Der GMD-Spiegel - Media|Arts|Research|Studies
Der GMD-Spiegel - Media|Arts|Research|Studies
Der GMD-Spiegel - Media|Arts|Research|Studies
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Informationen<br />
aus der<br />
wissenschaftlichen<br />
Arbeit der<br />
<strong>GMD</strong> –<br />
Forschungszentrum<br />
Informationstechnik<br />
GmbH<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong><br />
Juni/September 1996 · 2/3-1996<br />
Informationstechnik<br />
in Medizin, Biologie<br />
und Chemie
Titel<br />
Nahezu alle biochemischen<br />
Prozesse in Organismen<br />
basieren auf<br />
dem Prinzip der Anlagerung<br />
zueinander komplementärer<br />
Moleküle,<br />
dem molekularen<br />
Docking. Funktionen,<br />
die sich dieses Prinzip<br />
zunutze machen, reichen<br />
von der Weiterleitung<br />
von Informationen<br />
über die Katalyse nahezu<br />
aller wichtigen Stoffwechselprozesse<br />
bis hin<br />
zur Steuerung der Umsetzung<br />
genetischer Information.Pharmazeutische<br />
Wirkstoffe basieren<br />
in vielen Fällen auf<br />
einem regulatorischen<br />
Eingriff in die komplexenStoffwechselprozesse<br />
im menschlichen<br />
Organismus. Dazu<br />
werden Moleküle entwickelt,<br />
die sehr gut an<br />
speziellen, am Stoffwechselprozeßbeteiligten<br />
Proteinen binden.<br />
Ziel der Aktivitäten ist<br />
die Entwicklung effizienter<br />
Algorithmen und<br />
Datenstrukturen zur<br />
Vorhersage von Wechselwirkungen<br />
zwischen<br />
Rezeptoren und potentiellen<br />
Wirkstoffen<br />
mit dem Computer. „Informationstechnik<br />
in<br />
Medizin, Biologie und<br />
Chemie“ – mit diesem<br />
Schwerpunktthema gibt<br />
der <strong>GMD</strong>-SPIEGEL einen<br />
Überblick über aktuelle<br />
Forschungsarbeiten der<br />
<strong>GMD</strong>-Institute.<br />
G M D<br />
DER <strong>GMD</strong>-SPIEGEL<br />
Informationen aus<br />
der wissenschaftlichen<br />
Arbeit der <strong>GMD</strong> –<br />
Forschungszentrum<br />
Informationstechnik<br />
GmbH<br />
ISSN 0724-4339<br />
Schloß Birlinghoven<br />
53754 Sankt Augustin<br />
Telefon: (0 22 41) 14-0<br />
Erscheint vierteljährlich<br />
26. Jahrgang<br />
Herausgeber:<br />
<strong>GMD</strong> – ForschungszentrumInformationstechnik<br />
GmbH<br />
Redaktion:<br />
Dr. Siegfried Münch<br />
Die <strong>GMD</strong> ist Mitglied der<br />
Hermann von Helmholtz-<br />
Gemeinschaft Deutscher<br />
Forschungszentren<br />
(HGF).<br />
Hinweis gemäß Bundesdatenschutzgesetz:<br />
Die Postbezieher des<br />
<strong>GMD</strong>-SPIEGELS sind<br />
in einer Adreßdatei<br />
gespeichert, die mit<br />
Hilfe der automatisierten<br />
Datenverarbeitung<br />
geführt wird.<br />
Grafische Gestaltung:<br />
Kuhn, Kammann & Kuhn<br />
GmbH, Köln<br />
Fotos und<br />
Illustrationen:<br />
Gunnar Collier, Köln;<br />
Michael Ponciaono,<br />
Sankt Augustin;<br />
Kunibert Söntgerath,<br />
Sankt Augustin.<br />
Satz: Zerres-Satz GmbH,<br />
Leverkusen<br />
Druck: Paul Zimnoch +<br />
Söhne GmbH,<br />
Alfter-Impekoven<br />
Gedruckt auf Recyclingpapier,<br />
chlorfrei aufbereitet.<br />
Nachdruck nur mit<br />
vollständiger Quellenangabe<br />
und nach<br />
vorheriger Abstimmung<br />
mit der <strong>GMD</strong>;<br />
Belege erbeten.<br />
2 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Spezialdisziplinen<br />
der Informatik<br />
Methoden der Informatik und der<br />
Mathematik durchdringen immer<br />
mehr auch Disziplinen, für die traditionell<br />
eine eher experimentelle Arbeitsweise<br />
kennzeichnend ist. Biologie,<br />
Chemie und Medizin sind dafür<br />
Beispiele, die wir für dieses Heft, wie<br />
auch für den <strong>GMD</strong>-Schloßtag 1996, zu<br />
dem es erscheint, als Themenschwerpunkt<br />
ausgewählt haben.<br />
Es bilden sich in diesen und anderen<br />
Bereichen Spezialdisziplinen der Informatik<br />
aus, die häufig als Bindestrichinformatiken<br />
bezeichnet werden.<br />
Dabei geht es nicht nur um eine<br />
informatische oder informationstechnische<br />
Unterstützung. Die Informatik<br />
wie auch die angewandte Mathematik<br />
bringen eine eigene Methodik und<br />
Denkweise ein, die es erlauben, aufgrund<br />
von Abstraktion, Modellierung<br />
und Simulation der realen Vorgänge<br />
Komplexität zu beherrschen. Im Ergebnis<br />
kann dies zu substantiellen Erkenntnisgewinnen<br />
in den Anwendungsbereichen<br />
führen, insbesondere<br />
da, wo Experimente zu umfangreich,<br />
zu teuer oder einfach nicht möglich<br />
sind.<br />
Ein Beispiel ist die Bioinformatik, die<br />
Kombination von Informationstechnik<br />
und moderner Biotechnologie.<br />
Die Verfügbarkeit umfangreicher Genomdaten<br />
wird nach Einschätzung der<br />
Experten die Biotechnologie revolutionieren,<br />
aber die immense Datenflut<br />
verlangt nach neuen informationstechnischen<br />
Konzepten. Schon heute<br />
besteht auch ein starkes industrielles<br />
Interesse an dieser interdisziplinären<br />
Kombination. Drug Design ist das<br />
Stichwort, der Entwurf neuer Medikamente<br />
im Computer das visionäre<br />
Ziel. Gefragt sind effiziente Simulationsalgorithmen,<br />
statistische Verfahren<br />
zur Datenanalyse, Datenhaltungsund<br />
Prüfmethoden und grafische Methoden<br />
zur Visualisierung der Daten.<br />
Die Arbeiten über das Protein-Ligand-<br />
Docking, über die wir schon in der<br />
letzten Ausgabe des <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong>s<br />
berichtet haben und die auch hier wieder<br />
mit aktuellen Ergebnissen vertre-<br />
E D I T O R I A L<br />
ten sind, sind Beispiel für ein erfolgreiches<br />
Zusammenwirken von Chemikern,<br />
Biologen und Informatikern. Sie<br />
werden im Rahmen der Förderinitiative<br />
„Molekulare Bioinformatik“ des<br />
Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft,<br />
Forschung und Technologie<br />
durchgeführt, die entscheidend dazu<br />
beigetragen hat, die Bioinformatik als<br />
interdisziplinäres Gebiet national zu<br />
etablieren und international zu profilieren.<br />
Informatikmethoden und Algorithmen,<br />
wie sie für Anwendungen in der<br />
biochemisch orientierten Molekularbiologie<br />
entwickelt werden, bieten<br />
aber noch weitere Anwendungsfelder.<br />
Sie lassen sich sehr ähnlich in der molekularen<br />
Analyse von kristallinen<br />
oder auch amorphen Materialien einsetzen,<br />
was zum Beispiel bei der Erforschung<br />
neuer Werkstoffe wie Keramiken,<br />
Gläser oder magnetischen<br />
Materialien von Bedeutung ist.<br />
In der Medizin, in Forschung und<br />
Praxis, ist Informationstechnik heute<br />
schon nicht mehr wegzudenken. Die<br />
elektronische Patientenkarte, auch<br />
wenn sie noch nicht viele Daten trägt,<br />
ist ein für jeden sichtbares Zeichen.<br />
Auch moderne Diagnosegeräte nutzen<br />
heute schon systematisch Computertechnik<br />
und informatische Methoden.<br />
Ein wichtiges Anwendungsfeld<br />
sind bildgebende Verfahren, zum<br />
Beispiel in der Computertomographie<br />
oder in der Ultraschalldiagnostik, die<br />
helfen, das Unanschauliche anschaulich<br />
zu machen. Grafische und animationstechnische<br />
Verfahren unterstützen<br />
den Arzt bei der Bewertung der<br />
umfangreichen Bildinformationen. Sie<br />
heben die für eine Diagnose relevanten<br />
Details heraus, visualisieren sie<br />
und reichern sie mit multimedialen<br />
Unterstützungen an, ohne natürlich<br />
die Originaldaten unzulässig zu verfälschen.<br />
Solche Methoden sind für die<br />
Praxis wichtig, aber ebenso für die<br />
Aus- und Fortbildung von Medizinern.<br />
In der „Telemedizin“ verhilft die Informationstechnik<br />
im Verbund mit<br />
der Kommunikationstechnik dazu,<br />
den Austausch und die Zusammenarbeit<br />
unter Medizinern zu verbessern.<br />
Kommunikation und Kooperation in<br />
Prof. Dr. Dennis Tsichritzis<br />
verteilten Systemen unter Beachtung<br />
der in diesem Bereich besonderen<br />
Sicherheitsanforderungen möglich zu<br />
machen, ist die Aufgabe, die Informationstechnik<br />
hier leisten muß. Mit<br />
ihren Arbeiten über computerunterstützte<br />
Gruppenarbeit, über Sicherheitskonzepte<br />
in offenen Netzen oder<br />
über intelligente Chipkarten verfügt<br />
die <strong>GMD</strong> auch in diesem zukunftsträchtigen<br />
Gebiet über Erfahrung und<br />
Know-how.<br />
Anwendungen der Informationstechnik<br />
in Biologie, Chemie oder Medizin<br />
wären nicht möglich ohne eine enge<br />
Zusammenarbeit mit Biologen, Chemikern<br />
und Medizinern. Interdisziplinarität<br />
ist hier nicht Lippenbekenntnis,<br />
sondern ein Muß. Daß dabei<br />
immer wieder Barrieren in der Arbeitsweise,<br />
in der Terminologie, im<br />
Denken zu überwinden sind und daß<br />
dies im Einzelfall auch schwierig ist,<br />
muß konstatiert werden. An den<br />
Grenzen zwischen den Disziplinen besteht<br />
aber am ehesten die Chance zu<br />
echter Innovation. Wir sind dankbar,<br />
in unseren Projekten Partner zu haben,<br />
die sich mit uns auf den mühsamen,<br />
aber vielversprechenden interdisziplinären<br />
Weg gemacht haben.<br />
Dennis Tsichritzis<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 3
I N H A L T<br />
Modellierung von Proteinstrukturen<br />
Die Berechnung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen aus<br />
der Kenntnis der Proteinsequenz und weiterer aus Experimenten<br />
gewonnener Informationen ist eine der zentralen Herausforderungen<br />
der Molekularen Bioinformatik. Das für die Entwicklung<br />
von biologischen Wirkstoffen, aber auch für den wissenschaftlichen<br />
Fortschritt in Medizin und Biochemie wesentliche Verständnis<br />
der Funktion der entsprechenden Proteine kann nur auf der<br />
Basis der Kenntnis ihrer räumlichen Struktur gewonnen werden.<br />
Seite 14<br />
Berechnung von molekularen Strukturen<br />
Ein Schlüssel für die Eigenschaften vieler Materialien und Wirkstoffe<br />
liegt in ihrer molekularen Struktur. Die Kenntnis der Molekülstruktur<br />
ist ein wichtiges Element bei der Entschlüsselung<br />
der Eigenschaften von Werk- und Wirkstoffen, sie unterstützt die<br />
zielgerichtete Suche nach neuartigen Substanzen.<br />
Seite 18<br />
SCENE – Bilder in der Medizin<br />
Bilder aus dem menschlichen Körper spielen eine immer größere<br />
Rolle in der Medizin. Seit der Erfindung der Röntgenstrahlen fasziniert<br />
die Idee, in den Menschen hineinblicken zu können. <strong>Der</strong><br />
Projektbereich SCENE des <strong>GMD</strong>-Instituts für Angewandte Informationstechnik<br />
entwickelt Ansätze, wie die Informationstechnik<br />
den Mediziner unterstützen kann. Eine Schlüsseltechnik dafür<br />
nennt sich erweiterte Realität, die Integration zwischen dem technischen<br />
Abbild der Wirklichkeit und einer korrespondierenden<br />
Modellvorstellung.<br />
Seite 22<br />
CardiAssist: Unterstützung der kardiologischen Diagnose<br />
Telekonsultation ermöglicht Ärzten, eine Diagnose mit einem<br />
räumlich entfernten Kollegen zu besprechen, ohne den Patienten<br />
zu einer erneuten Untersuchung dorthin zu schicken. Das im Telematik-Programm<br />
der Europäischen Union geförderte Projekt<br />
CardiAssist hat die Entwicklung eines Telekonsultationsverfahrens<br />
für die Kardiologie zum Ziel.<br />
Seite 25<br />
Trainingsumgebungen in der Echokardiographie<br />
Das Problemfeld „medizinische Ausbildung“ ist geprägt durch die<br />
Diskrepanz einer theoretisch vorklinischen und einer praxisorientiert<br />
klinischen Ausbildungsphase. Die Lerninhalte sind im Sinne<br />
des Aufbaus reflektierter Erfahrungen nahezu unverbunden. Die<br />
Informatik kann hier einen spezifischen Beitrag zur Verbesserung<br />
der Situation leisten. Veranschaulichungstechniken, wie interaktive<br />
Multimedia und Virtuelle Realität, sind geeignet, theoretische<br />
und praktische Elemente medizinischer Expertise fallbezogen erfahrbar<br />
zu machen.<br />
Seite 31<br />
Multimediale Tutorsysteme in Medizin und Pharmakologie<br />
Im Auftrag der Hoechst Marion Roussel Pharma AG entwickelte<br />
die <strong>GMD</strong>-Spin-Off-Firma ENTEC in Zusammenarbeit mit dem<br />
<strong>GMD</strong>-Institut für Angewandte Informationstechnik ein multimediales<br />
3D-Enabling-System zur Vermittlung komplexer medizinischer<br />
und pharmakologischer Zusammenhänge im Herz-Kreislauf-System.<br />
Seite 34<br />
4 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Editorial<br />
Nachrichten<br />
Titel<br />
Modellierung von<br />
Proteinstrukturen 14<br />
Berechnung von kristallinen<br />
und amorphen molekularen<br />
Strukturen 18<br />
SCENE – Bilder in der Medizin 22<br />
CardiAssist: Unterstützung<br />
der kardiologischen Diagnose<br />
und Telekommunikation<br />
durch Enablingsysteme und<br />
3D Ultraschall 25<br />
Szenische Enablingsysteme –<br />
Trainingsumgebungen in<br />
der Echokardiographie 31<br />
Multimediale Tutorsysteme mit<br />
3D-Grafik und Animation in<br />
Medizin und Pharmakologie 34<br />
Neue Wege zur Unterstützung von<br />
Diagnoseprozessen durch den<br />
Einsatz multimedialer Techniken 37<br />
<strong>Der</strong> Behandlungsraum<br />
der Zukunft 40<br />
Virtual Eye –<br />
Simulation physiologischer Optik<br />
im menschlichen Auge 44<br />
Adaptive Systemgestaltung für<br />
behinderte Computerbenutzer<br />
mit Spezialanforderungen 48<br />
Ozonvorhersage als<br />
Fernsehpräsentation 50<br />
Szenariorechnungen mit einem<br />
parallelisierten Programm 51<br />
Forschung<br />
CaTS – Bildbasierte Kameraführung<br />
im Virtuellen Studio 54<br />
Sicherheit in Multimedia<br />
Electronic Mail 57<br />
Personalien<br />
3<br />
6<br />
61<br />
I N H A L T<br />
Neue Wege zur Unterstützung von Diagnoseprozessen<br />
Unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten von Multimedia-Technologien<br />
in der medizinischen Diagnostik und in Diagnose-Lernsystemen<br />
wurden in den <strong>GMD</strong>-Projekten Cyto und Alois erarbeitet.<br />
Gemeinsam ist beiden Projekten die interdisziplinäre Anwendung<br />
kognitionspsychologischer Erkenntnisse auf medizinische Problemstellungen.<br />
Seite 37<br />
<strong>Der</strong> Behandlungsraum der Zukunft<br />
Informations- und Kommunikationstechniken werden in den kommenden<br />
Jahren auch in der Medizin deutliche Veränderungen hervorrufen.<br />
Im Gegensatz zur bisherigen Entwicklung betrifft das<br />
nicht nur die sogenannte Hochleistungsmedizin, sondern immer<br />
mehr jede Patientenbehandlung. Die Herausforderung in dieser<br />
Situation besteht darin, die Technologie nicht in den Mittelpunkt zu<br />
rücken, sondern dem Nutzen von Patienten und Ärzten unterzuordnen.<br />
Das Konzept eines Befähigungssystems wird dazu beitragen,<br />
den Mediziner bei einer Reihe von Tätigkeiten zu unterstützen.<br />
Seite 40<br />
Virtual Eye – Simulation physiologischer Optik<br />
Die Visualisierung der optischen Vorgänge im menschlichen Auge<br />
wird durch ein neues Verfahren möglich, das vom <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Medienkommunikation gemeinsam mit dem Laserforum Köln<br />
GmbH entwickelt wurde. Modelle aus der physikalischen Optik in<br />
Verbindung mit Verfahren und Algorithmen aus der Computergrafik<br />
werden für die Rekonstruktion eines Augenmodells benutzt.<br />
Seite 44<br />
Adaptive Systemgestaltung für behinderte Computerbenutzer<br />
Eine wichtige Zielgruppe von Computerbenutzern mit Spezialanforderungen<br />
sind ältere und behinderte Menschen. Für diese Bevölkerungsgruppe<br />
eröffnet die Anpaßbarkeit computergestützter<br />
<strong>Der</strong> Louvre<br />
Informations- und Kommunikationssysteme vielfältige Möglich-<br />
keiten für ein selbstbestimmtes Leben.<br />
Seite 48<br />
Ozonvorhersage als Fernsehpräsentation<br />
Im Rahmen der Vorbereitung einer Ozonvorhersage für einen<br />
Berliner Lokalsender zeigt ein Videofilm die Ozonverteilung über<br />
der Stadt und dem Umland für den nächsten Tag. Die Berechnung<br />
und eine Aussage über die zu erwartenden Ozonkonzentrationen<br />
ermöglicht das im <strong>GMD</strong>-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik<br />
erarbeitete Projekt DYMOS (Dynamische Modelle<br />
für die Smoganalyse).<br />
Seite 50<br />
Szenariorechnungen mit einem parallelisierten Programm<br />
Das EMEP-Modell (European Monitoring and Evaluation Programme)<br />
des Norwegischen Meteorologischen Instituts in Oslo<br />
zur Berechnung der grenzüberschreitenden Schadstoffbelastung<br />
in Europa wurde im Rahmen des DYMOS-Projekts (Dynamische<br />
Modelle für die Smoganalyse) im <strong>GMD</strong>-Institut für Rechnerarchitektur<br />
und Softwaretechnik in Berlin parallelisiert. Dadurch<br />
wurde es möglich, umfangreiche Szenariorechnungen für die Entwicklung<br />
eines Integrated Assessment Model’s für Ozon im International<br />
Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg bei<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 5
<strong>GMD</strong> und New<br />
York University<br />
weihen neue<br />
Infobahn ein<br />
Das Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches<br />
Rechnen der <strong>GMD</strong> in<br />
Sankt Augustin ist erster Nutzer eines<br />
neuen, transatlantischen Hochgeschwindigkeitsnetzes<br />
auf ATM-Basis<br />
(Asynchronous Transfer Mode) zwischen<br />
Deutschland und Nordamerika.<br />
Das ATM-Netz mit einer Bandbreite<br />
von bis zu 155 Megabit pro Sekunde<br />
wird im Rahmen des MAY-Projekts<br />
(Multimedia Applications on Intercontinental<br />
Highways) aus dem Forschungs-<br />
und Entwicklungs-Programm<br />
der DeTeBerkom GmbH betrieben.<br />
Partner der DeTeBerkom – einer<br />
Tochtergesellschaft von Deutsche Telekom<br />
AG – im MAY-Projekt und beteiligt<br />
an der Realisierung dieses Netzes<br />
sind GlobalOne, Sprint, Teleglobe<br />
und Deutsche Telekom AG. Unter<br />
Federführung der Forschungsgruppe<br />
„High Speed Networking“ des <strong>GMD</strong>-<br />
Instituts für Medienkommunikation<br />
ist das Institut für Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches Rechnen an das<br />
ATM-Netz der Deutschen Telekom<br />
angeschlossen und erreicht über Sylt<br />
und Montreal die New York University.<br />
In einer Kooperation zwischen dem<br />
<strong>GMD</strong>-Institut für Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches Rechnen und dem<br />
Courant Institut of Mathematical<br />
Sciences der New York University<br />
werden innovative Teleanwendungen<br />
erprobt. Neben mehrstündigen stabilen<br />
Videokonferenzen gab es bereits<br />
erste erfolgreiche Experimente zum<br />
,Telecomputing‘: Umfassende aerodynamische<br />
Berechnungen auf einem<br />
Hochleistungscomputer der <strong>GMD</strong><br />
wurden von New York aus interaktiv<br />
gesteuert und dort visualisiert.<br />
N A C H R I C H T E N<br />
Im nächsten Schritt, beim ,Metacomputing‘,<br />
werden über das Hochgeschwindigkeitsnetz<br />
gekoppelte Computer<br />
in Sankt Augustin und New<br />
York gemeinsam an der Lösung rechenintensiver<br />
Anwendungsprobleme<br />
arbeiten. ,Teleteaching‘ soll erlauben,<br />
an einer jenseits des Atlantik stattfindenden<br />
Vortragsveranstaltung in interaktiver<br />
Weise teilzunehmen.<br />
Das neue Hochgeschwindigkeitsnetz<br />
wird künftig auch das ,Telemanagement‘<br />
durch Institutsleiter Prof. Dr.<br />
Ulrich Trottenberg erleichtern. Trottenberg<br />
hält sich zur Zeit im Rahmen<br />
eines Forschungsvorhabens für ein<br />
Jahr am New Yorker Courant Institut<br />
auf und leitet von dort aus das <strong>GMD</strong>-<br />
Institut.<br />
Die Rückenschule<br />
– maßgeschneiderte<br />
Informationen für<br />
den Benutzer<br />
Wie sich Computersysteme an die individuellen<br />
Bedürfnisse verschiedener<br />
Benutzer anpassen können, ist eine<br />
Fragestellung, die Mitarbeiter der AbteilungMensch-Maschine-Kommunikation<br />
des <strong>GMD</strong>-Institutes für Angewandte<br />
Informationstechnik beschäftigt.<br />
Ein Beispiel für ein solches adaptives<br />
System ist die Rückenschule, ein<br />
experimentelles System, das Anpassungen<br />
gemäß des vermutlichen Wissensstandes<br />
eines Benutzers automatisch<br />
vornimmt.<br />
In der Rückenschule werden Informationen<br />
zu Rückenbeschwerden, zur<br />
Haltung und Rückengymnastik sowie<br />
zur Anatomie des Rückens dem Benutzer<br />
in Form eines Hypertextes angeboten.<br />
Auf die einzelnen Hypertextseiten<br />
kann direkt über ein grafisches<br />
Inhaltsverzeichnis oder durch<br />
das Verfolgen von Querverweisen<br />
über sogenannte Hyperlinks zugegriffen<br />
werden.<br />
Innerhalb einer Hypertextseite können<br />
zu wichtigen dort verwendeten<br />
Begriffen zusätzliche Informationen<br />
ein- beziehungsweise ausgeblendet<br />
werden, namentlich eine Erklärung,<br />
eine Grafik, eine Definition im Glossar,<br />
der entsprechende Fachterminus<br />
oder zusätzliche Details. Dies kann<br />
dabei entweder durch den Benutzer<br />
selbst geschehen oder automatisch<br />
durch das System.<br />
Bei letzterem ist es notwendig, daß<br />
das System Annahmen über den Wissensstand<br />
des gegenwärtigen Benutzers<br />
bildet und diese in einem Benutzermodell<br />
speichert. Diese Annahmen<br />
basieren in der Rückenschule auf einem<br />
Eingangsinterview und einigen<br />
Aktionen, die der Benutzer im Hypertext<br />
durchführen kann. Eine Benutzermodellierungskomponentespeichert<br />
diese Annahmen, bildet weitere<br />
durch geeignete Schlußfolgerungsmechanismen<br />
und gibt dem Hypertextsystem<br />
Auskunft hinsichtlich der gegenwärtigen<br />
Annahmen. Entsprechend<br />
der gebildeten Annahmen werden<br />
dann die Hypertextseiten an den jeweiligen<br />
Benutzer angepaßt.<br />
Für eine umfangreichere Evaluation<br />
und einen breiten Einsatz, der sich im<br />
Bereich der präventiven Medizin und<br />
der Verhütung beruflich bedingter<br />
Beschwerden unmittelbar anbietet,<br />
muß die vorhandene experimentelle<br />
Rückenschule weiter ausgebaut werden.<br />
Externe Partner haben die Möglichkeit,<br />
an dieser Aufgabe mitzuwirken.<br />
Ein System, welches neben dem Wissensstand<br />
auch noch die Interessen<br />
und Präferenzen von Benutzern<br />
berücksichtigen soll, wird derzeit<br />
innerhalb des Projektes AVANTI<br />
(AdaptiVe and Adaptable INteractions<br />
for Multimedia Telecommunications<br />
ApplIcations) entwickelt und in<br />
mehreren europäischen Feldtests erprobt.<br />
Hierüber wurde bereits in der<br />
Ausgabe 1/96 des <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong>s,<br />
Seite 6, berichtet.<br />
6 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Paralleles<br />
Rechnen stärkt<br />
die Industrie<br />
Wie können neue Branchen und neue<br />
Anwendungsfelder für das parallele<br />
Rechnen erschlossen werden, und wie<br />
sind insbesondere kleine und mittelständische<br />
Unternehmen zu erreichen?<br />
Antworten auf diese Fragen<br />
suchten Experten in einem Workshop<br />
zu finden, der am 21. Mai 1996 vom<br />
<strong>GMD</strong>-Institut für Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches Rechnen und dem<br />
Institut für Paralleles und Verteiltes<br />
Rechnen der Universität Stuttgart in<br />
der <strong>GMD</strong>-Birlinghoven durchgeführt<br />
wurde.<br />
Anlaß für die Tagung war die im März<br />
1996 von der Europäischen Kommission<br />
gestartete Initiative ,HPCN<br />
(High Performance Computing and<br />
Networking) at large‘. Die Veranstaltung<br />
hatte zum Ziel, das parallele und<br />
verteilte Rechnen in der Industrie<br />
besser zu fördern.<br />
Durch HPCN werden Rechenkapazitäten<br />
bereitgestellt, die helfen, Entwicklungszyklen<br />
zu verkürzen, Kosten<br />
zu sparen, Qualität zu verbessern,<br />
neue Aufgabenstellungen zu bearbeiten<br />
und damit Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit<br />
zu steigern.<br />
Die Initiative ,HPCN at large‘ der Europäischen<br />
Kommission kann als<br />
Nachfolgeaktivität zu dem kürzlich<br />
abgeschlossenen Projekt EURO-<br />
PORT gewertet werden. Inhalt dieses<br />
mit 17 Millionen Ecu von der Europäischen<br />
Kommission geförderten<br />
Projekts war die Portierung von 38<br />
wichtigen kommerziellen Codes aus<br />
verschiedenen Anwendungsbereichen<br />
auf parallele Plattformen. Das Management<br />
von EUROPORT-1, in dem<br />
14 Programme aus der Strömungsund<br />
Strukturmechanik parallelisiert<br />
worden waren, lag beim <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches Rechnen. In EU-<br />
ROPORT arbeiteten mehr als 120<br />
Partner aus ganz Europa zusammen,<br />
darunter industrielle Anwender und<br />
Nutzer wie zum Beispiel Audi, BMW,<br />
Fiat, Ford, Mercedes Benz, Saab,<br />
N A C H R I C H T E N<br />
Paralleles und verteiltes Rechnen in der Industrie: mehr als<br />
130 Experten diskutieren im Großen Saal von Schloß Birlinghoven.<br />
ABB (Asea Brown Boveri), Rolls-<br />
Royce, Aerospatiale, British Airspace,<br />
EDF (Electricité de France), Bayer,<br />
Merck, Solvay und Philips. Das<br />
Vorhaben wird als erster großer<br />
Durchbruch für die industrielle Nutzung<br />
der Parallelrechner-Technologie<br />
betrachtet.<br />
,HPCN at large‘ soll nun auch verstärkt<br />
Branchen jenseits der klassischen<br />
Anwendungsfelder und insbesondere<br />
auch kleine Betriebe und die<br />
mittelständische Industrie erfassen.<br />
,HPCN at large‘ rangiert von skalierbaren<br />
Anwendungen auf kleinen Netzen<br />
von Workstations oder Personal<br />
Computern über parallele Hochleistungsrechner<br />
bis hin zu großen verteilten<br />
Systemen (Metacomputing)<br />
und geht damit über das traditionelle<br />
Höchstleistungsrechnen hinaus.<br />
Im ersten Teil der Veranstaltung<br />
wurde von fünf Vortragenden ein<br />
Überblick über den aktuellen Stand<br />
des parallelen und verteilten Rechnens<br />
in der Industrie vermittelt. Projekte<br />
zu den zentralen HPCN-Themen<br />
Simulation und Design, vernetzte<br />
Multi-Standort-Anwendungen, eingebettete<br />
Systeme, Informationsmanagement<br />
und Entscheidungsunterstützung<br />
wurden vorgestellt, und die Frage<br />
nach der gegenwärtigen industriellen<br />
Einsetzbarkeit der neuen Technologie<br />
wurde behandelt.<br />
Am Nachmittag gab Max Lemke von<br />
der Europäischen Kommission einen<br />
Überblick über das Förderprogramm<br />
der Kommission für HPCN-Einsteiger<br />
und Technologietransfer. Sogenannte<br />
Vorbereitungs-, Unterstützungs- und<br />
Transferaktivitäten umfassen unter<br />
anderem Sensibilisierungskampagnen,Einzelstudien,<br />
den Transfer<br />
optimaler<br />
Ver- fahren und<br />
Felderprobungen.<br />
Dabei sollen<br />
die tatsächlichen<br />
Erfordernisse<br />
von Anwendern<br />
aus der Industrie<br />
behandelt werden.<br />
Zur Hilfestellung<br />
wird ein<br />
europäisches Netz von Technologietransferknoten<br />
aufge-baut.<br />
Die Veranstaltung schloß mit einer<br />
Stunde Feedback aus dem Publikum<br />
und lebhafter Diskussion. Insbesondere<br />
wurden Vorteile, Kosten und Möglichkeiten<br />
eines effizienten Einstiegs<br />
ins HPCN erörtert. Obwohl der eine<br />
oder andere ,HPCN-Neuling‘ noch<br />
Zweifel hinsichtlich Reife und praktischer<br />
Einsetzbarkeit der neuen Technologie<br />
anmeldete, zeigten sich viele<br />
Teilnehmer an einem konkreten Einstieg<br />
interessiert.<br />
Die Veranstaltung machte deutlich,<br />
daß die Zeit reif für eine breitflächigere<br />
industrielle Nutzung des HPCN<br />
ist. Dies wurde schon durch das überraschend<br />
große Interesse an dem nationalen<br />
Treffen deutlich: Mehr als<br />
130 Teilnehmer kamen aus ganz<br />
Deutschland, davon etwa die Hälfte<br />
aus der Industrie. Viele kleine und<br />
mittelständische Unternehmen aus<br />
vielen verschiedenen Branchen waren<br />
vertreten, darunter Automobil- und<br />
Chemische Industrie, Robotics, Fuzzy<br />
Logik, Qualitätsmanagement, Mikroelektronik,<br />
Meteorologie und Umwelt,<br />
Energie, Biocomputing, Medizin,<br />
Metallindustrie, Elektrotechnik,<br />
Maschinenbau, Softwarebranche und<br />
Computertechnik.<br />
HPCN in seiner vollen Breite wird<br />
erst durch die neuen Hochgeschwindigkeitsnetze<br />
möglich. Eine spezielle<br />
Anwendung wurde implizit während<br />
der Veranstaltung demonstriert: <strong>Der</strong><br />
Workshop wurde live über eine Breitbandleitung<br />
von der <strong>GMD</strong> an die<br />
Universität Karlsruhe übertragen.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 7
IDMS ’96 –<br />
interaktive<br />
multimediale<br />
Anwendungen<br />
im Blickpunkt<br />
Video-on-Demand, News-on-Demand,<br />
Tele-shopping oder auch Tele-education<br />
werden in Zukunft nicht nur die<br />
Arbeitswelt verändern, sondern auch<br />
das Verhalten privater Anwender beeinflussen.<br />
Um die Präsentation und<br />
die Analyse aktueller Entwicklungen<br />
bei interaktiven, verteilten Multimedia-Systemen<br />
und Multimedia-Diensten<br />
im Geschäfts- und Unterhaltungsbereich<br />
ging es auf dem „European<br />
Workshop on Interactive Distributed<br />
Multimedia Systems and<br />
Services“ (IDMS ’96), der vom 4. bis<br />
6. März 1996 im Japanisch-Deutschen<br />
Zentrum in Berlin stattfand.<br />
Veranstalter dieser internationalen<br />
Tagung waren die Fachgruppe „Kommunikation<br />
und Verteilte Systeme“<br />
(KuVS) der Gesellschaft für Informatik<br />
e.V. (GI) und der Informationstechnischen<br />
Gesellschaft im VDE<br />
(ITG) gemeinsam mit dem <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Offene Kommunikationssysteme.<br />
Eine wesentliche Unterstützung<br />
erfuhr der Workshop durch die<br />
DeTeBerkom GmbH, durch das European<br />
Research Consortium for Informatics<br />
and Mathematics (ERCIM)<br />
und durch die Siemens AG. Für die<br />
Tagungsleitung waren Berthold Butscher<br />
(<strong>GMD</strong>-Institut für Offene Kommunikationssysteme<br />
und Sprecher der<br />
Fachgruppe KuVS) und Eckhard<br />
Moeller (<strong>GMD</strong>) verantwortlich. Die<br />
lokale Organisation lag bei Herwart<br />
Pusch (<strong>GMD</strong>).<br />
Die 126 Teilnehmer des Workshops<br />
aus den Arbeitsbereichen Forschung,<br />
Entwicklung und Anwendung stammten<br />
aus zwölf europäischen Ländern,<br />
darüber hinaus auch aus Australien,<br />
Kanada, Korea, Japan und den USA.<br />
<strong>Der</strong> thematische Schwerpunkt einer<br />
Reihe eingeladener Vorträge und 20<br />
der zuvor begutachteten Beiträge lag<br />
auf den Gebieten: Multimedia-Dienste<br />
„auf Abruf“, Multimedia Confer-<br />
N A C H R I C H T E N<br />
Das mit der Organisation von IDMS’96 betraute Team des<br />
<strong>GMD</strong>-Instituts für Offene Kommunikationssysteme nach erfolgreicher<br />
Durchführung des Workshops: Berthold Butscher,<br />
Eckhard Moeller, Christine Passon, Silke Cords, Barbara<br />
Intelmann, Steffen Konegen, Herwart Pusch, Jan Grotelüschen<br />
(von rechts nach links).<br />
encing, Multimedia Networking und<br />
Transport, kontinuierliche Medien sowie<br />
Unterstützung bei der Entwicklung<br />
von verteilten Multimedia-Anwendungen.<br />
<strong>Der</strong> Bereich der kontinuierlichen Medien<br />
war am stärksten vertreten. Hier<br />
wurden Arbeiten zu folgenden Themen<br />
vorgestellt: Scheduling-Mechanismen<br />
in Multimedia-Systemen,<br />
Kontrolle von Videoströmen für Video-on-Demand-Dienste,Synchronisation<br />
kontinuierlicher Ströme sowie<br />
adaptive Filter für Audio- und Videoströme<br />
in Mehrpunktverbindungen<br />
zur Überbrückung heterogener Netze<br />
und Endsysteme. Andere Beiträge befaßten<br />
sich mit Systemarchitekturen<br />
und Standardisierung zur Unterstützung<br />
interaktiver multimedialer Anwendungen,<br />
Erweiterungen von Multimedia-Diensten<br />
im Internet zur Unterstützung<br />
von Mobilität, Auswahl<br />
von Informationen in Radio- und<br />
Fernsehsendungen über Spracherkennung.<br />
Den Auftakt an jedem der drei<br />
