DER RUNENBRIEFLEHRGANG - Thule-italia.net
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der runenbrieflehrgang<br />
<strong>DER</strong><br />
<strong>RUNENBRIEFLEHRGANG</strong><br />
VON IGOR WARNECK<br />
2. LEHRBRIEF<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 1
der runenbrieflehrgang<br />
Einleitung zum 2. Lehrbrief<br />
Nachdem wir uns den Runen und unseren Göttern etwas angenähert haben,<br />
bewegen wir uns nun weiter im Futhark und den Strukturen des nordischen<br />
Lebensweges. Dazu mögen unter anderem ein Interview mit Sveinbjörn<br />
Beinteinson, dem isländischen Begründer des Asatrú dienen, sowie Odins<br />
Runenlied.<br />
Wir werden in diesem Lehrbrief mehrere Runen auf einmal kennenlernen.<br />
Nochmals möchte ich Dich darauf hinweisen, daß es besser für Dich ist, wenn Du<br />
jede einzelne Rune für sich durcharbeitest und erfährst. Eile und Hektik haben<br />
hier keinen Platz. Laß Dir Zeit und erspüre, ergründe die Runen auf Deine ganz<br />
persönliche Art und Weise.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 2
der runenbrieflehrgang<br />
Sveinbjörn Beinteinsson wurde am 4.7.1924 als Sohn des Bauern Beinteinn<br />
Einarsson aus Litlabotni am Hvaljarðarströnd und der Helga Pétursdóttir aus<br />
Drághals im Svinadal geboren. Er starb am 24.12.1993 an Herzversagen.<br />
1972 begründete er die Asatrúarfélag, die isländische Heidengruppe, deren<br />
Allsherjargóði er seit dieser Zeit war. Bis 1991 lebte Sveinbjörn auf seinem alten<br />
Hof in Drághals im Bergmassiv Skardsheiði (90 km nördlich von Reykjavik), wo<br />
sich auch eine 2 Meter hohe Thorsstatue befindet.<br />
Gespräch mit Sveinbjörn Beinteinsson<br />
geführt von Gisela Graichen<br />
entnommen dem Buch: „Die neuen Hexen“ von G. Graichen<br />
„Hier in Island ist das Heidentum eine ganz normale Sache. Ich habe mehr Angst<br />
zuzugeben, daß ich rauche als daß ich Heide bin. Meine Religion ist im Mai 1973<br />
offiziell von der Regierung anerkannt worden.<br />
Sie waren der Initiator?<br />
Ja, schon in meiner Kindheit habe ich mich für die alten Götter interessiert. Ich<br />
habe mir das Wissen aus den Sagas, der Edda und den alten Erzählungen<br />
herausgeholt. Gleich als ich lesen konnte, beschäftigte ich mich mit den Sagas,<br />
und mit sechzehn brachte ich meine ersten Gedichte über die alten Götter heraus.<br />
Was sind Sie von Beruf?<br />
Bauer, Schriftsteller und Dichter. Meine Vorfahren waren immer Bauern.<br />
Sie leben hier alleine auf Ihrem Hof. Ist das nicht sehr einsam?<br />
Oh nein, mein nächster Nachbar wohnt fünf Kilometer entfernt. Außerdem bin<br />
ich umgeben von Wesen, von Erdgeistern - huldrufolk. i<br />
Und wenn Sie krank sind?<br />
Gehe ich hinaus in die Natur und hole mir Kräuter, um mich wieder gesund zu<br />
machen. ii<br />
Was schreiben Sie?<br />
Werke über Islands Geschichte, Lieder Dichtungen. Ich habe auch ein<br />
wissenschaftliches Buch über den Aufbau der altisländischen Gedichte<br />
veröffentlicht. Wir haben hier sehr komplizierte Gedichtformen.<br />
Sind Sie christlich getauft?<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 3
der runenbrieflehrgang<br />
Getauft, konfirmiert, alles. Ich habe immer echt lockere Verbindungen zum<br />
Christentum gehabt, wie es typisch für das isländische Christentum ist. iii<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 4
der runenbrieflehrgang<br />
Sind Sie noch in der Kirche?<br />
Nein, man muß aus der Staatskirche austreten, bevor man bei uns aufgenommen<br />
wird.<br />
Wann kam Ihnen die Idee Ihren Glauben an die alten Götter zu einer Bewegung zu<br />
machen?<br />
Im Winter 71/72. Da kamen in Island einige christliche Sekten auf, wie die<br />
„Kinder Jesu“, und ich sagte mir, wir haben im Lande einen alten Glauben.<br />
Warum sollen wir den nicht wieder ins Leben rufen? Wieso brauchen wir diese<br />
Sekten? Ich habe eine Gruppe von Leuten zusammengerufen, wir waren zwölf zu<br />
Anfang, und bald kamen mehr dazu. Die Idee hat sofort einen guten Anklang<br />
gefunden.<br />
War das eine bewußte Gegenbewegung zu den Sekten?<br />
Ja, als Gegensatz dazu. Wir wollten den Menschen eine Wahlmöglichkeit geben,<br />
indem wir ihnen die alte Religion anbieten. Die Religion, die es auf Island vor dem<br />
Christentum gab, die im Jahre 1000 verboten worden ist, als Island christianisiert<br />
wurde.<br />
War die alte Religion im Volk immer noch unterschwellig vorhanden?<br />
Absolut! Sie war all die Jahrhunderte vollkommen lebendig. iv<br />
Warum war sie dann 970 Jahre lang nur im Verborgenen lebendig und kommt jetzt erst<br />
wieder an die Öffentlichkeit?<br />
Weil sie gesetzlich verboten war. Man praktizierte die alte Religion nur versteckt,<br />
weil man Angst vor der Kirche als stärkster Macht im Lande hatte. Island war bis<br />
1550 katholisch. Dann kam die Reformation und damit die evangelische<br />
Staatskirche. Erst 1874 bekamen wir die Religionsfreiheit, und man konnte aus der<br />
Kirche austreten. Danach brauchten wir erst einmal Zeit, um die Luft sauber zu<br />
machen für unsere Aktion. v<br />
Sie sagen, die alte Religion war auch nach dem Jahre 1000 im Volk lebendig. Wie<br />
äußerte sich dieses Lebendigsein?<br />
Das einfache Volk hat immer an die Natur geglaubt, an Naturereignisse, an<br />
Wesen, die in der Natur leben wie Alfen, Kobolde und gute, positive Wesen, die<br />
die Menschen begleiten und ihnen helfen. Es können auch Verstorbene sein. Man<br />
weiß nicht, wo diese Wesen wohnen, man weiß nur, daß bestimmte Personen von<br />
ihnen umgeben sind.<br />
Nicht alle Menschen?<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 5
der runenbrieflehrgang<br />
Nein, nicht alle.<br />
Wonach suchen die Wesen sich denn ihre Menschen aus, die sie begleiten wollen?<br />
Warum es bestimmten Personen zufällt, weiß man nicht. Es ist ein besonderes<br />
Glück, wenn einem diese Unterstützung zuteil wird. Sie haben nichts mit den<br />
Heiligen zu tun, wie wir sie von der christlichen Kirche her kennen.<br />
Gibt es auf Ihrem Hof auch Geister?<br />
Ich habe sie nie gesehen, aber ich spüre sie.<br />
Wie nennen Sie sich, Heiden?<br />
Wir nennen unsere Religion Asatrú, den Glauben an die Asen, an die alten<br />
nordischen Götter. Wir wollen uns nicht einfach Heiden nennen, weil es so viele<br />
verschiedene Arten von Heidentum gibt. Heide ist der Oberbegriff.<br />
Wie haben Sie ihre offizielle Anerkennung als Religion durchgesetzt?<br />
Wir haben keine Demonstrationen gemacht und keine Revolution angezettelt. Wir<br />
haben einen Verein gegründet, den Verein der Menschen, die an die Asen<br />
glauben. In der Satzung steht sogar, daß es verboten ist zu missionieren. Man soll<br />
seinen eigenen Glauben nicht anderen aufzwingen. Die kommen von alleine,<br />
wenn sie soweit sind.<br />
Wie war die amtliche Reaktion auf ihre Vereinseintragung?<br />
Zuerst kam Skepsis. Ich mußte zum Justizminister gehen - der ist auch zuständig<br />
für religiöse Angelegenheiten - und unsere Ziele erklären. Jeder kann eine<br />
Religionsgemeinschaft eintragen lassen, aber um dieselben Rechte wie die offizielle<br />
Staatskirche zu bekommen, brauchten wir die Erlaubnis des Ministeriums.<br />
War es schwierig, diese Rechte durchzusetzen?<br />
Ich kannte den Justizminister. Er war früher Professor für Jura an unserer<br />
Universität in Reykjavik gewesen. Ich konnte auf alte Veröffentlichungen von ihm<br />
hinweisen, in denen er einige die Religion betreffende Gesetze so interpretiert<br />
hatte, daß es mir leichtfiel, mich darauf zu berufen. Daß es legal war, was wir<br />
machten. So gelang es mir, ihn dazu zu bewegen unsere Religion anzuerkennen.<br />
Dann mußte ich mir noch bei der Polizei ein Führungszeugnis besorgen, und<br />
seitdem haben wir dieselben Rechte wie die Staatskirche.<br />
Welche Rechte sind das?<br />
Ich bekam zum Beispiel die offizielle Erlaubnis Ehen zu schließen. In Island muß<br />
man nicht zum Standesamt gehen. Die Eheschließung durch den Vorsitzenden<br />
unseres Vereins ist juristisch einwandfrei.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 6
der runenbrieflehrgang<br />
Wie viele Paare haben Sie schon getraut? Der Kanzler der deutschen Botschaft erzählte<br />
mir, daß auch Anfragen aus Deutschland gekommen seien.<br />
Etwa zehn Ehepaare.<br />
Ich habe von einem Fall gehört, in dem die jungen Leute Ihre Trauung offensichtlich für<br />
einen Jux hielten. Die junge Dame soll recht wohlhabend gewesen sein und hat angeblich<br />
am nächsten Tag zu ihrem Entsetzen festgestellt, daß die Eheschließung amtlich war. Sie<br />
soll daraufhin eine Annullierung verlangt haben, weil sie bei einer Scheidung die Hälfte<br />
ihres Vermögens an den jungen Mann hätte abgeben müssen.<br />
Die haben das nicht für einen Jux gehalten. Die Ehe ist vor dem<br />
Parlamentsgebäude geschlossen und auch richtig eingetragen worden. Die haben<br />
gemerkt, daß sie nicht zueinander paßten, und wollten die Ehe für ungültig<br />
erklären lassen, um keine Scheidung zu beantragen. Aber sie sind damit nicht<br />
durchgekommen. Die Ehe ist gültig und vollkommen legal. Sie müssen jetzt wie<br />
alle anderen auch die Scheidung einreichen.<br />
Wie hat die isländische Staatskirche auf ihre amtliche Anerkennung reagiert?<br />
Während der Prozedur hatte das Justizministerium den Bischof um eine<br />
Stellungnahme gebeten. Die fiel natürlich negativ aus. Der Bischof begab sich<br />
auch offiziell ins Ministerium, um sich dagegen zu wehren. Doch das Ministerium<br />
hat die Stellungnahme des Bischofs nicht anerkannt. Der hat daraufhin einen<br />
langen Artikel in der Zeitung geschrieben. Aber die Öffentlichkeit hat sehr positiv<br />
auf die Wiederbelebung unserer alten Religion reagiert. Im Parlament gab es dann<br />
noch einen Antrag eines Abgeord<strong>net</strong>en der konservativen Partei, daß man unsere<br />
Religion verbieten solle. Es gab eine Debatte, aber er ist mit seinem Antrag nicht<br />
durchgekommen. Der Justizminister befürwortete unsere Religion und stand<br />
persönlich dahinter.<br />
Gehörte er zu Ihrer Bewegung?<br />
Nein, aber hier in Island sind wir in der Religionsausübung sehr tolerant, man hat<br />
viel Verständnis für uns. In Norwegen haben sie die Anerkennung auch versucht,<br />
aber da haben sie es nicht geschafft.<br />
Wie viele Mitglieder hatten Sie im Mai 1973?<br />
Vierzig.<br />
Wie viele Mitglieder haben Sie heute (1986)?<br />
Achtzig eingetragene Mitglieder. Aber eine viel größere Anzahl von Gästen<br />
kommt zu unseren Treffen, zu den blóts. Das sind Freunde unseres Vereins, und<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 7
der runenbrieflehrgang<br />
die sind in der Mehrzahl, die nicht offiziell registriert sind. Blóts sind unsere<br />
Feiern, das altnordische Wort für Opferfest.<br />
Wird heute noch geopfert?<br />
Wir wissen nicht genau, wie das früher auf den Zusammenkünften vor sich ging,<br />
aber wir opfern nichts mehr. Wenn wir uns treffen, wird die Zusammenkunft erst<br />
einmal heiliggesprochen und geseg<strong>net</strong>.<br />
Gibt es dabei die Funktion des Hohenpriesters?<br />
Das ist der Allsherjargóði, derjenige Gode, der die höchste Macht, oder besser: das<br />
höchste Ansehen hat. Früher hatte jeder Kreis seinen eigenen Goden. Einmal im<br />
Jahr trafen sie sich am Þingplatz. Sie übten sowohl eine politische als auch eine<br />
priesterliche Funktion aus. Mit der Christianisierung Islands wurde die religiöse<br />
Funktion abgeschafft. Der Allsherjargóði sprach das Þing heilig und seg<strong>net</strong>e es. So<br />
beginnen auch heute unsere Zusammenkünfte. Dann werden die alten Sagen aus<br />
der Edda vorgelesen, und es wird auf die Götter getrunken.<br />
Viel?<br />
Symbolisch aus einem Horn. Wir bereiten einen Met zu, den wir trinken. Danach<br />
kann jeder aufstehen und sich äußern, wenn er etwas zu sagen hat. Hier in Island<br />
werden auch viele Gedichte vorgetragen. Anschließend feiert man zusammen,<br />
man ißt, man trinkt.<br />
Welche Götter werden angebetet?<br />
Hauptsächlich Þhorr. Er genoß unter den Asen das höchste Ansehen. Er ist als<br />
Gottesidee auch einfacher als Oðinn, volkstümlicher. Er ist der Gott des<br />
Ackerbaus, er macht das Erdreich mit seinem Hammer fruchtbar, er ist stark,<br />
zuverlässig und hilfsbereit.<br />
Gibt es bei den Feiern einen Altar mit rituellen Werkzeugen?<br />
Wir haben das Horn aus dem wir trinken, und ein kleine Statue von Þhorr.<br />
In Deutschland wird Ihre Religion als Odinismus bezeich<strong>net</strong>. Welche Rolle spielt Oðinn<br />
in Ihrem Glauben?<br />
Jeder kann die Götter anbeten, die er möchte. Oðinn steht für Weisheit, die<br />
Imagination und die Suche nach größeren Kenntnissen.<br />
Er ist auch der Gott der Magier und Zauberer?<br />
Das ist ein Teil seines Wissens, ja, absolut! Man spricht und diskutiert mit den<br />
Göttern je nach ihren unterschiedlichen Funktionen.<br />
Aber der oberste Gott ist Oðhinn, also männlich.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 8
der runenbrieflehrgang<br />
Die Göttinnen spielen jedoch eine sehr große Rolle. Freyja, die Göttin der<br />
Fruchtbarkeit ist sehr wichtig. Sie ist die Gemahlin Oðins.<br />
Ist sie ihm gleichberechtigt oder untergeord<strong>net</strong>?<br />
Gleichberechtigt. Da gibt s keinen Unterschied.<br />
Welche Rolle spielen die Frauen im Asatrú?<br />
Bei den eingetragenen Mitgliedern haben wir achtzig Prozent Männer und zwanzig<br />
Prozent Frauen. Das mag daran liegen, daß Frauen eher zögern, auf das Amt zu<br />
gehen und sich bei einem Beamten eintragen zu lassen. Man muß ja auch vorher<br />
aus der Kirche austreten, und Frauen scheuen oft das Formale. Die Besucher, die<br />
bei den blóts dazukommen, sind überwiegend Frauen. Gesellschaft in Island war<br />
nie sehr patriarchalisch aufgebaut. Frauen hatten immer schon sehr viel stärkere<br />
Rechte und waren sehr viel mehr als gleichwertig anerkannt, als das auf dem<br />
Kontinent je der Fall war.<br />
Was verstehen Sie unter „Hexen“?<br />
Keine lebendigen Personen. Der Begriff steht für eine Kraft, eine magische Kraft. vi<br />
Welche Art von Kraft?<br />
Es spielt nicht die Hauptrolle, welche Kraft oder Macht das ist, sondern wie sie<br />
sich mit unserer eigenen Kraft mischt. Auf das Zusammenspiel kommt es an.<br />
Meine eigenen Energien werden durch die magischen Kräfte verstärkt, bei allem,<br />
was ich tue. Diese Kräfte, die aus dem engen Kontakt mit der Natur entstehen,<br />
waren früher in den Menschen vorhanden. Im Laufe der Zeit haben wir diese<br />
Fähigkeiten verloren und versucht, sie durch Pseudodinge wie stärkere Autos und<br />
größere Häuser zu ersetzen. Jetzt werden wir uns wieder bewußt, daß diese Kräfte<br />
tief im Innern in uns ruhen, und wir wollen sie wieder hervorholen. Dies ist meine<br />
persönliche Meinung. Aber die meisten Mitglieder unserer Religion gehen in diese<br />
Richtung. Alle, die sich ernsthaft damit beschäftigen, sehen es so. Man muß offen<br />
vor der Möglichkeit sein, daß wir mit unserem Geist weitergehen können. Wir<br />
haben die Fähigkeit, wieder Kontakt zu den Kräften zu bekommen. Diese<br />
Fähigkeit müssen wir kultivieren, wir dürfen sie nicht länger mißachten. Da die<br />
Wissenschaft nur das anerkennt, was man mit dem Kopf und dem Verstand<br />
macht, hat sie uns von diesen Fähigkeiten und Möglichkeiten weggeführt.<br />
Auch wenn es - wie Sie sagen - nicht darauf ankommt, möchte ich gerne mehr über diese<br />
magischen Kräfte wissen.<br />
Es ist eine besondere Aufgabe unserer Religion, die Verbindung des Menschen zur<br />
Natur wiederherzustellen, zu allen Kräften, die in der Natur sind, um sie verstehen<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 9
der runenbrieflehrgang<br />
zu können. Es fließt ein Bach, es wächst ein Baum, der Mensch ist nur ein Teil<br />
dieses Prozesses. Er muß sich bewußt als einen Teil des Ablaufs der Naturkräfte<br />
empfinden. Die älteren Leute, die ich als Kind kannte, das waren zwar Christen,<br />
aber sie übertrieben es nicht gerade mit dem Christentum. Auf ganz normale<br />
Weise mischten sie Christentum mit ihrem Naturglauben. Sie hatten noch das<br />
Gespür für Alfen und Wesen, die um sie waren. Es war eine so viel bessere<br />
Beziehung zwischen den Menschen und der Natur und den Menschen<br />
untereinander.<br />
Sie haben hier in Island aufgrund der abgelegenen Insellage und der politischen<br />
Abgeschiedenheit - erst 1944 wurde die unabhängige Republik ausgerufen - eine<br />
besondere Situation.<br />
