auf Ellas starken Flügel, um Frida tief in die Augen schauen
zu können.
„Mein Kind, hör‘ mir zu. Wenn Max dich mag und du ihm wichtig bist,
wird das für ihn kein Problem sein, sondern ein perfekter Anlass, mehr
Zeit mit dir zu verbringen“, Jakob schmunzelte geheimnisvoll, dann flog
er davon.
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Ella erklärte weiter: „Wir haben mehrere Möglichkeiten, wie wir unser
Vorhaben angehen können. Entweder mit der alleinigen Unterstützung von
mir und Jakob oder du entscheidest dich, dein Umfeld miteinzubeziehen.
Mache dir bitte Gedanken, welche Vorteile es für dich haben könnte, Max
um Hilfe zu bitten. Suche nicht nach Gründen, es nicht zu tun.
Konzentriere dich auf das Positive. Abgesehen von der Entscheidung,
werden wir erst einmal alle Buchstaben im Einzelnen neu erlernen
müssen“, sagte Ella ein wenig strenger.
Die Abenddämmerung kam schneller als erwartet. Das Beratungsgespräch
dauerte schon lange, aber die Zeit verging wie im Flug.
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„Nun würde ich vorschlagen, die heutige Sitzung zu beenden“, Ella sprang
von der Bank herunter. „Du machst dir bis morgen Gedanken, welche
Vorgehensweise am besten zu dir passt. Danach legen wir direkt los.
Jetzt ruhe dich erstmal aus. Es waren sehr viele Informationen auf einmal.
Wir sehen uns morgen in aller Frische!“, fügte die Eule hinzu, während sie
davonflog.
Frida blieb noch eine Weile auf der Wiese, neben dem Teich. Sie schaute
hoch zum Himmel, wo sie viele funkelnde Sterne erblickte, die sie in
Gedanken gleiten ließen. Das Fräulein dachte nun über alles nach und
genoss dabei den intensiven Geruch der Tannen.
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Am nächsten Tag, nach Stunden des langen Überlegens, entschied sich
Frida, Maximilian zu treffen, um alles mit ihm zu besprechen. Die beiden
machten einen Spaziergang im Wald. Sie liefen auf den nach Pinien
riechenden Pfaden, nicht weit vom Teich entfernt, und unterhielten sich
über den Tag, an dem der junge Mann krank wurde.
Das Fräulein zählte sämtliche Schwierigkeiten mit ihren täglichen
Erledigungen auf. In der Aufregung äußerte sie sogar ihre erste
Vermutung, es läge am Verliebtsein. Sie berichtete von dem Raben mit
den schneeweißen Flügeln, der klugen Eule sowie ihren Vorschlägen
bezüglich des Lernens. Anfangs schien Max ein wenig überrascht.
Zwischen all den Informationen und Fridas Verzweiflung, brachte er
kaum ein Wort hinaus.
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„Ich habe mich dafür entschieden, endlich mit dem Lernen zu beginnen
und keine Zeit mehr zu verlieren. Es würde mich freuen, wenn du mich auf
diesem Weg begleiten würdest. Vielleicht können wir sogar zusammen
lernen. Ich weiß, das Ganze scheint ziemlich merkwürdig und glaube mir,
es ist mir äußerst unangenehm. Du kannst auch nein sagen! Das würde ich
verstehen. Nun sag schon was!“, Frida wurde immer nervöser, redete
schnell und viel, in der Hoffnung, sie würde Maximilian überreden
können, doch letztlich überließ sie ihm die Entscheidung.
Max nahm ihr verzweifeltes Gesicht in seine Hände und sagte: „Es wäre
mir eine Ehre, dich dabei zu unterstützen.“ Er drückte ihr einen sanften
Kuss auf die Lippen, den Frida erleichtert erwiderte.
Das Paar konnte nur kurz seinen ersten Kuss genießen, denn schon kam
Ella angeflogen und begrüßte sie.
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„Hallo, ihr zwei! Frida, ich sehe, du hast jemanden mitgebracht. Das freut
mich sehr!“ Die Eule verstand augenblicklich, dass Frida sich dafür
entschieden hatte, ihr Umfeld einzubeziehen.
„Ich erkläre Max den Ablauf sowie mögliche Methoden“, sagte sie der
jungen Frau und wandte sich an ihren Begleiter. Er hörte der Anleitung
aufmerksam zu und schrieb nieder, was ihm wichtig erschien. Dabei
wirkte er ebenso konzentriert wie bemüht.
Zum Schluss bekam er noch einen Zettel von der Eule: „Hier noch ein paar
Informationen über mich wie auch über meine Arbeit. Du wirkst etwas
skeptisch oder unsicher“, Ella zwinkerte dem Maximilian zu.
Anschließend erklärte sie sich bereit, jederzeit für ihn und Frida da zu sein.
Die Eule verabschiedete sich von den beiden und verschwand zwischen
den Baumkronen.
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ELLAS BERATUNG
Informations-Broschüre
Praxis an der Teichstr. 13 Am Walde
Was ist eine Beratung? „Beratung strukturiert die
Selbstreflexion, liefert Informationen und
Deutungsvorschläge und kann zur Lösung hinführen -
doch all dies bereitet Entscheidungen lediglich vor,
getroffen werden müssen sie von den Einzelnen selbst." -
Duttweiler.
Das Konzept meiner Beratung? „Habe Mut, dich deines
eigenen Verstandes zu bedienen." - Kant.
Mein Ansatz? Personenkonzentriert -
SIE ENTSCHEIDEN ÜBER IHR LEBEN!
Mögliche Beratungsformate:
INFORMATIVE - Informationsvermittlung steht im
Vordergrund.
SITUATIVE - Eine Situation steht im Vordergrund.