Workshoptage bildete ein Vortrag eines<br />
eingeladenen Sprechers: David<br />
Greaves, der Andy Hopper von Olivetti<br />
Research und der Cambridge<br />
University vertrat, ging in seinem Beitrag<br />
„The Network Computer – Fact<br />
or Fiction“ auf die Möglichkeit ein,<br />
Input/Output-Geräte über eine einheitliche<br />
Interface-Karte direkt an ein<br />
ATM-Netz (Asynchronous Transfer<br />
Mode) anzuschließen – statt an den<br />
Personal Computer/Workstation Bus –,<br />
um damit eine optimale Umgebung<br />
für Multimedia-Anwendungen<br />
einschließlich<br />
Mobilität und personenbezogenerKommunikation<br />
zu schaffen.<br />
Christian Huitema (Institut<br />
National de Recherche<br />
en Informatique<br />
et en Automatique)<br />
bot in seinem<br />
Vortrag „Realtime Multimedia<br />
over the Internet“<br />
einen Überblick<br />
über bestehende und<br />
zukünftige Möglichkeiten<br />
in bezug auf die Frage,<br />
wie man Audio- und<br />
Video-Daten im Internet mit ausreichender<br />
Qualität übertragen und präsentieren<br />
kann. In seinem Beitrag<br />
„From Multimedia Systems to Interactive<br />
Television (ITV)“ zeigte Ralf<br />
Guido Herrtwich (RWE Telliance)<br />
technische Alternativen beim Aufbau<br />
von ITV-Systemen auf. Die Marktchancen<br />
zukünftiger ITV-Systeme als<br />
wichtigster Zulieferer multimedialer<br />
Inhalte beurteilte er positiv.<br />
In einer Gesprächsrunde, deren Leitung<br />
André Danthine (University of<br />
Liège) übernahm, diskutierten<br />
Berthold Butscher, Ralf Guido Herrtwich,<br />
David Hutchison (Lancaster<br />
University) und Henning Schulzrinne<br />
(<strong>GMD</strong>) über das Thema „Global<br />
Multimedia Communication: Choosing<br />
the Right Platforms“. Dabei wurde<br />
die Frage, ob das Internet als globales<br />
Kommunikationssystem zukünftig<br />
allein in der Lage sein werde, multimediale<br />
Anwendungen im Geschäfts-<br />
und Heimbereich zu unterstützen,<br />
kontrovers beurteilt. Die meisten<br />
Diskussionsteilnehmer waren der<br />
Meinung, daß das Angebot an heterogenen<br />
Netzen und Diensten – trotz<br />
der steigenden Zahl von Internet-<br />
Kunden – bestehen bleiben wird.<br />
<strong>Der</strong> Workshop schloß mit einem Beitrag<br />
von Christine Seidel (DeTeBerkom),<br />
„COMENIUS – The Virtual<br />
Classroom“. Darin wurden pädagogisch-didaktischeEinsatzmöglichkeiten<br />
von Multimedia-Anwendungen in<br />
der Schule anhand eines Feldversuchs<br />
in Berlin vorgestellt. Anschließend<br />
hatten die Teilnehmer Gelegenheit,<br />
8 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
eine Demonstration in den Räumen<br />
von DeTeBerkom zu beobachten.<br />
Hierbei wurden einige mit dem<br />
Workshop eng in Zusammenhang stehende<br />
Projektergebnisse vorgestellt.<br />
Die Proceedings des Workshops sind<br />
in der Reihe „Lecture Notes in Computer<br />
Science“, Nr. 1045, des Springer-<br />
Verlags (ISBN 3-540-60938-5) erschienen.<br />
Aufgrund des großen Interesses<br />
an dem Workshop wird bereits eine<br />
weitere Veranstaltung dieser Art vorbereitet,<br />
sie wird voraussichtlich im<br />
Jahr 1997 an der Technischen Hochschule<br />
Darmstadt stattfinden.<br />
Filmproduktion<br />
und Archiv<br />
wachsen<br />
zusammen<br />
Die Filmarchive werden in Zukunft<br />
verstärkt neue Wege bei der Erschließung<br />
ihrer Bestände gehen müssen,<br />
um die Nutzer besser versorgen<br />
zu können. Zu diesem Ergebnis kamen<br />
die mehr als vierzig Teilnehmer,<br />
die am 12. Juni 1996 im <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Integrierte Publikations- und Informationssysteme<br />
in Darmstadt zu<br />
dem Fachworkshop „Digitale Filmdokumentation<br />
– Erschließung, Recherche<br />
und neue Informationsdienste“<br />
zusammengekommen waren.<br />
Über neue Entwicklungen und Erfahrungen<br />
in der täglichen Arbeit diskutierten<br />
in der <strong>GMD</strong>-Darmstadt Fachleute<br />
aus Film- und Fernseharchiven.<br />
Die Nutzer- oder „Lieferantenseite“,<br />
also die Film- und Fernsehautoren<br />
und -produzenten, waren weniger<br />
stark vertreten. Ebenfalls nur gering<br />
vertreten waren Softwarehäuser, die<br />
Softwareprodukte für Filmdokumentation<br />
anbieten oder entwickeln.<br />
Wie die Beiträge der Referenten und<br />
Diskussionsteilnehmer zeigten, ist die<br />
aktuelle Arbeit in der Filmdokumentation<br />
noch weitgehend vom Aufbau<br />
und der Pflege von inhaltsbeschreibenden<br />
Filmnachweisdatenbanken geprägt.<br />
Die digitale Speicherung von<br />
N A C H R I C H T E N<br />
Neue Wege für Film- und Fernseharchive – auf einem Darmstädter Workshop erörtern<br />
Anbieter und Nutzer die Bedürfnisse von morgen.<br />
Filmen und ihre direkte Nutzung für<br />
die inhaltliche Erschließung einerseits<br />
sowie für die Inhalts- und Motivsuche<br />
andererseits ist für den größten Teil<br />
der vertretenen Archive noch Zukunftsmusik,<br />
wenngleich vereinzelt<br />
erste Projekte laufen.<br />
So arbeitet der Südwestfunk im Projekt<br />
Euromedia zusammen mit anderen<br />
europäischen Fernsehanstalten<br />
daran, Journalisten und Redakteuren<br />
im Schneideraum und an bestimmten<br />
Arbeitsplätzen digitale Filmdaten vorzuhalten,<br />
die sie direkt durchsuchen,<br />
sichten und eventuell für die Verwendung<br />
im eigenen Film schon vorschneiden<br />
können. Das Göttinger Institut<br />
für den wissenschaftlichen Film<br />
führt zusammen mit der <strong>GMD</strong> das<br />
Projekt AMPHORE (Audio-visual<br />
Media Platform for the Highlighting<br />
Organisation and Retrieval of Entities)<br />
durch, in dem es ähnlich wie<br />
beim Südwestfunk darum geht, neben<br />
ganzen Filmen, einzelne Filmsequenzen<br />
zu erschließen und digital zur Verfügung<br />
zu stellen.<br />
Den anwesenden Filmjournalisten<br />
und Redakteuren gingen diese Entwicklungen<br />
jedoch noch nicht weit genug.<br />
Sie wünschen sich von den Dokumentationsstellen<br />
zusätzliche<br />
Dienstleistungen. So wird bei jeder<br />
Filmerstellung immer nur ein Bruchteil<br />
des gedrehten Materials verwendet,<br />
was aber nicht bedeutet, daß der<br />
nicht verwendete Teil von schlechter<br />
inhaltlicher und materieller Qualität<br />
ist. Dieses Material beispielsweise mit<br />
Hilfe von Filmarchiven zu speichern,<br />
auszuwerten und möglicherweise sogar<br />
zur Weiterverwertung anzubieten,<br />
würde den Wünschen von Journalisten<br />
sehr entgegenkommen. Auf der<br />
anderen Seite erwarten Journalisten<br />
im Zeitalter von Multimedia eine medien-<br />
und institutionenübergreifende<br />
Recherche und Dokumentversorgung.<br />
So wurde gefordert, daß auch im<br />
Bewegtbildbereich Verbundkataloge<br />
ähnlich wie im Bibliotheksbereich<br />
entstehen, die zusätzlich zu den inhaltserschließenden<br />
Angaben auch<br />
Angaben zum Inhaber der Verwertungsrechte,<br />
zu den Preisen etc. beinhalten.<br />
Solche Vorstellungen klangen in den<br />
Ohren vieler anwesender Dokumentare<br />
noch sehr nach Utopie. Die Ansätze<br />
im Südwestfunk und im Institut<br />
für den wissenschaftlichen Film zeigen<br />
jedoch, daß die Filmarchive sich darauf<br />
einstellen, neue Wege zu gehen,<br />
um ihre Nutzer zu erreichen. Produktion<br />
und Archiv wachsen zusammen,<br />
und eine neue Arbeitsteilung ist absehbar.<br />
Umgekehrt müssen aber auch<br />
die kleinen privaten Fernsehanstalten<br />
allmählich erkennen, daß sie ohne<br />
professionelle Hilfestellung bei der<br />
Erschließung ihrer Materialien über<br />
kurz oder lang im Chaos landen werden.<br />
So lautet jedenfalls das Ergebnis<br />
einer Studie der Fachhochschule<br />
Hamburg zur „Optimierung der Beitragsdokumentation<br />
und Filmarchivierung<br />
im Lokalfernsehsender<br />
HH1“. Für das nächste Jahr wird eine<br />
ähnliche Veranstaltung ins Auge gefaßt.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 9
Forschung zur<br />
Modernisierung<br />
der Justiz in<br />
Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
Zum Schlußreview des <strong>GMD</strong>-Projekts<br />
„Modellgerichte Nordrhein-<br />
Westfalen“ konnte der Stellvertretende<br />
Vorstandsvorsitzende der <strong>GMD</strong>,<br />
Dr. Heinz-Georg Sundermann, die<br />
14 Mitglieder des Projektbeirats am<br />
15. Mai 1996 im Roten Saal von<br />
Schloß Birlinghoven begrüßen. Im<br />
Zuge der Ergebnisdiskussion des vom<br />
<strong>GMD</strong>-Institut für Angewandte Informationstechnik<br />
durchgeführten Forschungsprojekts<br />
würdigten die Vertreter<br />
des Jutizministeriums von Nordrhein-Westfalen<br />
und die Praktiker das<br />
Engagement der <strong>GMD</strong> an den Modellgerichten<br />
des Landes.<br />
Bei dem Auftrag des Landesjustizministers<br />
zur wissenschaftlichen Begleitforschung<br />
an den Amtsgerichten von<br />
Düsseldorf, Gladbeck, Köln und Krefeld<br />
ging es um den Einsatz moderner<br />
Informationstechnik, so etwa Netze<br />
von Personal Computern, in Verbindung<br />
mit neuen Formen der Arbeitsorganisation,<br />
wie beispielsweise Service-Einheiten.<br />
Erstmalig in der deut-<br />
10<br />
N A C H R I C H T E N<br />
schen Justiz wurde dabei – in Kooperation<br />
von <strong>GMD</strong> und IBM – unter<br />
wissenschaftlicher Beobachtung auch<br />
ein spracherkennendes Diktiersystem<br />
am Arbeitsplatz eines Richters erprobt.<br />
Das <strong>GMD</strong>-Projekt hat zur Optimierung<br />
der informationstechnischen Unterstützung<br />
und der damit verbunde-<br />
<strong>GMD</strong>-Wissenschaftler Hellmut Morasch (erster von links, neben <strong>GMD</strong>-Vorstandsmitglied Dr.<br />
Heinz-Georg Sundermann, zweiter von links) erläutert die Ergebnisse des Projekts „Modellgerichte<br />
Nordrhein-Westfalen“ vor Vertretern des Justizministeriums und der Oberlandesgerichte.<br />
nen organisatorischen Neuerungen<br />
beigetragen. Über die einjährige Evaluation<br />
der vier Modellversuche wurden<br />
zudem Erfahrungen gewonnen,<br />
die in Empfehlungen für den weiteren<br />
Transfer der Modellvorstellungen im<br />
Land umgesetzt wurden.<br />
Inzwischen konnte Projektleiter Hellmut<br />
Morasch den über 200seitigen<br />
Schlußbericht in Düsseldorf übergeben.<br />
Von dort wurde er an alle Gerichte<br />
des Landes sowie an die anderen<br />
Bundesländer verteilt. <strong>Der</strong> Ergebnistransfer<br />
wird durch einen Kabinettsbeschluß<br />
von Ende Juni dieses<br />
Jahres beschleunigt, womit ein Investitionsprogramm<br />
von 370 Millionen<br />
Mark für die Ausstattung der nordrhein-westfälischen<br />
Justiz mit Computernetzwerken<br />
aufgelegt wurde.<br />
Computer-<br />
Algebra verändert<br />
Mathematikausbildung<br />
Methoden der Computer-Algebra<br />
sollen für die Mathematikausbildung<br />
besser nutzbar gemacht werden. Dieses<br />
Ziel hatte eine internationale<br />
Tagung, die vom 2. bis 6. Juli 1996 in<br />
der <strong>GMD</strong>-Birlinghoven durchgeführt<br />
wurde. Veranstalter war der International<br />
Council for Computeralgebra<br />
in Matheducation (IC-CAME). Die<br />
<strong>GMD</strong>, bei der im Institut für Algorithmen<br />
und Wissenschaftliches Rechnen<br />
im Projekt „Computer Algebra<br />
and Differential Equations“ Forschungsaufgaben<br />
auf diesem Gebiet<br />
wahrgenommen werden, war Mitveranstalter.<br />
Auf der einwöchigen Tagung wurden<br />
den etwa 230 Teilnehmern aus mehr<br />
als 20 Ländern in mehr als 80 Fachvorträgen<br />
spezielle Methoden und<br />
Anwendungen vorgestellt, die sie als<br />
Anregung für ihre eigene Arbeit<br />
mit nach Hause nehmen konnten.<br />
Sprecher waren unter anderen<br />
David Stoutemyer, der Entwickler<br />
von <strong>Der</strong>ive, einem kleinen Computer-<br />
Algebra System, das speziell für Ausbildungszwecke<br />
in den USA entwickelt<br />
wurde, und Bruno Buchberger,<br />
der Entwickler des Algorithmus zur<br />
Berechnung von Gröbner-Basen. Ein<br />
Tagungsband wird in Kürze erscheinen.<br />
Schlußveranstaltung der Computer-<br />
Algebra-Tagung im Großen Saal von Schloß<br />
Birlinghoven mit Dr. Leo Klingen, der<br />
zusammen mit Bärbel Barzel die Veranstaltung<br />
organisierte.
Die Tagung wird vom IC-CAME in<br />
jährlichem Rhythmus veranstaltet,<br />
nächstes Jahr findet sie in Baltimore,<br />
USA, statt. Die Aktivitäten des IC-<br />
CAME tragen mit dazu bei, daß sich<br />
in der Mathematikausbildung heute<br />
ein ähnlicher Wandel vollzieht, wie<br />
vor 20 Jahren durch die Einführung<br />
von Taschenrechnern für numerische<br />
Rechnungen. In zahlreichen Gymnasien<br />
in Deutschland gehört das Arbeiten<br />
mit <strong>Der</strong>ive heute schon zum Standard<br />
und ist dabei, den Lehrplan in<br />
Mathematik grundlegend zu beeinflussen.<br />
Für die Schülerinnen und<br />
Schüler sind diese Kenntnisse ein entscheidender<br />
Vorteil, wenn sie an der<br />
Universität ein Studium beginnen.<br />
Elektronische<br />
Informationsdienste<br />
in<br />
Osteuropa –<br />
<strong>GMD</strong> veröffentlichtDatenbankverzeichnis<br />
„Elektronische Informationsdienste<br />
in Osteuropa“ ist der Titel einer<br />
dreibändigen Studie von Maria-Anna<br />
Courage und Alexander Vasilevic Butrimenko,<br />
die kürzlich in den Schriftenreihen<br />
der <strong>GMD</strong> veröffentlicht<br />
wurde. In einer Präsentationsveranstaltung<br />
am 24. Mai 1996 in der<br />
<strong>GMD</strong>-Birlinghoven stellten die beiden<br />
Herausgeber und Autoren das<br />
rund 1600 Seiten umfassende Werk<br />
der Öffentlichkeit vor.<br />
Die dreibändige Publikation ist ein<br />
umfassendes aktuelles Referenzwerk<br />
zu Datenbanken und anderen elektronischen<br />
wissenschaftlich-technischen<br />
und Wirtschaftsinformationsdiensten<br />
in Osteuropa. <strong>Der</strong> erste Band verzeichnet<br />
Datenbanken der Russischen<br />
Förderation, in einem zweiten Band<br />
sind Datenbanken der osteuropäischen<br />
Länder und der weiteren Nachfolgeländer<br />
der ehemaligen Sowjetunion<br />
zusammengestellt, im dritten<br />
Band werden die politischen und wirt-<br />
N A C H R I C H T E N<br />
schaftlichen Rahmenbedingungen der<br />
jeweiligen Länder dargestellt, die Serviceleistungen<br />
der Informationszentren<br />
und Bibliotheken analysiert sowie<br />
der in den letzten Jahren in Osteuropa<br />
stattfindende Strukturwandel<br />
im Informationsbereich beschrieben.<br />
Die neue Publikation ist eine umfassende<br />
Aktualisierung des zwischen<br />
1991 und 1993 bei der <strong>GMD</strong> in Zusammenarbeit<br />
mit dem Internationalen<br />
Zentrum für wissenschaftliche<br />
und technische Information, Moskau,<br />
durchgeführten Projektes, das im Jahre<br />
1993 unter dem Titel „<strong>Der</strong> elektronische<br />
Fachinformationsmarkt in Osteuropa<br />
1993“ im Verlag Hoppenstedt<br />
in zwei Bänden veröffentlicht worden<br />
ist. Bereits dieses Projekt war sehr<br />
ehrgeizig und versuchte, eine sich<br />
ständig mit großer Geschwindigkeit<br />
verändernde Informationswelt in Osteuropa<br />
zu beschreiben, dabei nur die<br />
relevanten Datenbanken zu verzeichnen<br />
und einen ersten Überblick zu erstellen.<br />
Bereits bei der Drucklegung<br />
des Verzeichnisses lagen zahlreiche<br />
Datenbankbeschreibungen vor, die<br />
nicht mehr berücksichtigt werden<br />
konnten. So wurde eine Bestandsaufnahme<br />
dringend nötig, außerdem veränderte<br />
sich die Situation laufend:<br />
täglich entstanden neue Datenbanken,<br />
gleichzeitig wurden zahlreiche<br />
Informationszentren geschlossen und<br />
viele Datenbanken eingestellt.<br />
Nachdem die Kontakte zu zahlreichen<br />
Informationszentren in Osteuropa<br />
aufgebaut waren, konnte das Projekt<br />
nach 1993 fortgeführt werden. Die<br />
Jahre 1993 bis 1995 sind für die elektronische<br />
Informationswelt in Osteuropa<br />
eine besonders wichtige Phase<br />
mit tiefgreifenden Veränderungen gewesen.<br />
Informationszentren und Bibliotheken<br />
sind dabei, in einem gesellschaftlichenDemokratisierungsprozeß<br />
eine neue Rolle zu finden, sie erschließen<br />
sich Möglichkeiten, ihr Budget<br />
teilweise selbst zu erwirtschaften<br />
und übernehmen neue Aufgaben. Ein<br />
grundlegender Strukturwandel findet<br />
statt. Eine Dokumentation und Beschreibung<br />
dieses Strukturwandels ist<br />
das Hauptziel der vorliegenden aktualisierten<br />
Publikation.<br />
Bei der Fortsetzung des Projektes<br />
1993 wurde die enge Zusammenarbeit<br />
mit dem Moskauer Internationalen<br />
Zentrum für wissenschaftliche und<br />
technische Information beibehalten,<br />
darüber hinaus war es aufgrund des<br />
Zerfalls des bisherigen zentralistischen<br />
Systems in Osteuropa notwendig,<br />
nationale Informationszentren<br />
und Bibliotheken als Datenlieferanten<br />
für eine umfassende Bestandsaktualisierung<br />
einzubeziehen. 32 Institutionen<br />
aus 21 osteuropäischen Ländern<br />
konnten für die Mitarbeit gewonnen<br />
und davon überzeugt werden,<br />
daß es für ihre Arbeit von Vorteil sei,<br />
wenn die Informationsdienste ihres<br />
Landes in Westeuropa bekannt sind.<br />
Sowohl die Datenbankbeschreibungen<br />
als auch die Daten zur Informationsinfrastruktur<br />
in Osteuropa stammen<br />
überwiegend aus den nationalen<br />
Fachinformationszentren der jeweiligen<br />
Länder. Die direkte Zusammenarbeit<br />
mit zahlreichen Informationszentren,<br />
Bibliotheken und teilweise<br />
die Unterstützung der jeweiligen Ministerien<br />
der osteuropäischen Länder<br />
ermöglichte es, zuverlässige Daten zu<br />
erhalten. Aus den mittel- und osteuropäischen<br />
Ländern liegt umfangreiches<br />
Datenmaterial vor, bei zahlreichen<br />
Republiken der ehemaligen Sowjetunion<br />
sind intensive Bemühungen<br />
um den Aufbau elektronischer Informationsdienste<br />
festzustellen. Im ehemaligen<br />
Jugoslawien waren allerdings<br />
aufgrund der politischen Situation Informationen<br />
aus den Nachfolgeländern<br />
nicht zu beschaffen. Auch Albanien<br />
konnte bei dieser Untersuchung<br />
nicht berücksichtigt werden. Es ist geplant,<br />
die Datenbankbeschreibungen<br />
in das „Gale Directory of Databases“<br />
bei Gale Research in den USA zu integrieren<br />
und in die englische Sprache<br />
zu übersetzen.<br />
<strong>Der</strong> Analyseband stellt umfangreiche<br />
und teilweise in Westeuropa bisher<br />
unbekannte Daten zur Informationsinfrastruktur<br />
in Osteuropa zur Verfügung.<br />
Auch hier handelt es sich um eine<br />
originäre und grundlegende Forschungsarbeit,<br />
die westeuropäischen<br />
Informationsfachleuten, Firmen, Unternehmen,<br />
Wissenschaftlern und Politikern<br />
den Zugang zu relevanten Daten<br />
ermöglicht.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 11
Die Zusammenarbeit im Rahmen dieses<br />
Projektes führte zu einem weiteren<br />
sehr wichtigen Ergebnis: Eine hervorragende<br />
internationale Gruppe<br />
von führenden Spezialisten wurde ins<br />
Leben gerufen, ein Netzwerk für den<br />
Informationsaustausch und für die<br />
Zusammenarbeit wurde neu geknüpft,<br />
nachdem alte „Knoten“ in dem osteuropäischen<br />
Informationsnetz nicht<br />
mehr existierten beziehungsweise vor<br />
der Auflösung standen und neue erst<br />
geschaffen werden mußten. Diese<br />
Gruppe hat mit ihrer bisherigen Zusammenarbeit<br />
eine Grundlage für die<br />
Durchführung weiterer internationaler<br />
Projekte im Bereich der osteuropäischen<br />
Informationswirtschaft geschaffen,<br />
die ohne funktionsfähige Informationsnetze<br />
nicht erfolgreich<br />
durchgeführt werden können.<br />
Symposium<br />
„Rechts- und<br />
Verwaltungsinformatik“<br />
–<br />
Offizieller<br />
Abschied für<br />
Herbert Fiedler<br />
Mit einem Symposium zum Thema<br />
„Rechts- und Verwaltungsinformatik“<br />
ist der ehemalige langjährige Institutsleiter<br />
der <strong>GMD</strong> und Leiter<br />
des Forschungsbereichs Informationsrecht,<br />
Prof. Dr. jur. Dr. rer. nat. Herbert<br />
Fiedler, am 14. März 1996 in<br />
Schloß Birlinghoven offiziell aus der<br />
<strong>GMD</strong> verabschiedet worden. Weggefährten<br />
und Fachkollegen Herbert<br />
Fiedlers erörterten in Vorträgen und<br />
Diskussionen gemeinsam mit rund<br />
50 Tagungsteilnehmern aus Wissenschaft,<br />
Verwaltung und Wirtschaft<br />
Forschungsschwerpunkte, in denen<br />
Fiedler als <strong>GMD</strong>-Institutsleiter und<br />
Hochschullehrer an der Universität<br />
Bonn tätig gewesen war.<br />
Einen Blick in die zukünftige Entwicklung<br />
von Fiedlers Fachgebiet<br />
wagte Prof. Dr. Roland Traunmüller<br />
von der österreichischen Universität<br />
N A C H R I C H T E N<br />
Nestor der deutschen Rechtsinformatik – Prof. Dr. Dr. Herbert<br />
Fiedler Ehrengast des Symposiums „Rechts- und<br />
Verwaltungsinformatik“.<br />
Linz mit seinem Beitrag „Rechtsinformatik<br />
auf dem Weg ins nächste Jahrzehnt“.<br />
Mit einer Theorie der Verwaltungsinformatik<br />
befaßte sich Prof. Dr.<br />
Klaus Lenk, Universität Oldenburg,<br />
in seinem Vortrag zum Thema „Verwaltungsmodelle<br />
und Informatikleitbilder“.<br />
Prof. Dr. Heinrich Reinermann<br />
von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften<br />
Speyer präsentierte<br />
seinen Zuhörern einen Einblick<br />
in das Gebiet der „Verwaltungsentwicklung<br />
und Verwaltungsinformationssysteme“.<br />
„Approximatives<br />
Schließen – Zur Logik des Alltags“<br />
war Thema des Beitrags von Prof. Dr.<br />
Lothar Philipps vom Institut für<br />
Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik<br />
der Universität München.<br />
„Herbert Fiedlers Anstöße zur juristischen<br />
Datenverarbeitung“ beleuchtete<br />
Prof. Dr. Dieter Strempel, Bundesministerium<br />
der Justiz und Universität<br />
Marburg. Die in den einzelnen Vorträgen<br />
angedeuteten Facetten des<br />
Fachgebiets Rechtsinformatik gaben<br />
nicht nur einen Überblick über aktuelle<br />
Arbeiten in diesem Sektor der Informatik,<br />
sondern machten gleichzeitig<br />
deutlich, daß Herbert Fiedler mit<br />
seiner Arbeit die Rechtsinformatik in<br />
vielfältiger Weise von den Anfängen<br />
an wesentlich mitgeprägt hat. So gab<br />
Fiedler in seiner Dankesrede dann<br />
auch der Hoffnung Ausdruck, daß es<br />
zu einer „zweiten Geburt“ der Rechtsinformatik<br />
kommen möge, da sie<br />
noch nicht die Anerkennung gefunden<br />
habe, die ihr zukomme. In seiner<br />
Emeritierung sieht Fiedler jedenfalls<br />
nicht seinen Abschied von seinen<br />
wissenschaftlichen Aktivitäten. Herbert<br />
Fiedler, seit 1970 Inhaber des<br />
Lehrstuhls für Juristische<br />
Informatik, Allgemeine<br />
Rechtslehre und<br />
Strafrecht an der Universität<br />
Bonn, war mit<br />
seiner Emeritierung Ende<br />
Juli 1994 auch aus<br />
der <strong>GMD</strong> ausgeschieden,<br />
der er seit 1970 angehört<br />
hatte. An der<br />
Universität Bonn hatte<br />
er gleichzeitig die Forschungsstelle<br />
für juristische<br />
Informatik und<br />
Automation geleitet. In<br />
der <strong>GMD</strong> leitete er<br />
zunächst die Abteilung für Behördliche<br />
Datenverarbeitungssysteme und<br />
baute dann das Institut für Datenverarbeitung<br />
im Rechtswesen auf, dessen<br />
Leitung er bis zur Auflösung im Zuge<br />
der <strong>GMD</strong>-Neuorganisation im Jahre<br />
1983 innehatte. Anschließend war er<br />
Leiter der Forschungsstelle für Informationsrecht<br />
und Ko-Institutsleiter<br />
des damaligen <strong>GMD</strong>-Instituts für Angewandte<br />
Informationstechnik. Einige<br />
der Entwicklungen, die Fiedler in dieser<br />
Zeit durch Forschungsaktivitäten<br />
in der <strong>GMD</strong> angestoßen hat, sind<br />
bis heute im Rechtspflegesystem<br />
Deutschlands im Einsatz. Beispiele<br />
sind JURIS, die große juristische Datenbank,<br />
JUSTIS, das Justizstatistik-<br />
Informationssystem, sowie SOJUS,<br />
ein Softwaresystem für die Geschäftsstellen<br />
in der Justiz.<br />
Herbert Fiedler ist auch international<br />
durch eine Vielzahl von Publikationen<br />
hervorgetreten, womit er sich unter<br />
anderem an den Diskussionen um den<br />
Datenschutz und das Informationsrecht<br />
beteiligt hat. Zudem engagierte<br />
er sich in der Gesellschaft für Informatik<br />
lange Zeit als Sprecher von<br />
deren Fachbereich 6 „Informatik in<br />
Recht und öffentlicher Verwaltung“.<br />
Von der Tageszeitung „Die Welt“ war<br />
er schon vor Jahren als Nestor der<br />
deutschen Rechtsinformatik gewürdigt<br />
worden.<br />
12 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Wissenschaftsregion<br />
Bonn in<br />
Peking vorgestellt<br />
Auf reges Interesse bei den chinesischen<br />
Gästen stieß eine Präsentation<br />
der Wirtschafts- und Wissenschaftsregion<br />
Bonn, die im April 1996 in<br />
Peking, Volksrepublik China, durchgeführt<br />
wurde. Die Deutsche Botschaft<br />
in Peking hatte dazu ihre<br />
Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt.<br />
Im Auftrag der Strukturfördergesellschaft<br />
präsentierte der <strong>GMD</strong>-Wissenschaftler<br />
Dr. Hans G. Klaus vor den<br />
chinesischen Teilnehmern aus wissenschaftlichen<br />
Einrichtungen, Unternehmen,<br />
Behörden und der Presse die<br />
Struktur und das Potential sowie die<br />
konkreten Ausbaupläne für Hochtechnologiebereiche<br />
in Wissenschaft<br />
und Wirtschaft für die Region Bonn.<br />
Die chinesischen Experten, die vom<br />
Gesandten der Botschaft, Walter<br />
Nocker, begrüßt worden waren, diskutierten<br />
insbesondere Initiativen wie<br />
TeleBonn und Caesar. Eine Videovorführung<br />
ergänzte die Präsentation<br />
der Bonner Vorhaben.<br />
Dr. Klaus, derzeit Leiter der Projektträgerschaft<br />
Fachinformation des Bundesforschungsministeriums<br />
und des<br />
Bundeswirtschaftsministeriums bei der<br />
<strong>GMD</strong> und zuvor Leiter des Wissenschaftsreferats<br />
der Deutschen Botschaft<br />
in Peking, präsentierte im zweiten<br />
Teil der Veranstaltung den <strong>GMD</strong>-<br />
Technologiepark als attraktives Tor<br />
für ausländische High Tech-Unternehmen<br />
oder wissenschaftliche Einrichtungen<br />
nach Deutschland und Europa.<br />
Die Initiatoren bewerten die Präsentation<br />
aufgrund der Anzahl und Zusammensetzung<br />
des Teilnehmerkreises sowie<br />
der für chinesische Verhältnisse<br />
außerordentlich regen Diskussion und<br />
Dank der Unterstützung durch die<br />
Deutsche Botschaft in Peking als<br />
wichtigen Anfangserfolg. Es sei von<br />
Bedeutung, bei potentiellen ausländischen<br />
Investoren auf einem so wichtigen<br />
Markt wie China mit 1,15 Milliarden<br />
Menschen für die Aktivitäten der<br />
Wissenschafts- und Wirtschaftsregion<br />
Bonn frühzeitig zu werben.<br />
N A C H R I C H T E N<br />
Mit der <strong>GMD</strong><br />
in die<br />
Telegesellschaft –<br />
Tag der offenen<br />
Tür in Darmstadt<br />
Telecomputing, Telemedizin, Telearbeit,<br />
Telemanagement, Telelearning,<br />
Teleshopping und Telebanking<br />
sind die Hauptthemen des Tages der<br />
offenen Tür in der <strong>GMD</strong>-Darmstadt.<br />
Diese traditionelle Veranstaltung wird<br />
in diesem Jahr am 12. November<br />
durchgeführt.<br />
Die Besucher haben die Möglichkeit,<br />
sich in den beiden Gebäuden der<br />
<strong>GMD</strong> in der Rheinstraße und in der<br />
Dolivostraße von 9.00 bis 18.00 Uhr<br />
einen Überblick über die aktuelle informationstechnische<br />
Forschung zu<br />
verschaffen und Anwendungsbeispiele<br />
kennenzulernen. Visionen und<br />
Wirklichkeit der Entwicklung zur Telegesellschaft,<br />
die einst mit dem Telefon<br />
begann, werden anhand von Forschungsprojekten<br />
und einsatzfähigen<br />
Systemen aufgezeigt und diskutiert.<br />
Wissenschaftler, Politiker und Anwender<br />
werden zu Wort kommen. Die Besucher<br />
haben Gelegenheit, selbst im<br />
Internet und World Wide Web zu<br />
surfen.<br />
Weitere Informationen im World<br />
WideWeb: http://www.darmstadt.gmd.<br />
de/TDOT96 und über Ute Sotnik,<br />
<strong>GMD</strong> – Forschungszentrum Informationstechnik<br />
GmbH, Dolivostraße 15,<br />
64293 Darmstadt, Telefon (0 61 51)<br />
869-822, Telefax (0 61 51) 869-81 81,<br />
E-mail: sotnik�gmd.de.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 13
Modellierung von<br />
Proteinstrukturen<br />
Von Thomas Lengauer, Ralf Thiele<br />
und Ralf Zimmer<br />
Die Berechnung der dreidimensionalen<br />
Struktur von Proteinen aus der<br />
Kenntnis der Proteinsequenz und gegebenenfalls<br />
weiterer aus Experimenten<br />
gewonnener Informationen ist eine<br />
der zentralen Herausforderungen<br />
der Molekularen Bioinformatik. Proteine<br />
sind bekanntlich aus den zwanzig<br />
in der Natur vorkommenden Aminosäuren<br />
aufgebaute Kettenmoleküle.<br />
Aminosäuren werden bei der Polymerisation<br />
mittels sogenannter Peptidbindungen<br />
unter Abscheidung von<br />
Wasser aneinandergereiht. Die im<br />
Protein verbleibenden Teile der Aminosäuren<br />
nennt man Aminosäurereste<br />
oder auch einfach Reste. Im Zuge<br />
der verschiedenen Genomsequenzierungsprojekte<br />
wächst die Anzahl<br />
der bekannten Proteinsequenzen heute<br />
täglich um mehr als hundert. Das<br />
für die Entwicklung von biologischen<br />
Wirkstoffen, aber auch für den wissenschaftlichen<br />
Fortschritt in Medizin<br />
und Biochemie wesentliche Verständnis<br />
der Funktion der entsprechenden<br />
Proteine kann jedoch letztlich nur auf<br />
der Basis der Kenntnis ihrer räumlichen<br />
Struktur gewonnen werden.<br />
Die experimentelle Aufklärung von<br />
Proteinstrukturen hinkt dramatisch<br />
hinter der Aufklärung von Proteinsequenzen<br />
her. Heute stehen geschätzten<br />
150 000 bekannten Proteinsequenzen,<br />
von denen etwa 40 000 in der im<br />
wissenschaftlichen Bereich häufig verwendeten<br />
Swissprot Datenbank gespeichert<br />
sind, weniger als 5 000 Einträge<br />
in der öffentlich zugänglichen<br />
Proteinstrukturdatenbank PDB gegenüber.<br />
Selbst unter der Annahme,<br />
daß in den nicht-öffentlichen Datenbanken<br />
der Industrie weitere 10 000<br />
Proteinstrukturen vorliegen, erscheint<br />
das Schließen der Lücke zwischen der<br />
Anzahl aufgeklärter Proteinsequenzen<br />
und Proteinstrukturen allein mit<br />
experimentellen Mitteln nicht realistisch.<br />
Hinzu kommt, daß die experimentelle<br />
Aufklärung einer Proteinstruktur<br />
äußerst zeitaufwendig ist und<br />
T I T E L<br />
auch das Risiko beinhaltet, überhaupt<br />
nicht zum Ziel zu gelangen, zum Beispiel<br />
weil sich das Protein nicht kristallisieren<br />
läßt. Dieses Problem kann<br />
durch theoretisch abgeleitete Strukturmodelle<br />
abgemildert werden, selbst<br />
wenn diese Modelle nur über Teilaspekte<br />
der Proteinstruktur, wie etwa<br />
die Faltungsklasse, Auskunft geben.<br />
Vor diesem Hintergrund hat sich das<br />
Proteinstrukturvorhersageproblem zu<br />
einem „Grand Challenge“-Problem<br />
der Molekularbiologie entwickelt.<br />
Die de novo Vorhersage einer Proteinstruktur<br />
aus einer Proteinsequenz,<br />
das heißt, Vorhersage ohne bekannte<br />
Verwandtschaften des Proteins zu aufgeklärten<br />
Strukturen, liegt für derzeitige<br />
Methoden jenseits des Erreichbaren.<br />
Vor dem Hintergrund, daß sich<br />
von der unglaublichen Fülle der möglichen<br />
Proteinsequenzen nur ein verschwindend<br />
geringer Prozentsatz unter<br />
natürlichen Bedingungen zuverlässig<br />
zu einer eindeutigen Struktur<br />
faltet, ist dies auch nicht verwunderlich.<br />
Darüber hinaus hat die Natur<br />
durch den Prozeß der Evolution aus<br />
dieser schon sehr kleinen Kandidatenmenge<br />
eine noch begrenztere Anzahl<br />
von Proteinfaltungen gewählt,<br />
um mit ihnen das Leben aufzubauen.<br />
Molekularbiologen schätzen diese<br />
Zahl auf höchstens 6 000.<br />
In Anbetracht dieser Tatsache stellt<br />
sich das Proteinstrukturvorhersageproblem<br />