Ja, der technische Fortschritt brach plötzlich über uns herein. Maschinen, Autos,<br />
Flugzeuge, moderne Schiffe, alles kam auf einmal, in einer Generation. Hier gab es<br />
keine stetige Entwicklung dahin wie in den anderen Ländern Europas. Nehmen<br />
Sie das Beispiel Segeln. Tausende von Jahren sind die Menschen gesegelt.<br />
Tausende von Jahren hat man gebraucht, um segeln zu lernen. Und plötzlich<br />
kommen in einem Menschenalter Dampfschiffe, Motorschiffe bis hin zum<br />
atombetriebenen U-Boot auf uns zu. Das war alles viel zu schnell und kam viel zu<br />
viel auf einmal. Das kann ein Generation kaum verkraften. Rein äußerlich<br />
gewöhnt der Mensch sich erstaunlich schnell an neue Dinge, aber sein ganz<br />
normales, intuitives Verhältnis zur Natur hat er verloren. Statt dessen baut er sich<br />
so viel tote Umgebung. Der Mensch baut sich ständig Wüsten. vii<br />
Rächt sich die Natur, indem sie stirbt, weil der Mensch die Verbindung zu ihr verloren<br />
hat? Ist das Ihre Antwort darauf?<br />
Ja, ich kann mich gut erinnern, wie die älteren Leute zu mir als Kind sagten: Laß<br />
den Baum stehen, das Moos an dem Stein, die Fliege am Fenster wird nicht<br />
getötet. Die Natur war immer Teil unseres Lebens. Nachdem Technik und<br />
Wissenschaft über uns hereingebrochen sind, müssen wir warten, daß die Seele<br />
nachkommt. Die Menschheit kommt mir vor wie jemand, der aus Zwang tanzt.<br />
Früher kannte ich Leute die mußten tanzen, sie konnten nicht wieder aufhören,<br />
bis sie erschöpft hinfielen oder gar tot umfielen. So ist heute die ganze Welt mit all<br />
ihren Kriegen. Die Welt tanzt sich zu Tode und kann nicht aufhören.<br />
Die Menschen ihrer Generation können sich noch an die anderen Zeiten erinnern.<br />
Dadurch haben Sie es auch leichter in Ihrer Bewußtwerdung als wir auf dem Kontinent.<br />
Ja, aus unserer Kindheit kennen wir die Zeit vor dem technischen Fortschritt, der<br />
ja sehr spät zu uns kam. Diese enge Verbindung zur alten Zeit, dieser enge<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 10
der runenbrieflehrgang<br />
Kontakt zur Natur und auch zu unserer kulturellen Vergangenheit haben geholfen<br />
den Boden für unseren Glauben zu bereiten.<br />
Wollen Sie die Zeit zurückdrehen?<br />
Nein, ich setze mich nicht mit meiner Gruppe dahin und sage, jetzt haben wir den<br />
Glauben von früher, leben wir auch das Leben von früher. Ich will die Zeit nicht<br />
tausend Jahre zurückdrehen. Ich muß mein Leben an die heutige Zeit anpassen.<br />
Wir können und wollen die technische Entwicklung nicht abschaffen.<br />
Sie lehnen Autos oder das Fernsehen nicht ab?<br />
Nein, wir müssen lernen, damit umzugehen. Diese Dinge dürfen nicht die alte<br />
Ausgewogenheit der Menschen zerstören, die sie früher hatten. Die Wissenschaft<br />
hat uns unser Gleichgewicht im Leben genommen. Wir fühlen uns nicht mehr<br />
wohl. In meiner Jugend habe ich hier in Island dieses Gleichgewicht noch bei den<br />
Älteren erlebt. Sie führten ein einfaches Leben, versuchten niemandem weh zu<br />
tun, sie ruhten in sich. Menschen, die in sich ruhen, gibt es kaum noch. Das<br />
haben die schnellen technischen Entwicklungen zerstört.<br />
Sie versuchen mit Ihrer Religion die Menschen wieder zu dieser Ausgewogenheit zu<br />
führen?<br />
Das ist eines unserer Hauptziele.<br />
Welches sind die anderen?<br />
Mit dieser Ausgewogenheit auch durch die neue Zeit gehen zu können, die<br />
Balance nicht zu verlieren.<br />
Glauben Sie, die Menschen mit Ihrer Religion zur Besinnung bringen zu können, so daß<br />
sie mit dem Tanz aufhören können?<br />
In unserer Religion sehe ich absolut eine Hoffnung. Wir sind da an einem<br />
wichtigen Punkt. Sie fragten zu Anfang, warum der alte Glaube jetzt erst wieder<br />
aus dem Verborgenen hervorkommt. Ich antwortete, es war die Angst vor der<br />
Macht der Kirche. Aber es ist noch etwas anderes: Es war auch die Angst vor der<br />
Wissenschaft, die Anfang dieses Jahrhunderts aufkam. Die Angst, sich lächerlich<br />
zu machen, wenn man zugab, daß man an Alfen und Kobolde glaubte, daß es<br />
Geister gibt, daß es spukt. viii<br />
Heute kann man es wieder zugeben?<br />
Heute stellt man die Wissenschaft wieder mehr in Frage. Man kann wieder<br />
zugeben, daß man etwas glaubt, was man nicht sieht. Diese übergroße Achtung<br />
vor dem technischen Fortschritt haben wir überwunden. Man sieht ja, wohin wir<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 11
der runenbrieflehrgang<br />
damit gekommen sind. Er hat uns nicht das gebracht, was wir uns vor fünfzig<br />
Jahren erhofften.<br />
Wollen Sie eine andere Gesellschaft schaffen?<br />
Keine Revolution. Die Wissenschaft hat uns auch Gutes gebracht wie die<br />
Medikamente, die Kenntnisse über Seuchen. Obwohl wir damit auch wieder die<br />
Hungersnöte in der Dritten Welt verstärkt haben. Wir wollen auf unsere Seele<br />
warten, lernen, die Aggressionslust aus uns herauszutreiben, weniger zu verlangen,<br />
nicht meinen, alles haben zu wollen. Menschen können lernen, weniger aggressiv<br />
miteinander umzugehen, sondern aufeinander zuzugehen, sich gegenseitig zu<br />
helfen.<br />
Warum glauben Sie, das mit Ihrer Religion eher erreichen zu können als das Christentum<br />
mit seinem „Liebe deinen Nächsten“?<br />
Unsere Religion ist mehr mit der Natur, mit der natürlichen Harmonie<br />
verbunden. Das Christentum wehrt sich doch sogar offiziell gegen diese Harmonie.<br />
Beispiel Hexenverbrennungen. Es erlaubt kein ungestörtes, normales Verhältnis zu<br />
den Dingen, die uns umgeben; statt dessen schreibt es uns eine direkte, starre<br />
Linie vor. Dagegen wehre ich mich.<br />
Wie schaffe ich es, durch Ihre Religion zu dieser Harmonie zu finden? Ändert sich etwas<br />
im alltäglichen Leben, wenn ich Ihre Religion praktisch lebe?<br />
Alles wird leichter. Man fühlt sich wohler. Man nimmt es nicht so ernst, wenn<br />
etwas fehlt. Man lernt, Dinge hinzunehmen, auf sich zu nehmen und seine Kraft<br />
besser zu nutzen. Es ist nicht möglich, jeden Tag in diesen Zustand zu kommen.<br />
Dazu braucht man Ruhe.<br />
Fühlt man nach den feiern besondere Kräfte in sich?<br />
Nicht nur bei den blóts, den offiziellen Feiern, sondern allgemein durch das<br />
Zusammensein mit gleichgesinnten Leuten. Daraus kommt die Kraft. Man spürt<br />
die positive Wirkung des anderen, das verstärkt sich gegenseitig. Das ist ein<br />
Zusammenstimmen wie bei Instrumenten, ein Einklang, eine Harmonie. Mir ist die<br />
Verbindung zueinander wichtig, zur Natur, zu Islands alter Geschichte und<br />
Sprache. Wir bemühen uns, ein schönes, gutes Isländisch zu sprechen. Manchmal<br />
sagen wir im Scherz, wir müssen dieselbe schöne Sprache sprechen wie Oðhinn.<br />
Können Sie die gewonnenen Kräfte auf etwas Spezielles richten?<br />
Vorsicht! Mit der Kraft, die ich bekomme, kann ich anderen helfen. Aber das<br />
meine ich allgemein, indem ich eine positive Wirkung ausstrahle, nicht im Sinne<br />
von spezifisch Heilen oder so etwas. Wir gehen nicht Richtung Spiritismus. Man<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 12
der runenbrieflehrgang<br />
muß da stark aufpassen, das darf nicht durcheinandergeworfen werden, daß es ein<br />
Brei oder eine Suppe wird.<br />
Dinge hinnehmen wie sie sind, das hört sich so nach Fatalismus an.<br />
Ja, eine Art Fatalismus. Ich bin nicht in einem konstanten Kampf. Aber ich renne<br />
auch nicht vor den Problemen weg.<br />
Wenn Sie nicht gekämpft hätten, wäre Ihre Religion nie offiziell anerkannt worden.<br />
Es ist schwer, welche Methode man wählen soll. Die Leute müssen es aus sich<br />
selbst heraus begreifen, was los ist, wo wir stehen. Aber den Machthabern muß<br />
man es klarmachen.<br />
Tun Sie das?<br />
Ich äußere mich in Zeitungen und anderen Veröffentlichungen. Wenn das<br />
Bewußtsein jedes einzelnen da ist, kommen wir zu dem Punkt, daß wir auf die<br />
Machthaber einen gewissen Druck ausüben. Aber man muß aufpassen. Zu großer<br />
Druck wirkt sich negativ aus.<br />
Was halten Sie von der neuen heidnischen Bewegung in Deutschland?<br />
Wenn sie den richtigen Weg gehen, ist es gut. Jeder hat doch heute vor Augen,<br />
daß es so nicht weitergehen kann, wie Umwelt und Natur zerstört werden. Wir<br />
müssen jetzt stopp sagen und wieder einen stärkeren Kontakt zur Natur<br />
bekommen, uns als Teil der Natur erkennen. Aber die Leute müssen diese Weg<br />
ohne Extremismus gehen, ohne Aggressionen.<br />
Glauben Sie, daß Ihre neue - alte - Religion sich ausbreiten wird?<br />
Ich denke schon. Wir werden es mit Ruhe und Gelassenheit abwarten.“<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 13
Fragen stellen<br />
der runenbrieflehrgang<br />
Immer wieder stoße ich bei meinem Unterricht auf ein kleines aber sehr wichtiges<br />
Problem. Es handelt sich hierbei um ein Problem des Austausches.<br />
Wenn Du glaubst, Dein Lehrer wäre ein perfekter und allwissender Mensch, dann<br />
irrst Du. Wir lernen voneinander: Ich von Dir und Du von mir. Wenn wir<br />
gemeinsam an einer Zukunft dieses Weges arbeiten wollen dann ist es wichtig das<br />
Du Fragen stellst. Du mußt genauso wenig allwissend sein wie ich.<br />
Aus mir durchaus verständlichen Gründen haben viele Menschen gerade auf dem<br />
Gebiet der magischen Ausbildung eine gewisse Scheu Fragen zu stellen, denn das<br />
würde ja implizieren, daß sie selbst dumm wären oder etwas nicht verstanden<br />
hätten. Dabei ist lediglich der Lehrer daran schuld, denn er konnte das Wissen<br />
nicht dem Schüler angemessen übermitteln. Und diesen Irrtum kann ein Lehrer<br />
nur erkennen, wenn er Fragen gestellt bekommt, so belanglos sie Dir auch<br />
erscheinen mögen. Wenn sie zum Thema gehören oder dem Thema vorgreifen, an<br />
dem Du gerade arbeitest, bringen diese Fragen uns beide weiter!<br />
Also: Fragen fragen! Und sich nicht blöd dabei vorkommen!<br />
Im Havamal heißt es hierzu:<br />
Weise dünkt sich schon wer zu fragen weiß<br />
Und zu sagen versteht;<br />
Doch Unwissenheit mag kein Mensch verbergen,<br />
Der mit Leuten leben muß.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 14
URUZ<br />
der runenbrieflehrgang<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
Uruz ist die zweite Rune des<br />
Futhark.<br />
Lautwert: U; manchmal V Zahlenwert: 2<br />
Traditionelle Bedeutung:<br />
Auerochse<br />
Assoziationskette: Ursprung -<br />
Urkraft - Urquell - Urzeit - Urkuh<br />
(Audhumla) - Auerochse -<br />
Urmutter - Göttin - Muttergöttin -<br />
Die Gebärende und Verschlingende<br />
- Urbarmachung - Urmuster - Urd<br />
Der Auerochse, welcher heute nur noch in einigen Wildgehegen anzutreffen ist,<br />
war früher ein begehrtes und schwer zu jagendes Tier. Seine Statur und Kraft ist<br />
dem des Bison gegenüberzustellen. Es gehörte zu den Bewährungsproben für junge<br />
Männer, in der damaligen Stammesgesellschaft, einen solchen Auerochsen zu<br />
erlegen. Bei den damaligen Jagdmethoden bedeutete dies ein gefährliches<br />
Unterfangen und viele dieser jungen Männer werden nicht mehr von der Jagd<br />
heimgekehrt sein. Nur der Stärkste und Geschickteste vermochte in dieser Zeit zu<br />
überleben. Wer jemals auf einer Weide, einem Bullen gegenüberstand, weiß welche<br />
Aggression und Kraft in einem solchen Tier komprimiert ist: Das ist Uruz in seiner<br />
Reinform. Dies ist das Lebensfeuer, gebunden in einer beweglichen Form.<br />
Im Gylfaginning der jüngeren Edda heißt es:<br />
6. Da fragte Gangleri: Wo wohnte Ymir? Oder wovon lebte er? Har antwortete:<br />
Als das Eis auftaute und schmolz, entstand die Kuh, die Audhumla hieß, und<br />
vier Milchströme rannen aus ihrem Euter; davon ernährte sich Ymir. Da fragte<br />
Gangleri: wovon nährte die Kuh sich? Har antwortete: Sie beleckte die<br />
Eisblöcke, die salzig waren, und den ersten Tag, da sie die Steine beleckte,<br />
kam aus den Steinen am Abend Menschenhaar hervor, den anderen Tag eines<br />
Mannes Haupt, den dritten Tag war es ein ganzer Mann, der hieß Buri. Er war<br />
schön von Angesicht, groß und stark und gewann einen Sohn, der Bör hieß.<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 15
der runenbrieflehrgang<br />
Der vermählte sich mit Bestla, der Tochter des Riesen Bölthorn; da gewannen<br />
sie drei Söhne: Der eine hieß Odin, der andere Wili (gemeint ist Hönir), der<br />
dritte We (gemeint ist Loki). Und das ist mein Glaube, daß dieser Odin und<br />
seine Brüder Himmel und Erde beherrschen.<br />
Audhumla können wir als Manifestation der Muttergöttin ansehen, die der<br />
vorangegangenen Idee der Schöpfung nun Form verleiht. Daraus geht zunächst<br />
der Vater aller Götter hervor, dessen Sohn schließlich zusammen mit Bestla den<br />
obersten Asen Odin und seine Brüder Hönir und Loki zeugt. Hier finden wir den<br />
nährenden und formgebenden Aspekt der Großen Göttin wieder. Eine<br />
Verkörperung der Göttin ist Mutter Erde. Die Griechen nannten diesen Aspekt<br />
Gaia, bei uns heißt sie Njörd.<br />
Fehu verkörperte die chaotische Energie des Urfeuers. Uruz verleiht dieser<br />
unkontrollierten Kraft Form. Uruz verkörpert nicht die Form, sondern die<br />
formgebende Kraft. Diese Rune ist Quelle archetypischer Muster, der Muster des<br />
Ur-Sprungs.<br />
Ur führt uns zu Urd, einer der drei Nornen. Die Nornen sind die nordischen<br />
Schicksalsgöttinnen, welche das Netz des Wurd (im englischen: Wyrd) wirken.<br />
Wurd wird oft mit dem Schicksal gleichgesetzt, meint jedoch etwas völlig anderes.<br />
Im nordischen Schicksalsbegriff gibt es keine Unabdingbarkeit.(siehe dazu das<br />
Kapitel: Das Wirken und Weben)<br />
Wenn wir uns die chaotische Kraft des Urfeuers (Fehu), gepaart mit der<br />
formgebenden Kraft der Muttergöttin (Uruz) vorstellen, kommen wir zurück zum<br />
Auerochsen. Dieses Tier verkörpert ungeheure Energie, die solange ruhig bleibt,<br />
bis sie gereizt wird, dann kommt die Aggression zum Zuge, mit welcher das Tier<br />
um seine Freiheit, sein Leben kämpft. Aggression wird in unserer heutigen<br />
Gesellschaft negativ bewertet, doch tatsächlich ist es doch die uns allen<br />
innewohnende Kraft, mit der wir uns durchsetzen können, mit der wir wieder in<br />
die Freiheit gelangen. Die Verteufelung der Aggression läßt heute die Schwachen<br />
über die Starken herrschen. Ein gesunder und bewußter Umgang mit dieser<br />
Energie macht uns vollständiger und mächtiger. Wird die Aggression<br />
heruntergeschluckt, frißt sie uns auf. Extrem aggressive Menschen sind ein gutes<br />
Beispiel dafür, wie man wird, wenn man nicht mit sich in Frieden leben kann. Mit<br />
sich jedoch in Frieden zu leben und seine Wünsche und seinen Willen zu kennen,<br />
und auch den Mut dazu zu haben sie durchzusetzen, stellt den positiven und<br />
gesunden Aspekt von Aggression dar.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 16
der runenbrieflehrgang<br />
Diese Kraft des Durch- und Aufbruchs können wir im Frühjahr in der Natur<br />
wahrnehmen. Bäume strahlen diese Energie aus, zu dem Zeitpunkt, kurz bevor die<br />
Blätter aus den Knospen quellen.<br />
Unser Willen vermag die potentielle Energie der Aggression in Bahnen der<br />
Kreativität zu lenken.<br />
Uruz steht eng mit der Tätigkeit des Heilens in Verbindung. Dabei geht es um die<br />
Heilung anderer Menschen und uns selbst. In Odins Runenlied heißt es:<br />
Ein anderes weiß ich, des alle bedürfen,<br />
Die heilkundig heißen.<br />
Oft geht eine Krankheit mit der Entwurzelung von Körper, Seele oder Geist<br />
einher. Zu diesen Wurzeln kann uns Uruz zurückbringen. Weiterhin steht Uruz<br />
mit der Erdkraft in Verbindung. Wir finden diese Kraft in den Ley-Linien unseres<br />
ganzen Pla<strong>net</strong>en wieder. Ein Netz von (mag<strong>net</strong>ischen) Energielinien umspannt<br />
unseren Erdball und viele Kraftplätze finden sich an und auf ihnen. Unsere<br />
Ahnen konnten diese Kraftlinien wahrnehmen und erbauten darauf ihre heiligen<br />
Plätze, aus denen dann im Zuge der Missionierung, Kapellen, Kathedralen und<br />
Kirchen wurden. Stonehenge, Glastonbury, Externsteine, Chartre, Prag, der<br />
Heiligenberg bei Heidelberg, dies sind alles Orte auf diesen Kraftlinien. Manchmal<br />
finden wir solche Kraftplätze der Erde auch mitten im Wald oder Feld. Bäume und<br />
Pflanzen wachsen dort etwas anders, als anderswo und kein Mensch weiß mehr<br />
um die Bedeutung dieses Kraftortes, doch dort können wir die Energie der Erde<br />
besonders deutlich wahrnehmen. Mit dieser Kraft kann man heilen und wird<br />
selbst geheilt. Wie wir diese Kraft aufnehmen können, wird zum Schluß dieses<br />
