Vereinbarkeit von Beruf und Familie - ein Vergleich zwischen ...
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Diplomarbeit<br />
zum Thema<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> –<br />
<strong>ein</strong> <strong>Vergleich</strong> <strong>zwischen</strong> Deutschland <strong>und</strong> Frankreich<br />
<strong>ein</strong>gereicht an der Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialwissenschaftlichen Fakultät<br />
der Universität Rostock<br />
vorgelegt <strong>von</strong>: Katja Köppen<br />
Matrikel-Nr.: 097201080<br />
Diplomstudiengang: Demographie<br />
Bearbeitungszeitraum: 6 Monate<br />
BetreuerIN Erst-GutachterIN: Prof. Dr. Jan M. Hoem<br />
Zweit-GutachterIN:<br />
Lehrstuhl: Lehrstuhl für Demographie<br />
Rostock, 07.07.2003
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Inhaltsverzeichnis…………………………………………………………………..…………1<br />
Tabellen- <strong>und</strong> Abbildungsverzeichnis…………………………………………..…………….3<br />
I. THEORETISCHER TEIL<br />
1. Einleitung…………………………………………………………………….…….………6<br />
2. Theoretischer Rahmen<br />
2.1 Die <strong>Familie</strong> im Wandel – sozioökonomische <strong>und</strong> demografische Veränderungen seit<br />
Mitte der 60er Jahre in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich<br />
2.1.1 Überblick über die demografischen <strong>und</strong> sozioökonomischen Veränderungen<br />
in Europa in den letzten Jahrzehnten…………………………………………... 9<br />
2.1.2 Demografische Veränderungen in Deutschland…..…….……………………….11<br />
2.1.3 Demografische Veränderungen in Frankreich………………….……………….14<br />
2.1.4 Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland…………………..17<br />
2.1.5 Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in Frankreich…………………….19<br />
2.1.6 Zusammenfassung……….………………………………………………………21<br />
2.2 Die These der ökonomischen Theorie der <strong>Familie</strong><br />
2.2.1 Gr<strong>und</strong>annahmen…………………………………………………………………22<br />
2.2.2 Beckers ökonomische Theorie der <strong>Familie</strong>…………………………………….. 24<br />
2.2.3 Kritik an der ökonomischen Theorie der <strong>Familie</strong>……………………………….26<br />
2.3 Die These des Einflusses gesellschaftlicher Rahmenbedingungen<br />
2.3.1 Die drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus – Die Typologie<br />
Esping-Andersens………………………………………………………………. 28<br />
2.3.2 Der Wohlfahrtsstaat aus feministischer Perspektive –<br />
international vergleichende Untersuchungen mit dem Schwerpunkt<br />
Deutschland-Frankreich…………………………………………………….…...32<br />
2.3.3 Familialismus <strong>und</strong> De-Familialisierung – die Antwort Esping-Andersens<br />
auf die feministische Kritik………………………………………………… ..…38<br />
2.4 Diskussion…………………………………………………………………………….....39<br />
3. Institutionelle Rahmenbedingungen<br />
3.1 Kinderbetreuung…………………………………………………………………………44<br />
3.1.1 Deutschland…………………………………………………….……………….44<br />
3.1.2 Frankreich………………………………………………………………………. 47<br />
1
3.2 Regelungen zum Mutterschafts- <strong>und</strong> Elternurlaub………………………………… .......50<br />
3.2.1 Deutschland……………………………………………………………………...51<br />
3.2.2 Frankreich…………………………………………………………………….…54<br />
3.3 Monetäre Unterstützungen der Kindererziehung……………………………………......58<br />
3.3.1 Deutschland……………………………………………………………………...58<br />
3.3.2 Frankreich………………………………………………………………………..59<br />
3.4 Zusammenfassung……………………………………………………………………….60<br />
II. EMPIRISCHER TEIL<br />
4. Vorüberlegungen zur empirischen Analyse<br />
4.1 Die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> – Vorüberlegungen<br />
zur empirischen Analyse………………………………………………………………...65<br />
4.2 Der Zusammmenhang <strong>von</strong> der Bildung der Frau <strong>und</strong> ihrer Fertilität –<br />
<strong>ein</strong> Überblick über die bisherige Forschung………………………………………….….66<br />
4.3 Annahmen über den Zusammenhang <strong>von</strong> Bildung <strong>und</strong> Fertilität<br />
in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich………………………………………………………......69<br />
5. Datensatz <strong>und</strong> Methode<br />
5.1 Datensatz………………………………………………………………………………...71<br />
5.2 Methode………………………………………………………………………………… 75<br />
5.3 Variablen………………………………………………………………………………...76<br />
6. Deskription<br />
6.1 Kinderzahl…………………………………………………………………………….…84<br />
6.2 Übergang zum 1. <strong>und</strong> 2. Kind (Survival)……………………………………………......85<br />
6.3 Bildung <strong>und</strong> Kinderzahl………………………………………………………………....87<br />
7. Ereignisdatenanalysen<br />
7.1 Der Einfluß der unabhängigen Variablen auf den Übergang zum 2. Kind<br />
in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich……………………………………………………….….90<br />
7.2 Sensitivitätsanalyse……………………………………………………………………...98<br />
7.3 Zusammenfassung……………………………………………………………………...102<br />
8. Fazit……………………………………………………………………………………...105<br />
9. Bibliographie…………………………………………………………………………….108<br />
Danksagung……………………………………………………………………………….. 119<br />
Erklärung…………………………………………………………………………………..120<br />
2
Tabellen- <strong>und</strong> Abbildungsverzeichnis<br />
TABELLEN<br />
Seite<br />
Tabelle 1: Erwerbstätigkeit <strong>von</strong> deutschen <strong>und</strong> französischen Paaren mit Kindern<br />
im Jahre 2000 (Prozent der Paare, <strong>von</strong> denen wenigstens <strong>ein</strong> Partner arbeitet)…………….20<br />
Tabelle 2: Überblick über die verschiedenen institutionellen Rahmenbedingungen<br />
in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich……………………………………………………………....61<br />
Tabelle 3a: Anzahl der <strong>ein</strong>- <strong>und</strong> ausgeschlossenen Fälle aus der Analyse.<br />
Deutsche Frauen der Kohorte 1952-72……………………………………………………...74<br />
Tabelle 3b: Anzahl der <strong>ein</strong>- <strong>und</strong> ausgeschlossenen Fälle aus der Analyse.<br />
Französische Frauen der Kohorte 1944-73……………………………………………….....74<br />
Tabelle 4: Verteilung der Befragten auf die verschiedenen Ausprägungen der<br />
zeitunabhängigen Variablen. Absolute <strong>und</strong> prozentuale Anzahl der Befragten………….....77<br />
Tabelle 5: Verteilung der Risikozeit auf die verschiedenen Ausprägungen der<br />
zeitabhängigen Variablen. Absolute <strong>und</strong> prozentuale Anzahl der Personenmonate………...79<br />
Tabelle 6: Ausgewählte familienpolitische Maßnahmen in Deutschland <strong>und</strong><br />
Frankreich…………………………………………………………………………….......….80<br />
Tabelle 7: Zweitgeburtsrisiko für deutsche Frauen, Kohorte 1952-72, n=1.293……............91<br />
Tabelle 8: Zweitgeburtsrisiko für französische Frauen, Kohorte 1944-73, n=2.063……......92<br />
Tabelle 9a: Der Übergang zum zweiten Kind für deutsche Frauen (n=1.293):<br />
Interaktion <strong>zwischen</strong> höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> Alter bei der<br />
ersten Geburt (Kontrolliert für Bildung des Partners, Erwerbsstatus, <strong>Familie</strong>nstand,<br />
Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)………………………………………………….......93<br />
Tabelle 9b: Der Übergang zum zweiten Kind für französische Frauen (n=2.063):<br />
Interaktion <strong>zwischen</strong> höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> Alter bei der<br />
ersten Geburt (Kontrolliert für Bildung des Partners, Erwerbsstatus, <strong>Familie</strong>nstand,<br />
Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)………………………………………………...........93<br />
Tabelle 10a: Der Übergang zum zweiten Kind für deutsche Frauen (n=1.293):<br />
Interaktion <strong>zwischen</strong> höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> höchstem<br />
Bildungsabschluss des Partners (Kontrolliert für Alter bei der ersten Geburt,<br />
Erwerbsstatus, <strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)………………….. ...94<br />
Tabelle 10b: Der Übergang zum zweiten Kind für französische Frauen (n=2.063):<br />
Interaktion <strong>zwischen</strong> höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> höchstem<br />
3
Bildungsabschluss des Partners (Kontrolliert für Alter bei der ersten Geburt,<br />
Erwerbsstatus, <strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)………………….. ...94<br />
Tabelle 11a: Erwerbsstatus <strong>und</strong> höchster Bildungsabschluss der Frau in<br />
Deutschland (n=1.293). In Prozent der Personenmonate………………………………… ...96<br />
Tabelle 11b: Erwerbsstatus <strong>und</strong> höchster Bildungsabschluss der Frau in<br />
Frankreich (n=2.063). In Prozent der Personenmonate………………………………….…. 96<br />
Tabelle 12a: Der Übergang zum zweiten Kind für deutsche Frauen (n=1.293):<br />
Interaktion <strong>zwischen</strong> höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> Erwerbsstatus<br />
(Kontrolliert für Alter bei der ersten Geburt, höchster Bildungsabschluss des Partners,<br />
<strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)…………......………………………96<br />
Tabelle 12b: Der Übergang zum zweiten Kind für französische Frauen (n=2.063):<br />
Interaktion <strong>zwischen</strong> höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> Erwerbsstatus<br />
(Kontrolliert für Alter bei der ersten Geburt, höchster Bildungsabschluss des Partners,<br />
<strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)……………………………………..97<br />
Tabelle 13: Zweitgeburtsrisiko für deutsche Frauen, Kohorte 1952-72, n=1.293<br />
(zwei extra Variablen: „Wohnort bis Alter 15“ <strong>und</strong> „Vor der ersten Geburt<br />
gearbeitet: ja oder n<strong>ein</strong>“)…………………………………………………………………...100<br />
ABBILDUNGEN<br />
Abbildung 1: Zusammengefasste Geburtenziffer, deutsche Frauen, 1960-2000…………....12<br />
Abbildung 2: Kohortenfertilitätsrate, deutsche Frauen, Kohorte 1930-1965…………….. ...13<br />
Abbildung 3: Mittleres Alter bei der Geburt des ersten Kindes, deutsche Frauen,<br />
1960-1995……………………………………………………………………….………......14<br />
Abbildung 4: Zusammengefasste Geburtenziffer, französische Frauen, 1960-2000………...15<br />
Abbildung 5: Kohortenfertilitätsrate, französische Frauen, 1930-1965……………………..16<br />
Abbildung 6: Mittleres Alter bei der Geburt des ersten Kindes, französische Frauen,<br />
1960-1995……………………………………………………………………………………17<br />
Abbildung 7: Altersspezifische Erwerbsquoten deutscher Frauen,<br />
1985 <strong>und</strong> 1999……………………………………………………………………………….18<br />
Abbildung 8: Altersspezifische Erwerbsquoten französischer Frauen,<br />
1985 <strong>und</strong> 1999……………………………………………………………………………….19<br />
Abbildung 9: Erwerbsquote <strong>von</strong> deutschen <strong>und</strong> französischen Müttern nach Anzahl<br />
der Kinder (unter 25 Jahren) <strong>und</strong> Alter des jüngsten Kindes (in Prozent), 1997……….….. 21<br />
4
Abbildung 10: Bildungshomogamie in Deutschland. Frauen der Kohorte 1952-72<br />
mit mindestens <strong>ein</strong>em Kind (n=1.293)………………………………………………………82<br />
Abbildung 11: Bildungshomogamie in Frankreich. Frauen der Kohorten 1944-73<br />
mit mindestens <strong>ein</strong>em Kind (n=2.063)………………………………………………………82<br />
Abbildung 12: Absolute Kinderzahl der Frauen in Deutschland (Kohorte 1953-57)<br />
<strong>und</strong> Frankreich (Kohorte 1955-59)………………………………………………………….85<br />
Abbildung 13: Übergang zum ersten Kind (Kaplan-Meier-Survival Kurve).<br />
Deutsche Kohorte 1952-72, Frankreich Kohorte 1944-73…………………………………. 86<br />
Abbildung 14: Übergang zum zweiten Kind (Kaplan-Meier-Survival Kurve).<br />
Deutsche Kohorte 1952-72, Frankreich Kohorte 1944-73…………………………………. 86<br />
Abbildung 15: Frauen mit Hochschulabschluss nach der Kinderzahl.<br />
Deutschland Kohorte 1953-57, Frankreich Kohorte 1955-59……………………………… 87<br />
Abbildung 16: Übergang zum zweiten Kind nach höchstem Bildungsabschluss der<br />
Frau (Kaplan-Meier-Survival-Kurve). Deutschland (Kohorte 1952-72, n=1.293)………….88<br />
Abbildung 17: Übergang zum zweiten Kind nach höchstem Bildungsabschluss der<br />
Frau (Kaplan-Meier-Survival-Kurve). Frankreich (Kohorte 1944-73, n=2.063)…………...88<br />
Abbildung 18: Ausbildung vor oder nach der Geburt des ersten Kindes beendet?<br />
Verteilung der deutschen <strong>und</strong> französischen Frauen (n=1.293 <strong>und</strong> n=2.063)………………99<br />
Abbildung 19: Interaktion <strong>zwischen</strong> Kalenderjahr <strong>und</strong> Erwerbsstatus vor der<br />
Geburt des ersten Kindes. Deutschland (n=1.293) (Kontrolliert für Alter bei der<br />
ersten Geburt, höchster Bildungsabschluss der Frau, höchster Bildungsabschluss<br />
des Partners, <strong>Familie</strong>nstand, Wohnort bis Alter 15)…………………………………….…101<br />
5
1. Einleitung<br />
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die <strong>Beruf</strong>stätigkeit der Frauen in Europa<br />
zugenommen. Zugleich ist in allen europäischen Ländern <strong>ein</strong> Rückgang der Kinderzahlen zu<br />
verzeichnen. Zwischen diesen Tendenzen wird oft <strong>ein</strong> Zusammenhang hergestellt: der<br />
Anstieg weiblicher Erwerbstätigkeit gehe auf Kosten der Fertilität. Andererseits konnte in<br />
den letzten Jahren gezeigt werden, dass <strong>zwischen</strong> den <strong>ein</strong>zelnen Ländern beträchtliche<br />
Unterschiede bestehen. So werden in Ländern mit hohen weiblichen Erwerbsquoten<br />
überdurchschnittlich viele Kinder geboren. Inwieweit besteht also <strong>ein</strong> Zusammenhang?<br />
Die Emanzipation der Frau <strong>und</strong> die damit <strong>ein</strong>hergehende Veränderung der Rolle der Frau in<br />
der Gesellschaft forcierte die weibliche Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> führte dazu, dass immer<br />
weniger Frauen ihre Zukunft als „Mutter <strong>und</strong> Hausfrau“ sahen. Gleichberechtigung<br />
<strong>zwischen</strong> Mann <strong>und</strong> Frau sowie ihre Gleichstellung im öffentlichen <strong>und</strong> privaten Leben wird<br />
heutzutage in fast allen Staaten als Gr<strong>und</strong>prinzip des <strong>zwischen</strong>menschlichen<br />
Zusammenlebens anerkannt. Einige Länder fördern <strong>und</strong> unterstützen dies mit <strong>ein</strong>er Vielzahl<br />
<strong>von</strong> Gesetzen <strong>und</strong> Maßnahmen, die darauf zielen, die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> der <strong>Beruf</strong>stätigkeit <strong>und</strong><br />
des <strong>Familie</strong>nlebens zu erleichtern. Diese können die individuelle Autonomie der Frau<br />
stärken <strong>und</strong> ihr helfen, <strong>Beruf</strong>s- <strong>und</strong> Kinderwunsch umzusetzen. Warum jedoch beziehen sich<br />
diese Maßnahmen vor allem auf die Frau? Die Tatsache, dass die Frau <strong>und</strong> nicht der Mann<br />
im Blickpunkt dieser Bemühungen steht, hat den Hintergr<strong>und</strong>, dass noch immer der Großteil<br />
aller Haushaltsaufgaben <strong>von</strong> ihr entrichtet wird. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung<br />
erschwert es Frauen <strong>und</strong> vor allem Müttern, <strong>ein</strong>em <strong>Beruf</strong> nachzugehen. Die Erziehung <strong>und</strong><br />
Betreuung <strong>von</strong> Kindern wirkt sich unter den Bedingungen <strong>ein</strong>er starken<br />
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung besonders negativ auf ihre Erwerbschancen aus. In<br />
vielen Ländern stehen Frauen somit vor der schwierigen Entscheidung: <strong>Beruf</strong> oder <strong>Familie</strong>?<br />
Nicht wenige entscheiden sich für den <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> bleiben kinderlos. Diese Benachteiligung<br />
<strong>von</strong> Frauen in der Frage nach der <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> erfordert es, ihre<br />
Rolle <strong>und</strong> die sie be<strong>ein</strong>flussenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen genauer zu<br />
untersuchen. Es gibt nämlich beträchtliche Unterschiede <strong>zwischen</strong> den <strong>ein</strong>zelnen<br />
europäischen Staaten. Dort, wo spezielle gesetzliche <strong>und</strong> institutionelle Regelungen die<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> unterstützen, steigt die Erwerbstätigkeit der Frauen <strong>und</strong> auch die Kinderzahlen<br />
bleiben auf <strong>ein</strong>em relativ hohen Niveau (zum Beispiel in den skandinavischen Länder). In<br />
den Staaten, die nicht auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagiert haben <strong>und</strong> die Frau<br />
noch immer als Hausfrau betrachten, bleibt <strong>ein</strong> Großteil der Frauen kinderlos oder<br />
beschränkt die Kinderzahl, um den extremen Bedingungen, die <strong>ein</strong>e Doppelbelastung durch<br />
6
Erwerbsarbeit <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> mit sich bringen würde, zu entgehen (zum Beispiel in den<br />
südeuropäischen Ländern).<br />
In den nächsten Kapiteln sollen die beiden Nachbarländer Deutschland <strong>und</strong> Frankreich<br />
betrachtet werden. Beide Länder werden in der Literatur zu den konservativen Staaten<br />
gezählt (Esping-Andersen 1990) <strong>und</strong> unterscheiden sich doch hinsichtlich vieler Faktoren.<br />
Da ist zum <strong>ein</strong>en die hohe Erwerbstätigkeit französischer Mütter im <strong>Vergleich</strong> zu den relativ<br />
niedrigen Erwerbsquoten deutscher Mütter. Selbst Kinder unter drei Jahren sch<strong>ein</strong>en k<strong>ein</strong><br />
Gr<strong>und</strong> zu s<strong>ein</strong>, die Erwerbstätigkeit zu unterbrechen. Zum anderen hat Frankreich im<br />
Gegensatz zu Deutschland <strong>ein</strong> höheres Geburtenniveau: im Durchschnitt bringt <strong>ein</strong>e Frau in<br />
Frankreich 1,9 Kinder zur Welt, in Deutschland liegt dieser Wert bei nur 1,4 Kindern pro<br />
Frau.<br />
Das Ziel dieser Arbeit soll es s<strong>ein</strong>, mögliche Gründe für diese Unterschiede zu finden <strong>und</strong><br />
theoretisch zu erläutern. Es soll untersucht werden, inwiefern gesellschaftliche <strong>und</strong><br />
institutionelle Rahmenbedingungen zu den Gegensätzen beitragen. Erlauben es die<br />
französischen Verhältnisse eher, <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> mit<strong>ein</strong>ander zu ver<strong>ein</strong>baren? Lassen sich<br />
empirische Bef<strong>und</strong>e dafür nachweisen?<br />
Die Arbeit ist folgendermaßen gegliedert:<br />
Zuerst soll auf demografische <strong>und</strong> sozioökonomische Veränderungen in Frankreich <strong>und</strong><br />
Deutschland in den letzten Jahrzehnten <strong>ein</strong>gegangen werden. Unterschiede <strong>und</strong><br />
Gem<strong>ein</strong>samkeiten werden herausgestellt. Anschließend folgt die theoretische Einordnung:<br />
Sind Erwerbsarbeit <strong>und</strong> die Betreuung <strong>und</strong> Erziehung <strong>von</strong> Kindern wirklich unver<strong>ein</strong>bar?<br />
Stimmt die Aussage der ökonomischen Theorie der <strong>Familie</strong>, dass die Bildung der Frau <strong>und</strong><br />
die Anzahl der Kinder im Haushalt negativ mit<strong>ein</strong>ander korreliert sind? Können moderne<br />
Wohlfahrtsstaaten diesen Konflikt abmildern oder sogar umkehren? Das Hauptaugenmerk<br />
soll dabei auf dem <strong>Vergleich</strong> Deutschland-Frankreich liegen. Dies setzt sich auch in Kapitel<br />
drei fort, in dem die institutionellen Rahmenbedingungen mit<strong>ein</strong>ander verglichen <strong>und</strong> unter<br />
dem Aspekt der <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong>sproblematik vergleichend diskutiert werden.<br />
Im empirischen Teil der Arbeit, Kapitel vier bis sieben, sollen Hypothesen bezüglich des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> Bildung <strong>und</strong> Fertilität aufgestellt werden – welchen Einfluss hat die<br />
Bildung der Frau auf den Übergang zum zweiten Kind?<br />
In Kapitel vier wird diskutiert, in welchem Ausmaß höher gebildete Frauen ihre<br />
Einkommenschancen realisieren können, ohne auf Kinder verzichten zu müssen. In<br />
7
welchem Land ist dies eher der Fall – in Deutschland oder Frankreich? Kapitel fünf<br />
b<strong>ein</strong>haltet die Vorstellung des Datensatzes <strong>und</strong> der Methode, die für die empirische Analyse<br />
benutzt wurden. Anschließend folgen mit Kapitel sechs <strong>und</strong> sieben die Auswertung des<br />
Datensatzes <strong>und</strong> die Ergebnisse der Untersuchung.<br />
Gegenstand der Diplomarbeit ist der Ländervergleich Deutschland-Frankreich. Im weiteren<br />
Verlauf dieser Arbeit wird das Wort „Deutschland“ immer dann benutzt, wenn sich auf die<br />
alten B<strong>und</strong>esländer bezogen wird. Ostdeutschland stellt geschichtlich <strong>und</strong> gesellschaftlich<br />
<strong>ein</strong>en vollkommen anderen Untersuchungshintergr<strong>und</strong> dar <strong>und</strong> soll deshalb aus der Analyse<br />
ausgeschlossen werden.<br />
8
I. THEORETISCHER TEIL<br />
2. Theoretischer Rahmen<br />
2. 1 Die <strong>Familie</strong> im Wandel – sozioökonomische <strong>und</strong> demografische Veränderungen<br />
seit Mitte der 60er Jahre in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich<br />
2.1.1 Überblick über die demografischen <strong>und</strong> sozioökonomischen Veränderungen in<br />
Europa in den letzten Jahrzehnten<br />
In den letzten Jahrzehnten haben die meisten Länder Europas <strong>ein</strong>en starken Rückgang<br />
der Kinderzahlen erfahren. Gleichzeitig stieg die Erwerbsbeteiligung der Frauen in<br />
allen Ländern an. Dieser Trend ist über alle konjunkturellen <strong>und</strong> strukturellen Krisen<br />
hinweg stabil <strong>und</strong> hat überall zu <strong>ein</strong>em Anstieg des Frauenanteils unter den<br />
Beschäftigten geführt (vgl. Maier 1997, S. 15).<br />
Bis in den Anfang der 60er Jahre hin<strong>ein</strong> stellte sich die Situation in fast allen<br />
europäischen Ländern noch vollkommen anders dar. Frauen waren <strong>von</strong> qualifizierter<br />
Arbeit weitgehend ausgeschlossen <strong>und</strong> lebten überwiegend die Rolle der Mutter <strong>und</strong><br />
Hausfrau 1 . Die <strong>Familie</strong>ngründung war stark standardisiert: Kinder wurden in <strong>ein</strong>e Ehe<br />
hin<strong>ein</strong> geboren, alternative Lebensformen gab es kaum. Der Zeitraum ab dem Zweiten<br />
Weltkrieg bis Mitte der 60er Jahre war gekennzeichnet <strong>von</strong> hohen Geburtenraten,<br />
hohen Heiratsraten sowie <strong>ein</strong>em niedrigen Alter bei der Geburt <strong>von</strong> Kindern <strong>und</strong> der<br />
Eheschließung.<br />
Seitdem hat sich die Situation jedoch verändert. Vor allem die Lebensläufe der Frauen<br />
wandelten sich. Die Einführung oraler Kontrazeptiva in der ersten Hälfte der 60er<br />
Jahre ermöglichte es Frauen, das <strong>Familie</strong>nleben zu planen <strong>und</strong> ihren individuellen<br />
Kinderwunsch bzw. Nicht-Kinderwunsch zu realisieren. Mit der Kontrolle der<br />
eigenen Fertilität kam es zu weniger ungewollten Kindern. Zum ersten Mal war auch<br />
die enge Bindung <strong>von</strong> Sexualität an Ehe <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> aufgehoben. Für Frauen entstand<br />
durch die Möglichkeit der <strong>Familie</strong>nplanung <strong>ein</strong>e gewisse Planbarkeit der eigenen<br />
1 1961 waren zum Beispiel nur 35 Prozent der Frauen mit Kindern unter 18 Jahren in Deutschland<br />
erwerbstätig, 1971 schon 37 Prozent, 1981 knapp 44 Prozent <strong>und</strong> 1991 über 51 Prozent (vgl.<br />
Statistisches B<strong>und</strong>esamt 1992, S. 302).<br />
9
qualifizierten Ausbildung <strong>und</strong> Erwerbstätigkeit (vgl. Huinink 1989, S. 195). Dies war<br />
mit <strong>ein</strong> Gr<strong>und</strong> für den starken Anstieg des weiblichen Qualifikationsniveaus, der<br />
sogenannten „Bildungsexpansion“ der 60er/70er Jahre. Weiterhin begünstigt wurde<br />
diese Entwicklung durch <strong>ein</strong>e Expansion der öffentlichen <strong>und</strong> privaten<br />
Dienstleistungssektoren sowie durch <strong>ein</strong>e verstärkte ökonomische Notwendigkeit,<br />
Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, da das Potential qualifizierter männlicher<br />
Arbeitskräfte nicht mehr ausreichte. Auch geriet die institutionelle Verankerung der<br />
„traditionellen“ <strong>Familie</strong>, d.h. der Ehemann als All<strong>ein</strong>verdiener, die Ehefrau als<br />
Hausfrau <strong>und</strong> Mutter, im Zuge der Protestbewegungen Ende der 60er/Anfang der 70er<br />
Jahre immer stärker unter Druck. Die Gründung <strong>ein</strong>er <strong>Familie</strong> wurde mehr <strong>und</strong> mehr<br />
zu <strong>ein</strong>em individuellen Entscheidungsprozess, der sich <strong>von</strong> starren Normen <strong>und</strong><br />
standardisierten Lebensverläufen loslöste (vgl. Huinink 1989, S. 194f.).<br />
Parallel zu diesen sozio-strukturellen Veränderungen kam es zu <strong>ein</strong>em<br />
demografischen Wandel, der ebenfalls die meisten Länder der westlichen Welt (also<br />
nicht nur Europa, sondern auch die USA, Japan, Kanada etc.) betraf. Ab Mitte der<br />
60er Jahre endete der sogenannte „Babyboom“ der Nachkriegsgeneration <strong>und</strong> die<br />
allgem<strong>ein</strong>en Geburtenziffern begannen zu sinken. Außerdem wurde das Alter der<br />
ersten <strong>und</strong> somit auch der nachfolgenden Geburten nach hinten verschoben: Frauen<br />
bekamen ihre Kinder später. Die Zeit, die junge Menschen in Ausbildung verbrachten,<br />
nahm stetig zu <strong>und</strong> erst nach Abschluß ihrer Ausbildung begannen die meisten, <strong>ein</strong>e<br />
<strong>Familie</strong> zu gründen; der Zeitpunkt der <strong>Familie</strong>ngründung verlagerte sich also nach<br />
hinten. Dieser „Timing-Effekt“ führte <strong>ein</strong>erseits zu dem geschilderten<br />
Geburtenrückgang, da spätere Geburten oft auch weniger Geburten bedeuten.<br />
Gleichzeitig verringerte sich jedoch auch die Zahl der kinderreichen <strong>Familie</strong>n, das<br />
heisst, es kam zu <strong>ein</strong>em starken Rückgang <strong>von</strong> <strong>Familie</strong>n mit mehr als drei Kindern.<br />
Der Geburtenrückgang wird somit auch auf <strong>ein</strong>en sogenannten „Quantum-Effekt“<br />
zurückgeführt. Zudem stieg auch die Anzahl kinderloser Frauen <strong>und</strong> Paare deutlich<br />
an. Gleichzeitig kam es in den meisten Ländern zu <strong>ein</strong>em Anstieg nichtehelicher<br />
Partnerschaften <strong>und</strong> nichtehelicher Geburten, vor allem in den skandinavischen<br />
Ländern <strong>und</strong> der DDR, aber auch in Frankreich. Nicht nur die Kinderzahlen<br />
veränderten sich, auch die Institution Ehe war Veränderungen unterworfen. Die Zahl<br />
All<strong>ein</strong>erziehender nahm zu (in den meisten Fällen sind dies die Mütter), die<br />
Heiratsraten gingen zurück <strong>und</strong> die Scheidungsraten stiegen an. Auch das Alter bei<br />
der Eheschließung verschob sich nach hinten. Als Gr<strong>und</strong> kann auch hier die längere<br />
10
Zeit in Ausbildung angesehen werden, in der <strong>Familie</strong>ngründungen kaum vorkommen.<br />
Scheidungen wurden gesellschaftlich stärker akzeptiert sowie gesetzlich weniger<br />
erschwert. Heutzutage wird zum Beispiel jede dritte Ehe in Frankreich wieder<br />
geschieden (vgl. Toulemon, Guibert-Lantoine 1998, S. 14). In der Literatur wird<br />
anhand dieser Entwicklungen oftmals <strong>von</strong> <strong>ein</strong>em Zweiten Demografischen Übergang<br />
gesprochen (Lesthaeghe 1992). Angenommen wird, dass es gem<strong>ein</strong>same Faktoren<br />
gibt, die für den Wandel der <strong>Familie</strong> verantwortlich sind <strong>und</strong> dass Länder zu<br />
unterschiedlichen Zeiten <strong>und</strong> in unterschiedlichem Tempo diesen Übergang erfahren.<br />
Dieser Prozess resultiert in den oben genannten Merkmalen der <strong>Familie</strong>nbildung.<br />
Aber nicht in allen Ländern verlaufen die geschilderten Entwicklungen simultan oder<br />
auf dem gleichen Niveau. Auch ist nicht überall <strong>ein</strong> endgültiges Niveau zu erkennen,<br />
auf dem sich Kinderzahl, Heirats- <strong>und</strong> Scheidungsraten sowie die Anzahl<br />
nichtehelicher Paare <strong>und</strong> Kinder <strong>ein</strong>pegeln würde. So gibt es Länder in Europa<br />
(zudem mit <strong>ein</strong>em noch sehr unterschiedlichen Entwicklungsniveau), die besonders<br />
niedrige Geburtenraten haben, zum Beispiel Deutschland, die südeuropäischen sowie<br />
die osteuropäischen Länder. Und es gibt Länder, die <strong>ein</strong>e überdurchschnittlich hohe<br />
Fertilität aufweisen, relativ kontinuierlich über die Zeit hinweg, so zum Beispiel die<br />
skandinavischen Länder, Frankreich <strong>und</strong> England.<br />
Wie stellt sich nun die Situation speziell für Deutschland <strong>und</strong> Frankreich dar? Ein<br />
<strong>Vergleich</strong> der demografischen Kennziffern, bezogen auf das Fertilitätsverhalten, weist<br />
erste Unterschiede auf.<br />
2.1.2 Demografische Veränderungen in Deutschland<br />
In Deutschland stiegen die Ledigen- <strong>und</strong> Kinderlosenquoten ab Mitte der 60er Jahre<br />
bis Ende der 80er Jahre stark an. Die <strong>Familie</strong>ngründung, das heisst die Geburt des<br />
ersten Kindes, wurde bis zum Ende des dritten Lebensjahrzehnts aufgeschoben. Der<br />
Anteil der <strong>Familie</strong>n mit mehr als zwei Kindern ging stark zurück (vgl. Huinink 1995,<br />
S. 216). Heiratsraten sanken, die Anzahl der Scheidungen stieg an <strong>und</strong> der Anteil<br />
nichtehelich zusammenlebender Paare nahm zu (Kaufmann et al. 1997).<br />
Nichteheliche Partnerschaften mit Kindern sind im <strong>Vergleich</strong> zu anderen<br />
europäischen Ländern nicht sehr zahlreich: nur 18 Prozent aller Kinder wurden 1999<br />
11
außerehelich geboren (vgl. Le Goff 2002, S. 2). Obwohl die Zahl nichtehelicher<br />
Lebensgem<strong>ein</strong>schaften in Deutschland zunahm, werden die meisten Kinder demnach<br />
noch immer in <strong>ein</strong>er Ehe geboren. Daher wird für Deutschland <strong>ein</strong>e Polarisierung in<br />
<strong>ein</strong>en <strong>Familie</strong>n-Sektor (mit Kindern) <strong>und</strong> <strong>ein</strong>en Nicht-<strong>Familie</strong>n-Sektor (ohne Kinder)<br />
angenommen (vgl. ebd., S. 29) 2 .<br />
Die Zusammengefasste Geburtenziffer (Total Fertility Rate – TFR 3 ) brach ab ca. 1967<br />
<strong>ein</strong>: <strong>von</strong> 2.5 Kindern pro Frau auf <strong>ein</strong>en Tiefstand <strong>von</strong> 1.28 im Jahr 1985. Seitdem hat<br />
sich die TFR auf <strong>ein</strong>em Niveau <strong>von</strong> ca. 1.4 Kindern pro Frau <strong>ein</strong>gepegelt (Abb. 1).<br />
Die deutsche TFR ist damit <strong>ein</strong>e der niedrigsten weltweit.<br />
Abbildung 1: Zusammengefasste Geburtenziffer, deutsche Frauen, 1960-2000<br />
Bei<br />
2.60<br />
2.40<br />
2.20<br />
2.00<br />
1.80<br />
1.60<br />
1.40<br />
1.20<br />
2.55<br />
1.00<br />
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000<br />
Quelle: Europarat, Demografisches Jahrbuch 2001<br />
Kalenderjahr<br />
Schaut man sich jedoch die Geburtenentwicklung aus Sicht der Kohorten an,<br />
verändert sich das Bild etwas. Die Kohortenfertilität (Completed Fertility Rate –<br />
CFR), genauer die kumulierten Geburtenziffern der Frauen der Kohorten 1930 bis<br />
1964, die ihre reproduktive Phase größtenteils schon beendet haben, ist nicht solch<br />
großen Schwankungen unterworfen wie die Zusammengefasste Geburtenziffer. Die<br />
Geburtenziffern sinken nicht so rapide ab <strong>und</strong> es sind auch k<strong>ein</strong>e starken Auf <strong>und</strong> Ab<br />
Bewegungen zu erkennen. So liegt der Wert der TFR im Kalenderjahr 1980 bei 1.45,<br />
der dazugehörige Wert der Frauen der Kohorte 1940 (angenommen, mit dem Alter 40<br />
endet die reproduktive Phase für die meisten Frauen) liegt jedoch bei 1.97 Kindern<br />
2 Auch Strohmeier (1993) verwandte diese Unterteilung, um den polarisierenden Charakter der<br />
familialen Lebensformen in Deutschland darzustellen.<br />
3 Die TFR gibt die durchschnittliche Zahl der Kinder an, die <strong>ein</strong>e Frau im Laufe ihres Lebens hätte,<br />
wenn die aktuellen Verhältnisse für den gesamten Zeitraum gelten würden.<br />
1.28<br />
1.38<br />
12
pro Frau. Doch auch hier ist der Abwärtstrend <strong>ein</strong>deutig zu erkennen. Bekamen die<br />
Frauen der Kohorte 1930 noch genügend Kinder, um ihre Generation zu ersetzen<br />
(Generationenersatzniveau 4 ), liegt die durchschnittliche Kinderzahl der Frauen, die<br />
1965 geboren wurden, voraussichtlich bei nur noch 1.47 Kindern pro Frau (Abb. 2).<br />
Abbildung 2: Kohortenfertilitätsrate, deutsche Frauen, Kohorte 1930-1965<br />
2.40<br />
2.20<br />
2.00<br />
1.80<br />
1.60<br />
1.40<br />
1.20<br />
2.22<br />
1.00<br />
1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965<br />
Quelle: Europarat, Demografisches Jahrbuch 2001<br />
Geburtskohorte<br />
Man erkennt im <strong>Vergleich</strong> der beiden Diagramme, dass die sinkenden<br />
Geburtenziffern <strong>ein</strong>erseits starken zeitlichen Verschiebungen unterworfen sind:<br />
schieben Frauen ihre Geburten in manchen Kalenderjahren auf <strong>und</strong> bekommen später<br />
im Leben Kinder, sinkt die TFR. Diese Maßzahl wird demnach stark durch die<br />
Veränderung des Alters bei der Geburt ihrer Kinder be<strong>ein</strong>flusst. Ein Blick auf das<br />
durchschnittliche Alter der Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes zeigt deutlich <strong>ein</strong>e<br />
Verschiebung in die oberen Altersstufen. Bekamen deutsche Frauen 1970 ihr erstes<br />
Kind im Durchschnitt mit 23.8 Jahren, ist dieser Wert bis 1995 auf 27.1 Jahre<br />
gestiegen (Abb. 3). Andererseits sanken auch die zusammengefassten Geburtenziffern<br />
der Geburtsjahrgangskohorten. Das bedeutet, dass es nicht nur durch<br />
Altersverschiebungen zu <strong>ein</strong>em Rückgang der Geburten kommt, sondern dass auch<br />
die absolute Zahl der Kinder <strong>ein</strong>er Geburtskohorte sinkt.<br />
4 Das Generationenersatzniveau ist dann erreicht, wenn jede Frau im Durchschnitt genau <strong>ein</strong>e Tochter<br />
zur Welt bringt, die selbst wieder das gebärfähige Alter erreicht. Mit Berücksichtigung der<br />
Sexualproportion, der Sterblichkeit <strong>und</strong> der Fek<strong>und</strong>ität liegt diese Zahl bei ca. 2.1 Kinder pro Frau.<br />
1.47<br />
13
Abbildung 3: Mittleres Alter bei Geburt des ersten Kindes, deutsche Frauen, 1960-1995<br />
27.5<br />
27.1<br />
27<br />
26.5<br />
26<br />
25.5<br />
25<br />
24.5<br />
24<br />
23.5<br />
23<br />
23.8<br />
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995<br />
Kalenderjahr<br />
Quelle: Schätzungen nach Birg et.al <strong>und</strong> Schätzungen nach Kreyenfeld in: Kreyenfeld (2003)<br />
Ein besonderes Merkmal in Deutschland ist außerdem die hohe Kinderlosigkeit.<br />
Blieben Frauen, die 1935 geboren wurden, zu ca. elf Prozent kinderlos, waren es<br />
Frauen der Kohorte 1952 schon zu 20 Prozent. Für Frauen, die 1960 geboren wurden,<br />
wird angenommen, dass 24 Prozent <strong>von</strong> ihnen kinderlos bleiben werden (Kreyenfeld<br />
2003). Auch wenn diese Daten nur Schätzungen sind, da die amtliche Statistik k<strong>ein</strong>e<br />
paritätsspezifischen Ziffern bereitstellt, kann man da<strong>von</strong> ausgehen, dass diese Zahl<br />
sehr nahe an die Realität herankommen wird. Dies wurde aus anderen Erhebungen<br />
bestätigt (Kreyenfeld 2003).<br />
Die wichtigsten Merkmale der demografischen Entwicklung seit Mitte der 60er Jahre<br />
in Deutschland sind hauptsächlich die sinkenden Geburtenzahlen, das steigende Alter<br />
bei der Geburt des ersten Kindes sowie der stetige Anstieg der kinderlosen Frauen.<br />
Blicken wir im nächsten Abschnitt auf die Situation in Frankreich.<br />
2.1.3 Demografische Veränderungen in Frankreich<br />
Bis in die 70er Jahre hin<strong>ein</strong> dominierte in Frankreich die traditionelle Form des<br />
<strong>Familie</strong>nlebens: <strong>ein</strong>e <strong>Familie</strong> umfasste den männlichen Ernährer (male breadwinner)<br />
<strong>und</strong> die Hausfrau <strong>und</strong> Mutter, die meistens drei oder sogar mehr Kinder versorgte.<br />
Seit Anfang der 80er Jahre stieg der Anteil alternativer Formen der <strong>Familie</strong> an, vor<br />
allem die Anzahl nichtehelicher Paare mit Kindern nahm stetig zu; mehr als 40<br />
Prozent der Kinder wurden im Jahr 1999 außerehelich geboren (vgl. Le Goff 2002, S.<br />
2). In Frankreich existiert <strong>ein</strong>e Spaltung <strong>zwischen</strong> eher traditionellen Paaren, die<br />
14
heiraten <strong>und</strong> Kinder bekommen <strong>und</strong> Paaren, die nichtehelich zusammenleben <strong>und</strong><br />
Kinder bekommen. Hier ist im Gegensatz zu Deutschland nicht die Polarisierung in<br />
<strong>ein</strong>en <strong>Familie</strong>n-Sektor <strong>und</strong> <strong>ein</strong>en Nicht-<strong>Familie</strong>n-Sektor, sondern <strong>ein</strong>e Polarisierung in<br />
<strong>ein</strong>en Nicht-Heirats-Sektor <strong>und</strong> <strong>ein</strong>en Heirats-Sektor zu verzeichnen (vgl. Le Goff<br />
2002, S. 29). Obwohl auch hier die meisten nichtehelichen Partnerschaften später im<br />
Leben in <strong>ein</strong>e Heirat münden - die Form des Zusammenlebens ist fast überall nur <strong>ein</strong>e<br />
Übergangsphase - ist die Geburt <strong>ein</strong>es Kindes, vor allem die des ersten, in Frankreich<br />
nicht mehr direkt mit der Heirat der Eltern verb<strong>und</strong>en. Jede Form des<br />
Zusammenlebens mit Kindern wird als „<strong>Familie</strong>“ betrachtet, die Einheit <strong>von</strong> Ehe <strong>und</strong><br />
<strong>Familie</strong> wird substituiert durch die Gleichsetzung <strong>von</strong> Elternschaft <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> (vgl.<br />
Lessenich, Ostner 1995, S. 796). Dies macht sich zum Beispiel in der Form der<br />
Einkommensbesteuerung bemerkbar, die vor allem Paare mit Kindern bevorzugt, egal<br />