nicht so sehr als ein Optimierungsproblem<br />
mit Kostenfunktionen<br />
wie Energie oder Packungsdichte,<br />
sondern vielmehr als ein Problem der<br />
Analyse der evolutionären Umgebung<br />
strukturbekannter Proteine. Die Methode<br />
der homologiebasierten Strukturmodellierung<br />
von Proteinen trägt<br />
dem Rechnung.<br />
Die homologiebasierte Modellierung<br />
geht von einer Proteinsequenz A aus,<br />
die evolutionär mit einer Proteinsequenz<br />
B verwandt ist, deren Struktur<br />
bekannt ist. Die Ähnlichkeit wird zum<br />
Beispiel durch den Prozentsatz von,<br />
in einem paarweisen Alignment von<br />
A und B zugeordneten, identischen<br />
Resten gemessen. Unter einem paarweisen<br />
Alignment versteht man die<br />
Identifizierung und Zuordnung von<br />
gleichen Teilen zweier Sequenzen un-<br />
ter Beachtung der Sequenzreihenfolge.<br />
Meist werden solche Alignments<br />
durch Untereinanderschreiben<br />
der Sequenzen notiert (siehe Abbildung<br />
1). Untersuchungen zeigen, daß,<br />
wann immer diese Ähnlichkeit von A<br />
und B einen Grenzwert – zum Beispiel<br />
25 Prozent Identität – übersteigt,<br />
eine weitgehende Strukturähnlichkeit<br />
der beiden Proteine praktisch zwingend<br />
vorliegt. Liegt die Homologie<br />
von A und B im Bereich zwischen 15<br />
Prozent und 25 Prozent, der sogenannten<br />
Twilight Zone, so ist eine<br />
evolutionäre Verwandtschaft zwischen<br />
A und B und eine daraus resultierende<br />
Strukturähnlichkeit möglich, aber<br />
nicht wahrscheinlich. Unterhalb von<br />
15 Prozent gelten die Proteine als evolutionär<br />
nicht verwandt, und Strukturaussagen<br />
über A können aus der<br />
Struktur von B im allgemeinen nicht<br />
abgeleitet werden.<br />
Im Falle einer nachweisbaren Homologie<br />
zwischen A und B besteht die<br />
homologiebasierte Strukturvorhersage<br />
aus folgenden Schritten:<br />
Schritt 1 (Alignment): Berechne ein<br />
geeignetes Alignment zwischen A und<br />
B.<br />
Schritt 2 (Rückgratplazierung): Weise<br />
den Rückgratatomen der Reste von<br />
A, denen im Alignment Reste von B<br />
gegenüberstehen, die Raumkoordinaten<br />
der Rückgratatome der zugeordneten<br />
Reste in B zu. Bei einem Proteinmolekül<br />
unterscheidet man zwischen<br />
der Hauptkette – auch Rückgrat<br />
genannt –, die unter anderem<br />
auch die Peptidbindungen enthält,<br />
und den Seitenketten. Seitenketten<br />
sind über ihr sogenanntes Cα-Atom<br />
an die Hauptkette angebunden. Die<br />
Erfahrung zeigt, daß der Rückgratverlauf<br />
eines Proteins die Gesamtstruktur<br />
des Proteins wesentlich bestimmt<br />
und in der Evolution stark konserviert<br />
wird. Die Plazierung der Rückgratatome<br />
– oft sogar nur der Cα-Atome – ist<br />
daher ein wesentliches Teilproblem<br />
der Proteinstrukturvorhersage.<br />
Schritt 3 (Schleifenmodellierung): Berechne<br />
Koordinaten für die in Schritt 2<br />
nicht plazierten Rückgratatome von<br />
A. Diese Atome stammen von Resten<br />
in A, die Lücken in der Sequenz B ge-<br />
14 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
genüberstehen. Ferner gibt es unter<br />
Umständen Teile der Struktur B, auf<br />
die keine Reste der Sequenz A abgebildet<br />
werden. Die dadurch getrennten<br />
Enden des Rückgrates müssen<br />
miteinander verbunden werden.<br />
Schritt 4 (Plazieren von Seitenketten):<br />
Plaziere die Seitenketten von A entlang<br />
des modellierten Rückgratverlaufs.<br />
Abbildung 1 illustriert diesen Prozeß.<br />
Sequenz A ist die Sequenz der Kette<br />
A einer Triosephosphat-Isomerase<br />
(Proteinstrukturdatenbank: 1timA).<br />
Sequenz B ist die Sequenz einer 2-<br />
Phospho-D-Glycerat-Hydrolase (Proteinstrukturdatenbank:<br />
4enl).<br />
Übersteigt die Ähnlichkeit von A und<br />
B etwa 50 Prozent, so ist das Alignment<br />
einfach, und häufig ist – wenn<br />
die Anzahl der Insertionen/Deletionen<br />
klein ist – auch die Modellierung<br />
der Schleifen möglich. In diesen<br />
Fällen kann man ein recht genaues<br />
Modell erwarten, wobei eine gute Seitenkettenplazierung<br />
entscheidend ist.<br />
In den für viele Anwendungen jedoch<br />
wesentlichen Bereichen niedrigerer<br />
Ähnlichkeit – zwischen 50 Prozent<br />
und 25 Prozent oder niedriger – sind<br />
die ersten drei Schritte die entscheidenden.<br />
Unser Ziel ist, die Genauigkeit<br />
der Strukturvorhersagen in den<br />
niederen Ähnlichkeitsbereichen nach-<br />
T I T E L<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
Schritt 1:<br />
1timA ...QEVHEKLRGWLKTHVSDAVAV--QSRIIYGGSVTGGNCKELASQHDVDGFLVGGASLK-<br />
PEF...<br />
|||||||| ||||| ||V ||||GGS||GG|| ||F|||| ||<br />
||F<br />
4enl ...VPLYKHLADLSKSKTSPYVLPVPFLNVLNGGSHAGGAL-------ALQEFMIAPTGA-<br />
KTF...<br />
rel 667898654444432110000 001235555554310 012222222110<br />
Schritt 2:<br />
Schritt 3: Schritt 4:<br />
Illustration der homologiebasierten Proteinmodellierung<br />
haltig zu verbessern. Dazu gehört<br />
auch, die untere Grenze der Ähnlichkeit,<br />
für die überhaupt noch sinnvolle<br />
Faltungsvorhersagen gemacht werden<br />
können – ohne daß eine vollständige<br />
Modellierung möglich wäre –, weiter<br />
nach unten zu verschieben. Hinweise<br />
auf den evolutionären Verwandtheitsgrad<br />
und die Zugehörigkeit zu einer<br />
Faltungsklasse können auch in schwierigen<br />
Fällen zu recht genauen Strukturaussagen<br />
für pharmazeutisch relevante<br />
Teile des Proteins führen (siehe Abschnitt<br />
„Proteinstrukturvorhersage“).<br />
Wir gehen im folgenden davon aus,<br />
daß A und B eine Ähnlichkeit von<br />
20 Prozent bis 50 Prozent haben, und<br />
wir konzentrieren uns auf Schritt 1<br />
der homologiebasierten Modellierung.<br />
<strong>Der</strong> folgende Abschnitt beschreibt<br />
die von uns angewandten<br />
Methoden zur Berechnung eines<br />
Strukturmodells, der Abschnitt „Proteinstrukturvorhersage“<br />
diskutiert eine<br />
Vorhersage, die wir mit diesen Methoden<br />
durchgeführt haben.<br />
Methodische Beiträge<br />
Das Alignment von Proteinsequenzen<br />
in Proteinstrukturen zum Zwecke der<br />
Erkennung der Faltungsklasse und<br />
der Strukturmodellierung von Proteinen<br />
wird auch als „Threading“<br />
bezeichnet. Threading unterscheidet<br />
sich algorithmisch vom herkömm-<br />
lichen Sequenzalignment darin, daß<br />
der evolutionäre Verwandtschaftsbegriff<br />
durch den einer Kompatibilität<br />
zwischen der Sequenz A und der<br />
Struktur B ersetzt beziehungsweise<br />
ergänzt wird. Weltweit werden seit<br />
etwa fünf Jahren Methoden zum<br />
Threading entwickelt. Die Modelle<br />
für Sequenz-Strukturbeziehungen von<br />
Proteinen und die daraus abgeleiteten<br />
Kostenfunktionen bei der Optimierung<br />
von Alignments sind dabei ein<br />
zentraler Gegenstand der Diskussion.<br />
Im Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches<br />
Rechnen der <strong>GMD</strong><br />
wurden im Rahmen des vom Bundesministerium<br />
für Bildung, Wissenschaft,<br />
Forschung und Technologie in<br />
seinem Strategieprogramm „Molekulare<br />
Bioinformatik“ geförderten<br />
PROTAL Verbundprojektes (Proteine:<br />
Sequenz, Struktur und Evolution)<br />
verschiedene Verfahren zum<br />
Threading einer Proteinsequenz A in<br />
eine Proteinstruktur B entwickelt.<br />
(Eine zusammenfassende Darstellung<br />
des PROTAL Projektes findet sich in<br />
Thomas Lengauer et al., PROTAL:<br />
Proteine, Sequenz, Struktur, Evolution.<br />
Statusseminar des Bundesministeriums<br />
für Bildung, Wissenschaft,<br />
Forschung und Technologie Bioinformatik<br />
(Gottfried Wolf, Ralph<br />
Schmidt, Marius van der Meer, Hrsg.),<br />
Deutsche Forschungsanstalt für Luftund<br />
Raumfahrt (1995) 3 bis 26). Ein<br />
Verfahren ist in dem Softwarewerkzeug<br />
123D implementiert und basiert<br />
auf der Methode der dynamischen<br />
Programmierung. Dabei werden die<br />
beiden Proteinsequenzen simultan<br />
von links nach rechts abgearbeitet,<br />
und<br />
es wird jeweils entschieden, welche<br />
Reste einander zuzuordnen sind.<br />
Diese Methode des Alignments wird<br />
seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreich<br />
bei der Analyse evolutionärer<br />
Verwandtschaften zwischen Proteinsequenzen<br />
eingesetzt. Im vorliegenden<br />
Falle ist das Alignmentkriterium<br />
aber nicht die evolutionäre Abstammung,<br />
sondern die Sequenz-Strukturähnlichkeit<br />
beider Proteine. Für diese<br />
Ähnlichkeit müssen spezielle Maße<br />
entwickelt und eingesetzt werden.<br />
In der <strong>GMD</strong> wurde nun ein struktureller<br />
Ähnlichkeitsbegriff entwickelt,<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 15
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
α-Helix<br />
β-Strang<br />
hydrophob<br />
der nach unseren bisherigen Experimenten<br />
besonders gut zur Faltungserkennung<br />
sowie zur Abbildung wesentlicher<br />
Teile von Proteinen geeignet ist.<br />
Dieser Ähnlichkeitsbegriff unterscheidet<br />
im wesentlichen zwischen verschiedenen<br />
Kontaktdichten in unterschiedlichen<br />
Abschnitten der Proteinkette,<br />
wobei die Sekundärstrukturen<br />
berücksichtigt werden (siehe Abbildung<br />
2). Ein Kontakt ist eine Stelle,<br />
an der sich zwei in der Proteinsequenz<br />
nicht benachbarte Aminosäurereste<br />
räumlich nahestehen. Dabei ist wesentlich,<br />
zwischen Kontakten mit<br />
großen und kleinen Sequenzabständen<br />
zu unterscheiden. Erstere verbinden<br />
Teile der Proteinkette, die in der<br />
Kette weit voneinander entfernt sind.<br />
In letzteren berühren sich Teile der<br />
Kette, die auch in der Kette und nicht<br />
nur im dreidimensionalen Raum nahe<br />
beieinander liegen. <strong>Der</strong> Ähnlichkeitsbegriff<br />
wird kalibriert durch eine statistische<br />
Analyse einer bereinigten Datenbank<br />
bereits bekannter Proteinstrukturen.<br />
Diese Kalibrierung quantifiziert<br />
unser bisheriges Wissen über<br />
Proteinstrukturen.<br />
Die mit einem solchen Ähnlichkeitsbegriff<br />
ausgestattete dynamische Programmierung<br />
kann eine Proteinsequenz<br />
in Minutenschnelle gegen eine<br />
repräsentative Menge von einigen<br />
hundert strukturbekannten Proteinen<br />
alinieren und dabei die Sequenzen heraussuchen,<br />
die am besten zur gegebenen<br />
Sequenz passen. Unsere Erfahrungen<br />
mit 123D sind, daß dabei die allgemeine<br />
Struktur, insbesondere die Lage<br />
der Sekundärstrukturelemente, recht<br />
zuverlässig vorhergesagt werden kann,<br />
T I T E L<br />
Umgebung eines Restes in einer Proteinstruktur.<br />
<strong>Der</strong> dunkle Rest liegt am Ende<br />
eines β-Stranges in einer hydrophoben Umgebung<br />
und kontaktiert mit fünf anderen<br />
Resten, darunter zweien in einer α-Helix. Es<br />
gibt zwei häufig beobachtete sogenannte<br />
Sekundärstrukturelemente in Proteinen. In<br />
einer α-Helix nimmt die Polymerkette des<br />
Proteins eine sehr kompakte spiralförmig<br />
gewundene Form an. In der Natur beobachtet<br />
man immer links gewundene α-Helices.<br />
In einem β-Strang streckt sich die Polymerkette<br />
des Proteins. β-Stränge lagern gern aneinander<br />
und formen so β-Faltblätter.<br />
selbst wenn die Ähnlichkeit gering ist.<br />
Nicht alle Teile der Proteinstruktur<br />
sind für das Verständnis der Funktion<br />
eines Proteins gleich wichtig. Proteine,<br />
die Stoffwechselfunktionen ausüben,<br />
zum Beispiel Enzyme, haben ein<br />
oder mehrere aktive Zentren, meistens<br />
Gruben oder Taschen, in denen<br />
sich andere Moleküle anlagern und<br />
chemische Reaktionen katalysiert<br />
werden. Das Aussehen solcher aktiver<br />
Zentren ist besonders wesentlich. Die<br />
Modellierung dieser Taschen erfordert<br />
eine Genauigkeit bei der Proteinstrukturvorhersage,<br />
die mit dynamischer<br />
Programmierung im allgemeinen<br />
nicht zu erreichen ist. <strong>Der</strong> Grund<br />
hierfür ist, daß sich in einer Proteinstruktur<br />
Teile der Proteinsequenz gegenseitig<br />
beeinflussen können, die innerhalb<br />
der Sequenz weit voneinander<br />
entfernt sind. Die dynamische<br />
Programmierung, die beide Proteinketten<br />
simultan von links nach rechts<br />
abarbeitet und dabei weder vor noch<br />
zurück „schaut“, kann solche Beeinflussungen<br />
nicht berücksichtigen.<br />
Die durch oben genannte komplexe<br />
Wechelwirkungsnetze implizierten<br />
algorithmischen Probleme sind<br />
meist NP vollständig. NP vollständige<br />
Probleme bilden eine bekannte Klasse<br />
von Problemen, für die keine polynomialen<br />
Algorithmen bekannt sind.<br />
Ein polynomialer Algorithmus für ein<br />
solches Problem würde dann auch die<br />
polynomiale Lösung aller Probleme<br />
dieser Klasse implizieren. Daher sind<br />
zur genauen Modellierung von aktiven<br />
Zentren komplexere Alignmentmethoden<br />
notwendig.<br />
In der <strong>GMD</strong> wurde eine solche Alignmentmethode,<br />
die RDP-Methode<br />
(Recursive Dynamic Programming),<br />
entwickelt, die das Alignment gleichsam<br />
von innen nach außen angeht.<br />
Die Methode beginnt mit den „wichtigen“<br />
Teilen des Alignments und arbeitet<br />
sich schrittweise in Bereiche<br />
vor, in denen das Alignment unzuverlässiger<br />
wird. Sich aus dem Alignment<br />
ergebende Informationen über die<br />
Proteinstruktur werden bei der weiteren<br />
Alignmentberechnung berücksichtigt.<br />
In den mehrdeutigen Bereichen<br />
des Alignments wird so versucht,<br />
mittels der schon alinierten sicheren<br />
Bereiche die weiteren Alinierungen<br />
so vorzunehmen, daß ein konsistentes<br />
Bild der gesamten Struktur entsteht.<br />
Dabei werden paarweise Wechselwirkungen<br />
zwischen in der Struktur kontaktierenden<br />
Resten bewertet. Die<br />
Methode benötigt gewöhnlich eine<br />
längere Laufzeit als die dynamische<br />
Programmierung, aber auch sie kann<br />
eine Datenbank von ein paar hundert<br />
Proteinstrukturen in einigen Stunden<br />
durchsuchen.<br />
Will man ein Strukturmodell entwerfen,<br />
so ist die Erkennung signifikanter<br />
Abschnitte des Alignments wesentlich.<br />
Darunter versteht man Abschnitte,<br />
deren Korrektheit mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit angenommen werden<br />
kann. Diese Abschnitte zu finden<br />
und gewinnbringend für die sukzessive<br />
Alignmentberechung einzusetzen,<br />
ist auch ein wesentlicher Bestandteil<br />
der RDP-Methode. In der <strong>GMD</strong> wurde<br />
eine statistische Methode entwickelt,<br />
solche Zuverlässigkeiten zu<br />
schätzen. In Abbildung 1 werden beispielsweise<br />
in der Zeile rel des Alignments<br />
mit hohen Ziffern hohe Zuverlässigkeiten<br />
von Alignmentpositionen<br />
angegeben.<br />
Verfügbarkeit der Methoden<br />
Die im Projekt PROTAL entwickelten<br />
Methoden sind in ein Software-<br />
Werkzeug ToPLign (Toolbox for Protein<br />
Alignment) integriert und zum<br />
größten Teil auf dem World Wide<br />
Web über die Adresse http://www.cartan.<br />
gmd.de/ToPLign.html verfügbar.<br />
123D ist seit Mitte des Jahres 1995<br />
auch auf einem Server der amerikanischen<br />
National Institutes of Health<br />
16 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
(NIH) zugreifbar (http://www.cartan.<br />
gmd.de/123D.html (<strong>GMD</strong>) oder<br />
http://www.lmmb.ncifcrf.gov/~nicka/1<br />
23D.html (NIH, Washington DC))<br />
und beantwortet zur Zeit etwa 1000<br />
Anfragen nach Threadings pro Monat.<br />
RDP Suchläufe können über<br />
ToPLign durchgeführt werden.<br />
Proteinstrukturvorhersage:<br />
Ein Beispiel<br />
Es gibt grundsätzlich zwei Vorgehensweisen,<br />
um Methoden zur Proteinstrukturvorhersage<br />
zu validieren.<br />
Zum einen kann man von dem Datenbestand<br />
der bisher bekannten Proteinstrukturen<br />
ausgehen, wie er etwa in<br />
der Protein Data Bank gegeben ist.<br />
Solche Strukturen sind praktisch ausnahmslos<br />
mit experimentellen Methoden,<br />
zum Beispiel Röntgenkristallographie<br />
oder Kernresonanzspektroskopie,<br />
bestimmt worden. Diese Daten<br />
bereinigt man, indem man eine repräsentative<br />
Auswahl von Proteinen<br />
vornimmt, deren Strukturen besonders<br />
präzise aufgeklärt worden sind<br />
und ein möglichst breites Spektrum<br />
der bekannten Strukturen abdecken.<br />
Einige zu solchen Proteinen ähnliche<br />
und ebenfalls genau in der Struktur<br />
aufgeklärte Proteine verwendet man<br />
zum Test der Methode: Man sagt ihre<br />
Struktur vorher und vergleicht mit<br />
den experimentell ermittelten Daten.<br />
Auf diese Weise kann man statistische<br />
Untersuchungen über die Zuverlässigkeit<br />
der Vorhersagemethode anwenden.<br />
In bezug auf die beiden in der<br />
<strong>GMD</strong> entwickelten Alignmentmethoden<br />
sagen diese aus, daß strukturelle<br />
Ähnlichkeiten auch im Bereich der<br />
Twilight-Zone in vielen Fällen eindeutig<br />
erkannt werden können.<br />
Neben dieser Methode gibt es noch<br />
die Möglichkeit der Validierung anhand<br />
einer „echten“ Strukturvorhersage.<br />
Diese ist immer dann möglich,<br />
wenn eine Proteinstruktur kurz vor<br />
ihrer Aufklärung steht. Die Vorhersagemethode<br />
soll in diesem Fall einen<br />
Strukturvorschlag machen, der mit<br />
den danach experimentell erhaltenen<br />
Daten verglichen wird.<br />
Im letzten Jahr hatten wir Gelegenheit<br />
zu einer solchen „echten“ Strukturvorhersage.<br />
Die zugrundeliegende<br />
T I T E L<br />
Sequenz wurde uns über Prof. Dr.<br />
Hugo Kubinyi von der BASF Ludwigshafen<br />
und von Prof. Dr. Gerhard<br />
Folkers, Eidgenössische Technische<br />
Hochschule Zürich, übermittelt. Die<br />
Struktur war zu dieser Zeit bereits<br />
aufgeklärt, aber noch nicht veröffentlicht<br />
und uns nicht bekannt. In acht<br />
Tagen haben wir durch Einsatz unserer<br />
Methoden zur Strukturvorhersage,<br />
unserer ToPLign-Alignmentverfahren<br />
sowie von Methoden, die über das<br />
World Wide Web verfügbar sind, die<br />
Sequenz als die einer Herpes-viralen<br />
Thymidin Kinase (TK) identifizieren,<br />
ein plausibles Faltungsmodell erstellen<br />
und eine partielle Strukturvorhersage<br />
machen können. Etwa die Hälfte<br />
der Proteinsequenz konnten wir<br />
strukturell nicht modellieren. Dies ist<br />
im Nachhinein nicht überraschend,<br />
weil diese Hälfte eine Teilstruktur bildet,<br />
für die es in der Datenbank bekannter<br />
Strukturen offenbar kein Vorbild<br />
gibt. Für die Vorhersage kommt<br />
erschwerend hinzu, daß sich je zwei<br />
TK-Ketten zu einem Dimer Komplex<br />
zusammenlagern und somit nur für<br />
ein Viertel des Proteins ein geeignetes<br />
Modell in der Datenbank vorlag. In<br />
diesem Teil des Proteins konnten wir<br />
alle Sekundärstrukturelemente bis auf<br />
einen β-Strang korrekt zuordnen. Eine<br />
Zuverlässigkeitsanalyse der Alignmentpositionen<br />
hat den nicht korrekt<br />
vorhergesagten Strang als unzuverlässig<br />
aliniert qualifiziert, da in diesem<br />
Bereich eine zweite ähnlich gute<br />
Alternative für das Alignment vorlag,<br />
die sich im Nachhinein als die richtige<br />
herausgestellt hat.<br />
Besonders erfreulich ist, daß wir das<br />
aktive Zentrum des Proteins (siehe<br />
Abbildung 3) sehr genau modellieren<br />
konnten. In der Tat ist das Modell genau<br />
genug, um Hypothesen über die<br />
Wechselwirkung des Proteins mit anderen<br />
Molekülen abzuleiten. Interessant<br />
ist, daß bei einem Alignment zwischen<br />
der Thymidin Kinase und dem<br />
Strukturvorbild in der Protein Data<br />
Bank, einer Adenylat Kinase, eine Sequenzähnlichkeit<br />
von 19 Prozent herauskommt,<br />
wenn das Alignment die<br />
Übereinstimmungen in beiden Sequenzen<br />
maximiert. Bei dem strukturell<br />
abgeleiteten Alignment fällt diese<br />
Ähnlichkeit jedoch auf unter 11 Prozent.<br />
Das zeigt deutlich, daß bei der<br />
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
Bereich von 61 Aminosäuren der Herpesviralen<br />
Thymidin Kinase, der mit einer<br />
Genauigkeit von 1.41 Ångström root mean<br />
square vorhergesagt wurde. α-Helices sind<br />
dunkel, β-Stränge hell markiert. Die beiden<br />
Liganden ATP/Adenosintriphosphat<br />
(dunkelgraues Knopfmodell) und Thymidin<br />
(hellgraues Knopfmodell) sind ebenfalls<br />
eingezeichnet.<br />
Proteinstrukturvorhersage in dieser<br />
Ähnlichkeitsklasse Alignments, die<br />
Sequenzähnlichkeiten maximieren,<br />
nicht unmittelbar von Nutzen sind.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Vorhersage von Proteinstrukturen<br />
ist eines der Grand Challenge-<br />
Probleme der rechnergestützten Molekularbiologie.<br />
Bis heute ist es nicht<br />
möglich, Proteinstrukturen de novo<br />
vorherzusagen. Für eine zuverlässige<br />
Strukturvorhersage braucht man vielmehr<br />
ein strukturelles Modell in Form<br />
eines (Teils eines) oder mehrerer Proteine,<br />
deren Struktur bekannt ist. In<br />
diesem Fall spricht man von der homologiebasiertenProteinstrukturvorhersage.<br />
Wenn hinreichende Sequenzähnlichkeit<br />
zwischen dem strukturell<br />
zu modellierenden Protein und den<br />
Proteinketten der Strukturvorbilder<br />
gegeben und berechenbar ist, kann<br />
der Vorhersageprozeß zum Erfolg<br />
führen. Bei Sequenzähnlichkeiten von<br />
unter 25 Prozent wird der Alignmentprozeß<br />
im allgemeinen sehr schwierig.<br />
Das Beispiel der Herpes-viralen Thymidin<br />
Kinase illustriert, wo die Möglichkeiten<br />
und Grenzen der homologiebasiertenProteinstrukturvorhersage<br />
liegen. Auf der einen Seite kann<br />
man Proteine modellieren, für die nur<br />
in Teilen Strukturmodelle in der Da-<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 17
tenbank vorliegen. Die Methoden finden<br />
den Teil des Proteins heraus, der<br />
modelliert werden kann. Falls dieser<br />
Teil das aktive Zentrum des Proteins<br />
enthält, ist die Strukturvorhersage<br />
nützlich, auch wenn nicht das ganze<br />
Protein modelliert werden kann. Auf<br />
der anderen Seite findet die homologiebasierte<br />
Modellierung schon nach<br />
ihrer Konzeption dort ihre Grenzen,<br />
wo keine geeigneten Strukturvorbilder<br />
in der Datenbank vorliegen.<br />
Informatiker können zur Entwicklung<br />
von Methoden zur Proteinstrukturvorhersage<br />
in drei Bereichen beitragen.<br />
Zum einen können sie durch effiziente<br />
Implementierung die Mächtigkeit<br />
der Methoden beim Einsatz in<br />
der Molekularbiologie stark erhöhen.<br />
Ein Beispiel hierfür ist die Kodierung<br />
sorgfältig auf die Anwendung abgestimmter<br />
Varianten der dynamischen<br />
Programmierung in 123D. Zweitens<br />
können Informatiker durch die Entwicklung<br />
geeigneter Algorithmen<br />
neuartige biologische Fragestellungen<br />
für einen Rechner zugänglich machen.<br />
Ein Beispiel hierfür ist die RDP-Methode,<br />
deren baumorientierte Optimierungsverfahren<br />
die Analyse struktureller<br />
und sequentieller Abhängigkeiten<br />
in Proteinen ermöglicht.<br />
Schließlich sollten sich Informatiker<br />
aber auch an der Modellierung<br />
des molekularbiologischen Problems<br />
selbst beteiligen. Beispiel hierfür ist<br />
die Herleitung der strukturellen Ähnlichkeitsbegriffe,<br />
die den 123D- und<br />
RDP-Methoden zugrunde liegen. Zumindest<br />
die Beteiligungen der letzten<br />
beiden Arten erfordern ein hohes<br />
Maß an Interdisziplinarität. <strong>Der</strong> Ertrag<br />
aus dieser interdisziplinären Forschung<br />
hat direkte Anwendungsrelevanz<br />
der durch die Informatiker entwickelten<br />
Methoden.<br />
T I T E L<br />
....................................<br />
Prof. Dr. Thomas<br />
Lengauer, PhD ist Leiter<br />
des <strong>GMD</strong>-Instituts für<br />
Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches<br />
Rechnen. Seine derzeitigenForschungsinteressen<br />
umfassen<br />
Algorithmen für technische<br />
Anwendungen<br />
von Packungsproblemen<br />
sowie Probleme<br />
der molekularen Modellierung<br />
in Chemie<br />
und Biologie.<br />
....................................<br />
Ralf Thiele ist Mitarbeiter<br />
im <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches<br />
Rechnen. Sein Forschungsschwerpunkt<br />
im Projekt „Proteine:<br />
Sequenz, Struktur und<br />
Evolution“ liegt in der<br />
Entwicklung effizienter<br />
Algorithmen zur Proteinstrukturvorhersage,<br />
basierend auf empirischen,<br />
aus der Menge<br />
der bekannten Proteinstrukturen<br />
und<br />
-sequenzen abgeleiteten<br />
Potentialen.<br />
....................................<br />
Dr. Ralf Zimmer ist<br />
Mitarbeiter im Projekt<br />
„Proteine: Sequenz,<br />
Struktur und Evolution“.<br />
Er beschäftigt<br />
sich mit der Modellierung<br />
von Proteinstrukturen<br />
und Proteinfaltung.<br />
Sein Hauptarbeitsgebiet<br />
ist zur<br />
Zeit die Entwicklung<br />
effizienter Algorithmen<br />
zur Proteinstrukturvorhersage<br />
und für die<br />
Analyse von biologischen<br />
Sequenzen<br />
und Proteinstrukturen.<br />
Berechnung<br />
von kristallinen<br />
und amorphen<br />
molekularen<br />
Strukturen<br />
Von Detlef Hofmann,<br />
Thomas Lengauer,<br />
Christina Oligschleger<br />
und Stephan Wefing<br />
Ein Schlüssel für die Eigenschaften<br />
vieler Materialien und Wirkstoffe<br />
liegt in ihrer molekularen Struktur.<br />
Unter der molekularen Struktur versteht<br />
man in diesem Zusammenhang<br />
sowohl das chemische Bindungsgerüst<br />
als auch und insbesondere die Anordnung<br />
der Atome im Raum. Die<br />
Kenntnis der Molekülstruktur ist<br />
daher ein wesentlicher Faktor in<br />
den naturwissenschaftlichen Disziplinen<br />
Chemie, Biochemie und Molekularbiologie.<br />
Sie ist ein wichtiges Element<br />
bei der Entschlüsselung der<br />
Eigenschaften von Werk- und Wirkstoffen<br />
und unterstützt die zielgerichtete<br />
Suche nach neuartigen Substanzen.<br />
Die experimentelle Chemie stellt eine<br />
beträchtliche Zahl von Verfahren zur<br />
Aufklärung molekularer Strukturen<br />
sowie zur Bestimmung von deren<br />
Energie bereit. Zu den strukturbestimmenden<br />
Methoden gehört die<br />
Röntgenkristallographie, bei der aus<br />
Beugungsmustern, die mit Röntgenstrahlen<br />
an Kristallen aus der betrachteten<br />
Substanz gewonnen werden,<br />
Strukturinformationen abgeleitet werden.<br />
Andere Methoden sind die Kernresonanzspektroskopie,<br />
diverse Methoden<br />
der Elektronenmikroskopie sowie<br />
Methoden, die auf anderen Teilchenstrahlen<br />
(Neutronen, Positronen)<br />
oder elektromagnetischen Wellen (γ-<br />
Strahlen) beruhen.<br />
Experimentelle Methoden der Strukturaufklärung<br />
sind häufig sehr aufwendig<br />
und führen nicht in allen Fäl-<br />
18 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
len zum Erfolg. Oft ist es hilfreich,<br />
durch ein rechnergeneriertes Strukturmodell<br />
alle bekannten Strukturdaten<br />
auf ihre Konsistenz hin zu überprüfen<br />
und den Raum der möglichen<br />
Strukturen einzuschränken. Andererseits<br />
erlauben diese Modelle unter<br />
Umständen die Berechnung von noch<br />
gar nicht vermessenen Substanzeigenschaften.<br />
Für eine solche Vorhersage<br />
muß sowohl die Strukturgenerierung<br />
als auch die Berechnung der Eigenschaft<br />
ausreichend schnell und zuverlässig<br />
sein. Ist dies der Fall, kann man<br />
über die Untersuchung einzelner<br />
Substanzen hinausgehen und ganze<br />
Datenbanken auf Substanzen mit<br />
gewünschten Eigenschaften durchsuchen.<br />
Die im Rechner erzeugten<br />
Modelle können der Ausgangspunkt<br />
für weitere gezielte experimentelle<br />
Untersuchungen sein.<br />
Für vergleichende Untersuchungen<br />
über Datenbanken benötigt man einen<br />
Durchsatz von einer Strukturmodellierung<br />
innerhalb weniger Minuten,<br />
damit auch Substanzfamilien mit<br />
einigen hundert bis tausend Mitgliedern<br />
noch in angemessener Zeit bearbeitet<br />
werden können. Konzentriert<br />
man sich auf eine einzelne Substanz,<br />
so sind Rechenzeiten von Stunden bis<br />
zu einem Tag tragbar.<br />
In der <strong>GMD</strong> verfolgen wir die Methodik,<br />
zunächst mit gezielt vergröberten<br />
Modellen und diskreten Optimierungsmethoden<br />
zu arbeiten, um in einem<br />
begrenzten Zeitumfang erste<br />
Strukturvorschläge zu machen. Favorisierte<br />
Strukturvorschläge werden<br />
dann mit verfeinerten Modellen und<br />
numerischen Methoden weiter bearbeitet,<br />
um größere Genauigkeiten zu<br />
erhalten. Im folgenden beschreiben<br />
wir die Ausprägung dieser Methodik<br />
für zwei Anwendungsbereiche, nämlich<br />
die Bestimmung von Kristallstrukturen<br />
kleiner bis mittelgroßer organischer<br />
Moleküle sowie die Berechnung<br />
von Strukturvorschlägen für anorganische<br />
amorphe Verbindungen.<br />
Weitere Anwendungen, die wir bearbeiten,<br />
sind die Berechnung von molekularen<br />
Komplexen aus Proteinen<br />
und niedermolekularen Liganden<br />
T I T E L<br />
(siehe auch Karl Aberer et al., <strong>GMD</strong>-<br />
<strong>Spiegel</strong> 1/96, Seite 15 ff, und das Titelbild<br />
dieser Ausgabe) sowie die<br />
Berechnung von Proteinstrukturen<br />
(siehe Thomas Lengauer et al., Modellierung<br />
von Proteinstrukturen, in<br />
diesem Heft). Unsere Forschungen<br />
finden in gemeinsamen Projekten mit<br />
Chemiefirmen (BASF, Merck) beziehungsweise<br />
im Rahmen des Sonderforschungsbereichs<br />
408, „Anorganische<br />
Festkörper ohne Translationssymmetrie“,<br />
der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
mit Physikern<br />
und Chemikern an der Universität<br />
Bonn und der Deutschen Forschungsanstalt<br />
für Luft- und Raumfahrt statt.<br />
Modellierung von<br />
organischen Kristallen<br />
Kristalle, die aus organischen Molekülen<br />
kleiner und mittlerer Größe<br />
gebildet werden, spielen eine wichtige<br />
Rolle bei der Entwicklung von Werkstoffen<br />
wie Pigmenten, Piezokristallen,<br />
optischen Elementen und magnetischen<br />
Substanzen. Die Moleküle, die<br />
hier betrachtet werden, haben eine<br />
Größe von bis zu etwa 100 Atomen.<br />
Die Kristallstruktur bedingt wesentliche<br />
physikalische Eigenschaften der<br />
Substanz. Etwa hängen bei Pigmenten<br />
die Farbschattierungen von der Kristallstruktur<br />
ab. Ferner ist die Substanz<br />
gegenüber äußeren Einflüssen<br />
wie etwa Lichteinwirkung oder Erhitzung<br />
um so stabiler, je höher die<br />
Energie ist, die aufgewendet werden<br />
muß, um die Kristallstruktur zu verändern.<br />
Mit Methoden wie zum Beispiel der<br />
Röntgendiffraktion lassen sich Kristallstrukturen<br />
atomar auflösen. Ferner<br />
lassen sich auch die Energien der<br />
Kristalle experimentell bestimmen.<br />
Beide Verfahren sind jedoch nicht immer<br />
erfolgreich, häufig deshalb, weil<br />
sie große Einkristalle benötigen, deren<br />
Fertigung nicht immer gelingt.<br />
Daher ist es sinnvoll, Kristallstrukturen<br />
und die aus ihnen resultierenden<br />
Eigenschaften der Substanz auch<br />
rechnerisch vorhersagen zu können.<br />
Wenn man aus der Kristallstruktur die<br />
interessierende Eigenschaft der Substanz,<br />
zum Beispiel ihre Farbe, rückrechnen<br />
kann, kann man mit einer<br />
schnellen Strukturberechnung Datenbanken<br />
organischer Moleküle auf<br />
Kandidaten hin durchsuchen, deren<br />
Kristalle die gewünschte Eigenschaft<br />
haben.<br />
Wir nehmen an, daß das organische<br />
Molekül starr ist. Diese Annahme ist<br />
in verschiedenen Anwendungsbereichen,<br />
zum Beispiel bei Pigmenten,<br />
naheliegend. Es sollen favorisierte<br />
Kristallstrukturen berechnet werden,<br />
die das Molekül annimmt.<br />
Wir haben eine Methode entwickelt,<br />
die auf der Basis einer gitterförmigen<br />
Diskretisierung des Raumes energetisch<br />
favorisierte Kristallstrukturen<br />
berechnet. Die Maschenlänge des Gitters<br />
liegt bei 1 Ångström, so daß die<br />
Diskretisierung Fehler von höchstens<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