Abschnittes als Runenstellung beschrieben. ix<br />
Uruz verleiht uns jugendliche Kraft und fördert die Regeneration der physischen<br />
Gesundheit. Wir vermögen mit ihr so stark und mutig wie ein Auerochse zu<br />
werden, vorausgesetzt, wir laufen nicht ständig vor unserer eigenen Kraft davon. x<br />
Die Energie, welche wir durch die Fehu-Rune anziehen können, vermag Uruz zu<br />
speichern und sozusagen in ein stilles Kraftreservat, ein ruhendes, zu verwandeln.<br />
Durch Thurisaz kommt dann der eigene Willen hinzu, diese Kraft in die Tat<br />
umzusetzen.<br />
Der negative Aspekt der Uruz-Rune, ist die blinde Wut, die unkontrollierte<br />
Aggression, das Durchsetzen des eigenen Willens ohne Rücksicht auf andere<br />
Menschen und die Bedürfnisse der eigenen Seele. Menschen, die sich selbst<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 17
der runenbrieflehrgang<br />
besonders wichtig nehmen und bei der Ausführung ihrer Ideen über Leichen<br />
gehen, entsprechen diesem negativen Aspekt. Eine andere Schattenseite von Uruz<br />
wäre das krankhafte alles-in-eine-Form-pressen. Um sich sein Weltbild aufrecht zu<br />
erhalten wird alles geord<strong>net</strong> und dem eigenen Horizont angepaßt, was über diesen<br />
hinausgeht, wird verteufelt und als lebensbedrohend empfunden. Uruz kann uns<br />
zwar bei der inneren Verwurzelung helfen, doch zeigt sich ihre negative Seite auch<br />
im physischen Bereich, im Festsitzen und Festhalten an alten Mustern und<br />
Strukturen. Sehr erdhafte Menschen entsprechen manchmal diesem Bild. Sie sind<br />
so verwurzelt in ihrem Wesen und ihren eigenen Ideen, daß die Inspiration durch<br />
andere Ansichten leidet, und sie letztendlich nicht mehr weiterkommen auf ihrem<br />
Weg.<br />
Bei der magischen Arbeit können wir Uruz folgendermaßen verwenden: Zur<br />
Erlangung von Stärke, Entschlossenheit, Ausdauer und physischer Gesundheit.<br />
Uruz findet bei Heilungen Verwendung, meistens in Kombination mit anderen<br />
Runen. Fehu und Uruz ergänzen sich ausgezeich<strong>net</strong>. Mit Uruz können wir die<br />
mag<strong>net</strong>ischen Erdströme mit in unsere Arbeit einbeziehen und sie nutzen. Auch<br />
wenn es vonnöten sein sollte, einen chaotischen Zustand wieder in geord<strong>net</strong>e<br />
Bahnen zu lenken, empfiehlt sich diese Rune.<br />
Um die Erdenergien und die Energie der Uruz-Rune in uns aufzunehmen, beugen<br />
wir den Oberkörper nach vorn, der Rücken verläuft parallel zum Boden, Arme<br />
und Fingerspitzen zeigen zum Erdboden. Der Rücken kann sich auch in Form der<br />
Rune etwas neigen. Diese Übung eig<strong>net</strong> sich hervorragend dazu, um Geist, Körper<br />
und Seele zu "erden". Dies scheint immer dann angezeigt, wenn wir zerfahren oder<br />
chaotisch sind, zuviel Energie in uns angestaut haben und wir kribbelig bis in die<br />
Fingerspitzen sind. Bei diesen Übungen werden die Kräfte im Körper wieder in ein<br />
Gleichgewicht gebracht. Das heißt, wir nehmen dabei nicht nur auf - wir gleichen<br />
auch durch das Abgeben von überschüssiger Energie wieder aus.<br />
Diese Runenstellungen kann man auch in geschlossenen Räumen machen, doch<br />
sollte dabei wenigstens für frische Luft gesorgt werden. In freier Natur werden die<br />
xi xii<br />
Ergebnisse jedoch deutlicher zu spüren sein.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 18
Wo bist Du? xiii<br />
der runenbrieflehrgang<br />
1. Verfolge die Spur Deines Trinkwassers von seinem Ursprung bis zu Deinem<br />
Wasserhahn.<br />
2. In wie vielen Tagen ist Vollmond? (Du darfst Dich um zwei Tage irren.)<br />
3. Wann gab es zuletzt in Deiner Region eine Feuerkatastrophe?<br />
4. Was waren die wichtigsten Nahrungsquellen älterer bzw. Alter Kulturen in<br />
Deiner Region?<br />
5. Nenne zehn einheimische Pflanzen in Deiner Region und die Jahreszeit, in der<br />
sie gesammelt werden können.<br />
6. Aus welcher Himmelsrichtung kommen in Deiner Region die Winterstürme?<br />
7. Wo wird Dein Müll entgelagert?<br />
8. Wie lange dauert in Deiner Heimat die Anbau- und Ernteperiode?<br />
9. An welchem Tag im Jahr sind in Deiner Region die Schatten am kürzesten?<br />
10. Wann ist die Hirschbalz, und wann werden in Deiner Gegend die jungen Tiere<br />
geboren?<br />
11. Nenne zehn Sträucher Deiner Region. Sind das einheimische Gewächse?<br />
12. Nenne fünf Vogelarten Deiner Region, die das ganze Jahr dort bleiben, und<br />
fünf bei Dir vorkommende Zugvogelarten.<br />
13. Kennst Du die Geschichte der Nutzung des Landes in Deiner Heimat?<br />
14. Welche Arten wurden in Deiner Region ausgerottet?<br />
15. Welche Pflanzenfamilien bevölkern Deine Region vor allem?<br />
16. Zeige jetzt auf der Stelle nach Norden.<br />
17. Welche frei wachsende Frühlingsblume ist immer unter den ersten blühenden<br />
Blumen in Deiner Region?<br />
18. Was schätzt Du wie spät es gerade ist?<br />
19. Wieviele Stunden bleiben noch bis es dunkel wird?<br />
20. Wo geht die Sonne auf?<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 19
der runenbrieflehrgang<br />
21. Zu welcher Jahreszeit gehen Sonnenuntergang und Mondaufgang ineinander<br />
über?<br />
22. Wann hast Du zum letzten mal den Duft von frischem Heu gerochen?<br />
23. Wo wächst die nächste Eibe in Deiner Nähe? xiv<br />
Anmerkung: Dieser Fragebogen wurde dem Buch ÖKOREGIONALISMUS von<br />
Roman Schweidlenka entnommen und mit einigen spezifischen Fragen<br />
meinerseits ergänzt.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 20
der runenbrieflehrgang<br />
ODINS RUNENLIED<br />
Ich weiß, daß ich hing am windigen Baum<br />
Neun lange Nächte,<br />
Vom Speer verwundet, dem Odin geweiht,<br />
Mir selber ich selbst,<br />
Am Ast des Baumes, dem man nicht ansehn kann<br />
Aus welcher Wurzel er sproß.<br />
Sie boten mir nicht Brot noch Met;<br />
Da neigt ich mich nieder<br />
Auf Runen sinnend, lernte sie seufzend:<br />
Endlich fiel ich zur Erde.<br />
Hauptlieder neun lernt ich von dem weisen Sohn<br />
Bölthorns, des Vaters Bestlas,<br />
Und trank einen Trunk des teuern Mets<br />
Aus Odhrörir geschöpft.<br />
Zu gedeihen begann ich und begann zu denken,<br />
Wuchs und fühlte mich wohl.<br />
Wort aus dem Wort verlieh mir das Wort,<br />
Werk aus dem Werk verlieh mir das Werk.<br />
Runen wirst Du finden und Ratestäbe,<br />
Sehr starke Stäbe,<br />
Sehr mächtige Stäbe,<br />
Erzredner ersann sie, Götter schufen sie,<br />
Sie ritzte der hehrste der Herrscher.<br />
Odin den Asen, den Alfen Dain,<br />
Dwalin den Zwergen,<br />
Alswid aber den Riesen; einige schnitt ich selbst.<br />
Weißt Du zu ritzen? Weißt Du zu erraten?<br />
Weißt Du zu finden? Weißt Du zu erforschen?<br />
Weißt Du zu bitten? Weißt Opfer zu bieten?<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 21
der runenbrieflehrgang<br />
Weißt Du wie man senden,<br />
weißt wie man tilgen soll?<br />
Besser nicht gebeten, als zu viel geboten:<br />
Die Gabe will stets Vergeltung.<br />
Besser nicht gesendet, als zu viel getilgt;<br />
so ritzt es Thundr zur Richtschnur den Völkern.<br />
Dahin entwich er, von wannen er ausging.<br />
Lieder kenn ich, die kann die Königin nicht<br />
Und keines Menschen Kind.<br />
Hilfe verheißt mir eins, denn helfen mag es<br />
In Streiten und Zwisten und in allen Sorgen.<br />
Ein andres weiß ich, des alle bedürfen,<br />
Die heilkundig heißen.<br />
Ein drittes weiß ich, des ich bedarf<br />
Meine Feinde zu fesseln.<br />
Die Spitze stumpf ich dem Widersacher;<br />
Mich verwunden nicht Waffen noch Listen.<br />
Ein viertes weiß ich, wenn der Feind mir schlägt<br />
In Bande die Bogen der Glieder,<br />
So bald ich es singe, so bin ich ledig,<br />
Von den Füßen fällt mir die Fessel,<br />
Der Haft von den Händen.<br />
Ein fünftes kann ich: fliegt ein Pfeil gefährdend<br />
Übers Heer daher,<br />
Wie hurtig er fliege, ich mag ihn hemmen,<br />
Erschau ich ihn nur mit der Sehe.<br />
Ein sechstes kann ich, so wer mich versehrt<br />
Mit harter Wurzel des Holzes:<br />
Den andern allein, der mir es antut,<br />
Verzehrt der Zauber, ich bleibe frei.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 22
der runenbrieflehrgang<br />
Ein siebentes weiß ich, wenn hoch der Saal steht<br />
über den Leuten in Lohe,<br />
Wie breit sie schon brenne, ich berge sie noch:<br />
Den Zauber weiß ich zu zaubern.<br />
Ein achtes weiß ich, das allen wäre<br />
Nützlich und nötig:<br />
Wo unter Helden Hader entbrennt,<br />
Da mag ich schnell ihn zu schlichten.<br />
Ein neuntes weiß ich, wenn Not mir ist<br />
Vor der Flut das Fahrzeug zu bergen,<br />
So wend ich den Wind von den Wogen ab<br />
Und beschwichtige rings die See.<br />
Ein zehntes kann ich, wenn Zaunreiterinnen<br />
Durch die Lüfte lenken,<br />
So wirk ich so, daß sie wirre zerstäuben<br />
Und als Gespenster schwinden.<br />
Ein elftes kann ich, wenn ich zum Angriff soll<br />
Die treuen Freunde führen.<br />
In den Schild fing Ichs, so ziehn sie siegreich<br />
Heil in den Kampf, heil aus dem Kampf,<br />
Bleiben heil wohin sie ziehn.<br />
Ein zwölftes kann ich, wo am Zweige hängt<br />
Vom Strang erstickt ein Toter,<br />
Wie ich ritze das Runenzeichen,<br />
So kommt der Mann und spricht mit mir.<br />
Ein dreizehntes kann ich, soll ich ein Degenkind<br />
In die Taufe tauchen,<br />
So mag er nicht fallen im Volksgefecht,<br />
Kein Schwert mag ihn versehren.<br />
Ein vierzehntes kann ich, soll ich dem Volke<br />
Der Götter Namen nennen,<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 23
xv<br />
der runenbrieflehrgang<br />
Asen und Alfen kenn ich allzumal;<br />
Wenige sind so weise.<br />
Ein fünfzehntes kann ich, das Volkrörir der Zwerg<br />
Vor Dellings Schwelle sang:<br />
Den Asen Stärke, den Alfen Gedeihn,<br />
Hohe Weisheit dem Hroptatyr.<br />
Ein sechzehntes kann ich, will ich schöner Maid<br />
In Lieb und Lust mich freuen,<br />
Den Willen wandl ich der Weißarmigen,<br />
Daß ganz ihr Sinn sich mir gesellt.<br />
Ein siebzehntes kann ich, daß schwerlich wieder<br />
Die holde Maid mich meidet.<br />
Dieser Lieder, magst Du, Loddfafnir,<br />
Lange ledig bleiben.<br />
Doch wohl Dir, weißt Du sie,<br />
Heil Dir, behältst Du sie,<br />
Selig, singst Du sie!<br />
Ein achtzehntes weiß ich, das ich aber nicht singe<br />
Vor Maid noch Mannesweibe<br />
Als allein vor ihr, die mich umarmt,<br />
Oder sei es meiner Schwester.<br />
Besser ist was einer nur weiß;<br />
So frommt das Lied mir lange.<br />
Des Hohen Lied ist gesungen<br />
In des Hohen Halle,<br />
Den Erdensöhnen not, unnütz den Riesensöhnen.<br />
Wohl ihm, der es kann, wohl ihm, der es kennt,<br />
Lange lebt, der es erlernt,<br />
Heil allen, die es hören.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 24
der runenbrieflehrgang<br />
DIE EDDA; Die ältere und jüngere Edda und die mythischen Erzählungen der<br />
Skalda; übersetzt und mit Erläuterungen begleitet von Karl Simrock. Phaidon<br />
Verlag, 3. Auflage, ISBN 3888511127 (HAVAMALZYKLUS)<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 25
THURISAZ<br />
der runenbrieflehrgang<br />
Thurisaz ist die dritte Rune des<br />
Futhark.<br />
Lautwert: TH Zahlenwert: 3<br />
Traditionelle Bedeutung: Riese Assoziationskette: Thursen<br />
Riesen Riesenkraft<br />
Elementarkräfte Donar Zorn<br />
Abwehr Schutz Verteidigung -<br />
Willenskraft<br />
Die Riesen sind älter als die Götter und Menschen. Aus ihnen gingen erst später<br />
die Götter (Odin, Vili und Ve, als Kinder des Bör) hervor. Da die Riesen so alt<br />
wie die Welt selbst sind haben sie eine enorme Weisheit inne. Gegen<br />
Beleidigungen sind sie sehr empfindlich und rächen solche; andererseits aber<br />
erweisen sie sich dankbar für empfangene Wohltaten und zeigen sich auch<br />
manchmal ohne diese, den Menschen als hilfreich. Meistens sind sie jedoch sehr<br />
brutal und gewalttätig.<br />
Damals stellte man sich die Naturgewalten als Riesen vor. Aus diesem Grund gibt<br />
es auch eine Vielfalt von Riesenarten: Feuerriesen, Frostriesen, Reifriesen,<br />
Wasserriesen und Sturmriesen, um nur einige zu nennen. Die Riesinnen sind<br />
manchmal von sehr schönem Ansehen und Freyr verguckt sich in eine von ihnen,<br />
die er später dann zur Frau nimmt. Es ist also nicht ratsam, sich mit den Riesen<br />
anzulegen. Meint man es gut mit ihnen, können sie einem auch Hilfe gewähren<br />
und die wird ihrer Macht entsprechend, nicht gerade gering ausfallen<br />
Aus dem Reich der Götter kann es allein Thor/Donar mit ihnen aufnehmen und<br />
mit seinem Hammer Mjöllnir, den ihm die Zwerge geschmiedet haben, geht er<br />
gegen die Riesen an.<br />
Da Thor Gott der Bauern ist, verwundert es nicht, daß gerade er es mit den<br />
Riesen als Elementargewalten aufnehmen kann und muß. Schließlich muß ja<br />
jemand aus dem Götterhimmel die Arbeit des kleinen Mannes beschützen.<br />
Allgemein wird Thurisaz entweder mit Thor oder seinem Hammer in Verbindung<br />
gebracht. Das ist zwar nicht ganz verkehrt, aber ich sehe es folgendermaßen:<br />
Thurisaz verkörpert die Riesen selbst! Als dritte Rune entspricht Thurisaz, dem<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 26
der runenbrieflehrgang<br />
Schöpfungsmythos folgend, der Entstehung des Ymir (Ur-Riese aus dem später die<br />
Welt geschaffen wird.) welcher Vater des Thrudgelmir ist und somit Begründer des<br />
Riesengeschlechtes. Ymir erwächst aus dem anfänglichen Chaos und diese<br />
Kreuzung begeg<strong>net</strong> uns auch in der Kraft der Thurisaz Rune.<br />
Thurisaz ist also die Kraft der Riesen. Es gibt Menschen, die über diese Rune<br />
meditiert haben und als Bild ein berstendes Atomkraftwerk empfingen. Eine<br />
solche große zerstörerische Kraft wohnt dieser Rune tatsächlich inne und aus<br />
diesem Grund ist sie auch äußerst vorsichtig anzuwenden. Man kann sie zwar<br />
ausschicken, um irgend etwas zu zerstören, doch kommt sie, wenn man nicht<br />
aufpaßt auch mit der gleichen Wucht wieder zurück.<br />
In Runenzaubern, in denen Thurisaz Verwendung findet, muß immer ganz klar<br />
definiert sein, gegen wen oder was sie sich richten soll, sonst geht die ganze<br />
Zauberei nach hinten los! Diese Definition erfolgt anhand weiterer Runen. Dazu<br />
später mehr.<br />
In Odins Runenlied wird Thurisaz folgendermaßen beschrieben:<br />
Ein drittes weiß ich, des ich bedarf<br />
Meine Feinde zu fesseln.<br />
Die Spitze stumpf ich dem Widersacher;<br />
mich verwunden nicht Waffen noch Listen.<br />
Mit der ersten Strophe ist eine sogenannte Heerfessel gemeint. Dies ist eine<br />
magische Technik, um den Feind in Fesseln zu legen. Wird diese Art der<br />
Heerfessel angewandt und wirkungsvoll aktiviert, vermag sie Menschen in den<br />
Wahnsinn zu treiben, da die Kraft der Riesen sich in den inneren Bereich kehrt<br />
und sich dort potenziert. Auf diese Art und Weise werden Menschen zunächst mit<br />
all ihren verdrängten Schattenthemen konfrontiert und versuchen anschließend<br />
vor den Gespenstern ihrer Seele davonzulaufen, was sie schließlich zum<br />
Verfolgungswahn und in die Ohnmacht treibt.<br />
Die in Abbildung 1 gezeigte Heerfessel aus Thurisaz Runen kann über den Gegner<br />
projiziert werden, sodaß er sich nicht mehr vom Fleck bewegen kann. Noch besser<br />
ist es allerdings diese Fessel direkt im Umfeld des Gegners materiell anzubringen.<br />
Wendet man die Thurisaz-Vierer-Kombination in einer anderen Form an, siehe<br />
Abbildung 2, dann wird man selbst zum Riesen, der aus der geschützten Form<br />
heraus agiert. Der zweite Spruch des Runengedichtes meint diese Art der<br />
Verteidigung. Dies ähnelt einem magischen Bannkreis, wie man ihn traditionell<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 27
der runenbrieflehrgang<br />
bei verschiedenen Ritualen verwendet, um nicht von den gerufenen Geistern<br />
angegriffen zu werden. Ich halte dies für Unfug, denn warum soll man Geister<br />
rufen, mit denen man nichts zu tun haben will??? Aber auf einer wesentlich<br />
praktischeren Ebene findet die in Abb.2 gezeigte Kombination Verwendung: ...<br />
mich verwunden nicht Waffen noch Listen ... meint die Zaubererkriege. Auch ohne<br />
Zaubererkrieg, im ganz normalen Alltag, wenn wir uns von den Schwingungen<br />
der Außenwelt abschirmen wollen, um unsere Ruhe zu haben, können wir diese<br />
Kombination sinnvoll verwenden.<br />
Diese Form soll auch auf Kampfschilden in früherer Zeit Verwendung gefunden<br />
haben. So wurde es mir jedenfalls ohne Quellenangabe letzthin mitgeteilt.<br />
Abbildung 3 zeigt die aktive Thurisaz Rune, welche uns so als Schild dient. Wir<br />
