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8 BALKAN IN LUZERN<br />

<strong>Zwis<strong>ch</strong>en</strong> <strong>hier</strong> <strong>und</strong> <strong>überall</strong><br />

Bosko Providzalo (30), Künstler <strong>und</strong> Nomade, hat uns mit seinen Fre<strong>und</strong>en aus Ex-Jugoslawien bekannt gema<strong>ch</strong>t.<br />

Wir trafen ni<strong>ch</strong>t das balkanis<strong>ch</strong>e Völkergemis<strong>ch</strong>, sondern lauter Serben. Selbstbewusste Männer <strong>und</strong> Frauen,<br />

gut gebildet, künstleris<strong>ch</strong> tätig, erfolgrei<strong>ch</strong> im Job. «Jugos», so wenig repräsentativ wie andere. Bosko ist ihr junges<br />

Epizentrum. Nimmermüde, dauernd auf A<strong>ch</strong>se. Von Pirmin Bossart, Christine Weber (Text) <strong>und</strong><br />

Dragan Tasic (Bilder <strong>und</strong> Montage)<br />

Sedelstrasse: Serbis<strong>ch</strong>e Weihna<strong>ch</strong>ten. «Chäs Hüttli» <strong>und</strong> «Öises Hüüsli»: In eingezäunten<br />

Parzellen wehen Flaggen aus Grie<strong>ch</strong>enland, Amerika <strong>und</strong> der S<strong>ch</strong>weiz.<br />

Ganz hinten im S<strong>ch</strong>rebergarten steigt ein dünner Rau<strong>ch</strong>faden auf. Eine kleine<br />

Gruppe drängt si<strong>ch</strong> unter das s<strong>ch</strong>ützende Da<strong>ch</strong> des Häus<strong>ch</strong>ens. Ausgangs Friedental,<br />

direkt an der Sedelstrasse. Serbis<strong>ch</strong>e Weihna<strong>ch</strong>ten im Niemandsland.<br />

«I<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>e es, wie es s<strong>ch</strong>on mein Urgrossvater<br />

gema<strong>ch</strong>t hat.» (Bojan Jovanovic)<br />

Eine grosse Zementkiste ist mit glühender Kohle gefüllt. Bojan Jovanovic (37)<br />

dreht den Spiess, das Spanferkel röstet über der Glut. «Andere benutzen einen<br />

Elektromotor. I<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>e es, wie es s<strong>ch</strong>on mein Urgrossvater gema<strong>ch</strong>t hat: In der<br />

Morgenfrühe das Feuer vorbereiten <strong>und</strong> dann st<strong>und</strong>enlang drehen, bis das Ferkel<br />

gar ist. Das ist Tradition.»<br />

Über 100 Ferkel hat ein Metzger aus Littau für diesen Festtag an die Serben der<br />

Umgebung geliefert. Bojan hat das S<strong>ch</strong>wein mit dem Metzger präpariert <strong>und</strong> mit<br />

Salz gewürzt. Die Feuerwehr sei s<strong>ch</strong>on um 7 Uhr morgens vorbeigekommen <strong>und</strong><br />

habe si<strong>ch</strong> über den na<strong>ch</strong>barli<strong>ch</strong>en Fehlalarm gew<strong>und</strong>ert, erzählt Jovanovic. Das<br />

Häus<strong>ch</strong>en hat er selbst gebaut, im Garten pflanzt er Zwiebeln, Erdbeeren <strong>und</strong> Gemüse<br />

an. «I<strong>ch</strong> habe einen guten Job, eine gute Familie, ein gutes Leben. Zwar<br />

rei<strong>ch</strong>t es ni<strong>ch</strong>t zum Golfen, dafür kann i<strong>ch</strong> meine Freizeit <strong>hier</strong> verbringen.» Bojan<br />

Jovanovic hebt das Glas: «Jedem das Seine <strong>und</strong> uns das Beste.» Der Eigenbrand ist<br />

gewürzt. Au<strong>ch</strong> spirituell. Ein Holzkreuz s<strong>ch</strong>wimmt im Slivowiz.<br />

«Die Leute erzählten, dass die S<strong>ch</strong>weiz ein so herziges,<br />

kleines Land sei. Das wollte i<strong>ch</strong> unbedingt einmal<br />

selber sehen.» (Monika Jenni)<br />

Süss rinnt der S<strong>ch</strong>naps dur<strong>ch</strong> die Kehlen. Hergestellt aus wilden Zwets<strong>ch</strong>gen, die<br />

in Serbien beheimatet sind. Monika Jenni, die Mutter von Bojan Jovanovic, hat<br />

daraus einen ho<strong>ch</strong>prozentigen Festtagstee gebraut. Die ehemalige Modeberaterin<br />

lebt seit über 30 Jahren in der S<strong>ch</strong>weiz. «I<strong>ch</strong> fühle mi<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on lange als S<strong>ch</strong>weizerin,<br />

aber an Tagen wie heute besinne i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> gerne auf meine Wurzeln. Das<br />

Spanferkel gehört an Weihna<strong>ch</strong>ten einfa<strong>ch</strong> dazu.»<br />

Für sol<strong>ch</strong>e Traditionen interessiere si<strong>ch</strong> kaum jemand, bedauert Jenni. Stattdessen<br />

sei der Fokus ständig «auf die paar Idioten geri<strong>ch</strong>tet, die mit 200 St<strong>und</strong>enkilometern<br />