ob sie verheiratet sind oder nicht. In Deutschland hingegen stellt Artikel sechs des<br />
Gr<strong>und</strong>gesetzes Ehe <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> unter den besonderen Schutz des Staates (vgl.<br />
Deutscher B<strong>und</strong>estag: http://www.b<strong>und</strong>estag.de/gesetze/gg/gg_07_02.pdf, abgerufen<br />
am 24.06.2003) <strong>und</strong> betont somit die besondere Bedeutung der Ehe im Gegensatz zu<br />
anderen Lebensformen. Der Hauptunterschied zu Deutschland besteht jedoch in den<br />
relativ höheren Kinderzahlen. Frankreich hat <strong>ein</strong>e der höchsten Geburtenraten in<br />
Europa. 1964 lag sie bei 2.91 Kindern pro Frau. Ab diesem Zeitpunkt begannen aber<br />
auch in Frankreich die Geburtenzahlen zu sinken. Seit 1975 blieb die TFR mehr oder<br />
weniger stabil auf <strong>ein</strong>em relativ hohen Niveau <strong>von</strong> 1.8 Kindern pro Frau. Neueste<br />
Zahlen gehen sogar wieder <strong>von</strong> <strong>ein</strong>em Anstieg aus (Abb. 4).<br />
Abbildung 4: Zusammengefasste Geburtenziffer, französische Frauen, 1960-2000<br />
3.00<br />
2.80<br />
2.60<br />
2.40<br />
2.20<br />
2.00<br />
1.80<br />
1.60<br />
1.40<br />
1.20<br />
2.91<br />
1.00<br />
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000<br />
Quelle: Europarat, Demografisches Jahrbuch 2001<br />
Kalenderjahr<br />
1.89<br />
15
Statt der Zusammengefassten Geburtenziffer, die wenig über die endgültige<br />
Kohortenfertilität aussagt, sollte man sich wiederum die CFR anschauen.<br />
Auch in Frankreich sank die Kohortenfertilität auf unter 2.1 Kinder, was bedeutet,<br />
dass die Müttergeneration nicht mehr durch ihre Töchtergeneration ersetzt werden<br />
kann. Frauen der Geburtskohorte 1930 bekamen im Durchschnitt noch 2.6 Kinder, der<br />
höchste Stand im Frankreich des zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts. Die Frauen, die <strong>zwischen</strong><br />
1950 <strong>und</strong> 1960 geboren wurden, hatten im Durchschnitt noch 2.1 Kinder pro Frau.<br />
Frauen der Geburtskohorte 1965 <strong>und</strong> später werden aber wahrsch<strong>ein</strong>lich leicht<br />
darunter bleiben (Abb. 5). Diese Zahl ist nichtsdestotrotz <strong>ein</strong>e der höchsten in Europa.<br />
Abbildung 5: Kohortenfertilitätsrate, französische Frauen, Kohorte 1930-1965<br />
2.80<br />
2.60<br />
2.40<br />
2.62<br />
2.20<br />
2.00<br />
1.80<br />
1.60<br />
1.40<br />
1.20<br />
1.00<br />
2.10<br />
1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965<br />
Quelle: Europarat, Demografisches Jahrbuch 2001<br />
Geburtskoho rte<br />
Auch die französischen Frauen bekommen ihre Kinder immer später. Das<br />
Durchschnittsalter bei der ersten Geburt stieg <strong>von</strong> ca. 24 Jahren in den frühen 70ern,<br />
auf 27.4 Jahre 1995 (Abb. 6). Diese Entwicklung läuft demnach parallel zu der in<br />
Deutschland.<br />
Der Anteil der <strong>Familie</strong>n mit vier <strong>und</strong> mehr Kindern ging ebenso wie in Deutschland<br />
zurück. Trotz des Aufkommens der „Zwei-Kinder-Norm“ (zwei Kinder werden<br />
bezüglich der <strong>Familie</strong>ngröße als ideal erachtet), bleiben Drittgeburten in Frankreich<br />
immer noch relativ häufig im <strong>Vergleich</strong> zu Deutschland (vgl. Toulemon, Guibert-<br />
Lantoine 1998). Die Kinderlosigkeit ist nicht so stark ausgeprägt wie in Deutschland.<br />
So blieben nur zehn Prozent der Frauen, die 1950 geboren wurden, kinderlos. Diese<br />
Zahl liegt relativ nahe an der biologischen Grenze, resultiert also vornehmlich aus<br />
ungewollter Kinderlosigkeit. Auch für die Geburtskohorten <strong>von</strong> 1960 wird dieser<br />
1.99<br />
16
Abbildung 6: Mittleres Alter bei Geburt des ersten Kindes, französische Frauen 1960-1995<br />
28<br />
27.5<br />
27<br />
26.5<br />
26<br />
25.5<br />
25<br />
24.5<br />
27.4<br />
24<br />
23.5<br />
23<br />
24.01<br />
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995<br />
Quelle: Toulemon 2001<br />
Kalenderjahr<br />
Wert ungefähr gleich bleiben. Ein starker Anstieg der kinderlosen Frauen wird nicht<br />
angenommen (Toulemon 2001).<br />
Die größten Unterschiede zu Deutschland sind somit die höheren Geburtenraten, der<br />
geringere Anteil kinderloser Frauen <strong>und</strong> der größere Anteil derjenigen Kinder, die in<br />
nichtehelichen Lebensgem<strong>ein</strong>schaften geboren werden.<br />
Der Zusammenhang <strong>zwischen</strong> demografischer Entwicklung <strong>und</strong> sozioökonomischer<br />
Veränderung soll im nächsten Abschnitt näher beleuchtet werden. Der Schwerpunkt<br />
wird dabei auf der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit liegen.<br />
2.1.4 Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland<br />
Im Verlauf der 60er Jahre kam es aus bereits genannten Gründen zu <strong>ein</strong>er<br />
Ausbildungsexpansion bei den deutschen Frauen. Dies setzte sich mit der<br />
Schulbildungsexpansion der frühen 70er Jahre, die vor allem den Mädchen zugute<br />
kam, fort (vgl. Gr<strong>und</strong>mann et al. 1994, S. 58f.). Junge Frauen konnten ihre<br />
Bildungschancen in verbesserte Arbeitsmarktchancen umsetzen. Die<br />
Frauenbeschäftigung nahm in den letzten Jahrzehnten zu, insbesondere bei Frauen<br />
<strong>zwischen</strong> 25 <strong>und</strong> 49 Jahren. Dies kann damit begründet werden, dass sie sich vor dem<br />
Alter <strong>von</strong> 25 Jahren noch in Ausbildung befanden <strong>und</strong> nach dem Alter <strong>von</strong> 49 Jahren<br />
die Erwerbsbeteiligung als Ergebnis <strong>ein</strong>er Politik der Frühverrentung abnahm (vgl.<br />
Maier 1997, S. 18). Analysen zeigen, dass es vor allem Frauen mit Kindern sind,<br />
deren Erwerbsbeteiligung angestiegen ist (vgl. ebd., S. 18). Während es bei den<br />
17
Männern kaum internationale Unterschiede im Erwerbsverhalten gibt - die<br />
Erwerbsquoten 5 überschreiten fast überall die 90-Prozent-Marke in der genannten<br />
Altersstufe - variiert die Erwerbsbeteiligung der Frauen <strong>zwischen</strong> den <strong>ein</strong>zelnen<br />
Ländern noch stark. Überall liegt diese unter der der Männer, so auch in Deutschland.<br />
Schaut man sich die weiblichen Erwerbsquoten an, erkennt man für Deutschland <strong>ein</strong>e<br />
leichte M-Kurve: <strong>ein</strong> Teil der Frauen, vor allem junge Mütter, scheidet zur<br />
<strong>Familie</strong>ngründung vorübergehend aus dem Arbeitsmarkt aus <strong>und</strong> kehrt nach der<br />
Erwerbsunterbrechung wieder zurück. Die Erwerbsquote sinkt, da nicht alle Frauen<br />
auf den Arbeitsmarkt zurückkehren (Abb. 7).<br />
Abbildung 7: Alterspezifische Erwerbsquoten deutscher Frauen, 1985 <strong>und</strong> 1999<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
73.4<br />
59.8<br />
Quelle: Eurostat, New Cronos 2001<br />
76.7<br />
0<br />
15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 70+<br />
Altersgruppe<br />
Zwischen 1985 <strong>und</strong> 1999 ist jedoch <strong>ein</strong>e Veränderung zu erkennen: Zwar ist die<br />
Quote in den jüngeren Altersstufen immer noch leicht rückläufig, steigt danach aber<br />
stetig an <strong>und</strong> erreicht <strong>ein</strong>en Wert <strong>von</strong> 76.7 Prozent im Alter <strong>von</strong> 40 bis 44 Jahren.<br />
1985 waren in dieser Altersgruppe nur 60 Prozent der Frauen ökonomisch aktiv.<br />
Dieser Zuwachs wurde vor allem durch <strong>ein</strong>en Anstieg der Erwerbstätigkeit bei<br />
verheirateten Frauen verursacht. Arbeiteten 1985 etwas mehr als die Hälfte der<br />
verheirateten Frauen in der Altersgruppe 25-49, waren es 1999 schon knapp 69<br />
Prozent. Die Erwerbsquoten der ledigen Frauen blieben demgegenüber relativ<br />
konstant: 86,6 Prozent im Jahr 1985 gegenüber 88,1 Prozent im Jahr 1999 (Eurostat<br />
2001). Der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit wird außerdem <strong>von</strong> <strong>ein</strong>er Zunahme des<br />
Anteils derjenigen Frauen begleitet, die in Teilzeit arbeiten: 1985 waren dies knapp<br />
5 Die Erwerbsquote misst den Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige <strong>und</strong> Arbeitslose) an der<br />
Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre) oder in bestimmten Altersgruppen.<br />
1985<br />
1999<br />
18
30 Prozent, 2000 waren es schon etwas mehr als 40 Prozent (Eurostat 2001).<br />
Teilzeitarbeit ist für viele Frauen mit Kindern oft die <strong>ein</strong>zige Möglichkeit,<br />
Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> zeitlich parallel zu ver<strong>ein</strong>baren, da außerhäusliche<br />
Kinderbetreuung in Deutschland wenig verbreitet ist <strong>und</strong> entsprechende Angebote<br />
fehlen.<br />
2.1.5 Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in Frankreich<br />
Ebenso wie in Deutschland stieg der Anteil der Frauen <strong>und</strong> Mädchen mit verbesserter<br />
<strong>und</strong> verlängerter Schul- <strong>und</strong> Ausbildung in den letzten Jahrzehnten in Frankreich an.<br />
Eine Folge des erhöhten Bildungsniveaus <strong>von</strong> Frauen war der starke Anstieg der<br />
Frauenerwerbsquoten in Frankreich seit den frühen 60ern. Vor allem die<br />
Erwerbsquoten der Mütter gehören heute zu den höchsten in Europa. Für Frankreich<br />
charakteristisch ist die kontinuierliche Arbeitsmarktintegration <strong>von</strong> Frauen im Alter<br />
<strong>zwischen</strong> 25 <strong>und</strong> 49 Jahren. Im Gegensatz zu Deutschland arbeiten Frauen relativ<br />
kontinuierlich – also unabhängig vom <strong>Familie</strong>nstand oder dem Vorhandens<strong>ein</strong> <strong>von</strong><br />
Kindern. Die altersspezifischen Erwerbsquoten zeigen, vor allem in jüngerer Zeit,<br />
<strong>ein</strong>e umgedrehte U-Kurve für Frankreich, d.h. <strong>ein</strong>en Erwerbsverlauf, der auf <strong>ein</strong>er<br />
kontinuierlichen Integration in den Arbeitsmarkt beruht. Mehr als 73 Prozent der<br />
Frauen <strong>zwischen</strong> 25 <strong>und</strong> 29 Jahren waren 1999 erwerbstätig, sieben Prozent mehr als<br />
in Deutschland (Abb.8):<br />
Abbildung 8: Altersspezifische Erwerbsquoten französischer Frauen, 1985 <strong>und</strong> 1999<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
80.1<br />
71.2<br />
Quelle: Eurostat, New Cronos 2001<br />
81.1<br />
15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 70+<br />
Altersgruppe<br />
1985<br />
1999<br />
19
Eine französische Besonderheit ist zudem der hohe Anteil <strong>von</strong> Frauen in<br />
Vollzeiterwerbstätigkeit: Bis Anfang der 90er Jahre waren weniger als 25 Prozent<br />
teilzeitbeschäftigt, <strong>und</strong> selbst in dieser Gruppe präferierten fast 30 Prozent die<br />
Vollzeiterwerbstätigkeit (Eurostat 2001). In jüngerer Zeit stiegen die<br />
Teilzeiterwerbsquoten in Frankreich leicht an, sie liegen aber immer noch unter denen<br />
Deutschlands (Eurostat 2001).<br />
Noch deutlicher wird die Situation im Gegensatz zu Deutschland, betrachtet man<br />
Paare mit Kindern (Tabelle 1): Bei 45,4 Prozent der französischen erwerbstätigen<br />
Paare mit Kindern arbeiten beide Partner Vollzeit, dem gegenüber stehen nur 26,1<br />
Prozent der deutschen Paare mit Kindern, bei denen Mann <strong>und</strong> Frau Vollzeit arbeiten.<br />
Tabelle 1: Erwerbstätigkeit <strong>von</strong> deutschen <strong>und</strong> französischen Paaren mit Kindern im Jahre 2000<br />
(Prozent der Paare, <strong>von</strong> denen wenigstens <strong>ein</strong> Partner arbeitet)<br />
Mann Mann Mann Mann<br />
Teilzeit Teilzeit Vollzeit Vollzeit<br />
Ein Verdiener Doppel- Frau Frau Frau Frau<br />
Verdiener Teilzeit Vollzeit Teilzeit Vollzeit<br />
Deutschland 39.7 60.3 0.6 0.7 32.9 26.1<br />
Frankreich 36.0 64.0 1.2 1.1 16.3 45.4<br />
Quelle: Eurostat 2002 in: Reuter 2002, S. 15<br />
Auch in Frankreich ist der Anstieg der weiblichen Erwerbsquoten vor allem durch die<br />
steigende Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen verursacht worden. Ihre<br />
Erwerbsquoten stiegen in der Altersgruppe <strong>von</strong> 25 bis 49 Jahren <strong>von</strong> 65 Prozent im<br />
Jahr 1985 auf knapp 76 Prozent im Jahr 1999. Die Erwerbsquoten der weiblichen<br />
Singles blieben konstant bei ungefähr 85 Prozent beziehungsweise sanken sogar<br />
geringfügig (Eurostat 2001).<br />
Eine weitere Besonderheit ist der hohe Anteil arbeitender Mütter in Frankreich,<br />
insbesondere <strong>von</strong> Müttern mit Kindern im Vorschulalter. Der Rückgang der<br />
Erwerbsquoten der jungen Mütter im Alter <strong>von</strong> 25 bis 30 Jahren ist nicht so stark<br />
ausgeprägt wie in Deutschland <strong>und</strong> in den letzten Kalenderjahren vollkommen<br />
verschw<strong>und</strong>en. Frauen in Frankreich behalten ihre Erwerbstätigkeit auch dann bei,<br />
wenn sie Kl<strong>ein</strong>kinder zu betreuen haben. Erst wenn drei oder mehr Kinder vorhanden<br />
sind, gleichen sich die Erwerbsquoten in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich an (A. Becker<br />
2000). Nachfolgende Abbildung verdeutlicht dieses:<br />
20
Abbildung 9: Erwerbsquote <strong>von</strong> deutschen <strong>und</strong> französischen Müttern nach Anzahl der Kinder (unter<br />
25 Jahren) <strong>und</strong> Alter des jüngsten Kindes (in Prozent), 1997<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
1 Kind unter 3 Jahren 1 Kind unter 6 Jahren 2 Kinder, das jüngste unter 6<br />
Jahren<br />
Quelle: Eurostat, Arbeitskräfterhebung 1997 in: Reuter 2002, S. 15<br />
Zu beachten sind jedoch auch die hohen Arbeitslosenraten der französischen Frauen.<br />
Die Arbeitslosigkeit übersteigt die der Männer, trotz des Faktes, dass Frauen öfter im<br />
tertiären Sektor arbeiten, der strukturell weniger <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit betroffen ist als<br />
andere Sektoren (vgl. Toulemon, Guibert-Lantoine 1998, S. 4). Vor allem junge<br />
Frauen sind überproportional häufig <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit betroffen: 1995 waren 27<br />
Prozent der Arbeitslosen in Frankreich <strong>zwischen</strong> 15 <strong>und</strong> 24 Jahren alt. Von den<br />
Frauen im Alter <strong>zwischen</strong> 15 <strong>und</strong> 24 Jahren waren sogar 31 Prozent arbeitslos. In<br />
Deutschland (alte <strong>und</strong> neue B<strong>und</strong>esländer zusammen) lag diese Zahl im gleichen<br />
Zeitraum bei nur 8.7 Prozent (vgl. Maier 1997, S. 25).<br />
2.1.6 Zusammenfassung<br />
Deutschland Frankreich<br />
3 <strong>und</strong> mehr Kinder, das<br />
jüngste unter 6 Jahren<br />
Die Nachbarländer Frankreich <strong>und</strong> Deutschland weisen seit Beginn der 60er Jahre in<br />
vielen Bereichen signifikante Unterschiede auf. Vor allem die Geburtenzahlen haben<br />
sich stark aus<strong>ein</strong>ander entwickelt: Frankreich ist gekennzeichnet <strong>von</strong> hohen<br />
Geburtenraten, während Deutschland <strong>ein</strong>e der niedrigsten auf der Welt besitzt. Heirat<br />
<strong>und</strong> die Geburt <strong>von</strong> Kindern sind noch immer stark mit<strong>ein</strong>ander verknüpft in<br />
Deutschland, es wird vielfach <strong>von</strong> <strong>ein</strong>er Polarisierung in <strong>ein</strong>en Nicht-<strong>Familie</strong>n-Sektor<br />
<strong>und</strong> <strong>ein</strong>en <strong>Familie</strong>n-Sektor gesprochen. Viele Frauen bleiben kinderlos, knapp <strong>ein</strong><br />
Viertel der Frauen in Deutschland bekommt k<strong>ein</strong>e Kinder. In Frankreich bleibt diese<br />
Zahl bei konstanten zehn Prozent, zwei Kinder sind die Regel, drei <strong>und</strong> mehr sind<br />
häufiger als in Deutschland. Eine starke Zunahme nichtehelicher Geburten ist zu<br />
21
eobachten. Le Goff (2002) spricht diesbezüglich <strong>von</strong> <strong>ein</strong>er Polarisierung in <strong>ein</strong>en<br />
Heirats-Sektor <strong>und</strong> <strong>ein</strong>en Nicht-Heirats-Sektor.<br />
Eine französische Besonderheit ist die Vollzeit-Erwerbsintegration <strong>von</strong> Müttern.<br />
Frauen in Deutschland sind weniger stark in den Arbeitsmarkt integriert <strong>und</strong> arbeiten<br />
häufiger auf Teilzeitbasis.<br />
Bis in die frühen 80er Jahre hin<strong>ein</strong> wurde angenommen, dass die Zunahme der<br />
Frauenerwerbstätigkeit für den Rückgang der Geburtenzahlen in den meisten<br />
europäischen Ländern verantwortlich war. Länder mit der niedrigsten<br />
Frauenerwerbsquote hatten hohe Zusammengefasste Geburtenziffern (Italien,<br />
Spanien, Griechenland) <strong>und</strong> umgekehrt waren in Ländern mit niedrigen<br />
Geburtenzahlen höhere Frauenerwerbsquoten zu verzeichnen. Heutzutage sind die<br />
Fertilitätsraten höher in den Ländern, die <strong>ein</strong>e hohe weibliche Erwerbsquote besitzen<br />
(Brewster, Rindfuss 2000) 6 .<br />
Inwiefern die hohen Erwerbsquoten sowie die relativ hohen Geburtenraten in<br />
Frankreich <strong>ein</strong> Zeichen dafür sind, dass es Frauen in Frankreich erleichtert wird,<br />
<strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> zu ver<strong>ein</strong>baren <strong>und</strong> ob diese Ver<strong>ein</strong>barung <strong>ein</strong>e<br />
Gr<strong>und</strong>voraussetzung für <strong>ein</strong>en Anstieg der Geburtenzahlen auch in Deutschland wäre,<br />
soll in den nächsten Abschnitten geklärt werden.<br />
Begonnen werden soll mit <strong>ein</strong>igen theoretischen Überlegungen über die Rolle der<br />
Frau, sowie die Entscheidung für oder gegen Kinder im Rahmen der ökonomischen<br />
Theorie der <strong>Familie</strong>.<br />
2.2 Die These der ökonomischen Theorie der <strong>Familie</strong><br />
2.2.1 Gr<strong>und</strong>annahmen<br />
Seit den frühen 60er Jahren entwickelte sich, aufbauend auf den Arbeiten <strong>von</strong> Mincer<br />
<strong>und</strong> G. Becker, die neue mikroökonomische Haushalts- <strong>und</strong> <strong>Familie</strong>nökonomie, die<br />
„new home economics“. Kernthemen waren Fragen nach der Produktionsstruktur in<br />
6 Engelhardt et al. (2003) fanden demgegenüber <strong>ein</strong>en noch immer negativen Zusammenhang <strong>zwischen</strong><br />
Fertilität <strong>und</strong> weiblicher Erwerbstätigkeit - er ist zwar mit der Zeit viel schwächer geworden <strong>und</strong> in den<br />
skandinavischen Ländern <strong>und</strong> der USA nicht mehr signifikant, jedoch auch nicht positiv. Aber auch sie<br />
führen den schwächer werdenden Zusammenhang auf <strong>ein</strong>e bessere <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> weiblicher<br />
Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Kindererziehung zurück.<br />
22
privaten Haushalten <strong>und</strong> nach den Entscheidungen innerhalb der <strong>Familie</strong> (vgl.<br />
Gustafsson 1991, S. 408). Die ökonomische Theorie unterstellt den Menschen<br />
rationales Verhalten. Ihre Handlungen unterstehen dem Bestreben nach <strong>ein</strong>er Kosten-<br />
Nutzen-Optimierung, was bedeutet, dass <strong>ein</strong>e Handlung umso eher durchgeführt wird,<br />
je nützlicher sie für den Handelnden ist; je kostenträchtiger <strong>ein</strong>e Aktion aber ist, desto<br />
eher wird sie demnach vermieden. Bezüglich der Ehe wird gemäß der Logik der<br />
ökonomischen Theorie angenommen, dass unverheiratete Männer <strong>und</strong> Frauen<br />
Tauschpartner sind, die sich entschließen zu heiraten, wenn für beide Partner der<br />
Nutzen der Ehe den Nutzen des Ledigs<strong>ein</strong>s übersteigt (vgl. Blossfeld, Jaenichen 1993,<br />
S. 170).<br />
Die <strong>Familie</strong> wird als <strong>ein</strong>e Gem<strong>ein</strong>schaft <strong>von</strong> Individuen definiert, die durch die<br />
Zusammenlegung ihrer Ressourcen (Humankapital 7 , Vermögen etc.) <strong>und</strong> durch<br />
innerfamiliäre Arbeitsteilung gem<strong>ein</strong>sam <strong>ein</strong>e höhere Wohlfahrtslage erreichen kann,<br />
als dies individuell möglich ist (vgl. Ott 1991, S. 385).<br />
Die Mitglieder der „new home economics“ sehen Haushalte als Produktions<strong>ein</strong>heiten<br />
an, in denen mit Zeit- <strong>und</strong> Marktgütern Gebrauchsgüter erzeugt werden (vgl.<br />
Gustafsson 1991, S. 410 f.) – sogenannte „commodities“ wie zum Beispiel<br />
Wohlstand, Zuneigung, materielle Absicherung oder auch Kinder. Diese besitzen<br />
sogenannte Schattenpreise, das heißt neben den <strong>ein</strong>gesetzten Marktgütern kosten sie<br />
auch die benötigte Zeit sowie indirekt Investitionskosten, wie zum Beispiel<br />
Humankapital (vgl. Hill, Kopp 1995, S. 107).<br />
Vor allem der Aspekt der Zeit ist in diesem Zusammenhang <strong>von</strong> Bedeutung.<br />
Es existieren im Prinzip drei gr<strong>und</strong>legende Arten der Verwendung <strong>von</strong> Zeit: 1) Zeit<br />
für Erwerbsarbeit, 2) Zeit für die Haushaltsproduktion <strong>und</strong> 3) Freizeit. Die Person<br />
wählt rational die Alternative mit dem größeren ökonomischen Vorteil. Durch<br />
Hausarbeit werden Haushaltsgüter produziert <strong>und</strong> durch Erwerbsarbeit wird<br />
Einkommen produziert (vgl. Gustafsson 1991, S. 410 f.).<br />
Der Hauptvertreter der ökonomischen Theorie ist Gary S. Becker. Er entwickelte<br />
diese Annahmen in s<strong>ein</strong>er These der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung weiter.<br />
Im folgenden Abschnitt soll dies näher erläutert werden.<br />
7 Humankapital ist die Bezeichnung für die Betrachtung des Menschen als Träger <strong>von</strong> (ökonomisch<br />
nutzbarer) Bildung (vgl. Hartfiel, Hillmann 1982, S. 315). Im weitesten Sinne lassen sich jedoch auch<br />
alle Eigenschaften der Ehepartner darunter verstehen.<br />
23
2.2.2 Beckers ökonomische Theorie der <strong>Familie</strong><br />
Becker nimmt an, dass individuelle Präferenzen konstant sind <strong>und</strong> im Mittel für alle<br />
Akteure ähnlich angesehen werden (G. Becker 1993). In s<strong>ein</strong>er Theorie der<br />
Partnerwahl <strong>und</strong> Eheschließung geht Becker auf die Idee der Effizienzerhöhung durch<br />
Arbeitsteilung <strong>ein</strong>. Die zwei wichtigsten Theoreme dieser These lauten (vgl. G.<br />
Becker 1993, S. 33 f.):<br />
1) Alle Haushaltsmitglieder mit <strong>ein</strong>em größeren komparativen Vorteil bei der<br />
Erwerbsarbeit spezialisieren sich auf Erwerbsarbeit. Jedes Haushaltsmitglied mit<br />
<strong>ein</strong>em größeren komparativen Vorteil bei der Hausarbeit spezialisiert sich<br />
vollkommen auf die Hausarbeit.<br />
2) Die Mitglieder des Haushalts, die sich nur auf Erwerbsarbeit spezialisiert haben,<br />
investieren nur in marktfähiges Humankapital. Mitglieder, die sich auf Hausarbeit<br />
spezialisiert haben, investieren nur in haushaltsspezifisches Humankapital.<br />
Es wird angenommen, daß Frauen seit jeher für die Betreuung <strong>und</strong> Erziehung der<br />
Kinder verantwortlich waren. Deshalb haben sie weniger Humankapital in<br />
Marktarbeit investiert <strong>und</strong> sich stärker auf die Hausarbeit spezialisiert.<br />
Der Vorteil der Heirat liegt also darin, dass jeder der Vertragspartner für den zu<br />
gründenden Haushalt etwas anzubieten hat, was der jeweils andere nicht besitzt:<br />
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in <strong>Familie</strong> <strong>und</strong> <strong>Beruf</strong> wird als <strong>ein</strong>e der<br />
Hauptgründe für Heirat <strong>und</strong> die Gründung <strong>ein</strong>es gem<strong>ein</strong>samen Haushalts angesehen<br />
(vgl. Blossfeld, Huinink 1989, S. 386).<br />
Die wachsende Arbeitsmarktorientierung der Frauen als Folge <strong>von</strong> besserer<br />
Ausbildung <strong>und</strong> der Aussicht auf <strong>ein</strong>e berufliche Karriere führt jedoch dazu, dass der<br />
Zeitpunkt der Heirat hinausgeschoben wird, der Anteil unverheirateter Frauen steigt<br />
<strong>und</strong> Ehen instabiler werden (vgl. ebd. S. 386).<br />
Doch nicht nur in Bezug auf die Entscheidung zur Ehe <strong>und</strong> deren Stabilität, auch im<br />
Hinblick auf die Neigung, Kinder zu bekommen, ergeben sich auf Gr<strong>und</strong>lage der<br />
ökonomischen Theorie der <strong>Familie</strong> bestimmte Folgen aus der Zunahme des<br />
Ausbildungsniveaus <strong>und</strong> den verbesserten Karrierechancen <strong>von</strong> Frauen (vgl. ebd.).<br />
Dies soll im folgenden erläutert werden.<br />
24
Kinder werden als (dauerhafte) Konsumgüter dargestellt, die vor allem psychischen<br />
Nutzen vermitteln. Produktions- <strong>und</strong> Versicherungsnutzen spielen bei Becker <strong>ein</strong>e<br />
untergeordnete Rolle, da diese Art <strong>von</strong> Nutzenfaktoren in heutiger Zeit immer<br />
unwichtiger geworden sind. Becker argumentiert, dass Kinder normalerweise nicht<br />
„gekauft“ werden 8 , sondern mittels der Verwendung <strong>von</strong> Marktgütern <strong>und</strong><br />
Marktdienstleistungen sowie der Zeit der Eltern „self-produced“ (G. Becker 1993, S.<br />
138) werden. Da die Kosten <strong>von</strong> Marktgütern, -dienstleistungen <strong>und</strong> der Zeit <strong>von</strong><br />
<strong>Familie</strong> zu <strong>Familie</strong> verschieden sind, sind auch die Kosten für die „Produktion“ <strong>und</strong><br />
Erziehung <strong>von</strong> Kindern in den <strong>Familie</strong>n verschieden. (Potentielle) Eltern verfügen nur<br />
über <strong>ein</strong> gewisses Budget, mit dem sie Marktgüter erwerben können (vgl. ebd.).<br />
Steigen die Kosten, die für Kinder aufgewendet werden, wird die Nachfrage nach<br />
Kindern verringert <strong>und</strong> andere kostengünstigere Güter eher nachgefragt. Dieser<br />
„relative Preis“ der Kinder (vgl. ebd.) wird <strong>von</strong> verschiedenen Faktoren be<strong>ein</strong>flusst:<br />
Tragen Kinder mit zum Haushalts<strong>ein</strong>kommen bei, so Becker, würden die Nettokosten<br />
reduziert <strong>und</strong> die Nachfrage nach Kindern würde steigen. Auch staatliche<br />
Transferzahlungen, zum Beispiel das Kindergeld, reduzierten die Kosten.<br />
Der relative Preis der Kinder wird jedoch nicht nur <strong>von</strong> dem erzielten Einkommen,<br />
sondern auch <strong>von</strong> der Zeit ihrer Eltern be<strong>ein</strong>flusst, wobei vor allem die Zeit der<br />
Mutter <strong>ein</strong>e wichtige Rolle spielt: sie ist <strong>ein</strong> Teil der totalen Kosten der Produktion<br />
<strong>und</strong> Erziehung des Kindes. Die Zeit, die die Frau mit der Betreuung <strong>und</strong> Erziehung<br />
<strong>von</strong> Kindern verbringt, könnte für Erwerbsarbeit genutzt werden. Das potentielle<br />
Erwerbs<strong>ein</strong>kommen der Frau, das aufgr<strong>und</strong> der geschlechtsspezifischen<br />
Arbeitsteilung durch die Kindererziehung nicht realisiert werden kann, stellt<br />
Opportunitätskosten dar <strong>und</strong> erhöht somit den relativen Preis <strong>ein</strong>es Kindes (vgl.<br />
Blossfeld, Huinink 1989, S. 386). Hierin liegt auch für Becker <strong>ein</strong> wesentlicher Gr<strong>und</strong><br />
für den Rückgang der Kinderzahlen in den letzten Jahrzehnten:<br />
Im Zuge des veränderten Rollenbildes, der verbesserten Ausbildung <strong>und</strong><br />
Einkommenschancen der Frauen ist für sie die Investition <strong>von</strong> Zeit in die Pflege <strong>von</strong><br />
Kindern ständig unattraktiver geworden (vgl. Huinink 2000, S. 44). Becker nimmt an,<br />
dass besser ausgebildeten Frauen höhere Opportunitätskosten aus dem entgangenen<br />
Nutzen eigener Erwerbstätigkeit entstehen, d.h. der „Schattenpreis“ der Kinder (also<br />
der Verzicht auf Einkommen zugunsten der Kinder) steigt bei ihnen stärker an als bei<br />
8 „Children are usually not purchased…“ (G. Becker 1993, S. 138).<br />
25
geringer qualifizierten Frauen (Nauck, Kohlmann 1999, S. 55) – sie verzichten<br />
demnach eher auf Kinder. Die Bildung der Frau <strong>und</strong> die Anzahl der Kinder sollten<br />
somit negativ mit<strong>ein</strong>ander korreliert s<strong>ein</strong>.<br />
Die Zeit des Vaters wird <strong>von</strong> Becker als eher unwichtig betrachtet, da er traditionell<br />
<strong>und</strong> wegen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Haushalt eher wenig bis gar<br />
k<strong>ein</strong>e Zeit mit Kinderbetreuung <strong>und</strong> –erziehung verbringt. Der Zeitaufwand der<br />
Frauen für die <strong>Familie</strong> ist bedeutender als der der Männer, die sich vollkommen auf<br />
die Erwerbsarbeit spezialisiert haben (vgl. G. Becker 1993, S. 140). S<strong>ein</strong><br />
Arbeitsmarktstatus be<strong>ein</strong>flusst die Entscheidung für oder gegen Kinder auf anderem<br />
Wege: je mehr Einkommen er erzielt, desto eher kann er <strong>ein</strong>e große <strong>Familie</strong><br />
unterstützen (vgl. Kreyenfeld 2001, S. 55). Je höher s<strong>ein</strong>e Bildung ist, desto mehr<br />
Einkommen wird er auf dem Arbeitsmarkt erzielen können <strong>und</strong> desto mehr wird er in<br />
die <strong>Familie</strong> investieren können. Es sollte demnach <strong>ein</strong>e positive Beziehung <strong>zwischen</strong><br />
der Bildung des Mannes <strong>und</strong> der Anzahl der Kinder existieren.<br />
2.2.3 Kritik an der ökonomischen Theorie der <strong>Familie</strong><br />
Die Kritik an den Vertretern der new home economics, <strong>und</strong> vor allem an Beckers<br />
Modell, ist so alt wie das Modell selbst.<br />
Zum <strong>ein</strong>en werden die Annahmen kritisiert, die dem Modell vorausgehen. Da Becker<br />
postuliert, dass der Haushalt an sich als Akteur auftritt, unterstellt er gleiche<br />
Handlungssituationen <strong>und</strong> Präferenzen <strong>von</strong> (potenziellen) Vätern <strong>und</strong> Müttern. Es<br />
wird also angenommen, dass sich die Vorstellungen <strong>von</strong> Ehepartnern bezüglich des<br />
Einsetzens <strong>von</strong> Geld <strong>und</strong> Zeit nicht unterscheiden. Dies wurde jedoch empirisch<br />
zurückgewiesen (vgl. Gustafsson 1991, S. 413). Weiterhin wird unterstellt, dass<br />
Kinder in allen Handlungssituationen <strong>und</strong> in jeder Umgebung den gleichen Wert für<br />
die (potentiellen) Väter <strong>und</strong> Mütter haben. Dies ist aber konträr zu dem Fakt, dass<br />
Akteure in gleichen Handlungssituationen unterschiedliche Kinderzahlen produzieren<br />
(vgl. Nauck, Kohlmann 1999, S. 56). Auch die Möglichkeit, dass<br />
Fertilitätsentscheidungen sequentielle Entscheidungen sind, bleibt unberücksichtigt.<br />
Die Entscheidung für das erste Kind b<strong>ein</strong>haltet nicht die gleichen Überlegungen <strong>und</strong><br />
Handlungsentscheidungen wie beim zweiten oder dritten Kind. Die vorhandenen<br />
Kinder an sich be<strong>ein</strong>flussen nämlich die Kosten-Nutzen-Überlegungen der Eltern, was<br />
Becker jedoch außer Acht lässt.<br />
26
Zum anderen kann die Annahme, dass Paare den größten Nutzen bei <strong>ein</strong>er<br />
Arbeitsteilung haben, auch nicht jeder Situation gerecht werden. So gibt es<br />
Tätigkeiten, um bestimmte Güter zu produzieren, die beide Partner am Effizientesten<br />
zusammen ausüben. Zum Beispiel gegenseitige Zuneigung, aber auch die<br />
Sozialisation der Kinder fordert beide Mitglieder des Haushalts. Nur als Partner<br />
können sie in bestimmten Handlungssituationen den größtmöglichen Nutzen<br />
produzieren. Außerdem entsprechen die gesellschaftlichen Bedingungen in Beckers<br />
Theorie längst nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten. Emanzipation, die Expansion<br />
der Bildung <strong>und</strong> Ausbildung der Frauen, der Anstieg weiblicher Erwerbsquoten sowie<br />
das damit <strong>ein</strong>hergehende veränderte Rollenbild der Frau - hier vor allem der Wunsch<br />
nach Persönlichkeitsentfaltung <strong>und</strong> Selbstbestimmung - wird in k<strong>ein</strong>em Falle mehr<br />
der Annahme geschlechtspezifischer Arbeitsteilung gerecht.<br />
Ein weiterer Kritikpunkt liegt in der Fokussierung <strong>von</strong> Kindern als „Konsumgüter“.<br />
Es spielen jedoch zu viele irrationale, emotionale <strong>und</strong> kulturell bestimmte Momente<br />
<strong>ein</strong>e Rolle, als dass sie nur als Ergebnis <strong>ein</strong>er kühlen Kalkulation <strong>von</strong> Vor- <strong>und</strong><br />
Nachteilen <strong>ein</strong>er Elternschaft anzusehen wären. Zudem wird der psychische<br />
Nutzenfaktor zu sehr ausgeblendet, da Becker r<strong>ein</strong> kostenbezogen argumentiert. Er<br />
kann demnach schwerlich erklären, warum Kinder <strong>ein</strong>e Quelle psychischen Nutzens<br />
sind (vgl. Huinink 2000, S. 44).<br />
Auch die unterstellte Wahlmöglichkeit der Akteure – sie wählen immer die Handlung,<br />
die den größten Nutzen für sie bringt – ist zu kritisieren. So könnte zum Beispiel <strong>ein</strong>e<br />
Frau trotz hoher Bildung nicht erwerbstätig werden, wenn k<strong>ein</strong> adäquater Arbeitsplatz<br />
in der Nähe ist oder sie Kinder zu versorgen hat. Akteure befinden sich oft in<br />
Handlungsumständen, die eher als Zwangssituationen charakterisiert werden können<br />
(vgl. Hill, Kopp 1995, S. 116).<br />
Am meisten zu beanstanden ist jedoch der Fakt, dass Becker die Wirkung <strong>von</strong><br />
Institutionen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Rahmenbedingungen außer Acht gelassen hat, sie<br />
nur hinsichtlich ihres Nutzens für den Ausbau geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung<br />
bewertete oder damit verb<strong>und</strong>en, staatliche Unterstützung hauptsächlich als<br />
„Armenhilfe“ betrachtet: „In effect, welfare is the poor woman’s alimony, which<br />
substitutes for husband’s earnings.“ (G. Becker 1993, S. 252).<br />
Folgende Fragen wurden jedoch nicht gestellt:<br />
� Wie verändern zum Beispiel Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen das Zeitbudget <strong>von</strong><br />
Frauen <strong>und</strong> Männern?<br />
27
� Kann durch kostenmindernde Maßnahmen <strong>von</strong> Seiten des Staates, wie zum<br />
Beispiel kostenlose Ausbildung für die älteren <strong>und</strong> kostengünstige<br />
Betreuungsmöglichkeiten für die kl<strong>ein</strong>eren Kinder, der relative Preis der Kinder<br />
verringert werden <strong>und</strong> Frauen <strong>ein</strong>e Erwerbstätigkeit ermöglicht werden?<br />
� Erlauben Regelungen zum Erziehungsurlaub oder flexible Arrangements <strong>von</strong><br />
Arbeitszeiten <strong>ein</strong>e bessere <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Familie</strong> <strong>und</strong> <strong>Beruf</strong>? Können auch<br />
traditionelle Geschlechterrollen dadurch verändert werden?<br />
In den folgenden Kapiteln soll näher auf diese Einflüsse gesellschaftlicher<br />
Rahmenbedingungen <strong>ein</strong>gegangen werden.<br />
2.3 Die These des Einflusses gesellschaftlicher Rahmenbedingungen<br />
2.3.1 Die drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus – Die Typologie Esping-Andersens<br />
Seit Mitte des 80er Jahre wurde <strong>ein</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> Arbeiten veröffentlicht, die sich mit<br />
der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung beschäftigen. Vor dem Hintergr<strong>und</strong>,<br />
dass die jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Systeme Bildungs-, Ausbildungs- <strong>und</strong><br />
Erwerbsverläufe be<strong>ein</strong>flussen – der Wohlfahrtsstaat demnach ganze Lebensläufe<br />
strukturiert – versuchten viele ForscherInnen, die unterschiedlichen Systeme vor<br />
allem in Europa mit<strong>ein</strong>ander zu vergleichen. Wie werden Lebensverläufe gestaltet,<br />
was sind die Ursachen für die verschiedenen Ausprägungen <strong>von</strong><br />
Wohlfahrtstaatsregimen 9 <strong>und</strong> welche Auswirkungen haben die politischen <strong>und</strong><br />
institutionellen Rahmenbedingungen auf das Entscheidungsverhalten <strong>von</strong> Individuen?<br />
Prägen die unterschiedlichen wohlfahrtsstaatlichen Politikrichtungen<br />
länderspezifische Erwerbs- oder <strong>Familie</strong>nmuster?<br />
Gøsta Esping-Andersen ist <strong>ein</strong>er der Hauptvertreter dieser Forschungsrichtung. Der<br />
Titel s<strong>ein</strong>es <strong>ein</strong>flussreichsten Werkes lautet: „The three worlds of welfare capitalism“<br />
(1990).<br />
9 Ein wohlfahrtsstaatliches Regime ist nach Esping-Andersen <strong>ein</strong>e spezielle Form des institutionellen<br />
Umgangs fortgeschrittener westlicher Gesellschaften mit dem Komplex der gesellschaftlichen Arbeit<br />
<strong>und</strong> der sozialen Sicherheit, die beide in <strong>ein</strong>er Wechselbeziehung zu<strong>ein</strong>ander stehen (vgl. Lessenich,<br />
Ostner 1998, S. 11).<br />
28
Esping-Andersen argumentiert, dass Wohlfahrtsstaaten sich vor allem durch das<br />
Ausmaß ihrer Dekommodifizierung unterscheiden, das heisst in welchem Maß<br />
alternative, nicht-marktförmige Mittel der Wohlfahrtsproduktion bereitgestellt werden<br />
(vgl. Esping-Andersen 1998, S. 36). Ihm geht es hauptsächlich um die Frage,<br />
inwieweit der Austausch <strong>zwischen</strong> dem Markt <strong>und</strong> dem Individuum <strong>von</strong> staatlich<br />
garantierten Bürgerrechten „verdrängt“ wurde (vgl. Lessenich, Ostner 1995, S. 782).<br />
Die Hauptfrage lautet somit: Wie kann <strong>ein</strong>e Person ihren Lebensunterhalt gestalten<br />
<strong>und</strong> aufrechterhalten, ohne sich an den Markt wenden zu müssen (vgl. Esping-<br />
Andersen 1990, S. 22)? Im Falle <strong>von</strong> Krankheit ist es demnach in <strong>ein</strong>em<br />
Wohlfahrtsstaat, der durch <strong>ein</strong>en hohen Grad an Dekommodifizierung gekennzeichnet<br />
ist, möglich, Lohnersatz während der Dauer der Krankheit zu bekommen <strong>und</strong> die<br />
