Heft 22, Februar 2008, Themenheft: Ernst Jünger - Sezession im Netz
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Doppeltes Leben<br />
Gottfried Benn. Sein Leben<br />
in Bildern und Texten. Zusammengestellt<br />
von Holger Hof,<br />
Stuttgart: Klett-Cotta 2007.<br />
280 S., geb, Abb., 49.00 €<br />
€<br />
So tief, so genau haben wir<br />
noch nie bei Gottfried Benn<br />
vorbeigeschaut. Vielleicht<br />
haben wir bislang bei keiner<br />
unserer Ikonen solch Einblick<br />
genommen, da auch die Bilder<br />
und Texte zu <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong><br />
(Stuttgart 1988) an der Oberfläche<br />
bleiben. Das Benn-Buch<br />
ist ein unglaublich großes,<br />
unglaublich beeindruckendes<br />
Buch, das jedem in Sachen<br />
Benn weiterhilft. Denn, was<br />
man von ihm weiß, sind oft<br />
Klischees, seinen Ruf und sein<br />
Image bestätigend, wie auch<br />
die <strong>im</strong>mer gleichen Fotos, die<br />
rausgekramt werden, wenn<br />
mal wieder irgendein Artikel<br />
erscheint. Holger Hof, der die<br />
letzten Bände der Gesamtausgabe<br />
besorgte, kann man wohl<br />
als den besten Benn-Kenner der<br />
Welt bezeichnen. Das zusammengestellte<br />
Material, die<br />
Fülle unbekannter Fotos, die<br />
Abdrucke der Originalnotizbücher<br />
des dichtenden Dermatologen,<br />
all die Einzelheiten,<br />
die Kleinigkeiten, die sich auch<br />
in der opulenten und intelligenten<br />
Aufmachung zeigen,<br />
beeindrucken, überraschen,<br />
rühren. Da ist zum einen die<br />
vielbeschworene Ambivalenz,<br />
das „Doppelleben“, zwischen<br />
Spießer und düsterem Sänger,<br />
dem korrekten Arzt und dem<br />
Schwerenöter in jedem Belang.<br />
Immer aber bleibt das „Hirn“,<br />
dieser physiologische Beweis<br />
und Ausdruck des Menschseins,<br />
aus dem wohl die Zeilen<br />
und Verse kamen. Den besten<br />
Kommentar liefert Benn selbst:<br />
Viele, die ihn bislang nicht so<br />
nah kennengelernt haben (und<br />
das sind wohl die meisten)<br />
werden sagen, „den hatten wir<br />
uns anders vorgestellt. Das<br />
tut mir leid, aber gedenken<br />
Sie an <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>s Bemerkung,<br />
Nihilisten sehen <strong>im</strong>mer<br />
besonders gesund aus und sind<br />
besonders gesund. Vielleicht<br />
hat er recht.“<br />
Fritz Keilbar<br />
8 Rezensionen<br />
Radikaler Skeptiker<br />
Bernd Mattheus: Cioran. Portrait<br />
eines radikalen Skeptikers.<br />
Berlin: Matthes & Seitz 2007.<br />
367 S., geb, 28.90 €<br />
Nachdem 2006 Patrice Bollons<br />
umfassende Studie über den<br />
Ketzer Emil Cioran in deutscher<br />
Übersetzung erschien, nun ein<br />
Portrait des radikalen Skeptikers,<br />
das seinen Ausgangspunkt<br />
etwas <strong>im</strong>pressionistisch<br />
von der Bekanntschaft mit dem<br />
„freundlichen Misanthropen“<br />
Cioran n<strong>im</strong>mt, dann aber systematisch<br />
und gut lesbar dessen<br />
Leben und Werk in den Blick<br />
n<strong>im</strong>mt.<br />
Mattheus’ Buch folgt diesem<br />
einzigartig misanthropischen<br />
Werk unter der Devise Gómez<br />
Dávilas, daß alle echte Philosophie<br />
gegen den Skeptizismus<br />
und mit seiner Hilfe gestaltet<br />
werde. Dabei erfährt man einerseits<br />
Bekanntes, wenn Mattheus<br />
ausführlich die Schriften<br />
Ciorans und ihren (Miß)erfolg<br />
Revue passieren läßt, aber<br />