über die Autobahn brettern». Die R<strong>und</strong>e ist si<strong>ch</strong> einig: Vor der Flü<strong>ch</strong>tlingswelle<br />

in den Neunzigerjahren sei die Stimmung fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>er gewesen. Wie hat es<br />

Monika Jenni in die S<strong>ch</strong>weiz vers<strong>ch</strong>lagen? «So viele Leute haben von diesem her-<br />

zigen, kleinen Land S<strong>ch</strong>weiz erzählt – das wollte i<strong>ch</strong><br />

mir selber einmal ansehen.» Sie ist geblieben, hat<br />

s<strong>ch</strong>nell Arbeit gef<strong>und</strong>en, si<strong>ch</strong> in die Stadt Luzern<br />

verliebt. Pita-Rezept gegen Rösti-Tipp, so hat sie si<strong>ch</strong><br />

mit S<strong>ch</strong>weizerinnen befre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> Deuts<strong>ch</strong> gelernt.<br />

Heute ist sie mit einem S<strong>ch</strong>weizer verheiratet <strong>und</strong><br />

hält Eigens<strong>ch</strong>aften wie Pünktli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> Verlässli<strong>ch</strong>keit<br />

ho<strong>ch</strong>.<br />

Es zis<strong>ch</strong>t, Saft tropft in die Glut. Jovanovic s<strong>ch</strong>neidet<br />

ein Stück aus dem Fleis<strong>ch</strong>, probiert. Ein grosser Zuber<br />

wird geholt <strong>und</strong> mit Alu ausgekleidet. Das geröstete<br />

Ferkel wird ins Auto geladen, ges<strong>ch</strong>lemmt wird<br />

daheim in Emmenbrücke. Wenn die zwei Kinder am<br />

Mittag aus der S<strong>ch</strong>ule kommen, steht der Weihna<strong>ch</strong>tsbraten<br />

auf dem Tis<strong>ch</strong>. S<strong>ch</strong>ulfrei gibt es für die<br />

serbis<strong>ch</strong>en Weihna<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t.<br />

Bu<strong>ch</strong>rain: Orthodoxe Liturgie. Wir fahren zur Sonntagsmesse.<br />

Serbis<strong>ch</strong>e Musik läuft im Auto. Bosko summt<br />

leise mit. Er verbra<strong>ch</strong>te die halbe Na<strong>ch</strong>t an der Geburtstagsparty<br />

einer Kollegin im Café Sporting. Der<br />

kleine Club beim Flughafen Emmen ist ein beliebter<br />

Treffpunkt für Leute aus dem Balkan. Dort wird es<br />

immer spät. Wir biegen ab na<strong>ch</strong> Bu<strong>ch</strong>rain. In der<br />

alten Pfarrkir<strong>ch</strong>e St. Agatha hat die serbis<strong>ch</strong>e Glaubensgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

seit zwei Jahren Gastre<strong>ch</strong>t. Die<br />

<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>-orthodoxe Kir<strong>ch</strong>gemeinde Luzern ist eine<br />

von sieben in der S<strong>ch</strong>weiz. «20 000 Serben leben in<br />

der Zentrals<strong>ch</strong>weiz, davon besu<strong>ch</strong>en über 3000 regelmässig<br />

die Kir<strong>ch</strong>e», sagt Pfarrer Dragan Stanojevic.<br />

Er wurde vom Bis<strong>ch</strong>of in Mün<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> Luzern berufen.<br />

«Mein Mann liest ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong><br />

die Messe, er ist au<strong>ch</strong> Seelsorger.<br />

Einer, der den Mens<strong>ch</strong>en zuhört<br />

<strong>und</strong> ihnen na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit hilft.»<br />

(Vesna Stanojevic)


Familie Jovanovic feiert am 7. Januar serbis<strong>ch</strong>e Weihna<strong>ch</strong>ten.<br />

Bosko klopft die Jacke glatt, strei<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> über das Bärt<strong>ch</strong>en. Er hat si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ön angezogen.<br />

«Ein biss<strong>ch</strong>en Feierli<strong>ch</strong>keit gehört dazu», sagt er. Besonders religiös ist er<br />

ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> zur Messe geht er selten. «An Feiertagen wird der Gang in die Kir<strong>ch</strong>e zu<br />

einer Modepiste. Da will man gesehen werden <strong>und</strong> einen guten Eindruck ma<strong>ch</strong>en.»<br />

Die Leute s<strong>ch</strong>ieben si<strong>ch</strong> geduldig in einer langen S<strong>ch</strong>lange dur<strong>ch</strong> die Türe. Es ist<br />

der Beginn der Fastenzeit. Wer fastet, reiht si<strong>ch</strong> im Mittelgang ein <strong>und</strong> wartet, bis<br />

er vom Priester persönli<strong>ch</strong> gesegnet wird.<br />

Vorne im S<strong>ch</strong>iff lugen no<strong>ch</strong> ein paar alte, katholis<strong>ch</strong>e Malereien unter den neuen<br />

Bildern hervor, die über die Altäre gehängt wurden. Erst vor kurzem sind die<br />