Sicherheit des Arbeitsplatzes wird ebenso erhalten bleiben. Das gleiche gilt für die<br />
Altersversorgung (Renten), Unterstützung bei der Betreuung <strong>von</strong> Kindern<br />
(Erziehungsgeld <strong>und</strong> -urlaub) sowie für den Verlust des Arbeitsplatzes<br />
(Arbeitslosenversicherung) (vgl. ebd., S. 23). Aber auch in dem Zusammenspiel<br />
öffentlicher <strong>und</strong> privater Sicherungsformen sowie der Strukturierung der sozialen<br />
Hierarchie liegen Unterschiede begründet (vgl. Lessenich, Ostner 1998, S. 12). So<br />
gibt es Wohlfahrtsstaaten, die für heftige soziale Gegensätze sorgen, indem sie nur<br />
stark Bedürftige unterstützen <strong>und</strong> Wohlfahrtsstaaten, die die Statusgleichheit aller<br />
Bürger unabhängig ihrer Klassenzugehörigkeit fördern (vgl. Esping-Andersen 1990,<br />
S. 24f.). Auf der Gr<strong>und</strong>lage theoretischer Konzepte <strong>und</strong> Annahmen sowie<br />
makroökonomischer Daten klassifizierte er Westeuropa <strong>und</strong> die Angloamerikanischen<br />
Länder in drei Gruppen <strong>von</strong> Regimen (Esping-Andersen 1990, S.<br />
26ff.; 1998, S. 43ff.):<br />
Die liberalen Wohlfahrtsstaaten, zu denen die USA, Kanada, Großbritannien <strong>und</strong><br />
Australien gehören, sind <strong>von</strong> bedarfsgeprüfter Sozialvorsorge, niedrigen universellen<br />
Transferleistungen <strong>und</strong> ebenso niedrigen Sozialversicherungsleistungen<br />
gekennzeichnet. Die Zugangsregelungen sind meistens sehr strikt. Das Ausmaß der<br />
Dekommodifizerung ist schwach. Wohlfahrtsstaatliche Hilfe ist vor allem als<br />
Armenhilfe vorgesehen, auch die <strong>Familie</strong> wird vorwiegend erst dann unterstützt,<br />
wenn ihr Existenzminimum aufrechtzuerhalten ist (zum Beispiel Hilfe für<br />
all<strong>ein</strong>erziehende Mütter, um den Ehemann als „breadwinner“ zu ersetzen).<br />
Der zweite Regimetypus b<strong>ein</strong>haltet die konservativen Staaten <strong>und</strong> findet sich in den<br />
kontinentaleuropäischen Ländern wie Österreich, Frankreich, Deutschland <strong>und</strong> Italien<br />
29
wieder. Der Staat ist neben dem Markt als Wohlfahrtsproduzent tätig; private<br />
Versicherungsmodelle <strong>und</strong> betriebliche Zusatzleistungen spielen nur <strong>ein</strong>e<br />
untergeordnete Rolle. Durch die Dominanz der katholischen Kirche in den meisten<br />
dieser Länder versucht der Staat, traditionelle <strong>Familie</strong>nformen aufrechtzuerhalten.<br />
Das „male breadwinner model“ (männliches Ernährermodell) stellt den<br />
vorherrschenden <strong>Familie</strong>ntypus dar. Damit geht <strong>ein</strong>her, dass die nicht-erwerbstätigen<br />
Frauen üblicherweise aus Teilen der Sozialversicherung ausgeschlossen sind (außer<br />
sie sind verheiratet), da die Höhe der Leistungen <strong>von</strong> der Dauer <strong>und</strong> Art der<br />
Erwerbstätigkeit abhängen. Verheiratete Hausfrauen sind jedoch automatisch über die<br />
Sozialversicherung ihrer erwerbstätigen Männer mitversichert (vgl. Kreyenfeld 2002,<br />
S. 17). Nicht die bedarfsgeprüfte Sozialvorsorge wie in den liberalen<br />
Wohlfahrtsstaaten, sondern erwerbsbezogene (bezogen auf die Erwerbstätigkeit des<br />
Mannes) <strong>und</strong> ehebezogene (bezogen auf den <strong>Familie</strong>nstand der Frau) Leistungen sind<br />
<strong>ein</strong> wichtiges Kennzeichen dieser Gruppe. Kindertages<strong>ein</strong>richtungen <strong>und</strong> ähnliche<br />
familienbezogene Dienste sind wenig ausgebaut, wodurch der <strong>Familie</strong> <strong>ein</strong><br />
bedeutender Platz in der Produktion <strong>von</strong> Wohlfahrt zugeordnet wird. Sie muß selbst<br />
für die Wohlfahrt ihrer Mitglieder sorgen, der Staat unterstützt sie dabei nur mit<br />
geringem Aufwand.<br />
Der dritte Regimetypus ist der des universalistischen oder sozialdemokratischen<br />
Wohlfahrtsstaates, zu dem die skandinavischen Länder (Norwegen, Schweden,<br />
Dänemark, Finnland) gehören. Diese Gruppe ist <strong>von</strong> universalistischen <strong>und</strong> stark<br />
dekommodifizierenden sozialen individuellen Rechten gekennzeichnet. Es existieren<br />
hohe Lohnersatzleistungen, zu denen jeder Zugang hat. Gleichheit auf hohem, anstatt<br />
auf minimalem Niveau wird angestrebt. Dieses Modell drängt den Markt zurück – alle<br />
sollen in gleichem Maß <strong>von</strong> den Leistungen profitieren können. Soziale Ungleichheit<br />
wird im Idealfall durch staatliches Handeln vermindert <strong>und</strong> jeder Bürger soll <strong>ein</strong>en<br />
staatlich garantierten Lebensstandard genießen können. Nicht die <strong>Familie</strong> trägt die<br />
Hauptlast der Wohlfahrtsproduktion, sondern der Wohlfahrtsstaat selbst. Er<br />
unterstützt <strong>Familie</strong>n bei der Betreuung der Kinder, übernimmt unmittelbar<br />
Verantwortung für die Pflege der Jungen, Alten <strong>und</strong> Hilflosen <strong>und</strong> bietet somit den<br />
Frauen auch die Möglichkeit, sich für die Erwerbsarbeit zu entscheiden. Zum Teil<br />
wird sogar der Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt erschwert.<br />
30
Esping-Andersens Klassifizierung wurde vor allem <strong>von</strong> feministischer Seite kritisiert,<br />
da er bei s<strong>ein</strong>er Einteilung vorwiegend aus der männlichen Perspektive heraus<br />
argumentiert. Es wird außer Acht gelassen, dass Kommodifizierung bzw.<br />
Dekommodifizierung geschlechtsspezifisch sehr verschieden wirken. Der Fokus auf<br />
Dekommodifizierung als dem wichtigsten Unterscheidungskriterium der<br />
Wohlfahrtsstaatsklassifikation unterstellt <strong>ein</strong>en Grad der Arbeitsmarktintegration, der<br />
<strong>von</strong> den meisten Frauen in hochindustrialisierten Ländern noch längst nicht erreicht<br />
wurde (vgl. Meyers et al. 1999, S. 119). Dem Prozess <strong>ein</strong>er für die Frau erfolgreichen<br />
Dekommodifizierung läuft immer <strong>ein</strong>e vorgelagerte Kommodifizierung voraus. In<br />
modernen Wohlfahrtsstaaten aber sind die Chancen <strong>ein</strong>zelner Personen oder<br />
Personengruppen auf Kommodifizierung alles andere als gleich – so hält die<br />
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung Frauen häufiger vom Arbeitsmarkt fern <strong>und</strong><br />
reduziert sie vorwiegend auf unbezahlte Arbeit in der <strong>Familie</strong> (vgl. Lessenich, Ostner<br />
1995, S. 784). Eine Person muss jedoch kommodifiziert, das heißt in den<br />
Arbeitsmarkt integriert s<strong>ein</strong>, bevor sie <strong>von</strong> Dekommodifizierung profitieren kann.<br />
<strong>Vergleich</strong>ende Wohlfahrtsstaatsforschung sollte demnach das Ausmaß, in dem die<br />
<strong>ein</strong>zelnen Länder Frauenerwerbstätigkeit, beziehungsweise <strong>ein</strong>en<br />
geschlechtergerechten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen <strong>und</strong> forcieren,<br />
berücksichtigen. Konzentriert man sich folglich auf die Überlegung, in welchem<br />
Umfang der Staat traditionelle <strong>Familie</strong>nleitbilder aufrechterhält beziehungsweise<br />
versucht, diese zu ändern (vor allem in Bezug auf Arbeitsteilung), indem man zum<br />
Beispiel Steuersysteme, Versicherungssysteme, Kinderbetreuungsarrangements <strong>und</strong><br />
das Arbeitsmarktverhalten verheirateter Frauen betrachtet, wird deutlich, dass Esping-<br />
Andersens Klassifikation der Wohlfahrtsstaaten so nicht mehr gilt (vgl. Lewis 1993,<br />
S. 15). International vergleichende Untersuchungen zeigen erhebliche Unterschiede<br />
innerhalb der <strong>von</strong> ihm identifizierten Ländergruppen (Langan, Ostner 1991; Lewis<br />
1993; Anttonen, Sipilä 1996; Meyers, Gornick, Ross 1997, 1998 1999; Gornick,<br />
Jacobs 1998; Sainsbury 1999). Vor allem die Gruppe der konservativen<br />
Wohlfahrtsstaaten stellt sich als sehr heterogen dar.<br />
Auf <strong>ein</strong>ige dieser Studien <strong>und</strong> die sie begleitenden theoretischen Überlegungen soll<br />
nun <strong>ein</strong>gegangen werden.<br />
31
2.3.2 Der Wohlfahrtsstaat aus feministischer Perspektive – international<br />
vergleichende Untersuchungen mit dem Schwerpunkt Deutschland-Frankreich<br />
In den letzten Jahren hat sich <strong>ein</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> AutorInnen mit dem Thema des<br />
Wohlfahrtsstaatsvergleiches unter dem Blickpunkt der Verfügbarkeit sozialer Dienste<br />
aber auch dem Vorhandens<strong>ein</strong> geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung befasst. Eine<br />
Auswahl der wichtigsten Ansätze soll hier kurz vorgestellt werden.<br />
Langan <strong>und</strong> Ostner (1991) konzentrierten sich in ihrer Arbeit auf die Frage, wie der<br />
Sozialstaat <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>e Sozialpolitik Geschlechterverhältnisse reguliert. Im Gegensatz<br />
zu Esping-Andersen, der Sozialpolitik in Bezug auf die Dekommodifizierung s<strong>ein</strong>er<br />
Mitglieder diskutiert, wird hier der Wohlfahrtsstaat unter dem Blickpunkt sowohl der<br />
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung als auch der Arbeitsteilung <strong>zwischen</strong> Frauen<br />
beurteilt. Neben dem Geschlechteraspekt werden auch die inneren Widersprüche in<br />
den <strong>ein</strong>zelnen Regimen thematisiert.<br />
Die konservativen Wohlfahrtsstaaten, wie Deutschland <strong>und</strong> Frankreich, sind durch<br />
das Prinzip der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung charakterisiert. Häufig wird<br />
hier <strong>ein</strong> Partner dauerhaft für familiale Betreuungsarbeit freigesetzt, während der<br />
andere für diesen <strong>und</strong> die anderen <strong>Familie</strong>nangehörigen das Erwerbs<strong>ein</strong>kommen<br />
erzielt <strong>und</strong> entsprechend sozial abgesichert ist (vgl. Langan, Ostner 1991, S. 310). Der<br />
Ehemann ist der Ernährer <strong>und</strong> Haushaltsvorstand. Die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Familie</strong> wird in Deutschland durch die spezielle Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Steuerpolitik<br />
erschwert. Vor allem Ein-Verdiener-Ehepaare werden gefördert<br />
(Ehegattensplitting 10 ). Aber auch die erwerbsbezogene <strong>Familie</strong>nsicherung, die sich<br />
vor allem an den männlichen erwerbstätigen Haushaltsvorstand wendet <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>e<br />
Frau über ihn mit absichert, bietet Anreize zur Aufteilung der Arbeit unter den<br />
Geschlechtern (vgl. ebd., S. 311).<br />
10 Unter dem Begriff Ehegattensplitting versteht man die gem<strong>ein</strong>same Versteuerung des Einkommens<br />
unter Eheleuten. Zur Ermittlung der gem<strong>ein</strong>samen Steuerschuld wird das Einkommen halbiert <strong>und</strong> die<br />
sich beim halbierten Einkommen ergebende Steuer verdoppelt. Diese Berechnung führt dazu, dass sich<br />
bei großen Einkommensdifferenzen die Progression des Tarifs vermindert. Je weiter die Einkommen<br />
aus<strong>ein</strong>ander liegen (oder <strong>ein</strong> All<strong>ein</strong>verdiener im Haushalt vorhanden ist), desto größer ist der<br />
Splittingvorteil. Verheiratete All<strong>ein</strong>verdiener (in der Regel männliche) zahlen deutlich weniger Steuern<br />
als Ledige. Außerdem ist die Abgabenlast für verheiratete Paare am größten, wenn beide Partner<br />
gleichviel verdienen (vgl. Dingeldey 2000 a , S. 15).<br />
32
Diese geschlechtsspezifische Sozialpolitik behandelt Frauen in der Regel nur als<br />
diskontinuierlich Erwerbstätige, die hauptsächlich durch ihre Rollen als Ehefrau <strong>und</strong><br />
Mutter abgesichert sind. Seit jeher besteht auch <strong>zwischen</strong> Frauen <strong>ein</strong>e Arbeitsteilung,<br />
in <strong>ein</strong>er Art dass sich Mütter unter<strong>ein</strong>ander helfen oder die Großmutter hilft, die<br />
Kinder mit zu betreuen (vgl. ebd., S. 312). In Deutschland, so Langan <strong>und</strong> Ostner,<br />
wird - wenn überhaupt - die sequentielle <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong><br />
gefördert, anstatt die simultane wie in den skandinavischen Ländern, aber auch in<br />
Frankreich (vgl. ebd., S. 311). Hier stoßen die Autorinnen auf <strong>ein</strong>en Unterschied<br />
<strong>zwischen</strong> Ländern innerhalb des konservativen Regimes – Frankreich begründet<br />
durchaus <strong>ein</strong> Regime der eigenen Art. Da Frankreich historisch bedingt stark<br />
agrarisch geprägt war, mussten Frauen <strong>von</strong> jeher nicht nur der Rolle der Hausfrau <strong>und</strong><br />
Mutter, sondern auch der der Arbeiterin gerecht werden. Aber auch der frühe<br />
Geburtenrückgang lange vor dem Anfang des Zweiten Weltkrieges <strong>und</strong> die<br />
zunehmende Kinderlosigkeit vor allem der bürgerlichen Schicht forcierten <strong>ein</strong>e<br />
Politik, die es Frauen erleichtern sollte, <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> ver<strong>ein</strong>baren zu können<br />
(vgl. ebd., S. 313). Trotz dieses Unterschiedes vor allem zu Deutschland, machen<br />
Langan <strong>und</strong> Ostner auch in Frankreich den Mann als <strong>Familie</strong>noberhaupt aus.<br />
Außerdem weisen sie darauf hin, dass Lohnungleichheit <strong>zwischen</strong> Frau <strong>und</strong> Mann<br />
auch in Frankreich noch existiert <strong>und</strong> all<strong>ein</strong> deshalb <strong>ein</strong>e <strong>Familie</strong>nbildung mit dem<br />
ebenfalls erwerbstätigen Ehemann als Unterstützer nötig ist (vgl. ebd., S. 314).<br />
Auch Lessenich <strong>und</strong> Ostner (1995) versuchen, die vergleichende<br />
Wohlfahrtsstaatsforschung um die Kategorie der <strong>Familie</strong> beziehungsweise des<br />
Haushalts zu erweitern. Hierbei konzentrieren sie sich auf die Unterschiede <strong>zwischen</strong><br />
Deutschland <strong>und</strong> Frankreich, die zwar beide als „konservativ“ charakterisiert werden,<br />
trotzdem aber erhebliche Unterschiede zu<strong>ein</strong>ander aufweisen. Der Fokus liegt auf der<br />
Unterscheidung <strong>von</strong> kulturellen Faktoren <strong>und</strong> deren institutionellen Normierungen.<br />
Obwohl beide Länder <strong>ein</strong> sozialkatholisches Erbe 11 teilen, das bestimmte gem<strong>ein</strong>same<br />
normative Ordnungsvorstellungen <strong>und</strong> institutionelle Ausprägungen hervorbrachte,<br />
gibt es charakteristische Unterschiede <strong>zwischen</strong> den Wohlfahrtsstaaten. Diese wären,<br />
würde man nur Esping-Andersens Logik der Dekommodifizierung folgen, kaum<br />
aus<strong>ein</strong>anderzuhalten (vgl. Lessenich, Ostner 1995, S. 787). So sind Sozialleistungen<br />
11<br />
In Deutschland ist dies vorwiegend der (dominante) Süden, während der Norden überwiegend<br />
evangelisch geprägt ist.<br />
33
<strong>ein</strong> traditioneller Bestandteil französischer Löhne 12 , wobei die Sorge um das<br />
Wohlergehen der <strong>Familie</strong> im Vordergr<strong>und</strong> steht, indem man sich bemüht, <strong>ein</strong>en<br />
ausreichenden Lohn für sie zu garantieren. Weiterhin wurde <strong>Familie</strong>npolitik in<br />
Frankreich lange Zeit pronatalistisch betrieben; das Ziel war es, den als dramatisch<br />
empf<strong>und</strong>enen Geburtenrückgang aufzuhalten. Sozialpolitik in Deutschland<br />
konzentrierte sich seit der Sozialgesetzgebung der 1880er Jahre auf die Verbesserung<br />
der Lage der Arbeitnehmer, weniger auf die der <strong>Familie</strong>n. So wurde der Lebenslauf<br />
des „normalen“ Lohnabhängigen geformt, der auf dem Arbeitsmarkt gegen Risiken<br />
abzusichern war <strong>und</strong> die Einbußen s<strong>ein</strong>er Partnerin an Erwerbs<strong>ein</strong>kommen <strong>und</strong><br />
sozialer Sicherung aufzufangen hatte (vgl. ebd., S. 789ff.).<br />
Diese Hintergründe führten mit zu den Differenzierungen <strong>zwischen</strong> Deutschland <strong>und</strong><br />
Frankreich. So sind die meisten Französinnen erwerbstätig <strong>und</strong> arbeiten Vollzeit,<br />
während viele deutsche Frauen den Arbeitsmarkt mit der Geburt des ersten Kindes<br />
verlassen <strong>und</strong> erst nach <strong>ein</strong>iger Zeit, oftmals auf Teilzeitbasis, wieder zurückkehren.<br />
Frauen in Frankreich werden gleichermaßen als Mütter <strong>und</strong> erwerbstätige<br />
<strong>Familie</strong>nmitglieder behandelt, ungeachtet des Rahmens der <strong>Familie</strong>nform, denn<br />
nichteheliche <strong>und</strong> eheliche Lebensformen sind seit 1989 gleichgestellt (vgl. ebd., S.<br />
792). Nicht die Form der <strong>Familie</strong> (wie zum Beispiel die Ehezentrierung deutscher<br />
Sozialpolitik), sondern das Wohl des Kindes steht im Mittelpunkt sozialpolitischer<br />
<strong>und</strong> familienpolitischer Bemühungen. Daraus folgt jedoch auch, dass nicht die<br />
Gleichstellung <strong>von</strong> Mann <strong>und</strong> Frau als Individuen, sondern die <strong>von</strong> Mutter <strong>und</strong> Vater<br />
als Eltern im Blickpunkt staatlicher Interventionen steht. Trotz der höheren<br />
Frauenerwerbstätigkeit in Frankreich sind auch dort Frauen in erster Linie<br />
„<strong>Familie</strong>nmütter“, das heißt, auch dort sind sie nicht dem Mann in <strong>Familie</strong>, Markt <strong>und</strong><br />
Staat gleichgestellte Individuen (vgl. ebd., S. 795).<br />
Lessenich <strong>und</strong> Ostner machen als Hauptunterschied die verschiedene Auslegung des<br />
sozialkatholischen Prinzips aus, dass alle <strong>Familie</strong>nmitglieder zum gem<strong>ein</strong>schaftlichen<br />
Wohlergehen beitragen. Während in Frankreich dies jedoch bedeutet, dass alle, wenn<br />
auch in unterschiedlichem Maße, zum Wohle der <strong>Familie</strong> erwerbstätig sind, dann<br />
heißt das für Deutschland, dass <strong>ein</strong>er (der sogenannte Ernährervater) für alle anderen<br />
<strong>Familie</strong>nmitglieder (der häuslichen Mutter <strong>und</strong> der Kinder) erwerbstätig ist (vgl. ebd.,<br />
S. 797). Im Laufe der letzten Jahre sind allerdings Annäherungen zu beobachten,<br />
12<br />
Sozialleistungen wurden traditionell solidarisch <strong>von</strong> Unternehmern <strong>und</strong> Lohnabhängigen aufgebracht<br />
(vgl. Lessenich, Ostner 1995, S. 789).<br />
34
wobei der deutsche eher den französischen Weg <strong>ein</strong>zuschlagen sch<strong>ein</strong>t, als<br />
umgekehrt.<br />
Gornick, Meyers <strong>und</strong> Ross (1997, 1998) sowie Meyers, Gornick <strong>und</strong> Ross (1999)<br />
diskutieren in ihren Arbeiten, wie familienpolitische Sichtweisen <strong>und</strong> Maßnahmen die<br />
Erwerbstätigkeit <strong>von</strong> Müttern be<strong>ein</strong>flussen <strong>und</strong> wie durch sie die Beziehungen<br />
<strong>zwischen</strong> Staat, Markt <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> gestaltet werden. Verschiedene Indikatoren<br />
werden als Maß der Integration <strong>von</strong> Müttern in den Arbeitsmarkt aufgestellt <strong>und</strong> dann<br />
international vergleichend diskutiert. Ein Hauptaugenmerk liegt hierbei auf den<br />
Möglichkeiten der Kinderbetreuung, da die Kosten <strong>von</strong> Kinderbetreuung auch als <strong>ein</strong>e<br />
Art „Steuer“ auf das Einkommen der Mütter zu verstehen sind (vgl. Meyers, Gornick,<br />
Ross 1999, S. 121). Ein Anstieg dieser Kosten würde den gleichen Effekt wie<br />
sinkende Löhne haben <strong>und</strong> damit - siehe die Argumentation der ökonomischen<br />
Theorie - Erwerbstätigkeit unattraktiver machen. Gut ausgebaute <strong>und</strong> günstige<br />
Kindertagesstätten sollten demnach die Integration der Mütter in den Arbeitsmarkt<br />
fördern.<br />
Ein weiterer Faktor ist der Mutterschafts- oder Erziehungsurlaub. Hier sind die<br />
empirischen Studien zwar unschlüssig über den Effekt dieser Maßnahmen, es wird<br />
jedoch angenommen, dass kurzfristig die Arbeitsmarktintegration gefördert wird. Vor<br />
allem durch den Kündigungsschutz vor <strong>und</strong> nach der Schwangerschaft werden Frauen<br />
davor bewahrt, ihre Erwerbstätigkeit zu verlieren. Die langfristigen Wirkungen <strong>von</strong><br />
Erziehungsurlaub sind nicht <strong>ein</strong>deutig <strong>und</strong> es bedarf weiterer Forschung auf diesem<br />
Gebiet (vgl. ebd., S. 122).<br />
Die Autorinnen untersuchten 14 Länder in der Periode <strong>zwischen</strong> 1985 <strong>und</strong> 1987. Es<br />
wurden Ländermuster entdeckt, die sich <strong>von</strong> den Wohlfahrtsregimen Esping-<br />
Andersens in verschiedenen Aspekten unterschieden. Konzentriert man sich auf<br />
familienpolitische Maßnahmen, die auf die Erwerbstätigkeit der Frau <strong>ein</strong>en Einfluss<br />
haben, entdeckt man innerhalb der Ländergruppen Unterschiede. So fällt Norwegen<br />
aus der Gruppe der sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten heraus, da <strong>ein</strong>e<br />
Betreuung <strong>von</strong> Kl<strong>ein</strong>kindern <strong>und</strong> Kindern im Vorschulalter nur begrenzt zur<br />
Verfügung steht. Die anderen nordeuropäischen Länder wie Finnland, Dänemark <strong>und</strong><br />
Schweden formen zusammen mit Belgien <strong>und</strong> Frankreich <strong>ein</strong>e Gruppe <strong>von</strong><br />
Wohlfahrtsstaaten, die <strong>ein</strong>e universelle Bereitstellung des Erziehungsurlaubes<br />
anbieten, mit vollem oder annähernd vollem Ersatz des Einkommens sowie <strong>ein</strong>er<br />
35
Versorgung mit öffentlicher Kinderbetreuung für die Hälfte der Kl<strong>ein</strong>kinder <strong>und</strong> fast<br />
allen Kinder im Vorschulalter (vgl. ebd., S. 128). Diese Länder ermöglichen es<br />
Frauen mit kl<strong>ein</strong>en Kindern, <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> besser zu ver<strong>ein</strong>baren.<br />
Eine zweite Gruppe <strong>von</strong> Ländern, unter ihnen die meisten kontinentaleuropäischen<br />
Länder (auch Deutschland) sowie Kanada <strong>und</strong> Norwegen, stellen begrenztere<br />
Unterstützungen für Frauen mit Kindern zur Verfügung. Regelungen zum<br />
Erziehungsurlaub sind zwar großzügig, aber Möglichkeiten zur Kinderbetreuung, vor<br />
allem für Kinder unter drei Jahren, nicht gut ausgebaut.<br />
In den liberalen Ländern, mit Ausnahme Kanadas, sind erwerbsunterstützende<br />
Maßnahmen am geringsten entwickelt – gering bezahlter <strong>und</strong> kurzer<br />
Erziehungsurlaub sowie stark beschränkte Möglichkeiten zur öffentlichen<br />
Kinderbetreuung sind hier die charakteristischen Merkmale (vgl. ebd., S. 137).<br />
Anhand dieser Analysen schlussfolgern die Autorinnen, dass die Einteilung Esping-<br />
Andersens neu überdacht werden muss. So repräsentieren zum Beispiel Deutschland<br />
<strong>und</strong> Frankreich zwei Länder, die laut Esping-Andersen in das Regime der<br />
konservativen Wohlfahrtsstaaten <strong>ein</strong>zuordnen sind, die sich jedoch bezüglich der<br />
Bereitstellung <strong>von</strong> unterstützenden Maßnahmen für Mütter stark unterscheiden.<br />
Bezieht man also den Umgang der Staaten mit dem Problemkomplex<br />
Hausarbeit/Kindererziehung <strong>und</strong> Arbeitsmarktintegration <strong>von</strong> Frauen mit in die<br />
Analyse <strong>von</strong> Wohlfahrtsstaaten hin<strong>ein</strong>, offenbaren sich vorher nicht zu erkennende<br />
Unterschiede <strong>zwischen</strong> den Ländern.<br />
Anttonen <strong>und</strong> Sipilä (1996) stellen sich die Frage, inwieweit die Einbeziehung sozialer<br />
Dienste in die Analyse, die Ergebnisse vergleichender Wohlfahrtsstaatsforschung<br />
verändern. Soziale Dienste sind laut den Autorinnen Dienste, die darauf hin zielen,<br />
die individuelle Autonomie, vorwiegend die <strong>von</strong> Frauen, zu stärken. Diese<br />
Dienstleistungen werden vom Staat kontrolliert <strong>und</strong> subventioniert <strong>und</strong> stehen<br />
idealerweise universell allen Bürgern zur Verfügung (vgl. Anttonen, Sipilä 1996, S.<br />
90).<br />
Anttonen <strong>und</strong> Sipilä untersuchten die Verfügbarkeit zweier sozialer Dienste Ende der<br />
80er Jahre in 14 europäischen Ländern: Betreuung für ältere Menschen <strong>und</strong><br />
Betreuung für Kinder. Staatliche Betreuungs<strong>ein</strong>richtungen „befreien“ Frauen zum<br />
Teil <strong>von</strong> den ihnen zugeteilten familiären „Verpflichtungen“ – sie reduzieren somit<br />
ihre Abhängigkeit vom männlichen Ernährer. Weibliche Lohnarbeit ist demnach <strong>ein</strong><br />
36
wichtiger Indikator für private Autonomie. Frauen müssen sich demzufolge erst<br />
kommodifizieren, um danach auch <strong>von</strong> den dekommodifizierenden Effekten<br />
sozialpolitischer Maßnahmen profitieren zu können (vgl. ebd., S. 93). Betrachtet man<br />
beispielsweise die Erwerbsquoten <strong>von</strong> Müttern in Frankreich oder Belgien, im<br />
<strong>Vergleich</strong> zu Deutschland oder den Niederlanden, erkennt man starke Unterschiede.<br />
Frankreich mit s<strong>ein</strong>en stark ausgebauten Betreuungs<strong>ein</strong>richtungen für Kinder hat <strong>ein</strong>e<br />
Quote <strong>von</strong> 64 Prozent, während in Deutschland nur ca. 40 Prozent der Mütter im<br />
Arbeitsmarkt sind (vgl. ebd., S. 93f.). Berücksichtigt man alle Frauen, nicht nur die<br />
Mütter, ist jedoch k<strong>ein</strong> Unterschied mehr zu erkennen. Anttonen <strong>und</strong> Sipilä erklären<br />
dies mit der hohen Korrelation <strong>zwischen</strong> Dienstleistungen für Ältere <strong>und</strong> weiblicher<br />
Lohnarbeit. Da in beiden Ländern staatliche Dienstleistungen für ältere Menschen<br />
nicht sehr ausgeprägt sind, kümmern sich hauptsächlich die Frauen um<br />
pflegebedürftige <strong>Familie</strong>nmitglieder <strong>und</strong> werden so <strong>von</strong> der Erwerbsarbeit<br />
ausgeschlossen.<br />
Auch diese beiden Autorinnen erkennen bestimmte Muster, die es gerechtfertigt<br />
ersch<strong>ein</strong>en lassen, die untersuchten Länder in Gruppen <strong>ein</strong>zuteilen. Zum <strong>ein</strong>en wären<br />
da die skandinavischen Länder mit gut ausgebauten Dienstleistungen für Kinder <strong>und</strong><br />
Ältere sowie hohen weiblichen Erwerbsquoten. Zweitens gibt es die Gruppe der<br />
südeuropäischen Länder mit Portugal, Spanien, Griechenland <strong>und</strong> Italien, die <strong>von</strong><br />
<strong>ein</strong>em sehr begrenzten Angebot gekennzeichnet sind. Die anderen Modelle sind<br />
weniger klar abgegrenzt. Das britische Modell des Bedürftigkeitsnachweises<br />
unterstützt hauptsächlich <strong>Familie</strong>n mit wirtschaftlichen Problemen. Von den anderen<br />
wird erwartet, dass sie sich an den Markt wenden, um soziale Dienstleistungen zu<br />
bekommen. Im Falle der Betreuung älterer Menschen bilden die zentraleuropäischen<br />
Länder, typischerweise die Niederlande, Deutschland, Belgien <strong>und</strong> Frankreich, <strong>ein</strong>e<br />
Gruppe. Betrachtet man jedoch Einrichtungen der Kinderbetreuung, fallen Frankreich<br />
<strong>und</strong> Belgien aus dieser Gruppe heraus. Deren Kindertagesstätten <strong>und</strong><br />
Vorschul<strong>ein</strong>richtungen gehören zu den umfangreichsten in Westeuropa. Auch hier<br />
wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Hauptrolle dieser Dienstleistungen nicht die<br />
Förderung der Autonomie der Frau ist, sondern die Unterstützung der <strong>Familie</strong>n mit<br />
Kindern (vgl. ebd., S. 96f.).<br />
37
2.3.3 Familialismus <strong>und</strong> De-Familialisierung – die Antwort Esping-Andersen auf die<br />
feministische Kritik<br />
Als Reaktion auf die Kritik an s<strong>ein</strong>er Argumentation, die angeblich eher die<br />
männliche Perspektive <strong>und</strong> den Grad der Kommodifizierung bzw.<br />
Dekommodifizierung aus der Sichtweise des männlichen Erwerbstätigen betonte,<br />
entwickelte Esping-Andersen in s<strong>ein</strong>em Buch „Social Fo<strong>und</strong>ations of Postindustrial<br />
Societies“ (1999) <strong>ein</strong>en neuen Ansatz. Er basiert zwar auf s<strong>ein</strong>er vorherigen Arbeit,<br />
berücksichtigt aber das Ausmaß, in dem <strong>Familie</strong>n soziale Risiken absorbieren, also<br />
der hauptsächliche Ort der Wohlfahrtsproduktion <strong>und</strong> –absicherung sind.<br />
„Defamilialisierung“ bedeutet demnach, dass der Markt oder der Staat durch<br />
bestimmte Angebote solche Aufgaben, die vormals in der <strong>Familie</strong> erbracht wurden,<br />
übernimmt. Familialistische Systeme hingegen betrachten die <strong>Familie</strong> als die<br />
prinzipiell Verantwortlichen für die Wohlfahrt ihrer Mitglieder <strong>und</strong> gehen meistens<br />
<strong>ein</strong>her mit <strong>ein</strong>er passiven <strong>Familie</strong>npolitik, wie zum Beispiel in den südeuropäischen<br />
Ländern Italien <strong>und</strong> Spanien (vgl. Esping-Andersen 1999, S. 51). Defamilialisierung<br />
ist laut Esping-Andersen <strong>ein</strong>e Gr<strong>und</strong>voraussetzung für Frauen, um kommodifiziert zu<br />
s<strong>ein</strong>, d.h. in den Arbeitsmarkt integriert zu s<strong>ein</strong>. Damit geht er auf <strong>ein</strong>en wichtigen<br />
Kritikpunkt <strong>ein</strong>, der ihm <strong>von</strong> feministischer Seite her gemacht wurde.<br />
Defamilialisierte Staaten unterstützen <strong>Familie</strong>n mit verschiedenen Dienstleistungen,<br />
zum Beispiel durch gut entwickelte Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen,<br />
kinderfre<strong>und</strong>liche Wohngegenden oder Haushaltshilfen für die Betreuung älterer<br />
Personen. So sind nach Esping-Andersen die <strong>ein</strong>zigen Länder, die sich wirklich <strong>ein</strong>er<br />
Defamilialisierung der Belastung durch den Haushalt verschrieben haben, Dänemark<br />
<strong>und</strong> Schweden (seit den 60er Jahren) sowie Norwegen, Finnland, Belgien <strong>und</strong><br />
Frankreich (seit den 70er Jahren) (vgl. ebd., S. 55).<br />
Anstatt des Staates kann natürlich auch der Markt defamilialisierende Wirkungen<br />
ausüben. In Europa kosten diese Dienstleistungen, wie zum Beispiel Haushaltshilfen<br />
oder Kindermädchen, jedoch relativ viel Geld. Das bedeutet, dass <strong>Familie</strong>n auf interne<br />
Dienstleistungen, also <strong>zwischen</strong> den eigenen Mitgliedern, angewiesen sind. Nur dort,<br />
wo diese Dienste kostengünstiger sind, kann der Markt mit zur Defamilialisierung<br />
beitragen (zum Beispiel in den USA).<br />
Inwieweit fangen Wohlfahrtsstaaten nun die familiären Belastungen auf?<br />
38
Zum <strong>ein</strong>en natürlich durch staatliche Unterstützung an sich. Esping-Andersen macht<br />
vier Arten <strong>von</strong> Indikatoren aus, die dies am besten beschreiben: die allgem<strong>ein</strong>e<br />
Dienstleistungsverpflichtung des Staates, allgem<strong>ein</strong>e Unterstützungen für <strong>Familie</strong>n,<br />
die Verbreitung öffentlicher Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen <strong>und</strong> Hilfsangebote für<br />
Ältere (vgl. ebd., S. 61). Zum anderen durch <strong>ein</strong> komplexes System <strong>von</strong><br />
Fördermitteln, aber auch durch „Bestrafungen“ wie zum Beispiel durch<br />
Steuersysteme. Die Mehrheit der kontinentaleuropäischen Länder benachteiligt Zwei-<br />
Verdiener-<strong>Familie</strong>n, nur Frankreich <strong>und</strong> Belgien bilden laut Esping-Andersen <strong>ein</strong>e<br />
Ausnahme 13 .<br />
Zu kritisieren an dem Konzept des Familialismus <strong>und</strong> der Defamilialisierung ist, dass<br />
die Betonung auf die <strong>Familie</strong> als Hauptträgerin der Betreuungslasten gelegt wurde.<br />
Letztlich sind es jedoch vorwiegend die Frauen, die besonders stark belastet werden.<br />
Außerdem setzt Esping-Andersen weibliche Arbeitsmarktintegration mit<br />
Emanzipation <strong>und</strong> individueller Autonomie der Frauen gleich. Demnach wären die<br />
Arbeiterfrauen des frühen zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts Vorreiterinnen der Emanzipation<br />
(im Sinne <strong>ein</strong>er geschlechterneutralen Arbeitsteilung) gewesen, was mit dem<br />
Hintergr<strong>und</strong> der extremen Doppelbelastung während dieser Zeit so nicht zutrifft.<br />
Hohe weibliche Erwerbsquoten all<strong>ein</strong> bedeuten nicht, dass die Frauen <strong>von</strong> ihren<br />
Verpflichtungen befreit worden sind. Erst <strong>ein</strong>e gerechte innerfamiliäre Arbeitsteilung<br />
<strong>und</strong> die Gleichstellung der Frau im öffentlichen Leben können mit dazu beitragen.<br />
2.4 Diskussion<br />
In den letzten Jahrzehnten kam es zu demografischen Veränderungen, die fast alle<br />
Länder Europas betrafen: sinkende Geburtenzahlen, <strong>ein</strong> ansteigendes Alter bei der<br />
Geburt <strong>von</strong> Kindern, weniger Heiraten, höhere Scheidungsraten sowie <strong>ein</strong> Anstieg<br />
nichtehelicher Partnerschaften <strong>und</strong> Geburten 14 . Begleitet <strong>und</strong> teilweise ausgelöst<br />
13 Das französische Steuersystem basiert auf dem <strong>Familie</strong>nsplittingsystem, d.h. die Zahl der Kinder<br />
wird mit<strong>ein</strong>bezogen. Leben Kinder im Haushalt, werden unabhängig <strong>von</strong> der Erwerbssituation der<br />
Ehefrau Steuererleichterungen gewährt. Allerdings wirkt bei kinderlosen Paaren das <strong>Familie</strong>nsplitting<br />
ebenso wie das Ehegattensplitting in Deutschland: Ein-Verdiener-Haushalte werden bevorzugt. Nur in<br />
<strong>ein</strong>em Haushalt mit Kindern verringert sich die Steuerlast der Zweiverdiener in Relation zur<br />
Kinderzahl (vgl. Dingeldey 2000 b , S. 76).<br />
14 Es gab natürlich auch noch andere demografische Veränderungen, wie zum Beispiel die Zunahme<br />
der älteren Bevölkerung. Auch dies hat Auswirkungen auf die Frauenerwerbstätigkeit, da zum Beispiel<br />
pflegebedürftige Eltern oft im Haushalt der Tochter betreut werden – auch hier sind es also<br />
hauptsächlich die Frauen, die ihre Erwerbsarbeit aufgeben, um sich um <strong>Familie</strong>nmitglieder zu<br />
kümmern.<br />
39
wurden diese Entwicklungen durch sozioökonomische Veränderungen, die vor allem<br />
die Rolle der Frau in der Gesellschaft betrafen. Verlängerte Ausbildungszeiten,<br />
qualifiziertere Ausbildungen <strong>und</strong> die Möglichkeit, durch sichere Kontrazeptiva die<br />
<strong>Familie</strong>ngröße zu planen, waren wichtige Gründe für die oben erwähnten<br />
Veränderungen. Frauen war somit erstmals die Möglichkeit gegeben, ihre<br />
Bildungschancen in verbesserte <strong>Beruf</strong>s- <strong>und</strong> Arbeitschancen umzusetzen, ihre eigene<br />
Fertilität zu bestimmen <strong>und</strong> sich aus ihrer Rolle als abhängige Ehefrau <strong>und</strong> Mutter der<br />
Kinder zu lösen. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen stieg in fast allen Ländern stark<br />
an, in manchen mehr, in manchen weniger. Die allgem<strong>ein</strong>e Annahme war, dass<br />
weibliche Lohnarbeit <strong>und</strong> Fertilität negativ zusammenhängen: je höher die<br />
Frauenerwerbsquoten, desto geringer die Kinderzahlen. Als Begründung wurde<br />
postuliert, dass Individuen versuchen, ihren Nutzen zu maximieren <strong>und</strong> Kosten zu<br />
verringern. Frauen müssten sich <strong>zwischen</strong><br />
a) Zeit für das Erlangen <strong>von</strong> Erwerbs<strong>ein</strong>kommen<br />
<strong>und</strong><br />
b) Zeit, die außerhalb des Marktes verbracht wird, wie zum Beispiel<br />
Kinderbetreuung <strong>und</strong> –erziehung, entscheiden 15 .<br />
Je mehr Zeit in die Betreuung investiert würde, desto weniger Zeit bliebe übrig für die<br />
Lohnarbeit. Diese Opportunitätskosten, die Frauen bei der Entscheidung gegen<br />
Lohnarbeit zu tragen hätten, bestimmten ihre Entscheidung für oder gegen<br />
Erwerbsarbeit beziehungsweise für oder gegen die Gründung <strong>ein</strong>er <strong>Familie</strong><br />
maßgeblich. Je besser nun die Ausbildung <strong>und</strong> je höher ihr vermutliches Einkommen<br />
<strong>und</strong> der damit auch zusammenhängende Status wären, desto eher würden Frauen auf<br />
Kinder verzichten. Damit sollte der Rückgang der Kinderzahlen als auch der parallele<br />
Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit erklärt werden.<br />
In letzter Zeit wird jedoch beobachtet, dass Länder, die <strong>ein</strong>e besonders hohe<br />
Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt aufzuweisen haben, auch <strong>von</strong> relativ<br />
höheren Geburtenraten gekennzeichnet sind. So gehören zum Beispiel die<br />
skandinavischen Länder wie Schweden oder Dänemark, aber auch Frankreich dazu. In<br />
den Ländern, in denen Frauen weniger arbeiten oder es ihnen erschwert wird, den<br />
15 Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass Frauen sich für Freizeit, anstatt für Erwerbs- oder<br />
<strong>Familie</strong>nzeit entscheiden können. Zeit für sich selbst <strong>und</strong> die eigenen Interessen erlangt gerade in den<br />
letzten Jahren <strong>ein</strong>en immer höheren Stellenwert.<br />
40
Arbeitsmarkt zu betreten, reagieren diese mit <strong>ein</strong>em Aufschub der Geburten, mit<br />
weniger Geburten, aber auch mit Kinderlosigkeit. Dies trifft zum Beispiel auf<br />
Deutschland zu, aber auch die südeuropäischen Länder wie Italien oder Spanien<br />
haben sehr geringe Geburtenraten.<br />
Ursachen für diese Differenzierungen liegen darin begründet, wie Wohlfahrtsstaaten<br />
auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagiert haben <strong>und</strong> reagieren. Inwieweit<br />
ermöglichen sie beispielsweise Frauen ihre verbesserten Einkommenschancen<br />
umzusetzen, ohne deshalb gleichzeitig auf Kinder verzichten zu müssen?<br />
<strong>Familie</strong>npolitische Maßnahmen <strong>und</strong> institutionelle Rahmenbedingungen können die<br />