können sie zum Schutz vor uns hertragen. Es ist auch die Form, welche einem<br />
Fluch den Weg eb<strong>net</strong>, denn für Flüche aller Art liefert diese Rune (ähnlich Fehu<br />
bei friedlichen Angelegenheiten) die treibende Kraft. Da ein Fluch der extremste<br />
Ausdruck eines klaren Willenssatzes ist, haben wir hier die extremste Form der<br />
Umsetzung von Energie durch den menschlichen Willen.<br />
Abbildung 4 zeigt die passive Thurisaz Rune. So wird die Kraft nach innen, oder<br />
hinten, gerichtet. Dies führt zur Implosion und kann in Kombination mit anderen<br />
Runen, so manchen Menschen vor eine Wand stellen, die immer näher auf ihn<br />
zukommt, je mehr er davor wegläuft. Diese Variante sollte man mit noch größerer<br />
Vorsicht, als die aktive Thurisaz anwenden.<br />
Abb. 1 Abb.2 Abb. 3 Abb.4<br />
Wenn der Gegner keine Ahnung vom Zaubern hat, dann kann einem nichts<br />
passieren, doch wenn er gleich stark oder noch besser ist, dann sollte man von<br />
dieser Rune die Finger lassen. Und dabei vor allem die eigene Ethik nicht<br />
vergessen! Im Gegensatz zu den sogenannten schwarzmagischen Angriffen, an die<br />
der Empfänger glauben muß, wirkt Thurisaz immer! xvi<br />
Diese Rune steht in einem engen Zusammenhang mit unseren Ängsten und gerade<br />
die werden wach gerufen, wenn wir sie gegen unsere Feinde einsetzen. Es gibt<br />
nicht umsonst in der Tradition drei Grundsätze, nach denen man sein Leben<br />
richten sollte:<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 28
der runenbrieflehrgang<br />
ERKENNE DICH SELBST<br />
FINDE DAS RECHTE MASS<br />
TUE WAS DU WILLST<br />
Haben wir unser Inneres nicht hinreichend kennengelernt, werden wir bei der<br />
magischen Arbeit, besonders bei Thurisaz in Abb. 4, mit unseren eigenen Ängsten<br />
konfrontiert und halten der psychischen Beanspruchung nicht Stand. xvii Zur<br />
modernen Psychotherapie empfehle ich diese Methode jedoch nicht.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 29
der runenbrieflehrgang<br />
Thor (Donar) und seine Beziehungen zur Rune Thurisaz<br />
Odin zeugte zusammen mit Jörd (Nerthus), unserer Mutter Erde, einen Sohn.<br />
Dieser Sohn ist Thor: Er ist der gutmütige Freund der Arbeiter, der Knechte und<br />
Bauern; er beschützt Midgard vor den Übergriffen aus Utgard (Außenwelt) und<br />
hat schon so manchen Riesen erschlagen. Kein Wunder also, daß er in manchen<br />
Gegenden des alten Germaniens mehr Ansehen als sein Vater genoß, der ja<br />
nunmal auch dem Krieg vorstand und eher für die Intelektuellen, als das einfache<br />
Volk zuständig war.<br />
Wir können uns diesen Kraftgott ungefähr so vorstellen: Er ist ein kräftiger, leicht<br />
bäuchiger Bauarbeiter, der den ganzen Tag lang schwer arbeiten muß und abends<br />
gern mit Freunden ein Bier trinken geht. Am liebsten hätte er seine Ruhe, doch<br />
ständig kommen Nachbarn daher, die sich mit einem anderen Nachbarn im Streit<br />
befinden und er soll ihn schlichten, denn vor ihm hat man Respekt. Naja und da<br />
er eben so gutmütig ist, beschützt er auch seine Nachbarn und kommt nicht zur<br />
Ruhe. Er ist zwar verheiratet, doch hält er nicht sonderlich viel von<br />
Frauengeschichten. Er ist treu und zuverlässig, eben ein wirklich guter Kumpel.<br />
Thor ist der Bauarbeiter, der Kranführer oder Hausmeister in einem spirituellen<br />
Seminarzentrum...<br />
Von den Römern versklavte Steinbruch Arbeiter am Niederrhein verehrten einen<br />
Hercules Saxanus und einen Hercules Maliator. Hercules ist Thor/Donar. Einem<br />
Hercules Magusanus begegnen wir auf vielen Votivsteinen und Armreifen, ja<br />
sogar auf römischen Münzen ist er zu finden. Wir können also davon ausgehen,<br />
daß die Römer vor einem so gutmütigen Gott, zusammen mit den Menschen die<br />
sie unterdrückten, gemeinsam den Hut zogen.<br />
Bonifatius machte dann dem Treiben um die alten Götzen ein Ende, zumindest<br />
versuchte er es und er tat etwas, daß ihm den Zorn der Götter bis in alle Ewigkeit<br />
eingetragen hat: Er fällte die Donareiche bei Geißmar. Die Sage erzählt, daß Holz<br />
wäre für einen Altar benutzt worden und ich denke mir, daß sich in dieser Kirche<br />
ganz besondere Geister treffen werden...<br />
Donareiche und Geißmar passen wunderbar zusammen: Dem Donar ist die Eiche<br />
heilig, sie entspricht auch seiner Mutter, ebenso die Eberesche. Weiters ist Donar<br />
Herr der Ziegen und so nehme ich einmal an, daß der Name Geiß mar nicht<br />
zufällig gewählt wurde. Solchen Analogien begegnen wir übrigens häufig,<br />
vorausgesetzt, wir öffnen uns für dieses große Geheimnis.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 30
der runenbrieflehrgang<br />
Zwei Böcke ziehen den Wagen des Thor. Wenn er auf Ostfahrt gegen die Riesen<br />
ist, nährt er sich und seine Begleiter von diesen. Er beherrscht einen sehr<br />
praktischen Zauber, denn wenn er seinen Hammer Mjöllnir über den abgenagten<br />
Knochen kreisen läßt, stehen die Böcke wieder in Fleisch und Blut vor ihm. Ein<br />
Knecht, den Thor einst zum Essen eingeladen hatte, beging einen schweren<br />
Fehler: Er spaltete einen Knochen der Böcke auf, um an das köstliche Mark zu<br />
gelangen und seit dieser Zeit hinkt einer von Thors Böcken. Es darf den<br />
Opfertieren nämlich kein Knochen gebrochen werden, da sie sonst bei der<br />
Wiedergeburt einen bleibenden Schaden davontragen.<br />
Thors Familienverhältnisse sind schnell erzählt. Er ist mit Sif verheiratet, einer<br />
Erntegöttin mit langen blonden Haaren, mit welcher er drei Kinder auf die Welt<br />
brachte: Magni, Modi und eine Tochter namens Thrud. Die Namen der Kinder<br />
stehen alle für die hervorstechende Eigenschaft des Thor, die Kraft.<br />
Thors Wohnsitz ist Thrudheim (Kraftheim) und sein Saal heißt Bilskirnir. Unter<br />
seinen Attributen hebt sich der Hammer Mjöllnir besonders hervor. Seit alten<br />
Zeiten ist er Symbol für die Widerstandsbewegung der Heiden gegen die Christen<br />
und ein kleiner Thorshammer wurde schon früh dem christlichen Kreuz<br />
entgegengesetzt. Daß das Hammersymbol wesentlich älter als das aufkommende<br />
Christentum ist versteht sich von selbst.<br />
Auf der magischen Ebene kann man diesen Hammer auch bestens gebrauchen,<br />
denn wenn man ihn kreisen läßt schmettert er so ziemlich alles nieder, was ihm in<br />
den Weg kommt. Man kann ihn auch aussenden und er kommt zurück. Darin<br />
liegt ein schönes Gleichnis: Denn der Fluch, welcher mit dem Hammer<br />
ausgeschickt wurde, kommt wenn man nicht aufpaßt, auch gleich wieder zurück.<br />
Neben dem Hammer Mjöllnir, der Thor im Kampf gegen die Riesen und zur<br />
Eheschließung dient, besitzt er noch einen Kraftgürtel, ein paar Eisenhandschuhe<br />
und einen Stab. Diesen Stab, namens Gridavöllr schenkte ihm die Riesin Gridr<br />
und somit ist er mächtig ausgestattet, um Götter und Menschen vor allmöglichen<br />
Feinden zu beschützen.<br />
Vor einem Kampf rief man einst seinen Namen in die Kampfschilde und aus dem<br />
Widerhall versuchte man den Ausgang der Schlacht vorherzusagen.<br />
Thor verleiht nicht nur auf der körperlichen Ebene Kraft. Er wird auch<br />
herbeigerufen, wenn es heißt, Runen zu weihen. "Thor weihe diese Runen" ist ein<br />
beliebter Spruch auf Runensteinen und Amuletten, manchmal reicht auch schon<br />
das Symbol seines Hammers (umgekehrtes T), um die Kraft in den betreffenden<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 31
der runenbrieflehrgang<br />
Spruch zu rufen. Hier begegnen wir einer wichtigen Tatsache: Odin ist zwar schlau<br />
und er hat auch die Runen gefunden, doch es braucht Thor, um ihnen Kraft zu<br />
verleihen.<br />
Wie bei einem solchen Gott auch nicht anders zu erwarten, vermag er Unmengen<br />
zu essen und zu trinken. Sein gewaltiger roter Bart fällt neben seinem jugendlichen<br />
Aussehen und dem stechenden Blick besonders auf.<br />
Der Donnerstag (Donars Tag) ist der ihm geheiligte Wochentag, an dem er öfters<br />
zusammen mit Frigg auf die Erde kommt, um den Menschen einen Besuch<br />
abzustatten und vielleicht auch ab und an mal ein Bierchen mit ihnen zu trinken.<br />
(Esoteriker mag er übrigens nicht!)<br />
Alle Götter bewegen sich auf Pferden zur Ratsversammlung, nur Thor zieht es vor,<br />
auf seinen eigenen Beinen zu stehen.<br />
Mythologisch können wir Thor mit dem keltischen Taranis oder dem indischen<br />
Indra vergleichen.<br />
Orte und Plätze, wie Donnersdorf oder Donnersberg verweisen uns auf den Sohn<br />
der Erde und seine Kraft ist dort besonders gut zu spüren.<br />
Wenn es am Himmel blitzt und donnert, dann heißt es im Volksmund, Thor sei<br />
wieder mit seinem Wagen unterwegs. Beachtlich dabei erscheint mir, daß ein<br />
Gewitter, ebenso wie ein Wutausbruch, reinigende Funktion hat und Thor ja<br />
gegen die Feinde der Welt agiert.<br />
Thor ist der Freund und Beschützer des einfachen Volkes. Menschen, die Heavy<br />
Metal oder Beethovens Fünfte mögen sind ihm lieber, als "Gandhis die noch nicht<br />
aus den Windeln heraus sind".<br />
Wenn Dir Thor aus einer mißlichen Lage geholfen hat, sollte für ihn mindestens<br />
ein gutes Essen und ein großes Bier bereit stehen!<br />
In folgenden Edda Liedern kannst Du mehr über Thor erfahren: Völuspa,<br />
Grimnismal, Harbardsljod, Hymskvida, Ägisdrecka (Lokasenna), Thrymskvida,<br />
Alvissmal, Gylfaginning, Skaldskarparmal.<br />
Thors Beziehung zur Rune Thurisaz kann wie folgt erklärt werden: Er ist der<br />
Kraftgott und kämpft gegen die Riesen. Die Riesen vertreten u.a. die<br />
Elementargewalten und werden im Futhark durch Thurisaz repräsentiert. Thor<br />
kämpft gegen Thurisaz = Er besitzt die gleiche Kraft und kann mit der Riesenkraft<br />
Thurisaz umgehen. Für uns Menschen braucht es dafür schon einige Erfahrung,<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 32
der runenbrieflehrgang<br />
sonst ist sie eine Nummer zu groß. Wer mit dem "Hammer" nicht umgehen kann,<br />
sollte lieber die Finger davon lassen, sonst haut er sich auf die mentalen<br />
Fingerchen und vor diesem Schaden kann man sich mit einer gesunden<br />
Selbsteinschätzung durchaus bewahren.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 33
ANSUZ<br />
der runenbrieflehrgang<br />
Lautwert: A Zahlenwert: 4<br />
Traditionelle Bedeutung:<br />
Ein Gott oder Ase<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
Ansuz ist die vierte Rune des<br />
Futhark.<br />
Assoziationskette:<br />
Ase Atem Götteratem Geist Ond<br />
(isländisch: Atem) Lebensatem<br />
Buris Sohn zeugt zusammen mit der Riesin Bestla die Göttertrias Odin, Vili und<br />
Ve. Somit treten nach den Riesen die Götter auf den Plan der Weltgeschichte.<br />
Ansuz steht für die Asen, deren höchster Odin ist. (Dies ist übrigens nicht überall<br />
in der germanischen Welt so. Manchmal steht Tyr an der Spitze, manchmal Thor<br />
dies ist von Region zu Region verschieden und auch eine Frage der Zeit, denn von<br />
Anfang an, steht Odin nicht an der Spitze der Götter. Ursprünglich stand einmal<br />
Tyr dort und wurde später durch Odin verdrängt. Diese Tatsache läßt darauf<br />
schließen, daß die Quellen ziemlich jung sind. Dies ist in der Tat so, denn die<br />
Edda wurde 1200 niedergeschrieben. Trotzdem passen die Zuordnungen des<br />
Futhark was mich selbst erstaunt.) Und Odin ist es schließlich auch, der im<br />
späteren Verlauf der Geschichte, den ersten Menschen den Atem verleihen wird<br />
und dieser Atem heißt im Isländischen "Ond". In Indien nennt man ihn Prana,<br />
manche deutsche Mystiker nannten es Od und im allgemeinen heißt die<br />
Lebensenergie auch heute noch in Deutschland Atem. xviii<br />
Ansuz steht also in enger Verbindung mit den Asen und somit Odin. Edred<br />
Thorson sieht in der Form der Ansuz Rune den wehenden Umhang des Gottes<br />
Odin. Die Asen spenden uns den Atem, die Luft zum Leben und die Luft des<br />
Lebens.<br />
Was Thurisaz fesselt, kann Ansuz lösen. So heißt es im Runengedicht Odins:<br />
Ein viertes weiß ich, wenn der Feind mir schlägt<br />
In Bande die Bogen der Glieder,<br />
So bald ich es singe, so bin ich ledig,<br />
Von den Füßen fällt mir die Fessel,<br />
Der Haft von den Händen.<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 34
der runenbrieflehrgang<br />
Somit ist es uns mit dieser Rune möglich, uns aus den Fesseln der eigenen Ängste<br />
zu befreien, um dem Erkenne Dich selbst näherzukommen. Selbstverständlich ist die<br />
Ansuz Rune auch das rechte Gegengift gegen einen Thurisaz-Heerfessel-Angriff.<br />
Die beiden Runen halten sozusagen das kosmische Gleichgewicht aufrecht. Ansuz<br />
als Prinzip der Ordnung und Thurisaz als Prinzip des Chaos. So verwundert es<br />
auch nicht das Odin, welcher ja von den Riesen abstammt, oft selbst als Gott des<br />
Chaos auftritt und er sich immer mit einem Fuß am Abgrund der sogenannten<br />
Legalität bewegt. Odin gleicht in vielem dem Merkur, dem Gott der Händler. So<br />
steht Odin auch für die Kommunikation und die Beseelung der Welt durch das<br />
Wort. Wenn man Dinge beim Namen nennen kann, verlieren sie ihre Macht und<br />
Wirkung. Dies ist bei Wesen der Anderswelt genauso wie bei psychosomatischen<br />
Krankheitsbildern.<br />
Ansuz steht für den Geist, für den „spirit“ wie man auf modern new-age-Deutsch<br />
zu sagen pflegt: Nach dem Einzug des Willens folgt nun die Inspiration durch den<br />
Geist.<br />
Ebenso wie Ansuz mit Odin in Verbindung steht, gibt es auch eine Verbindung<br />
zwischen dieser Rune und dem Ur-Gott-Wesen Buri. Die Kuh Audhumla hat Buri<br />
aus dem Eis geschleckt. Es muß also schon vorher dagewesen sein! Buri verkörpert<br />
das All-Seiende und somit Ansuz. Denn der Lebensatem der Götter ist ebenfalls<br />
vor allem anderen bereits da. Buri wäre somit der Ur-Vertreter der Ansuz Kraft<br />
und Odin ihr heutiger Verteiler, wenn man es so nennen will. Buri ist Androgyn -<br />
der Lebensatem ist neutral.<br />
Eine wichtige Funktion von Ansuz ist neben der Befreiung aus verschiedenen<br />
Fesseln, die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit den Göttern. Wenn wir uns in<br />
einer verzwickten Situation befinden fangen wir manchmal an zu beten - dieses<br />
Beten ist eine Kontaktaufnahme und wir bekommen auch in der Regel durch die<br />
Ansuz-Kraft geholfen. Kosmische Inspiration durchflutet uns in diesem<br />
Augenblick und hilft uns aus dem Schlamassel heraus. Über die Ansuz Rune<br />
können wir Kontakt zu den Göttern und zur Geschichte unseres Volkes (Wurzeln<br />
des eigenen Seins) aufnehmen. Ob in Form von Gebet oder Meditation ist hier<br />
nicht von Bedeutung.<br />
Fehu und Ansuz stehen in einer engen Beziehung zueinander. Fehu repräsentiert<br />
das kosmische Feuer, die chaotische Energie des Lebens und Ansuz steht für das<br />
geistige Feuer des Lebensatems.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 35
der runenbrieflehrgang<br />
Bei der magischen Arbeit können wir Ansuz benutzen, um Kontakt mit unseren<br />
Vorfahren (auch unsere Götter sind unsere Vorfahren) aufzunehmen, um zu den<br />
Quellen unseres alten Wissens zurück zu gelangen. Ebenfalls, wenn wir uns bei der<br />
Arbeit, der Hilfe, der weisen Götter bedienen wollen, kommt diese Rune zum<br />
Einsatz. xix Sie kann auch als Lebensretter-Rune dienen. Kommen wir z.B. auf der<br />
Autobahn an einem schweren Verkehrsunfall vorbei, dann ist es Zeit Ansuz zu<br />
projezieren und die Hilfe der Götter zu gewährleisten und zu unterstützen.<br />
Eines der Elemente Odins ist der Wind; so kann Ansuz dazu verwendet werden,<br />
den Wind zu besänftigen oder ihn zu rufen. Dies ist neben der tatsächlichen<br />
Bedeutung auch bildlich zu verstehen: Dann wenn es Zeit für frische Luft ist, kommt<br />
Ansuz zum Zuge.<br />
Im negativen Sinne kann diese Rune auch dazu verwandt werden, einem<br />
Lebewesen den Atem zu nehmen. Dazu finden noch weitere Runen eine<br />
Verwendung, sodaß sich eine wirkungsvolle Binderune ergibt. Den Atem nehmen<br />
bedeutet im Kleinen: Jemanden zum Schweigen bringen und im Großen,<br />
jemandem das Leben, bzw. die geistige Kraft nehmen.<br />
Hier empfiehlt sich wieder eine Runenstellung. Man steht dafür aufrecht, streckt<br />
die Arme nach vorne und läßt sie, ähnlich dem runische Vorbild etwas nach<br />
unten sinken; dabei ist der linke Arm tiefer, als der rechte. Das Gesicht ist dabei<br />
gegen Osten gerichtet.<br />
Die aufgenommene Kraft kann zur Steigerung hellseherischer Fähigkeiten, der<br />
Überzeugungskraft, Suggestion und Hypnose, sowie zur Kommunikation mit den<br />