Ikonen aus Belgrad eingetroffen. Bosko hat geholfen, sie zu befestigen. Im Chor<br />

steht ein doppelstöckiger Holzkasten mit Sand, wo die Leute Kerzen einstecken,<br />

um ihrer Liebsten zu gedenken. Oben für die Lebenden, unten für die Toten. Der<br />

fremde Singsang der Liturgie hallt in der Kir<strong>ch</strong>e. Der Priester s<strong>ch</strong>wingt das<br />

Weihrau<strong>ch</strong>fass, das bei jeder Bewegung klingelt.<br />

Auf der winzigen Empore stehen sieben Frauen um ein Elektropiano <strong>und</strong> singen<br />

die Lieder zur Liturgie. «Das Piano brau<strong>ch</strong>en wir nur zur Orientierung. Die Begleitung<br />

ist immer a cappella, zwei- oder au<strong>ch</strong> dreistimmig», erklärt die Chorleiterin<br />

Maria Eltri<strong>ch</strong>. Sie studiert Sologesang an der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Musik.<br />

Viele Leute bleiben na<strong>ch</strong> der Messe zurück, um mit dem Priester zu spre<strong>ch</strong>en. Dragan<br />

Stanojevic hört zu, gibt Auskunft. «Die Kir<strong>ch</strong>e hat einen grossen Stellenwert,<br />

erst re<strong>ch</strong>t während der Fastenzeit», sagt Vesna Stanojevic, die Frau des Pfarrers,<br />

die im Chor mitsingt. «Mein Mann liest ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> die Messe, er ist au<strong>ch</strong> Seelsorger.<br />

Einer, der den Mens<strong>ch</strong>en zuhört <strong>und</strong> ihnen na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit hilft.»<br />

Zug: 30 000 CDs. Unterwegs na<strong>ch</strong> Zug. Bosko trommelt aufs Steuerrad <strong>und</strong> erzählt.<br />

Er ist ein ausgezei<strong>ch</strong>neter Gesprä<strong>ch</strong>spartner. Er weiss Bes<strong>ch</strong>eid, kennt extrem viele<br />

Leute, hat Humor. Mit ruhiger Stimme besänftigt er das Ruhelose, das ihn dauernd<br />

antreibt. Gerade jetzt plagt ihn wieder der Gr<strong>und</strong>satzents<strong>ch</strong>eid: Soll er die<br />

neuen Handwerker-Aufträge annehmen <strong>und</strong> die nä<strong>ch</strong>sten paar Monate mit Malerarbeiten<br />

in Neubauten verbringen? Oder müsste er ni<strong>ch</strong>t do<strong>ch</strong> endli<strong>ch</strong> ganz auf<br />

die Kunst setzen? Wir klingeln bei Nenad Kostic, dem Musikfreak. Dragan Tasic,<br />

der Fotograf, sitzt s<strong>ch</strong>on in der Stube. Wir s<strong>ch</strong>lürfen starken Kaffee aus kleinen<br />

Täss<strong>ch</strong>en.<br />

Bojan Jovanovic.<br />

BALKAN IN LUZERN<br />

9


10<br />

BALKAN IN LUZERN<br />

«I<strong>ch</strong> stamme aus der Beatles-, Stones- <strong>und</strong> Kinks-<br />

Generation», sagt der Jurist <strong>und</strong> Handelsfa<strong>ch</strong>mann<br />

Nenad Kostic. Als Jugendli<strong>ch</strong>er im sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Jugoslawien der Se<strong>ch</strong>zigerjahre war er der «King»,<br />

wenn er wieder eine Rock-Platte aus dem Westen<br />

auftreiben konnte. Die Passion ist geblieben. 30 000<br />

CDs sind in der Wohnung verstaut, Rock, Blues <strong>und</strong><br />

Jazz. Musik im Auto, Musik am Arbeitsplatz, Musik<br />

bei den wö<strong>ch</strong>entli<strong>ch</strong>en Jagdtagen dur<strong>ch</strong> die Plattenläden<br />

der S<strong>ch</strong>weiz, Musik <strong>überall</strong>. Kostic s<strong>ch</strong>enkt<br />

Kaffee na<strong>ch</strong>. «Weisst du no<strong>ch</strong>, in Bellinzona am<br />

Blues...? » Bosko <strong>und</strong> Dragan grinsen.<br />

«Wenn i<strong>ch</strong> in Serbien bin, sehne<br />

i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>weiz. I<strong>ch</strong> habe<br />

zweimal Heimweh.» (Nenad Kostic)<br />

Nenad, Dragan, Bosko <strong>und</strong> Boskos Vater sind ein unverwüstli<strong>ch</strong>es<br />

Quartett. Sie besu<strong>ch</strong>en Musikfestivals<br />

in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz. Auf ihre Konzerttrips freuen<br />

sie si<strong>ch</strong> wie Kinder, wie Männer. Sie wohnen bei<br />

Fre<strong>und</strong>en oder campieren, der Vater ko<strong>ch</strong>t. Dann<br />

zieht es sie vor die Bühne, wo sie st<strong>und</strong>enlang die<br />

Konzerte <strong>und</strong> die Atmosphäre geniessen. Dragan immer<br />

zuvorderst am Bühnenrand, lauert mit der Kamera,<br />

hellwa<strong>ch</strong> <strong>und</strong> unermüdli<strong>ch</strong>. Sein Ar<strong>ch</strong>iv auf<br />