Beziehung <strong>zwischen</strong> den Geschlechtern be<strong>ein</strong>flussen <strong>und</strong> Frauen mehr individuelle<br />
Autonomie geben, indem geschlechtergerecht die familiären Verpflichtungen geregelt<br />
werden, auch wenn dies bis jetzt nur in <strong>ein</strong>igen wenigen Staaten passiert (vor allem in<br />
Skandinavien).<br />
<strong>Vergleich</strong>ende Wohlfahrtsstaatsforschung ermöglicht auf der Basis verschiedener<br />
Kriterien (unter anderem dem Zugang <strong>von</strong> Frauen zur Erwerbstätigkeit <strong>und</strong><br />
familienpolitischen Rahmenbedingungen), Unterschiede <strong>zwischen</strong> den <strong>ein</strong>zelnen<br />
Ländern besser zu verstehen. Der <strong>Vergleich</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>ein</strong>zelnen Ländern hilft zu<br />
begreifen, warum sich bestimmte familiale <strong>und</strong> erwerbstechnische Muster in dem<br />
<strong>ein</strong>en Land herausgebildet haben <strong>und</strong> in dem anderen, mit vielleicht ähnlichen<br />
Traditionen, nicht.<br />
Mit s<strong>ein</strong>er Einteilung der Länder in drei Regime lieferte Esping-Andersen (1990) <strong>ein</strong>e<br />
gute Gr<strong>und</strong>lage für das bessere Verständnis der Hintergründe <strong>und</strong> der bestimmten<br />
Eigenschaften <strong>ein</strong>zelner Wohlfahrtsstaaten. So kann zum Beispiel erklärt werden,<br />
warum in den meisten kontinentaleuropäischen Ländern Frauenerwerbstätigkeit eher<br />
niedrig <strong>und</strong> die Geburtenraten ebenso niedrig sind. Die Rolle des Staates als<br />
Aufrechterhalter traditioneller <strong>Familie</strong>nformen <strong>und</strong> Unterstützer sowie Absicherer der<br />
hauptsächlich männlichen Lohnarbeiter spielt dabei <strong>ein</strong>e wesentliche Rolle. Esping-<br />
Andersen konnte in s<strong>ein</strong>er Arbeit 1990 aber nicht ausreichend erklären, warum es<br />
<strong>zwischen</strong> <strong>ein</strong>zelnen Ländern innerhalb der Regime starke Unterschiede gibt. Zur<br />
Beantwortung dieser Frage ist zu klären, inwieweit der Staat Geschlechterverhältnisse<br />
reguliert <strong>und</strong> den Frauen die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtert bzw.<br />
erschwert. Denn staatliche Maßnahmen, zum Beispiel gut ausgebaute<br />
Kindertagesstätten verb<strong>und</strong>en mit großzügigen Regelungen zum Mutterschafts- <strong>und</strong><br />
Erziehungsurlaub, können den Druck vermindern, den die Betreuung <strong>und</strong> Erziehung<br />
41
<strong>von</strong> Kindern sowie die Arbeit im Haushalt allgem<strong>ein</strong> mit sich bringt. Länder, die es<br />
Frauen ermöglichen, ihren <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> die <strong>Familie</strong> mit<strong>ein</strong>ander ver<strong>ein</strong>baren zu können,<br />
sind demnach auch meistens <strong>von</strong> höheren Geburtenraten gekennzeichnet. Der Wunsch<br />
nach Kindern ist nämlich trotz der vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungen <strong>und</strong><br />
Herausforderungen nicht geringer geworden. Frauen suchen jetzt aber nach <strong>ein</strong>er<br />
Möglichkeit, ihre individuelle Autonomie <strong>und</strong> ihren Kinderwunsch mit<strong>ein</strong>ander in<br />
Einklang zu bringen. Dies kann <strong>ein</strong>erseits durch Hilfe <strong>von</strong> staatlicher Seite her<br />
passieren, aber auch durch <strong>ein</strong>e gerechtere Arbeitsteilung innerhalb des Haushalts <strong>und</strong><br />
der Gleichstellung <strong>von</strong> Frau <strong>und</strong> Mann auf dem Arbeitsmarkt sowie in anderen<br />
Bereichen des öffentlichen Lebens. Auch hier kann der Staat intervenieren <strong>und</strong><br />
unterstützend tätig werden, zum Beispiel durch gerechte Besteuerung, Gesetze gegen<br />
Diskriminierung am Arbeitsmarkt, Lohngleichheit oder aber durch Maßnahmen, die<br />
es Männern erlauben, sich mehr der <strong>Familie</strong> zu widmen (zum Beispiel<br />
Erziehungsurlaubsanspruch auch für den Vater oder neuartigen Regelungen der<br />
Arbeitszeit 16 ).<br />
Um mit den Worten Esping-Andersens zu sprechen: Familialismus ist<br />
kontraproduktiv bezüglich <strong>Familie</strong>nbildung <strong>und</strong> Arbeitsmarktintegration <strong>von</strong> Frauen.<br />
Dies bedeutet niedrige Kinderzahlen, geringere Haushalts<strong>ein</strong>kommen <strong>und</strong> auch <strong>ein</strong><br />
höheres Armutsrisiko, da heutzutage oftmals <strong>ein</strong> Verdiener nicht ausreicht, vor allem<br />
wenn mehrere Kinder vorhanden sind. Außerdem bedeutet dies auf der Makroebene<br />
<strong>ein</strong> geringeres Steueraufkommen <strong>und</strong> durch den Geburtenrückgang schwere<br />
finanzielle <strong>und</strong> versicherungstechnische Probleme für den Wohlfahrtsstaat in der<br />
Zukunft (vgl. Esping-Andersen 1999, S. 70).<br />
Im folgenden Kapitel soll nun detaillierter auf die unterschiedlichen institutionellen<br />
Rahmenbedingungen in Frankreich <strong>und</strong> Deutschland <strong>ein</strong>gegangen werden, um besser<br />
verstehen zu können, warum sich die beiden Länder bezüglich der Kinderzahlen, aber<br />
auch der <strong>Familie</strong>nformen <strong>und</strong> der Erwerbstätigkeit der Frauen unterscheiden.<br />
16 So wurde beispielsweise in Frankreich im Jahr 2000 für Betriebe über 20 Beschäftigten, ab 2003 für<br />
alle Betriebe, die 35-St<strong>und</strong>en-Woche <strong>ein</strong>geführt. Neben der Schaffung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen erzeugt die<br />
reduzierte Arbeitszeit auch mehr Zeit für Kinder <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> – für Männer <strong>und</strong> Frauen. Sechs <strong>von</strong> 10<br />
Befragten bejahten bei <strong>ein</strong>er Umfrage die Frage „Finden Sie, dass es Ihnen die 35-St<strong>und</strong>en-Woche<br />
erleichtert, <strong>Familie</strong>nleben <strong>und</strong> Erwerbsleben zu ver<strong>ein</strong>baren?“ (vgl. Fagnani 2002).<br />
42
Be<strong>ein</strong>flussen die beiden Wohlfahrtsstaaten die <strong>Familie</strong> unterschiedlich <strong>und</strong> wie zeigt<br />
sich das? Anhand bestimmter institutioneller Rahmenbedingungen <strong>und</strong><br />
familienpolitischer Maßnahmen, nämlich der Kinderbetreuung, dem Erziehungsurlaub<br />
<strong>und</strong> der monetären Unterstützung der Kindererziehung soll gezeigt werden, wie der<br />
jeweilige Staat <strong>Familie</strong>n mit Kindern <strong>und</strong> arbeitende Mütter unterstützt <strong>und</strong> es ihnen<br />
somit erleichtert oder auch erschwert wird, <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> mit<strong>ein</strong>ander zu<br />
ver<strong>ein</strong>baren.<br />
43
3. Institutionelle Rahmenbedingungen<br />
3.1 Kinderbetreuung<br />
Gerade in <strong>Familie</strong>n, in denen beide Elternteile ganztägig erwerbstätig sind oder s<strong>ein</strong><br />
wollen, spielt das Vorhandens<strong>ein</strong> institutioneller Kinderbetreuung <strong>ein</strong>e große Rolle.<br />
Mütterliche oder väterliche Kinderbetreuung kann in modernen Gesellschaften nicht<br />
mehr mit gleichzeitiger Erwerbsarbeit verb<strong>und</strong>en werden – Betreuungsaufgaben<br />
müssen an andere Personen delegiert werden. Ist diese Möglichkeit nicht gegeben,<br />
muss die Erwerbsarbeit <strong>ein</strong>geschränkt oder aufgegeben werden, um Zeit in die<br />
Betreuung der Kinder zu investieren (vgl. A. Becker 2000, S. 139). Niedrige<br />
Erwerbsquoten oder aber geringe Kinderzahlen sind die Antwort auf dieses<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong>sproblem. Infolge <strong>ein</strong>er erheblichen Ausdünnung des sozialen<br />
Unterstützungsfeldes innerhalb der <strong>Familie</strong> (soziale Netzwerke) durch <strong>ein</strong>en<br />
Rückgang der Dreigenerationenhaushalte, der abnehmenden Zahlen <strong>von</strong> Kindern in<br />
den <strong>Familie</strong>n (weniger ältere Geschwister) oder der stärkeren Erwerbstätigkeit auch<br />
der Großmütter, wird institutionelle Kinderbetreuung immer wichtiger (vgl.<br />
B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend 1995, S. 189). Neben<br />
anderen steuer- <strong>und</strong> familienpolitischen Maßnahmen, auf die später <strong>ein</strong>gegangen<br />
werden soll, ermöglichen demnach vor allem gut ausgebaute<br />
Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen den Eltern, mehr Zeit für Erwerbsarbeit zu<br />
verwenden. Vor allem Frauen profitieren da<strong>von</strong>, da sie in den meisten Fällen noch<br />
immer die Hauptverantwortlichen für die Betreuung <strong>und</strong> Erziehung der Kinder sind.<br />
Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich gibt es verschiedene Formen der<br />
institutionellen Kinderbetreuung – öffentlich oder privat finanzierte. Auf diese soll in<br />
den nächsten beiden Abschnitten näher <strong>ein</strong>gegangen werden.<br />
3.1.1 Deutschland<br />
Schon im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert gab es erste institutionelle Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen.<br />
Die katholische Kirche betreute in sogenannten „Kinderverwahranstalten“ Kinder<br />
erwerbstätiger Mütter, um dem „moralischen Verfall“ entgegenzuwirken. Ende des<br />
19. <strong>und</strong> Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts nahm der Staat erstmals Einfluss auf<br />
Kindertages<strong>ein</strong>richtungen, indem er wohltätige Ver<strong>ein</strong>e unterstützte <strong>und</strong> auch die<br />
44
Kommunen als Träger in Ersch<strong>ein</strong>ung traten. Mit der Einführung des<br />
Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes 1922 wurde die Förderung institutioneller<br />
Kinderbetreuung zur kommunalen Aufgabe erklärt, auch wurde das<br />
Subsidiaritätsprinzip festgeschrieben, welches b<strong>ein</strong>haltet, dass freie Träger gegenüber<br />
öffentlichen Trägern <strong>von</strong> den Kommunen bei der Bereitstellung des Angebots<br />
vorzuziehen seien (vgl. Kreyenfeld et al. 2002, S. 203). Der Staat sollte nur dann<br />
intervenieren, wenn die freien Träger ihren Aufgaben nicht nachkommen können.<br />
Demzufolge dominieren auch heutzutage noch Angebote der<br />
Wohlfahrtsorganisationen neben kommunalen Einrichtungen das Kinderbetreuungs-<br />
system. Durch den Fokus auf Bildungs- <strong>und</strong> Sozialisationsziele der Kindertages<strong>ein</strong>richtungen<br />
seit den 1960er Jahren, <strong>und</strong> weniger wegen der Förderung der<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong>, etablierte sich der Kindergarten – die Betreuung<br />
Drei- bis Sechsjähriger – als Halbtags<strong>ein</strong>richtung.<br />
Die Erziehung <strong>und</strong> Betreuung <strong>von</strong> Kindern in der B<strong>und</strong>esrepublik ist in erster Linie<br />
Aufgabe der <strong>Familie</strong>, der Staat sollte möglichst wenig intervenieren (vgl.<br />
B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend 1995, S. 188). Vor<br />
allem kl<strong>ein</strong>e Kinder sollten unter der Aufsicht der Mutter bleiben. So gab es zum<br />
Beispiel Anfang der 80er Jahre <strong>ein</strong>e heftige Kontroverse über mögliche negative<br />
Folgen der psychischen Entwicklung des Kindes, wenn es nicht <strong>von</strong> der Mutter<br />
betreut wird (vgl. ebd., S. 188). Krippenbetreuung - Betreuung für Kinder unter drei<br />
Jahren - ist demnach gesellschaftlich wenig akzeptiert. Dies spiegelt sich auch in den<br />
niedrigen Versorgungsquoten 17 wider: Ende 1998 konnte nur für 2,8 Prozent der unter<br />
Dreijährigen <strong>ein</strong> Platz in der Krippe zur Verfügung gestellt werden. Hinsichtlich der<br />
Bedarfsdeckung geht man jedoch <strong>von</strong> ungefähr 20 Prozent aus (vgl. Sell 2002, S.<br />
149). Für Kinder im Alter <strong>zwischen</strong> drei <strong>und</strong> sechs Jahren ist zwar <strong>ein</strong>e<br />
flächendeckende Versorgung gewährleistet – die Versorgungsquote liegt bei<br />
annähernd 100 Prozent - das Problem ist aber die mangelnde Ganztagsbetreuung. Nur<br />
<strong>ein</strong> Fünftel aller Kindergartenplätze ist ganztägig verfügbar (vgl. Hank et al. 2003, S.<br />
8). Auch der 1996 in Kraft getretene Rechtsanspruch auf <strong>ein</strong>en Kindergartenplatz (§<br />
24a KJHG) hat daran nicht viel geändert, denn dieser Anspruch bezieht sich nur auf<br />
<strong>ein</strong>e vier- bzw. maximal fünfstündige Betreuung ohne Mittagessen (vgl. Sell 2002, S.<br />
149). Dies ist jedoch nicht <strong>ein</strong>mal ausreichend, um <strong>ein</strong>er Teilzeiterwerbsarbeit<br />
17 Versorgungsquote: Plätze pro Kinder der jeweiligen Altersgruppe.<br />
45
nachgehen zu können. Darüber hinaus sind auch Schulhorte oder Ganztagsschulen<br />
<strong>ein</strong>e Ausnahme. Der Unterricht in der Gr<strong>und</strong>schule findet nur vormittags statt, Horte<br />
betreuen die Kinder am Nachmittag. Die Versorgungsquote ist auch hier sehr niedrig:<br />
nur sechs Prozent der Kinder werden nachmittags in <strong>ein</strong>em Hort beaufsichtigt, die<br />
anderen sind auf die Eltern oder private Initiativen angewiesen (vgl. Kreyenfeld et al.<br />
2002, S. 204).<br />
Neben den institutionellen Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen gibt es auch „private“<br />
Formen der Betreuung, so zum Beispiel die Beschäftigung <strong>ein</strong>er sogenannten<br />
„Tagesmutter“ oder die Aufsichtsfürsorge durch angestellte Personen im eigenen<br />
Haushalt („Kinderfrauen“). Diese Formen der Betreuung sind jedoch nicht sehr<br />
ausgeprägt. Durch die Art <strong>und</strong> Weise, wie Kinderbetreuung in Deutschland<br />
organisiert ist, werden private Einrichtungen oder Arrangements benachteiligt. Sie<br />
erhalten k<strong>ein</strong>e Unterstützung <strong>und</strong> kosten mehr Geld als die staatlich unterstützten<br />
Kindertagesstätten. Nur wenige Eltern sind bereit <strong>und</strong> in der Lage, diese Kosten zu<br />
tragen (vgl. Kreyenfeld, Hank 2000, S. 325). Weniger als fünf Prozent aller Eltern<br />
nutzen bezahlte Betreuungspersonen als zusätzliche Form der Betreuung (vgl. Hank et<br />
al. 2003, S. 11).<br />
Im Alltag erwerbstätiger Mütter in Deutschland nehmen nach wie vor unbezahlte<br />
Unterstützungsleistungen durch Verwandte oder Fre<strong>und</strong>e <strong>ein</strong>en wichtigen Platz <strong>ein</strong>.<br />
Trotz des Wandels familiärer Strukturen verlassen sich die Frauen im Alltag noch<br />
immer auf die <strong>Familie</strong> als die bedeutendste Unterstützungsquelle, vor allem die<br />
Großmütter spielen <strong>ein</strong>e erhebliche Rolle. Wenn diese jedoch in den nächsten Jahren<br />
immer länger erwerbstätig bleiben werden, so wird auch diese Form der Betreuung an<br />
Bedeutung verlieren (vgl. Hank et al. 2003, S. 12).<br />
Zusammenfassend ist zu sagen, dass man <strong>von</strong> <strong>ein</strong>er ausgeprägten Unterversorgung<br />
<strong>von</strong> Betreuungs<strong>ein</strong>richtungen aus der Sicht erwerbstätiger Mütter sprechen kann, vor<br />
allem was die Regelung der Öffnungszeiten <strong>und</strong> die Möglichkeit der<br />
Ganztagsbetreuung in Kinderkrippe <strong>und</strong> Kindergarten betrifft. Aber auch die<br />
nachmittägliche Betreuungssituation der Schulkinder ist kaum mit <strong>ein</strong>er<br />
Erwerbstätigkeit zu ver<strong>ein</strong>baren. Institutionelle Kinderbetreuung in Deutschland trägt<br />
nicht zu <strong>ein</strong>er besseren <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> Kindern <strong>und</strong> <strong>Beruf</strong> bei.<br />
46
3.1.2 Frankreich<br />
Der Staat in Frankreich besitzt <strong>ein</strong>e starke Legitimation, in <strong>Familie</strong>nangelegenheiten<br />
sowie in Fragen der Betreuung <strong>von</strong> Kindern <strong>ein</strong>zugreifen. Dies ist historisch bedingt.<br />
Um den Einfluss der katholischen Kirche auf <strong>Familie</strong> <strong>und</strong> Erziehung<br />
zurückzudrängen, übernahm er Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die Kontrolle über das<br />
Bildungssystem. Im Jahre 1881 etablierte sich das französische republikanische<br />
Erziehungssystem als <strong>ein</strong>e öffentliche Aufgabe (vgl. Veil 2002, S. 1). Die Kirche<br />
wurde aus dem staatlichen Schulwesen zurückgedrängt, um die Kinder zu loyalen<br />
republikanischen Bürgern zu erziehen. Kinder werden in Frankreich als „Zukunft der<br />
Nation“ (Letablier 2002, S.171) angesehen <strong>und</strong> somit ist der Staat für ihr<br />
Wohlergehen, ihre Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> ihre Bildung verantwortlich. Die<br />
Chancengleichheit der Kinder soll unterstützt werden, sie sollen nicht abhängig vom<br />
Einkommen ihrer Eltern s<strong>ein</strong>. Darin liegt <strong>ein</strong> Gr<strong>und</strong> für die staatliche Unterstützung<br />
erwerbstätiger Mütter. Ein weiterer ist begründet in den unterschiedlichen<br />
Wertevorstellungen <strong>zwischen</strong> Staat <strong>und</strong> Kirche. Die Kirche setzte sich für katholische<br />
<strong>und</strong> konservative Werte <strong>ein</strong>, der Staat vertrat jedoch die republikanischen Werte –<br />
Prinzipien der Gleichheit <strong>und</strong> Freiheit. Eine Frau soll <strong>ein</strong>er Erwerbstätigkeit<br />
nachgehen können, wenn sie dies wünscht. Damit sie aber deswegen nicht auf den<br />
Kinderwunsch verzichten muss, unterstützt sie der Staat, indem er<br />
Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt (vgl. ebd., S. 171). Aber auch<br />
pronatalistische Ziele stehen dahinter, die Nation sollte durch noch mehr Kinder<br />
gestärkt werden. Diese Zielsetzungen spielten zwar früher <strong>ein</strong>e große Rolle, heute<br />
jedoch sind sie weniger bedeutend.<br />
Die Entstehungsgeschichte der Tages<strong>ein</strong>richtungen für Kinder zeigt die frühe<br />
staatliche Intervention in schulische aber auch vorschulische Bildung. Vorschulen, die<br />
écoles maternelles, wurden schon 1881 in das allgem<strong>ein</strong>e Bildungssystem integriert.<br />
In ihr werden Kinder <strong>zwischen</strong> drei (manchmal auch schon zwei) <strong>und</strong> sechs Jahren<br />
auf die Schule vorbereitet. Die Lehrkräfte wurden schon 1921 den Primarschullehrern<br />
gleichgestellt (vgl. Oberhuemer, Ulich 1997, S. 118). Gegenwärtig besuchen fast alle<br />
Kinder dieser Altersgruppe die Vorschule, obwohl es nicht Pflicht ist. Somit ist die<br />
école maternelle zu <strong>ein</strong>er sozialen Norm geworden. Die meisten werden <strong>zwischen</strong><br />
8.30 Uhr <strong>und</strong> 16.30 Uhr betreut, <strong>ein</strong>ige Vorschulen organisieren auch darüber hinaus<br />
noch Betreuung (die sogenannte garderie). Die meisten écoles maternelles sind<br />
47
staatlich <strong>und</strong> kostenlos. Die Eltern müssen lediglich <strong>ein</strong>en kl<strong>ein</strong>en Beitrag für das<br />
Mittagessen entrichten <strong>und</strong> je nach Einkommen für die garderie (vgl. Letablier 2002,<br />
S. 172).<br />
Die Betreuung für die unter Dreijährigen ist nicht so stark ausgebaut. Kinder ab dem<br />
zweiten Lebensmonat bis zum vollendeten dritten Lebensjahr werden in Krippen, den<br />
sogenannten crèches in der Regel ganztägig betreut. Die Kosten müssen teilweise <strong>von</strong><br />
den Eltern getragen werden, die Höhe ist vom Einkommen <strong>und</strong> der Anzahl der Kinder<br />
in der <strong>Familie</strong> abhängig. 25 Prozent der Kosten können dabei steuerlich geltend<br />
gemacht werden (vgl. A. Becker 2000, S. 226f.). Die crèches sind weniger verbreitet<br />
als die Vorschulen, da <strong>ein</strong>erseits vielfältigere Möglichkeiten der Betreuung in dieser<br />
Altersgruppe bestehen <strong>und</strong> andererseits für Kinder im Alter <strong>von</strong> null bis drei Jahren<br />
auch Elternurlaub <strong>und</strong> Erziehungsgeld vorhanden sind <strong>und</strong> damit Müttern die<br />
Gelegenheit gegeben wird, zuhause zu bleiben. Neun Prozent aller Kinder in dieser<br />
Altersgruppe werden in <strong>ein</strong>er crèche betreut, 15 Prozent durch <strong>ein</strong>e staatlich<br />
anerkannte Tagesmutter, drei Prozent durch <strong>ein</strong>e eigene Kinderfrau <strong>und</strong> 25 Prozent im<br />
Rahmen informeller Betreuungsmöglichkeiten (vgl. Letablier 2002, S. 172) 18 .<br />
Neben diesen öffentlichen Dienstleistungen gibt es in Frankreich noch andere Formen<br />
der Kinderbetreuung. So existieren bezahlte häusliche Kinderbetreuungsformen, die<br />
vom Staat durch spezielle Beihilfen <strong>und</strong> Steuerermäßigungen stark bezuschusst<br />
werden. Es gibt staatlich anerkannte Tagesmütter (assistante maternelle agree -<br />
AMA), die arbeits- <strong>und</strong> sozialrechtlich abgesichert sind. Damit die daraus<br />
entstehenden Kosten für die Eltern bezahlbar bleiben, haben sie die Möglichkeit, <strong>ein</strong>e<br />
pauschale Beihilfe, AFEAMA (aide à la famille pour l’emploi d’une assistance<br />
maternelle, <strong>ein</strong>geführt 1990), zu beziehen. Ferner erhalten sie <strong>ein</strong>en finanziellen<br />
Zuschuss <strong>und</strong> Steuerermäßigungen. AFEAMA steht Doppelverdiener-Eltern zur<br />
Verfügung, die <strong>ein</strong>e anerkannte Tagesmutter für ihr Kind oder ihre Kinder unter sechs<br />
Jahren beschäftigen. Eltern können auch bei sich zuhause <strong>ein</strong>e Kinderfrau<br />
beschäftigen (nourrice), die im Haushalt mitarbeitet. Auch in diesem Fall kann<br />
staatliche Unterstützung beantragt werden, in Form der allocation de garde d’enfant à<br />
domicile (AGED) <strong>und</strong> durch Steuerermäßigungen (vgl. A. Becker 2000, S. 231f.).<br />
18 Ab 2004 will die Regierung jedoch 20.000 Krippenplätze zusätzlich <strong>ein</strong>richten <strong>und</strong> dafür 200<br />
Millionen Euro bereitstellen (vgl. www.botschaft-frankreich.de/aktuellprog/913pdf.pdf, abgerufen am<br />
16.06.2003).<br />
48
Vor allem <strong>Familie</strong>n mit <strong>ein</strong>em höheren Einkommen profitieren <strong>von</strong> dieser Lösung des<br />
Betreuungsproblems, während geringer Verdienende die kostengünstigere Variante<br />
der crèches bevorzugen beziehungsweise zuhause bleiben <strong>und</strong> die Erwerbstätigkeit<br />
aufgeben oder unterbrechen. Auf der anderen Seite wurde auch Arbeit für Frauen<br />
durch diese Maßnahmen geschaffen, wobei diese Arbeit allerdings oft gering bezahlt<br />
ist.<br />
Für Schulkinder stehen in Frankreich Ganztagsschulen zur Verfügung. Der Begriff<br />
Schule ist synonym mit Ganztagsschule, es gibt im Französischen gar k<strong>ein</strong>en anderen<br />
Ausdruck dafür (vgl. Veil 2002, S. 1). Der Unterricht beginnt um acht <strong>und</strong> endet<br />
gewöhnlich um 16.30 Uhr, unterbrochen <strong>von</strong> <strong>ein</strong>er Mittagspause <strong>zwischen</strong> zwölf <strong>und</strong><br />
14 Uhr, die <strong>von</strong> den Eltern minimal mitfinanziert wird. Anschließend können die<br />
Kinder in der Vor- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schule weiter betreut werden. Der Mittwoch ist<br />
schulfrei – <strong>ein</strong> Kompromiss der Kirche gegenüber 19 , die aus dem staatlichen<br />
Schulwesen ausgeschlossen wurde. Eltern müssen an diesem Tag für <strong>ein</strong>e<br />
anderweitige Betreuung sorgen, Teilzeit arbeiten oder die 35-St<strong>und</strong>en-Woche für<br />
<strong>ein</strong>en arbeitsfreien Mittwoch nutzen.<br />
Kinderbetreuung als <strong>ein</strong>e staatliche Aufgabe <strong>und</strong> Verantwortung ist bei den<br />
politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Akteuren stark präsent. Betreuungs<strong>ein</strong>richtungen<br />
<strong>und</strong> –formen werden vom Staat auf vielerlei Art gefördert <strong>und</strong> bezuschusst. Dies wird<br />
vor allem den Bedürfnissen arbeitender Mütter gerecht, die dadurch <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Familie</strong> <strong>ein</strong>facher mit<strong>ein</strong>ander ver<strong>ein</strong>baren können. Zusätzlich kommt dies auch dem<br />
Arbeitsmarkt zugute, indem durch Tagesmütter <strong>und</strong> Kinderfrauen mehr Arbeitsplätze<br />
geschaffen werden. Ein Gr<strong>und</strong>prinzip des französischen Modells ist das der<br />
„Wahlfreiheit“ der Mutter – sie soll selbst entscheiden, ob sie berufstätig s<strong>ein</strong> möchte,<br />
<strong>und</strong> dabei aber auch nicht auf Kinder verzichten muss, oder ob sie sich voll der<br />
<strong>Familie</strong> widmen möchte (vgl. Letablier 2002, S. 171). Denn auch dafür stellt der<br />
französische Staat Anreize zur Verfügung. Darauf soll im nächsten Abschnitt<br />
<strong>ein</strong>gegangen werden.<br />
19 Ein schulfreier Tag in der Woche sollte demnach dem Katechmusunterricht <strong>und</strong> katholischer<br />
Jugendarbeit vorbehalten s<strong>ein</strong>. Seit 1972 ist dies der Mittwoch (vgl. Veil 2002, S. 1).<br />
49
3.2 Regelungen zum Mutterschafts- <strong>und</strong> Elternurlaub<br />
Ein weiteres Maßnahmenpaket, welches die Ver<strong>ein</strong>barung <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong><br />
erleichtern soll, b<strong>ein</strong>haltet Regelungen zum Mutterschafts- <strong>und</strong> Elternurlaub. Durch<br />
den Mutterschaftsurlaub wird es Frauen ermöglicht, nach der Entbindung an ihren<br />
Arbeitsplatz zurückzukehren. Zum anderen dient er dem Schutz der Schwangeren <strong>und</strong><br />
des Neugeborenen. A. Becker (2000) führt richtig an, dass sozialpolitische<br />
Interventionen dieser Art im Sinne Esping-Andersens als dekommodifizierend zu<br />
bewerten sind. Sie ermöglichen <strong>ein</strong>en sicheren Rückzug aus der Erwerbstätigkeit <strong>und</strong><br />
können somit die Marktabhängigkeit reduzieren, da während dieser Zeit<br />
Kündigungsschutz sowie <strong>ein</strong>e Arbeitsplatzgarantie für die Frau besteht. Sie ist<br />
weiterhin in der Renten-, Kranken- <strong>und</strong> Arbeitslosenversicherung versichert <strong>und</strong> die<br />
Bezahlung während dieser Zeit sollte <strong>ein</strong>em vollen Lohnausgleich entsprechen.<br />
Sieben Mitgliedsländer der Europäischen Union sehen somit auch <strong>ein</strong> gesetzliches<br />
Mutterschaftsgeld in Höhe des vollen Arbeitsentgeltes vor, darunter fallen auch<br />
Deutschland <strong>und</strong> Frankreich (vgl. Lohkamp-Himmighofen 1999, S. 51). Elternbeziehungsweise<br />
Erziehungsurlaub 20 sollte es den Anspruchsberechtigten ebenfalls<br />
ermöglichen, ihr Gehalt <strong>und</strong> ihre Stelle beizubehalten, wenn sie sich der <strong>Familie</strong><br />
widmen 21 . Freistellungsregelungen sollten die Teilnahme am Arbeitsmarkt<br />
erleichtern, da sie fast immer <strong>ein</strong> Recht auf Rückkehr zum vorherigen oder <strong>ein</strong>em<br />
vergleichbaren Arbeitsplatz enthalten. Außerdem trägt der Elternurlaub mehr zur<br />
öffentlichen Anerkennung der elterlichen Pflichten <strong>von</strong> Beschäftigten bei. In<br />
Schweden, das bereits seit 1974 Elternurlaubsregelungen gesetzlich festgeschrieben<br />
hat, weisen Untersuchungen darauf hin, dass der Elternurlaub unter der<br />
Voraussetzung der Kombination mit weiteren Beurlaubungsregelungen <strong>und</strong> flexiblen<br />
Arbeits- sowie Betreuungsarrangements eher positive Auswirkungen auf die<br />
Erwerbsverläufe der Frauen hat (vgl. Schiersmann 1998, S. 144).<br />
20 Die Begriffe Eltern- <strong>und</strong> Erziehungsurlaub werden gleichgestellt benutzt. Während in Deutschland<br />
das Wort Erziehungsurlaub gebräuchlicher ist, wird international eher <strong>von</strong> Elternurlaub (parental<br />
leave) gesprochen.<br />
21 Die Europäische Union verabschiedete 1996 <strong>ein</strong>e Direktive, die <strong>ein</strong>en gesetzlichen Anspruch auf<br />
Elternurlaub für mindestens drei Monate nach der Geburt oder Adoption <strong>ein</strong>es Kindes vorsieht. Nach<br />
dem Elternurlaub haben die Anspruchsberechtigten <strong>ein</strong> Recht auf die Rückkehr zu ihrem Arbeitsplatz<br />
oder <strong>ein</strong>er vergleichbaren Stelle. Allerdings gibt es in dieser Richtlinie nur wenige verbindliche<br />
Anforderungen an die Mitgliedsstaaten, bestimmte Konditionen <strong>und</strong> Modalitäten des Elternurlaubs<br />
können national geregelt werden (vgl. Falkner et al. 2002, S. 6f.).<br />
50
Wird der Elternurlaub jedoch langfristig, das heisst über mehrere Jahre hinweg,<br />
genommen, kann die Verbindung zum Arbeitsmarkt <strong>ein</strong>geschränkt werden <strong>und</strong> dieses<br />
wiederum kann zu <strong>ein</strong>em erheblichen Karrierebruch führen. Wird Eltern während des<br />
Elternurlaubs dagegen die Möglichkeit der Teilzeitarbeit geboten, können die<br />
Integration in den Arbeitsmarkt aufrechterhalten <strong>und</strong> etwaige Verluste <strong>von</strong><br />
Humankapital vermieden werden (vgl. Dingeldey 2000 b , S. 63).<br />
In <strong>ein</strong>em <strong>zwischen</strong>staatlichen <strong>Vergleich</strong> sollte auch die Möglichkeit der Aufteilung<br />
des Urlaubs <strong>zwischen</strong> Mutter <strong>und</strong> Vater betrachtet werden. Denn solange der<br />
Elternurlaub hauptsächlich <strong>von</strong> Frauen in Anspruch genommen wird, wird dies die<br />
Geschlechtertrennung in der <strong>Beruf</strong>swelt nur erhöhen, da die Kosten des Elternurlaubs<br />
die Arbeitgeber da<strong>von</strong> abhalten könnten, Frauen in bestimmten Bereichen <strong>und</strong> zu<br />
bestimmten Konditionen <strong>ein</strong>zustellen (vgl. Europäische Kommission 1998 a , S. 9).<br />
Mit diesem Hintergr<strong>und</strong>wissen sollen nun die spezifischen Regelungen in<br />
Deutschland <strong>und</strong> Frankreich näher untersucht werden.<br />
3.2.1 Deutschland<br />
Das Mutterschutzgesetz in Deutschland gilt für alle Frauen, die in <strong>ein</strong>em<br />
Arbeitsverhältnis stehen, sowie für Frauen, die sich in <strong>ein</strong>er beruflichen Ausbildung<br />
befinden. Hausfrauen <strong>und</strong> Selbständige fallen nicht darunter. Die Schutzfrist beginnt<br />
sechs Wochen vor der Geburt <strong>und</strong> endet acht Wochen (bei Mehrlingsgeburten zwölf)<br />
danach. Schwangere können auf eigenen Wunsch in den letzten sechs Wochen auf die<br />
Freistellung verzichten, acht Wochen nach der Geburt besteht für sie <strong>ein</strong><br />
Beschäftigungsverbot. Kündigungsschutz besteht während der Schwangerschaft <strong>und</strong><br />
vier Monate nach der Entbindung. Um Mutterschaftsgeld zu erhalten, müssen die<br />
Mütter drei Monate vorher in <strong>ein</strong>em Arbeitsverhältnis gestanden haben oder in der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung eigenständig versichert gewesen s<strong>ein</strong>. Die Höhe<br />
des Mutterschaftsgeldes richtet sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt der<br />
letzten drei Monate. Übersteigt das durchschnittliche Arbeitsentgelt 13 Euro pro Tag,<br />
muss der Arbeitgeber die Differenz als Zuschuss zum Mutterschaftsgeld dazu zahlen.<br />
Ein gesetzlich festgeschriebener Vaterschaftsurlaub existiert nicht (vgl.<br />
B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend 1998, S. 18f.).<br />
Erziehungsurlaub <strong>und</strong> Erziehungsgeld sind im B<strong>und</strong>eserziehungsgeldgesetz geregelt,<br />
das 1986 <strong>ein</strong>geführt wurde. Erziehungsurlaub unterscheidet sich vom<br />
51
Mutterschaftsurlaub dadurch, dass er vor allem auf die Betreuung der Kinder abzielt<br />
<strong>und</strong> Frauen oder Männer deswegen vom Erwerbsleben freistellt. Eltern sollen ihre<br />
kl<strong>ein</strong>en Kinder in den ersten Lebensjahren selber betreuen <strong>und</strong> erziehen können. Eine<br />
finanzielle Kompensation ist zudem vorgesehen - das Erziehungsgeld. Seit dem ersten<br />
Januar 2001 gilt das neue B<strong>und</strong>eserziehungsgesetz (für Geburten ab 2001). In ihm<br />
wurde der Begriff Erziehungsurlaub durch die Bezeichnung „Elternzeit“ ersetzt 22 .<br />
Einen Anspruch darauf haben Mütter <strong>und</strong> Väter, die in <strong>ein</strong>em Arbeitsverhältnis<br />
stehen. Auch Auszubildende oder in beruflicher Fortbildung Beschäftigte können<br />
Elternzeit verlangen. Eltern können sich bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres<br />
ihres Kindes beurlauben lassen. Ein Anteil <strong>von</strong> bis zu zwölf Monaten kann auf die<br />
Zeit bis zum achten Geburtstag des Kindes übertragen werden, dem muss der<br />
Arbeitgeber jedoch zustimmen. Die Mutterschutzfrist wird auf die Dauer der<br />
Elternzeit angerechnet (vgl. B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen <strong>und</strong><br />
Jugend 2002, S. 42f.). Die oder der Anspruchsberechtigte kann währenddessen<br />
Teilzeitarbeit leisten. Bis 2001 durfte diese Arbeit nicht länger als 19 Wochenst<strong>und</strong>en<br />
dauern, im neuen Gesetz darf maximal 30 St<strong>und</strong>en gearbeitet werden (vgl. ebd., S.<br />
48). Das Einkommen daraus wird bei der Berechnung des Erziehungsgeldes<br />
berücksichtigt. Nur wenige Eltern haben jedoch da<strong>von</strong> Gebrauch gemacht – nur <strong>ein</strong><br />
Prozent verbanden Elternurlaub mit Teilzeitbeschäftigung, damals allerdings noch mit<br />
<strong>ein</strong>er Arbeitszeit <strong>von</strong> maximal 19 Wochenst<strong>und</strong>en (vgl. Schiersmann 1998, S. 140).<br />
Wenn beide Elternteile erwerbstätig sind, können sie die Elternzeit gem<strong>ein</strong>sam<br />
nutzen. Sie können sie aber auch unter<strong>ein</strong>ander aufteilen <strong>und</strong> sich bei der Elternzeit<br />
abwechseln (vgl. B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend 2002,<br />
S. 44). Väter machten 1995 jedoch nur zu 1,8 Prozent da<strong>von</strong> Gebrauch, fast alle<br />
Anspruchsberechtigten sind demnach weiblich (vgl. B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Familie</strong>,<br />
Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend 1998, S. 20). Während der Elternzeit bleibt das<br />
Arbeitsverhältnis bestehen, es besteht Kündigungsschutz <strong>und</strong> der oder die<br />
Anspruchsberechtigte sind weiterhin in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert.<br />
Außerdem besteht <strong>ein</strong>e Wieder<strong>ein</strong>stellungsgarantie nach Ende der<br />
22 Erst ab 2001 übernahm Deutschland die EU-Richtlinie <strong>von</strong> 1995. Davor war es Arbeitnehmern,<br />
deren Partner nicht erwerbstätig waren, nicht erlaubt, Erziehungsurlaub zu nehmen. Die war <strong>ein</strong>e<br />
logische Konsequenz des „male breadwinner Modells“: wenn <strong>ein</strong>er der beiden Eltern, meistens die<br />
Mutter, sowieso zuhause bleibt, bräuchte der Vater k<strong>ein</strong>en Erziehungsurlaub zu nehmen. Dies verstieß<br />
jedoch gegen die EU-Direktive, die <strong>ein</strong> individuelles Recht für alle Eltern vorsah, ungeachtet ihres<br />
Erwerbsstatus. Mit der Einführung des B<strong>und</strong>eserziehungsgesetzes wurde die Richtlinie somit<br />
umgesetzt (vgl. Falkner et al. 2002, S. 13).<br />
52
Elternzeit beim vorherigen Arbeitgeber; <strong>ein</strong>e status-adäquate Beschäftigung ist<br />
gesichert, jedoch nicht zwangsläufig der gleiche Arbeitsplatz. Die Attraktivität des<br />
Elternurlaubes ist eng mit der Höhe <strong>und</strong> Dauer <strong>ein</strong>es Erziehungsgeldes verb<strong>und</strong>en.<br />
Nur wenn <strong>ein</strong> Ersatz für das ausfallende Einkommen angeboten wird, lohnt sich die<br />
Freistellung.<br />
In Deutschland besteht <strong>ein</strong> Anspruch auf Erziehungsgeld bis zur Vollendung des 24.<br />
Lebensmonates des Kindes, also nicht während des gesamten Zeitraumes der<br />
Elternzeit. Man kann sich entscheiden, ob man nur während der ersten zwölf Monate<br />
das Geld bekommen möchte, dann wird monatlich mehr ausgezahlt (bis zu 460 Euro),<br />
oder ob das Geld über die 24 Monate verteilt werden soll, dementsprechend weniger<br />
bekommt man jedoch monatlich (bis zu 307 Euro) (vgl. B<strong>und</strong>esministerium für<br />
<strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend 2002, S. 13). Das Erziehungsgeld ist<br />
<strong>ein</strong>kommensabhängig <strong>und</strong> wird nicht ausgezahlt, wenn das Einkommen die<br />
maßgebliche Einkommensgrenze überschreitet. In Deutschland sollen diese<br />
staatlichen Leistungen nicht dem Ausgleich <strong>von</strong> Einkommensverlusten dienen, dafür<br />
sind die Beträge zu niedrig, sondern sie sind als Anerkennung für die<br />
Erziehungsleistung gedacht. Elternurlaub <strong>und</strong> Erziehungsgeld sollen demnach den<br />
Eltern ermöglichen, sich um ihre Kinder in deren ersten Lebensjahren all<strong>ein</strong> kümmern<br />
zu können, da diese <strong>ein</strong>e kontinuierliche Bezugsperson (am besten die eigene Mutter)<br />
brauchen (vgl. Lohkamp-Himmighofen 1999, S. 60). Trotz der vergleichsweise<br />
niedrigen finanziellen Kompensation sind hohe Prozentsätze der Inanspruchnahme zu<br />
verzeichnen. Ein Gr<strong>und</strong> dafür ist die eher traditionelle Vorstellung <strong>von</strong> Mutterschaft<br />
<strong>und</strong> Kindererziehung - hauptsächlich die Mütter sind für die Betreuung ihrer kl<strong>ein</strong>en<br />
Kinder verantwortlich. Weitere Gründe sind aber auch die unzureichende Versorgung<br />
mit Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren, wie in Kapitel 3.1.1 ausführlich<br />
erläutert wurde, sowie in bestimmten Regionen <strong>ein</strong> unzureichendes Angebot an<br />
Arbeitsplätzen. Statt arbeitslos zu s<strong>ein</strong>, gehen die Frauen in den Elternurlaub <strong>und</strong><br />
widmen sich der <strong>Familie</strong>.<br />