Beobachtete (grau) und berechnete (weiß)<br />
Kristallstruktur des Moleküls Bis(dimethylamino)-tetrasulfur-tetranitrid.<br />
etwa 0.9 Ångström Abweichung in<br />
sich birgt. Fehler dieser Größe sind<br />
zur Berechnung von Kristallstrukturen<br />
noch vertretbar. Bei Eingabe der<br />
Struktur des Moleküls Bis(dimethylamino)-tetrasulfur-tetranitridberechnet<br />
unser Programm FlexCryst eine<br />
Reihe von Kristallstrukturen und bewertet<br />
ihre Energie nach heuristischen<br />
Kriterien. Dabei werden Kristallstrukturen<br />
generiert, die bis auf<br />
die durch die Diskretisierung des<br />
Raumes bedingte Abweichung den<br />
tatsächlich beobachteten Kristallstrukturen<br />
gleichen.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 19
Abbildung 1 zeigt die beobachtete<br />
Kristallstruktur des Moleküls Bis(dimethylamino)-tetrasulfur-tetranitrid<br />
(grau) sowie eine von FlexCryst<br />
berechnete ähnliche Kristallstruktur<br />
(weiß). Die Abweichung zwischen<br />
beiden Strukturen ist für Analysezwecke<br />
ausreichend gering. Die Laufzeiten<br />
von FlexCryst hängen unter anderem<br />
von der Raumgruppe des Kristalls<br />
ab. Bei der einfachsten Raumgruppe<br />
liegen sie im Bereich von einer<br />
Minute. Bei komplexeren Raumgruppen<br />
kann die Zeit auf über 30 Minuten<br />
ansteigen. Zur Zeit können wir<br />
zwei Raumgruppen bearbeiten und<br />
erweitern das Programm auf weitere<br />
Raumgruppen.<br />
Die von FlexCryst erzeugten Strukturen<br />
können mit numerischen Methoden,<br />
etwa Energieminimierung, weiter<br />
verfeinert werden. Hier gibt man die<br />
Vergröberung des Raumes auf ein diskretes<br />
Raster auf und sucht dafür<br />
nicht mehr global niederenergetische<br />
Kristallstrukturen, sondern nur noch<br />
solche in unmittelbarer Nähe der<br />
Ausgangsstruktur. Die Anwendung<br />
dieser Methoden auf die Struktur in<br />
Abbildung 1 zeigt, daß die Verfeinerung<br />
die Struktur in kurzer Zeit und<br />
durch nur geringe Veränderungen auf<br />
ein energetisches Minimum führen<br />
kann, dessen Abweichung von der beobachteten<br />
Kristallstruktur sich weiter<br />
reduziert. Hätte man dagegen numerische<br />
Modellierungsmethoden auf<br />
eine zufällige Anfangsstruktur angesetzt,<br />
so hätte man bei Laufzeiten im<br />
Stundenbereich mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
Kristallstrukturen erhalten,<br />
die den beobachteten gänzlich<br />
unähnlich sind.<br />
Ein Test unseres Programms auf einer<br />
Auswahl von chemischen Verbindungen<br />
aus der Cambridge Structure Database<br />
ergab, daß in etwa einem Drittel<br />
der von uns untersuchten Fälle die<br />
Datenbank signifikante Fehler aufwies.<br />
Daher kann ein Werkzeug wie<br />
FlexCryst nicht nur zur Strukturberechnung,<br />
sondern auch zur Bereinigung<br />
von molekularen Datenbanken<br />
dienen.<br />
T I T E L<br />
Modellierung von anorganischen<br />
Gläsern<br />
Im Gegensatz zu Kristallen zeichnen<br />
sich amorphe Substanzen durch ein<br />
unregelmäßiges atomares Bindungsmuster<br />
aus. Ein Beispiel für eine<br />
amorphe Substanz ist Quarzglas.<br />
Während im Quarzkristall die atomare<br />
Anordnung regelmäßig ist (siehe<br />
Abbildung 2 (a)), liegt bei Quarzglas<br />
keine strukturelle Regelmäßigkeit vor.<br />
Gerade in dieser strukturellen Unregelmäßigkeit<br />
liegt die Besonderheit<br />
amorpher Substanzen, die sie zum Beispiel<br />
für hitzebeständige Keramiken,<br />
optische Leiter, Halbleiter und magnetische<br />
Materialien in verschiedenen Umfeldern<br />
besonders attraktiv machen.<br />
Viele der experimentellen<br />
Methoden zur<br />
Strukturbestimmung beruhen<br />
gerade auf der<br />
signalverstärkenden Eigenschaft,<br />
die Kristalle<br />
aufgrund ihrer regelmäßigen<br />
Struktur haben.<br />
So sind im Gegensatz<br />
zum Kristall die<br />
Koordinaten der Atome<br />
in einer amorphen Substanz<br />
experimentell in<br />
der Regel nicht direkt<br />
zugänglich. Darum ist<br />
die experimentelle Bestimmung<br />
amorpher<br />
Strukturen besonders<br />
schwierig, und der<br />
rechnergestützten Modellierung<br />
amorpher<br />
Strukturen kommt eine<br />
besondere Bedeutung<br />
zu. Insbesondere ist die<br />
Bestimmung einer einzelnen<br />
amorphen Struktur<br />
wenig aussagekräftig.<br />
Vielmehr muß man<br />
Ensembles solcher Modelle<br />
erzeugen, die mit<br />
experimentellen Daten<br />
verträglich sind, und auf<br />
ihnen statistische Rechnungen<br />
vornehmen, um<br />
dem Wesen der amorphen<br />
Substanz auf die<br />
Spur zu kommen. Das<br />
stellt besonders hohe Anforderungen<br />
an die Performanz einer rechnergestützten<br />
Methode zur Bestimmung<br />
amorpher Strukturen.<br />
Ein in der <strong>GMD</strong> entwickeltes Programm<br />
zur Modellierung amorpher<br />
Molekülcluster berechnet die in Abbildung<br />
2(b) dargestellte Quarzglasstruktur<br />
mit etwa 2 000 Atomen. Aufgrund<br />
der großen Anzahl von Atomen<br />
und der damit verbundenen<br />
großen Anzahl von Freiheitsgraden<br />
benötigt die Modellierung länger als<br />
im kristallinen Fall, nämlich bis zu einigen<br />
Stunden. Grundlage ist hier<br />
wiederum ein diskretes Strukturmodell.<br />
Diesmal wird jedoch nicht der<br />
Raum diskretisiert, sondern die Men-<br />
Abbildung 2 a: <strong>GMD</strong><br />
Quarzkristall<br />
Abbildung 2 b: <strong>GMD</strong><br />
Quarzglas<br />
20 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
ge der Variationsmöglichkeiten bei<br />
der Festlegung von atomaren Bindungspartnern.<br />
Die mit dem Programm<br />
erzeugten Strukturmodelle<br />
sind im Innern naturgetreu, leiden jedoch<br />
am Rand unter der Tatsache,<br />
daß die Atome an der Oberfläche in<br />
einer für sie „untypischen“ Umgebung<br />
liegen. Wir sind zur Zeit dabei,<br />
durch die Einbringung periodischer<br />
Randbedingungen Oberflächen aus<br />
unseren Modellen zu eliminieren. Ferner<br />
erweitern wir das Programm auf<br />
andere amorphe Substanzen.<br />
Mit unseren Kooperationspartnern im<br />
Sonderforschungsbereich 408, „Anorganische<br />
Festkörper ohne Translationssymmetrie,“<br />
an der Universität<br />
Bonn entwickeln wir zur Zeit Methoden<br />
zur Verfeinerung der erzeugten<br />
Strukturmodelle. Eine Validierung<br />
der Strukturmodelle verläuft bei<br />
amorphen Substanzen durch Rückrechnung<br />
von Spektren und Korrelationsfunktionen<br />
aus dem Modell und<br />
ihren Vergleich mit entsprechenden<br />
gemessenen Daten.<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Die Rechnergestützte Modellierung<br />
molekularer Strukturen entwickelt<br />
sich zunehmend zu einer Analysemethode<br />
in der Chemie. Neben der experimentellen<br />
Untersuchung chemischer<br />
Werk- und Wirkstoffe und einer<br />
Theoriebildung auf dem Papier ist die<br />
Methode der Simulation chemischer<br />
Strukturen und Reaktionen bereits<br />
heute zur dritten Säule wissenschaftlicher<br />
Untersuchungen von chemischen<br />
Fragestellungen geworden.<br />
In der <strong>GMD</strong> beteiligen wir uns an dieser<br />
wissenschaftlichen Unternehmung<br />
in den Bereichen Molekularbiologie/Biochemie<br />
(Strukturen von Proteinen<br />
und Berechnung molekularer<br />
Wechselwirkungen zwischen Proteinen<br />
und organischen Wirkstoffen),<br />
organische Chemie (Berechnung von<br />
Kristallstrukturen organischer Moleküle),<br />
und anorganische Chemie<br />
(Strukturmodellierung kovalenter<br />
T I T E L<br />
Gläser). Neuartige diskrete Modellierungsmethoden<br />
sind in allen Fällen<br />
der Schlüssel für eine schnelle Berechnung<br />
plausibler Strukturvorschläge,<br />
die mit numerischen Methoden<br />
verfeinert werden können. Die Effizienz<br />
der Modellierungsalgorithmen<br />
ist so hoch, daß vergleichende Studien<br />
über größere Mengen von Verbindungen<br />
möglich werden.<br />
Heute sind die experimentelle und die<br />
rechnergestützte Untersuchung chemischer<br />
Verbindungen noch weitgehend<br />
voneinander getrennte Methoden.<br />
Wir versprechen uns einen erheblichen<br />
Fortschritt von der Verzahnung<br />
experimenteller und rechnerbasierter<br />
Methoden. Das langfristige<br />
Ziel liegt darin, in sorgfältig abgestimmten<br />
Untersuchungsfolgen, die<br />
mehrfach zwischen Experiment und<br />
Rechnermodellierung wechseln, die<br />
bereits angesammelten Strukturinformationen<br />
optimal zu nutzen und so in<br />
akzeptabler Zeit und mit hoher Sicherheit<br />
zu zuverlässigen Bestimmungen<br />
molekularer Strukturen zu kommen.<br />
....................................<br />
Dr. Detlef Hofmann<br />
arbeitet im Bereich<br />
rechnergestützte<br />
Chemie des <strong>GMD</strong>-Instituts<br />
für Algorithmen<br />
und Wissenschaftliches<br />
Rechnen. Sein<br />
Forschungsschwerpunkt<br />
ist die Entwicklung<br />
neuer Methoden<br />
zur Vorhersage von<br />
Kristallstrukturen organischer<br />
Moleküle.<br />
....................................<br />
Prof. Dr. Thomas<br />
Lengauer, PhD ist Leiter<br />
des <strong>GMD</strong>-Instituts für<br />
Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches<br />
Rechnen. Seine derzeitigenForschungsinteressen<br />
umfassen<br />
Algorithmen für technische<br />
Anwendungen<br />
von Packungsproblemen<br />
sowie Probleme<br />
der molekularen Modellierung<br />
in Chemie<br />
und Biologie.<br />
....................................<br />
Dr. Christa Oligschleger<br />
ist Physikerin und<br />
arbeitet im Projekt<br />
„Computational<br />
Chemistry“ am <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für Algorithmen<br />
und Wissenschaftliches<br />
Rechnen.<br />
Ihr Aufgabenbereich<br />
liegt in der Untersuchung<br />
von Strukturen<br />
anorganischer Festkörper<br />
und der Simulation<br />
dynamischer Eigenschaften,<br />
dazu wird<br />
auch der Parallelrechner<br />
SP-2 eingesetzt.<br />
....................................<br />
Dr. Stephan Wefing ist<br />
Chemiker im Projekt<br />
„Computational<br />
Chemistry“ am <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für Algorithmen<br />
und Wissenschaftliches<br />
Rechnen.<br />
Sein Arbeitsschwerpunkt<br />
ist die Modellierung<br />
amorpher Festkörper.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 21
SCENE — Bilder<br />
in der Medizin<br />
Von Thomas Berlage<br />
Bilder aus dem menschlichen Körper<br />
spielen eine immer größere Rolle in<br />
der Medizin. Seit der Erfindung der<br />
Röntgenstrahlen fasziniert die Idee, in<br />
den Menschen hineinblicken zu können.<br />
Von Ultraschall zu Magnetresonanzverfahren,<br />
von Video zur Endoskopie,<br />
immer mehr stützt sich die<br />
ärztliche Diagnose auf bildgebende<br />
Verfahren. Auflösung und Qualität<br />
der Bilder steigen ständig. Dadurch ist<br />
vieles leichter zu erkennen, gleichzeitig<br />
tauchen aber auch mehr Details<br />
auf, die für die Diagnose entscheidend<br />
sein können. Die Aufgabe des Arztes<br />
ist also nicht einfacher geworden, im<br />
Gegenteil, die feineren Unterscheidungsmöglichkeiten<br />
bedingen eine<br />
höhere Detailkenntnis und Erfahrung.<br />
<strong>Der</strong> Projektbereich SCENE des<br />
<strong>GMD</strong>-Instituts für Angewandte Informationstechnik<br />
entwickelt Ansätze,<br />
wie die Informationstechnik den Mediziner<br />
hier unterstützen kann. Eine<br />
Schlüsseltechnik dafür nennt sich erweiterte<br />
Realität (augmented reality),<br />
die Integration zwischen dem technischen<br />
Abbild der Wirklichkeit und einer<br />
korrespondierenden Modellvorstellung.<br />
Heutige Computersysteme<br />
sind dazu in der Lage, animierte dreidimensionale<br />
Objekte darzustellen,<br />
die gedankliche Vorstellungen über<br />
die Abläufe im menschlichen Körper<br />
anschaulich machen können.<br />
Beispiel:<br />
Ultraschall in der Kardiologie<br />
Eine typische Anwendung dieser<br />
Technik sind Ultraschalluntersuchungen<br />
des Herzens. Zur Interpretation<br />
der Ultraschallbilder ist ein sehr differenziertes<br />
räumliches Vorstellungsvermögen<br />
notwendig. Damit aus „Sehen“<br />
auch „Erkennen“ wird, muß der Arzt<br />
unbewußt visuelle Erwartungen aufbauen,<br />
denn Erkennen ist ein aktiver<br />
Prozeß. Normalerweise werden solche<br />
Erwartungsmuster durch lange Erfahrung,<br />
verbale Erläuterungen und vereinzelte<br />
Bilder vermittelt.<br />
T I T E L<br />
Für diese Situation hat die Projektgruppe<br />
den EchoSimulator konstruiert,<br />
eine Simulation, die neben dem<br />
Ultraschallbild auch ein animiertes<br />
Herzmodell zeigt. Das Herzmodell<br />
veranschaulicht genau die Modellvorstellungen,<br />
die ein erfahrener Kardiologe<br />
vom Herzen hat. Ein angehender<br />
Facharzt kann eine Ultraschalluntersuchung<br />
anhand dieses Modellherzens<br />
simulieren, um den Übergang zwischen<br />
den Denkvorstellungen und<br />
dem aktuellen Ultraschallbild zu trainieren.<br />
Auf diese Weise werden die<br />
notwendigen Erwartungsmuster viel<br />
schneller als bisher aufgebaut und<br />
Fehlvorstellungen von vorneherein<br />
vermieden.<br />
Am Simulator bewegt der Arzt einen<br />
simulierten Ultraschallkopf über einen<br />
Plastiktorso. Ein Sensor übermittelt<br />
Position und Orientierung des<br />
Kopfes an den Rechner. Dieser erzeugt<br />
eine Visualisierung der Abbildungsebene<br />
innerhalb des Herzens<br />
(Abbildung 2 rechts) und ein Schnittbild,<br />
das dem tatsächlichen Ultraschallbild<br />
entspricht (Abbildung 2<br />
links). Natürlich sind beide Darstellungen<br />
animiert: sie bilden auch den<br />
Herzschlag nach.<br />
Am Simulator trainiert der Arzt die<br />
Beziehung zwischen der Vorstellung<br />
vom Herzen und den tatsächlichen<br />
Ultraschallbildern. Gleichzeitig ist<br />
das System dazu geeignet, typische<br />
Schwierigkeiten des Ultraschalls und<br />
ihre Ursache am Modell zu demonstrieren,<br />
zum Beispiel in einem Ultraschallfortbildungskurs.<br />
Dieses Beispiel zeigt,<br />
wie die intuitive Veranschaulichung<br />
von medizinischen<br />
Vorstellungen<br />
in der Konfrontation<br />
mit realen Bildern dem<br />
behandelnden Arzt eine<br />
wirksame Orientierung<br />
geben kann. Diese Orientierung<br />
kann in verschiedenen<br />
Situationen<br />
wirksam werden:<br />
– Ausbildung: Grundlegende<br />
Vorstellungen<br />
werden schneller und<br />
ausführlicher vermittelt.<br />
– Diagnose: Modelle entlasten den<br />
Prozeß der Diagnosefindung; die<br />
Konfrontation von realen Bildern mit<br />
anschaulichen Modellvorstellungen<br />
bestimmter Krankheitsbilder erleichtert<br />
die Entscheidung, ersetzt sie aber<br />
nicht.<br />
– Behandlung: Ein Modell kann den<br />
Zustand des Patienten widerspiegeln<br />
und an weiterbehandelnde Personen<br />
kommunizieren.<br />
<strong>Der</strong> oben beschriebene EchoSimulator<br />
ist primär für die Ausbildung gedacht,<br />
die Unterstützung für die Diagnose<br />
wird in einer Industriekooperation<br />
unter dem Namen CardiAssist<br />
entwickelt.<br />
Das Projekt CardiAssist<br />
In dem europäischen Verbundprojekt<br />
CardiAssist, unterstützt durch das<br />
Förderprogramm Gesundheits-Telematik<br />
der Europäischen Union, will<br />
die <strong>GMD</strong> solche Unterstützungsleistungen<br />
beispielhaft umsetzen. In Kooperation<br />
mit Medizinern aus Universitätskliniken<br />
und Firmen der Medizintechnik<br />
werden Herzmodelle als<br />
Orientierungshilfen in kommerzielle<br />
Ultraschallgeräte integriert.<br />
Die dort entstehenden Prototypen<br />
werden für die kardiologische Ausbildung<br />
konzipiert, für die Diagnosefindung<br />
anhand dreidimensionaler<br />
Ultraschallbilder und zur Falldokumentation<br />
und Falldiskussion über<br />
Telekonsultation.<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
Simulation einer Ultraschalluntersuchung<br />
22 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
T I T E L<br />
Abbildung 2 : <strong>GMD</strong><br />
Bildschirm des EchoSimulators<br />
Ein typisches Szenario für dieses Projekt<br />
könnte sich etwa wie folgt abspielen.<br />
Ein neugeborenes Kind mit einem<br />
angeborenen Herzfehler wird in<br />
einer<br />
kardiologischen Klinik untersucht.<br />
Unter anderem erstellt die Kardiologin<br />
ein dreidimensionales Ultraschallbild<br />
des Herzens. Angeborene Fehlbildungen<br />
können mitunter sehr ungewöhnliche<br />
Formen haben, die zu ihrer<br />
Beurteilung und Behandlung eine<br />
konkrete räumliche Vorstellung bedingen.<br />
Dabei hilft die dreidimensionale<br />
Aufnahme mit dem begleitenden<br />
(Normal)modell.<br />
Die chirurgische Behandlung ist aber<br />
nur in einer entfernten Klinik möglich.<br />
Es bleibt nur wenig Zeit, um festzustellen,<br />
wer in der Lage ist, diesen<br />
Eingriff vorzunehmen. Die Ärztin<br />
kann nun das Normalmodell soweit<br />
variieren, daß es die wesentlichen<br />
Merkmale des realen Herzens wiedergibt.<br />
Diese Darstellung zusammen mit<br />
dem Ultraschallbild erlaubt dann eine<br />
sehr schnelle Beurteilung durch einen<br />
Chirurgen. Zu diesem Zweck wird eine<br />
Telekonsultation über das Integrated<br />
Services Digital Network (ISDN)<br />
aufgerufen, in der beide Ärzte den<br />
Fall diskutieren und die umgehende<br />
Überweisung des kleinen Patienten<br />
anordnen. Im entfernten Hospital angekommen,<br />
ist bereits alles zur Operation<br />
vorbereitet, ohne erneut langwierige<br />
Untersuchungen wiederholen<br />
zu müssen.<br />
Telekommunikationstechniken erlauben<br />
in allen Situationen die Zusammenarbeit<br />
zwischen entfernten Partnern.<br />
In der Ausbildung können hospitierende<br />
Studenten später auch in<br />
anderen Krankenhäusern weiter betreut<br />
werden. Diagnoseprobleme können<br />
mit entfernten Kollegen besprochen<br />
werden, und die Überweisung<br />
zur Folgebehandlung wird von einer<br />
anschaulichen Falldokumentation<br />
elektronisch begleitet.<br />
Die Dokumentation des Falles kann<br />
später aufbereitet wiederum Studenten<br />
zur Verfügung gestellt werden, um<br />
die Diagnose und Behandlung solcher<br />
Fehlbildungen für die Zukunft im Simulator<br />
zu trainieren.<br />
Virtuelle Szenen<br />
Als tragendes Konzept während der<br />
erwähnten Entwicklungen hat sich der<br />
Begriff der Szene erwiesen. Räumliche<br />
und bewegte Szenen – wie etwa<br />
das Herz mit der Visualisierung des<br />
Schallkopfes und der Bildebene, eingebettet<br />
in den Brustkorb, siehe Abbildung<br />
2 – bieten einerseits Anknüpfungspunkte<br />
für vorhandene Erwartungen,<br />
vermitteln darüber hinaus<br />
aber auch neue und detaillierte Vorstellungen.<br />
Die räumliche Struktur einer Szene<br />
kommt der menschlichen Wahrnehmung<br />
entgegen, weil wir von Geburt<br />
an die Umwelt in der gleichen Weise<br />
wahrnehmen und erforschen. Dreidimensionale<br />
Darstellungen veranschaulichen<br />
unmittelbar räumliche<br />
und strukturelle Zusammenhänge.<br />
Die Szene vermittelt eine Orientierung<br />
für das Zurechtfinden in den<br />
Bilddetails. Die Orientierung erlaubt<br />
es dem Betrachter, sich sofort auf die<br />
relevanten Details zu konzentrieren.<br />
Mit zunehmendem Wissen wird die<br />
Szene immer vertrauter, aber ähnlich<br />
wie in der Realität wird die Visualisierung<br />
nicht als Belastung empfunden,<br />
sondern unbewußt ausgeblendet, so<br />
daß die Details wirksam werden<br />
können.<br />
Zu diesem Zweck muß sich der Betrachter<br />
natürlich in der Szene bewegen<br />
und sich Einzelheiten genau betrachten<br />
können. Übertragen auf das<br />
Herzmodell heißt dies, daß man die<br />
Betrachtungsposition ändern kann, also<br />
quasi um das Herz herumgeht. Man<br />
kann näher herangehen, aber auch<br />
Teile des Herzens transparent machen<br />
oder wegblenden, um die Innenstruktur<br />
zu erforschen, wie etwa die Herzklappen.<br />
Neben der Orientierung bietet eine<br />
Szene aber auch bildhafte Erklärungen.<br />
Die Szene ist nicht nur der umschließende<br />
Raum für etwaige Details<br />
wie das Ultraschallbild, sondern bietet<br />
gleichzeitig auch Anhaltspunkte zum<br />
Verstehen dieser Ultraschallbilder.<br />
Für die Diagnose und das Verständnis<br />
von Herzkrankheiten spielen das Bewegungsverhalten<br />
und das Zusammenspiel<br />
der einzelnen Herzstrukturen<br />
eine entscheidende Rolle. Die<br />
Funktionsweise der Herzklappen muß<br />
verstanden sein, um Abweichungen in<br />
der Bewegung feststellen und in ihrer<br />
Tragweite beurteilen zu können.<br />
Animierte Computergrafiken sind ein<br />
neues Medium, in dem solche komplexen<br />
Strukturen und Abläufe veranschaulicht<br />
werden können. Im Gegensatz<br />
zum Trickfilm kann ein Benutzer<br />
aber interaktiv eingreifen und sich auf<br />
interessante Teile konzentrieren. Dies<br />
ist eine Voraussetzung, um Erklärungen<br />
auch in der alltäglichen Arbeitssituation<br />
benutzen zu können.<br />
Noch wenig ausgelotet sind die Möglichkeiten<br />
der Interaktion mit solchen<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 23
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
Herz mit Darstellung des Klappenapparates<br />
Systemen: der Benutzer kann aktiv<br />
werden und simulierte Reaktionen<br />
hervorrufen. Damit ist auch aktives<br />
Handeln in komplexen Prozessen trainierbar.<br />
Im Gegensatz zu einem reinen Simulator<br />
kann die Szene aber auch Wirkungsmechanismen<br />
veranschaulichen.<br />
Beispielsweise würde ein simpler Simulator<br />
nur das Ultraschallbild zeigen.<br />
Damit wäre zwar gewonnen, daß<br />
keine Probanden mehr gebraucht<br />
werden – was übrigens für chirurgische<br />
Simulatoren ein sehr entscheidender<br />
Faktor ist – aber es fehlt die<br />
dazugehörige grafische Erläuterung<br />
des Geschehens, die die Bilder erst<br />
verständlich macht.<br />
Entwicklungsprozeß<br />
Eine andere Erkenntnis der bisherigen<br />
Arbeiten betrifft den Entwicklungsprozeß.<br />
Die Visualisierung komplexer<br />
Modelle ist mit heutigen Computersystemen<br />
weitgehend problemlos,<br />
wenn auch sehr mühselig, die eigentliche<br />
Herausforderung liegt aber<br />
in der Entwicklung und Umsetzung<br />
geeigneter Modellvorstellungen. Nie<br />
zuvor hatten Mediziner die Möglichkeit<br />
und die Anforderung, ihre Vorstellungen<br />
in einem dynamischen Medium<br />
zu realisieren. Die intensive<br />
Auseinandersetzung zwischen Medizinern<br />
und Informatikern, Psychologen<br />
und Designern ist notwendig, um<br />
wirksame Unterstützungsleistungen<br />
T I T E L<br />
zu realisieren.<br />
Es ist unmittelbar anschaulich, daß etwa<br />
ein Informatiker allein kaum in<br />
der Lage wäre, eine diagnostisch korrekte<br />
Herzdarstellung zu finden. Aber<br />
auch die Mediziner tun sich schwer,<br />
ihr Wissen in grafische Modelle umzusetzen.<br />
Erst in der Konfrontation mit<br />
einem anfaßbaren Zwischenergebnis<br />
kann der Mediziner seine Vorstellungen<br />
artikulieren.<br />
So ist auch das Herzmodell in SCENE<br />
entstanden. Erste rudimentäre Modelle<br />
wurden noch mit einfachen Entwicklungswerkzeugen<br />
konstruiert.<br />
Die Detaillierung war zwar erkennbar<br />
ungeeignet zur Vermittlung anatomischer<br />
Vorstellungen, aber die interaktive<br />
Bedienung ließ die medizinischen<br />
Kooperationspartner (Prof. Dr. Dierk<br />
A. Redel, Universitätskinderklinik<br />
Bonn) bereits die möglichen Anwendungen<br />
erkennen. Die Detailkritik<br />
der Mediziner führte zu einer ständigen<br />
Verfeinerung des Modells in aufwendigen<br />
Modellierungsverfahren.<br />
Beispielsweise wurden zur Darstellung<br />
des Klappenapparates Erwachsenenkardiologen<br />
hinzugezogen (Prof.<br />
Dr. Reinhard Griebenow, Universitätsklinik<br />
Köln-Merheim).<br />
Damit wird auch deutlich, daß es bei<br />
der Modellierung nicht auf die unkritische<br />
Abbildung einer wie auch immer<br />
gearteten Wirklichkeit ankommt.<br />
Das Herzmodell, so wie es ist, wird<br />
nie mit der Realität verglichen werden<br />
können, weil mit dem Öffnen des<br />
Brustkorbs das Herz aufhört zu schlagen<br />
und in sich zusammensinkt. Statt<br />
dessen repräsentiert das Modell die<br />
Vorstellungen des Kardiologen, die er<br />
zur Diagnosefindung benutzt.<br />
Zukunftsaussichten<br />
Natürlich lassen sich die erwähnten<br />
Techniken in fast allen medizinischen<br />
Bereichen anwenden. Es seien hier<br />
beispielhaft folgende Ansätze genannt:<br />
– Kardiologie: Die Veranschaulichung<br />
von Medikamentenwirkungen<br />
unterstützt Arzt und Patient in der<br />
richtigen Medikamentierung.<br />
– Gynäkologie: Auch in der Gynäkologie<br />
kann die Ultraschallunter-<br />
suchung durch Modelle unterstützt<br />
werden. Trainingsmechanismen verbessern<br />
die Diagnose aufgrund von<br />
Mikroskopbildern in der routinemäßigen<br />
Krebsvorsorgeuntersuchung.<br />
– Neurologie: Die Beziehung zwischen<br />
Bildern der Hirnaktivität und<br />
den auftretenden Störungen stellt<br />
hohe Anforderungen an das Vorstellungsvermögen<br />
des Mediziners.<br />
Ein weiterer Schritt betrifft die Einbeziehung<br />
der gesamten Situation des<br />
Arztes einschließlich der Beziehung<br />
zu seinen Patienten. Unterstützungssysteme,<br />
wie in SCENE entwickelt,<br />
werden auch Befähigungssysteme genannt.<br />
Sie vermitteln in der Arbeitssituation<br />
neue Fähigkeiten abgestimmt<br />
auf die Bedürfnisse des nutzenden<br />
Arztes. Auch die Patienten<br />
profitieren von dieser Technik. Sie erhalten<br />
nicht nur eine qualifiziertere<br />
Behandlung, sondern können durch<br />
die erklärenden Modelle selber die<br />
Situation besser verstehen.<br />
Dieses Szenario, in dem Arzt und Patient<br />
nicht durch die Technik getrennt<br />
sind, sondern, in dem Informationsund<br />
Kommunikationstechnik das Zusammenwirken<br />
beider stärken, wird<br />
in dem Modell des „Behandlungsraums<br />
der Zukunft“ verdeutlicht<br />
(Abbildung 4).<br />
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient<br />
steht im Mittelpunkt des Geschehens.<br />
An den Wänden werden in<br />
einer gemeinsamen Szene situationsunterstützende<br />
Veranschaulichungen<br />
gegeben, die von der aktuellen Untersuchung<br />
beeinflußt werden. Neben<br />
den wichtigsten Fakten aus der Patientenakte<br />
findet man dort Bildaufnahmen,<br />
wie Ultraschall und Röntgen,<br />
zusammen mit erläuternden Modellen.<br />
Dies hilft dem Arzt bei der<br />
Diagnose, aber auch dem Patienten<br />
zum Verständnis. Arzt und Patient<br />
können sich über diesen gemeinsamen<br />
Bezug unterhalten, der Arzt wird die<br />
Modelle als Vermittlungsmedium benutzen.<br />
Auch Informationen aus Online-<br />
Diensten zu bestimmten Krankheitsbildern<br />
oder möglichen Medikationen<br />
können so abgerufen werden. Zur Te-<br />
24 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />
Behandlungsraum der Zukunft<br />
lekonsultation werden andere Ärzte<br />
hinzugeschaltet, um die gemeinsame<br />
Diskussion auch über räumliche<br />
Grenzen hinweg zu führen. Neue Interaktionstechniken,<br />
beispielsweise<br />
Video, Gestik, Spracherkennung, werden<br />
benötigt, um mit den neuen Systemen<br />
zu arbeiten. Im Gegensatz zu<br />
heute lenkt die Technik den Arzt<br />
nicht vom Patienten ab, sondern bezieht<br />
beide kooperativ mit ein.<br />
Auch wenn das konkrete Szenario sicherlich<br />
nicht so schnell Einzug in die<br />
Praxis des Hausarztes finden wird,<br />
zeigt es doch auf, wie moderne Technik<br />
den Menschen sanft unterstützen<br />
kann. Gerade der niedergelassene<br />
Arzt braucht zum lebenslangen Lernen<br />
Unterstützung, um mit dem rasanten<br />
Fortschritt der Medizin Schritt<br />
halten zu können.<br />
....................................<br />
Dr. Thomas Berlage<br />
arbeitet im <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für Angewandte<br />
Informationstechnik<br />
an interaktiven Telekonsultationssystemen<br />
für die Kardiologie<br />
und leitet das europäischeVerbundprojekt<br />
CardiAssist.<br />
T I T E L<br />
CardiAssist:<br />
Unterstützung der<br />
kardiologischen<br />
Diagnose und<br />
Telekommunikation<br />
durch<br />
Enablingsysteme<br />
und 3D Ultraschall<br />
Von Thomas Berlage<br />
Telekonsultation spielt eine zunehmend<br />
wichtigere Rolle in der Medizin.<br />
Sie ermöglicht Ärzten, eine Diagnose<br />
mit einem räumlich entfernten Kollegen<br />
zu besprechen, ohne den Patienten<br />
zu einer erneuten Untersuchung<br />
dorthin zu schicken. Sie ermöglicht<br />
einen nahtlosen Übergang zwischen<br />
der Diagnosestellung und der anschließenden<br />
Behandlung an einem<br />
beliebigen Ort. Telekonsultation kann<br />
lebensrettend sein, wenn in Notfällen<br />
oder abgelegenen Gebieten kein Spezialist<br />
vor Ort erreichbar ist.<br />
Das im Telematik-Programm der Europäischen<br />
Union geförderte Projekt<br />
CardiAssist hat ein Telekonsultationsverfahren<br />
für die Kardiologie zum<br />
Ziel, basierend auf dreidimensionalen<br />
Ultraschallbildern. Dem EchoCom-<br />
System liegen zwei wesentliche Ideen<br />
zugrunde:<br />
– Dreidimensionale Ultraschallbilder<br />
des Patienten werden in ein künstliches<br />
animiertes Oberflächenmodell<br />
des Herzens integriert. Das Herzmodell<br />
stellt eine virtuelle 3D-Szene dar,<br />
die zur räumlichen Orientierung dient<br />
und visuelle Erwartungsmuster für die<br />
Bildinterpretation bereitstellen soll.<br />
Interaktive Funktionen, wie das Auswählen<br />
von bestimmten Bildebenen<br />
und die Markierung und Annotation<br />
von Regionen, unterstützen die implizite<br />
Kommunikation zwischen den<br />
Partnern.<br />
– Das Herzmodell stellt ein „gemeinsames<br />
Artefakt“ zur Telekommunikation<br />
dar, das die folgenden Komponenten<br />
enthält: eine Repräsentation<br />
der Partner als virtuelle Akteure, eine<br />
Unterscheidung zwischen dem Kontext<br />
(der Patientenakte) und den individuellen<br />
Inhalten (Bildern, Meßwerten<br />
etc.), Konversation in Form von<br />
Audiosequenzen und Textnachrichten<br />
sowie einem Satz von Werkzeugen zur<br />
Manipulation.<br />
Das Zusammenspiel dieser beiden<br />
Konzepte stellt eine szenische Kommunikationsschnittstelle<br />
dar. Eine szenische<br />
Schnittstelle visualisiert eine<br />
Abstraktion in den gewohnten Dimensionen<br />
von Raum und Zeit. Die<br />
Struktur der Szene folgt den physikalischen<br />
Gesetzen. Außerdem ist eine<br />
Szene nicht nur passiv, sondern zeigt<br />
ein Verhalten, das nicht vom Benutzer<br />
selbst angestoßen wurde. Die raumzeitliche<br />
Natur der Szene ermöglicht<br />
es, solche Veränderungen natürlich<br />
wahrzunehmen, ohne sich auf die Einzelheiten<br />
der Szene zu konzentrieren.<br />
Szenische Kommunikationsschnittstellen<br />
basieren auf den folgenden<br />
drei fundamentalen Eigenschaften:<br />
– Orientierung. Die Kommunikationspartner<br />
benötigen eine Übersicht über<br />
die Situation und ihre eigene Beziehung<br />
dazu; sie müssen sich gegenseitig<br />
und die jeweiligen Standpunkte wahrnehmen<br />
können.<br />
– Visuelle Erklärung. Die grafische<br />
Struktur der Szene und ihr zeitliches<br />
Verhalten dienen zur Erklärung der<br />
Historie des Geschehens, der aktuellen<br />
Beziehungen der Einzelteile und<br />
der zukünftigen Aktionsmöglichkeiten.<br />
– Implizite Kommunikation. Die<br />
Partner kommunizieren durch Zeigeoperationen<br />
und Änderungen der<br />
Szene.<br />
Im folgenden werden zunächst unsere<br />
Erfahrungen mit szenischen Interfaces<br />
(Abschnitt 2) und gemeinsamen<br />
Artefakten (Abschnitt 3) geschildert.<br />
Anschließend werden die drei genannten<br />
Eigenschaften näher untersucht,<br />
die nach unserer Meinung wichtige<br />
Aspekte virtueller Modelle für<br />
die Telekommunikation beschreiben.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 25