ORIENTIERT AN DER BIOGRAFIE - Ihr Leben im
Allgemeinen steht im Vordergrund.
Terminvereinbarung: Täglich persönlich im Walde zur
Mittagsstunde
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Anliegen und Themen:
Soziales Umfeld
Familie und Partnerschaft
Kinder und Jugend
Berufliche Möglichkeiten
Weiterbildung und Wissenslücken
Kognitive Störungen
Finanzielle Sicherheit
Ernährung und Fitness
Körper und Gesundheit
Süchte und Zwänge
Krisen und schwierige Lebenssituationen
Recht und Ordnung
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Tagtäglich traf Frida Maximilian, um gemeinsam zu lernen. Der junge
Mann ließ sich immer etwas Neues einfallen, weil es ihm wichtig war,
seiner Freundin das Lesen und Schreiben so spannend wie möglich
beizubringen. Drei Wochen später kamen die beiden zum Teich, Ellas
Anleitung folgend. Die Eule bemerkte nach kürzester Zeit, dass das
Fräulein zwar Fortschritte machte, jedoch immer noch bedrückt wirkte.
„Frida, möchtest du mit mir darüber sprechen, wie es dir geht und wie sich
das Lernen auf dich auswirkt?“, fragte sie vorsichtig.
„Ehrlich gesagt, geht mir all das viel zu langsam. Ganze Wochen
vergingen, Tag für Tag lernte ich und kann weder richtig lesen noch
schreiben“, antwortete Frida, ohne zu zögern.
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Die Eule war nicht überrascht, das kam oft vor. So erklärte sie ruhig und
sachlich: „Etwas darfst du nicht vergessen, Liebes: Das, was du jetzt in
solch einer kurzen Zeit schaffen möchtest, lernt man für gewöhnlich über
mehrere Jahre hinweg. Es ist nun mal ein langwieriger Prozess. Bitte gib
dir mehr Zeit. Sei verständnisvoll dir selbst gegenüber.“
Frida ging aufgemuntert nach Hause, denn sie verstand, was Ella ihr sagen
wollte. Sie nahm sich vor, mehr Geduld aufzubringen und nicht mehr so
streng mit sich selbst zu sein.
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Frida setzte den Lernplan der Eule resolut um. Nach ihren Lerneinheiten
erledigte sie die Hausaufgaben, versuchte zu lesen und übte das Schreiben.
Maximilian kam dem Tempo der jungen Dame fast nicht mehr hinterher,
also musste er sich neue Ideen einfallen lassen, um Frida weiter zu fördern.
Immer wieder staunte der junge Mann über ihren großartigen Lernerfolg.
Beim Recherchieren erwischte er sich dabei, neue Wörter und neue
Methoden des Lernens kennenzulernen. Um Frida zu motivieren, erzählte
er ihr davon. So hatten sie Spaß an den gemeinsamen Übungen.
Maximilian erfreute sich an Fridas Fortschritten und sie an den seinen.
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Eines Tages bereitete Maximilian eine große Überraschung für Frida vor.
Er kochte Abendessen, lud Ella und Jakob zum gemeinsamen
Beisammensein ein und besorgte Karten für das im Dorf beliebte Spiel
Molopony, worin es darum ging, möglichst viele Häuser und Bauernhöfe
um den Markplatz herum aufzubauen. Daran nahm Frida nie teil, weil sie
ohne Lesekenntnisse die Straßennamen nicht erkennen konnte. Das wollte
er ändern.
„Oh, hier duftet es aber herrlich!“, freute sich das Fräulein, als sie in
Maximilians Haus kam.
Einen Moment später klopfte jemand an die Tür. Sie machte auf und sah
überrascht ihre tierischen Freunde vor sich.
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„Wir haben frisch gebackenes Brot sowie den originalen Himbeersaft von
Tante Isolde mitgebracht!“, riefen die zwei Vögel im Chor.
Aus dem Speiseraum sagte der Gastgeber schnell: „Und zu Abend gibt‘s
'ne Buchstabensuppe!“
Fridas Augen funkelten: „Ich hätte mir den Abend nicht besser vorstellen
können!“ Sie war überglücklich. Ihr wurde klar, dass sie den Richtigen
gefunden hatte.
Und so aßen sie gemeinsam zu Abend - eine Buchstabensuppe.
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Wörterliste
adäquat - angemessen, entsprechend, passend
Ansatz (in der psychologischen Beratung) - Erkenntnisstrategie, um bei dem
diagnostischen Verfahren aus dem psychologischen Wissen individuelle Zusammenhänge
abzuleiten
Antlitz - Gesicht
Beratung - eine beratende Form des Gesprächs
Broschüre - eine Druckschrift von geringem Umfang und zusammengefassten,
aktuellen Inhalt
eloquent - wortreich und ausdrucksvoll
funktionell - mit der normalen bzw. gestörten Funktion zusammenhängend
Formate (in der psychologischen Beratung) - eine bestimmte Form der Beratung,
bestehend aus Verfahren und Methode(n)
kognitiv - das Wahrnehmen, Denken und Erkennen betreffend
Konzept - skizzenhafter, stichwortartiger Entwurf
loyal - treu, respektierend
Methode (in der psychologischen Beratung) - „Werkzeuge“ eines Verfahrens
Pocken - eine hochansteckende Infektionskrankheit durch Viren verursacht
Prozess - Vorgang, bei dem etwas entsteht
recherchieren - erforschen
resolut - entschlossen und energisch, den Willen durchsetzend
sekundär - an zweiter Stelle stehend, nachträglich hinzukommend, nicht ursprünglich
Selbstreflexion - sich selbst ganzheitlich betrachten
skeptisch - kritisch
Verfahren (in der psychologischen Beratung) - Kunst der Beratung
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