dem Internet ist ein riesiges Foto-Lexikon der populären<br />

Live-Musik in der S<strong>ch</strong>weiz.<br />

Nenad Kostic arbeitete in Brasilien <strong>und</strong> New York,<br />

bevor er vor 25 Jahren in die S<strong>ch</strong>weiz kam <strong>und</strong> in Zug<br />

hängen blieb. Integration war in der S<strong>ch</strong>weiz kein<br />

Problem, weil sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ein Problem war. Wenn<br />

er heute von Landsleuten hört, «die Sa<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>en,<br />

die ni<strong>ch</strong>t in Ordnung sind», tut es ihm weh. Kostic<br />

zuckt mit den A<strong>ch</strong>seln. «Das hat mit dem Niveau der<br />

Familien <strong>und</strong> der sozialen S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t zu tun.» Sein Vater<br />

war Ingenieur, seine Mutter Kinderärztin.<br />

In der orthodoxen Kir<strong>ch</strong>e St. Agatha.<br />

Die Familie gehört zu den Etablierten, sie lebt in einer gepflegten Eigentumswohnung.<br />

Sohn Alexander, der Jura in Fribourg studiert, wisse ni<strong>ch</strong>t immer klar,<br />

was er sei, sagt sein Vater. Ein Serbe, ein S<strong>ch</strong>weizer, ein serbis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>weizer?<br />

Dem Vater ergeht es ni<strong>ch</strong>t anders. «Im Herzen bin i<strong>ch</strong> ein Serbe, aber wenn i<strong>ch</strong> in<br />

Serbien bin, sehne i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>weiz. I<strong>ch</strong> habe zweimal Heimweh.»<br />

Kostic hat einen gut bezahlten Job in einer indis<strong>ch</strong>en Firma, die mit Garnen <strong>und</strong><br />

Fasern handelt. «I<strong>ch</strong> war immer an Arbeitsplätzen, wo Englis<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en wurde.<br />

Deshalb hat es lange mit meinem Deuts<strong>ch</strong> gehapert.» Der Handelsfa<strong>ch</strong>mann<br />

lä<strong>ch</strong>elt. «Das Fernsehen war meine Spra<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule. I<strong>ch</strong> habe Deuts<strong>ch</strong> mit Denver<br />

Clan <strong>und</strong> Dallas gelernt.»<br />

Selbstbildnis <strong>und</strong> Künstler: Bosko Providzalo.


Musikfreak Nenad Kostic in seinem Kosmos.<br />

Hubelmatt: Das Kunstlabyrinth. Ein uns<strong>ch</strong>einbares Garagentor<br />

ist der Eingang zu Boskos Atelier. Dutzende<br />

von Bildern stapeln si<strong>ch</strong> im langen Gang der ehemaligen<br />

Tiefgarage, bevor si<strong>ch</strong> der Raum zum Atelier<br />

weitet. Kunst <strong>und</strong> kreatives Chaos. Sofas. Tis<strong>ch</strong>e<br />

voller Farbdosen. Staffeleien mit fertigen <strong>und</strong> halbfertigen<br />

Gemälden. Gitarren. Kühls<strong>ch</strong>rank. Balkan-<br />

Beats aus den Boxen. Mit dem Beamer projiziert<br />

Bosko Fotografien von Mens<strong>ch</strong>en an die Leinwand,<br />

hält die Konturen fest, um sie dann mit Farbe direkt<br />

ab Tube zu riesigen Köpfen explodieren zu lassen.<br />

Bosko zappt dur<strong>ch</strong> die jüngsten Video-Aufnahmen,<br />

sein visuelles Tagebu<strong>ch</strong>. «Wir sind wie Sammler. Wir<br />

sammeln Emotionen <strong>und</strong> Momente. I<strong>ch</strong> bin mir<br />

bewusst, dass das Leben kurz ist. Deswegen bin i<strong>ch</strong><br />

<strong>überall</strong>.»<br />

Bosko bewegt si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ein Netzwerk von Mens<strong>ch</strong>en,<br />

Ideen <strong>und</strong> Projekten, das ihn pausenlos nährt<br />

<strong>und</strong> aktiviert. «I<strong>ch</strong> bin ein urbaner Nomade. Mir geht<br />

es um Autonomie, unabhängig von Grenzen <strong>und</strong> Angehörigkeiten.»<br />

1991 kam er als 13-Jähriger mit der<br />

ganzen Familie in die S<strong>ch</strong>weiz: Serben aus Süd-Bosnien,<br />

von Trebinje na<strong>ch</strong> Rothenburg. «I<strong>ch</strong> wurde wie<br />

eine Pflanze herausgerissen, i<strong>ch</strong> hatte eine Identitätskrise.»<br />

Er ging <strong>und</strong> kam, begann zu malen, blieb<br />

Autodidakt. Während der Bombardierung von Serbien<br />

ma<strong>ch</strong>te er Militärdienst in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina.<br />

Dort fühlte er si<strong>ch</strong> genauso daneben wie<br />

<strong>hier</strong>. Es gibt keine dunklen Flecken, sagt er.<br />

BALKAN IN LUZERN 11<br />

«Spectrum» von Billy Cobham wurde an jenem Fest gespielt, wo er Angelina, eine<br />

Serbin, kennenlernte <strong>und</strong> sofort wusste: Das ist meine Traumfrau. Se<strong>ch</strong>s Monate<br />

später heirateten sie. Na<strong>ch</strong> anderthalb Jahren Papierkrieg konnte sie in die<br />