Göttern eingesetzt werden. xx<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 36
der runenbrieflehrgang<br />
Odin - Wotan und seine Beziehungen zur Rune Ansuz<br />
ODIN - <strong>DER</strong> WÜTENDE WEISE<br />
Versucht man diesen Gott in seiner Bedeutung festzulegen, fährt man sich<br />
unweigerlich fest: Odin/Wotan läßt sich nicht katalogisieren und mit<br />
standardisierter Logik kommt man ihm nicht näher. Er entzieht sich und zeigt uns<br />
einen ganz anderen, neuen Aspekt seiner vielfältigen Persönlichkeit. Seine über<br />
einhundertsechzig Nebennamen vermitteln einen Eindruck, seiner vielschichtigen<br />
Persönlichkeit, denn jeder dieser Namen steht für einen eigenständigen Aspekt<br />
Odins.<br />
Es ist anzunehmen, daß es sich bei dem Namen Odin/Wotan nicht nur um den<br />
Namen eines Gottes gehandelt hat, sondern auch um einen Godentitel. Diesem<br />
Phänomen begegnen wir auch beim britannischen Merlin. Aus dieser Sichtweise<br />
heraus erklären sich die in der Edda beschriebenen Initiationsriten, welche mit<br />
Odin in Verbindung stehen.<br />
DEORUM MAXIME MERCURIUM COLUNT, CUI CERTIS DIEBUS HUMANIS<br />
QUOQUE HOSTIIS LITARE FAS HABENT. (HERCULEM ET) MARTEM<br />
COCESSIS ANIMALIBUS PLACANT. (Von den Göttern verehren sie ((die<br />
Germanen)) am meisten Mercurius. Sie halten es für recht, ihm an bestimmten<br />
Tagen auch Menschenopfer darzubringen. Den (Hercules und) Mars suchen sie<br />
durch Opferung gnädig zu stimmen.) Dies schreibt Tacitus in seiner<br />
Betrachtung Germaniens. Mercurius steht für Odin; Hercules für Thor; Mars für<br />
Tyr.<br />
Würde sich Odin so leicht begreifen lassen wie der römische Merkur, hätten wir es<br />
leicht, doch er entwindet sich noch viel geschickter einer eindeutigen Erscheinung.<br />
Kein Wunder bei einem so luftigen Gott.<br />
Auf dem Greinberg, bei Miltenberg, fand man zwei Weihinschriften für<br />
MERCURIUS CIMBRIANUS, ebenso auf dem Heiligenberg, bei Heidelberg, eine<br />
Inschrift für MERCURIO CIMBRIO. Desweiteren begegnen wir im<br />
südgermanischen Raum noch den Variationen: MERCURIUS GEBRINIUS und<br />
MERCURIUS ARVERNUS. Hier standen sich keltischer, germanischer und<br />
römischer Glaube sehr nah: Es ist die Gegend der "Heiligen Hochzeit" der alten<br />
Religionen, zwischen Nord und Süd. Die Verbreitung des Odinkultes erstreckte<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 37
der runenbrieflehrgang<br />
sich vom hohen Norden bis tief in den Süden, wenn sich auch nicht so viele<br />
augenscheinliche Zeugnisse finden lassen.<br />
Im Wochentag Mittwoch (Mercurii dies, Wuotanestac, Wodnesdaez, Wednesday,<br />
Wodenesdag, auch Godensdag, Gaunsdag, Woensdag und Odinsdagr) begegnen<br />
wir Odin wieder. Im südgermanischen Raum heißt dieser Gott Wotan, Wuotan,<br />
Godan; im nordgermanischen Raum Odin. Wuotan erinnert uns an die Wut, das<br />
Wüten, den ekstatischen Kampf, das Heulen des Herbststurmes, die Ekstase als<br />
Mittel zur Erkenntnis anderer Welten schlechthin. Die Christen erklärten den<br />
Mittwoch zu einem Unglückstag, was vielleicht darauf hinweist, daß dieser Tag<br />
eng mit dem Kult Odins zusammenhing. Ortsnamen wie Wodansberg oder<br />
Godesberg begründen sich in Deutschland auf Odin; im Norden finden wir:<br />
Odenslanda, Odense, Onsala, Odinsland, Odinshargh und so weiter.<br />
Im altenglischen Neunkräutersegen heißt es:<br />
Wyrm com snican<br />
toslat he man,<br />
da zenam Woden<br />
VIIII wuldortanas,<br />
sloh da naeddran<br />
thaet heo on VIIII tofelah.<br />
Übersetzung: Ein Wurm kam geschlichen und zerriß einen Mann, da nahm<br />
Wodan neun Machtstäbe, schlug damit die Natter, so daß sie in neun Stücke<br />
auseinanderflog.<br />
Hier begegnen wir Odin als kraftvollem Zauberer im Kampf mit einem Drachen,<br />
respektive den negativen Kräften der Erdstrahlung.<br />
Ebenso treffen wir im II. Merseburger Zauberspruch auf Wotan:<br />
Phol ende Uuodan<br />
vuorun zu holza;<br />
dû uuart demo balderes volon<br />
sîn vuoz birenkit.<br />
Thû biguolen Sinhtgunt,<br />
Sunna era suister;<br />
thû biguolen Friia,<br />
Volla era suister;<br />
thû biguolen Uuodan,<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 38
der runenbrieflehrgang<br />
sô hê uuola conda:<br />
sôse bluotrenkî<br />
sôse lidirenkî;<br />
bên zu bêna,<br />
bluot zu bluoda,<br />
lid zi geliden,<br />
sôse gelîmida sîn!<br />
Übersetzung: Phol und Wodan ritten zum Wald; da verstauchte des Herren (oder<br />
Balders) Füllen den Fuß. Da besprach Sinhtgunt, und ihre Schwester Sunna; da<br />
besprach Friia und Volla ihre Schwester; da besprach Wodan, wie er das gut<br />
verstand, sowohl Knochenverrenkung, wie Aderverrenkung, wie<br />
Gliederverrenkung; Knochen zu Knochen, Ader zu Ader, Glied zu Gliedern, als<br />
seien sie geleimt.<br />
Hier versteht es Wotan vorzüglich mit einem Pferd umzugehen, was nicht<br />
verwundert, da er gerade zu diesen Tieren eine innige Beziehung hat. Sleipnir, sein<br />
achtfüßiges Roß steht für alle anderen Vertreter dieser Gattung mit nur vier<br />
Läufen. Sleipnir steht mit dem Element des Windes (8 Windrichtungen) in engem<br />
Zusammenhang, ebenso wie sein Herr, der als Anführer der Wilden Jagd mit dem<br />
Sturm übers Land zieht. Bei der wilden Jagd begegnen wir auch dem damals<br />
gepflegten Wolfskult. Man kleidete sich in Tierhäute (meistens Wolfsfelle) und zog<br />
rituell unter der Anführung des Gottes Odin im Spätherbst durch Wälder und<br />
Felder. In den Sagen über die Wilde Jagd wird meistens von angsteinflößenden<br />
Lauten berichtet, was wohl auf die ekstatischen Schreie und Lieder der Wolfsleute<br />
zurückzuführen ist.<br />
Betrachtet man diesen Gott oberflächlich, erkennt man nur seine Bedeutung als<br />
Kriegsgott. Er herrscht über Walhall, der Wohnstatt der Gefallenen die im Heer<br />
der Einherjer tagsüber kämpfen und am Abend berauschende, von Met triefende<br />
Stunden verbringen. Für ihre Unterhaltung und ihr Auskommen hat der<br />
Heervater trefflich gesorgt, denn schließlich werden es die Einherjer sein, die an<br />
seiner Seite in den Kampf zum Ragnarok ziehen. Die Einherjer sollten die<br />
Schutzmacht gegen die Ausbreitung des Christentums sein, doch damals ist es<br />
ihnen nicht gelungen siegreich aus dem Kampf hervorzugehen. Vielleicht bringen<br />
neue Zeiten einen ruhmreicheren Ausgang mit sich...<br />
Die Krieger unserer Ahnen weihten sich durch eine symbolische Speermerkung<br />
Odin und blieben ihm auch nach dem Tode treu. Dieses Kriegerparadies ist für die<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 39
der runenbrieflehrgang<br />
Zeit der Vikings besonders wichtig und es galt als ehrlos, nicht im Kampf gefallen<br />
zu sein, denn nur die im Kampf gefallenen Krieger hatten eine Chance in Walhall<br />
aufgenommen zu werden; viele brachten sich auch noch kurz vor dem Tod<br />
Kampfverletzungen bei, um in diesen wundersamen Himmel zu gelangen.<br />
Neben der Bedeutung als Kriegsgott, treffen wir bei gründlicher Suche, auf weitere<br />
Aspekte dieses Gottes. Zunächst ist er der höchste Gott der Germanen (wenn man<br />
ihn heute auch zusammen mit Tyr und Thor an die Spitze stellt) und somit<br />
Speergott. Er besitzt den Speer Gungnir, auf dessen Spitze Runen eingeritzt sind<br />
und den er zuweilen einem auserkorenen Helden ausleiht. Der Speer wurde als<br />
Rechtssymbol in der Mitte des Thingplatzes aufgerichtet und blieb bis in spätere<br />
Zeit Sinnbild königlicher Macht.<br />
Weiters ist Odin Gott der Dichter. Er soll sich sogar selbst nur in poetischer Form<br />
ausdrücken. Er hat den Skaldenmet (Dichtermet) erworben und ihn den<br />
Menschen gespendet. Vom Met ist es nicht weit bis zur Ekstase und so heißt es bei<br />
Adam von Bremen: "Wodan, id est furor." Er meint damit die Kriegswut, den<br />
Blutrausch der Berserker und mancher Wolfshäuter. Doch als ekstatischer Gott<br />
herrscht er nicht nur über die Ekstase des Kampfes, sondern auch über die Ekstase<br />
zur Erlangung mystischer Geheimnisse. Hierbei wird die erwünschte Erregung des<br />
Nervensystems oft durch den Genuß gewisser Gifte (z.B. Fliegenpilz) gefördert. Es<br />
geht selbstverständlich auch um die Ekstase beim Liebesspiel und im Tanz, welche<br />
uns in höhere Ebenen des Bewußtseins katapultieren kann, vorausgesetzt wir<br />
lassen uns darauf ein.<br />
Unter den Göttern ist Odin der große Zauberer. Er hat die Runen gefunden,<br />
Werkzeuge der Magie und der Schrift und in der Edda werden uns mehrere<br />
Einweihungsrituale überliefert.<br />
Odin ist der wissende, listige Gott, er beherrscht Liebeszauber, die<br />
Totenbeschwörung und die Fähigkeit, seine Gestalt und Erscheinung zu<br />
verwandeln. Er ist der Schamane unter den Göttern. Er hat den Menschen die<br />
"hugruna" gebracht, sie mit einem klugen Verstand ausgestattet.<br />
Sein umfassendes Wissen bezieht er von Mimirs Haupt oder durch das Trinken<br />
aus Mimirs Quelle. Um dieses Wissen zu erlangen, (aus der Quelle trinken zu<br />
dürfen) mußte er sein linkes Auge opfern. Er richtet somit seinen Blick für das<br />
ganzheitliche Denken nach innen und erlangte Weisheit. Den größten Teil seines<br />
Wissens hat er jedoch von den Göttinnen Frigg und Freyja beigebracht<br />
bekommen, sowie ihm auch die Völvas öfters aus der Patsche halfen.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 40
der runenbrieflehrgang<br />
Neben seinen vielen Namen erstaunt einen auch die Vielzahl seiner Tiere. Diese<br />
Totemtiere sind astrale Sig<strong>net</strong>s eines Gottes, welche wir Menschen uns als<br />
Krafttiere aneignen können, um unter anderem mit bestimmten Aspekten des<br />
Gottes in Kontakt zu kommen. An vorderster Stelle stehen bei Odin Wolf und<br />
Rabe, beides "Leichentiere" die die Gefallenen "nach Hause bringen". Der Wolf<br />
steht auch für das Rudel, den familiären Zusammenhalt und den Grauen Weg<br />
unserer Tradition, dem Weg fern jeglicher Polarität. Der Rabe ist ein Vogel der<br />
Weisheit und Bote der Anderswelt. Weitere Tiere mit denen Odin in engem<br />
Zusammenhang steht, sind: Pferd, Adler, Habicht, Schlange, Bär, Ochse, Eber<br />
und Bock. Auf die spezielle Bedeutung dieser Totemtiere gehe ich an anderer<br />
Stelle ein.<br />
In der alten Astrologie hieß der Große Wagen "Woenswagen", also<br />
Wodanswagen. Seine hervorstechende Eigenschaft als Pferdegott brachte eine<br />
Verbindung zum Wagengott mit sich.<br />
Schauen wir uns nun seine Familienverhältnisse an: Sein Vater war Burr, seine<br />
Mutter Bestla. Geschwister hat er auch und zwar Vili und Ve. Seine Frau ist<br />
Frigg. Doch nicht all seine Kinder erhielt er von ihr: Balder zeugte er mit Frigg;<br />
Thor mit Njörd; Vali mit Rindr. Snorri nennt auch Heimdall, Tyr, Bragi, Vidar<br />
und Hödr Kinder Odins, doch dürfte dies eine moderne mythologische Anpassung<br />
sein.<br />
Seine Wohnstatt in Asgard ist Hlidskjalf, von wo aus er die ganze Welt<br />
überblicken kann.<br />
Seine Erscheinung kann folgendermaßen beschrieben werden: Leichtgewichtig,<br />
listiges Gesicht, langer, grauer Bart. Er trägt einen großen breitkrempigen<br />
schwarzen Hut, welchen er über sein linkes, geopfertes Auge zu ziehen pflegt,<br />
einen langen blauen Mantel und wenn er unterwegs ist trägt er seinen Stab bei<br />
sich, manchmal auch seinen Speer. Auf Wanderschaft ist er mit seinen Wölfen<br />
und den beiden Raben Hugin und Munin, welche ihm jeden Morgen von den<br />
Geschehnissen auf der Erde berichten. (Diese beiden Raben können dem<br />
Kundigen hervorragende Hilfe bei Geistreisen bieten!)<br />
Wenn Odin nicht gerade auf Wanderschaft ist, dann reitet er auf Sleipnir. Neben<br />
dem Speer gehört auch der Ring Draupnir zu seinen Attributen, welchen er vom<br />
Zwerg Brock bekommen hat und von dem, in jeder neunten Nacht, acht neue<br />
Ringe abtropfen. Eine Erinnerung an den alten Kalender nach Mondzyklen.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 41
der runenbrieflehrgang<br />
Odin ist der listige Landstreicher, der sich durch das Leben schlägt und so manche<br />
Weisheit hinter der Hutkrempe versteckt hält. Er ist der Zeitungsverkäufer, ebenso<br />
wie der Redakteur. Er ist der Alchemist und Hexer, der Philosoph und<br />
Straßenfeger. Er ist der Schamane und Meister im Umgang mit Tieren und noch<br />
vieles mehr - er begeg<strong>net</strong> uns Menschen immer in einer Erscheinung, hinter der<br />
wir ihn nicht vermuten.<br />
Bei der magischen Arbeit vermag er in den Spezialgebieten Runenkunde,<br />
Mythologie, Dichtkunst, Kommunikation, Gestaltwandel, schamanistischen<br />
Reisen, Kampf, Strategie und Verteidigung, sowie bei Heilung und Verführung<br />
helfen. man könnte ihn als Allroundgod betiteln: Dichtergott, Totengott,<br />
Kriegsgott, Gott der Magie, der Runen, der Ekstase, der Diebe, Händler, Ärzte<br />
und vielen Anderen mehr.<br />
Die Rune Ansuz steht für seinen Aspekt als Lehrer uns sein Lieblingselement den<br />
Wind. Die Rune Ehwaz steht für sein Pferd Sleipnir und Othala steht für ihn als<br />
Sig<strong>net</strong> der, unter seiner geistigen Führung stehenden, Stammesgemeinschaft und<br />
deren magische Bindung an ihn (Zauberknoten).<br />
Odins Bedeutung für die heutige Zeit sehe ich in seinem großartigen Mysterium<br />
des Gestaltwandels. Wer sich und seinen Lebensweg diesem Gott weiht, dem wird<br />
es mit Sicherheit aus keiner Ebene des Seins langweilig. xxi<br />
Es gäbe noch unendlich viel über diesen großartigen Gott zu berichten. Um sein<br />
Mysterium wirklich zu verstehen, muß sich jedoch jeder selbst auf den odinischen<br />
Weg begeben und als Einstieg empfehle ich folgende Lieder der Edda: Völuspa,<br />
Grimnismal, Hrafnagaldr Odins, Harbardsljod, Vafthrudnismal, Gylfaginning und<br />
Skaldskarparmal.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 42
RAIDHO<br />
der runenbrieflehrgang<br />
Raidho ist die fünfte Rune des<br />
Futhark.<br />
Lautwert : R Zahlenwert : 5<br />
Traditionelle Bedeutung: Reiten Assoziationskette: Reiten - Reisen -<br />
Raten - Richten - Ritter - Raunen -<br />
Rhythmus - Ritual - Religion<br />
Raidho ist die Rune des Rhythmus. In der Völuspa, Vers 5. + 6. heißt es hierzu:<br />
Die Sonne von Süden, des Mondes Gesellin,<br />
Hielt mit der rechten Hand die Himmelsrosse.<br />
Sonne wußte nicht wo sie Sitz hätte,<br />
Mond wußte nicht was er Macht hätte,<br />
Die Sterne wußten nicht wo sie Stätte hätten.<br />
Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,<br />
Hochheilge Götter hielten Rat.<br />
Der Nacht und dem Neumond gaben sie Namen,<br />
Hießen Morgen und Mitte des Tages,<br />
Under und Abend, die Zeiten zu ordnen.<br />
Bisher war durch Ansuz zwar schon etwas Ordnung in das Schöpfungschaos<br />
gekommen, doch es fehlte noch die Qualität der Zeit. Erst dadurch konnte sich<br />
alles "seinem Plan gemäß" entwickeln. Inzwischen war ja durch die Götter die<br />
Welt aus Ymirs Leib erschaffen und es war an der Zeit sie zu gestalten und zu<br />
beleben. In diesem Zusammenhang sei an dieser Stelle noch auf die Bedeutung der<br />
Zwerge hingewiesen, die einen größeren Stellenwert haben, als ihnen allgemein<br />
zugemessen wird. Schließlich schmieden sie Schmuckstücke und schaffen<br />
Kunstwerke wie das Boot des Vanen-Gottes Freyr. Sie entstanden als Maden in<br />
des toten Ymir Leib, d.h. sie lebten später in der Erde und ihr Geist war bereits<br />
seit Urzeiten vorhanden. xxii<br />
Die Götter setzten also Sonne, Mond und Sterne an ihren Platz und bestimmten<br />
ihren Lauf, damit man Jahr und Tag messen könne. Raidho, manchmal auch als<br />
Rad interpretiert, steht für das Jahresrad mit seinen 8 Jahresfesten. Vergleiche<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 43
der runenbrieflehrgang<br />
hierzu auch: die 8 Himmelsrichtungen, die 8 Runen eines Aett, die 8 Beine des<br />
Odinpferdes Sleipnir und das sonstige Auftauchen der Zahl 8 in Mythos und<br />
Alltag.<br />
(Diese 8 Feste sind zwar heutzutage in heidnischen Kreisen durchaus bekannt,<br />
doch besteht Zweifel, ob dies im Norden ebenfalls so war, da ja die geographische<br />
Lage völlig andere Verhältnisse an den Tag legt.)<br />
Das Rad des Jahres wie es in unseren Breiten heute Verwendung findet:<br />
1. SAMHAIN, FRAU HOLLE ca. 31.l0.(Jahresanfang)<br />
2. JULFEST ca. 20.-23.12.<br />
3. LICHTMESS ca. 2.2.<br />
4. OSTARA ca. 20.-23.3.<br />
5. MAIFEST, WALPURGIS 30.4.<br />
6. LITHA, SOMMERSONNENWEND ca. 20.-23.6.<br />
7. SCHNITTERFEST 1.8.<br />
8. MABON ca. 20.-23.9.<br />
(2) + (6) sind die Sonnenwenden; (4) + (8) die Äquinoktien<br />