Festzuhalten ist, dass das Konzept des Elternurlaubes bzw. des Erziehungsgeldes in<br />
Deutschland <strong>ein</strong> zweischneidiges Schwert ist. Einerseits ermöglicht es Frauen, sich<br />
um ihre Kinder kümmern zu können <strong>und</strong> ihr Recht auf <strong>ein</strong>en Arbeitsplatz zu wahren,<br />
trotz dieser Unterbrechung. Da die Unterbrechung jedoch oftmals drei Jahre oder auch<br />
länger dauert, da Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen für diese Altersgruppe nur in<br />
53
ungenügendem Maße vorhanden sind, sowie die gesellschaftliche Akzeptanz der<br />
Elternzeit groß ist, könnten Arbeitgeber auch Probleme beim Wieder<strong>ein</strong>stieg in die<br />
Erwerbsarbeit befürchten (vgl. Europäische Kommission 1998, S. 8f.). Außerdem<br />
wird die Geschlechtertrennung in der <strong>Beruf</strong>swelt dadurch erhöht, dass Elternurlaub<br />
vorwiegend <strong>von</strong> dem Elternteil genommen wird, der weniger verdient, da der<br />
Lohnausfall aufgr<strong>und</strong> des niedrigen Erziehungsgeldes sonst noch höher ausfallen<br />
würde. Dies ist fast immer die Frau. Nach der Unterbrechung arbeiten viele Frauen<br />
außerdem Teilzeit, da sie weiterhin die Lasten der Kinderbetreuung <strong>und</strong> –erziehung<br />
tragen müssen. So werden fast 33 Prozent der erwerbstätigen Paare (mindestens <strong>ein</strong><br />
Partner erwerbstätig) aus <strong>ein</strong>em männlichen Vollzeitarbeiter <strong>und</strong> <strong>ein</strong>er weiblichen<br />
Teilzeitarbeiterin gebildet. Zum <strong>Vergleich</strong>: in Frankreich sind dies nur knapp 16<br />
Prozent (vgl. Reuter 2002, S. 15). Dadurch wird die Integration der Frau in den<br />
Arbeitsmarkt eher geschwächt als gestärkt. Die Geschlechterdifferenzen auf dem<br />
Arbeitsmarkt <strong>und</strong> im Haushalt bleiben bestehen.<br />
Dies soll verdeutlichen, dass Elternurlaubsregelungen die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Familie</strong> nur dann unterstützen können, wenn gleichzeitig ausreichende<br />
Möglichkeiten der Betreuung der Kinder vorhanden sind oder die Arbeitsteilung<br />
<strong>zwischen</strong> Mann <strong>und</strong> Frau gefördert wird. Elternurlaub kann wenig zur<br />
Chancengleichheit beitragen, wenn er zu 95 Prozent <strong>von</strong> der Frau in Anspruch<br />
genommen wird.<br />
3.2.2 Frankreich<br />
Die Länge des Mutterschaftsurlaubs (congé de maternité) ist in Frankreich auf 16<br />
Wochen festgelegt gegenüber 14 in Deutschland. Sechs Wochen da<strong>von</strong> können vor<br />
der Entbindung genommen werden <strong>und</strong> mindestens zehn Wochen müssen die Frauen<br />
nach der Entbindung zuhause bleiben. Ein Unterschied zu Deutschland ist die<br />
paritätsspezifische Erhöhung des Mutterschaftsurlaubes: bei Mehrlingsgeburten sowie<br />
der Geburt des dritten <strong>und</strong> jedes weiteren Kindes erhöht sich die Länge der<br />
Freistellung auf 26 Wochen, also <strong>ein</strong> halbes Jahr. Der Kündigungsschutz ist für das<br />
erste <strong>und</strong> zweite Kind etwas kürzer (während der Schwangerschaft <strong>und</strong> bis 14<br />
Wochen nach der Geburt des Kindes) <strong>und</strong> fällt ab dem dritten Kind etwas länger aus<br />
als in Deutschland (bis 22 Wochen nach der Geburt des Kindes). In Deutschland<br />
stehen Mütter während der Schwangerschaft sowie 16 Wochen danach unter<br />
54
Kündigungsschutz. Mutterschutzgeld (allocation de maternité) wird etwas restriktiver<br />
gezahlt: Anspruchsberechtigte müssen <strong>ein</strong>e mindestens zehnmonatige Vorversicherungszeit<br />
aufweisen, im Gegensatz zu drei Monaten in Deutschland. Auch<br />
können die Einkommensersatzleistungen nur dann in Anspruch genommen werden,<br />
wenn <strong>ein</strong>e Reihe <strong>von</strong> festgelegten medizinischen Vor- <strong>und</strong> Nachsorgeuntersuchungen<br />
wahrgenommen wurde (vgl. A. Becker 2000, S. 204). Seit 1996 beträgt das<br />
Mutterschaftsgeld 100 Prozent des vorherigen Nettoverdienstes, davor waren es 84<br />
Prozent. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Betrag <strong>ein</strong>e festgelegte Maximalhöhe<br />
nicht überschreiten darf – dies führt tendenziell zu <strong>ein</strong>em Einkommensverlust für die<br />
Frauen, deren Netto<strong>ein</strong>kommen über dieser Grenze liegt. Tarifvertragliche<br />
Regelungen können Arbeitgeber jedoch dazu verpflichten, die Mutterschutzleistungen<br />
aufzustocken. In Deutschland ist dies gesetzlich geregelt (vgl. ebd., S. 205).<br />
Väter konnten bis 2002 drei Tage aus Anlass der Geburt <strong>von</strong> der Erwerbsarbeit<br />
freigestellt werden <strong>und</strong> dabei weiterbezahlt werden. Seit <strong>ein</strong>em Jahr gibt es <strong>ein</strong>en<br />
zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub (congé de paternité), den die Väter nach der Geburt<br />
zusammen mit der Partnerin in Anspruch nehmen können. Der Vaterschaftsurlaub<br />
wird in Höhe des Einkommens vergütet (vgl. Stuttgarter Zeitung 2001).<br />
Anspruch auf <strong>ein</strong>en dreijährigen Elternurlaub (congé parental d’éducation - CPE)<br />
besteht ab dem ersten Kind. Währenddessen ist der Arbeitsvertrag des Berechtigten<br />
aufgelöst aber es besteht <strong>ein</strong> gesetzlicher Anspruch auf Wieder<strong>ein</strong>stellung auf den<br />
gleichen oder <strong>ein</strong>en gleichwertigen Arbeitsplatz. Alle Sozialversicherungen laufen<br />
weiter. Während der Freistellung oder nach dem Elternurlaub sind Weiter- <strong>und</strong><br />
Fortbildungsmaßnahmen vorgesehen, um die Wieder<strong>ein</strong>gliederung in den <strong>Beruf</strong> zu<br />
fördern (vgl. B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend 1998, S.<br />
26). Auch haben der Elternteil oder beide Eltern (<strong>ein</strong>e gleichzeitige Inanspruchnahme<br />
ist möglich) <strong>ein</strong>en Anspruch auf Teilzeitarbeit <strong>und</strong> zwar darf die<br />
Vollzeiterwerbstätigkeit um <strong>ein</strong> Fünftel der regulären Arbeitszeit bis zu <strong>ein</strong>er<br />
wöchentlichen Arbeitszeit <strong>von</strong> mindestens 16 St<strong>und</strong>en verringert werden (vgl. A.<br />
Becker 2000, S. 209).<br />
Wichtige Unterschiede offenbaren sich bei der Betrachtung der finanziellen<br />
Unterstützungsmaßnahmen während des Elternurlaubs. Erziehungsgeld – allocation<br />
parentale d’éducation (APE) – wird erst ab dem zweiten Kind gezahlt, bis 1994<br />
wurden sogar erst ab dem dritten Kind finanzielle Kompensationen gewährt. Für das<br />
erste Kind wird nur <strong>ein</strong> sehr niedriger finanzieller Ersatz geleistet, der außerdem<br />
55
<strong>ein</strong>kommensabhängig ist <strong>und</strong> bei Überschreiten <strong>ein</strong>er gewissen Einkommensschwelle<br />
gemindert oder gar nicht gezahlt wird (allocation pour jeune enfant – APJE). APJE<br />
wird ab dem vierten Schwangerschaftsmonat bis zur Vollendung des dritten<br />
Lebensjahres gezahlt. Infolge des fehlenden finanziellen Anreizes nehmen nicht viele<br />
Eltern diese Form der Beihilfe in Anspruch, da die Opportunitätskosten <strong>ein</strong>er<br />
Erwerbsunterbrechung nach der Geburt des ersten Kindes relativ hoch sind (vgl. A.<br />
Becker 2000, S. 215).<br />
Anders sieht die Situation bei der APE aus. Bei der Einführung <strong>von</strong> APE im Jahr<br />
1985 mussten Eltern bzw. <strong>ein</strong> Elternteil zwei Jahre in den 30 Monaten vor dem<br />
Elternurlaub gearbeitet haben. APE war somit als <strong>ein</strong>e Maßnahme nicht nur zur<br />
Unterstützung der Eltern, sondern auch als Anreiz zur Erwerbstätigkeit gedacht. Nicht<br />
zu vergessen ist auch die pronatalistische Zielsetzung, die sich in der Unterstützung<br />
erst ab dem dritten Kind offenbart (vgl. Morgan 2002, S. 156). Erziehungsgeld wurde<br />
damals zwei Jahre lang gezahlt. Diese Form der finanziellen Kompensation kam<br />
jedoch nur wenigen Frauen zugute, da die Anspruchsvoraussetzungen zu hoch waren.<br />
Ab 1986 wurde das Erziehungsgeld auf drei Jahre verlängert <strong>und</strong> es wurde nur noch<br />
<strong>ein</strong>e <strong>Beruf</strong>stätigkeit <strong>von</strong> zwei Jahren innerhalb der letzten zehn Jahre gefordert.<br />
1994 wurde APE vollständig geändert. Nun konnten auch Eltern bei der Geburt <strong>ein</strong>es<br />
zweiten Kindes Erziehungsgeld beantragen, die <strong>Beruf</strong>svoraussetzung beläuft sich auf<br />
zwei Jahre innerhalb der letzten fünf Jahre Erwerbsarbeit, Einkommensgrenzen<br />
(bezogen auf das Einkommen vor der Unterbrechung) sind nicht vorgesehen. APE<br />
wird bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres gezahlt. Die Beträge wurden<br />
angehoben <strong>und</strong> Teilzeitarbeit währenddessen erlaubt. Die monatliche Beihilfe beläuft<br />
sich heute (bei vollständiger Erwerbsunterbrechung) auf 484,97 Euro (vgl. Reuter<br />
2002, S. 18). Sie verringert sich, je nachdem wie hoch die Teilzeitbeschäftigung ist.<br />
Diese Leistung soll <strong>ein</strong>e Einkommensersatzleistung darstellen, anstatt wie in<br />
Deutschland die gesellschaftliche Anerkennung der Erziehungszeit. Da jedoch<br />
unabhängig vom vorher verdienten Einkommen gezahlt wird <strong>und</strong> somit das reale<br />
Einkommen nicht berücksichtigt wird, werden besser verdienende Eltern eher<br />
benachteiligt. Somit stellen auch 99 Prozent der Empfänger Frauen dar, da diese meist<br />
weniger verdienen als die Männer. Die Erwerbsquote <strong>von</strong> Müttern mit <strong>ein</strong>em zweiten<br />
Kind im Alter <strong>von</strong> sechs bis 18 Monaten sank im Verlauf <strong>ein</strong>es Jahres um 26 Prozent:<br />
„Die APE kann also als <strong>ein</strong> Anreiz zum Rückzug <strong>von</strong> Frauen aus dem Arbeitsmarkt<br />
interpretiert werden.“ (Battagliola 1998 in: Reuter 2002, S. 19). Vor allem junge <strong>und</strong><br />
56
gering qualifizierte Frauen nehmen dieses Angebot in Anspruch - <strong>ein</strong> Drittel der<br />
Antragsteller war arbeitslos (vgl. ebd., S. 19). Das bedeutet, dass die Einführung des<br />
überarbeiteten Erziehungsgeldes 1994 vor allem arbeitsmarktpolitische Konsequenzen<br />
nach sich zog, nämlich die Ausgliederung aus dem <strong>Beruf</strong>sleben, um die relativ hohe<br />
Frauenerwerbstätigkeit wenigstens kurzfristig etwas zu mindern (vgl. ebd., S. 19). Es<br />
ist deshalb stark anzuzweifeln, ob dies <strong>ein</strong>e plausible Maßnahme ist, Kinder <strong>und</strong><br />
<strong>Beruf</strong> zu ver<strong>ein</strong>baren. Positiv könnte sich der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub nach<br />
der Geburt <strong>ein</strong>es Kindes auswirken, da er den Mann mit in die Betreuungsaufgaben<br />
mit <strong>ein</strong>bezieht <strong>und</strong> die Frau dadurch entlastet. Auch die Fortbildungsmaßnahmen<br />
während des Elternurlaubes können es den Müttern oder Vätern ermöglichen, den<br />
Kontakt zum <strong>Beruf</strong> nicht zu verlieren <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e Wieder<strong>ein</strong>gliederung zu erleichtern.<br />
Die Möglichkeit, Teilzeit während des Elternurlaubs zu arbeiten, kann dieses Ziel<br />
ebenfalls unterstützen. In Frankreich nahmen jedoch nur fünf Prozent im öffentlichen<br />
Dienst <strong>und</strong> 13 Prozent in der Privatwirtschaft diese Gelegenheit wahr (vgl.<br />
Schiersmann 1998, S. 140).<br />
Die Regelungen zum Elternurlaub <strong>und</strong> Erziehungsgeld in Frankreich zeigen starke<br />
arbeitsmarktpolitische aber auch demografische Züge. So kann die Beurlaubung <strong>von</strong><br />
der Arbeit nur dann in Anspruch genommen werden, wenn <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>jährige<br />
Betriebszugehörigkeit vor der Geburt aufzuweisen ist. Auch das Erziehungsgeld wird<br />
nur dann gezahlt, wenn man zwei Jahre innerhalb der letzten fünf Jahre vor der<br />
Geburt erwerbstätig war. Eltern werden demnach ermutigt, berufstätig zu s<strong>ein</strong>, was<br />
sich ja auch in der ausgezeichneten Versorgung mit Kinderbetreuungsangeboten<br />
widerspiegelt. Auf der anderen Seite jedoch soll es Frauen ebenfalls ermöglicht<br />
werden, sich voll der <strong>Familie</strong> zu widmen, wenn sie es wünscht; die oben erwähnte<br />
„Wahlfreiheit“ soll also unterstützt werden. Dies manifestiert sich in den Regelungen<br />
bezüglich der allocation parentale d’éducation, die es <strong>Familie</strong>n - überwiegend sind<br />
dies die Frauen - leichter machen soll, zuhause zu bleiben <strong>und</strong> sich um die Kinder zu<br />
kümmern. Hier sind auch <strong>ein</strong>deutig pronatalistische Züge zu erkennen, da die Beihilfe<br />
erst ab dem zweiten Kind gezahlt wird, vor 1994 sogar erst ab dem dritten Kind (vgl.<br />
Lohkamp-Himmighofen 1999, S. 59). Diese Zielsetzung nimmt jedoch immer mehr<br />
57
an Bedeutung ab, da ab 2004 auch die ersten Kinder berücksichtigt werden: die<br />
Einführung <strong>von</strong> prestation d‘ accueil au jeune enfant (PAJE) 23 soll dies ermöglichen.<br />
Neben diesen zeitwerten Leistungen <strong>und</strong> den sachwerten Leistungen wie zum Beispiel<br />
der öffentlichen Betreuungsinfrastruktur gibt es noch geldwerte Leistungen, die das<br />
<strong>Familie</strong>n<strong>ein</strong>kommen in Form direkter oder indirekter Transfers aufstocken (vgl.<br />
Schratzenstaller 2002, S. 129). Vor allem Regelungen zum Kindergeld sollen im<br />
nächsten Abschnitt vorgestellt werden.<br />
3.3 Monetäre Unterstützungen der Kindererziehung<br />
Monetäre Transferleistungen können die durch Kinder anfallenden Kosten<br />
vermindern. Sie können direkt ausgezahlt oder in Form <strong>von</strong> Steuerminderungen<br />
geleistet werden. In den folgenden Abschnitten soll dabei das Hauptaugenmerk auf<br />
dem Kindergeld <strong>und</strong> den unterschiedlichen Arten der Besteuerung in Deutschland <strong>und</strong><br />
Frankreich liegen.<br />
3.3.1 Deutschland<br />
Das Kindergeld in Deutschland wird unabhängig vom Einkommen monatlich<br />
ausgezahlt. Es steht Eltern mit Kindern unter 18 Jahren zur Verfügung, darüber hinaus<br />
für in Ausbildung befindliche Kinder bis zum 27. Lebensjahr sowie zeitlich<br />
unbegrenzt für Kinder, die wegen <strong>ein</strong>er Behinderung außerstande sind, sich selbst zu<br />
versorgen. Es wird auch für arbeitslose Kinder bis zur Vollendung des 21.<br />
Lebensjahres gezahlt. Übersteigt das Einkommen des Kindes <strong>ein</strong>e bestimmte Grenze,<br />
23 Ab 2004 wird für jedes Kind <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>malige Zahlung bei der Geburt <strong>von</strong> 800 Euro erfolgen, sowie<br />
<strong>ein</strong>e Gr<strong>und</strong>beihilfe <strong>von</strong> 159 Euro monatlich bis zum Alter <strong>von</strong> drei Jahren. Das Erziehungsgeld ab dem<br />
zweiten Kind wird auf 500 Euro aufgestockt (monatlich, über drei Jahre ausgezahlt), um den Eltern zu<br />
helfen, die vorübergehend nicht erwerbstätig s<strong>ein</strong> wollen, um ihre Kinder selber zu betreuen. Diese<br />
Beihilfe erhalten sie zusätzlich zu den 159 Euro Gr<strong>und</strong>hilfe, die jeder bekommt (vgl. Le Monde, S.9<br />
vom 30.04.2003). Eine zusätzliche Komponente wird das frei wählbare „Betreuungsgeld“ s<strong>ein</strong>, dass<br />
gewährt wird, wenn die Eltern ihr Kind in die Obhut <strong>ein</strong>er Krippe oder <strong>ein</strong>er qualifizierten<br />
Betreuungsperson geben. Anspruchsberechtigt für diese Maßnahmen werden <strong>Familie</strong>n s<strong>ein</strong>, deren<br />
Einkommen 4.100 Euro monatlich nicht übersteigt. Somit werden 200.000 <strong>Familie</strong>n zusätzlich in den<br />
Genuss der <strong>Familie</strong>nförderung kommen (vgl. Französische Botschaft 2003). Außerdem soll alles, was<br />
Unternehmen initiieren, um <strong>Familie</strong>n das Leben mit Kindern zu ver<strong>ein</strong>fachen (zum Beispiel<br />
Kindergärten oder Telearbeit), vom Staat stärker unterstützt werden. Compagnies familiales et<br />
amicales (familienfre<strong>und</strong>liche Unternehmen) sollen belohnt werden. Das offizielle Ziel all dieser<br />
Maßnahmen ist es, die Ver<strong>ein</strong>barung <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> noch stärker zu erleichtern (vgl. Le<br />
Monde, S.9 vom 30.04.2003).<br />
58
entfällt es (vgl. Europäische Beobachtungsstelle zur sozialen Situation, Demografie<br />
<strong>und</strong> <strong>Familie</strong> 2002 a ). Das Kindergeld für die ersten drei Kinder beträgt jeweils 154<br />
Euro <strong>und</strong> erhöht sich ab dem vierten Kind auf 179 Euro pro Monat. Es dient<br />
außerdem der Realisierung des sogenannten „<strong>Familie</strong>nlastenausgleiches“: Das<br />
Finanzamt prüft nach, ob sich anstelle des Kindergeldes nicht <strong>ein</strong> steuerlicher<br />
„Kinderfreibetrag“ kostengünstiger für die <strong>Familie</strong> auswirkt, was vor allem bei<br />
<strong>Familie</strong>n mit <strong>ein</strong>em höheren Haushalts<strong>ein</strong>kommen der Fall ist (vgl. Thenner 2000, S.<br />
113). Dies bewirkt laut Schratzenstaller (2002) jedoch <strong>ein</strong>en Verstoß gegen vertikale<br />
Gerechtigkeitsanforderungen 24 . Trotzdem sind die Kindergeldzahlungen im <strong>Vergleich</strong><br />
zu Frankreich, wie wir gleich sehen werden, relativ hoch.<br />
Dadurch <strong>und</strong> zusätzlich durch die lange Elternzeit <strong>und</strong> den nur unzulänglichen<br />
Angeboten an außerfamilialen Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen, entsteht für Frauen <strong>ein</strong><br />
zusätzlicher Anreiz, zu Hause zu bleiben <strong>und</strong> sich um die Kinder zu kümmern, anstatt<br />
zu arbeiten.<br />
3.3.2 Frankreich<br />
In Frankreich wird Kindergeld (allocations familiales – AF) erst ab dem zweiten Kind<br />
gezahlt <strong>und</strong> zwar bis zum 20. Lebensjahres des Kindes, vorausgesetzt s<strong>ein</strong><br />
Einkommen überschreitet nicht <strong>ein</strong>e bestimmte Grenze. Diese Zahlungen sind nicht<br />
vom Einkommen der Eltern abhängig <strong>und</strong> erhöhen sich mit der Anzahl der Kinder.<br />
Außerdem werden Alterszuschläge gewährt, wenn bestimmte Altersgrenzen der<br />
Kinder überschritten werden. <strong>Familie</strong>n mit nur <strong>ein</strong>em Kind werden demnach nur<br />
durch <strong>ein</strong>en steuerlichen Freibetrag (quotient familial) finanziell entlastet. Bedürftige<br />
<strong>Familie</strong>n haben zusätzlich <strong>ein</strong>en Anspruch auf <strong>ein</strong>e allocation pour jeune enfant -<br />
APJE (siehe auch Kapitel 3.2.2). Sie können weiterhin complément familial (CF)<br />
beantragen, jedoch wird diese Finanzhilfe erst ab dem dritten Kind ausgezahlt <strong>und</strong> ist<br />
bedarfsabhängig (vgl. A. Becker 2000, S. 246) 25 .<br />
24 Je höher das Einkommen, desto größer die Entlastung. Untere <strong>und</strong> mittlere Einkommensklassen, die<br />
nur Kindergeld beziehen <strong>und</strong> nicht <strong>von</strong> dem Kinderfreibetrag profitieren können, werden benachteiligt.<br />
Das erhöhte Kindergeld im Jahre 2002 kann diese Differenz nicht ausgleichen (vgl. Schratzenstaller<br />
2002, S. 129).<br />
25 Ab Januar 2001 wurde die Höhes des Kindergeldes auf 107,17 Euro für zwei Kinder, 244,53 Euro<br />
für drei Kinder sowie für das vierte <strong>und</strong> jedes weitere Kind jeweils 137,36 Euro festgesetzt.<br />
Altersabhängige Zulagen liegen bei 30,18 Euro für über 11-Jährige <strong>und</strong> 53,51 Euro für über 16-Jährige<br />
(vgl. Europäische Beobachtungsstelle zur sozialen Situation, Demografie <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> 2002 b )<br />
59
Die Kindergelderhöhung mit der zunehmenden Anzahl der Kinder deutet auf<br />
bevölkerungspolitische Zielsetzungen hin, zumal für das erste Kind k<strong>ein</strong>e oder nur<br />
sehr geringe Beihilfen gezahlt werden. Ab 2004 wird jedoch, wie weiter oben schon<br />
<strong>ein</strong>mal erwähnt, <strong>ein</strong>e Gr<strong>und</strong>beihilfe für die ersten drei Lebensjahre auch des ersten<br />
Kindes <strong>ein</strong>geführt, die bei monatlich 160 Euro liegt.<br />
Die Erwerbsbeteiligung französischer Frauen soll auch durch diese Regelungen eher<br />
gefördert denn behindert werden. Da für das erste Kind kaum finanzielle Anreize<br />
gegeben werden, den Arbeitsmarkt zu verlassen, dafür aber Beihilfen für die nichtelterliche<br />
Betreuung kl<strong>ein</strong>er Kinder gezahlt werden (AFEAME, AGED), werden<br />
Frauen in Frankreich buchstäblich dazu aufgefordert, zumindest bei der Geburt des<br />
ersten Kindes im Arbeitsmarkt zu bleiben. Dies wird durch <strong>ein</strong> relativ gut ausgebautes<br />
System der Kinderbetreuung <strong>und</strong> den Beihilfen für Tagesmütter oder Kinderfrauen<br />
gefördert (vgl. A. Becker 2000, S. 249). Ab dem zweiten Kind werden mehr<br />
Möglichkeiten zum Ausscheiden - wenn auch nur kurzfristig - aus dem Erwerbsleben<br />
gegeben. Zum <strong>ein</strong>en wird ab dem zweiten Kind Erziehungsgeld gezahlt, das bei<br />
Antritt des Elternurlaubs bezogen werden kann. Zum anderen wird <strong>ein</strong> Kindergeld<br />
gezahlt <strong>und</strong> somit <strong>ein</strong>e weitere monetäre Transferzahlung geleistet, die es Frauen<br />
ermöglicht, dem Arbeitsmarkt fern zu bleiben <strong>und</strong> sich um die Erziehung ihrer Kinder<br />
zu kümmern.<br />
3.4 Zusammenfassung<br />
Die institutionellen Rahmenbedingungen in den beiden Ländern be<strong>ein</strong>flussen das<br />
Erwerbsverhalten <strong>von</strong> Frauen unterschiedlich. Ein Blick auf die weiblichen<br />
Erwerbsquoten in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich hat gezeigt, dass französische Frauen<br />
länger <strong>und</strong> kontinuierlicher auf dem Arbeitsmarkt tätig sind als ihre deutschen<br />
Nachbarinnen. Dieser Unterschied wird durch verschiedene Anreize in Frankreich<br />
beziehungsweise eher erschwerende Bedingungen in Deutschland verursacht. Zum<br />
<strong>ein</strong>en wird dies durch die historisch gewachsenen Rollenbilder <strong>von</strong> erwerbstätigen<br />
Frauen <strong>und</strong> vor allem Mütter bedingt. Frauenerwerbstätigkeit in Frankreich ist<br />
traditionell gesellschaftlich stärker akzeptiert als in Deutschland. Auch Mütter, die<br />
kl<strong>ein</strong>e Kinder im Haushalt haben, werden nicht als „Rabenmütter“ angesehen, wenn<br />
sie ihre Kinder zur Betreuung in die Hände fremder Personen geben. In Deutschland<br />
hingegen herrscht noch eher die Auffassung, dass kl<strong>ein</strong>e Kinder die Betreuung <strong>und</strong><br />
60
Geborgenheit des elterlichen Haushalts, <strong>und</strong> vor allem die der Mutter benötigen, um<br />
k<strong>ein</strong>erlei psychische Schäden zu nehmen. Diese Einstellungen zu Mutterschaft <strong>und</strong><br />
Erwerbstätigkeit haben maßgeblich die Entwicklung der institutionellen<br />
Rahmenbedingen be<strong>ein</strong>flusst. Tabelle 2 soll <strong>ein</strong>en kurzen Überblick über diese<br />
Rahmenbedingungen ermöglichen:<br />
Tabelle 2: Überblick über die verschiedenen institutionellen Rahmenbedingungen in Deutschland <strong>und</strong><br />
Frankreich<br />
Formen der<br />
institutionellen<br />
Rahmenbedingungen<br />
Deutschland Frankreich<br />
Kinderbetreuung � Extreme Unterversorgung <strong>von</strong> Betreu- � moderate Betreuungssituation für unter<br />
ungs<strong>ein</strong>richtungen für unter Dreijährige Dreijährige in crèches oder durch<br />
� fehlende Ganztagsbetreuung der Drei- Tagesmütter (steuerlich bezuschusst,<br />
bis Sechsjährigen, oft nur vormittags<br />
staatliche Beihilfen)<br />
Betreuung<br />
� kostenlose Ganztagsbetreuung für Drei-<br />
� Gr<strong>und</strong>schule nur am Vormittag geöffnet, bis Sechsjährige<br />
fehlende Betreuungsmöglichkeiten am<br />
Nachmittag<br />
� schulische Ganztagsbetreuung<br />
Regelungen zum<br />
Elternurlaub<br />
Monetäre<br />
Unterstützung<br />
� k<strong>ein</strong> extra Vaterschaftsurlaub<br />
� drei Jahre Elternurlaub<br />
� zwei Jahre bezahltes Erziehungs-geld als<br />
Anerkenung der Erziehungsleistung<br />
(<strong>ein</strong>kommensabhängig, gering bezahlt)<br />
� Teilzeitarbeit möglich (wird vom<br />
Erziehungsgeld abgezogen)<br />
� Aufteilung des Elternurlaubes <strong>zwischen</strong><br />
den Eltern oder gem<strong>ein</strong>same Nutzung<br />
möglich<br />
� fast 100 Prozent der Empfänger sind<br />
Frauen<br />
� Kindergeld <strong>ein</strong>kommensunab-hängig<br />
(154 Euro im Monat, ab dem vierten<br />
Kind 179 Euro monatlich)<br />
� bis zum 18. Lebensjahr des Kindes oder<br />
bis Alter 27 (wenn in Ausbildung)<br />
� Kinderfreibetrag, wenn steuerlich<br />
günstiger<br />
� zwei Wochen Vaterschaftsurlaub<br />
� drei Jahre Elternurlaub ab dem zweiten<br />
Kind (Voraussetzung: <strong>ein</strong>jährige Betriebszugehörigkeit)<br />
� Voraussetzung für Erziehungs-geld: zwei<br />
Jahre Betriebszuge-hörigkeit innerhalb der<br />
letzten fünf Jahre<br />
� monatl. Erziehungsgeld höher als in<br />
Deutschland aber da <strong>ein</strong>kommensunabhängig<br />
k<strong>ein</strong> Einkommensersatz<br />
� Teilzeitarbeit möglich (wird vom<br />
Erziehungsgeld abgezogen)<br />
� Aufteilung des Elternurlaubes <strong>zwischen</strong><br />
den Eltern oder gem<strong>ein</strong>same Nutzung<br />
möglich<br />
� fast 100 Prozent der Empfänger sind<br />
Frauen<br />
� Kindergeld ab dem zweiten Kind, dann<br />
auch <strong>ein</strong>kommens-unabhängig (107,17<br />
Euro im Monat ab dem zweiten Kind)<br />
� Bis zum 20. Lebensjahr des zweiten <strong>und</strong><br />
weiterer Kinder<br />
� <strong>Familie</strong>n mit <strong>ein</strong>em Kind nur durch<br />
steuerl. Freibetrag entlastet oder bei<br />
Bedürftigkeit Beihilfen<br />
� Kindergelderhöhung mit zunehmender<br />
Anzahl der Kinder<br />
� Ab 2004 159 Euro für das erste Kind (für<br />
die ersten drei Jahre)<br />
In Frankreich wird es beiden Elternteilen ermöglicht, ganztägig erwerbstätig zu s<strong>ein</strong>,<br />
da die Ausstattung <strong>und</strong> die Flexibilität außerhäuslicher Kinderbetreuung<br />
umfangreicher sind als in Deutschland. Dort sind es vor allem die unzulänglichen<br />
Öffnungszeiten der institutionellen Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen, die es den<br />
Müttern erschweren, zu arbeiten, während sie für ihre Kinder sorgen. Dies ist auch <strong>ein</strong><br />
61
Gr<strong>und</strong> für die viel höheren Teilzeiterwerbsquoten deutscher Frauen im Gegensatz zu<br />
dem hohen Anteil französischer Frauen, die Vollzeit arbeiten. Nicht nur während des<br />
Kl<strong>ein</strong>kindalters sondern auch, wenn die Kinder das schulpflichtige Alter erreicht<br />
haben, bleiben diese Probleme für deutsche Frauen bestehen, da die Schulen nur<br />
halbtags geöffnet haben <strong>und</strong> Hortbetreuung danach selten angeboten wird.<br />
Außerdem ermöglichen die Regelungen zum Erziehungsurlaub <strong>und</strong> Erziehungsgeld in<br />
Deutschland die zeitweilige Erwerbsunterbrechung der Mütter. Zwar ist Teilzeitarbeit<br />
währenddessen erlaubt, aber verb<strong>und</strong>en mit dem unzureichenden Angebot an<br />
Kindertagesstätten wird dies nur sehr selten in Anspruch genommen. Das bedeutet,<br />
dass die meisten Frauen den dreijährigen Erziehungsurlaub nutzen. Danach kehren<br />
viele auf den Arbeitsmarkt zurück, meistens aber nur auf <strong>ein</strong>e Halbtagsstelle, da sie<br />
nachmittags ihre Kinder betreuen. Positiv zu vermerken ist natürlich der<br />
Kündigungsschutz während dieser Zeit <strong>und</strong> die Möglichkeit der Aufteilung des<br />
Erziehungsurlaubs <strong>zwischen</strong> den beiden Elternteilen. Da bis jetzt jedoch nur <strong>ein</strong><br />
verschwindend geringer Anteil der Väter da<strong>von</strong> Gebrauch gemacht hat, sollten die<br />
Rahmenbedingungen neu gestaltet werden. So ist selbst die maximale Höhe des<br />
Erziehungsgeldes zu niedrig bemessen, um Einkommensverluste durch den Ausstieg<br />
aus dem Arbeitsmarkt ausgleichen zu können. Derjenige Partner, der mehr verdient,<br />
wird demnach eher weiterarbeiten als derjenige, der weniger „zu verlieren“ hat. Dies<br />
ist im Großteil aller Fälle die Frau <strong>und</strong> deswegen wird sie eher auf <strong>ein</strong>e<br />
Erwerbstätigkeit verzichten. Besser qualifizierte Frauen mit Karrierechancen <strong>und</strong><br />
guten beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten werden sich demzufolge entscheiden<br />
müssen, ob sie beruflich erfolgreich s<strong>ein</strong> möchten <strong>und</strong> auf Kinder verzichten, oder der<br />
<strong>Familie</strong> den Vorrang geben sollten, dafür jedoch berufliche Einschnitte <strong>und</strong><br />
Einkommensverluste in Kauf nehmen.<br />
Auch in Frankreich wird Müttern die Möglichkeit gegeben, für bis zu drei Jahre den<br />
Arbeitsmarkt zu verlassen <strong>und</strong> sich um die Erziehung <strong>und</strong> Betreuung des Kindes oder<br />
der Kinder zu kümmern. Während des Elternurlaubs können Weiterbildungsmaßnahmen<br />
genommen werden, um den Kontakt zum <strong>Beruf</strong> nicht vollkommen<br />
abreißen zu lassen. Auch französische Frauen können halbtags arbeiten, aber ebenso<br />
hier nehmen nur wenige dieses Angebot an (jedoch mehr als in Deutschland). Vätern<br />
wird die Möglichkeit gegeben, zwei Wochen nach der Geburt <strong>ein</strong>en bezahlten Urlaub<br />
zu nehmen. Eine gesetzliche Regelung, die es so nicht in Deutschland gibt <strong>und</strong> die es<br />
Vätern ermöglicht, sich in der allerersten Zeit um ihr Kind zu kümmern <strong>und</strong><br />
62
gleichzeitig Lohnersatz zu bekommen – <strong>ein</strong>e dekommodifizierende Maßnahme. Auch<br />
können Vater oder Mutter oder beide <strong>von</strong> dem Elternurlaub Gebrauch machen. Auch<br />
wenn das Erziehungsgeld <strong>ein</strong>e Lohnersatzleistung darstellen soll mit <strong>ein</strong>em relativ<br />
großzügigen Betrag <strong>von</strong> fast 500 Euro (ab 2004 genau 500 Euro), sind auch in<br />
Frankreich fast 100 Prozent der Antragsteller Frauen. Vor allem gering qualifizierte<br />
oder arbeitslose Frauen sind Bezieher <strong>von</strong> APE. Das wiederum erschwert dieser<br />
Gruppe <strong>von</strong> Frauen, die es ohnehin nicht leicht haben auf dem Arbeitsmarkt, den<br />
Wieder<strong>ein</strong>stieg stärker als denjenigen Frauen, die fester in das Erwerbsleben integriert<br />
bleiben (müssen bzw. wollen).<br />
Das Erziehungsgeld wird erst ab dem zweiten Kind (bis 1994 sogar erst ab dem<br />
dritten Kind) gewährt. Für das erste Kind sind nur geringfügige Entlastungen durch<br />
das Steuersystem vorhanden. Deshalb nehmen die meisten Frauen erst ab dem<br />
zweiten Kind Elternurlaub in Anspruch. Davor bleiben sie auf dem Arbeitsmarkt, die<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> Kindererziehung wird durch das gut ausgebaute<br />
Kinderbetreuungssystem stark erleichtert. Die Geburt <strong>ein</strong>es Kindes ist im Gegensatz<br />
zu Deutschland k<strong>ein</strong> Gr<strong>und</strong>, die <strong>Beruf</strong>stätigkeit aufzugeben.<br />
Ab dem Jahr 2004 wird das Erziehungsgeld jedoch angehoben <strong>und</strong> um <strong>ein</strong>en<br />
Gr<strong>und</strong>beitrag <strong>von</strong> weiteren 160 Euro verstärkt, der schon ab dem ersten Kind drei<br />
Jahre lang gezahlt wird. Damit könnte Vätern <strong>ein</strong> Anreiz gegeben werden, stärker <strong>von</strong><br />
der Möglichkeit des Elternurlaubs Gebrauch zu machen, da der Einkommensverlust<br />
verringert wird. Andererseits könnte es auch mehr Frauen dazu bewegen, den<br />
Elternurlaub zu nehmen. Dies passierte ja auch nach der Änderung des<br />
Erziehungsgeldes 1994.<br />
Man kann also festhalten, dass erst ab dem zweiten Kind Anreize gegeben werden,<br />
den Arbeitsmarkt zu verlassen. Durch <strong>ein</strong> Kinderbetreuungssystem, das stark auf die<br />
Bedürfnisse arbeitender Eltern abgestimmt ist (vor allem auf Eltern dreijähriger <strong>und</strong><br />
älterer Kinder), haben es die französischen Frauen gleichwohl auch danach leichter,<br />
zu arbeiten <strong>und</strong> Kinder großzuziehen.<br />
Gornick et al. (1997, 1998) sowie Meyers et al. (1999) untersuchten den Effekt des<br />
Vorhandens<strong>ein</strong>s kl<strong>ein</strong>er Kinder auf die Erwerbstätigkeit ihrer Mütter <strong>und</strong> fanden<br />
heraus, dass in sieben der untersuchten 14 Länder sogenannte „child penalties“<br />
(Gornick et al., 1998), also das Ausmaß, in dem kl<strong>ein</strong>e Kinder die Erwerbstätigkeit<br />
ihrer Mütter reduzieren, besonders stark ausgeprägt sind. In Ländern, die die<br />
63
Erwerbstätigkeit der Mütter durch bestimmte sozialpolitische Maßnahmen<br />
unterstützen, ist dies nicht der Fall. Deutschland gehörte laut dieser Untersuchung in<br />
die erste Gruppe, Frankreich jedoch in die letztere. Dies stützt auch m<strong>ein</strong>e Annahmen<br />
über den Zusammenhang <strong>zwischen</strong> den institutionellen Rahmenbedingungen <strong>und</strong> den<br />
Erwerbsquoten der Mütter in Frankreich <strong>und</strong> Deutschland. <strong>Familie</strong>npolitik als Teil<br />
wohlfahrtsstaatlicher Politik kann demnach durchaus <strong>ein</strong>en Einfluß auf die<br />
Erwerbstätigkeit <strong>von</strong> Müttern haben <strong>und</strong> sie stärker <strong>von</strong> ihren familiären Belastungen<br />
befreien (im Sinne <strong>ein</strong>er Defamilialisierung). In Frankreich ist es eher möglich,<br />
erwerbstätig zu s<strong>ein</strong> <strong>und</strong> Kinder groß zuziehen – bezogen auf die ökonomische<br />
Theorie der <strong>Familie</strong> können französische Frauen also ihre Opportunitätskosten stark<br />
verringern – da die Erziehung <strong>und</strong> Betreuung <strong>von</strong> Kindern nicht gleichzusetzen ist mit<br />
der Aufgabe der Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> des Verlustes des Einkommens. So sollten vor<br />
allem höher gebildete Frauen nicht vor der Entscheidungssituation „<strong>Beruf</strong> oder<br />
<strong>Familie</strong>“ stehen müssen. In Deutschland hingegen sind die Opportunitätskosten höher,<br />
da die institutionellen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> nicht fördern. Deswegen werden insbesondere besser<br />
qualifizierte Frauen entweder ihren Kinderwunsch aufgeben, oder aber ihre<br />
Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> sich voll der <strong>Familie</strong> widmen.<br />
In den nächsten Kapiteln soll deswegen der Zusammenhang <strong>zwischen</strong> Bildung <strong>und</strong><br />
Fertilität näher untersucht werden.<br />
64
II. EMPIRISCHER TEIL<br />
4. Vorüberlegungen zur empirischen Analyse<br />
4.1 Die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> – Vorüberlegungen zur empirischen<br />
Analyse<br />
Die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> kann man anhand <strong>von</strong> verschiedenen<br />
Indikatoren wie zum Beispiel der Versorgung <strong>von</strong> Krippen- oder Kindergartenplätzen<br />
messen. Schwieriger ist es jedoch, den Effekt der Rahmenbedingungen auf das<br />
demografische Verhalten zu bestimmen. Ein erster Schritt können Makro-<br />
Korrelationen auf Länderebene s<strong>ein</strong>, die in der Regel zeigen, dass in den Ländern, in<br />
denen Rahmenbedingungen <strong>ein</strong>e <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> unterstützen, auch die Fertilität höher<br />
ist (vgl. Meyers, Gornick, Ross 1999; Anttonen, Sipilä 1996; Brewster, Rindfuss<br />
2000; Bradshaw et al. 1993; Esping-Andersen 1999, Sainsbury 1999). Die<br />
Untersuchung des Zusammenhangs <strong>zwischen</strong> ver<strong>ein</strong>barkeitsfördernden Indikatoren,<br />
wie die im Kapitel zwei erwähnten Maßnahmen zur Kinderbetreuung oder dem<br />
Elternurlaub, <strong>und</strong> den jeweiligen Kinderzahlen oder Erwerbsquoten in den<br />
untersuchten Ländern ist sehr aufschlußreich <strong>und</strong> informativ <strong>und</strong> kann die Wirkung<br />
der Maßnahmen auf das Verhalten <strong>ein</strong>er Gruppe <strong>von</strong> Individuen (z.B. Frauen mit<br />
kl<strong>ein</strong>en Kindern) erklären. Im nächsten Schritt sollte jedoch versucht werden, den<br />
Einfluss individueller Faktoren auf das Verhalten <strong>von</strong> Personen zu analysieren. Denn<br />
Analysen, die ausschließlich mit aggregierten Daten arbeiten/argumentieren, lassen<br />
k<strong>ein</strong>e stichhaltigen Schlüsse über die Hintergründe auf individueller Ebene zu, wie<br />
seit Robinsons Artikel (1950) zum ökologischen Fehlschluss bekannt ist.<br />
Der Vorteil <strong>von</strong> Analysen auf der Mikroebene ist, dass auch Variationen innerhalb<br />
bestimmter Gruppen untersucht werden können. Individuelle Informationen über<br />
Fertilität, Schulbildung, Erwerbsverlauf oder Partnerschaftsgeschichte können dazu<br />
beitragen, familiale Lebensverläufe besser zu verstehen <strong>und</strong> in Verbindung mit den<br />
sozialstrukturellen <strong>und</strong> institutionellen Rahmenbedingungen, Aussagen über den<br />
Zusammenhang <strong>zwischen</strong> beiden Bereichen zu treffen. Dazu sind jedoch vorab<br />
definierte Annahmen aufzustellen, die im folgenden Abschnitt dargestellt werden<br />
sollen.<br />
65
4.2 Der Zusammenhang <strong>von</strong> der Bildung der Frau <strong>und</strong> ihrer Fertilität – <strong>ein</strong> Überblick<br />
über die bisherige Forschung<br />
Ausgangspunkt der Überlegungen soll der Tatbestand s<strong>ein</strong>, dass weibliche<br />
Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Fertilität laut der ökonomischen Theorie negativ mit<strong>ein</strong>ander<br />
