Probekapitel Claudia Barth: Über alles in der Welt
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ste<strong>in</strong>therapie, etc. E<strong>in</strong>ige Beispiele zeigen, e<strong>in</strong> wie hoher Anteil <strong>der</strong> Bundesbürger esoterischen Inhalten<br />
anhängt: 15<br />
65% me<strong>in</strong>en, unheilbar Kranke sollten sich e<strong>in</strong>em mediz<strong>in</strong>ischen Laien mit beson<strong>der</strong>en Heilkräften anvertrauen;<br />
knapp je<strong>der</strong> fünfte zweifelt nicht an geistiger Fernheilung.<br />
64% <strong>der</strong> Bundesbürger me<strong>in</strong>en, Wassera<strong>der</strong>n und Erdstrahlen störten den Schlaf; Wünschelrutengänger<br />
könnten sie aufspüren.<br />
38% glauben, die Zukunft ließe sich übers<strong>in</strong>nlich voraussehen.<br />
33% glauben an UFOs.<br />
20% glauben, mit Verstorbenen könne Kontakt aufgenommen werden.<br />
17% glauben, sie hätten schon e<strong>in</strong>mal gelebt und seien wie<strong>der</strong>geboren.<br />
14% glauben an Hexen.<br />
14% glauben an das Wirken magischer Rituale.<br />
13% glauben, <strong>in</strong> Pyramiden entstünden beson<strong>der</strong>e Kraftfel<strong>der</strong>.<br />
9% glauben, Edelste<strong>in</strong>e könnten heilen.<br />
Dementsprechend vielfältig ist das kommerzielle Angebot <strong>der</strong> Esoterik-Szene, die jährlich an die 7,5<br />
Mrd. Euro erwirtschaftet. In seriösen Buchhandlungen nimmt die Verkaufsfläche für übers<strong>in</strong>nliche und<br />
ganzheitsmediz<strong>in</strong>ische Literatur großen Raum e<strong>in</strong>; 15% des jährlichen Umsatzes im deutschen Buchhandel<br />
werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sparte Esoterik erwirtschaftet; unter den bestverkauften Büchern entstammt rund<br />
e<strong>in</strong> Viertel dem esoterischen Bereich. 16 Esoterische Spezialbuchhandlungen s<strong>in</strong>d zum lukrativen Geschäft<br />
geworden, ebenso <strong>der</strong> Handel mit heilen<strong>der</strong> „Farbe und Licht“ und Tonträgern mit „meditativen Gebetsrezitationen“.<br />
Alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> München, <strong>der</strong> „Hauptstadt“ <strong>der</strong> esoterischen Bewegung, f<strong>in</strong>det dreimal jährlich<br />
e<strong>in</strong>e „Esoterik-Messe“ statt. In Volkshochschulen ist e<strong>in</strong> weiter Teil des Sem<strong>in</strong>arangebotes <strong>der</strong><br />
meditativen Selbstf<strong>in</strong>dung vorbehalten; <strong>in</strong> regulär ausgeschriebenen Massagekursen wird, anstatt handfester<br />
herkömmlicher Techniken, „energetisches Handauflegen“ praktiziert. Das Tarotkartenlegen hat sich<br />
zum Hobby vor allem vieler Frauen entwickelt. Schätzungsweise 80% <strong>der</strong> Konsumenten des Spirit-<br />
Angebots s<strong>in</strong>d Frauen, während die Produzenten vorwiegend Männer s<strong>in</strong>d.<br />
„Sieht nett aus und schaden tut’s bestimmt nicht. Wer weiß, vielleicht ist ja doch was dran?“ So lautet<br />
oftmals die relativierende Begründung für das Mitmachen im esoterischen Trend. Das häusliche Interieur<br />
wird nach Feng-Shui-Kriterien umgestaltet, um dem „Fluss <strong>der</strong> Energie“ gerecht zu werden. E<strong>in</strong><br />