Dieses durch Raidho symbolisierte Rad können wir auch als Rad des<br />
Sonnenwagens deuten. Vom Rad kommen wir auf den Rat, den Rat der Götter<br />
und der Menschen mit ihrem dafür eingesetzten Richter. Durch diesen Rat der<br />
Götter wird die Ordnung der Welt aufrechterhalten.<br />
Der richtende Aspekt der Raidho-Rune entsteht durch die Verbindung zwischen<br />
Rhythmus/Ordnung und ausgewogener Gerechtigkeit. In der Divination mit<br />
Runen begeg<strong>net</strong> uns zum Beispiel eine aufrechte Raidho-Rune für "richtig", Du<br />
bist auf dem "richtigen Weg" und eine umgekehrte Raidho-Rune für "falsch", Du<br />
solltest Deinen Weg nochmals überdenken. Unter den Menschen findet der Rat<br />
der Götter im Thing Anwendung, auf das wir an anderer Stelle noch zu sprechen<br />
kommen.<br />
Ein Pferd hört man schon von weitem kommen, man erkennt dessen<br />
Geschwindigkeit am Rhythmus des Hufschlags. Somit wären wir bei der<br />
Bedeutung der Raidho-Rune in Bezug auf das Reiten, eine der wichtigsten<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 44
der runenbrieflehrgang<br />
Fortbewegungsmethoden früherer Zeiten. Das Pferd ist ja seit seiner<br />
Domestizierung ein Freund des Menschen und es gibt wohl wenig Tiere mit denen<br />
man eine so innige "menschliche" Beziehung aufbauen kann, wie mit Pferden.<br />
Wichtig beim Reiten ist der Einsatz des eigenen Willens, denn wenn das Pferd<br />
bemerkt, daß man diesen verliert, wird es einem mit seinem eigenen Willen<br />
durchgehen. Raidho hat also auch etwas mit der Kontrolle des Weges durch den<br />
eigenen Willen zu tun!<br />
Hier hällt sozusagen die Struktur in das menschliche Leben einzug. Nach dem<br />
Willen und dem Geist formt sich nun der Rhythmus einer Struktur heraus und<br />
kann Anwendung finden.<br />
Es geht bei dieser Rune jedoch nur um die Symbolik oder die Tätigkeit des Reitens<br />
und nicht um das Pferd. Dieses kommt erst im letzten Aett zum Zuge. Raidho<br />
steht mit dem Prinzip der Fortbewegung in Verbindung und dank des Laufes der<br />
Zeit können wir uns bewegen, ohne den Ort zu verlassen. Die Zeit wird zum<br />
Transportmittel der Entwicklung.<br />
Mit dem Raunen der Runen können wir verändernd in den Rhythmus des Lebens<br />
einwirken. Das Raunen der Runen gehört auch zum Ritual, welches hier als eine<br />
rhythmische Abfolge von magischen Handlungen steht, mit der wir die<br />
Persönlichkeit und somit die Umwelt verändern können (Wie Innen - so Außen).<br />
Mit dem Rhythmus der Rituale wären wir wieder bei den Jahresfesten. xxiii<br />
Um den Sinn von Ritualen zu verstehen, ist es gut sich mit den unterschiedlichen<br />
Energien des Jahres und der Himmelsrichtungen vertraut zu machen. Diese<br />
können sinnvoll auf die Veränderung unseres Bewußtseins angewandt werden.<br />
Rhythmus und Ritual führen uns zur Religion: Zur Verbindung des Alltags mit<br />
dem Rhythmus des kosmischen (Er)-Lebens - auch damit steht Raidho in<br />
Verbindung.<br />
Kommen wir nun zu der magischen Anwendbarkeit von Raidho:<br />
Ein fünftes kann ich: fliegt ein Pfeil gefährdend<br />
Übers Heer daher,<br />
Wie hurtig er auch fliege, ich mag ihn hemmen,<br />
Erschau ich ihn nur mit der Sehe.<br />
... heißt es in Odins Runengedicht. Odin meint in diesem Lied, die Veränderung<br />
des Rhythmus (des kosmischen Taktes, könnte man vielleicht treffender sagen.)<br />
durch anwenden einer umgekehrten Raidho-Rune mit "der Sehe", dem Blick.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 45
der runenbrieflehrgang<br />
Somit verliert der Pfeil, durch die längere Zeit welche er braucht an Schwung und<br />
fällt schließlich zu Boden, ohne sein Ziel erreicht zu haben. Dieses Bild, in den<br />
magischen Bereich übertragen, zeigt uns den Pfeil als Zauber. Mit Raidho können<br />
wir die Zeit verändern und uns "an einen anderen Ort in der Zeit" versetzen.<br />
(Raidho = Reiten) Da wir uns denn an einem anderen Ort aufhalten, schlägt der<br />
magische Pfeil zwar ein, vermag aber nichts auszurichten.<br />
Raidho in Verbindung mit der 19. Rune Ehwaz gebracht, versetzt uns in die Lage,<br />
Reisen in Raum und Zeit zu unternehmen. Ob es dabei in die Ober- oder<br />
Unterwelt gehen soll, bestimmen wir durch eine weitere Rune. Wir setzen uns mit<br />
dieser Kombination sozusagen auf ein Geisterpferd, welches übrigens acht Beine<br />
hat...<br />
Da Raidho ganz wesentlich mit dem Rhythmus des Lebens zusammenhängt<br />
können wir diese Rune natürlich dazu verwenden, wieder in diesen Rhythmus zu<br />
kommen und dann zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, was wiederum die<br />
Wunder des Lebens ermöglicht. Durch Raidho können wir uns den Lebensweg<br />
ebnen, da wir die Stolpersteine nicht mehr treffen. Durch die Raidho-Kraft<br />
werden wir zum Ritter unseres Lebensweges, wir reiten selbst und werden nicht<br />
geritten. Raidho beschützt das Reisen. Alles, was wir mit dem Reisen in<br />
Verbindung bringen können, trifft meist auch auf Raidho zu. Die negativen<br />
Aspekte von Raidho sind: Stagnation, Unbeweglichkeit, Verlieren des Rhythmus,<br />
bzw. die Kontrolle über das "Pferd". Somit kann man die dunkle Seite der Rune<br />
auch benutzen, um jemandem "vom Hohen Roß" zu werfen.<br />
Auf eine Runenstellung können wir verzichten. Eine geeig<strong>net</strong>e Meditation zu<br />
Raidho wäre das bewußte Gehen im eigenen Rhythmus; vielleicht mit dem Bild<br />
der Rune im Kopf. xxiv<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 46
KENAZ<br />
der runenbrieflehrgang<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
Kenaz ist die sechste Rune des<br />
Futhark.<br />
Lautwert: K Zahlenwert: 6<br />
Traditionelle Bedeutung: Fackel Assoziationskette: Fackel -<br />
Fackelträger - Licht im Dunkel -<br />
Mondschein - der Mond - Mani,<br />
Bruder der Sol - Widerschein -<br />
Spiegelung - Reflektieren - Wissen<br />
Die Rune Kenaz wird meistens mit Feuer in Verbindung gebracht, was sich wohl<br />
größtenteils auf die Übersetzung des Wortes begründet. Die Übersetzungen des<br />
Wortes Kenaz sind vielfältig und auch etwas irreführend: So heißt es bei den<br />
Einen Fackel, bei den anderen Kienspan und manchmal sogar Geschwür. Welche<br />
Ableitungen man daraus hervorzaubern mag, bleibe jedem selbst überlassen.<br />
Ich sehe diese Rune als ein Symbol für den Mond an. Wenn wir diese Rune<br />
"hinlegen" haben wir die traditionelle, schwimmende Mondbarke wie sie in vielen<br />
Kulturen vorkommt.<br />
Um das Mysterium der Rune Kenaz zu verstehen, müssen wir uns erst die<br />
symbolische Bedeutung des Mondes etwas genauer anschauen. Der Mond ist in<br />
unseren Breitengraden und einigen anderen Kulturen, männlichen Geschlechts.<br />
Das sollte uns zu denken geben, da ja die südländischen Mythen meistens auf eine<br />
weibliche Mondin verweisen. Dies ist bei uns anders und ich möchte auch gleich<br />
ausführen warum. Wir haben es hierbei wahrscheinlich mit einem Überbleibsel<br />
aus einer matrilinearen Kultur zu tun, die zwar den Zusammenhang Mond und<br />
Frau im Zusammenhang mit den weiblichen Zyklen gesehen hat, aber die Göttin<br />
in Form der Sonne verehrte. Denn die Frau war und ist die treibende Kraft. Sie<br />
bringt das Leben in die Welt und sie ist es auch, die ihm Form verleiht.<br />
Symbolisch übertragen heißt das auf Sonne und Mond bezogen: Die Sonne (Frau)<br />
liefert die Energie und das Wissen und der Mond (Mann) verwandelt es und setzt<br />
es um. Er reflektiert das Wissen und die Macht der Frau, um sie in dieser Welt<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 47
der runenbrieflehrgang<br />
materiell in Erscheinung treten zu lassen. Das Sprichwort, daß hinter jedem<br />
großen Mann eine große Frau steht, findet hier seine wahrhaftige Begründung. Da<br />
wir nunmal in einem dualistischen System beheimatet sind ist es sinnvoll diese<br />
Dualitäten auch anzuwenden. Von einer höheren Warte aus betrachtet ist es<br />
natürlich Quatsch, denn Sonne ist männlich und weiblich und ebenso Mond.<br />
Beide Himmelskörper sind sächlich und so kommt es eben auch, daß es in<br />
verschiedenen Kulturen verschiedene Geschlechter für beide gibt. Die Essenz des<br />
Mondes und der Sonne für unser "nördliches" Denken wäre: Die Frau gibt, der<br />
Mann nimmt! Er ist es, der umwandelt, was sie ihm gegeben hat. Das geht<br />
natürlich schwer in unseren, durch das heutige Denken geprägten Intellekt hinein,<br />
da ja angeblich die Frau das schwächere Element sein soll - auch die Wiccas<br />
richten sich nach diesem männlich/weiblich-Muster, obwohl sie die Große Göttin<br />
oben an stellen. Die Frau ist also im Norden nicht das schwächere Element,<br />
sondern das stärkere! Der Mond reflektiert das Licht der Sonne - er spiegelt es<br />
sozusagen wider und um diesen spiegelnden Effekt dreht sich auch das Mysterium<br />
der Kenaz Rune. Reflektieren bedeutet ja auch über etwas nachdenken und es so<br />
mit dem Intellekt zu durchleuchten, sich eine eigene Meinung zu etwas bilden.<br />
Man schafft sich also ein eigenes Bild, welches sich aus der bekommenen<br />
Information und den eigenen Erfahrungen zusammensetzt.<br />
Die Reflektion des Intellekts erleuchtet also unser Bewußtsein, bringt Licht in das<br />
Dunkel des Un(ter)bewußtseins. Ebenso spiegeln sich unsere (unbewußten)<br />
Probleme in unseren Partnern und Mitmenschen wider. Das, was sich in die<br />
Kerker unseres inneren Schlosses zurückgezogen hat, damit wir es nicht mehr als<br />
Teil unserer Persönlichkeit betrachten müssen, taucht immer wieder als Abscheu<br />
erregender Anteil in unserem Gegenüber auf, damit wir uns eines Tages diesen<br />
verdrängten Persönlichkeitsanteil wieder zuwenden können und ihn ans Licht der<br />
Welt bringen. Unsere eigene Unterwelt spiegelt sich in der Oberwelt (hier:<br />
Außenwelt).<br />
Mit einer solchen Spiegelung haben wir es auch in den Schöpfungsmythen zu tun.<br />
Die Götterwelt spiegelt sich in der Menschenwelt: Die Menschen werden nach<br />
dem Vorbild des Göttlichen erschaffen und erscheinen somit als Spiegelbild<br />
dessen. Im Norden fällt ja besonders der nicht vorhandene Trennungsaspekt<br />
zwischen Göttern und Menschen auf - die Stammbäume beginnen meistens mit<br />
einem der Götter, sprich, hier stammen die Menschen direkt von der Gottheit ab<br />
und pflegen somit natürlich auch einen ganz anderen Kontakt untereinander, als<br />
in anderen Religionen. Kenaz steht also für Mani, den Mond und für dessen Art<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 48
der runenbrieflehrgang<br />
der Spiegelung. Die Bedeutung des Feuers bei Kenaz kann man folgendermaßen<br />
ableiten: Wenn man einen Hohlspiegel in die Sonne hält, entsteht im Brennpunkt<br />
sehr große Hitze - da haben wir dann das Feuer. Auf einer alchemistischpsychologischen<br />
Ebene hätten wir dann die Läuterung des Unbewußten durch das<br />
Feuer des bewußten Reflektierens.<br />
Im Runenlied Odins heißt es hierzu:<br />
Ein sechstes kann ich, so wer mich versehrt<br />
Mit harter Wurzel des Holzes:<br />
Den andern allein, der mir es antut,<br />
Verzehrt der Zauber, ich bleibe frei.<br />
Hier erkennen wir nochmals deutlich die Symbolik des Spiegels, denn Odin<br />
schickt mit der Rune Kenaz den Runenzauber wieder zurück zum Absender und<br />
bleibt unversehrt. Dies ist eine weitere Verwendung der Rune Kenaz.<br />
Kommen wir noch einmal zu der Bedeutung der Rune Kenaz als Fackel zurück:<br />
Eine Fackel symbolisiert die kontrollierte und auf einen Punkt konzentrierte<br />
Energie des Feuers. Mit ihr können wir den Weg unseres Lebens erhellen und<br />
somit Wissen erlangen. Wir können mit dieser Fackel uns und anderen Menschen<br />
leuchtend den Weg weisen. Kenaz steht also weiters für die Symbolik und<br />
Anwendbarkeit des Spiegels und die Symbolik, die wir mit einer Fackel in<br />
Verbindung bringen können.<br />
Im magischen Bereich können wir Kenaz zur Abwehr von Runenzaubern<br />
anwenden - dies ist für mich die wichtigste Aufgabe dieser Rune. Es müssen ja<br />
nicht gleich Runenzauber sein, die uns treffen. Manchmal treten auch Energien in<br />
unser Leben, bzw. an uns heran, mit denen wir einfach nichts zu tun haben<br />
wollen: Dann setzen wir Kenaz als Spiegel ein. Mit geringerer Wucht läßt sich<br />
Kenaz auch als Spiegel des Bewußtseins bei anderen Menschen einsetzen. Indem<br />
wir ihre Schattenseiten bewußt spiegeln, zwingen wir sie zur Ehrlichkeit gegenüber<br />
uns und sich selbst. Kenaz ist ein mächtiger Energiespender. Wenn wir<br />
ein Pendel über diese Rune halten, zeich<strong>net</strong> sich folgendes<br />
Energiemuster ab:<br />
Somit spiegelt und verstärkt diese Rune.<br />
Die zwölfte Rune des Futhark setzt sich aus zwei Kenaz-Runen zusammen. Hier<br />
treffen wir auch auf die Zahlensymbolik der Runenreihe. Kenaz = 6 mal 2 = 12<br />
= Jera<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 49
der runenbrieflehrgang<br />
Aus zwei oder vier Kenaz-Runen setzt sich auch die 7.Rune Gebo zusammen,<br />
welche im nächsten Kapitel behandelt wird und die Erschaffung des Menschen,<br />
Midgards und Asgards symbolisiert.<br />
Einer der negativen Aspekte dieser Rune wäre ihre Anwendung als<br />
unerwünschtes, bewußtseinserweiterndes Instrument bei Menschen, die uns nicht<br />
darum gebeten haben. Wir legen ihnen dann sprichwörtlich "Feuer unter dem<br />
Arsch" und sie werden gezwungen mit der freigesetzten Energie etwas in Bewegung<br />
zu setzen. Entweder, sie rennen vor sich selbst und ihren Problemen davon, oder<br />
sie setzen sich tatsächlich mit sich selbst auseinander und Kenaz bekommt die<br />
Bedeutung von "Wer ist die Schönste im ganzen Land...?"<br />
Auch ein noch so gutgemeinter Versuch, einen Menschen auf seinem Weg<br />
weiterzubringen, kann mehr Schaden als Nutzen anrichten, wenn er uns nicht<br />
selbst darum gebeten hat.<br />
Kenaz können wir auch als Runenstellung einsetzen. Dabei stehen wir aufrecht<br />
und strecken den rechten Arm 45° nach oben und den linken Arm um 45° nach<br />
unten. Damit läßt sich die Energie von Kenaz erfühlen und wenn wir Energie in<br />
diese Stellung hineingeben wird es uns möglich, unerwünschte Einflüsse an den<br />
Absender zurückzuschicken.<br />
Kenaz kann auch dafür eingesetzt werden, um Wissen zu erlangen. Dabei spiegelt<br />
es das wieder, was sich im (kollektiven) Unterbewußtsein befindet. Wir bringen<br />
also mit der Fackel Kenaz das innere, verschüttete Wissen ans Tageslicht. Sei es<br />
nun das des kollektiven Unebwußten, wie man es seid Jung zu nennen pflegt, oder<br />
eben das, was schon von Anbeginn unseres Lebens in uns schlummert. xxv<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 50
WAS IST ENERGIE ?<br />
der runenbrieflehrgang<br />
Energie kommt aus der Steckdose: An diesem Beispiel will ich versuchen, die<br />
Irrtümer, welche über positive und negative Energie im Umlauf sind, aufzuklären<br />
und den tatsächlichen Zusammenhängen ans Licht verhelfen.<br />
Der elektrische Strom kommt aus der Steckdose. Wenn wir eine Lampe daran<br />
anschließen, können wir uns in der Dunkelheit das Licht anmachen. Wir können<br />
einen Heizlüfter daran anschließen und die Behausung heizen. Ohne den Strom<br />
aus der Steckdose könnten wir nicht telefonieren, nicht fernsehen und auch kein<br />
Radio hören. Es sieht also so aus, als hätte dieser Strom aus der Steckdose<br />
durchaus positive Eigenschaften.<br />
Mit dem elektrischen Strom kann jedoch genauso die Zündung einer Rakete<br />
gesteuert werden, welche einen atomaren Sprengkopf transportiert und tausende<br />
von Menschenleben in wenigen Sekunden vernichtet. Diese Funktion hat auch<br />
der elektrische Strom. Wenn wir mit bloßen Fingern in die Steckdose greifen,<br />
bekommen wir einen elektrischen Schlag und es tut verdammt weh. Der<br />
elektrische Strom hat also auch negative Eigenschaften. Doch kann der Strom<br />
etwas dafür? Nein! Der Strom ist Strom und es ist ihm egal, was man mit ihm<br />
anstellt. Erst durch die Anwendung durch den Menschen kommt es zur Einteilung<br />
in Gut und Böse!<br />
Bei den Runen-Kräften haben wir es nun auch mit dieser Energie "aus der<br />
Steckdose" zu tun. Hier ist die Steckdose das uns umgebende Universum. Aus<br />
diesem kommt die Energie, dort sitzt sozusagen das Elektrizitätswerk, die<br />
Kosmische Stromversorgungs AG. Diese kosmische Energie ist überall und ohne<br />
sie könnten wir und alle anderen Lebewesen in allen denkbaren Reichen nicht<br />
existieren. Bei den Runen ist es nun so, daß sie unterschiedliche "Verbraucher"<br />