S<strong>ch</strong>weiz einreisen. Heute hat sie einen guten Job in der Verwaltung <strong>und</strong> studiert<br />

Jura. Bosko setzt auf die Kunst, do<strong>ch</strong> seinen Lebensunterhalt verdient er mit<br />

seinem Malerges<strong>ch</strong>äft. Man<strong>ch</strong>mal ist er wo<strong>ch</strong>enlang auf Baustellen, bis er eines<br />

Na<strong>ch</strong>ts wieder in seinem Atelier vers<strong>ch</strong>windet <strong>und</strong> drei Tage ni<strong>ch</strong>t mehr auftau<strong>ch</strong>t.<br />

Dann malt er, hört Musik, denkt na<strong>ch</strong>. «I<strong>ch</strong> habe Angst vor einem 08.15-Leben, vor<br />

Routine. I<strong>ch</strong> will kein S<strong>ch</strong>ema-Leben.» Der Nomade kämpft mit der Gewöhnli<strong>ch</strong>keit.<br />

«I<strong>ch</strong> will kein grosser Fros<strong>ch</strong> im kleinen Tei<strong>ch</strong> sein –<br />

i<strong>ch</strong> bin lieber ein kleiner Fros<strong>ch</strong> im grossen Tei<strong>ch</strong>.»<br />

(Bosko Providzalo)<br />

Bosko hütet si<strong>ch</strong> vor einem Leben mit trägen Me<strong>ch</strong>anismen. Er will unabhängig<br />

sein, si<strong>ch</strong> weder von Politik no<strong>ch</strong> von Ideologien vereinnahmen lassen. Die Kunst<br />

ist der Freiraum, den er träumt. Bisweilen wa<strong>ch</strong>sen die Dimensionen s<strong>ch</strong>räg na<strong>ch</strong><br />

oben. Mit seinem Manager hat er ein gigantis<strong>ch</strong>es Projekt ausgeheckt. Es ist auf 42<br />

Jahre angelegt: Jedes Jahr zieht ein Künstler ein Jahr lang jede Wo<strong>ch</strong>e in ein<br />

anderes Land r<strong>und</strong> um die Welt, nimmt auf, verarbeitet, hinterlässt eine Spur, zieht<br />

weiter. Bosko will der Erste sein. Ob es klappt, weiss er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. «Aber wenn es<br />

klappt, dann wird alles anders.» Boskos Bärt<strong>ch</strong>en la<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> wenn man zu ihm aufs<strong>ch</strong>aut,<br />

lange zwei Meter, blickt einem das vertraute Grinsen entgegen.


12<br />

BALKAN IN LUZERN<br />

Nikola Ilic folgte seinem Herzen zu Corina S<strong>ch</strong>wingruber na<strong>ch</strong> Luzern.<br />

Bru<strong>ch</strong>quartier: Fris<strong>ch</strong> verheiratet. In einer Altbauwohnung<br />

im Luzerner Bru<strong>ch</strong>quartier wohnen Corina<br />

S<strong>ch</strong>wingruber <strong>und</strong> Nikola Ilic. Kaffee <strong>und</strong> Slivowiz<br />

stehen auf dem Tis<strong>ch</strong>. Flyers, Zigaretten, Plakate, auf<br />

dem Sofa liegt eine elektris<strong>ch</strong>e Gitarre. Corina, die<br />

Luzernerin, studiert an der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Design<br />

<strong>und</strong> Kunst, Nikola Ilic arbeitet als Bühnente<strong>ch</strong>niker<br />

am Luzerner Theater.<br />

«In der S<strong>ch</strong>weiz kauft ein Künstler<br />

zuerst einmal ein paar Kilo Farbe.<br />

In Serbien versu<strong>ch</strong>t ein Künstler,<br />

aus ni<strong>ch</strong>ts etwas zu ma<strong>ch</strong>en.»<br />

(Corina S<strong>ch</strong>wingruber)<br />

Nikola Ilic kannte in seinem urbanen Umfeld niemanden,<br />

der in die S<strong>ch</strong>weiz gegangen wäre. Das waren<br />

vor allem die Leute vom Land, die «Gastarbeiter»,<br />

die ihre Heimat verliessen, um in Germany oder<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz Geld zu verdienen, dicke Autos zu<br />

kaufen <strong>und</strong> beim Besu<strong>ch</strong> in ihrer alten Heimat damit<br />

zu prahlen. «Bastards», sagt er. Ni<strong>ch</strong>t seine Wellenlänge.<br />

Er grinst. «Das waren für uns die Kriminellen.»<br />

Jedes Land hat seine «Jugos».<br />

Corina S<strong>ch</strong>wingruber lebte als Kunststudentin ein<br />

Jahr lang in der serbis<strong>ch</strong>en Hauptstadt. Dort lernte<br />

sie Nikola Ilic kennen. Sie ärgert si<strong>ch</strong>: «Serbien wird<br />

behandelt wie ein Drittweltland, dabei liegt es mitten<br />

in Europa.» Bis Nikola sie erstmals in Luzern besu<strong>ch</strong>en<br />

konnte, musste ein langwieriger Hindernislauf<br />

bewältigt werden. Also haben die beiden im Dezember<br />

2006 geheiratet. Das war einfa<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> erst no<strong>ch</strong><br />

günstiger als die ganze Bürokratie.<br />

Ilic hatte in Belgrad für eine Kommunikationsfirma<br />

<strong>und</strong> in einem akademis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>laden gearbeitet. Er<br />

ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> für die S<strong>ch</strong>weiz. «Überlege es dir gut»,<br />

sagten seine Angehörigen. Eine andere Welt. Andere Mentalitäten. «Werde kein<br />

Gastarbeiter», witzelten die Fre<strong>und</strong>e. Nikola Ilic hat si<strong>ch</strong> gut eingelebt, ganz angekommen<br />

ist er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. «I<strong>ch</strong> bin meinem Herzen gefolgt, aber ein Teil davon lebt<br />

immer no<strong>ch</strong> dort.» Seine besten Fre<strong>und</strong>e hat er in Belgrad zurückgelassen. «Es sind<br />

Fre<strong>und</strong>e für das Leben. Leute, für die i<strong>ch</strong> sterben würde.»<br />

Nikola Ilic fotografiert, filmt, ma<strong>ch</strong>t Musik. Sein Herz s<strong>ch</strong>lägt für die Subkultur,<br />

den Undergro<strong>und</strong>. Die Hardcore-Szene, zu der er si<strong>ch</strong> in Belgrad zählte, war die<br />

Gegenthese zur omnipräsenten «Diesel-Kultur», wie sie das Jugoslawien der<br />

Neunzigerjahre dominierte: Lederjacken, Nike-S<strong>ch</strong>uhe, Discos, Turbo-Folk, kurzum:<br />

das klassis<strong>ch</strong>e Klis<strong>ch</strong>eebild, aus dem si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weizer ihre «Jugos»<br />

zimmern.<br />

Er habe si<strong>ch</strong> nie mit diesen Leuten identifiziert, sagt Nikola Ilic. «Hier muss i<strong>ch</strong><br />

realisieren, dass sie ein hässli<strong>ch</strong>es Bild unseres Landes vermitteln, ein fals<strong>ch</strong>es.»<br />

Dragan erhebt si<strong>ch</strong> aus dem Sofa: «Die Mentalität dieser Leute ist au<strong>ch</strong> ein Resultat<br />

der Herrs<strong>ch</strong>aft von Milosevic, wel<strong>ch</strong>e die Kultur Jugoslawiens kaputt<br />

gema<strong>ch</strong>t hat.»<br />

In Luzern kam Nikola Ilic s<strong>ch</strong>nell mit der hiesigen Subkultur in Berührung. Sedel.<br />

Metzgerhalle. Boa. Er fotografiert <strong>und</strong> filmt Konzerte u.a. von Failed Tea<strong>ch</strong>ers <strong>und</strong><br />

Mothers Pride. Im Sedel übt er mit einem Rock-Trio. In Belgrad hattest du viel<br />

Zeit, aber kaum Mögli<strong>ch</strong>keiten, etwas umzusetzen, weil es <strong>überall</strong> an Equipment<br />

fehlte.» Hier wird er vom Gegenteil eingeholt: Die Mittel sind vorhanden. Aber<br />

i<strong>ch</strong> finde kaum die Zeit, um meine vielen Ideen zu realisieren.»<br />

Luzerner Theater: Der Opernsänger. Es war an einem Fest von Nikola Ilic, wo ein neuer<br />

Landsmann auftau<strong>ch</strong>te. Boris Petronje, Sänger am Luzerner Theater. Bis ihn<br />

das Engagement in die S<strong>ch</strong>weiz rief, hatte er si<strong>ch</strong> keine Sek<strong>und</strong>e überlegt, was<br />

die S<strong>ch</strong>weizer über die Serben denken. «Jugos», das war für ihn immer eine Automarke.<br />

Er merkte s<strong>ch</strong>nell, dass die S<strong>ch</strong>weizerinnen <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>weizer etwas ganz<br />

anderes darunter verstehen. «Dieses s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Image hat mi<strong>ch</strong> extrem überras<strong>ch</strong>t.<br />

Natürli<strong>ch</strong> ist niemand ein Blüm<strong>ch</strong>en, aber was man si<strong>ch</strong> <strong>hier</strong> über die Serben<br />

erzählt, hat s<strong>ch</strong>on viel mit Vorurteilen zu tun.»<br />

Boris Petronje lehnt si<strong>ch</strong> im Stuhl zurück <strong>und</strong> erzählt von seiner Wohnungssu<strong>ch</strong>e:<br />

dieser Name! Die slawis<strong>ch</strong>e Stimme mit dem dunklen Tonfall! Bei Wagner-Opern<br />

äusserst beliebt – do<strong>ch</strong> für re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>affene Vermieter halt do<strong>ch</strong> eher zwiespältig.<br />

«Meistens bin i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on am Telefon abgeblitzt. I<strong>ch</strong> habe mehrere Monate benötigt,<br />

bis es klappte.» Es war Dragan Tasic, der ihm s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> eine Wohnung vermitteln<br />

konnte.