„energetischer“ Kristall wird ans Fenster gehängt, e<strong>in</strong> Engelschutzgeist symbolisch ans Bett gestellt, e<strong>in</strong><br />
„heilendes Edelste<strong>in</strong>-Armband“ getragen, e<strong>in</strong> alt-germanisches Runenzeichen als Talisman angesehen.<br />
Die Vielzahl <strong>der</strong> esoterischen Richtungen br<strong>in</strong>gt es mit sich, dass fast jede und je<strong>der</strong> etwas f<strong>in</strong>det, woran<br />
„vielleicht etwas dran se<strong>in</strong> könnte“.<br />
Der Glaube an Esoterik ist dabei ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e Frage <strong>der</strong> Bildung. Mehrfach wurde <strong>in</strong> Untersuchungen<br />
nachgewiesen, dass die Schulbildung dem Glauben an übers<strong>in</strong>nliche Mächte nur zum Teil<br />
abträglich ist. 17 Das Interesse für übers<strong>in</strong>nliche Praktiken ist bei allen Bildungsschichten <strong>in</strong> annähernd<br />
gleichem Maße vorhanden. Bemerkenswert ist, dass Aberglaube auch unter Wissenschaftlern grassiert, 18<br />
und selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Buchhandlung des deutschen Bundestages, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Mitglie<strong>der</strong> desselben sowie<br />
Journalisten die Kundschaft darstellen, f<strong>in</strong>den sich e<strong>in</strong>schlägige Esoterik-Blätter im Sortiment.<br />
Die Erfahrung mit esoterisch-okkulten Praktiken nimmt gerade unter Jugendlichen zu. In Schulen<br />
kursieren Tarot-Karten und Pendel, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freizeit versammeln sich Freundeskreise, um durch Tischchenrücken<br />
Kontakt mit Verstorbenen aufzunehmen. Im Glauben an so genannte „schwarze Magie“ bekommen<br />
Jahr für Jahr Jugendliche schwere psychotische Leiden, fühlen sich von Geistern verfolgt und<br />
durchleben Angstzustände. In „schwarzen Messen“, die dem „Satan“ huldigen, werden „sexualmagische“<br />
Praktiken und Todesrituale vollzogen, die oftmals Tierquälerei o<strong>der</strong> gar Vergewaltigung e<strong>in</strong>schließen.<br />
Der Tierschutzvere<strong>in</strong> München konstatierte 1999, dass vermehrt schwarze Katzen im Münchner Stadt-<br />
15 Vgl. ebenda.<br />
16 Vgl. Goldner, Col<strong>in</strong>: Die Psycho-Szene, S. 23.<br />
17 Vgl. Müller, Ulrich: Ergebnisse e<strong>in</strong>er Umfrage unter bayerischen Schülern und Schüler<strong>in</strong>nen zu Okkultismus und<br />
Spiritismus, Ro<strong>der</strong>er Verlag, Regensburg 1989, S. 155ff.; vgl. Wiesendanger, Harald: In Teufels Küche. Jugendokkultismus,<br />
S. 19.<br />
18 Je<strong>der</strong> vierte Mediz<strong>in</strong>student <strong>der</strong> ostberl<strong>in</strong>er Universität Charité hält es für möglich, mit Wünschelruten Wasser zu<br />
f<strong>in</strong>den; je<strong>der</strong> fünfte rechnet damit, dass Erdstrahlen krank machen können. 61% <strong>der</strong> kanadischen Hochschulprofessoren<br />
halten e<strong>in</strong>er Umfrage zufolge Telepathie für glaubhaft, knapp e<strong>in</strong> Drittel auch Hellsehen, e<strong>in</strong> Viertel<br />
Astrologie. Vgl. Gertler, Andreas: Die Verbreitung des Glaubens an Wünschelrute und ‘Erdstrahlen’ bei<br />
Studenten <strong>der</strong> ehemaligen DDR, <strong>in</strong>: Skeptiker 1/1991, S. 20f.