bezeichnen. Sie teilen sich ein in Radiogeräte, mit denen wir Empfangen können;<br />
in Funkgeräte, mit denen wir senden und empfangen können; in atomare<br />
Sprengladungen mit denen wir etwas zerstören können; und so weiter. Wir<br />
können also, dank der Runen, die eine kosmische Energie, für unsere Zwecke<br />
umformen. Sie sind die Transformatoren der Kosmischen Stromversorgungs AG<br />
(KSVAG). Jetzt sind wir aber immer noch nicht in dem Wertungsbereich des<br />
Gut/Böse angelangt. Eine Herdplatte ist eine Herdplatte, und wenn man sich die<br />
Finger daran verbrennt ist man selber schuld. Die Runen beinhalten also genauso<br />
viel positives wie negatives Potential in sich. (Ebenso wie die ursprüngliche<br />
germanische Mythologie, wo Götter, Riesen, Zwerge und Menschen beide Kräfte<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 51
der runenbrieflehrgang<br />
in sich vereinten: Sie waren gut und böse, freundlich und listig - Götter, wie<br />
Menschen!) Durch die Ausgewogenheit des Positiven und Negativen in den<br />
Runen, sind sie Neutral! Dies sind sie jedoch nur solange, wie sie sich in ihrem<br />
Ruhezustand befinden. Sie transformieren zwar die kosmische Energie in<br />
verschiedene Bereiche, doch sie vermögen weder Schaden noch Nutzen zu<br />
erzielen. Erst in dem Moment, in dem der Mensch diese Runen aktiviert, die in<br />
eine bestimmte Richtung lenkt, werden sie Gut oder Böse, denn der Mensch<br />
unterscheidet nach seinen Maßstäben ob etwas Gut oder Böse ist.<br />
Das Paradoxon des dualen Systems ist nun folgendes: Wir können mit einem<br />
Wunsch für einen befreundeten Menschen (positiv) mehr Schaden anrichten, als<br />
mit einem Fluch (negativ).<br />
Was in der runischen Tradition verstanden werden muß ist, daß sich in allen<br />
Dingen und Handlungen die zwei Seiten der Polarität vereinen und zum Ausdruck<br />
kommen können. Ein wohlgemeinter Wunsch enthält positive und negative<br />
Energie. Ein Fluch enthält positive und negative Energie. xxvi Ohne die<br />
Anwesenheit beider Polaritäten kann nichts existieren! Somit gibt es kein reines<br />
Gutes und kein reines Böses - durch unsere Prägung, entstanden durch<br />
verschiedenste Beeinflussungen, haben wir bisher gelernt alles einzuteilen und jetzt<br />
müssen wir umlernen. Wer sich ein wenig mit den Gedanken des Zen-Buddhismus<br />
beschäftigt hat, dem wird es leichter fallen, den Sinn und Zweck meiner Aussage<br />
zu verstehen.<br />
Die folgenden Zitate aus dem TAO-TE-KING mögen das vorher Gesagte<br />
untermalen:<br />
2/5.<br />
ERST SEIT AUF ERDEN<br />
EIN JE<strong>DER</strong> WEISS VON <strong>DER</strong> SCHÖNHEIT DES SCHÖNEN<br />
GIBT ES DIE HÄSSLICHKEIT;<br />
ERST SEIT EIN JE<strong>DER</strong> WEISS VON <strong>DER</strong> GÜTE DES GUTEN,<br />
GIBT ES DAS UNGUTE.<br />
10/118.<br />
ERZEUGEN, DOCH NICHT BESITZEN;<br />
TUN, DOCH NICHT DRAUF BAUN;<br />
LEITEN, DOCH NICHT BEHERRSCHEN<br />
DIES NENNT MAN MYSTISCHE TUGEND.<br />
78/189.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 52
der runenbrieflehrgang<br />
WAHRE WORTE KLINGEN<br />
OFT WIE GEGENSINN.<br />
In diesem Sinne betrachtet gibt es auch keine schwarze und keine weiße Magie! Es<br />
gibt Magie, aber sie ist wie sie ist. Sogenannte weiße Magie kann genauso viel<br />
Schaden anrichten, wie die sogenannte Schwarze. Die wertende Persönlichkeit<br />
eines Menschen oder eines Volkes beurteilt, ob etwas hilfreich oder schädlich für<br />
die Gemeinschaft oder den Einzelnen ist. Das Universum wertet nicht, es ist!<br />
Somit gibt es zwar sanfte und unsanfte Runen-Kräfte, doch keine Bösen und<br />
Guten.<br />
Unser eigenes Ermessen und unsere eigene Ethik sollen das Gute vom Bösen<br />
trennen. Keine gesellschaftliche Moral oder Anschauung, sofern sie nicht unserer<br />
Gemeinschaft entspricht.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 53
GEBO<br />
der runenbrieflehrgang<br />
Lautwert: G Zahlenwert: 7<br />
Traditionelle Bedeutung:<br />
Gabe, Geschenk<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
Gebo ist die siebente Rune des<br />
Futhark.<br />
6; 40<br />
Freunde sollen mit Waffen und Gewändern sich erfreun,<br />
Den schönsten, die sie besitzen:<br />
Gab und Gegengabe begründet Freundschaft,<br />
Wenn sonst nichts entgegen steht.<br />
6; 41<br />
Der Freund soll dem Freunde Freundschaft bewähren<br />
Und Gabe gelten mit Gabe.<br />
Hohn mit Hohn soll der Held erwidern,<br />
Und Losheit mit Lüge.<br />
6; 45<br />
Weißt Du Dir wen, dem du wenig vertraust,<br />
Weil Dich sein Sinn verdächtig dünkt,<br />
Den magst Du anlachen und an dich halten:<br />
Die Vergeltung gleiche der Gabe.<br />
6;146<br />
Besser nicht gebeten, als zu viel geboten:<br />
Die Gabe will stets Vergeltung...<br />
Assoziationskette: Gabe -<br />
Geschenk - Geben + Nehmen -<br />
Austausch - Harmonie - fließende<br />
Energie - Stabilität - Sicherheit<br />
Diese Beispiele aus dem Havamal sollen die ethische Anschauung unserer Ahnen<br />
in Bezug auf Gaben und Geschenke verdeutlichen. "Und Gabe gelten mit Gabe."<br />
hört sich doch schon etwas anders an, als das demütige christliche: "Wenn Dir<br />
einer auf die Backe haut, dann halte ihm die andere hin." Dadurch verliert man<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 54
der runenbrieflehrgang<br />
sein Selbstwertgefühl und seine Achtung - aber die war ja auch bei den Christen<br />
nicht gefragt, schließlich wollte man die Anbetenden ausbeuten und das geht<br />
nunmal nicht mit einer heidnischen Einstellung (Das dieses Bestreben in allen<br />
Weltreligionen der Fall ist und war sei hier zur Vollständigkeit erwähnt...). Gebo<br />
meint den Ausgleich von Kräften. Es geht um die Thematik des Geben und<br />
Nehmens, wobei das Geben immer etwas höher bemessen wird, als das in<br />
Empfang genommene Geschenk. So läßt sich das Märchen von Hans im Glück<br />
deuten und verstehen.<br />
Mythologisch steht Gebo mit der Belebung der ersten Menschen, Ask und Embla<br />
in Verbindung. Die Göttertrias belebte die hölzernen Menschen und seit dieser<br />
Zeit vergelten die Menschen den Göttern diese Gabe durch Treue und Opfer, was<br />
wiederum eine Gabe der Götter in Bewegung setzt und sich somit ein<br />
kontinuierlicher Kreislauf zwischen Menschen und Göttern entfaltet. Nachdem<br />
die Göttertrias die ersten Menschen belebt hatte, bauten sie sich Asgard, die<br />
Heimat der Götter, welche mit der Welt der Menschen, Midgard, in Verbindung<br />
und Austausch steht. Dieser Austausch findet über den Regenbogen Bifröst statt,<br />
welcher die Brücke zwischen Asgard und Midgard darstellt. Auf diesem Wege<br />
kommt die Energie und die Gaben der Götter zu uns auf die Erde.<br />
Durch diesen gerechten Austausch entsteht Stabilität; somit wird erst die<br />
Erschaffung der Erde und deren "Burg" Midgard möglich.<br />
Um zu einem ausgeglichenen Leben zu gelangen, ist es wichtig, die Konflikte unter<br />
Menschen sofort beizulegen und zu klären. Ein ungeklärter Konflikt wirkt sonst<br />
wie ein schleichendes Gift und macht die Kraft von Gebo zunichte.<br />
Gebo steht auch für die vier Himmelsrichtungen und die sich aus deren Kräften<br />
ergebenden, energetischen Stabilität auf unserem Pla<strong>net</strong>en. In Odins Runenlied<br />
heißt es hierzu:<br />
Ein siebentes weiß ich, wenn hoch der Saal steht<br />
Über den Leuten in Lohe,<br />
Wie breit sie schon brenne, ich berge sie noch:<br />
Den Zauber weiß ich zu zaubern.<br />
Die Zuordnung dieses Runengedichtes zur Rune Gebo ist unsicher. Es könnte<br />
gemeint sein, daß der Zauberer durch Gebo in die Gerechtigkeit eingreift und<br />
somit noch alle "Gerechten" zu retten vermag. Eine andere Möglichkeit wäre das<br />
aufspalten von Gebo in zweimal Kenaz = Die Spiegelung des Feuers oben und<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 55
der runenbrieflehrgang<br />
unten wird getrennt - doch mag dies nur für eine kurze Zeit gelingen - vielleicht<br />
reicht es ja, um die Menschen zu retten. Da die Runenmagier Meister des<br />
Verschlüsselns waren und heute auch noch sind, kann es sein, daß die<br />
Reihenfolge des Runengedichtes sich anders gestaltet, doch dieses Rätsel muß erst<br />
noch gelöst werden. Auf einer symbolischen Ebene wäre allerdings oben Gesagtes<br />
durchaus durchführbar. In anderen Welten kann man den Spruch also anwenden<br />
- z.B. auf Geistreisen.<br />
Für was kann man Gebo im magischen Alltag verwenden? Wir können diese Rune<br />
benutzen, um disharmonische Zustände wieder ins Gleichgewicht, in Harmonie zu<br />
bringen. Als Binderune findet sie Verwendung, um entgegengesetzte, runische<br />
Energien ins Gleichgewicht zu bringen. Selbstverständlich kann man Gebo auch<br />
für einen Fluch gebrauchen, indem man Gleiches mit Gleichem bekämpft, wobei<br />
dann jedoch das Risiko sehr groß ist, daß unser "Geschenk" wieder zurückkommt<br />
- dann jedoch etwas mehr, als gegeben, entsprechend der Ethik... Um nun aber<br />
zwei Menschen, Frau und Mann, also zwei entgegengesetzte Polaritäten<br />
zusammen zu bringen, kann man Gebo verwenden - sie harmonisiert und<br />
entspricht in gewisser Art und Weise den Liebenden im Tarot. Männliche und<br />
weibliche Seelenseite sind in einem Menschen ins Gleichgewicht gebracht worden<br />
und somit wird er zu einer Liebesbeziehung befähigt, die sein Seelengleichgewicht<br />
oder auch Ungleichgewicht widerspiegeln wird.<br />
Gebo erinnert wie keine andere Rune des Futhark an den homöopathischen<br />
Grundsatz Hahnemanns, Gleiches mit Gleichem zu kurieren.<br />
Wenn wir das Symbol Gebos mit einem Kreis umschließen, entsteht das Rad. Ein<br />
Rad mit vier Speichen und jede der Speichen trägt einen Teil des Ganzen - so<br />
erinnert Gebo auch an eine Familie, eine gute Ehe oder Gemeinschaft.<br />
Gebo steht weiters in Bezug zur Ekstase. Sei es nun die Ekstase welche beim<br />
Zusammensein eines Paares entsteht, oder die göttliche Ekstase einer Kundalini-<br />
Erweckung. Die Ekstase selbst harmonisiert (wie Gebo) unausgeglichene Kräfte.<br />
Aus der Vereinigung zweier Kräfte geht ein drittes hervor und das ist Wunjo, die<br />
achte Rune des Futhark.<br />
Setzen wir Gebo zur Harmonisierung und Zusammenführung zweier in uns<br />
befindlicher, entgegengesetzter Kräfte ein, so wird ein Drittes daraus hervorgehen.<br />
Wir können diese Rune als Seelenmedizin verwenden, um Spannungen aufzulösen<br />
und in kreative Energie umzuwandeln. xxvii<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 56
der runenbrieflehrgang<br />
Gebo ist eine der vier im Futhark vorkommenden Runen, die weder wend-, noch<br />
umkehrbar sind.<br />
Der negative Aspekt einer Gebo-Rune wäre ein wohlgemeinter Wunsch für einen<br />
Mitmenschen, der jedoch noch gar nicht reif dafür ist. So wird der wohlgemeinte<br />
Wunsch zu einem Fluch.<br />
Gleiches wird mit Gleichem vergolten - das wäre die Schattenseite der Rune und<br />
ist auch die Warnung für Runenzauberer, denn da nunmal ein Austausch<br />
stattfindet, bekommen wir unsere Flüche auch eines Tages wieder zurück. Wir<br />
sollten uns in unserer Tradition immer um einen Ausgleich bemühen, was nicht in<br />
ein Nichtstun, sondern in ein reges Handeln ausarten könnte, welches für sich<br />
und die Mitmenschen etwas tut. xxviii<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 57
Wenn es Zeit ist...<br />
der runenbrieflehrgang<br />
WENN ES ZEIT IST ZU FLUCHEN<br />
FLUCHE<br />
WENN ES ZEIT IST ZU BETEN<br />
BETE<br />
WENN ES ZEIT IST GUTES ZU TUN<br />
TU GUTES<br />
WENN ES ZEIT IST ZU GEHEN<br />
GEHE<br />
WENN ES ZEIT IST ZU REDEN<br />
REDE<br />
WENN ES ZEIT IST ZU SCHWEIGEN<br />
SCHWEIGE<br />
DANN WIRD DAS TUN ZUM TUN<br />
DANN IST ES WIE ES IST<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 58
der runenbrieflehrgang<br />
BEDEUTUNG DES ELEMENTES ERDE UND DIE<br />
RUNISCHEN ENTSPRECHUNGEN<br />
Das Element Erde steht für die Materie, die Realität, Geld und Finanzen, die<br />
Ausprägungen des Ich, die Persönlichkeitsentfaltung, die Existenz und umfaßt in<br />
sich selbst alle anderen Elemente. Fruchtbarkeit und Reichtum sind die<br />
Schlüsselwörter zu diesem Element.<br />
Die Bezeichnung Element bezieht sich nicht auf die chemische Zusammensetzung,<br />
sondern ist ein geistiger Terminus. Um die Bedeutung der Elementenlehre zu<br />
verstehen, bedarf es des analogen Denkens und der Intuition - mit rationellem<br />
Denken und dem Verstand verfährt man sich nur.<br />
Auf der materiellen Ebene entspricht die Rune Uruz diesem Element. Auf der<br />
energetischen Ebene die Rune Gebo. Auf der emotionalen Ebene die Rune<br />
Berkana. Die Gottheiten, welche mit dem Element Erde verbunden sind, sind die<br />
Vanen. Zu ihnen zählen: Freyr, Freyja, Njörd und Nerthus. Sie werden<br />
vornehmlich um Fruchtbarkeit, Frieden und Reichtum angerufen. Die Göttin Hel,<br />
oder Frau Holle stehen ebenfalls mit der Erde in Verbindung, sowie die Göttin<br />
Frigg, wobei letztere eher ein luftig erdiges Temperament hat. Die dem Element<br />
Erde entsprechende Farbe ist Schwarz oder Braun. xxix<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 59
der runenbrieflehrgang<br />
HEIMDALL UND SEINE BEZIEHUNGEN ZUR RUNE GEBO<br />
Wie ist Heimdall zu bezeichnen? Als der Neun Mütter Sohn und der Götter<br />
Wächter, oder der weise Ase, Lokis Gegner, der Wiedererkämpfer<br />
Brisingamens. Heimdalls Haupt heißt das Schwert, denn es wird gesagt, er sei<br />
mit eines Mannes Haupt durchbohrt worden. Von ihm handelt das [verlorene]<br />
Heimdallslied, und das Schwert heißt seitdem manns Miötud [Messer,<br />
Schöpfer], denn das Schwert ist des Mannes Miötud [Durchbohrer]. Heimdall ist<br />
Gulltopps [des Rosses] Besitzer, Wagaskers und Singasteins [[Singasteinn =<br />
Zauberstein oder "singender Stein"]] Heimsucher, weil er dort mit Loki um<br />
Brisingamen stritt; desgleichen heißt er Windhler. - Skaldskaparmal 6.[C.8]<br />
Gylfaginning, 27: Heimdall heißt einer, der auch der weise Ase genannt wird. Er<br />
ist groß und hehr und von neun Mädchen, die Schwestern waren, geboren. Er<br />
heißt auch Hallinskidi und Gullintanni, weil seine Zähne von Gold sind. Sein<br />
Pferd heißt Gulltopp. Er wohnt auf Himinbjorg bei Bifröst. Er ist der Wächter der<br />
Götter und wohnt dort an des Himmels Ende, um die Brücke vor den Bergriesen<br />
zu bewahren. Er bedarf weniger Schlaf als ein Vogel und sieht sowohl bei<br />
Nacht als bei Tag hundert Tagreisen weit; er hört auch das Gras in der Erde<br />
und die Wolle auf den Schafen wachsen, mithin auch alles, was einen stärkeren<br />
Laut gibt. Er hat eine Trompete, die Giallarhorn heißt, und bläst er hinein, so<br />
wird es in allen Welten gehört. Heimdalls Schwert heißt Haupt.<br />
Heimdall [altnordisch Heimdallr, auch Heimdalr und Heimdali] bedeutet "Der,<br />
der die Welt beleuchtet."<br />
Dieser Gott nimmt eine Wächterposition ein und steht in engem Zusammenhang<br />
mit dem Morgengrauen. Dann, wenn die Welt noch frisch ist, sich die ersten<br />
Sonnenstrahlen in den durch Tau be<strong>net</strong>zten Spinnenweben brechen, ist Heimdall-<br />
Zeit. Er wird in den Quellen meistens als Schöpfer der Menschen dargestellt und<br />
als Rig geht er auf die Erde und begründet, indem er mit den Frauen dreier<br />
Männer schläft, die drei Stände. Wenn die Welt und ihr Bestand bedroht sind,<br />
bläst Heimdall warnend in sein Horn - dies könnte jedoch eine Übernahme aus<br />
dem Christentum sein, welche uns an das Jüngste Gericht erinnert.<br />
Seine ungewöhnliche Geburt durch die 9 Mädchen, welche Schwestern waren,<br />
stellt für jeden Menschen ein individuelles Rätsel dar, was jedoch gar nicht so<br />
schwer zu lösen ist. (Viel Spaß und fröhliche Erkenntnis!)<br />
Sein Tier ist der Widder, (Analog selbstverständlich auch das Tierkreiszeichen<br />
Widder, welches das Frühjahr einleitet.) der ihm geopfert wurde. Diese<br />
Verbindung wirft Licht auf die Macht, welche Heimdall innewohnt. Man stelle<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 60
der runenbrieflehrgang<br />
sich nur einen Widder als Wächter vor. Wer einmal mit einem solchen Tier<br />
Bekanntschaft gemacht hat, wird wissen was ich meine.<br />
Leider ist das Lied, in welchem wir sicherlich mehr über Heimdall erfahren<br />
könnten, verloren gegangen und es sind nur noch zwei Zeilen übrig geblieben, in<br />
denen von seiner Geburt durch die neun Schwestern die Rede ist. Diese beiden<br />
Zeilen des Heimdallargaldr lauten:<br />
nío em ek moethra mogr,<br />
nío em ek systra sonr.<br />