Obwohl EchoCom bisher nur zum<br />
Teil implementiert ist, haben wir einige<br />
dieser Annahmen durch Beobachtungen<br />
in einem Ultraschallkurs verifiziert.<br />
In diesem Kurs wurde das vorher<br />
entwickelte System EchoSim als<br />
Vermittlungsmedium verwendet.<br />
EchoSim ist ein Trainingssystem für<br />
die Echokardiographie, das ebenfalls<br />
ein szenisches Interface mit einem virtuellen<br />
Herzmodell verwendet.<br />
Erfahrungen mit<br />
szenischen Visualisierungen<br />
für Ultraschalltraining<br />
Im Projekt SCENE wurde in der<br />
<strong>GMD</strong> ein Trainingssystem für die<br />
Echokardiographie entwickelt, dessen<br />
Konzepte auch für die Telekonsultation<br />
übernommen werden. <strong>Der</strong> interaktive<br />
Simulator EchoSim zeigt, wie<br />
virtuelle Modelle eine Orientierungshilfe<br />
für die Interpretation von Ultraschallbildern<br />
liefern können. Mit<br />
EchoSim kann der Kardiologe eine<br />
virtuelle Ultraschalluntersuchung anhand<br />
eines 3D-Datensatzes ausführen.<br />
<strong>Der</strong> EchoSim Ultraschallsimulator<br />
Konventionelle Ultraschallgeräte produzieren<br />
einen kontinuierlichen Strom<br />
von zweidimensionalen Ultraschallbildern,<br />
die durch einen von Hand bewegten<br />
Ultraschallkopf erzeugt werden.<br />
Dreidimensionaler Ultraschall<br />
besteht aus einer Anzahl von zweidimensionalen<br />
Schichtaufnahmen, die<br />
in bestimmter Reihenfolge mit konstanter<br />
Relativbewegung aufgezeichnet<br />
wurden. Jede der Aufnahmen ist<br />
eine kurze Folge von Bildern (6 bis<br />
24), um in der Kardiologie jeweils einen<br />
vollen Herzzyklus aufnehmen zu<br />
können.<br />
<strong>Der</strong> so erzeugte Datensatz (mit der<br />
Bezeichnung 4D, weil zeitabhängig)<br />
kann auch als Abfolge von Volumen<br />
beschrieben werden, die sich aus einzelnen<br />
„Voxeln“ zusammensetzen.<br />
Voxel sind das 3D-Äquivalent zu<br />
Pixeln und beschreiben ein kubisches<br />
Volumen mit einem bestimmten<br />
Grauwert. Ein solcher Datensatz stellt<br />
eine vollständige Beschreibung des<br />
raum-zeitlichen Zustands in einem bestimmten<br />
Teil des Körpers dar und ist<br />
daher auch für asynchrone Kommunikation<br />
und permanente Speicherung<br />
T I T E L<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
Angeschnittenes Herzmodell in EchoSim<br />
verwendbar.<br />
EchoSim wird gesteuert mit einem<br />
imitierten Ultraschallkopf, an dem ein<br />
Sensor befestigt ist. <strong>Der</strong> Sensor mißt<br />
kontinuierlich Position und Orientierung<br />
des Ultraschallkopfes. Auf dem<br />
Rechner wird ein entsprechendes 3D-<br />
Szenario gezeigt, das aus einem animierten<br />
Herzmodell und einer visuellen<br />
Darstellung des Ultraschallkopfes<br />
und dessen simulierter Schallebene<br />
besteht (Abbildung 1).<br />
Durch Bewegen, Drehen oder Neigen<br />
des Ultraschallkopfes kann der Benutzer<br />
die Bewegungen der Bildebene<br />
durch das Herz aus zwei unterschiedlichen<br />
Perspektiven beobachten:<br />
1. In der „Außenansicht“ (rechts)<br />
blickt der Benutzer frontal auf den<br />
Brustkorb, das Herz und den Schallkopf<br />
als virtuelles Modell. <strong>Der</strong> Standpunkt<br />
in dieser Welt kann verändert<br />
werden, zum Beispiel, um die Seite<br />
oder Rückseite zu beobachten. Teile<br />
des Modells können transparent gemacht<br />
oder ganz weggenommen werden,<br />
um das Innere des Herzens mit<br />
dem Klappenapparat zu sehen.<br />
2. In der „Schnittansicht“ (links) sieht<br />
der Benutzer auf die aktuelle Bildebene<br />
des Schallkopfes, so wie dies auch<br />
in einem realen Ultraschallgerät zu<br />
sehen ist. In dieser Sicht wird ein<br />
Schnittbild aus dem 3D-Datensatz mit<br />
einer Konturdarstellung des virtuellen<br />
Herzmodells überlagert.<br />
Auf diese Weise vermittelt das virtuelle<br />
Oberflächenmodell eine Basisorientierung<br />
und den Überblick über<br />
den Datensatz. Das Herzmodell ist<br />
nicht vom jeweiligen Patienten abgeleitet,<br />
sondern von Hand modelliert,<br />
um die wesentlichen Vorstellungen<br />
eines kardiologischen Experten zu visualisieren.<br />
Damit bietet es nicht nur<br />
eine globale Orientierung, sondern<br />
vermittelt auch einen konkreten Satz<br />
von Erwartungsmustern zur Interpretation<br />
der Bilder.<br />
Beobachtungen in einem Trainingskurs<br />
Beobachtungen zur Nutzung von<br />
EchoSim als Kommunikationsmedium<br />
wurden in einem eintägigen Basiskurs<br />
zur Echokardiographie vorgenommen.<br />
In diesem Kurs wurde<br />
EchoSim zur Erläuterung von diagnostisch<br />
relevanten Standardpositionen,<br />
den notwendigen Schritten zu deren<br />
Einstellung, der dort sichtbaren<br />
Strukturen und der diagnostischen<br />
Zwecke dieser Positionen verwendet.<br />
Daneben wurde auch ein reales Ultraschallgerät<br />
verwendet.<br />
In vorherigen Kursen war zur Erläuterung<br />
noch ein mechanisches Herzmodell<br />
verwendet worden, das zur<br />
Darstellung der Innenstruktur auch<br />
aufgeklappt werden kann. An diesem<br />
Modell können natürlich keinen dynamischen<br />
Phänomene erläutert werden,<br />
auch die Illustration von Schnit-<br />
26 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
tebenen mit entsprechenden Handbewegungen<br />
ist nicht sehr aussagekräftig.<br />
Die Beobachtungen zeigen, daß der<br />
Simulator im Kursvortrag im wesentlichen<br />
als ein implizites Kommunikationsmedium<br />
zur Unterstützung der<br />
gesprochenen Sprache und anstelle<br />
von händischen Gesten eingesetzt<br />
wird. <strong>Der</strong> Simulator wurde häufig zeigend<br />
eingesetzt, um Strukturen, Positionen,<br />
Bewegungen und Regionen<br />
hervorzuheben. Ähnliche Operationen<br />
können in einer Telekonsultationssituation<br />
einen zusätzlichen<br />
Kommunikationskanal aufbauen, der<br />
auf einer Manipulation des 3D-<br />
Modells auf der einen Seite und der<br />
Beobachtung dieser Aktionen auf der<br />
anderen Seite besteht.<br />
Obwohl diese Beobachtungen primär<br />
eine Lehr-Lernsituation betreffen,<br />
sind sie auch auf Telekonsultationen<br />
anwendbar. Bei einer Telekonsultation<br />
sind auch selten beide Partner auf<br />
dem gleichen Wissenstand. Unabhängig<br />
davon sind die Kursbeobachtungen<br />
die einzigen realen Erfahrungen,<br />
die vor der Realisierung des Telekonsultationsdienstes<br />
zur Verfügung<br />
stehen.<br />
<strong>Der</strong> Vortragende benutzte den Simulator<br />
in folgender Hinsicht:<br />
Hervorheben benannter Strukturen:<br />
Strukturen, wie „Aorta“, „Mitralklappe“,<br />
„linker Ventrikel“, werden in<br />
der Lehrsituation häufig benannt. Obwohl<br />
alle Teilnehmer als ausgebildete<br />
Ärzte die entsprechenden Begriffe beherrschten,<br />
wurde dennoch häufig das<br />
benannte Element gleichzeitig in einer<br />
der beiden Sichten gezeigt. Damit<br />
wurde die Aufmerksamkeit verstärkt<br />
auf das jeweilige Element gelenkt und<br />
der mentale Aufwand zur Umsetzung<br />
von Name in Objekt verringert.<br />
Hervorheben von Kurven und Regionen:<br />
Als präzisere Zeigeoperation<br />
wurde in den 2D-Sichten häufig eine<br />
Kurve, zum Beispiel das posteriore<br />
Segel der Mitralklappe, oder eine Region<br />
mit dem Finger oder einem<br />
Leuchtzeiger hervorgehoben. Dazu<br />
wurde eine Kurve nachgefahren oder<br />
eine Region umgrenzt. Damit wurde<br />
die exakte Begrenzung einer Struktur<br />
T I T E L<br />
verdeutlicht, was in einem Ultraschallbild<br />
nicht immer offensichtlich<br />
ist. Es wurden nicht nur ganze Strukturelemente<br />
gezeigt, sondern auch bestimmte<br />
Abschnitte, zum Beispiel<br />
„der Mittelteil der anterioren Wand“<br />
(um das Ausmaß eines Infarktes zu<br />
beschreiben).<br />
Bewegungsrichtung der Bildebene: In<br />
einigen Fällen war es wichtig, die<br />
Bewegungsrichtung der Bildebene<br />
(Drehen, Kippen, Verschieben) zu<br />
verdeutlichen. Dabei sind schon kleine<br />
Differenzen von Bedeutung, die in<br />
der 3D-Ansicht ohne weitere Hilfsmittel<br />
schwer zu erkennen sind. In einem<br />
solchen Fall wurde die Richtung<br />
verbal beschrieben oder mit einer zusätzlichen<br />
Handgeste veranschaulicht.<br />
Bewegungsrichtungen: Auch Bewegungen,<br />
zum Beispiel des Blutstroms,<br />
wurden durch Fingergesten gezeigt. In<br />
der Bildebene wurde dazu eine imaginäre<br />
Linie in Flußrichtung angedeutet,<br />
in der dreidimensionalen Darstellung<br />
mußte eine zusätzliche Fingerrichtung<br />
verwendet werden, da es dort<br />
keine Möglichkeit zur Richtungsangabe<br />
gibt.<br />
Verschieben des Standpunkts: Um die<br />
exakte Lage der Bildebene relativ zu<br />
verschiedenen Herzstrukturen zu zeigen,<br />
wurde häufig der Beobachtungsstandpunkt<br />
in der 3D-Darstellung verändert,<br />
aber nur zwischen drei bestimmten<br />
Positionen („vorn“, „links“<br />
und „rechts“). Die Positionen waren<br />
jeweils relativ zur Schallebene, um<br />
den Schnitt jeweils aus der Vogelperspektive<br />
oder einer direkten Seitenansicht<br />
zu zeigen.<br />
Strukturen verbergen: Um die innere<br />
Struktur zu sehen, wurde die Herzkammer<br />
verschiedentlich unsichtbar<br />
oder transparent gemacht.<br />
Orientierung<br />
Eine wesentliche menschliche Fähigkeit<br />
ist die Orientierung in räumlichen<br />
Umgebungen. Einige wenige Blicke<br />
von verschiedenen Positionen reichen<br />
aus, um ein mentales Modell der<br />
Struktur und Aktivität in einer räumlichen<br />
Szene aufzubauen. Dieses mentale<br />
Modell ist ausreichend, um direkt<br />
aktiv zu werden und sich zu bewegen,<br />
Dinge zu verändern und mit anderen<br />
Menschen Kontakt aufzunehmen.<br />
In der beobachteten Kurssituation<br />
war die Szene real und lokal, aber der<br />
Simulator fügte einen virtuellen Teil<br />
hinzu. Das virtuelle Modell gab den<br />
Teilnehmern eine Orientierung über<br />
das Kursthema und ihre eigene Beziehung<br />
zu der gewünschten Vorstellung<br />
vom Herzen.<br />
Telekonsultation stellt hohe Anforderungen<br />
an die Orientierung der Teilnehmer,<br />
zum einen, weil innere Organe<br />
nur indirekt abgebildet werden<br />
können und zum anderen, weil in der<br />
Regel einer der Partner mit einem<br />
unbekannten Fall konfrontiert wird.<br />
Orientierung wird in folgender Hinsicht<br />
benötigt:<br />
– Um Kontakt aufzunehmen (Übersicht<br />
über Verfügbarkeit).<br />
– Zum Überblick über die jeweiligen<br />
Blickpunkte der Partner.<br />
– Zur räumlichen Orientierung in<br />
3D-Datensätzen.<br />
– Zur Orientierung über die Lage<br />
von Bildebenen im Raum.<br />
Diese Aspekte müssen bei der Konzeption<br />
eines entsprechenden Modells<br />
berücksichtigt werden.<br />
Kontaktaufnahme<br />
Asynchrone Telekonsultation ermöglicht<br />
es dem medizinischen Experten,<br />
die Arbeitszeit noch flexibler einzuteilen.<br />
Aber selbst unter diesen Bedingungen<br />
ist immer noch eine Information<br />
über die Verfügbarkeit der<br />
Partner notwendig, um in kritischen<br />
Situationen den geeigneten Kollegen<br />
herauszufinden. Die gemeinsame Szene<br />
muß also einen Überblick über die<br />
Verfügbarkeit der Partner bieten.<br />
EchoCom visualisiert die Büros der<br />
Partner in Form eines „cone trees“<br />
(Abbildung 2). Wenn ein Partner<br />
nicht in seinem Büro zu sehen ist – also<br />
nicht für eine direkte elektronische<br />
Kontaktaufnahme zur Verfügung<br />
steht – ist das „virtuelle Büro“ leer. Es<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 27
T I T E L<br />
Abbildung 2 : <strong>GMD</strong><br />
EchoCom Bildschirm mit Patienten- und Partnerdaten (unten), Herzmodell (rechts) und Anschnitt (links).<br />
kann auch Hinweise wie „OP bis 12<br />
Uhr“ zeigen. Ist der Partner verfügbar,<br />
wird ein Miniaturbild angezeigt.<br />
Konsultationen werden durchgeführt,<br />
indem die eigene Person virtuell in einen<br />
bestimmten Raum bewegt wird.<br />
In diesem Raum wird der Zustand des<br />
Patienten in Form von Bildern repräsentiert.<br />
Weitere Informationen stehen<br />
in Schubladen zur Verfügung, die<br />
gegen unbefugte Einsicht gesichert<br />
werden können.<br />
Aufnahmeposition<br />
Eines der grundlegenden Probleme<br />
des kardiologischen Ultraschalls ist es,<br />
ein Bild an der geeigneten Stelle und<br />
im richtigen Abbildungsmodus aufzunehmen.<br />
Ein Bild zeigt jeweils nur einen<br />
winzigen Ausschnitt des Patienten,<br />
und es ist leicht möglich, die kritischen<br />
Stellen zu verfehlen. Messungen<br />
anhand von Bildern sind ebenfalls<br />
sehr anfällig gegenüber unkorrekten<br />
Aufnahmepositionen.<br />
Daher erhalten aufgenomme Bilder<br />
einen wesentlich höheren Wert, wenn<br />
ihre Aufnahmeposition relativ zum<br />
Patienten bekannt ist. Die Orientierung<br />
eines 3D-Ultraschalldatensatzes<br />
ist ohne zugehöriges Herzmodell alles<br />
andere als offensichtlich, und Volumendarstellungen<br />
zeigen selten eindeutige<br />
Darstellungen. <strong>Der</strong> hinzugezogene<br />
Kardiologe muß in der Lage<br />
sein, die Aufnahmeposition zu beurteilen<br />
und gegebenenfalls Korrekturen<br />
oder Alternativpositionen vorschlagen<br />
können.<br />
Zur Lösung dieses Problems präsentiert<br />
EchoCom die Ultraschallbilder<br />
immer in eindeutiger Beziehung zu<br />
dem virtuellen Herzmodell, entweder<br />
durch eine direkte bildliche Integration<br />
(die Konturüberlagerung in<br />
der 2D-Sicht) oder durch interaktive<br />
Rückkopplung (die Kopplung des 2D-<br />
Bildes an die simulierte Bildebene des<br />
Ultraschalkopfes).<br />
Blickpunkt Bewegen<br />
In der realen Welt kann eine komplette<br />
Beurteilung einer Situation selten<br />
aus einer einzigen Position erfolgen.<br />
Stattdessen muß der Beobachter auf<br />
bestimmte Teile fokussieren. Die Bewegung<br />
des eigenen Standpunktes in<br />
der (virtuellen) Welt hat zwei Motivationen:<br />
– Wahrnehmung der räumlichen<br />
Struktur.<br />
– Verändern des fokalen Punkts.<br />
<strong>Der</strong> erste Grund rührt daher, daß perspektivische<br />
Änderungen bei Eigenbewegungen<br />
einen Ersatz für stereoskopische<br />
Wahrnehmung darstellen.<br />
<strong>Der</strong> zweite Grund bezieht sich auf die<br />
Größe und Komplexität einer Szene.<br />
Das Hauptfenster in EchoCom zeigt<br />
einen Überblick über alle relevanten<br />
Patientendaten und Kommunikationspartner.<br />
In dieser Umgebung ist jeweils<br />
ein Patient der aktuelle Fokus.<br />
Die detaillierte Sicht bezieht sich auf<br />
genau eine Aufnahme und auf eine<br />
bestimmte Bildebene in dieser Aufnahme.<br />
28 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Die Beziehung zwischen den verschiedenen<br />
Fokusebenen kann auf unterschiedliche<br />
Weise dargestellt werden.<br />
Man kann das aktuell fokussierte Objekt<br />
statisch markieren, man kann<br />
aber auch durch Animation beim Navigieren<br />
Beziehungen zwischen verschiedenen<br />
Ebenen herstellen. Zum<br />
Beispiel läßt sich die Beziehung zwischen<br />
der aktuellen Bildebene und<br />
der Position des Ultraschallkopfes<br />
sehr einfach anhand der Rückkopplung<br />
auf Bewegung des Ultraschallkopfes<br />
nachvollziehen.<br />
EchoCom benutzt einen gemeinsamen<br />
Standpunkt für alle Beobachter<br />
einer bestimmten Szene. Falls sich<br />
dies als eine Beschränkung herausstellen<br />
sollte, kann man zusätzlich eine<br />
Visualisierung der jeweiligen Standpunkte<br />
in die Szene aufnehmen.<br />
Implizite Kommunikation<br />
In EchoCom spielen Zeigeoperationen<br />
eine wichtige Rolle, weil die<br />
Kommunikation bereichert wird<br />
durch die Möglichkeit, in Konversationen<br />
auf Teile des Artefakts verweisen<br />
zu können. Diese zweifache<br />
Kommunikationsebene (double-level<br />
language) erhöht die Kommunikationseffizienz,<br />
weil Mehrdeutigkeiten<br />
verringert werden und schneller eine<br />
gemeinsame Verstehensbasis geschaffen<br />
wird. Die räumliche Struktur virtueller<br />
Welten und ihr Verhalten über<br />
die Zeit stellen sicher, daß die implizite<br />
Kommunikation in möglichst natürlicher<br />
Weise wahrgenommen werden<br />
kann.<br />
In dem beobachteten Trainingskurs<br />
wurden Zeigeoperationen intensiv genutzt,<br />
um die informelle Kommunikation<br />
mit der virtuellen Szene zu verbinden.<br />
Solche mehrfachen Kommunikationskanäle<br />
können auch für Telekonsultation<br />
oder Teletraining über<br />
Entfernungen genutzt werden.<br />
Konversation<br />
Die Aufzeichnung von Konversationen<br />
ist notwendig, um Zeigeopera-<br />
T I T E L<br />
tionen auch für asynchrone Kommunikation<br />
nutzen zu können. Solche<br />
Konversationen können in verschiedener<br />
Weise ablaufen:<br />
– Anmerkungen zur Patientenakte<br />
oder den Bildern. Anmerkungen verschiedener<br />
Personen können zum Beispiel<br />
durch verschiedene Farben identifiziert<br />
werden.<br />
– Aufzeichnung von geführten Touren<br />
durch die wichtigsten Beobachtungen.<br />
Solch eine Aufzeichnung besteht<br />
aus einer Audiospur mit synchronisierten<br />
Aktionen, die später<br />
wieder abgespielt werden können.<br />
– Synchrone Audio-/Videokonferenz<br />
mit Zeigeoperationen.<br />
Asynchrone Kontaktaufnahmen erfolgen<br />
durch Verschieben einer Aufzeichnung<br />
in ein bestimmtes Büro.<br />
Die Anfrage wurde bearbeitet, wenn<br />
eine entsprechende Aufzeichnung<br />
zurückgekommen ist.<br />
Interaktive Kommunikaton<br />
durch 3D-Bilder<br />
Im Trainingskurs benutzte der Instruktor<br />
den EchoSimulator als ein<br />
Medium, das kontinuierlich in den<br />
Fortgang der Konversation eingebunden<br />
wurde. Mehrere Kommunikationskanäle<br />
wurden gleichzeitig benutzt.<br />
Zeigemechanismen für Telekooperation<br />
müssen diese Randbedingungen<br />
beachten. Den verschiedenen<br />
Kommunikationskanälen sollten auch<br />
verschiedene parallel zu benutzende<br />
Eingabemechanismen zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Verfolgung des Ultraschallkopfes: Offensichtlich<br />
ist der Ultraschallkopf das<br />
am häufigsten benutzte Instrument,<br />
das mit der rechten Hand gesteuert<br />
wird. In dem 3D-Szenario dient der<br />
Schallkopf zur Exploration des Volumens<br />
und zum Einstellen einer bestimmten<br />
Bildebene von Interesse.<br />
Markierung: Die zweithäufigste Operation<br />
war das Zeigen bestimmter<br />
Details in der Bildebene. In der Bildebene<br />
werden die meisten diagnostischen<br />
Details identifiziert und Messungen<br />
durchgeführt. Es wird ein Mechanismus<br />
gebraucht, um diese Fein-<br />
heiten gegenseitig zu markieren.<br />
Die Zeigeoperationen werden mit der<br />
linken Hand durchgeführt. In den<br />
meisten Ultraschallgeräten ist ein<br />
Trackball für diesen Zweck vorhanden.<br />
Alternativ könnte ein Lichtzeiger<br />
benutzt werden, da ein solcher auch<br />
häufig im Kursus eingesetzt wurde.<br />
Die Visualisierung einer solchen Zeigeoperation<br />
muß so gewählt werden,<br />
daß sie leicht wahrgenommen werden<br />
kann. Eine Anzeige (Telepointer) ist<br />
nur für die Dauer des Zeigevorgangs<br />
notwendig. Ein Grafiktablett bietet<br />
hierfür eine gute Möglichkeit, da die<br />
Visualisierung vom Stiftdruck abhängig<br />
gemacht werden und damit dynamisch<br />
aktiviert werden kann.<br />
Fokus: Einige Aktionen lenken die<br />
Aufmerksamkeit des Gegenüber (Fokus)<br />
auf einen bestimmten Teil der<br />
Szene. Da ihre Anzahl begrenzt ist,<br />
kann man sie durch Spracherkennung<br />
mit begrenztem Wortschatz auslösen,<br />
um eine separate Menübedienung zu<br />
vermeiden:<br />
– Fokus auf ein bestimmtes Fenster<br />
setzen („1“ oder „2“). Die Größe dieses<br />
Fensters kann mit weiteren Angaben<br />
(„groß“, „klein“) verändert werden,<br />
da eine Feineinstellung der Fenstergrößen<br />
nicht notwendig ist.<br />
– Blickpunkt in 3D setzen. Hier werden<br />
nur wenige Positionen tatsächlich<br />
eingenommen. Es ist noch zu untersuchen,<br />
ob diese Positionen absolut<br />
zum Herzen oder relativ zur Bildebene<br />
interpretiert werden sollen.<br />
– Herausheben benannter Strukturen,<br />
die durch ein begrenztes Vokabular<br />
benannt werden können. Dadurch<br />
werden mentale Beziehungen zwischen<br />
Namen und Bild gestärkt; für<br />
Experten wird das Auffinden des Fokuspunktes<br />
unterstützt. Mit den Zusatzworten<br />
„ein“/„aus“ können die<br />
Strukturen unsichtbar gemacht werden.<br />
Um die Spracherkennung während<br />
der Konversation zu ermöglichen, aktiviert<br />
ein Knopf auf dem Schallkopf<br />
die Spracheingabe für jeweils einen<br />
Befehl.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 29
Zeitliche Effekte: Im Gegensatz zu<br />
gemeinsamen Zeichenprogrammen<br />
sollen die Markierungen an bestimmten<br />
Stellen oder die Hervorhebungen<br />
nur selten permanent sein. Sie haben<br />
eine untergeordnete Rolle in bezug<br />
auf die eigentliche Konversation und<br />
sollten nur während des entsprechenden<br />
Gesprächsteils angezeigt werden,<br />
ohne daß die Partner die Markierungen<br />
explizit wieder entfernen müssen.<br />
Als Kompromiß zwischen Flüchtigkeit<br />
und Sichtbarkeit sollen die Markierungen<br />
„nachleuchten“ und nach<br />
kurzer Zeit allmählich verschwinden<br />
(Abbildung 3).<br />
Durch das Benennen wird eine Struktur<br />
mit voller Intensität markiert. Die<br />
Intensität nimmt dann allmählich ab,<br />
bis die Hervorhebung nicht mehr<br />
sichtbar ist. In der Bildebene können<br />
durch Nachleuchten Linien und Regionen<br />
nachgefahren werden.<br />
Betonung kann ausgedrückt werden<br />
durch die Intensität der Markierung.<br />
Wenn das Zeigegerät stärker gedrückt<br />
wird, wird die Markierungsintensität<br />
und damit die Nachleuchtdauer<br />
größer. Ein drucksensitiver Stift kann<br />
so vorteilhaft eingesetzt werden.<br />
Ebenso kann die Lautstärke für die<br />
Spracherkennung ausgewertet werden.<br />
Ausblick<br />
Die Erfahrungen aus dem Ultraschallkurs<br />
zeigen, daß virtuelle Modelle eine<br />
ausdrucksstarke implizite Kommunikation<br />
vermitteln können. Dabei<br />
wurden die folgenden drei Eigenschaften<br />
als besonders wichtig identifiziert:<br />
– Das Gewinnen eines Überblicks<br />
durch Navigieren in einer 3D-Szene.<br />
– Eine visuelle Erläuterung durch<br />
strukturelle Modelle, Animationen<br />
und die Historie.<br />
T I T E L<br />
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
Allmählich verschwindende Markierung<br />
einer Linie.<br />
– Implizite Kommunikation durch<br />
verschiedene Zeigemechanismen.<br />
Eine solche szenische Kommunikationsschnittstelle<br />
stellt nicht nur ein<br />
neuartiges Kommunikationsmedium<br />
dar, sondern unterstützt auch die kontinuierliche<br />
Forbildung der Benutzer,<br />
da entsprechende mentale Modelle<br />
zur Bildinterpretation und Wirkungsweise<br />
des Herzens vermittelt werden.<br />
Aber auch die persönliche Hilfestellung<br />
und die Fortbildung werden unterstützt.<br />
Unterstützung<br />
Die Unterstützungskonzepte für die<br />
Ultraschalldiagnose und das animierte<br />
Herzmodell wurden vom Projekt<br />
SCENE in der <strong>GMD</strong> (Gernoth<br />
Grunst, Thorsten Fox, Klaus-Jürgen<br />
Quast, Peter Rohleder) in Kooperation<br />
mit der Universitätskinderklinik<br />
Bonn (Prof. Dr. Dierk A. Redel) und<br />
der Universitätsklinik Köln-Merheim<br />
(Prof. Dr. Reinhard Griebenow) entwickelt.<br />
Das CardiAssist-Projekt wird<br />
von der Europäischen Union im Programm<br />
Gesundheitstelematik gefördert.<br />
Die Partner in diesem Projekt<br />
sind Stiftelsen for Industriell og Teknisk<br />
Forskning ved Norges Tekniske<br />
Høgskole (SINTEF), Vingmed Sound,<br />
TomTec, SONOTRON, Universität<br />
Bonn, Thorax Center Rotterdam und<br />
die Universitätsklinik Lissabon.<br />
....................................<br />
Dr. Thomas Berlage<br />
arbeitet im <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für Angewandte<br />
Informationstechnik<br />
an interaktiven Telekonsultationssystemen<br />
für die Kardiologie<br />
und leitet das europäischeVerbundprojekt<br />
CardiAssist.<br />
30 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Szenische<br />
Enablingsysteme –<br />
Trainingsumgebungen<br />
in der Echokardiographie<br />
Von Gernoth Grunst,<br />
Thorsten Fox, Klaus-Jürgen Quast<br />
und Dierk A. Redel<br />
Das Problemfeld „medizinische Ausbildung“<br />
ist geprägt durch die Diskrepanz<br />
einer theoretisch vorklinischen<br />
und einer praxisorientiert klinischen<br />
Ausbildungsphase. Die Lerninhalte<br />
sind im Sinne des Aufbaus reflektierter<br />
Erfahrungen nahezu unverbunden.<br />
Informatik verstanden als kooperative<br />
Problemlösewissenschaft kann hier einen<br />
spezifischen Beitrag zur Verbesserung<br />
der Situation leisten. Veranschaulichungstechniken,<br />
wie interaktive<br />
Multimedia und Virtuelle Realität,<br />
sind geeignet, theoretische und<br />
praktische Elemente medizinischer<br />
Expertise fallbezogen erfahrbar zu<br />
machen.<br />
Ein problemangemessenes und kognitiv<br />
adäquates Vermittlungskonzept<br />
setzt voraus, daß die wesentlichen<br />
Aspekte der realen Expertise beziehungsweise<br />
notorische Verstehensprobleme<br />
und Versagensgründe bekannt<br />
sind. Das Projekt SCENE hat zum<br />
Ziel, für den Bereich der Echokardiographie,<br />
also für Ultraschalluntersuchungen<br />
des Herzens, solche bedarfsgerechten<br />
Trainings- oder „Enablingsysteme“<br />
zu entwickeln. Zu diesem<br />
Zweck werden zunächst interaktionsanalytische<br />
Untersuchungen realer<br />
Diagnosen und Fallbesprechungen<br />
durchgeführt.<br />
Die Analyseergebnisse leiten einen<br />
partizipativ-interdisziplinären Entwicklungsprozeß<br />
an. Von Medizinern<br />
und Psychologen gemeinsam als wesentlich<br />
erkannte Zusammenhänge<br />
und zugeordnete Hilfsvorstellungen<br />
T I T E L<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
Anwendungsbereich<br />
Vor-Analysen<br />
Identifikation relevanter<br />
Inhalte und ihrer kognitiven<br />
Bewältigung durch<br />
den menschlichen Experten<br />
Erster Prototyp<br />
Zweiter Prototyp<br />
1. Bewertungsphase<br />
Beurteilung durch den<br />
Experten und Verfeinerung<br />
der Vermittlungsinhalte<br />
2. Bewertungsphase<br />
Test der Orientierungswirksamkeit<br />
in<br />
realen Zielsituationen<br />
Endsystem<br />
Generelle Merkmale<br />
- interdisziplinär<br />
- empirisch qualitativ<br />
- Rapid-Prototyping<br />
Vorgangsmodell der partizipativen<br />
Systementwicklung<br />
erfahrener Ärzte werden nach Diskussionen<br />
mit Multimedia-Designern<br />
und Informatikern in geeignete Veranschaulichungen<br />
durch interaktive<br />
3D-Grafiken und Animationen umgesetzt.<br />
In Design-Evaluation-Redesign-<br />
Zyklen werden zunächst Grobentwürfe<br />
realisiert, deren Unzulänglichkeiten<br />
mit den Zielanwendern erörtert<br />
werden. Diese Evaluationen fördern<br />
häufig noch tiefere Einsichten in<br />
die vom Experten tatsächlich angewandten<br />
mentalen Modelle zutage.<br />
Das folgende Transkript gibt ein typisches<br />
Beispiel dafür, welche räumlich<br />
dynamischen und anschaulich funktionalen<br />
Vorstellungen des kardiologischen<br />
Experten (E) hierbei elizitiert<br />
werden:<br />
E: Es könnte theoretisch sein, daß –<br />
wenn die Klappe aufgeht – die Chordae<br />
erschlaffen. Verstehen Sie, was<br />
ich meine?<br />
N: Ja. Natürlich, ja, ja.<br />
E: Daß sie, daß sie durchhängt. So´n<br />
bißchen, daß man sie so´n bißchen<br />
krüngelig zeigt, wenn die aufgeht.<br />
Aber die Chordae sind nun nicht<br />
dafür da, – sozusagen – in Diastole<br />
was zu steuern, nur in Systole. Aber<br />
sobald die Klappe beginnt, sich zu<br />
schließen, ja?, werden die Chordae<br />
wieder gespannt.<br />
N: Mhm, mhm.<br />
E: Und dann bewegen sich die Papillarmuskeln<br />
in dem Maße, in dem sich<br />
die Chordae bewegen. Mit anderen<br />
Worten, die Ventrikel wird kürzer, dadurch<br />
wird der Abstand.. äh die Ventrikel<br />
wird kürzer, die Klappe muß zubleiben.<br />
Theoretisch würde die Klappe<br />
jetzt nach hinten durchschlagen,<br />
weil die Chordae gleichlang bleiben<br />
muß. Mit anderen Worten, in dem<br />
Maß, in dem die Ventrikel kürzer<br />
wird, müssen die Papillarmuskel auch<br />
kürzer werden, um das Gespann zu<br />
halten.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 31<br />
N: Ja.<br />
E: Wichtig ist, daß in Diastole die<br />
Chordae schlaff sind. Wie so´n Zügel<br />
am Pferd, der ganz locker ist, ´n<br />
bißchen wellig würd ich die zeichnen<br />
in Diastole. Das wär toll. Dann ist die<br />
Sache also echt realistisch. Hat keiner<br />
so richtig gesehen bisher, aber so muß<br />
man sich das vorstellen.<br />
N: Mhm.<br />
E: Man sieht halt im Echo, wenn man<br />
in kurzer Achse ist, sieht man die<br />
Chordae als Punkte. Sieht man, wie<br />
die hin und herfliegen, flippern in<br />
Diastole, in Systole sind die ganz<br />
stramm.<br />
In erfolgreich verlaufenden tutoriellen<br />
Interaktionen mit Studenten hinterlegt<br />
der medizinische Experte<br />
durch vergleichbare Metaphern abstrakte<br />
Wahrnehmungen mit anschau-
lichem Sinn. Analysen realer Diagnosen<br />
zeigen zudem, daß derartige Leitvorstellungen<br />
dem Experten die intuitive<br />
Interpretation von Ultraschallbildern<br />
ermöglichen. Sie sind eine<br />
Voraussetzung der Erkennung pathologischer<br />
Veränderungen des Herzens<br />
im Ultraschall.<br />
Die im Transkript deutlich werdenden<br />
Mentalen Funktionsmodelle sind jedoch<br />
nicht die einzigen Formen kognitiv<br />
verdichteter Erfahrungen, die<br />
im Verhalten des Experten festzustellen<br />
sind und in der Ultraschalldiagnose<br />
eine Rolle spielen. Im Gegensatz<br />
zum Anfänger ist er unmittelbar – also<br />
ohne längere Überlegungsschritte –<br />
dazu in der Lage, die schallkopfabhängigen<br />
Ansichtswinkel eines Ultraschallbildes<br />
zu erfassen und Bilddetails<br />
geometrisch korrekt zuzuordnen.<br />
In den Interaktionsanalysen werden<br />
diese Unterschiede vor allem in der<br />
verzögerungsfreien Benennung der<br />
sichtbaren Strukturen deutlich. <strong>Der</strong><br />
Anfänger hat sehr oft Schwierigkeiten,<br />
über die räumlich strukturelle<br />
Einordnung des Ultraschallbildes hinaus<br />
auch noch die Relevanz des Gesehenen<br />
für die Diagnose bestimmter<br />
Herzkrankheiten zu erfassen. Die aufeinander<br />
aufbauenden kognitiven Anforderungen<br />
scheinen zu kumulativen<br />
Desorientierungen zu führen.<br />
Ein diesem kognitiven Anforderungsprofil<br />
gerecht werdendes Enablingkonzept<br />
muß versuchen, Teilelemente<br />
der Expertise zu isolieren und in gesonderten<br />
Trainingseinheiten zu vermitteln.<br />
Durch selbstgesteuertes Üben<br />
sollen Erfahrungen gesammelt und zu<br />
automatisierten Wahrnehmungs- und<br />
Verhaltensmustern verdichtet werden<br />
können.<br />
Die multimedialen Trainingssysteme<br />
EchoTutor und 4D Heart Explorer<br />
<strong>Der</strong> EchoTutor ist der erste Prototyp<br />
computertechnischer Unterstützungssysteme<br />
für die Echokardiographie,<br />
der aus der Kooperation der <strong>GMD</strong><br />
T I T E L<br />
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
Multimediale Trainingsszenarien EchoTutor und 4D Heart Explorer<br />
und der Abteilung für Kardiologie der<br />
Universitätskinderklinik Bonn hervorgegangen<br />
ist. Durch eine Verbindung<br />
von einfacher interaktiver 3D-<br />
Grafik, Animationen und Videosequenzen<br />
von Ultraschallaufnahmen<br />
erfährt der Arzt auf anschauliche<br />
Weise, wie diagnostisch relevante<br />
Schallebenen eingestellt werden, und<br />
bekommt Orientierungshilfen zur<br />
Identifikation von Strukturen in den<br />
ge-wonnenen Bildsequenzen. Außerdem<br />
werden räumliche Zusammenhänge<br />