«Wer in einem fremden Land ist,<br />

identifiziert si<strong>ch</strong> wohl stärker mit<br />

seiner Heimat.» (Boris Petronje)<br />

Petronje singt seit vier Jahren als Bass im Luzerner<br />

Ensemble. Ort <strong>und</strong> Land sind für ihn Nebensa<strong>ch</strong>e.<br />

«Die Theaterwelt ist <strong>überall</strong> ähnli<strong>ch</strong>, wer <strong>hier</strong> wel<strong>ch</strong>e<br />

Nationalität hat, ist nie ein Thema. Au<strong>ch</strong> in Luzern<br />

kommen meine Kollegen von <strong>überall</strong> her.» Anders erlebt<br />

er das Publikum, das si<strong>ch</strong> in Luzern kaum mit<br />

dem bunten Volk der Künstlerinnen <strong>und</strong> Sänger<br />

mis<strong>ch</strong>t. «Hier geht man am Abend in die Oper <strong>und</strong><br />

dann wieder na<strong>ch</strong> Hause. An der Nationaloper in<br />

Belgrad mis<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> die Truppe na<strong>ch</strong> der Vorstellung<br />

mit Leuten aus dem Publikum <strong>und</strong> zieht in ein Lokal.<br />

Oft wird ein grosses Fest daraus.»<br />

Das Visa-Prozedere in der S<strong>ch</strong>weiz erlebt Petronje<br />

als eine riesige S<strong>ch</strong>ikane: «Europaweit helfen wir<br />

Sänger einander aus. Es gibt nur wenige, die beispielsweise<br />

den Bass-Part aus Verdis Opern intus haben.»<br />

Wird Petronje von einem europäis<strong>ch</strong>en Opernhaus<br />

für eine Vertretung angefragt, beginnt der<br />

Spiessrutenlauf. Dazu gehört, dass er jedes Mal persönli<strong>ch</strong><br />

bei der Bots<strong>ch</strong>aft in Bern vorstellig werden<br />

muss. Petronje nimmt die Na<strong>ch</strong>teile vorläufig in<br />

Kauf. Die Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>und</strong> der Freiraum zum Experimentieren<br />

am Luzerner Theater gefallen ihm. Als<br />

Sänger wird er früher oder später an ein anderes<br />

Haus we<strong>ch</strong>seln, um weitere Erfahrungen zu sammeln,<br />

bis er viellei<strong>ch</strong>t einmal seine Traumrolle singen<br />

wird: Boris Godunow in der Oper von Mussorgsky.<br />

BALKAN IN LUZERN 13<br />

Der Bettelstudent: Boris Petronje in der Rolle des Oberst Ollensdorf.


14<br />

BALKAN IN LUZERN<br />

«Im Moment ist mein Atelier ein Kinderspielzeuglager,<br />

meine Kunst-Ambitionen hängen in der<br />

Wartes<strong>ch</strong>laufe.» (Jasmina Maksimovic)<br />

Jasmina Maksimovic mit den Kindern Iva (6 Mt.) <strong>und</strong> Filip (4).<br />

Kriens: In der Wartes<strong>ch</strong>laufe. Ein ruhiges Quartier in<br />

Kriens. «Jöh! Wie geht es ihrem herzigen Kind?», ruft<br />

eine alte Frau. Die Na<strong>ch</strong>barin von Jasmina Maksimovic<br />

kneift der viereinhalb Monate alten Iva in die<br />

Wange. Jasmina führt uns dur<strong>ch</strong> eine riesige Einstellhalle<br />

in ihr winziges Atelier. Darüber thronen<br />

s<strong>ch</strong>mucke Wohnblocks. Zum Malen kommt sie ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr wirkli<strong>ch</strong>, jetzt, wo au<strong>ch</strong> das zweite Kind da ist.<br />

«Kurz na<strong>ch</strong>dem i<strong>ch</strong> in die S<strong>ch</strong>weiz gekommen bin,<br />

hörte i<strong>ch</strong> von einem serbis<strong>ch</strong>en Künstler. I<strong>ch</strong> kontaktierte<br />

ihn.» So lernte Jasmina Maksimovic Bosko<br />

kennen. Sie ist dankbar für seine Tipps. Dur<strong>ch</strong> ihn erfuhr<br />

sie vom «Seetal-Wettbewerb», für dessen Kunstkatalog<br />

au<strong>ch</strong> eines ihrer Bilder ausgewählt wurde.<br />

Jasmina Maksimovic ma<strong>ch</strong>te einen Aufenthalt in den<br />

USA <strong>und</strong> studierte Modedesign an der Kunstakademie<br />

in Belgrad. Vor fünf Jahren kam sie mit ihrem<br />

Mann Aleksander in die S<strong>ch</strong>weiz. «I<strong>ch</strong> glaubte, <strong>hier</strong><br />

gäbe es berufli<strong>ch</strong> bessere Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>und</strong> war<br />

überras<strong>ch</strong>t, wie s<strong>ch</strong>wierig es ist, in meinem Fa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong><br />

Arbeit zu finden.» Ein Praktikum bei der Designerin<br />

Caro Hill sei interessant gewesen, aber weitere<br />

Optionen hätten si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aufgetan. Au<strong>ch</strong><br />