auch <strong>im</strong>mer wieder Neues,<br />
wenn auch oft en passant,<br />
etwa, daß Ciorans Alptraum<br />
eine Moschee in jedem Pariser<br />
Quartier sei. Oder daß er in<br />
einem Interview feststellt, Paris<br />
sei bereits teilweise von Barbaren<br />
okkupiert; die Menschen<br />
nachts in der Métro hätten<br />
nichts mehr mit Frankreich<br />
zu tun – was politisch korrekt<br />
indes aus der veröffentlichten<br />
Fassung entfernt wurde.<br />
Mattheus’ Darstellung verliert<br />
sich nicht in unwichtigen<br />
Einzelheiten, sondern schält den<br />
denkerischen (nicht: philosophischen)<br />
Kern des Cioranschen<br />
Werkes heraus (Bewußtsein als<br />
Verhängnis), auch wenn der<br />
Erzählfluß manchmal in der<br />
chronologischen Aneinanderreihung<br />
etwas zum Stocken<br />
kommt. Die Zitate aus Ciorans<br />
Cahiers, die bisher nur in<br />
einer arg verstümmelten und<br />
gekürzten deutschen Ausgabe<br />
erschienen, präsentieren anschaulich<br />
Ciorans Leben. Als<br />
zeitgeschichtliches Dokument<br />
liest man das Buch am besten<br />
parallel zu Turcanus Biographie<br />
über Mircea Eliade.<br />
Till Kinzel<br />
Roter Baron<br />
Joach<strong>im</strong> Castan: Der Rote<br />
Baron. Die ganze Geschichte<br />
des Manfred von Richthofen,<br />
Stuttgart: Klett-Cotta 2007.<br />
400 S., geb, 24.50 €<br />
€<br />
Hätten andere Nationen einen<br />
Jagdflieger, der <strong>im</strong> Ersten<br />
Weltkrieg achtzig Luftsiege errungen<br />
hat, wäre diesem auch<br />
heute noch die Verehrung als<br />
Held und Vorbild sicher. In<br />
Deutschland sieht das bekanntlich<br />
anders aus, so daß der<br />
„Rote Baron“ <strong>im</strong> Ausland<br />
eher ein Begriff ist als in<br />
Deutschland. Angesichts<br />
dieser Lage ist es zu begrüßen,<br />
daß endlich eine deutsche<br />
Biographie dieser Ausnahmegestalt<br />
vorliegt. Der Autor<br />
wird deshalb auch nicht müde,<br />
sein Buch als Pionierleistung<br />
anzupreisen, was es zweifellos<br />
ist. Gestützt auf bislang nicht<br />
genutzte Dokumente zeichnet<br />
Joach<strong>im</strong> Castan das kurze Leben<br />
des Rittmeisters nach, der<br />
am 21. April 1918 abgeschossen<br />
wurde. Von seiner Herkunft,<br />
über seinen Dienst als<br />
Ulanenleutnant, den Ausbruch<br />
des Weltkriegs, seinen unbedingten<br />
Willen zu den Fliegern<br />
zu kommen (der viele Widerstände,<br />
u. a. das Nichtbestehen<br />
der Flugprüfung, überwinden<br />
mußte) bis hin zu seiner<br />
Verehrung als der Kriegsheld<br />
par excellence, der gut aussah<br />
und seinen Lebensinhalt <strong>im</strong><br />
Krieg fand. Castan schildert<br />
den harten Alltag der Jagdflieger,<br />
der <strong>im</strong> Widerspruch<br />
zu den glänzenden Orden zu<br />
stehen scheint. Und schließlich<br />
die hohen Verluste, die diese<br />
Waffengattung zu verzeichnen<br />
hatte: nirgends fielen so viele<br />
Pour-le-mérite-Träger. Castan<br />
ist von seinem Gegenstand fasziniert<br />
und weiß doch, daß er<br />
das als Deutscher nicht darf.<br />
Deshalb muß er Richthofen<br />
analysieren, ihm neurotische<br />
Störungen unterstellen: Es<br />
kann doch nicht sein, daß da<br />
einer gegen jede Vernunft und<br />
Wahrscheinlichkeit sein Leben<br />
auch nach dem x-ten Luftsieg<br />
wieder in die Waagschale<br />
wirft. Doch, das gab es.<br />
Erik Lehnert