von Bildebene und Schnittebene<br />
im Herzen anschaulich visualisiert<br />
und zum Beispiel erlaubt, die notwendigen<br />
mentalen Rotationen der im Ultraschall<br />
gezeigten Anschnittbilder<br />
des Herzens einzuüben. Sie sind eine<br />
Voraussetzung der schallkopfabhängigen<br />
räumlichen Interpretation von<br />
transthorakalen Echobildern in den<br />
diagnostischen Normpositionen.<br />
Im 4D Heart Explorer lassen sich detailreiche<br />
Visualisierungen des schlagenden<br />
Herzens in Form interaktiver<br />
Animationen aufrufen. Das Herzmodell<br />
läßt sich mit der Maus drehen<br />
und aus unterschiedlichen Winkeln<br />
betrachten. Durch die Wahl verschiedener<br />
Transparenzgrade und Detaildarstellungen<br />
können Außen- und<br />
Innenstruktur des Herzens, die Kammer-,<br />
Klappen- und Hämodynamik,<br />
der Blutfluß, intuitiv erkundet werden.<br />
Als Macintosh Programme lassen sich<br />
die Trainingsmodule auf dem Ultraschallgerät<br />
CFM 800 in den Anwendungskontext<br />
einbinden. So kann der<br />
untersuchende Arzt zum Beispiel 3Dgrafische<br />
Visualisierungen diagnoserelevanter<br />
Anschnitte abrufen und typische<br />
Ultraschallfilme mit den aktuell<br />
am Patienten gewonnenen Bildern<br />
vergleichen.<br />
Das interaktive Simulationssystem<br />
EchoSim<br />
<strong>Der</strong> auffälligste Unterschied zwischen<br />
Anfänger und Routinier in der Echokardiographie<br />
besteht jedoch in der<br />
Souveränität, mit der der Schallkopf<br />
in die untersuchungsrelevanten Normpositionen<br />
gebracht wird. Die hierfür<br />
notwendige effiziente Auge-Hand-<br />
Steuerung kann nur praktisch eingeübt<br />
werden. Das Simulationssystem<br />
EchoSim erlaubt dem Lernenden, an<br />
einem Übungsmodell die Positionierungen<br />
zu trainieren.<br />
Die Steuerung des virtuellen Ultraschalls<br />
erfolgt durch einen realen<br />
Schallkopf, an dem ein Polhemus<br />
Fastrack befestigt ist. Dieses Eingabeinstrument<br />
aus dem Technikarsenal<br />
der Virtuellen Realität erlaubt die<br />
kontinuierliche Bestimmung von Ort,<br />
Neigung und Rotation des Schallkopfs<br />
zur Steuerung der grafischen Entsprechung<br />
in der Computerszene. Zugeordnete<br />
Fenster zeigen einschlägige<br />
Ultraschallfilme. Übergänge durch<br />
Schwenks und Rotationen können interaktiv<br />
durchgeführt werden. Außenund<br />
Innenansichten des schlagenden<br />
Herzens bieten dabei visuelle Kontrollen<br />
zur Positionierung des Ultraschalls.<br />
32 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
T I T E L<br />
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
Virtuelle Ultraschalluntersuchung im Simulator EchoSim<br />
Bei allen Veranschaulichungen wird<br />
versucht, Facetten des mentalen<br />
Herzmodells kardiologischer Experten<br />
zu erfassen. Von dieser Zielsetzung<br />
her bestimmt sich die Kornfeinheit<br />
der Modellierungen. Es wird dabei<br />
nicht notwendig der Realitätsanspruch<br />
verfolgt, wie er in anatomischen<br />
Darstellungen angestrebt wird<br />
Weiterentwicklungen<br />
der Trainingsumgebungen<br />
Um die SCENE Trainingsmodule in<br />
Richtung eines diagnostischen Enablingsystems<br />
zu erweitern, muß das<br />
Spektrum der Erscheinungsformen<br />
normaler und pathologischer Herzdetails<br />
einbezogen werden. Vergleichend<br />
werden Beispiele realer Ultraschallbilder<br />
und die parallelen Ansichten<br />
pathologischer Varianten des 3D-<br />
Herzmodells präsentiert werden.<br />
Den Pathologien zugeordnet sollen in<br />
Animationen Muster von Diagnoseschritten<br />
demonstriert werden, durch<br />
die bestimmte Herzkrankheiten verifiziert<br />
werden können. Sachlogische<br />
Zusammenhänge zwischen den feststellbaren<br />
pathologischen Details werden<br />
so veranschaulicht, daß sich in der<br />
Exploration der Trainingseinheiten<br />
ein mosaikartiges Verständnis des<br />
Krankheitstyps aufbaut.<br />
Die heterogenen Wissens- und Erfahrungszusammenhänge<br />
sollen sich zu<br />
einem vernetzten System diagnostischer<br />
Beurteilungskompetenz verbinden,<br />
das fallspezifisch aktiviert werden<br />
kann. Die technische Umsetzung<br />
wird durch ein hypermediales Netz<br />
adaptiv angebotener Orientierungen<br />
erfolgen.<br />
Die bisherigen Analysen und Entwicklungen<br />
zeigen, daß Trainingssysteme<br />
aufbauend auf interaktiven 3D-<br />
Szenen und Animation als Medium<br />
geeignet sind, zumindest einen Teil<br />
des schwer faßbaren Erfahrungswissens<br />
von Domänenexperten abzubilden<br />
und damit vermittel- und erfahrbar<br />
zu machen. Die bisherigen Evaluationen<br />
im Projekt SCENE waren<br />
als qualitative Rekonstruktionen der<br />
Nutzung des Enablingsystems angelegt.<br />
Die quantitative Absicherung<br />
der hier festgestellten Orientierungswirksamkeit<br />
komplexer multimedialer<br />
Vermittlungskonzepte stellt eine methodische<br />
Herausforderung an die<br />
Medienpädagogik dar, die Kriterien<br />
der (ökologischen) Validität und Reliabilität<br />
Rechnung tragen will.<br />
....................................<br />
Dr. Gernoth Grunst ist<br />
im <strong>GMD</strong>-Institut für<br />
Angewandte Informationstechnikverantwortlich<br />
für die Entwicklung<br />
szenischer<br />
Unterstützungssysteme<br />
in der Medizin und<br />
leitet das Projekt<br />
SCENE.<br />
....................................<br />
Thorsten Fox ist<br />
Geschäftsführer der<br />
ENTEC GmbH.<br />
Seine Arbeitsschwerpunkte<br />
liegen im<br />
Bereich multimediales<br />
Interface-Design,<br />
3D-Modellierung und<br />
Animation.<br />
....................................<br />
Klaus-Jürgen Quast ist<br />
Geschäftsführer der<br />
ENTEC GmbH. Seine<br />
Arbeitsschwerpunkte<br />
liegen im Bereich 3Dgrafische<br />
Simulation<br />
und Künstliche Intelligenz.<br />
....................................<br />
Prof. Dr. Dierk A. Redel<br />
leitet die Abteilung für<br />
Kardiologie an der<br />
Universitätsklinik Bonn<br />
und arbeitet mit dem<br />
Projekt SCENE an der<br />
Entwicklung von multimedialenTrainingsundUnterstützungssystemen.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 33
Multimediale<br />
Tutorsysteme mit<br />
3D-Grafik und<br />
Animation in<br />
Medizin und<br />
Pharmakologie<br />
Von Thorsten Fox,<br />
Klaus-Jürgen Quast<br />
und Rainer Wieching<br />
Durch die Anwendung neuer Techniken<br />
aus den Bereichen 3D-Grafik und<br />
Animation können die bestehenden<br />
Lern- und Kommunikationsszenarien<br />
in der medizinischen Ausbildung verbessert<br />
und ein Beitrag zur Qualitätssicherung<br />
geleistet werden. Im Auftrag<br />
der Hoechst Marion Roussel<br />
(HMR) Pharma AG entwickelte die<br />
<strong>GMD</strong>-Spin-Off-Firma ENTEC in Zusammenarbeit<br />
mit dem <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Angewandte Informationstechnik<br />
ein multimediales 3D-Enabling-System<br />
zur Vermittlung komplexer medizinischer<br />
und pharmakologischer Zusammenhänge<br />
im Herz-Kreislauf-System,<br />
das das Potential der Techniken verdeutlicht.<br />
Die Medizin lebt von einem genauen<br />
Blick auf und in den menschlichen<br />
Körper. Entsprechende Diagnosemethoden,<br />
wie zum Beispiel Ultraschall,<br />
Röntgen oder Elektrokardiogramm<br />
(EKG), vermitteln jedoch lediglich ein<br />
unvollständiges Bild der Verhältnisse,<br />
deren korrekte Interpretation nur auf<br />
der Basis jahrelanger Erfahrung erfolgen<br />
kann. Eine wesentliche Rolle<br />
spielen hier bildhafte Vorstellungen<br />
über räumliche Konstellationen der<br />
Organe sowie das Wissen über deren<br />
Funktion, insbesondere bei komplexen<br />
Krankheitsbildern wie Herz-<br />
Kreislauf-Pathologien.<br />
Adäquate therapeutische Maßnahmen<br />
verlangen ein tiefgreifendes Verständnis<br />
über das Zusammenspiel von<br />
Aufbau und Funktion der Organe<br />
(Makroebene) einerseits und über die<br />
zugehörigen biochemischen Prozesse<br />
in den Zellen (Mikroebene) anderer-<br />
T I T E L<br />
seits. Aus diesen Gründen sind die Informations-<br />
und Kommunikationszenarien<br />
im Bereich der Medizin sehr<br />
komplex und vielschichtig. Die Möglichkeiten,<br />
wichtige räumliche und<br />
zeitliche Zusammenhänge darzustellen<br />
und zu vermitteln, sind mit den<br />
herkömmlichen Medien, wie beispielsweise<br />
dem Lehrbuch, begrenzt.<br />
Hier bietet sich neuerdings der Einsatz<br />
interaktiver Computersysteme<br />
mit 3D-Grafik und Animation als effizientes<br />
und für manche zu transportierende<br />
Inhalte erst adäquates Medium<br />
an.<br />
Vorarbeiten<br />
Grundlage des hier vorgestellten Medical-Enabling<br />
Systems für den Herz-<br />
Kreislaufbereich sind die Entwicklungen<br />
der Forschungsgruppe Mensch-<br />
Maschine-Kommunikation im Institut<br />
für Angewandte Informationstechnik<br />
der <strong>GMD</strong>, die in Zusammenarbeit mit<br />
der Universitätskinderklinik Bonn<br />
entstanden sind. Unter dem Titel<br />
„szenische Trainingssysteme“ wurden<br />
Prototypen von multimedialen Tutorien<br />
und Simulationen erstellt, die das<br />
Potential neuer Informationstechniken<br />
deutlich machen. Die realisierten<br />
Systeme vermitteln Basiswissen, Vorstellungen<br />
und praktische Erfahrungen<br />
im Anwendungsbereich Echokardiographie,<br />
das heißt, für Ultraschalluntersuchungen<br />
des Herzens. Zur<br />
Vermittlung dieser kognitiv anspruchsvollen<br />
Inhalte wurden neue<br />
Visualisierungstechniken aus den Bereichen<br />
3D-Grafik und Virtual Reality<br />
eingesetzt und erfolgreich evaluiert.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-Spin-Off ENTEC (Gesellschaft<br />
für interaktive 3D-Visualisierung<br />
mbH) greift auf die Erfahrungen<br />
dieser prototypischen Entwicklungen<br />
zurück und entwickelt die Systeme bis<br />
zur Marktreife hin.<br />
Enabling-Systeme<br />
Enabling-Systeme sind computerbasierte<br />
Lehr-/Lern-, Informations- und<br />
Präsentationssysteme, die den informationsbedürftigen<br />
oder lernenden<br />
Benutzer in die Lage versetzen, einen<br />
Sachverhalt besser zu erfassen beziehungsweise<br />
schneller zu verstehen.<br />
Diese Leistung wird durch den zielgenauen<br />
Einsatz neuer Medien aus den<br />
Bereichen 3D-Grafik, Animation und<br />
Virtual Reality erreicht. Damit können<br />
komplexe Inhalte und Problemstellungen,<br />
die durch die traditionellen<br />
Medien wie Buch oder Film gar<br />
nicht oder nur unangemessen dargestellt<br />
werden können, eindrucksvoll<br />
und verstehensförderlich visualisiert<br />
und interaktiv erfahrbar gemacht werden.<br />
Enabling-Systeme leisten damit<br />
in der Medizin einen entscheidenden<br />
Beitrag zur Effizienzsteigerung von<br />
Lern- und Kommunikationsprozessen<br />
und zur Qualitätssicherung.<br />
Basiskonzepte<br />
Die medizinischen Inhalte und Vorgänge<br />
werden als interaktive 3D-<br />
Szenarien aufbereitet, die relevante<br />
Prozesse und Ereignisse an verschiedenen<br />
Orten und Zeitpunkten sowie<br />
auf unterschiedlich tiefen<br />
Verständnisebenen und mit verschiedenem<br />
Detaillierungsgrad darstellen.<br />
Das Interface unterstützt die Navigation<br />
des Benutzers von den Makro- in<br />
die Mikroebenen der Erklärungen.<br />
Elemente der Aufmerksamkeitssteuerung<br />
unterstützen die Fokussierung<br />
auf wichtige räumliche und zeitliche<br />
Vorgänge. <strong>Der</strong> Benutzer kann vordefinierte<br />
Ereignisse direkt oder aber<br />
durch seine Position im System indirekt<br />
initiieren. Diese Einflußnahmen<br />
des Benutzers pflanzen sich im System<br />
als Wirkungskaskade fort und<br />
verändern die Szenarien und Prozesse<br />
auf spezifische Art und Weise.<br />
Kognitive Analysen<br />
<strong>Der</strong> Ausgangspunkt bei der Realisierung<br />
von Enabling-Systemen in allen<br />
Bereichen ist die kognitive Problemanalyse.<br />
Ihr Ziel ist es, die Metaphern<br />
und Erklärungsmodelle der jeweiligen<br />
Experten sowie notorische Verstehensbarrieren<br />
bei Novizen der Domäne<br />
zu identifizieren. In der medizinischen<br />
Anwendung sind insbesondere<br />
räumlich und zeitlich verteilte Prozesse<br />
in komplexen Wirkzusammenhängen<br />
wichtige Aspekte, die die<br />
mentalen Modellvorstellungen erfolgreicher<br />
Experten prägen. Die kognitive<br />
Problemanalyse bildet die Basis<br />
für eine adäquate Umsetzung menschlicher<br />
Erklärungsmodelle in informationstechnische<br />
Konzepte, die das<br />
34 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
vorhandene Wissen erfolgreich kommunizieren<br />
und typische Fehlvorstellungen<br />
effektiv ausräumen. In der<br />
<strong>GMD</strong> wurde in dieser Hinsicht einschlägiges<br />
Know-how aufgebaut, es<br />
wird nun in Gemeinschaftsprojekten<br />
mit ENTEC weiter vertieft.<br />
Technik und Zielnutzer<br />
Die Erzeugung und Nutzung von dreidimensionalen<br />
Grafiken stellt hohe<br />
Anforderungen an die Rechenkapazität<br />
des Computersystems und erfordert<br />
nach wie vor teure Spezialhardware.<br />
Neuere technische Entwicklungen<br />
(QuickTime VR/Virtual Reality)<br />
ermöglichen aber die Einbindung<br />
von „pseudo“-interaktiver 3D-Grafik<br />
in Standard-Autorensysteme (Macro-<br />
Media Director) und stellen das damit<br />
verbundene mediale Potential einer<br />
großen Anzahl von Nutzern mit Personal<br />
Computern und CD-ROM<br />
Laufwerk plattformunabhängig zur<br />
Verfügung.<br />
Ein medizinisches Enabling-System<br />
kann im Selbststudium individuell genutzt<br />
werden und damit den medizinischen<br />
Lehr- und Fortbildungssektor<br />
ergänzen. Es kann weiterhin das obligatorische<br />
Patientengespräch des Arztes<br />
unterstützen, indem es dem Mediziner<br />
bei der Aufklärung der immer<br />
informationsbedürftiger werdenden<br />
Patienten hilft, also beispielsweise die<br />
Risiken einer Erkrankung und die<br />
Möglichkeiten der therapeutischen<br />
Behandlung verdeutlicht. Über Großbildprojektionen<br />
können die Medien<br />
auch in Präsentationssituationen vor<br />
einem größeren Publikum, zum Beispiel<br />
in Medizinvorlesungen, eingesetzt<br />
werden, um Vorträge zu unterstützen<br />
und zu vertiefen.<br />
Die umfassende Darstellung komplexer<br />
naturwissenschaftlicher Phänomene<br />
ist auch für die biotechnologische<br />
Forschung und Entwicklung, etwa<br />
in der Pharmazie, von Bedeutung.<br />
Die adäquate Präsentation von Wissensbeständen,<br />
die bislang nur in den<br />
Vorstellungen weniger Experten vorhanden<br />
sind, schafft eine Kommunikationsbasis<br />
auf der eine objektivere<br />
Überprüfung und Verfeinerung des<br />
Wissens stattfinden kann.<br />
T I T E L<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
Loop<br />
Topic: Necrosis Time: 6 hours<br />
Simulation der Entwicklung eines Herzfinfarkts<br />
Anwendungsbeispiel:<br />
HMR Cardiovascular Academy<br />
Erkrankungen des Herz-Kreislauf-<br />
Systems sind zur Zeit mittelbar oder<br />
unmittelbar für etwa 50 Prozent der<br />
Todesfälle in den Industrienationen<br />
der nördlichen Hemisphäre verantwortlich.<br />
Entsprechend groß ist der<br />
Informationsbedarf über die zugrundeliegenden<br />
Krankheitsbilder und deren<br />
Therapie sowohl bei den Experten<br />
der Domäne (Ärzte, Pharmakolo-<br />
Acute Infarction<br />
Mean arterial Pressure<br />
0 37.5 75 112.5 150<br />
(ml)<br />
Enddiastolic Pressure<br />
0 12.5 25 37.5 50<br />
(mmHg)<br />
Ejection Fraction<br />
0 25 50 75 100<br />
(%)<br />
®<br />
TRITACE<br />
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
Closed<br />
Hypertrophy<br />
Cross-Section<br />
Scar<br />
View<br />
Additional<br />
Media<br />
Myocardial<br />
Hypertrophy<br />
Pressure<br />
Characteristics<br />
Enzyme Kinetics<br />
M-Mode-Echo<br />
Echocardiography<br />
Angiogramm<br />
gen und Wissenschaftler) als auch bei<br />
den betroffenen Patienten.<br />
Die HMR Cardiovascular Academy<br />
behandelt die Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
Hypertonie (Bluthochdruck),<br />
Herzinfarkt und Herzinsuffizienz sowie<br />
deren pharmakologische Therapie<br />
mittels ACE-Hemmern (Angiotensin<br />
Converting Enzyme). Gemeinsam<br />
mit Mitarbeitern des <strong>GMD</strong>-Instituts<br />
für Angewandte Informationstechnik,<br />
Experten der pharmakologischen For-<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 35<br />
Quit<br />
Normal<br />
Heart<br />
Myocardial<br />
Infarction<br />
Help<br />
Explorationsszenario zum Herzinfarkt-Remodeling<br />
Slow<br />
Hypertension<br />
References<br />
Back<br />
Heart Failure<br />
Index<br />
Help<br />
Acute<br />
Infarction<br />
Remodeled<br />
Infarction<br />
ACE-<br />
Inhibitor<br />
®<br />
TRITACE<br />
Show<br />
Development<br />
Remodeled<br />
Infarction<br />
ACE-Inhibitor<br />
Compare
schung der Hoechst Marion Roussel<br />
Pharma AG und der kardiologischen<br />
Abteilung der Universitätsklinik Köln<br />
wurden zunächst kognitive Problemanalysen<br />
durchgeführt, die in einem<br />
Anforderungsprofil für das System<br />
mündeten; das Endresultat ist ein medizinisches<br />
Enabling-System auf CD-<br />
ROM, mit dessen Hilfe Mediziner<br />
und auch interessierte Laien die uns<br />
allen – meist nur namentlich – bekannten<br />
Phänomene anschaulich und<br />
eindrucksvoll per interaktiver 3D-<br />
Grafik und Simulation erfahren können.<br />
Die Wirkungsweisen von Herz-Kreislauf-Medikamenten<br />
sind komplex und<br />
vielfältig. ACE-Hemmer wirken auf<br />
struktureller Ebene sowohl an der Innenwand<br />
der Blutgefäße als auch in<br />
der Herzmuskulatur. Auf funktioneller<br />
Ebene bewirkt die Therapie Veränderungen<br />
direkt an der glatten Gefäßmuskulatur<br />
der Arterien (Blutdrucksenkung)<br />
sowie indirekt am<br />
Herzen (Verringerung der Arbeitsbelastung).<br />
Diese Effekte wirken sich in<br />
einer bestimmten zeitlichen Abfolge<br />
in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium<br />
und der jeweiligen Pathologie<br />
im Gefäßsystem und am Herzen auf<br />
Zell- und Organebene aus. Die spezifischen<br />
Wirkungsszenarien können im<br />
Enabling-System umfassend erfahrbar<br />
gemacht und vergleichend gegenübergestellt<br />
werden.<br />
Ausgehend von der Anatomie und<br />
Physiologie des gesunden Herzens,<br />
die als Referenzszenarien in der<br />
HMR Cardiovascular Academy enthalten<br />
sind, werden die strukturellen<br />
und funktionellen Veränderungen bei<br />
den verschiedenen Herz-Kreislauf-Pathologien<br />
am animierten 3D-Modell<br />
anschaulich visualisiert und mittels<br />
Audio-Kommentaren erläutert sowie<br />
durch Zusatzmedien, wie histologische<br />
Schnitte oder Ultraschallfilme,<br />
hinterlegt. Parallel hierzu wird die<br />
Veränderung der relevanten medizinischen<br />
Parameter, wie Herzfrequenz,<br />
Blutdruck und Herzzeitvolumen, veranschaulicht.<br />
Die Abbildungen 1 und<br />
2 zeigen einen Ausschnitt der Herzinfarktsimulation<br />
aus der HMR Cardiovascular<br />
Academy.<br />
Ausblick<br />
T I T E L<br />
In vielen Bereichen auch außerhalb<br />
der Medizin, zum Beispiel im Ingenieurswesen,<br />
in der Geographie und<br />
in der Architektur, spielt ein genaues<br />
Verständnis räumlicher und auch dynamischer<br />
Phänomene eine Schlüsselrolle.<br />
Die Erforschung der kognitiven<br />
Mechanismen von bildhaftem und<br />
räumlichem Denken sowie deren<br />
Rolle in Lern- und Kommunikationssituationen<br />
ist eine wichtige Forschungsaufgabe.<br />
Dieses psychologische<br />
Phänomen hat mit interaktiver<br />
3D-Grafik, Animation und Virtual<br />
Reality ein informationstechnisches<br />
Pendant bekommen, das für die<br />
Lösung dieser Aufgabe eingesetzt<br />
werden kann.<br />
Die Realisierung von Computersystemen,<br />
die die genannten neuen Medien<br />
adäquat einsetzen, so daß sie die kognitiven<br />
Fähigkeiten des Menschen<br />
optimal unterstützen, stellt eine Herausforderung<br />
für die angewandte Informationstechnologie<br />
dar. Ähnlich<br />
der Rolle, die der Buchdruck für die<br />
Verbreitung des Lesens und Schreibens<br />
spielte, ist der Computer das<br />
Werkzeug, um relevante visuelle Informationen<br />
zu produzieren und auch<br />
vermitteln zu können. Die damit verbundene<br />
Anhebung des Kommunikationsniveaus<br />
kann im Bereich der Medizin<br />
die Qualität der Ausbildung und<br />
die Effektivität des Informationsflusses<br />
in der klinischen Praxis bedeutend<br />
verbessern.<br />
....................................<br />
Thorsten Fox ist<br />
Geschäftsführer der<br />
ENTEC GmbH.<br />
Seine Arbeitsschwerpunkte<br />
liegen im<br />
Bereich multimediales<br />
Interface-Design,<br />
3D-Modellierung und<br />
Animation.<br />
....................................<br />
Klaus-Jürgen Quast ist<br />
Geschäftsführer der<br />
ENTEC GmbH. Seine<br />
Arbeitsschwerpunkte<br />
liegen im Bereich<br />
3D-grafische Simulation<br />
und Künstliche<br />
Intelligenz.<br />
....................................<br />
Dr. Rainer Wieching ist<br />
Geschäftsführer der<br />
ENTEC GmbH. Seine<br />
Arbeitsschwerpunkte<br />
liegen im Bereich<br />
medizinische Grundlagen<br />
und Biosignalanalyse.<br />
36 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Neue Wege zur<br />
Unterstützung<br />
von Diagnoseprozessen<br />
durch<br />
den Einsatz<br />
multimedialer<br />
Techniken<br />
Von Ute Simon<br />
und Manfred Berndtgen<br />
Unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten<br />
von Multimedia-Technologien in<br />
der medizinischen Diagnostik und<br />
in Diagnose-Lernsystemen (medical<br />
enabling) wurden in den <strong>GMD</strong>-<br />
Projekten Cyto und Alois erarbeitet.<br />
Gemeinsam ist beiden Projekten die<br />
interdisziplinäre Anwendung kognitionspsychologischer<br />
Erkenntnisse auf<br />
medizinische Problemstellungen, einem<br />
Arbeitsschwerpunkt der AbteilungMensch-Maschine-Kommunikation,<br />
Projektbereich SCENE, des<br />
<strong>GMD</strong>-Instituts für Angewandte Informationstechnik.<br />
Da zwei voneinander<br />
völlig verschiedene medizinische Gebiete<br />
berührt werden: mit Cyto die<br />
Onkologie und mit Alois die Neurologie,<br />
werden die Projekte getrennt vorgestellt.<br />
Das Projekt Cyto befaßt sich mit der<br />
Qualitätssicherung der gynäkologischen<br />
Zytodiagnostik. Die derzeitige<br />
zytologische Diagnostik zur Früherkennung<br />
von Karzinomen des Cervix<br />
uteri wird in der Regel von Zytologieassistenten<br />
in Form von lichtmikroskopischen<br />
Untersuchungen durchgeführt,<br />
in der Regel ohne weitere Gegenkontrolle<br />
durch einen Pathologen.<br />
Die prozentuale Häufigkeit, mit der<br />
Fehler mit dieser Art der Untersuchung<br />
auftreten, ist relativ hoch,<br />
die Schätzungen für Fehldiagnosen<br />
schwanken zwischen Werten von 20<br />
bis 40 Prozent. Dies ist angesichts des<br />
hohen Stichprobendurchlaufs von Abstrichen<br />
des Cervix uteri in dieser<br />
Screening-Situation nicht verwunderlich.<br />
T I T E L<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
Zellabstrichbild eines Plattenepithelkarzinoms des Cervix uteri im Anfangsstadium<br />
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
Gesunde Intermediärzellen des Cervix uteri<br />
Erschwerend kommt hinzu, daß die<br />
Übergänge zwischen dem zytologischen<br />
Normalbild, anderen Krankheitsbildern<br />
und dem zytologischen<br />
Abstrichbild eines Carcinoma in situ<br />
(Cervixkarzinom im Anfangsstadium<br />
noch ohne invasives Wachstum)<br />
fließend sind. Dieses Phänomen spiegelt<br />
den funktionellen Tatbestand<br />
wider, der für die Entstehung eines<br />
Carcinoma in situ des Cervix uteri als<br />
typisch zu bezeichnen ist: Ein Cervixkarzinom<br />
kann sich nicht nur aus normalen<br />
Zellen über verschiedene<br />
Schweregrade einer Dysplasie hinweg<br />
entwickeln, sondern auch aus Papilloma-Virus-infizierten<br />
oder metapla-<br />
stisch veränderten Zellen. Dabei behalten<br />
die entarteten Krebszellen zu<br />
einem nicht geringen Anteil die<br />
Merkmale der Zellen beziehungsweise<br />
der pathologisch veränderten Zellen<br />
bei, aus denen sie sich entwickelt<br />
haben. Hierdurch wird eine differentielle<br />
Diagnostik erschwert.<br />
Bei Fehldiagnosen sind eigentlich nur<br />
falsch negative Diagnosen von wirklicher<br />
Bedeutung, da sich vor allem<br />
hier für den Patienten ernste Konsequenzen<br />
ergeben. Bei dieser Art von<br />
Fehldiagnosen handelt es sich um<br />
Fälle, bei denen zumindest ein Carcinoma<br />
in situ vorliegt, dieses jedoch im<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 37
Abstrichbild nicht erkannt wird und<br />
die dazugehörige Patientin als gesund<br />
beurteilt wird. Da sich eine fehlerhaft<br />
als gesund diagnostizierte Patientin im<br />
Gegensatz zu einer fehlerhaft als<br />
krebskrank diagnostizierten Patientin<br />
in der Regel keinen weiteren Kontrolluntersuchungen<br />
unterziehen wird,<br />
kann die Fehldiagnose über einen langen<br />
Zeitraum unentdeckt bleiben und<br />
somit der wirkungsvollste Zeitraum<br />
für eine Krebstherapie – das heißt,<br />
das Anfangsstadium einer Krebserkrankung<br />
– verpaßt werden.<br />
Trotz dieser diagnostischen Problematik<br />
ist der Einsatz von modernen Informationstechnologien<br />
in den meisten<br />
Arztpraxen zur Unterstützung<br />
der Diagnostik bisher noch nicht üblich.<br />
Ein in diesem Zusammenhang<br />
von informatischer Seite häufig unterschätztes<br />
Problem ist die juristische<br />
Stellung automatisierter Diagnosen.<br />
<strong>Der</strong> medizinisch-rechtliche Status<br />
computerbasierter Diagnose- und<br />
Telekooperationssysteme ist im Gegensatz<br />
zu klassischen bildgebenden<br />
Verfahren und computergestützten<br />
Kassenabrechnungssystemen noch<br />
weitestgehend ungeklärt. Beispiele für<br />
die juristischen Probleme, die solche<br />
Hilfsmittel aufwerfen können, sind<br />
der Einsatz des PAPNETS-Systems,<br />
eines neuronalen Netzes, das eine automatische<br />
Erkennung von auffälligen<br />
Zellen anhand einfacher morphologischer<br />
Kriterien ermöglicht, oder von<br />
telepathologischen Systemen, wie<br />
dem HISTKOM-System.<br />
Diese Widerstände erfahren medizinische<br />
Enabling-Systeme in der Regel<br />
nicht. <strong>Der</strong> Ansatz hat nicht die Automatisierung<br />
der Diagnostik zum Ziel,<br />
vielmehr sollen Lernprozesse und medizinische<br />
(zytologische) Diagnosen<br />
so unterstützt werden, daß der Arzt<br />
beziehungsweise die Zytologieassistentin<br />
selbstverantwortlich handelt.<br />
Die Unterstützungsumgebungen reichern<br />
die Diagnosesituation jedoch<br />
um intuitive Informationen an, die bekannte<br />
Diagnoseprobleme absichern.<br />
Welche kognitiven Funktionen in den<br />
Lern- und Diagnoseprozessen unterstützt<br />
werden, ist abhängig von der<br />
Art der diagnostischen Problemstellung,<br />
beziehungsweise von den Eigenschaften<br />
des diagnostizierten Objekts.<br />
T I T E L<br />
Zugeordnete mentale Pathologiemodelle<br />
und individuelle Diagnosestrategien<br />
erfolgreicher Experten geben<br />
Vorbilder der multimedialen Illustrationen.<br />
Im Fall einer Diagnostik des Cervix<br />
uteri sind es unter biologischen<br />
Aspekten folgende Eigenschaften des<br />
Abstrichs, die dabei von entscheidender<br />
Bedeutung sind: die Größe, Anzahl<br />
und Form von Zellkernen im<br />
Verhältnis zum Zytoplasma, ihre<br />
Oberflächenstruktur, die Färbung und<br />
Struktur des Zytoplasmas sowie der<br />
Ordnungsgrad der Zellen im Gewebeverband.<br />
Die kognitiven Funktionen, die zum<br />
Erwerb von diagnostischen Klassifikationsleistungen<br />
anhand dieser biologischen<br />
Eigenschaften führen, lassen<br />
sich dabei unter Begriffen wie Kartengedächtnis,<br />
mentale Modellbildung<br />
und räumliches Gedächtnis zusammenfassen.<br />
Diese kognitiven Leistungen<br />
sind dabei nicht nur für die gynäkologische<br />
Zytodiagnostik prototypisch,<br />
sondern allgemein bei allen diagnostischen<br />
Leistungen zu finden. Typisch<br />
für eine erfolgreiche Zytodiagnostik<br />
sind jedoch zusätzlich Leistungen,<br />
die eher zu den Basisfunktionen<br />
des menschlichen Gehirns zu rechnen<br />
sind. Dazu gehören Blickbewegungsmechanismen<br />
und die Steuerung der<br />
selektiven Aufmerksamkeit. Neben<br />
der biologischen Angemessenheit der<br />
Illustrationen einschlägiger Pathologien<br />
bestimmt sich die Nützlichkeit<br />
eines Enabling-Systems auch über<br />
dessen Vollständigkeit.<br />
Das Enabling-System Cyto thematisiert<br />
alle wichtigen Verwechslungsmöglichkeiten<br />
in der Differentialdiagnostik<br />
für das Carcinoma in situ.<br />
Dazu gehören im wesentlichen Dysplasien<br />
und Metaplasien verschiedenen<br />
Schweregrades sowie Papilloma-<br />
Virus-Infektionen. Merkmale, die für<br />
eine differentialdiagnostische Unterscheidung<br />
besonders wichtig sind,<br />
werden in Form von grafischen 3D<br />
Modellen visualisiert.<br />
Ein wesentlicher Schritt zur Qualitätssicherung<br />
medizinischer Lern- und<br />
Unterstützungssysteme liegt in der<br />
Evaluation der Wirksamkeit des En-<br />
abling-Systems beim Einsatz in der<br />
Praxis. Die Überprüfung eines zytologischen<br />
Enablingsystems muß im<br />
Sinne der realen diagnostischen Zusammenarbeit<br />
in der Krebsfrüherkennung<br />
verschiedene Expertengruppen<br />
aus der Pathologie, Onkologie und<br />
Zytologie einbeziehen. Dies gilt in<br />
noch höherem Maß für Unterstützungsumgebungen,<br />
die – wie Cyto –<br />
auch in telepathologischen Kooperationen<br />
eingesetzt werden sollen.<br />
Eines der Kernprobleme der Telepathologie<br />
ist die Digitalisierung zytologischen<br />
Bildmaterials. Einerseits muß<br />
die diagnostisch erforderliche Auflösungshöhe<br />
des Mikroskops erreicht<br />
werden. Andererseits setzen der verfügbare<br />
Speicherplatz beziehungweise<br />
die Übertragungskapazität von Leitungen<br />
Grenzen. Neben der Orientierungswirksamkeit<br />
der Systeme wird<br />
daher in eher technischen Evaluationen<br />
auch die diagnostische Qualität<br />
von Kompressions- und Bildverarbeitungsverfahren<br />
bewertet, die im Rahmen<br />
telemedizinischer Anwendungen<br />
zum Einsatz kommen müssen.<br />
Endziel des Projekts ist die regionale<br />
Einbindung telemedizinischer Verfahren<br />
in die vorhandenen Infrastrukturen<br />
der Krebsvorsorge.<br />
Alois – Entwicklung eines<br />
diagnostischen Verfahrens<br />
Die Zielsetzung und auch das methodische<br />
Vorgehen ist bei Alois von<br />
gänzlich anderer Natur. Hier ist nicht<br />
die Entwicklung eines Diagnoselernsystems,<br />
sondern eines eigenständigen<br />
diagnostischen Verfahrens vorgesehen,<br />
das nach vollständigem Entwicklungsabschluß<br />
allen juristischen Richtlinien<br />
für die Entwicklung von medizinischen<br />
Diagnoseverfahren entsprechen<br />
wird.<br />
Ausgangspunkt für die Entwicklung<br />
eines kognitionspsychologischen Testverfahrens<br />
zur Erfassung von Gedächtniseinbußen<br />
und Verminderungen<br />
der kognitiven Leistungsfähigkeit<br />
ist die zunehmende Lebenserwartung<br />
in den industrialisierten Ländern, die<br />
in den letzten Jahrzehnten zu einer<br />
deutlichen Zunahme der Krankheiten<br />
führte, die statistisch und kausal mit<br />
38 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
Übersicht über einige der in Alois verwendeten Testverfahren<br />
einem höheren Lebensalter verbunden<br />
sind. Zu diesen Krankheiten<br />
gehört unter anderem der Formenkreis<br />
der dementiellen Erkrankungen<br />
und neurologischen Leistungseinbußen.<br />
<strong>Der</strong> Begriff Demenz, wie er in<br />
der Öffentlichkeit gebraucht wird, beschreibt<br />
dabei im eigentlichen Sinne<br />
kein eigenes Krankheitsbild, sondern<br />