korreliert ist, sich diese Beziehung unter bestimmten gesellschaftlichen <strong>und</strong><br />
institutionellen Rahmenbedingungen jedoch umkehren kann oder zumindest<br />
abschwächt. Die soll nachfolgend kurz erläutert werden.<br />
Angenommen, Frauen mit <strong>ein</strong>em höheren Bildungsniveau haben auch höhere<br />
Einkommenschancen <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e stärkere Arbeitsmarktorientierung, dann sollte diese<br />
Gruppe <strong>von</strong> Frauen besonders <strong>von</strong> <strong>ein</strong>er gesellschaftlichen Unver<strong>ein</strong>barkeit <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Familie</strong> betroffen s<strong>ein</strong>, da ihnen höhere Opportunitätskosten entstehen würden als<br />
den anderen Frauen. Weiterhin kann angenommen werden, dass Kinderbetreuung <strong>und</strong><br />
–erziehung noch immer vorwiegend <strong>ein</strong>e Domäne der Frauen ist (so nehmen zum<br />
Beispiel nur 1,8 Prozent der Männer Elternurlaub). Der damit zusammenhängende<br />
Erwerbsausfall <strong>und</strong> Einkommensausfall bei der Geburt <strong>ein</strong>es Kindes sollte<br />
demzufolge bei Frauen mit <strong>ein</strong>em höheren Bildungsabschluß größer s<strong>ein</strong>, als bei jenen<br />
mit <strong>ein</strong>em niedrigeren Bildungsniveau. Um dies zu vermeiden, sollten sie öfter<br />
kinderlos bleiben oder weniger Kinder bekommen als Frauen, deren<br />
Opportunitätskosten geringer sind. Der Zusammenhang <strong>von</strong> Bildung <strong>und</strong> Fertilität<br />
sollte demzufolge negativ s<strong>ein</strong>. Da jedoch angemessene familienpolitische<br />
Maßnahmen die Kosten, die ihnen aus dem Ausfall der Erwerbstätigkeit entstehen<br />
würden, verringern könnten (<strong>ein</strong>kommensabhängig bezahlter Erziehungsurlaub, gut<br />
ausgebaute Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen), sollten in Ländern, die diese<br />
Maßnahmen unterstützen, der negative Zusammenhang schwächer s<strong>ein</strong> oder sogar<br />
verschwinden.<br />
Inwiefern gibt es empirische Belege für die Unterstützung dieser Annahmen?<br />
In den letzten Jahren wurden zunehmend mehr Studien veröffentlicht, die <strong>ein</strong>e<br />
positive Korrelation <strong>zwischen</strong> der Bildung der Frau <strong>und</strong> der Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit, <strong>ein</strong><br />
erstes, zweites oder drittes Kind zu bekommen beobachtet haben:<br />
� So fanden Hoem <strong>und</strong> Hoem (1989) für höher gebildete Frauen in Schweden <strong>ein</strong>e<br />
höhere Übergangsrate zum zweiten oder dritten Kind, als für Frauen mit weniger<br />
Bildung. Sie argumentierten, dass der Einkommenseffekt <strong>ein</strong>e größere Wirkung<br />
66
als der Effekt der Opportunitätskosten hat, da besser Ausgebildete mehr<br />
Humankapital <strong>und</strong> damit zusammenhängend höhere ökonomische Ressourcen<br />
aber auch öfter Partner mit höheren Löhnen haben (Stichwort<br />
Bildungshomogamie).<br />
� B. Hoem (1996) argumentierte dagegen, dass dieser Effekt für Schweden<br />
verschwindet, kontrolliert man für das relative Alter bei der zweiten Geburt, da<br />
das Alter bei der zweiten Geburt oftmals höher bei besser Qualifizierten ist als in<br />
den anderen Bildungsgruppen. Der Effekt der höheren Rate kann somit auf<br />
unterschiedliche Verfahren der Beschleunigung oder des Aufschubes <strong>von</strong><br />
Geburten zurückgeführt werden <strong>und</strong> nicht direkt auf das Bildungsniveau der<br />
untersuchten Frauen.<br />
� Kravdal (1992) untersuchte die Bildung der Frau <strong>und</strong> die Geburt des dritten<br />
Kindes in Norwegen <strong>und</strong> entdeckte <strong>ein</strong>en positiven Zusammenhang. Als Gründe<br />
führt er verschiedene Möglichkeiten an: der Einkommenseffekt könnte den Effekt<br />
der Opportunitätskosten während der letzten Jahre ausgeglichen haben,<br />
Höhergebildete könnten Jobs annehmen, in denen sich <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> leichter<br />
ver<strong>ein</strong>baren lassen (zum Beispiel als Lehrer) oder aber diejenigen Frauen, die<br />
schon zwei Kinder haben, könnten <strong>ein</strong>e ausgewählte Gruppe s<strong>ein</strong>, die stark<br />
familienorientiert ist – die anderen bleiben vielleicht eher kinderlos.<br />
� Für hochqualifizierte schwedische Frauen entdeckte Oláh (1996) ebenfalls <strong>ein</strong><br />
höheres Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen <strong>und</strong> führt dies auf Maßnahmen<br />
zurück, die erfolgreich die Kosten für Kinder reduziert haben (Elternurlaub oder<br />
Kindertages<strong>ein</strong>richtungen).<br />
� Die gleichen Ergebnisse, nur bezüglich Drittgeburten, stellt B. Hoem (1993) dar:<br />
Hochgebildete schwedische Mütter <strong>von</strong> zwei Kindern haben höhere<br />
Übergangsraten zum dritten Kind als Frauen mit <strong>ein</strong>em niedrigeren Abschluß.<br />
Auch sie führt dies auf bestimmte Maßnahmen zurück, die es Frauen in Schweden<br />
erleichtern, Arbeit <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> zu ver<strong>ein</strong>baren.<br />
� Corman (2000) untersuchte den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Geburt<br />
<strong>ein</strong>es dritten Kindes in Frankreich <strong>und</strong> Schweden. Schwedische Frauen mit<br />
Hochschulbildung haben demnach <strong>ein</strong>e größere Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit, <strong>ein</strong> drittes<br />
Kind zu bekommen als Frauen ohne Hochschulabschluss. Französische Frauen<br />
mit akademischer Bildung bekommen jedoch demgegenüber seltener <strong>ein</strong> drittes<br />
Kind als französische Frauen mit geringerer Qualifikation. Argumentiert wird,<br />
67
dass es höher gebildeten Frauen in Frankreich schwerer fällt, <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong><br />
Mutterschaft zu ver<strong>ein</strong>baren, da Erziehungsgeld <strong>ein</strong>kommensunabhängig gezahlt<br />
wird <strong>und</strong> somit das vermutete hohe Einkommen nicht ersetzen kann. Die<br />
Opportunitätskosten steigen außerdem, da Teilzeitarbeit in Franreich wenig<br />
verbreitet ist <strong>und</strong> die Norm, Vollzeit zu arbeiten, französische Frauen da<strong>von</strong><br />
abhält, weitere Kinder zu bekommen.<br />
� Zwar kommt bei der ersten Betrachtung der Eindruck auf, auch österreichische<br />
Frauen mit Hochschulabschluss hätten <strong>ein</strong>e höhere Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit als andere<br />
Frauen, <strong>ein</strong> drittes Kind zu bekommen (Hoem et al. 2001), dies wird nach<br />
Kontrolle anderer Faktoren wie dem relativen Alter bei der zweiten Geburt <strong>und</strong><br />
der Bildung des Partners jedoch zurückgewiesen. Die Korrelation erweist sich<br />
dann sogar als negativ <strong>und</strong> wird <strong>von</strong> den Autoren als Hinweis darauf gedeutet,<br />
dass es in Österreich noch immer schwierig ist, Mutterschaft <strong>und</strong> Erwerbstätigkeit<br />
zu ver<strong>ein</strong>baren.<br />
� Blossfeld <strong>und</strong> Huinink (1989, 1991) untersuchten für westdeutsche Frauen die<br />
Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit, <strong>ein</strong> erstes Kind zu bekommen <strong>und</strong> entdeckten zwar <strong>ein</strong>en<br />
positiven Zusammenhang <strong>von</strong> hoher Bildung <strong>und</strong> der Geburt des ersten Kindes,<br />
führen dies jedoch auf die verlängerte Schulbildung, anstatt auf das<br />
Bildungsniveau zurück. Der Zeitdruck unter den diese Frauen nach Beendigung<br />
ihrer Ausbildung kommen (infolge möglicher medizinischer Probleme <strong>und</strong><br />
gesellschaftlicher Normen) führt zu <strong>ein</strong>er Beschleunigung der Geburt des ersten<br />
Kindes nach Abschluss der Ausbildung. Ihre Karriereressourcen würden das<br />
Risiko, <strong>ein</strong> erstes Kind zu bekommen, jedoch negativ be<strong>ein</strong>flussen.<br />
� Der Zusammenhang <strong>von</strong> hoher Bildung bei westdeutschen Frauen <strong>und</strong> dem<br />
Übergang zum zweiten Kind wurde <strong>von</strong> Kreyenfeld (2002) untersucht. Auch sie<br />
findet zuerst <strong>ein</strong>en positiven Zusammenhang, dass heißt, je höher die Bildung der<br />
Frau, desto höher das Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen. Der Effekt<br />
verschwindet jedoch <strong>und</strong> wird sogar negativ, wird für die Bildung des Partners<br />
<strong>und</strong> unbeobachtete Heterogenität (Frauen, die <strong>ein</strong> erstes Kind haben, sind schon<br />
<strong>ein</strong>e ausgewählte Gruppe, die bestimmte Präferenz für Kinder gezeigt hat)<br />
kontrolliert.<br />
Welche Schlüsse lassen sich aus diesem kurzen Überblick ziehen? Wie stellt sich die<br />
Situation bei den deutschen <strong>und</strong> französischen Frauen dar?<br />
68
4.3 Annahmen über den Zusammenhang <strong>von</strong> Bildung <strong>und</strong> Fertilität in Deutschland<br />
<strong>und</strong> Frankreich<br />
Ausgehend <strong>von</strong> diesen Ergebnissen lautet m<strong>ein</strong>e Vermutung, dass in <strong>ein</strong>em Land wie<br />
Frankreich, in dem <strong>ein</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> familienpolitischen Maßnahmen sowie<br />
geeignete institutionelle Rahmenbedingungen existieren, Frauen mit hoher Bildung<br />
<strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> besser ver<strong>ein</strong>baren können <strong>und</strong> demzufolge auch <strong>ein</strong>e höhere<br />
Fertilität aufweisen, als Frauen mit niedrigerer Bildung. Der<br />
Opportunitätskosteneffekt, der <strong>von</strong> der ökonomischen Theorie als Hauptgr<strong>und</strong> für die<br />
geringere Fertilität besser qualifizierter Frauen ausgemacht wurde, sollte <strong>von</strong> <strong>ein</strong>em<br />
Einkommenseffekt verdrängt werden. Das höhere Einkommen <strong>und</strong> die damit<br />
zusammenhängenden größeren finanziellen Ressourcen können dazu <strong>ein</strong>gesetzt<br />
werden, <strong>ein</strong>e große <strong>Familie</strong> zu unterstützen (vgl. Kreyenfeld 2001, S. 73). Dies kann<br />
jedoch nur in <strong>ein</strong>em Wohlfahrtsstaat geschehen, der für s<strong>ein</strong>e Mitglieder ausreichende<br />
Möglichkeiten zur Entlastung arbeitender Mütter bereitstellt, wie zum Beispiel durch<br />
<strong>ein</strong> gut ausgebautes Netz an institutioneller Kinderbetreuung.<br />
In <strong>ein</strong>em Wohlfahrtsstaat, der die Erwerbstätigkeit <strong>von</strong> Müttern jedoch behindert oder<br />
zumindest k<strong>ein</strong>erlei Anreize für <strong>ein</strong>e kontinuierliche Arbeitsmarktintegration <strong>von</strong><br />
Müttern bietet, geraten Frauen mit mehr Bildung in <strong>ein</strong> Entscheidungsdilemma:<br />
entweder sie realisieren ihren Arbeits- oder ihren Kinderwunsch. Diese spezielle<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong>sproblematik ist insbesondere für Deutschland sichtbar:<br />
Der Tatbestand, dass in Deutschland die Kinderzahl <strong>von</strong> Frauen mit <strong>ein</strong>em<br />
Hochschulabschluss seit den Kohorten der frühen fünziger Jahre bimodal verteilt ist –<br />
entweder sie bleiben kinderlos oder sie haben zwei Kinder; nur <strong>ein</strong> Kind haben<br />
demgegenüber relativ wenige (vgl. Huinink 2002, S. 49) – zeigt, dass Frauen vor <strong>ein</strong>e<br />
Entscheidung gestellt werden. Huinink (1989, 1995, 2002) sowie Gr<strong>und</strong>mann et al.<br />
(1994) sprechen in diesem Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>ein</strong>er Polarisierung in der<br />
<strong>Familie</strong>nentwicklung. Argumentiert wird, dass <strong>ein</strong>e Polarisierung dann <strong>ein</strong>tritt, wenn<br />
der Anreiz zur Elternschaft zwar hoch ist 26 , die traditionelle Rolle der Mutter als<br />
Hausfrau jedoch abgelehnt wird (vgl. Huinink 2002, S.49). Hohe<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong>skosten fallen dann an, wenn Elternschaft <strong>und</strong> nicht familiale<br />
26 Vor allem Frauen mit <strong>ein</strong>em höheren Bildungsniveau vertreten die Ansicht, dass für die Sozialisation<br />
<strong>von</strong> Kindern, das Aufwachsen mit anderen Kindern unverzichtbar ist. „Wenn <strong>Familie</strong>, dann richtig.“<br />
(Huinink 1995, S.201).<br />
69
Aktivitäten, wie beispielsweise die Erwerbstätigkeit, mit<strong>ein</strong>ander verknüpft werden<br />
sollen (vgl. Huinink 2002, S. 55) <strong>und</strong> kostengünstige Möglichkeiten, die diese<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> erleichtern würden, fehlen. Ohne entsprechende Rahmenbedingungen<br />
müssten Frauen sich entscheiden: für <strong>ein</strong>e <strong>Familie</strong> oder für den <strong>Beruf</strong>. Diejenigen, die<br />
sich für den <strong>Beruf</strong> entscheiden, sollten zu großem Teil kinderlos bleiben, die anderen<br />
möglicherweise ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder sogar ganz aufgeben <strong>und</strong> sich<br />
der <strong>Familie</strong> widmen. Diese Polarisierung tritt vor allem bei Frauen mit <strong>ein</strong>em höheren<br />
Bildungsniveau in Ersch<strong>ein</strong>ung, da sich in dieser Gruppe die widerspruchsvolle<br />
Situation, in der sich die Frauen befinden, besonders zeigt.<br />
Betrachtet man Fertilitätsentscheidungen aus der Lebenslaufperspektive, wie im<br />
ersten Abschnitt vorgeschlagen, sollte dies unter dem Blickpunkt der sequentiellen<br />
Entscheidungssituation (Yamaguchi, Ferguson 1995, S. 274) geschehen, da die<br />
Geburt <strong>von</strong> Kindern erster, zweiter oder dritter Ordnung jeweils andere<br />
Entscheidungen mit sich zieht. Die Übergänge zum ersten, zweiten oder dritten Kind<br />
sollten demnach separat analysiert werden.<br />
Ich möchte den Übergang zum zweiten Kind untersuchen, da die spezifische Situation<br />
der Frauen mit Hochschulabschluss in Deutschland <strong>ein</strong>e Polarisierung in kinderlose<br />
Frauen oder solche mit zwei Kindern erwarten lässt. Es soll überprüft werden, ob<br />
höher gebildete Frauen, die in ihrem Leben <strong>ein</strong>e gewisse Präferenz für Kinder gezeigt<br />
haben, mit größerer Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit auch <strong>ein</strong> zweites Kind bekommen, als Frauen<br />
aus anderen Bildungsgruppen. Gemäß der Polarisierungsthese müsste dies der Fall<br />
s<strong>ein</strong>. Da Frauen in dieser Gruppe <strong>ein</strong> bestimmtes Merkmal gem<strong>ein</strong>sam haben – sie<br />
haben sich unter den gegebenen Bedingungen schon <strong>ein</strong>mal für die Mutterschaft<br />
entschieden – sollten sie eher familienorientiert denn erwerbsorientiert s<strong>ein</strong> <strong>und</strong> die<br />
Opportunitätskosten, die aus der Reduktion <strong>von</strong> Arbeitszeit oder dem Ausstieg aus<br />
dem Arbeitsmarkt erwachsen sind, akzeptieren. Demnach sollte die<br />
Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit für sie, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen, höher s<strong>ein</strong>, als bei<br />
Frauen, die geringere Abschlüsse haben.<br />
Für Frankreich wurde diese Form der Polarisierung nicht gef<strong>und</strong>en (Huinink 2002).<br />
Trotzdem sollten Frauen mit <strong>ein</strong>em höheren Bildungsniveau <strong>ein</strong>e höhere<br />
Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit haben, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen, als andere Frauen; jedoch<br />
aus <strong>ein</strong>em anderen Gr<strong>und</strong> als in Deutschland. Hier greift der Einkommenseffekt.<br />
M<strong>ein</strong>e Hypothese ist, dass hohe weibliche Löhne in Frankreich nicht die<br />
Opportunitätskosten erhöhen, sondern dass sie dadurch eher in der Lage sind, <strong>ein</strong>e<br />
70
<strong>Familie</strong> mit mehr als <strong>ein</strong>em Kind zu unterhalten, da ihre Erwerbstätigkeit <strong>ein</strong><br />
wichtiger Faktor im Haushaltsbudget darstellt. Dies ist nur möglich, da es<br />
erwerbstätigen Frauen in Frankreich erleichtert wird, <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> mit<strong>ein</strong>ander<br />
zu ver<strong>ein</strong>baren. <strong>Familie</strong>npolitische Maßnahmen, die die gleichzeitige Erwerbstätigkeit<br />
der Frau zusammen mit <strong>ein</strong>er Mutterschaft ermöglichen (in Verbindung mit der<br />
herausragenden Rolle <strong>von</strong> Kindern in der französischen Gesellschaft), haben in<br />
Frankreich erfolgreich die Kosten, die das Aufziehen <strong>von</strong> Kindern mit sich bringt,<br />
verringert. Sie könnten die Entschlossenheit der höher gebildeten Frauen, Arbeit <strong>und</strong><br />
<strong>Familie</strong> zu haben, gestärkt haben. Außerdem können französische Frauen ihre<br />
Geburten schneller auf<strong>ein</strong>ander folgen lassen, um ebenfalls auch schneller zur Arbeit<br />
zurückkehren zu können. Dies reduziert die Kosten, die mit dem Ausfall <strong>von</strong><br />
Erwerbstätigkeit verb<strong>und</strong>en sind (Kreyenfeld 2002, Ní Bhrolchaín 1986). Zwar hat<br />
Corman (2000) <strong>ein</strong>en negativen Einfluss auf den Übergang zum dritten Kind<br />
gef<strong>und</strong>en, ich glaube jedoch nicht, dass dies auch für das zweite Kind zutrifft. Ein<br />
zweites Kind sollte anhand m<strong>ein</strong>er vorhergegangenen Analyse k<strong>ein</strong>en<br />
Hinderungsgr<strong>und</strong> für <strong>ein</strong>e Erwerbstätigkeit darstellen.<br />
Welche Daten <strong>und</strong> Methoden benutzt wurden <strong>und</strong> wie sich andere Faktoren außer<br />
dem Bildungsniveau auf den Übergang zum zweiten Kind auswirken, soll in Kapitel<br />
fünf dargestellt werden.<br />
5. Datensatz <strong>und</strong> Methode<br />
5.1 Datensatz<br />
Für unsere Untersuchungen verwenden wir den „Family and Fertility Survey“ (FFS)<br />
27<br />
, <strong>ein</strong>e retrospektiv angelegte Befragung, die international vergleichbare Daten zu<br />
Partnerschafts- <strong>und</strong> Erwerbsbiographien aber auch Einstellungen zum Kinderwunsch,<br />
<strong>Familie</strong>nplanung oder dem Wert <strong>von</strong> Kindern enthält (vgl. Pohl 1995, S. 1). Das<br />
Projekt wurde 1988 initiiert <strong>und</strong> durchgeführt <strong>von</strong> der United Nations Economic<br />
Commission for Europe – UNECE (Wirtschaftskommission der Ver<strong>ein</strong>ten Nationen<br />
für Europa). Koordiniert wurde die Durchführung <strong>von</strong> der Population Activities Unit<br />
27 "The author(s) wish to thank the Advisory Group of the FFS programme of comparative research for<br />
its permission, granted <strong>und</strong>er identification number 75 to use the FFS data on which this study is<br />
based."<br />
71
– PAU, dem Sekretariat für Bevölkerungsfragen der Ver<strong>ein</strong>ten Nationen, (vgl. ebd., S.<br />
1). Der Survey wurde bis jetzt in 24 der 55 Mitgliedsländern der UNECE<br />
durchgeführt 28 . Ab 1992 wurde der sogenannte „standard FFS questionnaire“, also<br />
<strong>ein</strong> standardisierter Fragebogen, der es ermöglicht die <strong>ein</strong>zelnen Länder mit<strong>ein</strong>ander<br />
zu vergleichen, <strong>ein</strong>geführt. Ende 1998 lagen <strong>von</strong> den meisten dieser Länder die<br />
standardisierten Datensätze vor <strong>und</strong> ermöglichten somit die Durchführung<br />
international vergleichbarer Analysen (vgl. B<strong>und</strong>esinstitut für<br />
Bevölkerungsforschung: http://www.bib-demographie.de/ffs/index.htm, abgerufen am<br />
20.06.2003).<br />
Im Auftrag des B<strong>und</strong>esinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) erfolgte in<br />
Deutschland <strong>zwischen</strong> Mai <strong>und</strong> September des Jahres 1992 die Umfrage<br />
„<strong>Familie</strong>nbildung <strong>und</strong> Kinderwunsch in Deutschland“. Getrennt für die alten <strong>und</strong><br />
neuen B<strong>und</strong>esländer wurden je 5.000 Deutsche in Privathaushalten (je 3.000 Frauen<br />
<strong>und</strong> 2.000 Männer) im Alter <strong>von</strong> 20 bis 39 Jahren, also die Geburtskohorten 1952-72,<br />
mittels <strong>ein</strong>es modular aufgebauten Fragebogens befragt. Die Vorbereitung <strong>und</strong><br />
Durchführung der Interviews erfolgte durch das EMNID-Institut, Bielefeld (vgl.<br />
ebd.). Für die deutsche Erhebung wurde der Standardfragebogen der UNECE<br />
weitgehend übernommen. Des weiteren wurden jedoch für Deutschland spezifische<br />
Fragen mit integriert, wie zum Beispiel Fragen zu Ost-West-Wanderungen. Um <strong>ein</strong>en<br />
<strong>Vergleich</strong> <strong>zwischen</strong> Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland, sowie <strong>zwischen</strong> Männern <strong>und</strong> Frauen<br />
zu ermöglichen, wurde die Gesamtstichprobe in vier <strong>von</strong><strong>ein</strong>ander unabhängige,<br />
repräsentativ ausgewählte Teilstichproben unterteilt 29 .<br />
Für die hier vorgestellte Untersuchung wurde jedoch die standardisierte Version des<br />
Fragebogens <strong>und</strong> nicht die nationale Version mit den ergänzenden Variablen gewählt,<br />
um <strong>ein</strong>e bestmögliche <strong>Vergleich</strong>barkeit zu dem französischen Datensatz zu<br />
gewährleisten. Außerdem beschränken wir uns bei der Analyse auf die westdeutsche<br />
Stichprobe. Diese enthält 2.024 Männer <strong>und</strong> 3.012 Frauen.<br />
28 Die teilnehmenden Länder sind: Belgien, Bulgarien, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich,<br />
Griechenland, Italien, Kanada, Lettland, Litauen, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich,<br />
Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn <strong>und</strong> die USA.<br />
29 Für jede der vier Stichproben wurde <strong>ein</strong> Gewichtungsverfahren zur Optimierung der<br />
Repräsentativität durchgeführt. Zur Berechnung dieses Faktors wurden die Gewichtungsdimensionen<br />
B<strong>und</strong>esland, Ortsgrößenklasse, Haushaltsgröße, Alter <strong>und</strong> <strong>Familie</strong>nstand herangezogen. Um außerdem<br />
die Disproportionalität der Erhebung bezüglich des Männer-Frauen-Anteils <strong>und</strong> der Verteilung der<br />
Befragten aus den alten <strong>und</strong> neuen B<strong>und</strong>esländern auszugleichen, wurde auf Basis des Mikrozensus<br />
1991 <strong>ein</strong> weitere Gewichtungsfaktor berechnet. Ein <strong>Vergleich</strong> <strong>zwischen</strong> dem Mikrozensus <strong>und</strong> der<br />
gewichteten Verteilung des FFS lässt <strong>ein</strong>e hinreichende Über<strong>ein</strong>stimmung erkennen <strong>und</strong> deshalb auf<br />
Repräsentativität schließen (vgl. Pohl 1995, S.9f.).<br />
72
Der französische FFS wurde zusammen mit <strong>ein</strong>er anderen Umfrage, der Enquete<br />
Situations Familiales et Emploi (<strong>ein</strong>er Stichprobenerhebung zur Erwerbstätigkeit),<br />
durch das Institut National de la Statistique et des Études Économiques (INSEE) im<br />
Jahr 1994 durchgeführt. Er enthält 4.885 Befragte in privaten Haushalten – 1.941<br />
Männer <strong>und</strong> 2.944 Frauen im Alter <strong>von</strong> 21 bis 50 Jahren, geboren <strong>zwischen</strong> 1944 <strong>und</strong><br />
1973. Die Befragungen fanden <strong>zwischen</strong> Januar <strong>und</strong> April im Jahr 1994 statt. Ein<br />
gewisses Problem ist die Überrepräsentation <strong>von</strong> All<strong>ein</strong>erziehenden <strong>und</strong> sogenannten<br />
Patchwork-<strong>Familie</strong>n im französischen Datensatz. Von den fast 5.000 befragten<br />
Haushalten enthielten 1.411 <strong>ein</strong> Kind, dass mit nur <strong>ein</strong>em oder k<strong>ein</strong>em s<strong>ein</strong>er Eltern<br />
wohnt. Eine zufällige Stichprobe würde nur 560 dieser Haushalte enthalten (vgl.<br />
Toulemon, Guibert-Lantoine 1998, S. 1). In der multivariaten Analyse sollte dies<br />
jedoch k<strong>ein</strong> allzu großes Problem darstellen, da für den Partnerschaftsstatus der<br />
Befragten kontrolliert wurde. Bei der deskriptiven Untersuchung muss jedoch <strong>ein</strong><br />
Gewichtungsfaktor verwendet werden. Außerdem wurden in dem französischen FFS<br />
auch Ausländer <strong>und</strong> Immigranten befragt. Es ist jedoch leider nicht möglich, sie in<br />
dem standardisierten Datensatz zu identifizieren. Da zugewanderte Personen oder<br />
Ausländer jedoch meistens <strong>ein</strong> anderes Fertilitätsverhalten als Einheimische besitzen,<br />
könnte dies die Auswertung leicht verzerren.<br />
Der Vorteil des FFS liegt in s<strong>ein</strong>em international vergleichbaren Design <strong>und</strong> dem<br />
retrospektiven Charakter des Datensatzes. Es gibt demnach k<strong>ein</strong>e linkszensierten<br />
Fälle. Er enthält international vergleichbare Informationen über <strong>Familie</strong>n- <strong>und</strong><br />
Fertilitätsbiographien, Bildungs-, Erwerbs- sowie Partnerschaftsgeschichten.<br />
Nachteilig wirkt sich die Tatsache aus, dass nicht alle beteiligten Länder den<br />
Richtlinien des Standardfragebogens gefolgt sind <strong>und</strong> die Daten somit nicht<br />
h<strong>und</strong>ertprozentig vergleichbar sind. So enthält zum Beispiel die standardisierte<br />
Version des französischen Datensatzes nicht die komplette Erwerbsgeschichte der<br />
Befragten, obwohl diese im deutschen Datensatz vorhanden ist. Aus Gründen der<br />
<strong>Vergleich</strong>barkeit wurde deswegen auch nur die Variable „Jemals gearbeitet: ja oder<br />
n<strong>ein</strong>“ benutzt, anstatt die Variable, die die individuelle Erwerbsgeschichte der<br />
Individuen nachzeichnet. Die untersuchte Stichprobe besteht aus Frauen, die<br />
mindestens <strong>ein</strong> Kind haben <strong>und</strong> unter dem Risiko stehen, <strong>ein</strong> zweites zu bekommen.<br />
73
In dem ber<strong>ein</strong>igten Datensatz 30 sind 1.293 deutsche Frauen <strong>und</strong> 2.063 französische<br />
Frauen enthalten. Von denen gebaren 751 Frauen <strong>ein</strong> zweites Kind in Deutschland<br />
<strong>und</strong> 1.400 in Frankreich.<br />
Die Tabellen 3a <strong>und</strong> 3b sollen <strong>ein</strong>en kurzen Überblick über <strong>ein</strong>bezogene <strong>und</strong><br />
ausgeschlossene Fälle in beiden Datensätzen liefern.<br />
Tabelle 3a: Anzahl der <strong>ein</strong>- <strong>und</strong> ausgeschlossenen Fälle aus der Analyse. Deutsche Frauen der<br />
Kohorte 1952-1972<br />
Anzahl der Befragten nach Ber<strong>ein</strong>igung des Datensatzes 2.964<br />
Da<strong>von</strong> Befragte mit <strong>ein</strong>em oder mehr Kinder 1.336<br />
Ausgeschlossene Fälle<br />
Zwillinge bei der ersten Geburt 10<br />
Adoptierte Kinder 4<br />
Stiefkinder 15<br />
Pflegekinder 6<br />
Erstes Kind vor dem 14. Geburtstag der Befragten geboren 3<br />
Befragte älter als 45 bei der ersten oder zweiten Geburt -<br />
Erstes Kind gestorben vor der Geburt des zweiten Kindes 2<br />
Erstes Kind im Interviewmonat geboren 3<br />
Absolute Anzahl der ausgeschlossenen Fälle 43<br />
Anzahl der Befragten 1.293<br />
Anzahl der Zweitgeburten 751<br />
Tabelle 3b: Anzahl der <strong>ein</strong>- <strong>und</strong> ausgeschlossenen Fälle aus der Analyse. Französische Frauen der<br />
Kohorte 1944-73<br />
Anzahl der Befragten nach Ber<strong>ein</strong>igung des Datensatzes 2.932<br />
Da<strong>von</strong> Befragte mit <strong>ein</strong>em oder mehr Kinder 2.189<br />
Ausgeschlossene Fälle<br />
Zwillinge bei der ersten Geburt 18<br />
Adoptierte Kinder 4<br />
Stiefkinder 20<br />
Pflegekinder 13<br />
Erstes Kind vor dem 14. Geburtstag der Befragten geboren 2<br />
Befragte älter als 45 bei der ersten oder zweiten Geburt 64<br />
Erstes Kind gestorben vor der Geburt des zweiten Kindes -<br />
Erstes Kind im Interviewmonat geboren 5<br />
Absolute Anzahl der ausgeschlossenen Fälle 126<br />
Anzahl der Befragten 2.063<br />
Anzahl der Zweitgeburten 1.400<br />
30 Es wurden im Vorfeld verschiedene Fälle gelöscht, wie zum Beispiel fehlende Angaben bei<br />
Geburtsjahr der Befragten oder des ersten Kindes. Aber auch Geburten unlogischer Ordnung (zweites<br />
vor dem ersten Kind geboren) kamen nicht mit hin<strong>ein</strong> in die Analyse. Ich gehe da<strong>von</strong> aus, dass diese<br />
Fehler zufällig verteilt sind <strong>und</strong> die Ergebnisse somit k<strong>ein</strong>e systematische Verzerrung aufweisen.<br />
74
5.2 Methode<br />
Für diese Art der Untersuchung werden Methoden der Ereignisdatenanalyse (event<br />
history analysis) benutzt. Diese Herangehensweise erlaubt es, Ereignisse, die während<br />
des Lebenslaufes <strong>ein</strong>treten, wie zum Beispiel die Geburt <strong>von</strong> Kindern, Heirat, Auszug<br />
aus dem Elternhaus oder auch Tod, näher zu untersuchen. Mit ihr können die<br />
Ereignisse sowie die Verweildauern in Zuständen in <strong>ein</strong>em oder mehreren Bereichen<br />
individueller Lebensverläufe untersucht werden (vgl. Huinink 1995, S. 203). Ich<br />
möchte das Ereignis „Geburt <strong>ein</strong>es zweiten Kindes“ analysieren. Der Beginn der<br />
Prozesszeit ist der Geburtstag des ersten Kindes. Die Prozesszeit endet mit dem<br />
Geburtstag des zweiten Kindes (=Ereignis), mit Alter 45 (=zensiert) oder am Tag des<br />
Interviews (=zensiert), je nachdem, was zuerst <strong>ein</strong>tritt. Die Anzahl der Monate, die<br />
seit der Geburt des ersten Kindes bis zum Eintritt des Ereignisses oder der Zensierung<br />
vergehen, stellt die Risikozeit dar (Zeitfaktor). Es werden multiplikative<br />
ereignisanalytische Modelle geschätzt. Die Zweitgeburtsintensität µ (t) <strong>ein</strong>er Frau ist<br />
die Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit, dass sie im nächsten Monat <strong>ein</strong>e zweite Geburt erfahren wird.<br />
Es wird angenommen, dass diese Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit <strong>von</strong> verschiedenen Faktoren<br />
abhängt, wie zum Beispiel dem Bildungsniveau der Frau, dem Erwerbsstatus oder<br />
dem Alter bei der ersten Geburt (den sogenannten Kovariaten).<br />
Außerdem wird postuliert, dass das Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen, über<br />
bestimmte Zeitintervalle hinweg konstant ist. Der Zeitfaktor ist demnach kategorial,<br />
wie auch die anderen Kovariaten. Das Modell mit den Hauptfaktoren kann folglich so<br />
geschrieben werden:<br />
µ (t)ijklmnop = ai(t) bj ck dl em fn go hp<br />
Der Faktor a repräsentiert den Effekt der Zeitvariable (Dauer in Monaten seit der<br />
Geburt des ersten Kindes), i(t) bezeichnet diejenigen Intervalle, in welcher der<br />
baseline hazard (die Zeitvariable) als konstant angenommen wird (0-12, 13-24, 25-36,<br />
37-48, 49-72 <strong>und</strong> 73-120 Monate).<br />
Der Faktor b repräsentiert den Effekt des Alters bei der ersten Geburt,<br />
der Faktor c den Effekt des höchsten Bildungsabschlusses der Befragten,<br />
der Faktor d den Effekt des höchsten Bildungsabschlusses des Partners,<br />
75
der Faktor e den Effekt der Erwerbsarbeit,<br />
der Faktor f den Effekt des <strong>Familie</strong>nstandes,<br />
der Faktor g den Effekt des Kalenderjahres <strong>und</strong><br />
der Faktor h den Effekt der Größe des Wohnortes.<br />
Die Software, die für dieses Modell benutzt wurde, ist Rocanova (Version 2.0). Sie<br />
wurde <strong>von</strong> Sten Martinelle, Statistics Sweden, 1996 entwickelt. Die Konstruktion der<br />
Variablen <strong>und</strong> die Aufbereitung des Datensatzes wurde mit STATA durchgeführt.<br />
5.3 Variablen<br />
Im ersten Schritt sollen die Bildungsvariable sowie verschiedene Kontrollvariablen,<br />
die die Geburt des zweiten Kindes be<strong>ein</strong>flussen könnten, vorgestellt <strong>und</strong> erläutert<br />
werden. Danach werden Hypothesen aufgestellt, die den möglichen Einfluss der<br />
Kontrollvariablen näher beschreiben sollen.<br />
Das Modell enthält für beide Länder je fünf zeitunabhängige Variablen <strong>und</strong> zwei<br />
zeitabhängige Variablen sowie den Zeitfaktor. In Tabelle 4 wird die Verteilung der<br />
Befragten auf die verschiedenen Ausprägungen der zeitunabhängigen Variablen<br />
absolut <strong>und</strong> prozentual dargestellt. Für Deutschland kommen noch zwei weitere<br />
zeitunabhängige Variablen hinzu, die so für Frankreich leider nicht vorhanden waren.<br />
76
Tabelle 4: Verteilung der Befragten auf die verschiedenen Ausprägungen der zeitunabhängigen<br />
Variablen. Absolute <strong>und</strong> prozentuale Anzahl der Befragten<br />
Deutschland Frankreich<br />
Variablen<br />
Alter bei der ersten Geburt<br />
absolut prozentual absolut prozentual<br />
14-20 294 22.74 502 24.33<br />
21-23 334 25.83 636 30.83<br />
24-27 403 31.17 584 28.31<br />
28+<br />
Höchster Bildungsabschluss der Befragten<br />
262 20.26 341 16.53<br />
k.A. 51 3.94 - -<br />
K<strong>ein</strong>en oder niedrig 654 50.58 951 46.10<br />
Mittel 472 36.50 807 39.12<br />
Hoch<br />
Höchster Bildungsabschluss des Partners<br />
116 8.97 305 14.78<br />
k.A. 51 3.94 181 8.77<br />
K<strong>ein</strong>en oder niedrig 488 37.74 267 12.94<br />
Mittel 249 19.26 663 32.14<br />
Hoch 229 17.71 230 11.15<br />
K<strong>ein</strong> Partner im Haushalt<br />
Jemals gearbeitet: n<strong>ein</strong> oder ja<br />
276 21.53 722 35.00<br />
k.A. 4 0.31 - -<br />
N<strong>ein</strong> 131 10.13 151 7.32<br />
Ja<br />
Wohnort bei Befragung<br />
1.158 89.56 1.912 92.68<br />
Stadt 750 58.00 1.304 63.21<br />
Land<br />
Wohnort bis Alter 15<br />
543 42.00 759 36.79<br />
k.A. 19 1.47 - -<br />
Stadt 756 58.47 - -<br />
Land<br />
Vor der ersten Geburt gearbeitet: n<strong>ein</strong> oder ja<br />
518 40.06 - -<br />
k.A. 55 4.25 - -<br />
N<strong>ein</strong> 191 14.77 - -<br />
Ja 1.047 80.97 - -<br />
Total 1.293 100.00 2.063 100.00<br />
Deutsche Frauen bekamen ihr erstes Kind im Durchschnitt mit 24 Jahren,<br />
französische Frauen mit durchschnittlich 23,6 Jahren. In Deutschland bekamen<br />
außerdem vier Prozent mehr Frauen ihr erstes Kind im Alter 28 <strong>und</strong> älter. Die<br />
<strong>Familie</strong>nbildung beginnt demnach in Deutschland später. Dies kann allerdings auch<br />
<strong>ein</strong> Hinweis darauf s<strong>ein</strong>, dass viele Frauen zum Befragungszeitpunkt noch k<strong>ein</strong> erstes<br />
Kind hatten, da sich die deutsche Stichprobe aus Frauen im Alter 20 bis 39 Jahren<br />
zusammensetzt, <strong>und</strong> nicht, wie in Frankreich, bis Alter 50.<br />
Die Bildungsabschlüsse in den Datensätzen wurden mit Hilfe <strong>von</strong> ISCED 76<br />
(International Standard Classification of Education) vercodet. Ich habe sie daraufhin<br />
77
in drei Gruppen <strong>ein</strong>geteilt: k<strong>ein</strong> Abschluss oder niedriger Abschluss, mittlerer<br />
Abschluss <strong>und</strong> hoher Abschluss 31 . Diese setzen sich wie folgt zusammen:<br />
1. k<strong>ein</strong> oder niedriger Abschluss = k<strong>ein</strong> Schulabschluss oder höchstens Sek<strong>und</strong>arstufe<br />
<strong>ein</strong>s (bis Alter 16),<br />
2. mittlerer Abschluss = <strong>Beruf</strong>sausbildung (Lehre oder gleichwertiger Abschluss)<br />
oder Abitur (Hochschul- <strong>und</strong> Fachhochschulreife),<br />
3. hoher Abschluss = alle Hochschulabschlüsse.<br />
Wie zu erkennen, ist der Anteil der Frauen mit Hochschulabschluss in Frankreich<br />
höher, dafür haben die Partner deutscher Frauen zu <strong>ein</strong>em höheren Anteil <strong>ein</strong>e<br />
akademische Ausbildung als die der französischen Frauen, sind jedoch auch öfter in<br />
der Gruppe der niedrig Gebildeten vertreten. Der relativ hohe Anteil der französischen<br />
Frauen, die zum Zeitpunkt des Interviews k<strong>ein</strong>en Partner haben, kann an der<br />
Überrepräsentation all<strong>ein</strong>erziehender Mütter liegen.<br />
Nur <strong>ein</strong>e Minderheit der Frauen in beiden Ländern war niemals erwerbstätig, etwas<br />
größer ist dieser Anteil jedoch in Deutschland. Für Deutschland kann außerdem die<br />
Frage nach der Erwerbstätigkeit vor der Geburt des ersten Kindes beantwortet<br />
werden: fast 81 Prozent haben davor gearbeitet, aber immerhin auch 15 Prozent taten<br />
dies nicht, etwas mehr als vier Prozent gaben auf diese Frage k<strong>ein</strong>e Antwort. Die<br />
Verteilung nach ländlichem (weniger als 10.000 Einwohner in Frankreich, weniger als<br />
100.000 Einwohner in Deutschland) <strong>und</strong> städtischem Gebiet ist in beiden Ländern<br />
relativ ähnlich; für Deutschland ist <strong>ein</strong> höherer Anteil der ländlichen Einwohner zu<br />
erkennen. Dies kann jedoch an der Gruppen<strong>ein</strong>teilung liegen. Für Deutschland konnte<br />
ich die ländliche Gruppe nur bis unter 100.000 Einwohner zusammenfassen, für<br />
Frankreich bis unter 10.000 Einwohner. Außerdem gibt es für Deutschland die<br />
Variable „Wohnort bis Alter 15“, die <strong>ein</strong>en Indikator für die soziale Herkunft liefern<br />
kann. Die Verteilung unterscheidet sich jedoch kaum <strong>von</strong> der des Wohnortes zum<br />
Zeitpunkt des Interviews. Die Frage nach der Erwerbstätigkeit vor der ersten Geburt<br />
zeigt für Deutschland, dass die meisten Frauen vor der Geburt des ersten Kindes<br />
erwerbstätig waren (80 Prozent). Allerdings gibt es auch <strong>ein</strong>en relativ großen Anteil<br />
<strong>von</strong> Frauen, die nicht davor gearbeitet haben.<br />
31 Siehe auch Toulemon, Guibert-Lantoine 1998, S. 56 sowie Europäische Zeitschrift <strong>Beruf</strong>sbildung<br />
Nr.22: www2.trainingvillage.gr/download/journal/bull-22/22-DE.pdf, abgerufen am 26.02.2003.<br />
78
Wie sieht nun die Verteilung der zeitabhängigen Variablen aus? Tabelle 5 zeigt die<br />