Heimdall können wir heutzutage begegnen, wenn wir die Regenbogenbrücke in<br />
die Anderswelt passieren. Möglicherweise wird er uns dann prüfen und uns nach<br />
seinem Ermessen Zugang gewähren oder nicht. Er erinnert mich immer an einen<br />
freundlichen Oberförster, der mit der Natur eng verbunden lebt und meistens<br />
auch zur Morgendämmerung, zur Heimdall-Zeit, im Wald anzutreffen ist. Die<br />
heutige Bedeutung von Heimdall sehe ich als Bindungsglied zwischen Erde und<br />
Himmel und Wächter der hiesigen Traditionen. Metaphorisch könnte man ihn als<br />
religiösen Filter des nordischen Himmels betrachten, der die Traditionen bewahrt<br />
und mit dem Wissen bereichert, welches im Einklang mit dem Alten Wissen steht<br />
und sich verträgt.<br />
Odin wird Vater Heimdalls genannt, wobei ich dies für eine neuere<br />
Betrachtungsart halte, da der alte Himmelswächter sicherlich schon vor Odin eine<br />
große Bedeutung hatte und erst durch den Machtgewinn Odins zu seinem Sohn<br />
wurde. Über die Familienverhältnisse Heimdalls ist sonst leider nichts bekannt.<br />
Wer einen poetischeren Zugang zu Heimdall sucht, der lese in der Edda in<br />
folgenden Liedern nach: Rigsthúla; Gylfaginning; Grimnismal; Voluspa.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 61
WUNJO<br />
der runenbrieflehrgang<br />
Wunjo die achte Rune des<br />
Futharks.<br />
Lautwert: W Zahlenwert: 8<br />
Traditionelle Bedeutung:<br />
Fröhlichkeit, Vollkommenheit<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
Assoziationskette: Fröhlichkeit -<br />
Vollkommenheit - bewußtes Sein<br />
im Unendlichen - Stammesfahne -<br />
Freude durch Freundschaften -<br />
Harmonie - Wonne -Wohlbefinden<br />
Das Symbol Wunjos erinnert uns an eine Stammesfahne oder wenn wir sie liegend<br />
zeichnen, an einen Pflug oder einen Hammer. All diese Attribute stehen für das<br />
Ziel des Bauern-Aett, da ein Pflug es möglich macht den Boden zu bewirtschaften<br />
und somit das Leben zu sichern, ein Hammer für die gestalterischen Fähigkeiten<br />
eines Schmiedes und der Anblick der Stammesfahne bei unseren Vorfahren<br />
Freude auslöste. Heutzutage fällt es schwer sich diesen nationalen Stolz, diesen<br />
Zusammenhalt, und die damit verbundene Sicherheit und Freude eines Clans,<br />
eines Stammes oder eines Volkes, zu vergegenwärtigen. Schließlich haben wir<br />
genügend Geschichtsunterricht genossen, um zu wissen, welche Schattenseiten ein<br />
Fahnen-Treue-Eid beinhalten kann. Trotzdem ist der Fahneneid auch heute noch<br />
ein wichtiger Bestandteil für die Zugehörigkeit zu einem Verband, z.B. der<br />
Fahneneid beim Militär. Die Fahne symbolisiert den Stamm und somit die<br />
Vollkommenheit, den Frieden und die Freude unserer Ahnen xxx . Der Name<br />
Wunjo hängt mit dem deutschen Wort Wonne zusammen, das mit Freude<br />
gleichzusetzen ist.<br />
Wunjo erinnert auch an Wünschen, und Odin ist Erfüller der Wünsche. St.<br />
Nikolaus ist der verchristlichte Überrest dieses Brauchtums.<br />
Die Kraft von Wunjo ist harmonisierend und schafft Frieden. Darauf bezieht sich<br />
Odins Runenlied:<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 62
der runenbrieflehrgang<br />
Ein achtes weiß ich, das allen wäre<br />
Nützlich und nötig:<br />
Wo unter Helden Hader entbrennt,<br />
Da mag ich schnell ihn zu schlichten.<br />
Der in Hader entbrannte Held wird durch die Besinnung auf seine<br />
Stammeszugehörigkeit und die damit verbundene Verantwortung gegenüber der<br />
Gemeinschaft wieder zum Frieden aufgerufen. Im mythologischen Bereich steht<br />
Wunjo für das Goldene Zeitalter. Das war eine Zeit, in der Gold noch kein<br />
Streitthema war und die Götter damit wie kleine Kinder spielten. (Diesem<br />
Goldenen Zeitalter begegnen wir in etlichen Kulturen.)<br />
Wenn wir einmal unseren Seelenweg gefunden haben, treffen wir automatisch auf<br />
Menschen, die sich für die gleichen Dinge interessieren, die eine ähnliche<br />
Lebensphilosophie ihr eigen nennen und mit denen wir ziemlich schnell auf einen<br />
Nenner kommen. Vieles mag unterschiedlich erscheinen, doch im Wesenskern<br />
ähneln sich diese Menschen ungemein. Wollten wir aus dieser Gemeinschaft nun<br />
eine Gruppe bilden, die zusammen einen Stamm repräsentiert, oder einen Clan,<br />
also eine lebendige Gruppe, dann könnten wir Wunjo als harmonisierende und<br />
verbindende Rune einsetzen. Sie vermag unterschiedliche Energien zu<br />
harmonisieren. Dies wird im Falle eines Stammes, oder Clans, besonders wichtig,<br />
wenn es kein "Führer befiehl wir folgen" geben soll, sondern eine lebendige und<br />
für jeden einzelnen Menschen individuelle Art des Seins und Tuns. Eine religiöse<br />
Gemeinschaft, die Menschen mit verschiedenen Ansichten zusammenbringen will,<br />
ohne daß der eine dem anderen den Kopf abhackt, seiner Ansichten wegen,<br />
braucht die Wunjo-Rune in ihrem magischen Konzept. Wenn wir das Zeichen für<br />
Pax Christi anschauen, finden wir ...?... ganz genau, die Wunjo-Rune in<br />
Zusammenspiel mit Hagalaz (oder Gebo). Die Christen haben viel heidnisches<br />
Wissen mit in ihre Religion eingebaut! Wenn wir an den prophetischen Satz:<br />
"Nur Stämme werden überleben" denken, wird uns die Wichtigkeit der Wunjo-<br />
Rune klar.<br />
Kommen wir nun zur magischen Arbeit: Wunjo kann dazu verwendet werden, um<br />
entgegengesetzte runische Kräfte "auf einen Stamm", bzw. unter einen Hut zu<br />
bringen, damit sie gemeinsam auf ein bestimmtes Ziel hinarbeiten können. Gebo<br />
wird als Hilfsmittel benutzt, um Polaritäten auszugleichen und Wunjo, um "innere<br />
Gegensätzlichkeiten" zu harmonisieren. Wie das im Detail auszusehen hat, sehen<br />
wir dann später im Kapitel über die Binderunen.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 63
der runenbrieflehrgang<br />
In Verbindung mit weiteren Runen kann diese Rune auch dazu verwendet<br />
werden, einen Stamm zu unterminieren, ihn zu stürzen.<br />
Wunjo kann benutzt werden, um die Wünsche in Zusammenhang mit dem Weg<br />
des Willens zu verwirklichen. "Jeder ist seines Glückes Schmied" erinnert uns in<br />
diesem Zusammenhang wieder an die oben genannte Interpretation der Rune als<br />
Schmiedehammer. Wunjo verleiht unseren Wünschen Form und die nötige<br />
Harmonie, um sie zu verwirklichen. Nur, wenn ein Wunsch mit etlichen anderen<br />
Ebenen des Seins im Einklang steht, kann er erfüllt werden - diese<br />
Harmonisierung der Ebenen bewirkt Wunjo. xxxi<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 64
der runenbrieflehrgang<br />
RUNENANALOGIEDENKEN<br />
Die Reihenfolge der einzelnen Aettir ist nicht willkürlich, sondern ausgesprochen<br />
sinnvoll, wie wir am Beispiel des ersten Aett und den Bezügen zur Mythologie<br />
sehen konnten. Für die magische Arbeit mit Runen und deren alltäglichen<br />
Gebrauch, ist es nun wichtig, auf allen Ebenen des täglichen Erlebens, das<br />
Runenwissen anzuwenden und die Synonyme der einzelnen Runen, möglichst in<br />
vielen Bereichen, durch analoges Denken herauszufinden. Zum besseren<br />
Verständnis des hier Gesagten, nun einige Beispiele:<br />
DIE BAUERN ANALOGIE<br />
Der Viehbestand (Fehu) begründet den Reichtum des Bauern. Verkauft er eines<br />
seiner Tiere, kann er sich Getreide für die kommende Saat kaufen. Diese Saat<br />
muß in die Erde (Uruz) und den Pflug zieht eine Kuh (Uruz). Nun hofft der Bauer,<br />
daß die Elementarkräfte nicht seine ganze Arbeit zunichte machen werden und<br />
bringt den Riesen (Thurisaz) Opfer dar. Da es unter den Asen einen Gott<br />
(Donar/Thor) gibt, der es mit den Riesen aufnehmen kann, wenn sie trotz des<br />
Opfers nicht friedlich bleiben sollten, wird der Bauer auch den Asen (Ansuz)<br />
Opfer bringen. Seine Erfahrung sagt ihm, daß es bestimmte Zeiten gibt, in denen<br />
er zu säen hat und andere wiederum, welche auch schon seit Generationen<br />
bekannt sind, zu denen er ernten kann, er lebt also im Einklang mit den<br />
Rhythmen der Natur (Raidho). Es gibt da aber auch ein Gestirn am Himmel,<br />
welches besonders stark auf die Ernte einzuwirken vermag, nämlich den Mond<br />
(Kenaz) und nach dem Rhythmus (Raidho) und den Zyklen des Mondes richtet<br />
sich des Bauern Tun. Dieses Tun gründet auf dem Bewußtsein (Kenaz) des Bauern,<br />
um die kosmischen Zusammenhänge. Eines Tages werden ihm die Götter die<br />
Opfer wieder zurückgeben und zwar in Form einer gut eingebrachten Ernte (Gebo)<br />
woraufhin für dieses Jahr die Arbeit des Bauern getan ist und er sich auf einen<br />
gesicherten und zufriedenen Winter freuen (Wunjo) kann in dem er vielleicht mit<br />
seiner Frau ein Kind zeugen wird.<br />
DIE GEBURTS ANALOGIE<br />
Der Bauer legt sich also in einer schönen Winternacht mit seiner Frau in die Nähe<br />
des wärmenden Feuers und sie schlafen miteinander. Der Samen des Mannes<br />
(Fehu) wird, zusammen mit dem der Frau zu einer Form (Uruz) dem zukünftigen<br />
Kind. Die Frau ist plötzlich anders als sonst, kann nicht mehr so gut arbeiten und<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 65
der runenbrieflehrgang<br />
wirkt etwas kränklich; worauf sich der Bauer denkt, das die Elementargewalten<br />
vielleicht daran Schuld sind (Thurisaz). Er wird ihnen wieder Opfer bringen und<br />
genauso versuchen die Asen (Ansuz) für sich zu gewinnen. Der Rhythmus<br />
(Raidho) des Mondes (Kenaz) bringt schließlich nach neun Schwarzmonden das<br />
Kind (Gebo) ans Tageslicht, wobei nochmals Thurisaz auftritt und schließlich das<br />
Erbe und der Erhalt der Familie gesichert ist (Wunjo).<br />
DIE HAUSBAU ANALOGIE<br />
Zunächst müssen wir genügend Geld (Fehu) haben, um der reinen Idee Form<br />
(Uruz) zu verleihen. Wir müssen bei der Planung einen kühlen Kopf bewahren und<br />
dürfen nicht drauflos stürmen (Thurisaz). Von einem Architekten lassen wir einen<br />
Plan erstellen (Ansuz) und können sodann alles weitere organisieren (Raidho),<br />
womit viel Rennerei verbunden ist. Während des Bauens erkennen wir<br />
Schwachstellen und überlegen (Kenaz) uns Lösungen, bis dann eines Tages die<br />
Idee vor uns steht (Gebo) und wir mit unserer Familie (Wunjo) fröhlich darin<br />
wohnen können.<br />
Um in einem Clan, einer Familie oder Gemeinschaft Frieden zu bewahren, trotz<br />
der unterschiedlichen Charaktere der einzelnen Mitglieder, kommt Wunjo zum<br />
Einsatz. Der innere Frieden einer Gruppe und das Wissen um die Gemeinschaft<br />
sind ein wichtiger Bestandteil für den Erhalt derselben.<br />
Versuche so viele Analogien wie möglich zu finden. Runen sind universell und je<br />
mehr Analogien du findest, um so besser wirst Du später mit den Runen<br />
praktisch arbeiten können. xxxii<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 66
der runenbrieflehrgang<br />
Fragen und Aufgaben<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 67
der runenbrieflehrgang<br />
i<br />
Sind Dir auch schon einmal Erdgeister begeg<strong>net</strong>? Wie nimmst Du sie wahr? Welche Erlebnisse<br />
hattest Du mit ihnen? Welche Voraussetzungen erleichtern die Wahrnehmung?<br />
ii<br />
Was machst Du, wenn Du krank bist? Suchst Du Dir auch Deine Kräuter in der Natur, oder gehst<br />
Du lieber in die Apotheke oder zum Arzt? Wie steht es um Dein Wissen um Kräuter? Hast Du<br />
Interesse daran mehr darüber zu erfahren und zu lernen oder hältst Du es für weniger wichtig?<br />
iii<br />
Wie ist Dein Verhältnis zum Christentum?<br />
iv<br />
Kennst Du noch Menschen, die etwas von der ursprünglichen Religion Deiner Heimat wissen, oder<br />
sind Dir schriftliche Überliefrungen bekannt? Könntest Du Dir vorstellen auf die Suche in Deinem<br />
Volk nach der alten Religion zu gehen?<br />
v<br />
Was meint er mit dem Auspruch: „... die Luft sauber machen“?<br />
vi Wie verstehst Du Hexen?<br />
vii Was meint er damit?<br />
viii<br />
Hast Du auch Angst davor, sowetwas zuzugeben, oder ist Dir die Meinung der anderen Menschen<br />
egal?<br />
ix<br />
Wenn Dich das Thema „Kraftlinien“ verstärkt interessiert, besorge Dir Literatur zum Thema<br />
Geomantie. Ein kurzer, aber brauchbarer Einstieg stellt das KULTPLATZBUCH von Gisela Graichen<br />
dar.<br />
x<br />
Warum tun Menschen das? Wie ist es bei Dir damit bestellt?<br />
xi<br />
Vergleiche diese Runenstellung mit der Erdungsübung aus dem ersten Lehrbrief. Welche<br />
Unterschiede nimmst Du wahr? Welche Übung ist Dir lieber?<br />
xii<br />
Was hat sich durch die Begegnung mit Uruz in Deinem Leben verändert? Wie fühlt sie sich an?<br />
Beschreibe Deine Erfahrungen.<br />
xiii<br />
Beantworte diese Fragen ehrlich und ohne die Literatur dazu zu wälzen. Die Auswertung folgt<br />
dann.<br />
xiv<br />
Auswertung:<br />
0-3: Dir steckt der Kopf im Arsch!<br />
4-7:Es ist schwer, auf zwei Plätzen zugleich zu sein, wenn Du in Wirklichkeit nirgends zu Hause bist.<br />
8-12: Ein ganz schön handfester Eindruck der Tatsachen.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 68
der runenbrieflehrgang<br />
13-16: Du bist achtsam.<br />
17-19: Du weißt, wo Du (zu Hause) bist.<br />
23:Du weißt nicht nur wo Du bist, Du weißt auch wo es langgeht.<br />
Wie leicht sind Dir diese Fragen gefallen? Wenn besonders schwer, dann bemühe Dich darum, sie zu<br />
durchschauen, ihren Sinn zu erkennen und in Zukunft beantworten zu können. Sie sind ausgesprochen<br />
wichtig für den weiteren Weg dieser Initiation!<br />
xv<br />
Dieses Runenlied werden wir später genauer durchleuchten. Mache Dir zunächst Deine eigenen<br />
Gedanken dazu und schreibe sie nieder.<br />
xvi<br />
Welche Empfindungen hast Du bei der Beschäftigung mit Thurisaz?<br />
xvii<br />
Wie ist es um Deine Selbsterkenntnis bestellkt? Kennst Du Deine Ängste, Deine Wünsche, Deine<br />
Hoffnungen? Welche Therapieformen hast Du schon kennengelernt?<br />
xviii<br />
Welche Bedeutung kommt in Deinem Leben dem Atem zu? Wozu kann man das atmen<br />
einsetzen?<br />
xix<br />
Versuche es einmal, mit Hilfe von Ansuz Kontakt zur Anderswelt aufzunehmen? Was passiert?<br />
Konntest Du mit den Gottheiten kommunizieren oder mit anderen Wesenheiten?<br />
xx<br />
Beschreibe auch diesmal wieder Deine Erfahrungen durch die Begegnung mit dieser Rune.<br />
xxi<br />
Welche Beziehung hast Du zu Wotan? Kannst Du Dich mit ihm anfreunden, oder gefällt Dir<br />
Thor/Donar besser?<br />
xxii<br />
Was ist nach Deinem Wissen die Aufgabe der Zwerge? Woher kommen die Gartenzwerge, die<br />
sich so zahlreich in deutschen Vorgärten finden? Hast Du schon einmal welche gesehen oder mit<br />
anderen Sinnen wahrgenommen? (Zwerge, nicht Gartenzwerge...)<br />
xxiii<br />
Welche Rituale führst Du täglich durch? Du wirst dabei nicht auf große Feste stoßen, sondern auf<br />
alltägliches! Was bewirken diese Rituale und welchen Nutzen kann man aus ihnen ziehen?<br />
xxiv<br />
Was geschieht, wenn Du einen ganzen Tag intensiv mit dieser Rune im Geist verbringst? Wie<br />
verändert sich dadurch dein Alltag?<br />
xxv<br />
Versuche mit Hilfe von Kenaz Licht in das Dunkel Deiner Tiefen zu bringen. Durchleuchte und<br />
erkenne Dich selbst mit Hilfe dieser Rune und berichte von Deinen Erkenntnissen und Findungen. Du<br />
solltest diese Arbeit während des Urlaubs machen, oder wenn Du für längere Zeit für Dich selbst<br />
leben kannst, ohne mit anderen (fremden) Menschen in Kontakt treten zu müssen. Es wird eine<br />
intensive Zeit und diese verbringt man doch besser in der Stille des Zurückgezogenseins.<br />
xxvi<br />
Was bedeutet das in Bezug auf Dein „Gutes Wünschen“ für Dir nahestehende Menschen?<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 69
der runenbrieflehrgang<br />
xxvii Versuche dies, und berichte über die Effekte.<br />
xxviii Mache Dir darüber Gedanken und schreibe sie nieder.<br />
xxix<br />
Versuche ein Ritual zu improvisieren in dem Du die Kräfte des Elementes Erde anziehst.<br />
Beschreibe anschließend die Wirkung. Was hast Du dabei empfunden, wie ist es Dir später ergangen,<br />
etc.<br />
xxx<br />
Schildere Deine Beziehungen zu „Fahnen“ und ihre Bedeutung. Welche Assozisationen kommen<br />
Dir zu dem Wort „Fahne“ und welche Folgerungen ziehst Du daraus für Dein Leben?<br />
xxxi<br />
Wie empfindest Du die Energie von Wunjo? Wie kannst Du mit ihr arbeiten und verändernd<br />
damit in Dein alltägliches Leben eingreifen?<br />
xxxii<br />
Bilde selbst eine Analogie zu einem von Dir selbst gewählten Thema. Bilde die Analogie so<br />
genau und so deutlich wie es Dir möglich ist. Wende sie später einmal auf Dein eigenes Leben an.<br />
2. BRIEF DES RUNENLEHRGANGS<br />
© by Igor Warneck, 1996 Seite: 70