Veränderungen im Erleben und Verhalten,<br />
die bei verschiedenen hirnorganischen<br />
Störungsbildern, zum<br />
Beispiel Morbus Parkinson, Multi-<br />
Infarkt-Demenz, reversible Demenz,<br />
Depression, Alzheimer-Demenz oder<br />
Demenz des Alzheimerformen Typs,<br />
gleichermaßen auftreten können.<br />
Das Krankheitsbild der Demenz kann<br />
gemäß den internationalen Diagnosekriterien<br />
folgendermaßen beschrieben<br />
werden: Verschlechterung des Kurzund<br />
Langzeit-Gedächtnisses, Interferenz-Störungen<br />
bei der Arbeit oder<br />
anderen sozialen Aktivitäten sowie<br />
mindestens eine weitere höhere kortikale<br />
Dysfunktion wie Verschlechterungen<br />
in der Abstraktions- und komplexen<br />
Problemlösefähigkeit, Apraxie,<br />
mangelnde Objektidentifikation<br />
trotz intakter sensorischer Funktionen<br />
oder Schwierigkeiten in der<br />
Rekonstruktion dreidimensionaler<br />
Objekte.<br />
Die Diagnose in der klinischen Praxis<br />
sollte üblicherweise in folgenden<br />
Schritten erfolgen:<br />
– Anamnese der Krankengeschichte<br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
von pharmakologisch wirksamen Substanzen,<br />
– Screening anhand von klinischen<br />
Skalen wie zum Beispiel dem Folstein<br />
T I T E L<br />
Mini-Mental Status,<br />
– Differentialdiagnostik<br />
mit neuropsychologischen<br />
Testbatterien wie<br />
zum Beispiel der Halstead-Reitan-Batterie,<br />
– Laborevaluation durch<br />
die Erhebung von sekundären<br />
Hirnstoffwechsel-<br />
Produkten.<br />
Das Projekt Alois setzt<br />
bei der neuropsychologischenDifferentialdiagnostik<br />
an, die von besonderer Bedeutung<br />
bei Patienten mit Screening-<br />
Werten im Normbereich ist, wie sie<br />
bei leichten Stadien der Demenz auftreten<br />
können. Außerdem ermöglichen<br />
sie eine diagnostische Abgrenzung<br />
zum Bild der klinischen Altersdepression.<br />
Statt jedoch wie in den meisten Kliniken<br />
üblich mit Papier-und-Bleistift-<br />
Material zu arbeiten, werden mit<br />
Alois verschiedene standardisierte<br />
Tests für kognitive Funktionen wie<br />
Aufmerksamkeit, Abstraktions- und<br />
Problemlösefähigkeit, Sprachvermögen,<br />
Gedächtnis sowie Wahrnehmungs-<br />
und visuo-konstruktive Funktionen<br />
rechnergestützt dargeboten,<br />
die Reaktionen der Patienten über<br />
Maus- und Tastaturbedienung automatisch<br />
erfaßt und statistisch ausgewertet.<br />
<strong>Der</strong> Einsatz von Multimedia-Technologien<br />
ist für die Art der eingesetzten<br />
Aufgaben wesentlich. Die meisten<br />
kognitiven Funktionstests setzen<br />
ihren diagnostischen Schwerpunkt<br />
und damit auch die dargebotenen<br />
Aufgaben auf kognitive Funktionsbereiche,<br />
die eng mit dem Verbalisierungsvermögen<br />
von Patienten verbunden<br />
sind, während mit Alois verstärkt<br />
nonverbale kognitive Fähigkeiten<br />
wie räumliches Vorstellungsvermögen,<br />
Objekterkennung, visuelles Gedächtnis,<br />
logisches Denken und Konzentrationsfähigkeit<br />
geprüft werden<br />
sollen.<br />
<strong>Der</strong> Einsatz von aktuellen Multimedia-Technologien<br />
geschieht daher<br />
nicht aus einem informationstechnischen<br />
Interesse, sondern ist durch<br />
differentialdiagnostische Ergebnisse<br />
bei Untersuchungen von Demenzkranken<br />
begründet. Diese sind zwar<br />
widerprüchlich, lassen jedoch den<br />
Schluß zu, daß den Bereichen Visuomotorik,<br />
räumliches Vorstellungsvermögen,<br />
visuelles Gedächtnis und Objektidentifikation<br />
in Abgrenzung zu<br />
sprachgebundenen Funktionen eine<br />
kritische Bedeutung bei der Differentialdiagnostik<br />
der Demenz zukommt.<br />
Geplant ist ein direkter Einsatz des<br />
Diagnosesystems Alois an Patienten<br />
in neurologischen und gerontopsychiatrischen<br />
Einrichtungen. Anhand<br />
einer hinreichend großen Patientenstichprobe<br />
und in Kombination mit<br />
anderen medizinischen und biologischen<br />
Daten werden in der letzten<br />
Projektphase statistisch Reliabiliät<br />
und Validität bestimmt werden.<br />
....................................<br />
Dipl.-Biol., Dipl.-Psych.<br />
Ute Simon ist Wissenschaftlerin<br />
im <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für AngewandteInformationstechnik.<br />
Sie arbeitet<br />
im Bereich Mensch-<br />
Maschine-Kommunikation<br />
des Instituts<br />
auf dem Gebiet der<br />
biomedizinischen<br />
Diagnostik.<br />
....................................<br />
Dipl.-Inform. Manfred<br />
Berndtgen ist Wissenschaftler<br />
im <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für AngewandteInformationstechnik.<br />
Er arbeitet<br />
im Bereich Mensch-<br />
Maschine-Kommunikation<br />
auf dem Gebiet<br />
der medizinischen<br />
Bildverarbeitung.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 39
<strong>Der</strong> Behandlungsraum<br />
der Zukunft<br />
Von Thomas Berlage<br />
Informations- und Kommunikationstechniken<br />
werden in den kommenden<br />
Jahren auch in der Medizin deutliche<br />
Veränderungen hervorrufen. Im Gegensatz<br />
zur bisherigen Entwicklung<br />
betrifft das nicht nur die sogenannte<br />
Hochleistungsmedizin, sondern immer<br />
mehr jede Patientenbehandlung.<br />
Die Herausforderung in dieser Situation<br />
besteht darin, die Technologie<br />
nicht in den Mittelpunkt zu rücken,<br />
sondern dem Nutzen von Patienten<br />
und Ärzten unterzuordnen.<br />
Das Konzept eines Befähigungssystems<br />
(enabling system) wird dazu<br />
beitragen, den Mediziner bei einer<br />
Reihe von Tätigkeiten zu unterstützen,<br />
so beispielsweise bei der Fortbildung,<br />
bei der Diagnose, bei Konsultationen<br />
oder bei der Aufklärung des<br />
Patienten. Befähigungssysteme sind<br />
weder reine Werkzeuge noch Automatismen,<br />
sondern sie bieten abge-<br />
T I T E L<br />
stimmt auf die Situation und die kognitiven<br />
Anforderungen des Mediziners<br />
Informations- und Trainingseinheiten<br />
an, die den Mediziner oder Patienten<br />
befähigen, die aktuelle Situation und<br />
ähnliche Situationen in der Zukunft<br />
zu beherrschen. Eine wesentliche<br />
Rolle spielt dabei die Orientierung:<br />
die Zusammenstellung und Veranschaulichung<br />
relevanter Informationen<br />
in Form einer zusammenhängenden<br />
Szene.<br />
Die Unterordnung der Technologie<br />
unter die situativen Anforderungen<br />
wird besonders deutlich in dem Projekt<br />
SCENE, in dem das <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Angewandte Informationstechnik<br />
den Behandlungsraum der Zukunft<br />
skizziert. Dieser Behandlungsraum<br />
rückt den Patienten in den Mittelpunkt<br />
des Geschehens. Die notwendigen<br />
technischen Medien sind integriert,<br />
aber soweit wie möglich verborgen.<br />
Ringsherum an den Wänden<br />
unterstützt ein Befähigungssystem<br />
Arzt und Patient als gemeinsame Orientierung.<br />
<strong>Der</strong> ganze Raum wird zu<br />
einer szenischen Situation, die sowohl<br />
die Wissenserweiterung als auch die<br />
Kommunikation unterstützt.<br />
<strong>Der</strong> Behandlungsraum SIGMA dient<br />
als Bühne, um typische Unterstützungssituationen<br />
und die dafür vorstellbaren<br />
Lösungen zu demonstrieren.<br />
Verschiedene Lösungen aus der<br />
<strong>GMD</strong>-Arbeit werden in einem gemeinsamen<br />
Kontext sichtbar gemacht:<br />
von kardiologischen Trainingssystemen<br />
zu dreidimensionaler Bildgebung,<br />
von animierten dreidimensionalen<br />
Herzmodellen zu Telekonsultationen,<br />
von medizinischen Online-Systemen<br />
zur Veranschaulichung von<br />
Krankheitsbildern und Medikamentenwirkungen.<br />
<strong>Der</strong> Behandlungsraum<br />
Im Behandlungsraum steht die Liege<br />
für den Patienten im Mittelpunkt. Neben<br />
dieser Liege haben der Arzt und<br />
seine direkt benötigten medizinischen<br />
Geräte, zum Beispiel ein Ultraschallgerät,<br />
Platz. Darüber hinaus ist aber<br />
kein Gerät zu sehen, das wie ein Personal<br />
Computer aussieht. Stattdessen<br />
kann der Arzt die Wände als Darstellungsmedium<br />
benutzen. Dort erscheinen<br />
Patientendaten, Bilddaten, Vergleichswerte,<br />
animierte Visualisierun-<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
<strong>Der</strong> Behandlungsraum<br />
40 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
gen, Simulationen, Videobilder von<br />
Konsultationspartnern und Fachinformationen<br />
aus Online-Diensten. Wenn<br />
die Darstellungsflächen nicht gebraucht<br />
werden, zeigen sie neutrale<br />
Hintergründe oder Kunstobjekte.<br />
<strong>Der</strong> Arzt steuert diese Darstellungen<br />
von seinem medizinischen Gerät aus,<br />
mit Hilfe eines Zeigegeräts (Lichtzeiger)<br />
oder mit Hilfe eines stiftbasierten<br />
Anzeige- und Eingabetabletts (pen<br />
pad). Die lokalen Anzeigen im medizinischen<br />
Gerät und im Eingabetablett<br />
dienen auch zur Anzeige von<br />
Daten, die kein anderer Anwesender<br />
sehen soll.<br />
Die Wandanzeigen dienen zum einen<br />
als Kontext und Orientierung für den<br />
Arzt, der alle wesentlichen Informationen<br />
und Zusammenhänge gemeinsam<br />
als Hintergrundinformation zur<br />
Diagnose zur Verfügung hat. Gleichzeitig<br />
kann er diese Anzeigen auch<br />
zur Aufklärung und Unterrichtung<br />
des Patienten verwenden. Spezielle<br />
Veranschaulichungen bestimmter Pathologien<br />
können bereits auf die<br />
Situation des Patienten und die damit<br />
verbundenen Informationsbedürfnisse<br />
zugeschnitten sein.<br />
Diagnoseunterstützung<br />
Die vielfältigen Anzeigen dienen dem<br />
Arzt dazu, die Gesamtsituation des<br />
Patienten abzubilden und so eine Orientierung<br />
für die Diagnosefindung zu<br />
bieten. Abgestimmt auf die Situation<br />
kann er den Verlauf der Bildaufnahme<br />
kontrollieren, Vergleichsbilder abrufen,<br />
Online-Dienste konsultieren<br />
oder sich Diagnoseschritte vorführen<br />
lassen.<br />
Nehmen wir an, ein Jugendlicher mit<br />
einem schon lange behandelten angeborenen<br />
Herzfehler kommt zur Routineuntersuchung<br />
zu seiner Ärztin –<br />
einer niedergelassenen Kardiologin<br />
vielleicht. Als erste Aufgabe muß die<br />
Ärztin die wichtigsten Punkte aus der<br />
vorhergehenden Behandlung rekapitulieren.<br />
Zu diesem Zweck hat das<br />
Praxispersonal die Patientenakte aus<br />
dem elektronischen Archiv geholt und<br />
T I T E L<br />
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
auf dem virtuellen Schreibtisch verfügbar<br />
gemacht. Um das komplette<br />
Durchblättern zu ersparen, werden<br />
die wichtigsten Punkte der Patientenvergangenheit<br />
in einer grafischen<br />
Übersichtsdarstellung präsentiert. Diese<br />
Darstellung wird zum Teil automatisch<br />
erzeugt, das Praxispersonal kann<br />
sie aber aufgrund ihrer eigenen Kompetenz<br />
noch verändern, um die Darstellung<br />
so gut wie möglich auf den<br />
Zweck der Untersuchung zu fokussieren.<br />
Solcherart effektiv „ins Bild gesetzt“,<br />
kann die Ärztin bald mit einer gezielten<br />
Ultraschalluntersuchung des Herzens<br />
beginnen. Um eine Aufzeichnung<br />
des Zustandes zu erlangen, wird<br />
eine dreidimensionale Schichtaufnahme<br />
angefertigt. Da es schwierig ist,<br />
sich in diesem sogenannten Volumendatensatz<br />
zurechtzufinden, wird passend<br />
dazu ein angepaßtes dreidimensionales<br />
Modell des schlagenden Herzens<br />
angezeigt, das intuitiv angibt,<br />
welcher Ausschnitt des Herzens gerade<br />
angeschaut wird.<br />
Zum Vergleich kann parallel die Aufnahme<br />
der vorherigen Untersuchung<br />
verglichen werden, um die Entwicklung<br />
beurteilen zu können.<br />
Da die Anomalie bei der früheren Behandlung<br />
nicht vollständig beseitigt<br />
Apikaler Vierkammerblick<br />
Aufsetzposition und Angulation<br />
Schallkopf mit dem Zeigefinger<br />
auf der Kerbe greifen...<br />
...und im 5. Interkostalraum<br />
aufsetzen.<br />
(Bei Kindern eventuell auch im 4.)<br />
Orientierung an der Diagonale:<br />
linke Hüfte -> rechte Schulter.<br />
Zum Anfang<br />
Sehen Sie sich die Positionierungsschritte bitte an.<br />
Echo Tutor<br />
StartmenŸ Pause<br />
Illustration eines Tutormoduls<br />
werden konnte, obwohl der Patient<br />
keine Beschwerden hat, möchte die<br />
Ärztin sich vergewissern, ob der vorliegende<br />
Fall vorbeugend operiert<br />
werden sollte oder nicht. Dazu ruft sie<br />
aus einem medizinischen Online-<br />
Dienst Informationen zur konkreten<br />
Fehlbildung ab. <strong>Der</strong> Online-Dienst<br />
bietet verschiedene Beispielfälle an<br />
und nennt Kriterien, die für die Folgebehandlung<br />
relevant sind. Die einzelnen<br />
Fälle können sowohl in Form von<br />
Ultraschallbildern als auch von grafischen<br />
Modellen beschrieben werden,<br />
zur Verifikation werden weitere<br />
Meßverfahren und Untersuchungsschritte<br />
vorgeschlagen.<br />
Die Ärztin entschließt sich aufgrund<br />
dieser Information, einen Meßwert<br />
zur speziellen Pumpleistung des Herzens<br />
zu erheben. Da sie eine solche<br />
Messung lange nicht mehr durchgeführt<br />
hat, ruft sie aus dem Online-<br />
Dienst ein multimediales Tutorium<br />
ab, das die notwendigen Schritte animiert<br />
vormacht und ihr gleichzeitig<br />
die Durchführung am Patienten ermöglicht.<br />
Das Tutorium weist auf erfahrungsgemäß<br />
kritische Schritte hin,<br />
die für die Genauigkeit der Messung<br />
entscheidend sind. Damit wird verhindert,<br />
daß ein ungenau erhobener Wert<br />
später zu einer falschen Entscheidung<br />
führt.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 41
T I T E L<br />
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
Auswahlangebot für passende Medikamente<br />
Im Vergleich mit einer Normwerttabelle<br />
erkennt die Ärztin, daß der<br />
Wert an der unteren Grenze, aber<br />
noch im Normalbereich liegt. Auf<br />
Kommando werden das Ultraschallbild<br />
und der Meßwert in die Patientenakte<br />
übernommen, über ein<br />
Spracherkennungssystem wird die<br />
Diagnose diktiert. Diese Aufzeichnungen<br />
werden dann anschließend<br />
vom Praxispersonal elektronisch weiterbearbeitet,<br />
zum Beispiel zur Kassenabrechnung<br />
und zur Information<br />
des Hausarztes. Die Arbeitsteilung<br />
und Zusammenarbeit in der Praxis<br />
werden nicht wesentlich verändert,<br />
die Übermittlung der Information innerhalb<br />
und außerhalb der Praxis erfolgt<br />
aber immer elektronisch.<br />
Zur Prophylaxe soll der Patient ein<br />
neues Medikament erhalten. Aus den<br />
wesentlichen Befunddaten sucht der<br />
Online-Dienst aus einer Datenbank<br />
eine Anzahl passender Medikamente<br />
mit allen Informationen heraus. Die<br />
Ärztin kann nun diese Auswahl unter<br />
verschiedenen Gesichtspunkten, zum<br />
Beispiel Verträglichkeit, Verabreichungsform,<br />
Packungsgröße, Preis, im<br />
Gespräch mit dem Patienten das geeignete<br />
Produkt heraussuchen und<br />
verschreiben.<br />
Aufklärung des Patienten<br />
Viele Patienten möchten gerne besser<br />
über ihren Zustand informiert sein.<br />
Ein genaues Verständnis des Krankheitsbildes<br />
ist oft sehr wichtig für eine<br />
erfolgreiche Behandlung. <strong>Der</strong> Patient<br />
kann an der Wand des Behandlungs-<br />
raums einerseits den Verlauf der Untersuchung<br />
mitverfolgen, zum Beispiel<br />
anhand von Ultraschallbildern mit<br />
automatisch eingeblendeten Modellvisualisierungen,<br />
andererseits vom<br />
Arzt über konkrete Diagnosen und<br />
Therapien informiert werden, zum<br />
Beispiel anhand von Markierungen in<br />
Bildern, Vergleichsbildern oder Visualisierungen<br />
von Operationsmethoden<br />
und Medikamentenwirkungen.<br />
In unserem Beispiel hat der Patient –<br />
als alter Hase – bereits aufmerksam<br />
das Ultraschallbild verfolgt und sogar,<br />
dank der Modellunterstützung, ein<br />
paar Einzelheiten erkannt. Die Ärztin<br />
kann ihm anschließend aber anhand<br />
des elektronischen Herzmodells ganz<br />
genau zeigen, in welcher Form sein<br />
Herz von einem normalen Herzen ab-<br />
42 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
T I T E L<br />
Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />
Modifikation des Modellherzens<br />
Abbildung 5: <strong>GMD</strong><br />
Telekommunikationsszenario<br />
weicht. Dazu modifiziert sie an einer<br />
Stelle interaktiv das Modellherz und<br />
stellt so den geänderten Blutfluß und<br />
die geänderten Druckverhältnisse dar.<br />
Das Ergebnis kann sich der Patient<br />
von allen Seiten, von innen und von<br />
außen ansehen.<br />
Auch aus dem Ultraschalldatensatz<br />
können dreidimensionale Ansichten<br />
der Problemstelle aus bestimmten<br />
Blickwinkeln generiert werden. Diese<br />
Ansichtspunkte werden im Modell<br />
ausgewählt und dann mit dem Patientenbild<br />
berechnet. Nach der Vororientierung<br />
durch das Modell kann der<br />
Patient die Fehlbildung selbst identifizieren.<br />
Zur erfolgreichen Medikation kann<br />
der Wirkungsmechanismus des Medikaments<br />
ebenfalls anhand von animierten<br />
dreidimensionalen Modellwelten<br />
veranschaulicht werden. Effekte<br />
von Unter- und Überdosierung sowie<br />
Langfristwirkung und Dosierungsverlauf<br />
werden angezeigt. Solche<br />
Veranschaulichungen werden vom<br />
Pharmahersteller bereitgestellt, der<br />
damit seine Verantwortung für Arzt<br />
und Patient beweist.<br />
Konsultation<br />
In Abwesenheit des Patienten kann<br />
der Arzt über Telekonsultation eine<br />
zweite Meinung einholen oder den<br />
Befund zur Behandlung weitergeben<br />
– zum Beispiel von Kardiologe zu<br />
Chirurg. Die dargestellten Informationen<br />
stehen dabei beiden Seiten zur<br />
Verfügung, gleichzeitig existiert eine<br />
Konferenzschaltung. Mit einem Zeigegerät<br />
kann der Arzt Dinge hervorheben.<br />
Mit anwesenden Kollegen<br />
kann eine solche Konsultation auch<br />
innerhalb des Raumes stattfinden.<br />
In unserem Beispiel möchte die Ärztin<br />
den Fall doch noch einmal mit einem<br />
Spezialisten und einem Herzchirurgen<br />
diskutieren. Ausgehend von<br />
den aktuellen Falldaten kann sie die<br />
Ultraschalldaten, Meßwerte, das modifizierte<br />
Modell und relevante Ansichten<br />
des Ultraschallbildes zusammen<br />
mit gesprochenen Kommentaren<br />
an eine Kollegin im nahegelegenen<br />
Herzzentrum schicken. Die Kollegin<br />
kann sich anhand der Zusammenstel-<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 43
Abbildung 6: <strong>GMD</strong><br />
Ansicht eines dreidimensionalen<br />
Ultraschalldatensatzes<br />
lung ein erstes Bild machen. Sie führt<br />
jedoch am Nachmittag noch eine<br />
Rückfrage durch, meldet sich über<br />
Videokonferenz und erläutert anhand<br />
der im Raum sichtbaren Bilder ihre<br />
Meinung.<br />
In gleicher Weise wird anschließend<br />
ein entfernt arbeitender Chirurg kontaktiert.<br />
<strong>Der</strong> Chirurg ist kein Experte<br />
in der Interpretation von Ultraschallbildern,<br />
kann sich aber anhand der<br />
Modelle ein anschauliches Bild vom<br />
Zustand des Patienten machen und<br />
ebenfalls anhand der Bilder demonstrieren,<br />
warum eine Operation im<br />
Moment nicht sinnvoll ist. Wäre eine<br />
Operation nötig, könnte er anhand<br />
der Modelle und der Ultraschallbilder<br />
die Operation bereits in Einzelheiten<br />
planen und vorbereiten, so daß in einem<br />
Notfall direkt nach dem Eintreffen<br />
des Patienten mit der Behandlung<br />
begonnen werden könnte.<br />
....................................<br />
Dr. Thomas Berlage<br />
arbeitet im <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für Angewandte<br />
Informationstechnik<br />
an interaktiven Telekonsultationssystemen<br />
für die Kardiologie<br />
und leitet das europäischeVerbundprojekt<br />
CardiAssist.<br />
T I T E L<br />
Virtual Eye –<br />
Simulation<br />
physiologischer<br />
Optik im menschlichen<br />
Auge<br />
Von Sina Mostafawy<br />
Die Visualisierung der optischen Vorgänge<br />
im menschlichen Auge wird<br />
durch ein neues Verfahren möglich,<br />
das vom <strong>GMD</strong>-Institut für Medienkommunikation<br />
gemeinsam mit dem<br />
Laserforum Köln GmbH entwickelt<br />
wurde. Modelle aus der physikalischen<br />
Optik in Verbindung mit Verfahren<br />
und Algorithmen aus der<br />
Computergrafik werden für die Rekonstruktion<br />
eines Augenmodells benutzt.<br />
Die berechneten Bilder durch<br />
das Augenmodell entsprechen den auf<br />
die Netzhaut projizierten Abbildungen.<br />
Wichtige optische Komponenten<br />
des Auges, wie Linse, Hornhaut, Pupille,<br />
werden durch ein Linsensystem<br />
im Computer simuliert. Das System<br />
berechnet ein Bild von einer beliebigen<br />
dreidimensionalen Szene, zunächst<br />
aus der Sicht eines gesunden<br />
Auges. Das Programm ist in der Lage,<br />
Effekte wie Akkommodation oder<br />
Änderung der Pupillenweite zu simulieren.<br />
Dem Augenmodell können<br />
verschiedene Krankheitsbilder und<br />
Fehlsichtigkeiten, etwa Kurz- oder<br />
Weitsichtigkeit sowie Astigmatismus,<br />
zugeordnet werden.<br />
Das virtuelle Auge zeigt ein Bild, welches<br />
ein Patient mit einer entsprechenden<br />
Sehschwäche sehen würde.<br />
Aufgrund des Krankheitsbildes können<br />
Vorschläge für eine Behandlungsmethode<br />
gemacht und diese am Computer<br />
simuliert werden. Dabei können<br />
sowohl einfache Modelle, wie die Verschreibung<br />
einer Brille, als auch neue<br />
chirurgische Verfahren, wie eine Laserbehandlung,<br />
eingesetzt werden.<br />
Die berechneten Bilder zeigen die zu<br />
erwartenden Ergebnisse nach einer<br />
solchen Behandlung.<br />
Basierend auf den aktuellen Forschungsprojekten<br />
im Bereich der Refraktiven<br />
Chirurgie können eine bessere<br />
Planung und Prognosen bei bestimmten<br />
Verfahren erzielt werden.<br />
Die Visualisierung der Netzhautbilder<br />
führt zum besseren Verständnis bei<br />
Studenten und auszubildenden Ärzten<br />
und dient ebenfalls als Aufklärung<br />
für Patienten.<br />
Simulation des Auges<br />
In der medizinischen Optik ist Ray<br />
Tracing ein bekanntes mathematisches<br />
Modell für die Simulation optischer<br />
Aberrationen beliebiger Linsen.<br />
Das Verfahren wird häufig für die Beurteilung<br />
der optischen Eigenschaften<br />
eines solchen Linsensystems eingesetzt.<br />
Typischerweise werden Strahlen<br />
von der Objektebene durch das Linsensystem<br />
in die Bildebene verfolgt.<br />
Die Lage der Bildpunkte gibt Aufschluß<br />
über die Brechungseigenschaften<br />
der verwendeten Optik. Aus diesen<br />
Informationen werden Kurven<br />
und Statistiken berechnet, die Aussagen<br />
über die Qualität der Linsen erlauben.<br />
Bisher wurden diese Methoden<br />
jedoch nicht benutzt, um die<br />
tatsächliche Projektion auf der Bildebene<br />
zu visualisieren.<br />
In der Computergrafik ist Ray Tracing<br />
eine Methode zur Erzeugung fotorealistischer<br />
Bilder aus einer dreidimensionalen<br />
virtuellen Szene. Lichtstrahlen<br />
werden verfolgt und ihre Wechselwirkung<br />
mit den in der Szene befindlichen<br />
Objekten untersucht. Sehr viele<br />
Arbeiten auf diesem Gebiet befassen<br />
sich mit der realistischen Darstellung<br />
der Lichtausbreitung im Raum. Andere<br />
haben sich mehr mit der realistischen<br />
Simulation optischer Effekte<br />
auseinandergesetzt. So werden in der<br />
wissenschaftlichen Literatur beispielsweise<br />
Effekte wie Tiefenschärfe vorgestellt<br />
oder in einem Kameramodell<br />
sowohl optische Aberrationen als<br />
auch der Einfluß von Belichtungsdauer<br />
auf Bilder präsentiert.<br />
Dennoch gibt es unseres Wissens kein<br />
System, das ein menschliches Auge<br />
derart simuliert, daß man die Projektion<br />
einer dreidimensionalen Szene<br />
auf der Netzhaut unter bestimmten<br />
optischen Bedingungen sieht. Die<br />
44 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Motivation dieser Arbeit besteht darin,<br />
zwei weit entwickelte wissenschaftliche<br />
Methoden in einer Form zu<br />
kombinieren, die eine solche Simulation<br />
erlaubt.<br />
Das Auge<br />
Anatomie<br />
Das Auge ist eine fast kugelförmige,<br />
24 Millimeter tiefe und etwa 22 Millimeter<br />
breite, gallertartige Masse, die<br />
innerhalb einer widerstandsfähigen<br />
Hülle eingeschlossen ist. Bis auf<br />
den vorderen Teil, der transparenten<br />
Hornhaut, ist sie lichtundurchlässig.<br />
Die Hornhaut ist das erste und stärkste<br />
Konvex-Element des Linsensystems.<br />
<strong>Der</strong> größte Teil der Ablenkung<br />
eines Strahlenbündels findet an der<br />
Luft-Hornhaut-Grundfläche statt. Danach<br />
wird das Licht durch die Pupille<br />
gebündelt, die als Blende wirkt und<br />
die einfallende Lichtmenge reguliert.<br />
Dahinter befindet sich die Linse, die<br />
im Gegensatz zu künstlichen Linsen<br />
verformbar ist und dadurch eine variable<br />
Brennweite hat. Den Vorgang<br />
der Feineinstellung nennt man Akkommodation.<br />
Das einfallende Licht<br />
trifft auf die Netzhaut, die lichtempfindliche<br />
Zellen enthält, welche die<br />
Information zum Gehirn weiterleiten.<br />
Fehlsichtigkeit<br />
Wir unterscheiden drei Hauptformen<br />
der Fehlsichtigkeit, die Kurzsichtigkeit<br />
(Myopie), die Weitsichtigkeit<br />
(Hyperopie) und den Astigmatismus.<br />
Kurzsichtigkeit ist der Zustand, bei<br />
dem parallele Strahlen vor der Netzhaut<br />
gebündelt werden. Die Brechkraft<br />
des Linsensystems ist zu stark<br />
für die Axiallänge vom vorderen bis<br />
zum hinteren Punkt des Auges. Dies<br />
kann unter verschiedenen Umständen<br />
eintreten: das Auge könnte länger<br />
werden, obwohl seine Brechkraft normal<br />
bleibt, oder die Hornhaut könnte<br />
sich stärker krümmen.<br />
Weitsichtigkeit ist eine Fehlsichtigkeit,<br />
deren Ursache darin liegt, daß<br />
der zweite Brennpunkt des nichtakkomodierten<br />
Auges hinter der Netzhaut<br />
liegt. Sie ist oft die Folge einer Ver-<br />
T I T E L<br />
kürzung der Axiallänge<br />
des Auges, die Linse befindet<br />
sich zu nah an der<br />
Netzhaut.<br />
Ein anderer Augenfehler<br />
ist der Astigmatismus.<br />
Er stammt von einer<br />
ungleichen Krümmung<br />
der Hornhaut. Mit<br />
anderen Worten, die<br />
Hornhaut<br />
ist asymmetrisch. Dieser<br />
Fehler hat eine Verzerrung<br />
des Bildes zur Folge,<br />
so daß ein Punkt beispielsweise<br />
als kleiner<br />
Strich abgebildet wird.<br />
Methoden zur Korrektur<br />
Die Fehlsichtigkeit kann auf verschiedene<br />
Weise korrigiert werden. Konventionelle<br />
Methoden sind Brillen<br />
oder Kontaktlinsen. Neben diesen bewährten<br />
Methoden zur Korrektur gibt<br />
es seit einigen Jahren operative Verfahren<br />
mit Hilfe des Lasers. Die photorefraktive<br />
Keratektomie wird mit<br />
einem Excimer Laser meistens an<br />
kurzsichtigen Patienten durchgeführt.<br />
Dabei werden feinste Gewebeschichten<br />
berührungslos abgedampft. Durch<br />
die Behandlung wird das Zentrum der<br />
Hornhaut flacher, die Brechkraft wird<br />
soweit verringert, bis die Lichtstrahlen<br />
wieder auf der Netzhaut gebündelt<br />
werden.<br />
Eine wichtige Frage bei der photorefraktiven<br />
Keratektomie ist die Wahl<br />
des Durchmessers der optischen Zone<br />
für den Eingriff. Das hängt von vielen<br />
Faktoren wie dem Grad der Kurzsichtigkeit<br />
oder sogar dem Beruf des Patienten<br />
ab. Wenn der Patient nachts<br />
beruflich tätig ist, wählt man eine<br />
große Zone, etwa sechs bis sieben<br />
Millimeter, da die Pupille in der Dunkelheit<br />
bis zu acht Millimeter Durchmesser<br />
haben kann, und somit Strahlen<br />
durch eine unbehandelte Zone gehen<br />
würden. Auf der anderen Seite<br />
hat die Wahl des Durchmessers Einfluß<br />
auf die Tiefe der Behandlung. Eine<br />
zu tiefe Abtragung könnte zu<br />
Stabilitätsproblemen der Hornhaut<br />
führen.<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
Augenpunkt<br />
Ray Tracing<br />
Bildebene<br />
Es ergeben sich bei der Korrektur der<br />
Fehlsichtigkeit viele Fragen, die durch<br />
eine Simulation im Computer besser<br />
behandelt werden können.<br />
Methoden<br />
Ray Tracing<br />
Reflexion<br />
Transparent<br />
Ein wichtiges Teilgebiet der Computergrafik<br />
ist die realistische Darstellung<br />
einer dreidimensionalen Szene<br />
auf einem zweidimensionalen Ausgabemedium.<br />
Ray Tracing ist eines der<br />
Verfahren für die fotorealistische Bilderzeugung.<br />
Dazu werden ein Projektionszentrum<br />
(Augenpunkt) und eine<br />
Bildebene gewählt. Für jeden Bildpunkt<br />
wird ein Strahl vom Augenpunkt<br />
aus erzeugt und durch die<br />
Szene verfolgt. Falls dieser Strahl ein<br />
Objekt in der Szene trifft, bekommt<br />
der dazugehörige Bildpunkt die berechnete<br />
Farbe des Objektes in Abhängigkeit<br />
von den Lichtquellen.<br />
<strong>Der</strong> Vorteil einer solchen Strahlenverfolgung<br />
ist, daß <strong>Spiegel</strong>ungen und<br />
Brechungen physikalisch korrekt simuliert<br />
werden können. Mit Hilfe der<br />
Gesetze der geometrischen Optik<br />
werden spiegelnde Oberflächen oder<br />
transparente Objekte mit beliebigem<br />
Brechungsindex dargestellt. Für die<br />
realistische Simulation eines Linsensystems<br />
ist allerdings die Verfolgung<br />
eines Sichtstrahls aus der Bildebene<br />
nicht ausreichend, da Effekte wie Tiefenschärfe<br />
oder Fokussierung damit<br />
nicht erzeugt werden können.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 45
Simulation eines Linsensystems<br />
Für die Simulation eines optischen Systems<br />
werden von jedem Bildpunkt<br />
mehrere Strahlen durch das Linsensystem<br />
geschickt. Die Linsen werden<br />
durch meist sphärische Objekte mit<br />
entsprechendem Brechungsindex präsentiert.<br />
Die Strahlen werden gleichmäßig<br />
auf die Oberfläche der Linse<br />
ausgestreut, an dieser gebrochen und<br />
T I T E L<br />
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
optische Zone<br />
Hornhaut<br />
Optische Zonen der photorefraktiven Keratektomie<br />
behandelte Zonen<br />
in die Szene verfolgt. Strahlen, die<br />
sich nach dem Durchgang durch das<br />
optische System an einem Punkt auf<br />
der Oberfläche eines Objektes treffen,<br />
bilden diesen Punkt scharf auf<br />
der Bildebene ab. Dagegen wird ein<br />
Objekt, welches nicht in der Brennebene<br />
des Linsensystems liegt, von den<br />
Strahlen an jeweils verschiedenen<br />
Punkten getroffen und unscharf abgebildet.<br />
Simulation eines Auges<br />
Das Auge ist, vereinfacht betrachtet,<br />
ein Linsensystem, bestehend aus mehreren<br />
sphärischen Konvex-Linsen.<br />
Wir benutzen das Gullstrand-Augenmodell<br />
aus der medizinischen Optik,<br />
das eine gute Approximation für die<br />
optischen Verhältnisse im Auge ist.<br />
Die Strahlen werden von der Netzhaut<br />
auf die Linse verteilt, werden<br />
durch die Pupille gebündelt und gehen<br />
durch beide Schichten der Hornhaut.<br />
Alle Abstände und Größen können<br />
derart verändert werden, daß eine<br />
Simulation von Akkommodation, Pupillenverengung<br />
und Fehlsichtigkeit<br />
ermöglicht wird. Zusätzliche Linsen<br />
können eingefügt werden, um Brillen,<br />
Kontaktlinsen oder Intraokularlinsen<br />
zu simulieren.<br />
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
Simulation der Akkomodation<br />
a) nah<br />
Myopes Auge bei einer Pupille von 5 Millimetern<br />
d) – 3 Dioptrien e) – 6 Dioptrien f) – 8 Dioptrien<br />
Simulation des gesunden und myopen Auges<br />
b) mittel c) fern<br />
46 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />
r<br />
x<br />
y
T I T E L<br />
Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />
a) Normales Auge mit 5 Millimeter<br />
Pupillendurchmesser<br />
Simulation der Akkommodation<br />
c) Nach Laserbehandlung mit einer<br />
optischen Zone von 3 Millimetern<br />
Simulation der photorefraktiven<br />
Keratektomie-Laseroperation<br />