Risikozeit (Personenmonate), während der die Befragten dem Risiko, <strong>ein</strong>e zweite<br />
Geburt zu erfahren, ausgesetzt waren.<br />
Tabelle 5: Verteilung der Risikozeit auf die verschiedenen Ausprägungen der zeitabhängigen<br />
Variablen. Absolute <strong>und</strong> prozentuale Anzahl der Personenmonate<br />
Deutschland Frankreich<br />
Variablen absolut prozentual absolut prozentual<br />
<strong>Familie</strong>nstand<br />
Niemals verheiratet 15262 19.89 35494 28.64<br />
Einmal verheiratet 53788 70.10 67658 54.58<br />
Mehrmals verheiratet 1188 1.55 1499 1.21<br />
Geschieden 6496 8.47 19299 15.57<br />
Kalenderzeit(Deutschland)<br />
Bis 1974 2619 3.41 - -<br />
1975-79 9438 12.30 - -<br />
1980-82 9846 12.83 - -<br />
1983-86 18450 24.04 - -<br />
1987-89 18582 24.22 - -<br />
1990-92 17799 23.20 - -<br />
Kalenderzeit (Frankreich)<br />
Bis 1973 - - 8659 6.99<br />
1974-80 - - 28877 23.30<br />
1981-83 - - 15669 12.64<br />
1984-86 - - 17470 14.09<br />
1987-90 - - 27125 21.88<br />
1991-94 - - 26150 21.10<br />
Total 76734 100.00 123950 100.00<br />
Insgesamt wurden 76.734 Personenmonate für Deutschland <strong>und</strong> 123.950 für<br />
Frankreich im Datensatz beobachtet. 20 Prozent dieser Zeit wurde in Deutschland als<br />
Ledige durchlebt, 70 Prozent als Verheiratete, 1,5 Prozent als mehrmals Verheiratete<br />
<strong>und</strong> 8,5 Prozent als Geschiedene. In Frankreich durchlebten mehr ledige Personen die<br />
Risikozeit als in Deutschland <strong>und</strong> dementsprechend geringer fällt auch der Wert für<br />
die Verheirateten aus (nur 55 Prozent). Auch sind die Befragten während der<br />
Risikozeit öfters geschieden als in Deutschland. Die Kalenderzeit wurde anhand<br />
verschiedener familienpolitischer Maßnahmen ausgewählt, um mögliche Effekte, die<br />
durch Veränderungen in den Rahmenbedingungen ausgelöst werden könnten,<br />
aufzudecken. Tabelle 6 soll diese Maßnahmen in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich näher<br />
darstellen:<br />
79
Tabelle 6: Ausgewählte familienpolitische Maßnahmen in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich<br />
Zeit Deutschland Zeit Frankreich<br />
1975 Kindergeldreform: <strong>ein</strong>kommenunabhängiges 1972 Einkommensabhängiger<br />
Kindergeld ab dem ersten Kind<br />
Kinderbetreuungszuschuss (AFG)<br />
1979 Einführung <strong>ein</strong>es bezahlten Mutterschafts- 1976-78 Unbezahlte Mutterschaftsfreistelurlaubes<br />
<strong>von</strong> bis zu sechs Monaten<br />
lung,All<strong>ein</strong>erziehendenunterstüt- 1983 Kürzung des Mutterschaftsgeldes, Kindergeld 1982-83<br />
zung, <strong>ein</strong>kommensabhängige <strong>Familie</strong>nergänzungsbeihilfe<br />
(CF), offizielle<br />
Anerkennung des <strong>Beruf</strong>s der<br />
Tagesmutter<br />
Allgem<strong>ein</strong>e finanzielle Kürzungen<br />
teilweise wieder <strong>ein</strong>kommensabhängig (als<br />
Förderung <strong>ein</strong>kommensschwacher <strong>Familie</strong>n)<br />
des staatlichen Budgets<br />
1986 Einführung <strong>von</strong> Erziehungsurlaub <strong>und</strong> 1984-86 Mehr Unterstützung für All<strong>ein</strong>erzie-<br />
Erziehungsgeld<br />
hende, Erziehungsgeld ab dem<br />
dritten Kind (APE),<br />
<strong>ein</strong>kommensunabhängiger<br />
frauenzuschuss (AGED)<br />
Kinder-<br />
1990 Steuerfreibetrag für Haushaltshilfen 1991-93 Tagesmütterbeihilfe für alle<br />
1992 Erhöhung des Kindergeldes <strong>und</strong> des 1994<br />
(AFEAMA), Steuerermäßigung für<br />
Haushaltshilfen<br />
Ausweitung <strong>von</strong> APE auf das zweite<br />
Kinderfreibetrages<br />
Kind, Möglichkeit, während des<br />
Erziehungsurlaubes<br />
arbeiten<br />
Teilzeit zu<br />
Im nächsten Schritt sollen die möglichen Einflüsse der eben vorgestellten Variablen<br />
auf die Geburt des zweiten Kindes beschrieben werden. Existiert <strong>ein</strong> positiver Effekt<br />
des weiblichen Hochschulabschlusses auf das Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen<br />
<strong>und</strong> wenn ja, wieso?<br />
� Der Einfluss des höchsten Bildungsabschlusses der Frau<br />
Bei Richtigkeit der Beckerschen Hypothesen sollten sich negative Effekte der<br />
Bildungsqualifikationen auf die Übergangsrate zum zweiten Kind ergeben. Ich nehme<br />
jedoch an, dass der Zusammenhang <strong>von</strong> Bildung <strong>und</strong> der Geburt <strong>ein</strong>es zweiten Kindes<br />
positiv ist. Dies hat jedoch für die beiden Länder unterschiedliche Gründe. In<br />
Frankreich sollte der Einkommenseffekt stärker als der Opportunitätskosteneffekt<br />
s<strong>ein</strong>: besser gebildete Frauen haben mehr finanzielle Ressourcen <strong>und</strong> können diese in<br />
<strong>ein</strong>e größere <strong>Familie</strong> investieren. Für Deutschland trifft diese Argumentation nicht zu,<br />
da die gesellschaftlichen <strong>und</strong> institutionellen Rahmenbedingungen die Betreuung <strong>und</strong><br />
Erziehung <strong>von</strong> Kindern mit gleichzeitiger mütterlicher Erwerbstätigkeit eher<br />
erschweren. Polarisierungstendenzen bei den Frauen mit Hochschulabschluss<br />
verdeutlichen diese Schwierigkeiten. Trotzdem sollten nach dieser These höher<br />
gebildete Frauen, die sich im Gegensatz zu dem hohen Anteil Kinderloser in dieser<br />
80
Gruppe <strong>und</strong> trotz der hohen Opportunitätskosten schon <strong>ein</strong>mal für die Mutterschaft<br />
entschieden haben, stärker familienorientiert s<strong>ein</strong> als die anderen Frauen mit <strong>ein</strong>em<br />
Kind, <strong>und</strong> deswegen auch öfter <strong>ein</strong> zweites Kind bekommen.<br />
� Der Einfluss des Alters bei der ersten Geburt 32<br />
Bildung be<strong>ein</strong>flusst auch indirekt die Fertilität: Ich nehme an, dass höher gebildete<br />
Frauen später als andere Frauen <strong>ein</strong> erstes Kind bekommen, da sie länger in<br />
Ausbildung sind <strong>und</strong> während dieser Zeit sehr selten <strong>ein</strong>e <strong>Familie</strong> gründen (schlecht<br />
mit Ausbildung ver<strong>ein</strong>bar, gesellschaftliche Normen setzen Selbständigkeit voraus)<br />
(Blossfeld, Huinink 1989, 1991). Sobald jedoch das erste Kind geboren wird,<br />
verringert sich die Zeit, die bleibt, um <strong>ein</strong> zweites Kind in die Welt zu setzen, da vor<br />
allem ältere Frauen oftmals medizinische Probleme bei späten Geburten bekommen<br />
können.<br />
Sie können die Geburt weiterer Kinder nicht mehr sehr lange aufschieben. Dies sollte<br />
die Übergangsraten zum zweiten Kind erhöhen.<br />
� Der Einfluss des höchsten Bildungsabschlusses des Partners<br />
Frauen mit <strong>ein</strong>em Hochschulabschluss haben auch oft Partner mit <strong>ein</strong>er akademischen<br />
Ausbildung. Die Bildungshomogamie ist gerade bei den höher gebildeten stark<br />
ausgeprägt (Abb. 10 <strong>und</strong> 11):<br />
32 Statt des absoluten Alters kann auch das Alter relativ zum Bildungsabschluss genommen werden, da<br />
das erste Kind mit 28 Jahren zu bekommen, nicht sehr ungewöhnlich für Frauen mit<br />
Hochschulabschluss ist, jedoch ziemlich ungewöhnlich für Frauen mit z.B. Hauptschulabschluss. B.<br />
Hoem (1996) sowie Hoem et al. (2001) kontrollierten für das relative Alter bei Geburt <strong>und</strong> konnten<br />
somit den positiven Effekt der Bildung der Frau nicht mehr bestätigen. Das Alter bei der Geburt<br />
(übermittelt durch den Bildungsabschluss) <strong>und</strong> nicht die Bildung an sich be<strong>ein</strong>flusste den Übergang<br />
zum zweiten Kind positiv. Kreyenfeld (2002) konnte diesen Effekt für Westdeutschland jedoch nicht<br />
entdecken.<br />
81
Abbildung 10: Bildungshomogamie in Deutschland. Frauen der Kohorte 1952-72 mit mindestens<br />
<strong>ein</strong>em Kind (n=1293) 33<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992<br />
Abbildung 11: Bildungshomogamie in Frankreich. Frauen der Kohorte 1944-73 mit mindestens <strong>ein</strong>em<br />
Kind (n=2063)<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Bildung Frau niedrig Bildung Frau mittel Bildung Frau hoch<br />
k.A. Bildung Partner niedrig Bildung Partner mittel Bildung Partner hoch k<strong>ein</strong> Partner<br />
Bildung Frau niedrig Bildung Frau mittel Bildung Frau hoch<br />
k.A. Bildung Partner niedrig Bildung Partner mittel Bildung Partner hoch k<strong>ein</strong> Partner<br />
Quelle: Französischer FFS 1994<br />
Da damit verb<strong>und</strong>en also auch die berufliche Position <strong>und</strong> das Lohn<strong>ein</strong>kommen des<br />
Partners relativ hoch s<strong>ein</strong> sollte, kann angenommen werden, dass <strong>ein</strong> positiver<br />
Zusammenhang <strong>zwischen</strong> der Bildung des Partners <strong>und</strong> der Geburt <strong>ein</strong>es zweiten<br />
Kindes besteht. Vor allem in Deutschland, <strong>ein</strong>em Wohlfahrtsstaat, in dem<br />
Einverdienerehen häufiger als in Frankreich anzutreffen sind, sollte der Mann s<strong>ein</strong><br />
Erwerbs<strong>ein</strong>kommen <strong>ein</strong>er größeren <strong>Familie</strong> zukommen lassen können <strong>und</strong> den Anteil<br />
der Kosten der Kindererziehung damit verringern.<br />
33 Diese <strong>und</strong> die folgenden Abbildungen des Kapitel sechs wurden mit <strong>ein</strong>em Gewichtungsfaktor, der<br />
vom FFS bereitgestellt wurde, gewichtet (vgl. Pohl 1995, S.9f.; Toulemon <strong>und</strong> Guibert-Lantoine 1998,<br />
S.51f.).<br />
82
Deshalb vermute ich, dass in Deutschland vor allem die Bildung des Mannes die<br />
höhere Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit bestimmt, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen. In Frankreich<br />
kann jedoch die Frau eher unabhängig <strong>von</strong> ihrem Partner <strong>ein</strong>e größere <strong>Familie</strong><br />
unterstützen.<br />
� Der Einfluss der Erwerbstätigkeit<br />
Durch Datenrestriktionen konnte leider nur die Frage untersucht werden, ob die Frau<br />
jemals in ihrem Leben gearbeitet hat oder nicht. Frauen, die noch nie gearbeitet haben<br />
<strong>und</strong> schon Mütter sind, dürften sehr familienorientiert s<strong>ein</strong>. Ich erwarte, dass diese<br />
Gruppe <strong>ein</strong> viel höheres Risiko hat, <strong>ein</strong>e zweite Geburt zu erfahren, als Frauen, die<br />
schon <strong>ein</strong>mal erwerbstätig waren. Gerade Frauen mit hoher Bildung, die noch niemals<br />
gearbeitet haben, sollten <strong>ein</strong>e sehr starke <strong>Familie</strong>norientierung <strong>und</strong> demzufolge auch<br />
<strong>ein</strong> hohes Zweitgeburtsrisiko haben. Deutsche Frauen, die vor der Geburt ihres ersten<br />
Kindes erwerbstätig waren, sollten <strong>ein</strong>e stärkere Arbeitsorientierung zeigen <strong>und</strong><br />
deswegen zu <strong>ein</strong>em geringeren Teil zum zweiten Mal Mutter werden.<br />
� Der Einfluss der Größe des Wohnortes<br />
In <strong>ein</strong>er ländlichen Umgebung zu wohnen, sollte die Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit, <strong>ein</strong> weiteres<br />
Kind zu bekommen, erhöhen. Das traditionellere Leben auf dem Lande aber auch der<br />
mögliche Wunsch, s<strong>ein</strong>en Kindern <strong>ein</strong>e intakte Natur zu bieten <strong>und</strong> deswegen auf das<br />
Land zu ziehen, dürfte zu <strong>ein</strong>em höheren Zweitgeburtsrisiko führen. Das gleiche gilt<br />
für die Variable Wohnortgröße bis Alter 15.<br />
� Der Einfluss des <strong>Familie</strong>nstandes<br />
Ich nehme an, dass in beiden Ländern Ehe <strong>und</strong> Kinder noch immer stark mit<strong>ein</strong>ander<br />
verb<strong>und</strong>en sind. Angesichts der hohen Anzahl nichtehelicher Geburten kann jedoch<br />
für Frankreich da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass sich dieser Zusammenhang etwas<br />
abgeschwächt hat. Deswegen sollte das Risiko für verheiratete Frauen in Deutschland<br />
besonders hoch s<strong>ein</strong>, in Frankreich etwas schwächer. Frauen, die mehr als <strong>ein</strong>mal<br />
verheiratet waren, dürften öfter als die anderen <strong>ein</strong> zweites Kind bekommen, da der<br />
Wunsch, mit dem neuen Partner <strong>ein</strong> gem<strong>ein</strong>sames Kind zu haben, groß s<strong>ein</strong> sollte.<br />
Scheidungen wirken sich negativ auf die Geburt <strong>ein</strong>es Kindes aus.<br />
� Der Einfluss des Kalenderjahres<br />
In Zeiten, in denen <strong>Familie</strong>n stärker unterstützt werden <strong>und</strong> Anreize gegeben werden,<br />
weitere Kinder in die Welt zu setzen (zum Beispiel durch <strong>ein</strong>e Ausweitung der<br />
Elternzeit oder Erhöhungen des Erziehungsgeldes), sollten mehr Kinder geboren<br />
werden. Problematisch bei der Einbeziehung dieses Faktors ist die Möglichkeit, dass<br />
83
nicht nur die Veränderung familienpolitischer Maßnahmen, sondern auch die<br />
allgem<strong>ein</strong>e wirtschaftliche Lage <strong>und</strong> gesellschaftliche Stimmungslagen mit gemessen<br />
werden, die man schlecht aus<strong>ein</strong>ander halten kann. Deswegen ist es schwer,<br />
Hypothesen über den Einfluss dieser Variable aufzustellen. Sollte es signifikante<br />
Effekte geben, dann für Deutschland nach 1986 (Einführung des Erziehungsurlaubes<br />
<strong>und</strong> –geldes) <strong>und</strong> für Frankreich nach 1994 (Erziehungsgeld auch für das zweite<br />
Kind). Leider ist dieser Effekt kaum messbar, da 1994 auch die Befragung stattfand.<br />
Bevor wir uns nun den Ergebnissen der geschätzten Modelle zuwenden, soll <strong>ein</strong>e<br />
kurze deskriptive Analyse das Fertilitätsverhalten der deutschen <strong>und</strong> französischen<br />
Frauen in dem benutzen Datensatz näher untersuchen <strong>und</strong> die länderspezifischen<br />
Unterschiede aufzeigen.<br />
6. Deskription<br />
6.1 Kinderzahl<br />
Betrachtet man die absolute Kinderzahl der Frauen in der Altersgruppe 35 bis 39<br />
(deutsche Frauen der Kohorte 1953-57, französische Frauen der Kohorte 1955-59),<br />
also derjenigen Frauen, die ihre Fertilität größtenteils abgeschlossen haben, so erkennt<br />
man, dass wie erwartet die Kinderlosigkeit in Deutschland höher ist als die in<br />
Frankreich (Abb. 12). Mehr als 18 Prozent der deutschen Frauen blieben kinderlos, in<br />
Frankreich waren dies nur etwas mehr als elf Prozent. Bemerkenswert ist auch der<br />
große Unterschied bei den Frauen mit mindestens drei Kindern. Während nur 15<br />
Prozent der deutschen Frauen drei <strong>und</strong> mehr Kinder haben, sind es in Frankreich mehr<br />
als 30 Prozent.<br />
84
Abbildung 12: Absolute Kinderzahl der Frauen in Deutschland (Kohorte 1953-57) <strong>und</strong> Frankreich<br />
(Kohorte 1955-59)<br />
Frankreich (n=587)<br />
Deutschland (n=728)<br />
11.2 8<br />
18 .4 2<br />
17.79 38.29<br />
26.3<br />
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992, Französischer FFS 1994<br />
Noch deutlicher werden die demografischen Unterschiede, schaut man sich in<br />
Abschnitt 6.2 die Kaplan-Meier-Survival-Kurven zum ersten <strong>und</strong> zweiten Kind<br />
genauer an.<br />
6.2 Übergang zum 1. <strong>und</strong> 2. Kind (Survival)<br />
Prozent<br />
Survival Kurven zeigen den Anteil der beobachteten Personen, die das Ereignis (die<br />
erste Geburt in diesem Fall) noch nicht erlebt haben. Auch hier sieht man, dass der<br />
Anteil derjeniger Frauen, die kinderlos bleiben, viel geringer in Frankreich ist, knapp<br />
zehn Prozent im <strong>Vergleich</strong> zu fast 20 Prozent in Deutschland (Abb.13). Auch<br />
bekommen französische Frauen ihr erstes Kind früher als deutsche Frauen: die Hälfte<br />
gebärt das erste Kind mit knapp 26 Jahren, während dieser Wert für deutsche Frauen<br />
bei 27 liegt.<br />
39.44<br />
32.65<br />
k<strong>ein</strong> Kind <strong>ein</strong> Kind zwei Kinder mind. drei Kinder<br />
15.8 5<br />
85
Abbildung 13: Übergang zum ersten Kind (Kaplan-Meier-Survival-Kurve). Deutschland Kohorte 1952-<br />
72, Frankreich Kohorte 1944-73<br />
1<br />
0.9<br />
0.8<br />
0.7<br />
0.6<br />
0.5<br />
0.4<br />
0.3<br />
0.2<br />
0.1<br />
0<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992, Französischer FFS 1994<br />
Der Übergang zum zweiten Kind zeigt <strong>ein</strong>en ähnlichen Trend (Abb.14). Der<br />
Unterschied ist jedoch, dass in beiden Ländern 50 Prozent der Frauen ihr zweites<br />
Kind ungefähr vier Jahre nach dem ersten bekommen. Erst nach ungefähr sechs<br />
Jahren zeigt sich auch hier, dass französische Frauen zu <strong>ein</strong>em größeren Teil <strong>ein</strong><br />
zweites Kind bekommen als deutsche. Nur zwölf Prozent der Kinder wachsen ohne<br />
Geschwister auf. In Deutschland bleiben immerhin 20 Prozent der Kinder<br />
Einzelkinder.<br />
Abbildung 14: Übergang zum zweiten Kind (Kaplan-Meier-Survival-Kurve). Deutschland Kohorte<br />
1952-72, Frankreich Kohorte 1944-73<br />
1<br />
0.9<br />
0.8<br />
0.7<br />
0.6<br />
0.5<br />
0.4<br />
0.3<br />
0.2<br />
0.1<br />
0<br />
0 24 48 72 96 120 144 168 192 216 240 264 288 312 336 360<br />
Monate seit Alter 14<br />
0 12 24 36 48 60 72 84 96 108 120 132 144 156 168 180 192 204 216 228 240 252 264 276 288<br />
Alter des ersten Kindes in M onaten<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992, Französischer FFS 1994<br />
Deutschland (n=2953) Frankreich (n=2875)<br />
Deutschland (n=1293) Frankreich (n=2063)<br />
86
Im nächsten Abschnitt soll kurz auf die Verteilung der Kinderzahl nach dem<br />
Bildungsabschluss <strong>ein</strong>gegangen werden. Haben Frauen mit <strong>ein</strong>em<br />
Hochschulabschluss wirklich mehr Kinder als Frauen mit weniger Ausbildung?<br />
6.3 Bildung <strong>und</strong> Kinderzahl<br />
In Abbildung 15 wird die Verteilung der Frauen mit Hochschulabschluss (der älteren<br />
Kohorte, also derjenigen Frauen, die ihre Fertilität zum größten Teil abgeschlossen<br />
haben) nach der Kinderzahl gezeigt. Wie deutlich zu erkennen ist, zeigt sich <strong>ein</strong>e<br />
Polarisierung in kinderlose Frauen <strong>und</strong> Frauen mit zwei Kindern in Deutschland.<br />
Mehr als 25 Prozent bleiben kinderlos aber auch fast 35 Prozent bekommen <strong>ein</strong><br />
zweites Kind. In Frankreich ist dieser Effekt nicht zu erkennen. Zwar bleiben auch<br />
Abbildung 15: Frauen mit Hochschulabschluß nach der Kinderzahl. Deutschland Kohorte 1953-57,<br />
Frankreich Kohorte 1955-59<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Deutschland (n=101) Frankreich (n=92)<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992, Französischer FFS 1994<br />
k<strong>ein</strong> Kind <strong>ein</strong> Kind zwei Kinder mind. drei Kinder<br />
hier überdurchschnittlich viele Frauen kinderlos (18 Prozent bei den Frauen mit<br />
Hochschulabschluss gegenüber etwas mehr als zehn Prozent in der<br />
Gesamtbevölkerung), aber <strong>ein</strong>e Polarisierung ist nicht zu erkennen. Damit wird die<br />
These <strong>von</strong> Huinink (1995, 2002) bestätigt, dass es vor allem deutschen Frauen mit<br />
hoher Bildung schwerfällt, Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> Mutterschaft zu ver<strong>ein</strong>baren <strong>und</strong> sie<br />
deswegen zu <strong>ein</strong>em größeren Teil kinderlos bleiben. Für Frauen mit niedriger <strong>und</strong><br />
mittlerer Bildung wurde im übrigen in beiden Ländern k<strong>ein</strong>e Polarisierung entdeckt,<br />
87
sie bleiben zu <strong>ein</strong>em viel geringen Teil kinderlos <strong>und</strong> bekommen <strong>ein</strong> oder zwei<br />
Kinder 34 .<br />
Betrachtet man im nächsten Schritt die Survivalkurven, also die bedingten<br />
Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeiten (es werden nur die Frauen dargestellt, die schon <strong>ein</strong> Kind<br />
haben), erkennt man, dass vor allem Frauen mit <strong>ein</strong>em hohen Bildungsabschluss in<br />
beiden Ländern zu <strong>ein</strong>em höheren Teil <strong>ein</strong> zweites Kind bekommen, als die Frauen in<br />
den anderen Bildungsgruppen (Abb. 16 <strong>und</strong> 17).<br />
Abbildung 16: Übergang zum zweiten Kind nach höchstem Bildungsabschluss der Frau (Kaplan-<br />
Meier-Survival-Kurve). Deutschland (Kohorte 1952-72, n=1293)<br />
1<br />
0.9<br />
0.8<br />
0.7<br />
0.6<br />
0.5<br />
0.4<br />
0.3<br />
0.2<br />
0.1<br />
0<br />
0 12 24 36 48 60 72 84 96 108 120 132 144 156 168 180 192 204 216 228 240<br />
Alter des ersten Kindes in M onaten<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992<br />
Abbildung 17: Übergang zum zweiten Kind nach höchstem Bildungsabschluss der Frau (Kaplan-<br />
Meier-Survival-Kurve). Frankreich (Kohorte 1944-74, n=2063)<br />
1<br />
0.9<br />
0.8<br />
0.7<br />
0.6<br />
0.5<br />
0.4<br />
0.3<br />
0.2<br />
0.1<br />
0<br />
Quelle: Französischer FFS 1994<br />
niedrig mittel hoch<br />
0 12 24 36 48 60 72 84 96 108 120 132 144 156 168 180 192 204 216 228 240<br />
Alter des ersten Kindes in M onaten<br />
niedrig mittel hoch<br />
34 Die ungewichtete Darstellung zeigt <strong>ein</strong>e noch stärke Polarisierung für Deutschland. Trotzdem sollte<br />
man die gewichtete Darstellung bevorzugen, da ansonsten gerade bei Frankreich der Effekt der<br />
All<strong>ein</strong>erziehenden das Bild verzerren könnte.<br />
88
Fünf Jahre nach der Geburt des ersten Kindes haben bereits 74 Prozent der höher<br />
gebildeten Frauen in Deutschland <strong>ein</strong> zweites Kind, aber nur 60 Prozent der anderen<br />
Frauen. Auch in Frankreich bekommt die Hälfte der Frauen mit Hochschulabschluss<br />
bereits nach drei Jahren ihr zweites Kind, die anderen brauchen dafür etwas länger.<br />
Auffällig bei den französischen Frauen ist die Tatsache, dass auch Frauen ohne oder<br />
mit niedrigem Schulabschluss öfter <strong>und</strong> schneller <strong>ein</strong> zweites Kind bekommen als<br />
diejenigen mit <strong>ein</strong>em mittleren Abschluss. Zwar haben erst 80 Prozent dieser Frauen<br />
nach acht Jahren <strong>ein</strong>e zweite Geburt im Gegensatz zu fast 90 Prozent der höher<br />
Gebildeten (sie bekommen ihr zweites Baby also später als die besser qualifizierten<br />
Frauen) aber im Endeffekt (nach ungefähr 15 Jahren) haben beide Bildungsgruppen<br />
zu 90 Prozent <strong>ein</strong> weiteres Kind bekommen. In Deutschland bleiben demgegenüber<br />
knapp 17 Prozent der Hochschulabsolventinnen Mütter <strong>von</strong> nur <strong>ein</strong>em Kind.<br />
Ausgehend <strong>von</strong> diesen Abbildungen, die <strong>ein</strong>en ersten Eindruck <strong>von</strong> den Verhältnissen<br />
in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich gegeben haben <strong>und</strong> in die gleiche Richtung wie die<br />
vorab gestellten Hypothesen deuten, sollen nun die Ergebnisse der<br />
Ereignisdatenanalyse folgen. Wird der Effekt der Bildung auch nach der Kontrolle des<br />
Alters bei der ersten Geburt oder dem Bildungsabschluss des Partners positiv bleiben?<br />
89
7. Ereignisdatenanalyse<br />
7.1 Der Einfluß der unabhängigen Variablen auf den Übergang zum 2. Kind in<br />
Deutschland <strong>und</strong> Frankreich<br />
Die Ergebnisse sind in Tabelle 7 <strong>und</strong> 8 dargestellt.<br />
Im ersten Schritt wurde der all<strong>ein</strong>ige Effekt des höchsten Bildungsabschlusses der<br />
Frau untersucht. In Deutschland haben Frauen mit <strong>ein</strong>em Hochschulabschluss<br />
demnach <strong>ein</strong> 23 Prozent höheres Risiko <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen, als Frauen<br />
mit <strong>ein</strong>er <strong>Beruf</strong>sausbildung oder Abitur (Referenzkategorie). Französische Frauen<br />
derselben Bildungsgruppe haben sogar <strong>ein</strong> 29 Prozent höheres Risiko. Die These, dass<br />
sich <strong>ein</strong> hoher Bildungsabschluss <strong>und</strong> die Geburt <strong>von</strong> Kindern nicht unbedingt<br />
ausschließen müssen, wurde somit bestätigt. Im Gegensatz zu Deutschland ist<br />
allerdings auch das relative Risiko für französische Frauen ohne oder mit niedrigem<br />
Bildungsabschluss groß: 36 Prozent höher als in der Referenzkategorie.<br />
Im zweiten Schritt wurde das Alter bei der ersten Geburt dazu gefügt, um zu<br />
untersuchen, ob der Effekt der Bildung möglicherweise durch das späte Alter bei der<br />
ersten Geburt verursacht wurde, oder ob er unabhängig da<strong>von</strong> ist. Das höchste Risiko<br />
haben deutsche Frauen im Alter 24 bis 27, davor <strong>und</strong> danach ist die<br />
Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit, <strong>ein</strong> zweites Kind zu gebären, niedriger. Vor allem ab Alter 28 ist<br />
das Risiko, zum zweiten Mal Mutter zu werden, gering. Auch in Frankreich trifft die<br />
Annahme, je später desto öfter nicht zu. Hier haben Frauen, die ihr erstes Kind<br />
<strong>zwischen</strong> 14 <strong>und</strong> 20 Jahren bekommen haben, das höchste Risiko. Je älter sie bei der<br />
ersten Geburt sind, desto seltener wird <strong>ein</strong> zweites Kind geboren.<br />
Wäre all<strong>ein</strong> das Alter bei <strong>Familie</strong>ngründung der Gr<strong>und</strong> für den positiven<br />
Bildungseffekt, müsste nach Kontrolle der Altersvariable der Effekt der Bildung<br />
verschwinden oder zumindest schwächer werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der<br />
Effekt des Hochschulabschlusses bleibt positiv <strong>und</strong> wird für Deutschland sogar<br />
signifikant. Auch in Frankreich wird das Risiko nicht schwächer, sondern sogar noch<br />
stärker <strong>und</strong> bleibt hoch signifikant.<br />
Um den Zusammenhang <strong>zwischen</strong> Bildung <strong>und</strong> Alter bei der ersten Geburt näher zu<br />
untersuchen, wurde <strong>ein</strong>e Interaktion <strong>zwischen</strong> den beiden Variablen durchgeführt<br />
(Tabellen 9a <strong>und</strong> 89).<br />
90
91<br />
Tabelle 7: Zweitgeburtsrisiko für deutsche Frauen, Kohorte 1952-72, n=1.293<br />
Deutschland 1<br />
Variable<br />
Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 Modell 5 Modell 6 Modell 7<br />
Ausprägung<br />
Alter des ersten Kindes in Monaten *** *** *** *** *** *** ***<br />
0-12 0.05*** 0.05*** 0.05*** 0.05*** 0.05*** 0.05*** 0.05***<br />
13-24 0.58*** 0.58*** 0.57*** 0.57*** 0.57*** 0.57*** 0.57***<br />
25-36 1 ~21.397 1 ~23.763 1 ~24.519 1 ~32.318 1 ~34.543 1 ~32.527 1 ~30.674<br />
37-48 0.83* 0.83* 0.84* 0,84* 0.85 0,84* 0,84*<br />
49-72 0.56*** 0.57*** 0.57*** 0.58*** 0.59*** 0.58*** 0.58***<br />
73-120 0.26*** 0.26** 0.27*** 0.27*** 0.28*** 0.27*** 0.27***<br />
Höchster Bildungsabschluss der Befragten *<br />
k.A. 1.461** 1.524** 1.573** 1.422* 1.514** 1.511** 1.486*<br />
k<strong>ein</strong>en oder niedrig 1.006 1.016 1.06 1.058 1.023 1.037 1.016<br />
mittel 1 1 1 1 1 1 1<br />
hoch 1.226 1.257* 1.157 1.174 1.148 1.163 1.163<br />
Alter bei der ersten Geburt * * *<br />
14-20 0.824* 0.875 0.86 0.882 0.984 0.985<br />
21-23 0.915 0.965 0.951 0.963 0.998 1.007<br />
24-27 1 1 1 1 1 1<br />
28-40 0.783** 0.774** 0.779** 0.778** 0.759** 0.768**<br />
Höchster Bildungsabschluss des Partners *** *** *** *** ***<br />
k.A. 1.267 1.25 1.286 1.266 1.272<br />
k<strong>ein</strong>en oder niedrig 0.914 0.91 0.903 0.891 0.894<br />
mittel 1 1 1 1 1<br />
hoch 1.215* 1.21 1.198 1.196 1.194<br />
k<strong>ein</strong> Partner im Haushalt 0.654*** 0.667*** 0.757** 0.753** 0.759**<br />
Jemals gearbeitet: ja oder n<strong>ein</strong> ** ** ** **<br />
k.A. 0.288 0.309 0.334 0.314<br />
noch nie erwerbstätig 1 1 1 1<br />
mind. <strong>ein</strong>mal erwerbstätig 0.744** 0.746** 0.755** 0.745**<br />
<strong>Familie</strong>nstand *** *** ***<br />
niemals verheiratet 0.71*** 0.699*** 0.703***<br />
<strong>ein</strong>mal verheiratet 1 1 1<br />
mehrmals verheiratet 1.537* 1.484 1.5*<br />
geschieden<br />
Kalenderjahr<br />
0.369*** 0.356*** 0.358***<br />
bis 1974 0.768 0.774<br />
1975-79 0.867 0.877<br />
1980-82 1.06 1.07<br />
1983-86 1 1<br />
1987-89 1.054 1.061<br />
1990-92 1.154 1.162<br />
Wohnort bei Befragung<br />
**<br />
Stadt 1<br />
Land 1.167**<br />
***p = 0.01; **0.01= p =0.05; * 0.05= p =0.10; ~absolutes Risiko pro 1000 Personenmonate
92<br />
Tabelle 8: Zweitgeburtsrisiko für französische Frauen, Kohorte 1944-73, n=2.063<br />
Frankreich<br />
Variable<br />
Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 Modell 5 Modell 6 Modell 7<br />
Ausprägung<br />
Alter des ersten Kindes in Monaten *** *** *** *** *** *** ***<br />
0-12 0.11*** 0.11*** 0.1*** 0.1*** 0.1*** 0.1*** 0.1***<br />
13-24 0.75*** 0.75*** 0.74*** 0.73*** 0.69*** 0.68*** 0.68***<br />
25-36 0.93 0.93 0.92 0.92 0.88 0.88 0.88<br />
37-48 1 ~16.555 1 ~15.456 1 ~17.131 1 ~24.807 1 ~30.836 1 ~30.343 1 ~28.726<br />
49-72 0.76*** 0.76*** 0.77*** 0.77*** 0.81*** 0.82** 0.82**<br />
73-120 0.48*** 0.48*** 0.5*** 0.5*** 0.56*** 0.58*** 0.58***<br />
121-180 0.23*** 0.23*** 0.24*** 0.25*** 0.27*** 0.28*** 0.28***<br />
Höchster Bildungsabschluss der Befragten *** *** *** *** *** *** ***<br />
k<strong>ein</strong>en oder niedrig 1.356*** 1.293*** 1.298*** 1.271*** 1.275*** 1.272*** 1.271***<br />
mittel 1 1 1 1 1 1 1<br />
hoch 1.285*** 1.426*** 1.425*** 1.434*** 1.379*** 1.363*** 1.373***<br />
Alter bei der ersten Geburt *** *** *** *** *** ***<br />
14-20 1.309*** 1.338*** 1.296*** 1.313*** 1.251*** 1.244***<br />
21-23 1.129* 1.126* 1.112 1.078 1.051 1.047<br />
24-27 1 1 1 1 1 1<br />
28-40 0.761*** 0.766*** 0.763*** 0.83* 0.832* 0.83*<br />
Höchster Bildungsabschluss des Partners *** *** *** *** ***<br />
k.A. 1.233** 1.212* 1.283** 1.26** 1.276**<br />
k<strong>ein</strong>en oder niedrig 1.01 1.018 0.952 0.932 0.936<br />
mittel 1 1 1 1 1<br />
hoch 1.12 1.126 1.11 1.104 1.115<br />
k<strong>ein</strong> Partner im Haushalt 0.678*** 0.68*** 0.774*** 0.771*** 0.788***<br />
Jemals gearbeitet: ja oder n<strong>ein</strong> *** *** *** ***<br />
noch nie erwerbstätig 1 1 1 1<br />
mind. <strong>ein</strong>mal erwerbstätig 0.689*** 0.674*** 0.668*** 0.67***<br />
<strong>Familie</strong>nstand *** *** ***<br />
niemals verheiratet 0.538*** 0.547*** 0.552***<br />
<strong>ein</strong>mal verheiratet 1 1 1<br />
mehrmals verheiratet 1.808*** 1.801*** 1.824***<br />
geschieden 0.343*** 0.349*** 0.351***<br />
Kalenderjahr *<br />
bis 1973 1.276** 1.271**<br />
1974-80 1.091 1.096<br />
1981-83 0.938 0.938<br />
1984-86 1 1<br />
1987-90 0.982 0.983<br />
1991-94 1.101 1.099<br />
Wohnort bei Befragung *<br />
Stadt 1<br />
Land 1.109*<br />
***p = 0.01; **0.01= p =0.05; * 0.05= p =0.10; ~absolutes Risiko pro 1000 Personenmonate
Tabelle 9a: Der Übergang zum zweiten Kind für deutsche Frauen (n=1.293): Interaktion <strong>zwischen</strong><br />
höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> Alter bei der ersten Geburt (Kontrolliert für Bildung des<br />
Partners, Erwerbsstatus, <strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)<br />
Höchster Bildungsabschluss der Frau<br />
Alter bei der ersten<br />
Geburt<br />
K<strong>ein</strong>er oder niedrig Mittel Hoch<br />
14-20 1.05 0.87 0.55<br />
21-23 1.05 1 0.8<br />
24-27 0.92 1.13 1.27<br />
28-44<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992<br />
0.79 0.69 1.11<br />
Tabelle 9b: Der Übergang zum zweiten Kind für französische Frauen (n=2.063): Interaktion <strong>zwischen</strong><br />
höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> Alter bei der ersten Geburt (Kontrolliert für Bildung des<br />
Partners, Erwerbsstatus, <strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)<br />
Höchster Bildungsabschluss der Frau<br />
Alter bei der ersten<br />
Geburt<br />
K<strong>ein</strong>er oder niedrig Mittel Hoch<br />
14-20 1.57 1.12 1.31<br />
21-23 1.32 1 1.12<br />
24-27 1.14 0.94 1.51<br />
28-44 0.82 0.97 1.05<br />
Quelle: Französischer FFS 1994<br />
Frauen mit hoher Bildung haben noch immer <strong>ein</strong> hohes Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu<br />
bekommen. Im <strong>Vergleich</strong> zur Referenzkategorie (mittlere Bildung <strong>und</strong> erste Geburt<br />
<strong>zwischen</strong> Alter 21 <strong>und</strong> 23) haben Frauen mit Hochschulabschluß in Deutschland vor<br />
allem <strong>zwischen</strong> 24 <strong>und</strong> 27 Jahren <strong>ein</strong> 27 Prozent höheres Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu<br />
gebären. Bei französischen Frauen mit demselben Bildungsabschluss <strong>und</strong> dem<br />
gleichen Erstgebäralter steigt das Risiko im <strong>Vergleich</strong> zur Referenzgruppe sogar um<br />
das Doppelte. Interessant ist hier das um 50 Prozent höhere Risiko der niedrig<br />
Gebildeten, die ihr erstes Kind als Teenager zur Welt brachten. Es ist möglich, dass<br />
dieser Wert durch die Überrepräsentation All<strong>ein</strong>erziehender im französischen<br />
Datensatz verursacht wurde. Das hohe Risiko der französischen Frauen mit<br />
Hochschulabschluss, die ihr erstes Kind <strong>zwischen</strong> 14 <strong>und</strong> 20 bekommen haben, kann<br />
im Prinzip vernachlässigt werden, da nur zwölf Frauen der 305 Höhergebildeten in<br />
diese Gruppe fallen. In Deutschland sind es nur acht <strong>von</strong> 116 Frauen. Der Hauptteil<br />
der akademisch ausgebildeten Frauen bekommt erst ab 28 Jahren ihr erstes Kind (für<br />
Deutschland) beziehungsweise <strong>zwischen</strong> 24 <strong>und</strong> 27 Jahren (für Frankreich).<br />
Als nächstes kontrolliere ich für den höchsten Bildungsabschluss des Partners.<br />
Deutlich zu erkennen ist nach der Kontrolle dieses Faktors <strong>ein</strong> Absinken des<br />
Zweitgeburtsrisikos für die besser qualifizierten Frauen in Deutschland (siehe Tabelle<br />
93
6, Modell 3). Hatte diese Gruppe vor der Kontrolle der Partnercharakteristika noch <strong>ein</strong><br />
26 Prozent höheres Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen als die Referenzgruppe, so<br />
sind es jetzt nur noch 16 Prozent. Der Einfluss der Bildung der Frau auf die<br />
Übergangsraten zum zweiten Kind ist also geringer geworden. Dafür be<strong>ein</strong>flusst die<br />
Hochschulbildung des Partners die Geburt des zweiten Kindes: Frauen mit <strong>ein</strong>em<br />
akademisch ausgebildeten Partner haben <strong>ein</strong> fast 22 Prozent höheres Risiko, Mutter<br />
<strong>ein</strong>es zweiten Kindes zu werden, als Frauen mit <strong>ein</strong>em mittel ausgebildeten Partner. In<br />
Frankreich ist dieser Effekt nicht zu erkennen. Hier bleibt das Risiko für Frauen mit<br />
Hochschulabschluss signifikant hoch <strong>und</strong> der Effekt der hohen Bildung des Partners<br />
ist nicht signifikant <strong>und</strong> erhöht das Risiko um nur 12 Prozent. Eine Interaktion soll<br />
dies verdeutlichen (Tabellen 10a <strong>und</strong> 10b):<br />
Tabelle 10a: Der Übergang zum zweiten Kind für deutsche Frauen (n=1.293): Interaktion <strong>zwischen</strong><br />
höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> höchstem Bildungsabschluss des Partners (Kontrolliert für<br />
Alter bei der ersten Geburt, Erwerbsstatus, <strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)<br />
Höchster Bildungsabschluss des Mannes<br />
Höchster Bildungsabschluss K<strong>ein</strong>er oder Mittel Hoch K<strong>ein</strong> Partner<br />
der Frau<br />
niedrig<br />
K<strong>ein</strong>er oder niedrig 1.01 1.35 1.07 0.76<br />
Mittel 0.92 1 1.46 0.89<br />
Hoch<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992<br />
1.01 0.95 1.57 1.27<br />
Tabelle 10b: Der Übergang zum zweiten Kind für französische Frauen (n=2.063): Interaktion<br />
<strong>zwischen</strong> höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> höchstem Bildungsabschluss des Partners<br />
(Kontrolliert für Alter bei der ersten Geburt, Erwerbsstatus, <strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei<br />
Befragung)<br />
Höchster Bildungsabschluss des Mannes<br />
Höchster Bildungsabschluss K<strong>ein</strong>er oder Mittel Hoch K<strong>ein</strong> Partner<br />
der Frau<br />
niedrig<br />
K<strong>ein</strong>er oder niedrig 1.15 1.21 1.43 1.01<br />
Mittel 0.98 1 1.01 0.75<br />
Hoch 1.06 1.43 1.58 1.01<br />
Quelle: Französischer FFS 1994<br />
In Deutschland bestimmt <strong>ein</strong>e Universitätsausbildung all<strong>ein</strong>e nicht das hohe Risiko<br />
der besser qualifizierten Frauen. Hat nur die Frau <strong>ein</strong>en hohen Abschluss, ihr Partner<br />
jedoch <strong>ein</strong>en geringen oder mittleren Abschluss, ist k<strong>ein</strong> positiver Effekt mehr zu<br />
erkennen: das Zweitgeburtsrisiko ist genauso hoch oder niedriger (1.01 <strong>und</strong> 0.95) als<br />
das der Referenzgruppe (beide mittlerer Abschluss). Nur wenn auch der Partner höher<br />
gebildet ist, haben deutsche Frauen <strong>ein</strong> 57 Prozent höheres Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind<br />
zu bekommen, als Frauen der Referenzkategorie. In Frankreich hingegen bestimmt<br />
94
der Bildungsabschluss der Frau unabhängig <strong>von</strong> dem des Partners die höheren<br />
Übergangsraten zum zweiten Kind. Hier haben Frauen mit akademischer Bildung <strong>ein</strong><br />
sechs Prozent (Partner hat k<strong>ein</strong>en oder niedrigen Abschluss) sowie 43 Prozent höheres<br />
Risiko (Partner hat mittleren Abschluss) – selbst wenn der Mann k<strong>ein</strong>en<br />
Hochschulabschluss hat. Am größten ist das Zweitgeburtsrisiko auch hier, wenn beide<br />
Partner hoch gebildet sind. Dann ist die Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit hoch, dass beide <strong>ein</strong><br />
höheres Einkommen haben <strong>und</strong> somit den Anteil der Kosten der Kindererziehung am<br />
verfügbaren Einkommen verringern können. In Deutschland jedoch sch<strong>ein</strong>t nur die<br />
Bildung/das Einkommen des Partners die höheren Übergangsraten zum zweiten Kind<br />