Aleksander arbeitet ni<strong>ch</strong>t auf seinem gelernten Beruf<br />

als Elektroingenieur. Er ist Ges<strong>ch</strong>äftsführer einer<br />

serbis<strong>ch</strong>en Autogarage.<br />

Unterwegs: Immer am Drücker. Auf dem TV-Bilds<strong>ch</strong>irm<br />

im Hintergr<strong>und</strong> flanieren magersü<strong>ch</strong>tige Models über<br />

den Laufsteg, Jasmina Maksimovic serviert kalorienrei<strong>ch</strong>e<br />

Kü<strong>ch</strong>lein mit Vanillefüllung. «Warum bist du<br />

ni<strong>ch</strong>t Bäckerin geworden?», la<strong>ch</strong>t Dragan <strong>und</strong><br />

s<strong>ch</strong>leckt si<strong>ch</strong> die Finger. Au<strong>ch</strong> er hat si<strong>ch</strong> in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz mit vers<strong>ch</strong>iedensten Jobs über Wasser gehalten,<br />

bis er von dem leben konnte, was längst seine Berufung<br />

ist: das Fotografieren. Er hat si<strong>ch</strong> in der internationalen<br />

Szene einen Namen gema<strong>ch</strong>t, seine Bilder<br />

von bekannten Musikern sind begehrt. Die Fotos verkauft<br />

er an Agenturen, Magazine <strong>und</strong> direkt an die<br />

Künstler. «Man muss hart kämpfen, aber i<strong>ch</strong> kann<br />

meine zwei grossen Leidens<strong>ch</strong>aften verbinden: die<br />

Musik <strong>und</strong> das Fotografieren.»<br />

«Intellektuelle <strong>und</strong> Künstler haben<br />

in anderen europäis<strong>ch</strong>en Ländern<br />

viel bessere Konditionen als in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz – darum sind au<strong>ch</strong> so<br />

wenige <strong>hier</strong>.» (Dragan Tasic)<br />

Früher ist Dragan als Musiker mit vers<strong>ch</strong>iedensten<br />

Bands dur<strong>ch</strong> Europa getingelt. Er spielte Saxofon,<br />

M<strong>und</strong>harmonika <strong>und</strong> Akkordeon. «Immer wieder habe<br />

i<strong>ch</strong> den Instrumentenkoffer gepackt <strong>und</strong> bin per<br />

Autostopp <strong>überall</strong>hin getrampt.» Dragan wu<strong>ch</strong>s in<br />

der zentralserbis<strong>ch</strong>en Industriestadt Nish auf, die


Der Fotograf Dragan Tasic.<br />

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BALKAN IN LUZERN 15<br />

Eltern waren gut gebildet. «Damals war der jugoslawis<strong>ch</strong>e Pass ein guter Pass:<br />

Keine Grenze blieb vers<strong>ch</strong>lossen, die Bewegungsfreiheit war optimal für<br />

einen abenteuerlustigen Kerl.»<br />

Mit dem Krieg wurde alles anders. Dragan wollte ni<strong>ch</strong>t mehr in dieses Ex-Jugoslawien<br />

zurück, in dem ni<strong>ch</strong>ts mehr so war, wie er es kannte <strong>und</strong> liebte. 1988 ents<strong>ch</strong>loss<br />

er si<strong>ch</strong>, in der S<strong>ch</strong>weiz zu bleiben. Zuerst Lugano, später Gstaad, bis ihm<br />

die s<strong>ch</strong>önen Berge zu eng wurden. Jetzt hat er si<strong>ch</strong> in Luzern eingeri<strong>ch</strong>tet, arbeitet<br />

in seinem geräumigen Atelier in Rathausen <strong>und</strong> hat seit ein paar Jahren den<br />

S<strong>ch</strong>weizer Pass. Au<strong>ch</strong> Dragans Heimat ist zwis<strong>ch</strong>en den Welten. «I<strong>ch</strong> fühle mi<strong>ch</strong><br />

weder als S<strong>ch</strong>weizer no<strong>ch</strong> als Serbe. I<strong>ch</strong> bin ein Kosmopolit ohne bestimmtes Ziel.<br />

I<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>aue, was die Zukunft bringt, aber i<strong>ch</strong> denke ni<strong>ch</strong>t darüber na<strong>ch</strong>.»<br />

Text: Pirmin Bossart <strong>und</strong> Christine Weber;<br />

Bilder: Dragan Tasic<br />

Lesen Sie weiter zum Thema:<br />

- Interviews mit Naser Callaku (Präsident der islamis<strong>ch</strong>en<br />

Organisationen, Seite 16-17), Nazmi Kurtaj (Caritas) <strong>und</strong><br />

Gjyle Krasniqi, Sozialarbeiterin (18-19) sowie Edina Kurjakovic<br />

(Seiten 16-22).<br />

- Belletristik, Sa<strong>ch</strong>bü<strong>ch</strong>er, Radio- <strong>und</strong> Fernsehtipps (20/24).<br />

- «Kenns<strong>ch</strong> Du Spro<strong>ch</strong>»: Kolumne von Pedro Lenz (24)<br />

- Porträt der Ar<strong>ch</strong>itektin Ivana Calovic (25).<br />

- Kroatis<strong>ch</strong>e JugendtanzgruppeKolovrat (34).<br />

- Offenauss<strong>ch</strong>ank: Weine aus Ex-Jugoslawien (35).<br />

- Beliebte Cevapcici: Restaurant besitzer Kasim <strong>und</strong><br />

Mirsada Sakic (36).<br />

artothek<br />

Ab sofort können Sie bei uns Bilder aus der städtis<strong>ch</strong>en Kunstsammlung ausleihen.<br />

Online-Katalog unter www.bvl.<strong>ch</strong> | Ausleihgebühr: Fr. 20.– pro Halbjahr |<br />

Öffnungszeiten: jeweils von 13.30 bis 18 Uhr, am Samstag bis 16 Uhr

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