zu bestimmen, ungeachtet der Bildung der Frau. Dies bestätigt m<strong>ein</strong>e Vermutung,<br />
dass die höheren Zweitgeburtsrisiken in Deutschland vor allem <strong>ein</strong> Hinweis auf die<br />
Bedeutung der Bildung des Mannes sind. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sieht<br />
den Mann als Ernährer der <strong>Familie</strong> <strong>und</strong> die Frau als Betreuerin der Kinder vor. Nicht<br />
ihre Bildung <strong>und</strong> damit ihre Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> ihr Einkommen bestimmen die<br />
Anzahl der Kinder, sondern die Charakteristika des Mannes. Vor allem die<br />
ökonomische Situation des Mannes bestimmt somit die Fertilitätsentscheidung. In<br />
Frankreich dagegen sch<strong>ein</strong>t es <strong>ein</strong>en unabhängigen Effekt der Bildung der Frau zu<br />
geben. Sie sch<strong>ein</strong>t ihr Bildungsniveau leichter in Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Lohn<strong>ein</strong>kommen<br />
umwandeln zu können <strong>und</strong> dadurch <strong>ein</strong>e finanziell bessere Stellung zu erreichen, die<br />
es ihr erlaubt, mehr Kinder großzuziehen.<br />
Um den Effekt der Erwerbsarbeit näher zu beleuchten, wurde deswegen im nächsten<br />
Schritt die Variable dazu addiert, die misst, ob <strong>ein</strong>e Frau jemals erwerbstätig war oder<br />
nicht. Wie erwartet haben Frauen, die noch nie erwerbstätig waren, <strong>ein</strong>e viel höhere<br />
<strong>Familie</strong>norientierung als Frauen, die schon <strong>ein</strong>mal gearbeitet haben. In Deutschland<br />
haben sie <strong>ein</strong> 25 Prozent höheres Risiko, in Frankreich sogar <strong>ein</strong> 31 Prozent höheres<br />
Risiko. Dieses Ergebnis ist etwas überraschend für Frankreich, da angenommen<br />
wurde, dass französische Frauen besser in der Lage seien, <strong>Familie</strong>naufgaben <strong>und</strong><br />
Erwerbsarbeit zu kombinieren als ihre Nachbarinnen. Nachdem jedoch die<br />
Zusammensetzung der Personen untersucht wurde, die angeben, noch nie gearbeitet<br />
zu haben, wird deutlich, dass vor allem Frauen ohne oder mit <strong>ein</strong>em niedrigen<br />
Abschluss in diese Gruppe gehören (Tabelle 11a <strong>und</strong> 11b):<br />
95
Tabelle 11a: Erwerbsstatus <strong>und</strong> höchster Bildungsabschluss der Frau in Deutschland (n=1.293). In<br />
Prozent der Personenmonate<br />
Höchster Bildungsabschluss der Frau<br />
Erwerbsstatus k.A. K<strong>ein</strong>er oder<br />
niedrig<br />
Mittel Hoch<br />
k.A. - 1.14 0.12 0.53<br />
Noch nie erwerbstätig 39.83 8.79 5.89 2.60<br />
Mindestens <strong>ein</strong>mal<br />
erwerbstätig<br />
60.17 90.07 93.99 96.87<br />
Total<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992<br />
100 100 100 100<br />
Tabelle 11b: Erwerbsstatus <strong>und</strong> höchster Bildungsabschluss der Frau in Frankreich (n=2.063). In<br />
Prozent der Personenmonate<br />
Höchster Bildungsabschluss der Frau<br />
Erwerbsstatus k.A. K<strong>ein</strong>er oder<br />
niedrig<br />
Mittel Hoch<br />
k.A. - - - -<br />
Noch nie erwerbstätig - 8.47 2.91 0.62<br />
Mindestens <strong>ein</strong>mal<br />
erwerbstätig<br />
- 91.53 97.09 99.38<br />
Total 100 100 100 100<br />
Quelle: Französischer FFS 1994<br />
Da diese Gruppe <strong>von</strong> Frauen in Frankreich auch <strong>ein</strong> besonders hohes Risiko hat, <strong>ein</strong><br />
zweites Kind zu bekommen, verursachen sie deswegen auch das hohe Risiko in der<br />
Gruppe der Frauen, die noch nie gearbeitet haben.<br />
Nichtsdestotrotz haben Frauen mit <strong>ein</strong>em akademischen Abschluss <strong>ein</strong> enorm hohes<br />
Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen, wenn sie noch nie gearbeitet haben. Dies<br />
wird deutlich, wenn man <strong>ein</strong>e Interaktion <strong>zwischen</strong> der Erwerbsvariablen <strong>und</strong> der<br />
Bildungsvariablen durchführt (Tabelle 12a <strong>und</strong> 12b):<br />
Tabelle 12a: Der Übergang zum zweiten Kind für deutsche Frauen (n=1.293): Interaktion <strong>zwischen</strong><br />
höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> Erwerbsstatus (Kontrolliert für Alter bei der ersten Geburt,<br />
höchster Bildungsabschluss des Partners, <strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei Befragung)<br />
Höchster Bildungsabschluss der<br />
Frau<br />
Noch nie erwerbstätig<br />
Erwerbsstatus<br />
Mindestens <strong>ein</strong>mal erwerbstätig<br />
K<strong>ein</strong>er oder niedrig 1.47 0.98<br />
Mittel 1.04 1<br />
Hoch<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992<br />
2.15 1.1<br />
96
Tabelle 12b: Der Übergang zum zweiten Kind für französische Frauen (n=2.063): Interaktion<br />
<strong>zwischen</strong> höchstem Bildungsabschluss der Frau <strong>und</strong> Erwerbsstatus (Kontrolliert für Alter bei der<br />
ersten Geburt, höchster Bildungsabschluss des Partners, <strong>Familie</strong>nstand, Kalenderjahr, Wohnort bei<br />
Befragung)<br />
Höchster Bildungsabschluss der<br />
Frau<br />
Noch nie erwerbstätig<br />
Erwerbsstatus<br />
Mindestens <strong>ein</strong>mal erwerbstätig<br />
K<strong>ein</strong>er oder niedrig 1.85 1.28<br />
Mittel 1.56 1<br />
Hoch<br />
Quelle: Französischer FFS 1994<br />
3.73 1.37<br />
Dies bestätigt die oben aufgestellte Polarisierungsthese: diejenigen Frauen mit<br />
Hochschulabschluss, die den Weg der Hausfrau gegangen sind, sind sehr<br />
familienorientiert <strong>und</strong> bekommen häufiger <strong>ein</strong> zweites Kind als jene Frauen, die sich<br />
für die Erwerbsarbeit entschieden haben. Der Anteil der nie erwerbstätigen Frauen mit<br />
Hochschulabschluss ist zwar kl<strong>ein</strong>er in Frankreich, aber der Effekt dafür um so<br />
größer. Das könnte <strong>ein</strong> Indikator dafür s<strong>ein</strong>, dass französische hoch gebildete Frauen,<br />
die noch nie gearbeitet haben, <strong>ein</strong>e sehr stark ausgewählte Gruppe sind, die aus dem<br />
Arbeitsmarkt ausscheiden, um sich der <strong>Familie</strong> zu widmen. Allerdings ist die Gruppe,<br />
die noch nie gearbeitet haben so kl<strong>ein</strong>, dass man k<strong>ein</strong>e sicheren Aussagen machen<br />
kann. Interessant ist allerdings das hohe Risiko erwerbstätiger <strong>und</strong> höher gebildeter<br />
Frauen in Frankreich (37 Prozent höher als die Referenzkategorie der erwerbstätigen<br />
mittel gebildeten Frauen), das so stark in Deutschland nicht zu beobachten ist (nur 10<br />
Prozent höher).<br />
Des Weiteren wurde für den Faktor <strong>Familie</strong>nstand kontrolliert: entgegen m<strong>ein</strong>er<br />
Annahme haben verheiratete Frauen in Frankreich <strong>ein</strong> viel höheres Risiko, <strong>ein</strong> zweites<br />
Kind zu bekommen, als die Frauen, die noch nie verheiratet waren (fast doppelt so<br />
hoch). Deshalb nehme ich an, dass diese Gruppe sehr exklusiv ist, in dem Sinne, dass<br />
sie sich stark traditionell <strong>und</strong> familienorientiert verhält <strong>und</strong> deswegen höhere<br />
Übergangsraten hat als die Gruppe der unverheirateten Frauen. Das höhere Risiko in<br />
Deutschland (30 Prozent höher als bei unverheirateten Frauen) ist so wie vermutet.<br />
Außerdem erhöht der Tatbestand <strong>ein</strong>er zweiten oder weiteren Heirat das<br />
Zweitgeburtsrisiko: es ist 54 Prozent höher in Deutschland <strong>und</strong> 80 Prozent höher in<br />
Frankreich (Refrenzkategorie ist die der <strong>ein</strong>mal Verheirateten). Auch dies bestätigt<br />
m<strong>ein</strong>e Annahmen. Auch dass Scheidungen <strong>ein</strong> Gr<strong>und</strong> sind, k<strong>ein</strong> weiteres Kind mehr<br />
zu bekommen, wurde vermutet <strong>und</strong> ist auch zutreffend. In beiden Ländern wird das<br />
Risiko um fast 65 Prozent reduziert.<br />
97
Zum Abschluss wird für die Variable Kalenderjahr kontrolliert. Eigentlich hatte ich<br />
<strong>ein</strong>en Einfluss der verschiedenen Kalenderjahrgruppen vermutet. Für Deutschland ist<br />
diese Variable jedoch nicht signifikant <strong>und</strong> für Frankreich hat nur die Zeit bis 1974<br />
<strong>ein</strong>en signifikanten Einfluss auf das Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen. Dies<br />
kann jedoch auch an anderen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Faktoren liegen<br />
<strong>und</strong> nicht unbedingt an den familienpolitischen Maßnahmen während dieser Zeit. Für<br />
Deutschland ist <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>er Anstieg Ende der 80er Jahre zu bemerken, der vielleicht<br />
mit der Einführung <strong>von</strong> Erziehungsurlaub <strong>und</strong> Erziehungsgeld zusammenhängt.<br />
Außerdem steigt das Zweitgeburtsrisiko Anfang der 90er Jahre an, was auf die<br />
Ver<strong>ein</strong>igung der beiden deutschen Staaten 1990 zurückgeführt werden könnte (<strong>ein</strong><br />
Gefühl des „Aufbruchs“ <strong>und</strong> Neuanfangs, das in Westdeutschland zu <strong>ein</strong>er steigenden<br />
Fertilität führte). Auch in Frankreich steigt das Risiko, zum zweiten Mal Mutter zu<br />
werden Anfang der 90er Jahre leicht an, während dieser Zeit wurden stärkere<br />
Unterstützungsmaßnahmen des Staates für Kinderbetreuung verzeichnet.<br />
Als letzte Variable wird der Wohnort bei Befragung hinzugefügt <strong>und</strong> gezeigt, dass<br />
wie erwartet das Risiko zunimmt, wenn die Befragte in ländlicher Umgebung wohnt<br />
anstatt in der Stadt. In Frankreich erhöht es sich um ca. zehn Prozent, in Deutschland<br />
um etwa 16 Prozent.<br />
Bevor ich die Ergebnisse erläuternd zusammenfasse, soll im nächsten Abschnitt noch<br />
<strong>ein</strong>e kurze Sensitivitätsanalyse durchgeführt werden, die zeigt, inwieweit die Auswahl<br />
bestimmter Variablen berechtigt war oder nicht.<br />
7.2 Sensitivitätsanalyse<br />
Im deutschen <strong>und</strong> französischen standardisierten Datensatz war die Frage nach der<br />
Ausbildungsbiographie der Befragten unvollständig beziehungsweise überhaupt nicht<br />
im Fragebogen verzeichnet 35 . Aus diesem Gr<strong>und</strong> habe ich den höchsten<br />
Bildungsabschluss zum Zeitpunkt des Interviews als <strong>ein</strong>e zeitunabhängige Variable in<br />
die Analyse mit hin<strong>ein</strong> genommen. Korrekter wäre jedoch gewesen, Bildung<br />
zeitabhängig zu untersuchen, um nicht nur den Effekt des Bildungsniveaus, sondern<br />
auch den Effekt der Bildungsbeteiligung zu messen. Anderenfalls handelt es sich um<br />
35<br />
Nähere Erläuterungen <strong>und</strong> Einschätzungen zur Kompatibilität der FFS-Fragebögen finden sich bei<br />
Festy <strong>und</strong> Prioux 2002.<br />
98
<strong>ein</strong>e antizipatorische Analyse, die den Effekt der Bildung für den gesamten<br />
Beobachtungszeitraum konstant setzt, was so jedoch nicht der Fall ist (siehe auch<br />
Hoem 1996). Für die Analyse <strong>von</strong> zweiten Geburten sollte es nichtsdestotrotz relativ<br />
unkompliziert s<strong>ein</strong>, den höchsten Abschluss zu benutzen, da der Großteil der Frauen<br />
ihre Ausbildung schon vor der Geburt des ersten Kindes beendet hat – zu dem<br />
Zeitpunkt standen sie noch nicht unter dem Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen.<br />
Dies kann auch für deutsche <strong>und</strong> französische Frauen gezeigt werden. Sehr wenige<br />
<strong>von</strong> ihnen standen während der Geburt des ersten Kindes noch in <strong>ein</strong>er Ausbildung<br />
(Abb. 18). Die Annahme der vorwegnehmenden Analyse muss demnach in diesem<br />
Fall nicht gelten.<br />
Abbildung 18: Ausbildung vor oder nach der Geburt des ersten Kindes beendet? Verteilung der<br />
deutschen <strong>und</strong> französischen Frauen (n=1.293 <strong>und</strong> n=2.063)<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992, Französischer FFS 1994<br />
Deutschland Frankreich<br />
vor Geburt beendet nach Geburt beendet k.A. oder Schule vor Alter 15 beendet<br />
Weitere problematische Faktoren sind die Fragen nach der Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> der<br />
Größe des Wohnortes. So war leider die Erwerbsbiographie der französischen Frauen<br />
lückenhaft. Aus Gründen der <strong>Vergleich</strong>barkeit habe ich deswegen <strong>ein</strong>e<br />
zeitunabhängige Erwerbsvariable benutzt. Um wenigstens <strong>ein</strong>en kl<strong>ein</strong>en Zeitbezug<br />
herzustellen, habe ich <strong>ein</strong> eigenständiges Modell für Deutschland geschätzt (Tabelle<br />
10) <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e Variable erzeugt, die misst, ob <strong>ein</strong>e Frau vor oder nach der Geburt ihres<br />
ersten Kindes erwerbstätig war. Auch sollte die Frage geklärt werden, ob es vertretbar<br />
ist, die Variable „Wohnort bei Befragung“, anstatt „Wohnort bis Alter 15“ zu<br />
verwenden. Inwieweit unterscheiden sich die Ergebnisse im <strong>Vergleich</strong> zu den<br />
Resultaten des Ländervergleichs?<br />
99
100<br />
Tabelle 9: Zweitgeburtsrisiko für deutsche Frauen, Kohorte 1952-72, n=1.293 (zwei extra Variablen: "Wohnort bis Alter 15" <strong>und</strong> "Vor der ersten Geburt gearbeitet: ja oder n<strong>ein</strong>")<br />
Deutschland 2<br />
Variable<br />
Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 Modell 5 Modell 6 Modell 7<br />
Ausprägung<br />
Alter des ersten Kindes in Monaten *** *** *** *** *** *** ***<br />
0-12 0.05*** 0.05*** 0.05*** 0.05*** 0.05*** 0.05*** 0.05***<br />
13-24 0.58*** 0.58*** 0.57*** 0.57*** 0.57*** 0.58*** 0.58***<br />
25-36 1 ~21.397 1 ~23.763 1 ~24.519 1 ~25.631 1 ~27.835 1 ~26.286 1 ~24.575<br />
37-48 0.83* 0.83* 0.84* 0.84* 0.84* 0.83* 0.84*<br />
49-72 0.56*** 0.57*** 0.57*** 0.58*** 0.59*** 0.57*** 0.57***<br />
73-120 0.26*** 0.26** 0.27*** 0.27*** 0.28*** 0.26*** 0.26***<br />
Höchster Bildungsabschluss der Befragten * *<br />
k.A. 1.461** 1.524** 1.573** 1.54** 1.625** 1.618** 1.58**<br />
k<strong>ein</strong>en oder niedrig 1.006 1.016 1.06 1.06 1.025 1.04 1.02<br />
mittel 1 1 1 1 1 1 1<br />
hoch 1.226 1.257* 1.157 1.161 1.132 1.148 1.143<br />
Alter bei der ersten Geburt * * * * *<br />
14-20 0.824* 0.875 0.867 0.885 0.998 1<br />
21-23 0.915 0.965 0.963 0.972 1.011 1.016<br />
24-27 1 1 1 1 1 1<br />
28-40 0.783** 0.774** 0.775** 0.773** 0.754** 0.76**<br />
Höchster Bildungsabschluss des Partners *** *** *** *** ***<br />
k.A. 1.267 1.274 1.302 1.278 1.292<br />
k<strong>ein</strong>en oder niedrig 0.914 0.916 0.906 0.894 0.897<br />
mittel 1 1 1 1 1<br />
hoch 1,215* 1.212 1.2 1.198 1.202<br />
k<strong>ein</strong> Partner im Haushalt<br />
vor der ersten Geburt gearbeitet: ja oder n<strong>ein</strong><br />
0.654*** 0.661*** 0.745** 0.741** 0.747**<br />
k.A. 0.772 0.827 0.842 0.831<br />
nicht vor der ersten Geburt gearbeitet 1 1 1 1<br />
vor der ersten Geburt gearbeitet 0.959 0.942 0.953 0.959<br />
<strong>Familie</strong>nstand *** *** ***<br />
niemals verheiratet 0.715*** 0.703*** 0.707***<br />
<strong>ein</strong>mal verheiratet 1 1 1<br />
mehrmals verheiratet 1.56* 1.503* 1.554*<br />
geschieden<br />
Kalenderjahr<br />
0.37*** 0.356*** 0.362***<br />
bis 1974 0.749 0.748<br />
1975-79 0.855 0.864<br />
1980-82 1.051 1.055<br />
1983-86 1 1<br />
1987-89 1.052 1.06<br />
1990-92<br />
Wohnort bis Alter 15<br />
1.158 1.167<br />
k.A. 1.453<br />
Stadt 1<br />
Land 1.138*<br />
***p = 0.01; **0.01= p =0.05; * 0.05= p =0.10; ~absolutes Risiko pro 1000 Peronenmonate
Das Modell an sich ändert sich kaum. Vor der ersten Geburt erwerbstätig gewesen zu<br />
s<strong>ein</strong>, verringert das Zweitgeburtsisiko jedoch um ca. fünf Prozent, im Gegensatz zu 25<br />
Prozent für die Frauen, die schon mindestens <strong>ein</strong>mal erwerbstätig waren. Die<br />
Richtung des Effektes ist demnach die gleiche. Um den Einfluss der Erwerbstätigkeit<br />
genauer zu modellieren, sollte man in weiteren, ausführlicheren Analysen den<br />
Einfluss <strong>ein</strong>er zeitabhängigen Variablen untersuchen.<br />
Interessant ist die signifikante Interaktion <strong>zwischen</strong> dem Kalenderjahr <strong>und</strong> dem<br />
Erwerbsfaktor (Abb.19).<br />
Abbildung 19: Interaktion <strong>zwischen</strong> Kalenderjahr <strong>und</strong> dem Erwerbsstatus vor der Geburt des ersten<br />
Kindes. Deutschland (n=1.293) (Kontrolliert für Alter bei der ersten Geburt, höchster<br />
Bildungsabschluss der Frau, höchster Bildungsabschluss des Partners, <strong>Familie</strong>nstand, Wohnort bis<br />
Alter 15)<br />
1.6<br />
1.4<br />
1.2<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
0.2<br />
0<br />
bis 74 75-79 80-82 83-86 87-89 90-92<br />
Kalenderzeit<br />
vor der Geburt des ersten Kindes nicht erwerbstätig vor der Geburt des ersten Kindes erwerbstätig<br />
Quelle: Deutscher FFS 1992<br />
Ein Anstieg des Zweitgeburtsrisikos ist für die Frauen zu beobachten, die vor der<br />
Geburt ihres ersten Kindes in der Zeit 1980-82 gearbeitet haben. Davor <strong>und</strong> danach<br />
(außer 1990-92) war ihr Risiko geringer als das der Frauen, die nicht erwerbstätig<br />
waren. Das gleiche kann im übrigen für die Interaktion <strong>zwischen</strong> der Erwerbsvariable,<br />
die ich im Ländervergleich benutzt habe, <strong>und</strong> dem Kalenderjahr beobachtet werden.<br />
Dort ist der Effekt jedoch nicht signifikant. Ich vermute, dass dies mit der Einführung<br />
<strong>ein</strong>es bezahlten Mutterschaftsurlaubs in Verbindung stehen könnte. Neben der<br />
Ausdehnung der Mutterschutzfrist auf sechs Wochen vor <strong>und</strong> acht Wochen nach der<br />
Geburt erlaubte das Gesetz erwerbstätigen Müttern, nach der Geburt <strong>ein</strong>es Kindes bis<br />
zu sechs Monate Mutterschaftsurlaub zu nehmen ohne aus der Sozialversicherung<br />
auszuscheiden. Die monatliche Zahlung <strong>von</strong> bis zu 750 DM sollte<br />
Einkommensausfälle erträglicher machen.<br />
101
Auch der Einfluss des Wohnortes bis Alter 15 ist der benutzten Wohnortvariablen im<br />
Ländervergleich ähnlich: hier haben auf dem Land Aufgewachsene <strong>ein</strong> 14 Prozent<br />
höheres Risiko als die Frauen, die in der Stadt groß wurden. Im <strong>Vergleich</strong>: Frauen, die<br />
zum Zeitpunkt des Interviews in ländlicher Umgebung wohnen, haben <strong>ein</strong> 16 Prozent<br />
höheres Risiko als die Referenzgruppe.<br />
Ein Überblick über die wichtigsten Resultate der Analyse soll den Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> Bildung <strong>und</strong> dem Übergang zum zweiten Kind abschließend erläutern.<br />
7.3 Zusammenfassung<br />
Um den Effekt des Bildungsniveaus auf den Übergang zum zweiten Kind zu messen,<br />
wurde <strong>ein</strong> additives Modell geschätzt, das die <strong>ein</strong>zelnen Faktoren Schritt für Schritt in<br />
die Analyse mit <strong>ein</strong>bezog. Ohne die Kontrolle für die anderen Faktoren be<strong>ein</strong>flusste<br />
der Besitz <strong>ein</strong>es höheren Abschlusses den Übergang zum zweiten Kind positiv. In<br />
beiden Ländern hatten Frauen mit diesem Merkmal <strong>ein</strong> mehr als 20 Prozent höheres<br />
Risiko, zum zweiten Mal Mutter zu werden, als die Referenzkategorie. Auch nach der<br />
Kontrolle für das Alter bei der ersten Geburt veränderte sich das relative Risiko nicht,<br />
es wurde sogar noch stärker. Erst als für das Bildungsniveau des Partners kontrolliert<br />
wurde, zeigten sich Unterschiede:<br />
Der Einfluss des höchsten Bildungsabschlusses in Deutschland ging zurück <strong>und</strong> verlor<br />
s<strong>ein</strong>e Signifikanz; es ist vor allem die Bildung des Partners der Frau, welche die<br />
höheren Übergangsraten zum zweiten Kind bedingt. Der positive Einfluss des hohen<br />
Abschlusses der Befragten kann demnach als nicht unabhängig gelten. In Frankreich<br />
ist dieser Effekt nicht beobachtbar. Französische Frauen mit Hochschulabschluss<br />
haben unabhängig <strong>von</strong> ihrem Partner <strong>ein</strong> fast 40 Prozent höheres Zweitgeburtsrisiko<br />
als die Frauen der Referenzgruppe. Ich schlussfolgere daraus, dass in Deutschland das<br />
male breadwinner regime noch immer existent ist, trotz der Erhöhung der weiblichen<br />
Erwerbsquoten <strong>und</strong> des veränderten Rollenbildes der Frau. Frauen können ihre<br />
Einkommenschancen noch immer schwer umsetzen, meist nur <strong>ein</strong>hergehend mit dem<br />
Verzicht auf Kinder. Die Rolle des Partners/Ehemanns ist dagegen gleichbleibend<br />
wichtig: s<strong>ein</strong>e Ausbildung, s<strong>ein</strong> Einkommen <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>e Erwerbstätigkeit bestimmen<br />
die <strong>Familie</strong>ngröße. In Frankreich dagegen sch<strong>ein</strong>en sich Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> Kinder<br />
nicht mehr unbedingt auszuschließen. Gut gebildete französische Frauen sch<strong>ein</strong>en ihre<br />
102
Arbeitsmarktchancen umsetzen zu können <strong>und</strong> gleichzeitig unabhängig <strong>von</strong> dem<br />
Bildungsstand des Partners Kinder großziehen zu können. Dies zeigt sich auch in dem<br />
erhöhten Risiko für höher qualifizierte <strong>und</strong> mindestens <strong>ein</strong>mal erwerbstätige Frauen:<br />
ihr Zweitgeburtsrisiko steigt um 37 Prozent gegenüber der Referenzkategorie<br />
(mittlere Bildung <strong>und</strong> mindestens <strong>ein</strong>mal erwerbstätig). Die extrem hohen<br />
Übergangsraten für hoch gebildete <strong>und</strong> nie erwerbstätig gewesene Frauen zeigen –<br />
ebenso wie in Deutschland – gewisse Polarisierungstendenzen. Frauen, die sich<br />
vollkommen der <strong>Familie</strong> widmen stehen Frauen gegenüber, die versuchen,<br />
Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> die <strong>Familie</strong> in Einklang zu bringen. Das höhere Risiko für<br />
jemals erwerbstätige Frauen mit Hochschulabschluss in Frankreich sch<strong>ein</strong>t die These<br />
zu bestätigen, dass dies den französischen Frauen besser gelingt als ihren deutschen<br />
Nachbarinnen.<br />
Verheiratet zu s<strong>ein</strong> be<strong>ein</strong>flusst den Übergang zum zweiten Kind ebenfalls positiv.<br />
Dies erschien mir etwas überraschend für Frankreich, da ich vermutete, dass Ehe <strong>und</strong><br />
<strong>Familie</strong> nicht so stark mit<strong>ein</strong>ander verb<strong>und</strong>en wären wie in Deutschland. Die<br />
Akzeptanz nichtehelicher Partnerschaften <strong>und</strong> Geburten hätte den Zusammenhang<br />
schwächer werden lassen sollen. Eine Erklärung für die gegenteilige Beobachtung ist,<br />
dass der Zusammenhang wirklich schwächer geworden ist <strong>und</strong> genau aus diesem<br />
Gr<strong>und</strong>, diejenigen, die dann doch heiraten, noch immer stark traditionelle Werte <strong>und</strong><br />
Vorstellungen haben. Deswegen hat diese Gruppe auch <strong>ein</strong> 45 Prozent höheres<br />
Risiko, zum zweiten Mal Mutter zu werden, als die Unverheirateten. Interessant ist<br />
auch die Tatsache, das die Unterteilung in bestimmte Kalenderjahre (um den Effekt<br />
bestimmter familienpolitischer Maßnahmen zu messen) kaum <strong>ein</strong>en Einfluss hatte.<br />
Der Effekt war nicht signifikant – nicht die Variable an sich <strong>und</strong> signifikante<br />
Unterschiede <strong>zwischen</strong> den <strong>ein</strong>zelnen Ausprägungen waren auch nicht zu beobachten.<br />
Für Frankreich ist <strong>ein</strong> erhöhtes Risiko vor 1973 zu beobachten, dies kann jedoch auch<br />
an anderen Faktoren während dieser Zeit liegen.<br />
M<strong>ein</strong>e Hypothese für Frankreich wurde somit bestätigt. Frauen mit hoher Bildung<br />
haben <strong>ein</strong> höheres Risiko, <strong>ein</strong> zweites Kind zu bekommen als Frauen anderer<br />
Bildungsgruppen. Auch nach Kontrolle anderer Faktoren blieb dieses Risiko konstant<br />
hoch. Das hohe relative Risiko für Frauen ohne oder niedrigen Abschluss liegt<br />
möglicherweise an der Überrepräsentation all<strong>ein</strong>erziehender Mütter im Datensatz.<br />
103
M<strong>ein</strong>e Hypothese für Deutschland konnte nicht exakt bestätigt werden. Zwar haben<br />
auch hier Frauen mit Hochschulabschluss <strong>ein</strong> höheres Zweitgeburtsrisiko, es wird<br />
jedoch schwächer nach der Kontrolle der Partnercharakteristika. Trotzdem zeigt das<br />
Ergebnis in die gleiche Richtung. Die Entscheidung zum zweiten Kind wird zum<br />
<strong>ein</strong>en durch die vorhergehende Entscheidung zum ersten Kind getroffen (wie<br />
angenommen) <strong>und</strong> zum anderen durch die Unterstützung des Partners – nur wenn<br />
auch er über <strong>ein</strong>e hohe Bildung <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e bessere Ressourcenausstattung verfügt <strong>und</strong><br />
somit die <strong>Familie</strong> besser zu unterstützen vermag, kann <strong>ein</strong> weiteres Kind geboren<br />
werden.<br />
104
8. Fazit<br />
Ziel dieser Arbeit war es, herauszufinden, inwieweit gesellschaftliche <strong>und</strong><br />
institutionelle Rahmenbedingungen zu den Unterschieden im Fertilitäts- <strong>und</strong><br />
Erwerbsniveau deutscher <strong>und</strong> französischer Frauen beitragen.<br />
Die ökonomische Theorie der <strong>Familie</strong> versuchte, den Rückgang der Kinderzahlen in<br />
den letzten Jahrzehnten mit dem parallelen Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit zu<br />
erklären. Da geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als <strong>ein</strong>er der Hauptgründe für<br />
Heirat <strong>und</strong> Gründung <strong>ein</strong>es gem<strong>ein</strong>samen Haushaltes angesehen wird, sollte das<br />
steigende Bildungsniveau der Frauen die Opportunitätskosten, die sie bei der<br />
Entscheidung gegen Erwerbsarbeit <strong>und</strong> für die <strong>Familie</strong> zu tragen hätten, erhöhen.<br />
Kindererziehung <strong>und</strong> -betreuung als Hauptaufgabe der Frau stände in Widerspruch zu<br />
weiblicher Erwerbstätigkeit. Je besser nun ihre Qualifikation <strong>und</strong> je stärker ihre<br />
Arbeitsmarktorientierung, desto ausgeprägter wäre dieser Konflikt. Viele Frauen<br />
würden sich demnach gegen Kinder oder für weniger Kinder entscheiden, um die<br />
Kosten, die ihnen bei <strong>ein</strong>er damit verb<strong>und</strong>ener Erwerbsunterbrechung entstehen<br />
würden, zu minimieren.<br />
Es konnte jedoch gezeigt werden, dass familienpolitische Maßnahmen <strong>und</strong><br />
institutionelle Rahmenbedingungen zum <strong>ein</strong>en diesen Konflikt verringern können,<br />
indem Kinderbetreuungs<strong>ein</strong>richtungen bereitgestellt werden oder Einkommensersatz<br />
während der Erwerbsfreistellung gezahlt wird. Zum anderen kann<br />
wohlfahrtsstaatliche Politik auch das Ausmaß der geschlechtsspezifischen<br />
Arbeitsteilung verringern, indem Vätern die Möglichkeit gegeben wird, mehr Zeit in<br />
die <strong>Familie</strong> zu investieren ohne starke Nachteile auf dem Arbeitsmarkt in Kauf<br />
nehmen zu müssen. Die Diskussion der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung<br />
ergab, dass Staaten, die weibliche Erwerbstätigkeit unterstützen <strong>und</strong> Frauen die<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> erleichtern, meist auch <strong>von</strong> höheren<br />
Geburtenzahlen gekennzeichnet sind. Anhand bestimmter institutioneller<br />
Rahmenbedingungen wurde gezeigt, wie Deutschland <strong>und</strong> Frankreich <strong>Familie</strong>n mit<br />
Kindern <strong>und</strong> erwerbstätige Mütter unterstützen. Die Unterversorgung <strong>von</strong><br />
Betreuungs<strong>ein</strong>richtungen für Kinder unter drei Jahren sowie deren unzulängliche<br />
Öffnungszeiten für Kinder <strong>zwischen</strong> drei <strong>und</strong> sechs Jahren erschweren es deutschen<br />
Eltern mit Kl<strong>ein</strong>kindern, erwerbstätig zu s<strong>ein</strong>. Verb<strong>und</strong>en mit <strong>ein</strong>em niedrigen<br />
Erziehungsgeld während des Elternurlaubs fördert <strong>und</strong> verlängert dies die<br />
105
Erwerbsunterbrechung für den Elternteil, der weniger Lohn<strong>ein</strong>kommen hat – um die<br />
Kosten des Einkommensausfalls niedrig zu halten, wird derjenige mit dem<br />
niedrigeren Einkommen eher zuhause bleiben. Dies ist in der Regel die Frau. Dieser<br />
Umstand trägt dazu bei, dass <strong>ein</strong> Großteil der deutschen Ehen aus vollzeiterwerbstätigen<br />
Männern <strong>und</strong> teilzeitarbeitenden Frauen besteht. Deutschen Müttern fällt es<br />
unter diesen Bedingungen schwer, ihre Erwerbsambitionen <strong>und</strong> ihren Kinderwunsch<br />
in Einklang zu bringen. Vor allem höher gebildete Frauen verzichten deshalb oft auf<br />
Kinder. Französische Frauen hingegen profitieren <strong>von</strong> den Möglichkeiten staatlicher<br />
Kinderbetreuung oder staatlichen Zuschüssen zu privaten Formen der Betreuung. Da<br />
für Kindern ab drei Jahren <strong>ein</strong>e kostenlose Ganztagsbetreuung in Form der écoles<br />
maternelles besteht <strong>und</strong> ebenso die französischen Schulen als Ganztags<strong>ein</strong>richtungen<br />
konzipiert sind, wird es Eltern erleichtert, erwerbstätig zu s<strong>ein</strong>, obwohl sie Kinder im<br />
Haushalt haben. Erziehungsgeld wird nur gezahlt, wenn <strong>ein</strong>e zweijährige<br />
<strong>Beruf</strong>sausübung vor der Geburt des Kindes vorzuweisen ist. Auch in den Elternurlaub<br />
können nur diejenigen gehen, die mindestens <strong>ein</strong> Jahr vor der Geburt des Kindes in<br />
dem Betrieb tätig waren. Eltern werden somit ermutigt, berufstätig zu s<strong>ein</strong>.<br />
Verb<strong>und</strong>en mit den ausgezeichneten Kinderbetreuungsmöglichkeiten fördert dies die<br />
Arbeitsmarktintegration der Frauen <strong>und</strong> gleichzeitig kann ihr Kinderwunsch realisiert<br />
werden. Andererseits darf nicht unbedingt da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass diese<br />
Maßnahmen nur darauf zielen, die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> zu fördern.<br />
Auch demografische Aspekte (fast alle Beihilfen stehen nur Eltern mit mindestens<br />
zwei Kindern zur Verfügung) <strong>und</strong> arbeitsmarktpolitische Aspekte (in Zeiten hoher<br />
weiblicher Arbeitslosigkeit wurden Maßnahmen <strong>ein</strong>geführt, die arbeitslosen Frauen<br />
den Ausstieg aus dem Erwerbsleben erleichtern) stehen dahinter.<br />
In dem empirischen Teil der Arbeit wurde überprüft, ob die theoretisch abgeleiteten<br />
Schlussfolgerungen auch empirisch nachgewiesen werden können. Dafür wurde der<br />
Zusammenhang <strong>zwischen</strong> hoher Bildung der Frau <strong>und</strong> dem Übergang zum zweiten<br />
Kind mit Methoden der Ereignisdatenanalyse untersucht. Die Tatsache, dass<br />
französische Frauen mit Hochschulabschluss <strong>ein</strong> höheres Risiko haben, <strong>ein</strong> zweites<br />
Kind zu bekommen, bestärkte mich in der Annahme, dass gut gebildete Frauen in<br />
Frankreich ihre Arbeitsmarktchancen umsetzen <strong>und</strong> gleichzeitig Kinder großziehen<br />
können. Die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> sch<strong>ein</strong>t besser zu funktionieren als<br />
in Deutschland. Dort ist das Risiko besser qualifizierter Frauen <strong>von</strong> dem<br />
Bildungsstand des Partners abhängig. In der deutschen Gesellschaft sch<strong>ein</strong>t noch<br />
106
immer der Mann als „Ernährer der <strong>Familie</strong>“ die Entscheidung zur Elternschaft zu<br />
be<strong>ein</strong>flussen.<br />
Was nicht gemessen werden konnte, ist das Ausmaß individueller Autonomie <strong>und</strong><br />
Selbständigkeit deutscher <strong>und</strong> französischer Frauen. Selbst in <strong>ein</strong>em Land, in dem<br />
<strong>Beruf</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Familie</strong>nleben ver<strong>ein</strong>bar sch<strong>ein</strong>en, muss dies nicht unbedingt bedeuten,<br />
dass sich auch die Rolle der Frau radikal geändert hat. Noch immer sind in beiden<br />
Ländern die Frauen für den Großteil der Hausarbeit zuständig 36 <strong>und</strong> unterliegen damit<br />
<strong>ein</strong>er starken Doppelbelastung. Dies wird sich nur ändern, wenn familienpolitische<br />
Maßnahmen in beiden Ländern auch auf die Verringerung geschlechtsspezifischer<br />
Arbeitsteilung zielen, indem sie zum Beispiel Lohnungleichheit <strong>zwischen</strong> Mann <strong>und</strong><br />
Frau beseitigen oder den Partner stärker in <strong>Familie</strong>naufgaben integrieren <strong>und</strong> ihm<br />
mehr Möglichkeiten geben, mehr Zeit in die <strong>Familie</strong> investieren zu können. Der<br />
zweiwöchige bezahlte Vaterschaftsurlaub in Frankreich gibt Männern diese<br />
Möglichkeit. Elternurlaub verb<strong>und</strong>en mit <strong>ein</strong>kommensadäquater Bezahlung könnte<br />
dies noch verstärken. Deshalb muss gerade für die Zukunft der Blick für <strong>ein</strong>e gleiche<br />
Behandlung <strong>von</strong> Frauen <strong>und</strong> Männern, <strong>von</strong> Müttern <strong>und</strong> Vätern für das Problem der<br />
<strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Familie</strong> <strong>und</strong> der Ausübung <strong>ein</strong>er Erwerbstätigkeit frei bleiben.<br />
In weiteren Untersuchungen müsste außerdem beachtet werden, wie sich die Form der<br />
Erwerbstätigkeit auswirkt. Der Bildungsstand ist zwar <strong>ein</strong> Indikator für<br />
Erwerbschancen, kann aber k<strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>deutigen Aussagen über die tatsächlichen<br />
Erwerbsformen <strong>und</strong> ihre Auswirkungen auf die Kinderzahl machen. Vor allem der<br />
Einfluss <strong>von</strong> Elternurlaub aber auch <strong>von</strong> flexiblen Arbeitsformen, wie Teilzeitarbeit<br />
oder flexibel verschiebbaren Arbeitszeiten kann Auskünfte über die <strong>Ver<strong>ein</strong>barkeit</strong> <strong>von</strong><br />
Erwerbs- <strong>und</strong> <strong>Familie</strong>nleben geben. Auch auf die Frage, wie sich die Änderung des<br />
französischen Erziehungsgeldes APE nach 1994 auf das Geburtsverhalten ausgewirkt<br />
hat, sollte näher <strong>ein</strong>gegangen werden. Dies zu untersuchen war jedoch mit den<br />
vorhandenen Daten nicht möglich. In Zukunft wäre dies jedoch <strong>ein</strong> lohnendes<br />
Forschungsgebiet.<br />
36 So verbringen selbst in Frankreich erwerbstätige Frauen doppelt soviel Zeit in der Woche mit<br />
Hausarbeit (täglich 4 h 15) als Männer (täglich 2 h 10) (vgl. Europäische Kommission 2000, S.138).<br />
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Infrastruktur <strong>und</strong> ihre Auswirkungen auf das <strong>Familie</strong>nverhalten. In: Dingeldey, Irene<br />
(Hg.): Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> <strong>Familie</strong> in Steuer- <strong>und</strong> Sozialversicherungssystemen:<br />
Begünstigungen <strong>und</strong> Belastungen verschiedener familialer Erwerbsmuster im<br />
Ländervergleich. Opladen: Leske <strong>und</strong> Budrich, S. 95-129.<br />
116
Toulemon, Laurent (2001): How many children and how many siblings in France in<br />
the last century? Population & Sociétés, Nr. 374, Paris: INED.<br />
Toulemon, Laurent / de Guibert-Lantoine, Catherine (1998): Fertility and family<br />
surveys in countries of the ECE Region: Standard Country Report France. New York<br />
<strong>und</strong> Genf: United Nations.<br />
Veil, Mechthild (2002): Ganztagsschule mit Tradition: Frankreich. In: Das<br />
Parlament. URL: http://www.b<strong>und</strong>estag.de/cgi-bin/druck.pl?N=parlament (abgerufen<br />
am 05.11.2002)<br />
Yamaguchi, Kazuo / Ferguson, Linda R. (1995): The stopping and spacing of<br />
childbirths and their birth-history predictors: rational-choice theory and event-history<br />
analysis. In: American Sociological Review, Vol. 60, S. 272-298.<br />
Zeitungsartikel<br />
Europäische Zeitschrift <strong>Beruf</strong>sbildung, Nr. 22: „Qualifikationsprofile in Deutschland,<br />
Frankreich, den Niederlanden, Portugal, Schweden <strong>und</strong> dem Ver<strong>ein</strong>igten Königreich”<br />
(Internet-Ausgabe: www2.trainingvillage.gr/download/journal/bull-22/22-DE.pdf,<br />
abgerufen am 26.02.2003).<br />
Le Monde „Le détail des principales mesures en faveur des tout-petits” vom<br />
30.04.2003<br />
Stuttgarter Zeitung „Neuer Vaterschaftsurlaub für Franzosen” vom 12.06.2001<br />
Datenquellen<br />
Statistisches B<strong>und</strong>esamt (1992): Gebiet <strong>und</strong> Bevölkerung. Bevölkerung <strong>und</strong><br />
Erwerbstätigkeit, Fachserie 1, Reihe 1. Stuttgart: Statistisches B<strong>und</strong>esamt.<br />
117
Europarat (Hg.) (2001): Recent demographic developments in Europe:<br />
Demografisches Jahrbuch 2001.<br />
Eurostat (Hg.) (2001): New Cronos Datenbank.<br />
118
Danksagung<br />
Für die Möglichkeit, m<strong>ein</strong>e Diplomarbeit am Max-Planck-Institut für demografische<br />
Forschung in Rostock schreiben zu können, möchte ich mich hiermit insbesondere bei<br />
Prof. Dr. Jan M. Hoem bedanken. Für die hilfreiche Unterstützung <strong>und</strong> Betreuung<br />
m<strong>ein</strong>er Diplomarbeit danke ich besonders Michaela Kreyenfeld, Gerda Neyer <strong>und</strong><br />
Gunnar Andersson. Dank auch an Roland Rau <strong>und</strong> Uta Ziegler für wertvolle Hinweise<br />
<strong>und</strong> Kommentare.<br />
119
Eidesstattliche Versicherung<br />
Ich versichere eidesstattlich durch eigenhändige Unterschrift, dass ich die Arbeit<br />
selbständig <strong>und</strong> ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt<br />
habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen entnommen<br />
sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Ich weiß, dass bei Abgabe <strong>ein</strong>er falschen<br />
Versicherung die Prüfung als nicht bestanden zu gelten hat.<br />
Rostock, 07.07.2003<br />
120