Durch die photorefraktive Keratektomie<br />
erhält die Hornhaut eine ortsabhängige<br />
Brechkraft. Die behandelte<br />
Zone unterscheidet sich in der Brechkraft<br />
gegenüber der unbehandelten<br />
Zone durch die Krümmung. Da wir<br />
beliebig viele refraktive Oberflächen<br />
in das System eingliedern können,<br />
sind wir in der Lage, eine Hornhaut<br />
zu modellieren, die einer Hornhaut<br />
nach der Laserbehandlung in ihren<br />
optischen Eigenschaften sehr nahekommt.<br />
Wenn die Strahlen die Innenseite der<br />
Hornhaut treffen, können wir die Position<br />
des Treffpunktes ermitteln und<br />
somit erfahren, in welcher optischen<br />
Zone sich der Strahl befindet. Mit dieser<br />
Methode können wir die photore-<br />
b) Myopes Auge (– 6 Dioptrien)<br />
Simulation einer photorefraktiven Keratektomie-Laserbehandlung<br />
d) Klares Netzhautbild bei einer optischen<br />
Zone von 5 Millimetern<br />
fraktive Keratektomie-Operation mit<br />
beliebigem optischen Durchmesser<br />
durchführen. Durch eine Verschiebung<br />
der optischen Zone in x- oder y-<br />
Richtung sind wir in der Lage, eine<br />
dezentrierte photorefraktive Keratektomie<br />
zu simulieren. Auch andere<br />
operative Techniken, wie mehrere<br />
Übergangszonen für hochgradig kurzsichtige<br />
Patienten, können in ihrer<br />
Wirkung untersucht werden.<br />
Ergebnisse<br />
Zunächst haben wir die Akkommodation<br />
mit dem virtuellem Auge simuliert.<br />
Hierbei wählten wir eine Szene<br />
mit Objekten in verschiedenen Distanzen<br />
zum Auge und fokussierten<br />
das System auf diese. In Abbildung 3<br />
(a bis c) sehen wir die berechneten<br />
Bilder mit drei Linseneinstellungen.<br />
Sowohl für die Feineinstellung der<br />
Linse als auch für alle anderen optischen<br />
und operativen Einstellungen<br />
benutzen wir die einfach zu bedienende<br />
Benutzeroberfläche.<br />
Abbildung 3 (d bis f) zeigt dieselbe<br />
Szene, gesehen durch ein Auge mit<br />
unterschiedlichen Kurzsichtigkeiten<br />
von -3 Dioptrien, -6 Dioptrien und -8<br />
Dioptrien. In Abbildung 4 sind die<br />
Ergebnisse einer Laserbehandlung visualisiert.<br />
Zunächst ein gesundes Auge<br />
in Abbildung 4a, um die späteren<br />
Ergebnisse der photorefraktiven Keratektomie<br />
mit dem Optimalbild vergleichen<br />
zu können. Das Auge wurde<br />
mit -6 Dioptrien simuliert (Abbildung<br />
4b), um dann mit verschiedenen optischen<br />
Zonen operiert zu werden.<br />
Klare Netzhautbilder erzielen wir mit<br />
einem Durchmesser der optischen<br />
Zone von 4,5 Millimetern und mehr<br />
(Abbildung 4d). Diese Ergebnisse<br />
stimmen mit den klinischen Erfahrungen<br />
überein. Wir sehen in Abbildung<br />
4c, was Patienten mit einer zu kleinen<br />
optischen Zone sehen. Da sehr viele<br />
Lichtstrahlen mit einer Pupille von 5<br />
Millimetern durch die unbehandelte<br />
Zone gehen, ist das Bild einerseits unschärfer,<br />
weil sich die Strahlen vor der<br />
Netzhaut treffen, und andererseits<br />
entstehen Doppelbilder aus der Überlagerung<br />
der korrigierten und unkorrigierten<br />
Zonen.<br />
....................................<br />
Sina Mostafawy ist<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
in der Gruppe<br />
„Visualization and<br />
Media Systems<br />
Design“ des <strong>GMD</strong>-<br />
Instituts für Medienkommunikation.<br />
Seine<br />
Arbeitsschwerpunkte<br />
liegen im Bereich der<br />
medizinischen Visualisierung.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 47
Adaptive Systemgestaltung<br />
für<br />
behinderte<br />
Computerbenutzer<br />
mit Spezialanforderungen<br />
Von Josef Fink, Andreas Nill<br />
und Michael Pieper<br />
Benutzer von Computersystemen sind<br />
sehr heterogen, etwa in bezug auf ihre<br />
Interessen, Präferenzen oder ihr Wissen.<br />
Gefordert werden daher Computersysteme,<br />
die an den jeweiligen Benutzer<br />
individuell anpaßbar sind. Dies<br />
kann dabei entweder durch den Benutzer<br />
selbst erfolgen (Adaptierbarkeit)<br />
oder automatisch durch das System<br />
(Adaptivität). Eine wichtige<br />
Zielgruppe von Computerbenutzern<br />
mit Spezialanforderungen sind ältere<br />
und behinderte Menschen. In Europa<br />
beläuft sich die Anzahl dieser Bevölkerungsgruppe<br />
auf 150 Millionen. Allein<br />
in Deutschland sind 6,4 Millionen<br />
Menschen schwerbehindert. Da körperliche<br />
Beeinträchtigungen altersbedingt<br />
zunehmen, steigt der Anteil Behinderter<br />
an der Gesamtbevölkerung<br />
bei einer sich ständig erhöhenden Lebenserwartung<br />
überproportional.<br />
In diesem Zusammenhang eröffnet<br />
gerade die Anpaßbarkeit computergestützter<br />
Informations- und Kommunikationssysteme<br />
vielfältige Möglichkeiten,<br />
behinderten und älteren Menschen<br />
trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigungen<br />
weiterhin ein selbstbestimmtes<br />
Leben und eine gleichberechtigte<br />
Teilnahme an den gesellschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen Tätigkeiten<br />
der Gemeinschaft, in der sie<br />
leben, zu ermöglichen. So kann vor<br />
allem die häufig eingeschränkte räumliche<br />
Mobilität Behinderter, die so-<br />
T I T E L<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
File Edit View Go Bookmarks Options Directory<br />
Les Pages de Paris / Naviguer The Paris Pages / Navigate Die Paris-Seiten / Navigiere<br />
<strong>Der</strong> Louvre<br />
1. 2. 3. 4.<br />
1. Kostbarkeiten des Louvre<br />
2. Geschichte des Museums / Geschichte des Gebäudes<br />
3. Allgemeines / Hinweise zu den Sammlungen<br />
4. Wegweiser<br />
Hinweise für Rollstuhlfahrer<br />
Führungen<br />
Wo: 1. Arrondissement.<br />
Métro-Haltestelle: Palais Royal - Musee du Louvre.<br />
Öffnungszeiten: Täglich von 9.00 - 21.45 Uhr außer Dienstags.<br />
Laufende Ausstellungen<br />
Eintrittspreise: 40 FF (20 FF nach 15 Uhr); 20 FF unter 26 oder über 60 Jahren;<br />
unter 18 Jahren frei.<br />
Tel.: 40 20 53 17<br />
Die Informationsseite „<strong>Der</strong> Louvre“<br />
wohl für ihre Freizeitgestaltung, als<br />
auch ihre berufliche Integration von<br />
Nachteil ist, in ihren negativen Auswirkungen<br />
abgemildert werden.<br />
In der Forschungsgruppe „Mensch-<br />
Maschine-Kommunikation“ des <strong>GMD</strong>-<br />
Instituts für Angewandte Informationstechnik<br />
wird diesen Aspekten in<br />
unterschiedlichen Forschungs- und<br />
Entwicklungsprojekten zur behindertengerechten<br />
Anpassung von Mensch-<br />
Computer-Schnittstellen Rechnung getragen.<br />
Eines dieser Projekte verfolgt das<br />
Ziel, einem Kreis von Benutzern mit<br />
unterschiedlichem Hintergrund und<br />
Interessenlagen, zum Beispiel Touristen,<br />
Geschäftsleuten, Städtepla-<br />
nern, aber auch bestimmten Behindertengruppen,<br />
multimediale Umgebungsinformationen<br />
über ein Land,<br />
eine Region, eine Stadt oder eine kulturelle<br />
Einrichtung adäquat anzubieten.<br />
Grundlage für ein mögliches Anwendungszenario<br />
sind zum Beispiel die im<br />
World Wide Web, der Multimediaumgebung<br />
des Internet, angebotenen Informationen<br />
zum Louvre in Paris<br />
(URL: http://www.paris.org.:80/Musees/<br />
Louvre). Das Informationsangebot<br />
und die Darstellungsform<br />
dieser World Wide Web-Präsentation<br />
wurde an einigen Stellen behindertengerecht<br />
angepaßt.<br />
48 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />
Help
Nehmen wir zu Beginn an, daß der gegenwärtige<br />
Benutzer des Systems, ein<br />
Rollstuhlfahrer, Paris beziehungsweise<br />
den Louvre als Tourist besuchen<br />
möchte. Beide Informationen – also<br />
Rollstuhlfahrer und Tourist – hat er<br />
eingangs dem System mitgeteilt. Die<br />
daraufhin angebotene Informationsseite<br />
„<strong>Der</strong> Louvre“ (siehe Abbildung<br />
1) enthält in der Mitte zwei markante<br />
Hinweise. Einer verweist auf das spezielle<br />
Informationsangebot für Rollstuhlfahrer,<br />
zum Beispiel Parkmöglichkeiten,<br />
Rampen, Aufzüge, Telefone,<br />
und der andere auf das aktuelle<br />
Angebot an Führungen durch den<br />
Louvre. Die Aufnahme des ersten<br />
Hinweises ist klar motiviert, da der<br />
Benutzer ja Rollstuhlfahrer ist. Aufgrund<br />
seiner zweiten Eigenschaft,<br />
nämlich Tourist zu sein, und der im<br />
System enthaltenen Annahme, daß<br />
Touristen spezielles Interesse an<br />
Führungen haben, wurde von der adaptiven<br />
Komponente des Systems der<br />
zweite Hinweis auf Führungen mit in<br />
die Seite aufgenommen.<br />
In der Folge navigiert der Benutzer<br />
ein wenig im System und schaut sich<br />
dabei einige Exponate aus der Gemäldesammlung<br />
an. Die adaptive Komponente<br />
schließt aus diesem Navigationsverhalten<br />
auf ein Interesse<br />
des Benutzers an Gemälden. Anschließend<br />
wechselt er dann zur Seite<br />
„Kostbarkeiten des Louvre“ (siehe<br />
Abbildung 2), auf der die einzelnen<br />
Abteilungen dargestellt sind. Bei der<br />
Erstellung der Seite wird aufgrund<br />
der vorher gebildeten Annahme die<br />
Gemäldeabteilung unter anderem<br />
durch zwei Exponate und einen markanten<br />
Hinweis besonders hervorgehoben.<br />
Hinweise auf einen behindertengerechten<br />
Zugang zu diesen Exponaten<br />
können dabei vom System mitberücksichtigt<br />
werden.<br />
<strong>Der</strong> Benutzer wechselt nun direkt zur<br />
„Gemälde-Abteilung“. Bei der Erstellung<br />
der Seite wird ein Interesse des<br />
Benutzers an Zusatzinformationen<br />
zum Gemälde der „Mona Lisa“ antizipiert,<br />
da der Benutzer sowohl an<br />
Gemälden interessiert ist, als auch in<br />
seiner Eigenschaft als Tourist Interesse<br />
am wohl bekanntesten Gemälde<br />
T I T E L<br />
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
File Edit View Go Bookmarks Options Directory Help<br />
Les Pages de Paris / Naviguer The Paris Pages / Navigate Die Paris-Seiten / Navigiere<br />
Kostbarkeiten des Louvre<br />
Die Mona Lisa Die Freiheit führt das Volk<br />
Gemälde<br />
Ägyptische Abteilung / Orientalische Abteilung / Drucke und Zeichnungen<br />
Skulpturen / Griechische, Etruskische und Römische Abteilung / Kunstobjekte<br />
Die Seite „Kostbarkeiten des Louvre“<br />
des Louvre hat. Deshalb wird auf dieser<br />
Seite die „Mona Lisa“ besonders<br />
hervorgehoben, und Zusatzinformationen<br />
zum Gemälde und seiner Entstehungsgeschichte<br />
werden angezeigt.<br />
<strong>Der</strong>artige Anpassungen können vom<br />
Benutzer natürlich auch jederzeit<br />
rückgängig gemacht werden. Bevormundungen<br />
werden auf diese Weise<br />
weitgehend vermieden.<br />
Neben einer aktiveren Freizeitgestaltung<br />
eröffnet der Zugang zu Telekommunikationssystemen<br />
vielen behinderten<br />
Menschen auch Möglichkeiten,<br />
überhaupt am Arbeitsleben teilnehmen<br />
zu können. In diesem Zusam-<br />
menhang hat sich die <strong>GMD</strong> in einem<br />
weiteren Projekt die Aufgabe gestellt,<br />
einen an spezifische Behinderungen<br />
anpaßbaren Telearbeitsplatz zu realisieren,<br />
der auch industriell leicht und<br />
kostengünstig reproduzierbar ist und<br />
einer größeren Gruppe Behinderter<br />
zugute kommen soll.<br />
Die technische Herausforderung bei<br />
der prototypischen Ausgestaltung eines<br />
Telearbeitsplatzes für Behinderte<br />
liegt in der Integration von Multimedia-,<br />
Computer- und Kommunikationstechniken,<br />
mit dem Ziel, die bei<br />
eingeschränkter Mobilität verhängnisvolle<br />
räumliche Trennung einer verteilten<br />
Arbeitsorganisation zu überwinden.<br />
Technisch bieten mittlerweile<br />
integrierte Multimediasysteme, die<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 49
zumindest grundlegende Kommunikationsarten<br />
über Ton, Text und Bild<br />
miteinander kombinieren, weitreichende<br />
Möglichkeiten, den Spezialanforderungen<br />
behinderter Endbenutzer<br />
zu entsprechen. Mit der weiteren<br />
netztechnologischen Entwicklung<br />
von ISDN (Integrated Services Digital<br />
Network) hin zu Breitband-ISDN beziehungsweise<br />
ATM-Technologien<br />
(Asynchronous Transfer Mode) wird<br />
sich dieses Potential noch erweitern.<br />
Eine extreme Form der Medienintegration<br />
in Telekommunikationssystemen<br />
wird durch den Begriff der Telepräsenz<br />
charakterisiert. Gemeint ist<br />
damit die Verteilbarkeit einer Organisationseinheit<br />
über mehrere Orte,<br />
ohne Einbuße an Kooperationsmöglichkeiten.<br />
Gerade für Behinderte stellt die Gewährleistung<br />
von Telepräsenz erhöhte<br />
Anforderungen an die Ausgestaltung<br />
der Mensch-Maschine-Schnittstelle.<br />
Grundsätzlich soll versucht werden,<br />
bereits existierende Telekooperationssysteme<br />
mit einer generischen und somit<br />
möglichst universell einsetzbaren<br />
grafischen Benutzeroberfläche auszustatten,<br />
deren Objekte (Fenster, Kommandomenüs,<br />
Schaltflächen etc.) sich<br />
auf multimediale Weise, etwa visuell,<br />
akustisch oder taktil, manifestieren<br />
und so an spezifische körperliche Beeinträchtigungen<br />
des jeweiligen Endbenutzers<br />
anpassen.<br />
Übergeordnete wissenschaftliche Arbeitsziele<br />
werden durch eine in das<br />
Projekt integrierte Technikfolgenabschätzung<br />
bestimmt, die zunächst auf<br />
den Aspekt fokussiert werden soll,<br />
daß die Unterstützung von Behinderten<br />
durch multimediale Kooperationssysteme<br />
nicht dazu führen darf,<br />
daß sie menschliche Integrationsmöglichkeiten<br />
verlieren und in eine isolierte<br />
Welt von Apparaten abgedrängt<br />
werden, die sie zwar selbst bedienen<br />
können, die sie aber vom normalen<br />
menschlichen Leben abschneiden.<br />
Neben technischen Aspekten sind somit<br />
zentral auch ethische und soziale,<br />
in der weiteren Folge aber auch medizinische,<br />
rechtliche und ökonomische<br />
Aspekte der Telearbeit zu berücksich-<br />
T I T E L<br />
tigen, die nicht unbedingt nur behindertenspezifisch<br />
sein müssen. „Dual<br />
Use“ als einer in der wisssenschaftlichen<br />
und technologiepolitischen Debatte<br />
um behindertengerechte Technikgestaltung<br />
durchgängigen Anforderung<br />
wird auf diese Weise Rechnung<br />
getragen. Behindertengerechte<br />
Technikgestaltung ist immer auch ein<br />
„Design for All“ und hat Auswirkungen<br />
über das eigentliche Anwendungsgebiet<br />
hinaus.<br />
....................................<br />
Josef Fink und Andreas<br />
Nill sind wissenschaftliche<br />
Mitarbeiter im<br />
Forschungsbereich<br />
Mensch-Maschine-<br />
Kommunikation des<br />
<strong>GMD</strong>-Instituts für<br />
Angewandte Informationstechnik.<br />
Ihre<br />
Arbeitsschwerpunkte<br />
sind Adaptive Interaktive<br />
Systeme und<br />
Benutzermodellierung.<br />
....................................<br />
Dr. Michael Pieper ist<br />
Wissenschaftler im<br />
Forschungsbereich<br />
Mensch-Maschine-<br />
Kommunikation des<br />
<strong>GMD</strong>-Instituts für<br />
Angewandte Informationstechnik.<br />
Seine<br />
Arbeitsschwerpunkte<br />
sind sozialwissenschaftlicheTechnikfolgenabschätzung<br />
und Softwareergonomie.<br />
Seit April<br />
1995 leitet er das<br />
Projekt „Telearbeit für<br />
Behinderte“.<br />
Ozonvorhersage<br />
als Fernsehpräsentation<br />
Von Bertram Walter<br />
Im Rahmen der Vorbereitung einer<br />
Ozonvorhersage für einen Berliner<br />
Lokalsender zeigt ein Videofilm die<br />
Ozonverteilung über der Stadt und<br />
dem Umland für den nächsten Tag.<br />
Die Berechnung und eine Aussage<br />
über die zu erwartenden Ozonkonzentrationen<br />
ermöglicht das im <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für Rechnerarchitektur und<br />
Softwaretechnik erarbeitete Projekt<br />
DYMOS (Dynamische Modelle für<br />
die Smoganalyse).<br />
An eine Ozonvorhersage im Fernsehen<br />
richten sich unterschiedliche<br />
Erwartungen. <strong>Der</strong> durchschnittliche<br />
Fernsehzuschauer wird als Laie andere<br />
Anforderungen haben als ein<br />
Wissenschaftler mit entsprechendem<br />
Hintergrundwissen. Relevante Informationen<br />
für den Experten sind<br />
beispielsweise die Validierung eines<br />
Modells oder die Verdeutlichung von<br />
Einflußgrößen auf den Ozonaufbau<br />
oder Ozonabbau. <strong>Der</strong> durchschnittliche<br />
Fernsehzuschauer fragt voraussichtlich<br />
in erster Linie danach, in<br />
welchen Gebieten hohe oder niedrige<br />
Ozonkonzentrationen auftreten, welche<br />
Grenzwerte dabei über- oder<br />
unterschritten werden oder ob tageszeitliche<br />
Änderungen zu beobachten<br />
sein werden.<br />
Eine Ozonvorhersage als Fernsehfilm<br />
muß darüber hinaus noch Aspekte<br />
der Ästhetik und Verständlichkeit<br />
berücksichtigen. Die vorliegende Arbeit<br />
richtet auf diese beiden Punkte<br />
das Hauptaugenmerk. Ein Visualisierungssystem<br />
muß unter diesem Gesichtspunkt<br />
folgende Anforderungen<br />
erfüllen:<br />
– Die Ozonkonzentrationen sollten<br />
nur in den aussagekräftigen beziehungsweise<br />
gesundheitlich relevanten<br />
Grenzwertbereichen dargestellt wer-<br />
50 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
den: 120 Mikrogramm (Grenzwert<br />
der Weltgesundheitsorganisation) bis<br />
180 Mikrogramm (bundeseinheitlicher<br />
Vorwarnwert) und 180 Mikrogramm<br />
bis unendlich.<br />
– Die Zuordnung zu den Grenzbereichen<br />
muß für den Betrachter<br />
schnell erfaßbar sein.<br />
– Die Ozonverteilungen sollten in einem<br />
Umfeld dargestellt werden,<br />
das der Realität möglichst nahekommt.<br />
Dem Betrachter soll ein intuitives<br />
Zurechtfinden ermöglicht<br />
werden.<br />
– Die regionale Zuordnung der<br />
Ozonkonzentrationen muß mit einer<br />
hinreichenden Genauigkeit und Auflösung,<br />
zum Beispiel in Bezirke,<br />
Wohngegenden, Erholungsgebiete,<br />
möglich sein.<br />
Um sowohl eine ansprechende als<br />
auch aussagekräftige Videosequenz zu<br />
erhalten, wird die Ozonvorhersage im<br />
Rahmen eines simulierten Fluges über<br />
Berlin – angelehnt an die Wetterflüge<br />
im Fernsehen – modelliert. Die Visualisierung<br />
läßt sich somit in zwei Bereiche<br />
unterteilen: die Darstellung des<br />
Ozons und der räumlichen Umgebung.<br />
Um den Flug möglichst realistisch zu<br />
gestalten, überfliegt der Betrachter<br />
eine auf ein Höhenprofil projizierte<br />
Satellitenaufnahme von Berlin. Durch<br />
deren hohe Ortsauflösung und Realitätstreue<br />
in Verbindung mit der Hervorhebung<br />
der Stadt- und Bezirksgrenzen<br />
sowie der Flüsse und Seen<br />
wird eine exakte und genaue Orientierung<br />
für den Betrachter ermöglicht.<br />
Da abhängig vom Blickwinkel die horizontnahen<br />
Bereiche des Himmels<br />
sichtbar sein können, wird ein entsprechender<br />
Himmelsausschnitt abhängig<br />
von Sonnenstand und Lufttrübung<br />
berechnet.<br />
Eine ebenfalls an der Realität orientierte<br />
Wiedergabe des Ozons ist nicht<br />
sinnvoll, da es keine Eigenfarbe besitzt:<br />
es ist unsichtbar. Somit muß man<br />
bei der Darstellung des Ozons auf<br />
künstliche Strukturen und Farben<br />
zurückgreifen.<br />
T I T E L<br />
Auf eine dreidimensionale Darstellung<br />
der Verteilungen wurde bewußt<br />
verzichtet, da der Rechenaufwand<br />
deutlich größer und die vorher erwähnte<br />
regionale Zuordnung – die<br />
Abbildung der Ozonwolke auf der<br />
Karte – schwieriger ist. Die Rechenzeit<br />
ist ein wesentlicher Faktor, da für<br />
die Berechnung nur der Zeitraum<br />
zwischen der Ozonberechnung – deren<br />
Vorhersagegenauigkeit von der<br />
zeitlichen Nähe zum berechneten<br />
Zeitraum abhängt – und der Übertragung<br />
zum Fernsehen genutzt werden<br />
kann. Außerdem sind Wolken reale<br />
Gebilde, die sich in größeren Höhen<br />
befinden (aber das Ozon in Bodennähe<br />
soll visualisiert werden) und<br />
eher mit Wasserdampf oder Staub in<br />
Verbindung gebracht werden.<br />
Einfacher und schneller ist es, direkt<br />
über die Karte eine transparente<br />
zweite Karte zu legen, die durch ihre<br />
Färbung die Ozonkonzentrationen repräsentiert.<br />
Sowohl durch die gewählte<br />
Farbe als auch durch den Grad der<br />
Transparenz können dann die örtlichen<br />
Ozonwerte verdeutlicht werden.<br />
In der aktuellen Version wird für<br />
die Ozonkonzentration des Grenzwertes<br />
der Weltgesundheitsorganisation<br />
ein Blau und für alle Werte größer<br />
240 Mikrogramm (bundeseinheitlicher<br />
Auslösewert) ein Signalrot verwendet.<br />
Für die Zwischenwerte werden<br />
die beiden Farben ineinander<br />
übergeblendet.<br />
Somit sind die beiden Grenzwertbereiche<br />
farblich voneinander abgegrenzt.<br />
Durch die durchscheinende<br />
Karte kann der Fernsehzuschauer die<br />
für ihn interessanten Regionen klar<br />
erkennen.<br />
....................................<br />
Dipl.-Inform. Bertram<br />
Walter ist Doktorand<br />
am <strong>GMD</strong>-Institut für<br />
Rechnerarchitektur<br />
und Softwaretechnik.<br />
Schwerpunkt seiner<br />
wissenschaftlichen<br />
Arbeit ist das Gebiet<br />
Simulationssysteme.<br />
Szenariorechnungen<br />
mit einem<br />
parallelisierten<br />
Programm<br />
Von Steffen Unger<br />
Das EMEP-Modell (European Monitoring<br />
and Evaluation Programme)<br />
des Norwegischen Meteorologischen<br />
Instituts in Oslo zur Berechnung der<br />
grenzüberschreitenden Schadstoffbelastung<br />
in Europa wurde im Rahmen<br />
des DYMOS-Projektes (Dynamische<br />
Modelle für die Smoganalyse) im<br />
<strong>GMD</strong>-Institut für Rechnerarchitektur<br />
und Softwaretechnik in Berlin parallelisiert.<br />
Durch die Parallelisierung des<br />
Programms konnte eine bedeutende<br />
Laufzeitverbesserung erreicht werden.<br />
Dadurch wurde es möglich, auf<br />
dem im Institut entwickelten Parallelrechner<br />
MANNA (Massiv-Parallele<br />
Architektur für Numerische und<br />
Nicht-Numerische Anwendungen)<br />
umfangreiche Szenariorechnungen für<br />
die Entwicklung eines Integrated<br />
Assessment Model’s für Ozon im<br />
International Institute for Applied Systems<br />
Analysis (IIASA) in Laxenburg<br />
bei Wien durchzuführen.<br />
Die Transboundary Air Pollution<br />
Gruppe des IIASA entwickelt ein Integrated<br />
Assessment Model für Ozon.<br />
Dieses Modell bezieht ökonomische,<br />
soziale und gesundheitliche Aspekte<br />
der Schadstoffbelastung der Luft ein,<br />
speziell für die Leitsubstanz Ozon,<br />
und bilanziert Auswirkungen von Veränderungen<br />
der charakteristischen<br />
Größen des Modells. Insbesondere<br />
lassen sich Kosten/Nutzen-Abschätzungen<br />
für emissionsmindernde Maßnahmen<br />
im europäischen Rahmen<br />
durchführen.<br />
Analog zu den vor einigen Jahren in<br />
Vorbereitung des 1994 unterzeichneten<br />
Schwefel-Protokolls durchgeführten<br />
Untersuchungen, an denen das<br />
IIASA ebenfalls beteiligt war, kann<br />
dieses Simulationsmodell Entschei-<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 51
dungshilfen für die Ausarbeitung des<br />
europäischen Stickoxid-Reduktions-<br />
Programms liefern. Die in der Atmosphäre<br />
ablaufenden physikalischen<br />
und chemischen Vorgänge sind so<br />
komplex, daß Aussagen über die<br />
Auswirkungen emissionsmindernder<br />
Maßnahmen für die Vorläufersubstanzen<br />
der Ozonbildung, insbesondere<br />
die Stickoxide und die Volatile Organic<br />
Compounds (VOC), nur als Resultat<br />
einer statistischen Trendanalyse<br />
gewonnen werden können. Dazu<br />
dient ein statistisches Regressionsmodell<br />
zur Bestimmung des Source-Receptor-Verhaltens<br />
für Schadstoffe, das<br />
ein wesentlicher Bestandteil des<br />
Integrated Assessment Model’s ist.<br />
Die zur Anpassung der Parameter in<br />
diesem Regressionsmodell notwendigen<br />
Daten können nicht aus Messungen<br />
bestimmt werden. Deshalb ist eine<br />
Vielzahl von Szenarioanalysen<br />
durchzuführen und auszuwerten.<br />
Als Grundlage für diese Analysen<br />
wurde in Zusammenarbeit mit dem<br />
Meteorologischen Institut Oslo und<br />
dem EMEP das dort im Regelbetrieb<br />
laufende Modell zur Berechnung der<br />
grenzüberschreitenden Schadstoffbelastung<br />
in Europa ausgewählt. Dieses<br />
Modell hat den Vorteil, daß es<br />
als Trajektorien- (Lagrange-) Modell<br />
wesentlich weniger Rechenzeit erfordert<br />
als vergleichbare Gitter- (Euler-)<br />
Modelle. Es liefert die für das Regressionsmodell<br />
notwendigen Daten, vor<br />
allem summarische Werte wie die<br />
mittlere Ozonbelastung von Gebieten<br />
in der Sommerperiode, in ausreichender<br />
Auflösung. Außerdem verfügt das<br />
EMEP über eine anerkannte europäische<br />
Emissionsdatenbasis, die als<br />
Grundlage für reale und vorstellbare<br />
Emissionsminderungsszenarien dient.<br />
Leider ist der Rechenaufwand für dieses<br />
EMEP-Modell immer noch zu<br />
groß, um damit umfangreiche Szenarioanalysen<br />
durchführen zu können.<br />
Ein sechs Monate umfassender Simulationslauf<br />
dauert auf der Cray-Rechenanlage<br />
in Oslo etwa sechs Stunden.<br />
250 Szenariorechnungen würden<br />
dann etwa zwei Monate an Rechenzeit<br />
erfordern.<br />
Die Fachleute des IIASA wandten<br />
sich deshalb mit der Bitte an die<br />
<strong>GMD</strong>, dieses Modell zu parallelelisie-<br />
T I T E L<br />
ren, um dadurch einen<br />
Rechenzeitgewinn<br />
zu erreichen. Das Meteorologische<br />
Institut<br />
Oslo ist gleichfalls an einer<br />
Parallelisierung interessiert,<br />
da dort demnächst<br />
ebenfalls ein Parallelrechner<br />
zur Verfügung<br />
stehen wird.<br />
Das EMEP-Modell<br />
Das EMEP-Modell ist<br />
5<br />
ein Lagrangesches Boxmodell.<br />
Für Ankunftspunkte<br />
in einem Raster<br />
0<br />
von 150 mal 150 Kilometer,<br />
die den europäischen<br />
Landsockel abdecken,<br />
werden alle<br />
sechs Stunden Ozonwerte berechnet.<br />
Im folgenden werden wir solch eine<br />
Berechnung der Ozonwerte in allen<br />
Punkten zu einer Ankunftszeit als<br />
Zeitschritt bezeichnen. Ausgehend<br />
vom Ankunftspunkt werden die Trajektorien<br />
anhand der meteorologischen<br />
Daten bis zu vier Tagen in zweistündlicher<br />
Auflösung zurückverfolgt.<br />
Für eine Schadstoffe tragende<br />
Luftsäule, die sich entlang dieser Trajektorie<br />
bewegt, werden dann Bilanzgleichungen<br />
für die Schadstoffe gelöst,<br />
wobei relevante physikalische<br />
Prozesse wie Emission, Deposition<br />
und Entrainment und die chemische<br />
Umsetzung berücksichtigt werden.<br />
Da es sich um ein Lagrangemodell<br />
handelt, ist das Modell relativ einfach<br />
zu parallelisieren. Im Gegensatz<br />
zu Lagrangeschen Partikelmodellen<br />
kommen hier aber einige Besonderheiten<br />
hinzu. Zunächst gibt es eine<br />
Abhängigkeit zwischen aufeinanderfolgenden<br />
Zeitschritten, da die Initialkonzentrationen<br />
der Luftpakete,<br />
wenn möglich, aus vorhergehenden<br />
Zeitpunkten akkumuliert werden.<br />
Somit ist nur eine Parallelisierung innerhalb<br />
eines Zeitschrittes möglich.<br />
Damit hat man dann aber eine relativ<br />
geringe Anzahl von Trajektorien, zum<br />
Beispiel im aktuellen Raster 709, die<br />
zudem noch relativ kurz sind (vier<br />
Tage im Zwei-Stunden Raster ergeben<br />
maximal 49 Punkte). Hinzu<br />
kommt, daß die Trajektorien unter-<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
schiedlich lang sind, da bei Erreichen<br />
der Gebietsgrenzen die Trajektorie<br />
nicht weiter fortgesetzt wird. Eine direkte<br />
Parallelisierung führt damit zu<br />
erheblichen Lastausgleichsproblemen.<br />
Unabhängig davon ist eine Parallelisierung<br />
sehr sinnvoll, da die Rechenzeit<br />
für eine Trajektorie pro Zeitschritt<br />
relativ groß ist. Ein Zeitschritt<br />
dauert auf einem Vektorrechner immerhin<br />
etwa eine halbe Minute (für<br />
rund 700 Trajektorien).<br />
Parallelisierung<br />
Folgende Hauptprobleme wurden bei<br />
der Parallelisierung gelöst:<br />
1. Lastausgleich<br />
Die Berechnung der Trajektorien für<br />
den jeweiligen Zeitschritt erfolgt zusammen<br />
mit dem Input/Output und<br />
der Verteilung der notwendigen<br />
Daten an die restlichen Knoten auf<br />
einem ausgewählten Knoten, im<br />
folgenden Host-Knoten genannt. Danach<br />
werden die Trajektorien der<br />
Länge nach geordnet, und zyklisch<br />
nach einer einfachen Vorschrift auf<br />
die Rechenknoten verteilt (der erste<br />
Knoten erhält die erste Trajektorie,<br />
der zweite die zweite usw.). Dadurch<br />
ist ein fast idealer Lastausgleich möglich,<br />
da jeder Knoten nicht nur<br />
annähernd die gleiche Zahl von Berechnungspunkten<br />
erhält, was den<br />
Rechenaufwand bestimmt, sondern<br />
auch dieselbe Anzahl von Trajektori-<br />
52 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />
speed-up<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
parallel efficiency<br />
1.2<br />
1.0<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
0.2<br />
parallel efficiency<br />
speed-up<br />
linear speed-up<br />
0.0<br />
0 5 10 15 20<br />
number of processors<br />
Speed-Up und parallele Effizienz im Ein-Prozessor-Modus
en, was sich als günstig für die Dimensionierung<br />
der Konzentrations- und<br />
anderen Felder für die Trajektorien<br />
erweist.<br />
Während der Berechnung des k-ten<br />
Zeitschritts auf den übrigen Knoten<br />
werden die Ergebnisse des (k-1)-ten<br />
Zeitschritts ausgegeben und die Daten<br />
für den (k+1)-ten Zeitschritt vorbereitet<br />
und verteilt. Dadurch werden<br />
Input/Output, Kommunikation und<br />
Berechnung überlagert und die Stillstandszeit<br />
der Prozessoren ist praktisch<br />
gleich Null.<br />
2. Abhängigkeit der Anfangskonzentrationen<br />
von den Berechnungen<br />
früherer Zeitschritte<br />
Das Rechengebiet ist im Vergleich zur<br />
Länge der Trajektorien recht groß.<br />
Deshalb gibt es nur sehr wenige Trajektorien<br />
– mit Ankunftspunkten am<br />
Rande Europas –, die als Initialwerte<br />
Daten aus dem Zeitschritt benötigen,<br />
der zur selben Zeit erst auf den anderen<br />
Knoten berechnet wird. Die anderen<br />
Werte sind auf dem Host-Knoten<br />
schon verfügbar. Deshalb wird die Initialisierung<br />
der Konzentrationen für<br />
die Trajektorien ebenfalls auf dem<br />
Host-Knoten durchgeführt. Die wenigen<br />
verbleibenden sehr kurzen Trajektorien<br />
werden nach Empfang der<br />
Ergebnisse vom vorhergehenden<br />
Schritt auf dem Host-Knoten berechnet.<br />
Mit diesem einfachen Algorithmus<br />
kann die Stillstandszeit der Rechenknoten<br />
sehr klein gehalten werden.<br />
Bei einer Simulation über sechs Monate<br />
lag die Summe der Wartezeiten<br />
der Rechenknoten auf die Daten für<br />
den nächsten Schritt bei einigen Sekunden,<br />
was im Vergleich zur Rechenzeit<br />
von etwa 40 Minuten verschwindend<br />
wenig ist. Die obige Prozedur<br />
hat nun auch einige Auswirkungen<br />
auf das serielle Programm. Das Ausgangsprogramm<br />
wurde speziell für die<br />
Anwendung auf einem Vektorrechner<br />
entwickelt und ist so aufgebaut, daß<br />
die einzelnen Rechenschritte eines<br />
Zeitschritts für jeweils alle Trajektorien<br />
ausgeführt werden. Wegen der<br />
unterschiedlichen Länge der Trajektorien<br />
erfordert dies ständige Tests, ob<br />
für die jeweilige Trajektorie zum ge-<br />
T I T E L<br />
gebenen Zeitpunkt die Rechnung bereits<br />
ausgeführt werden muß. Liegen<br />
die Trajektorien nun bereits der Länge<br />
nach geordnet vor, so können alle<br />
diese Tests entfallen. Das macht das<br />
Programm nicht nur viel einfacher,<br />
sondern auch schneller. Weiterhin hat<br />
sich gezeigt, daß Cache-Effekte hier<br />
eine große Rolle spielen, damit haben<br />
kleinere Felddimensionen sofort positive<br />
Auswirkungen auf die Rechenzeit.<br />
Die oben skizzierte Verteilungsvorschrift<br />
auf die Knoten erlaubt es,<br />
die Felddimensionen für die Knoten<br />
zu minimieren.<br />
Ergebnisse<br />
Das Programm wurde mit Hilfe von<br />
PVM (Parallel Virtual Machine) parallelisiert<br />
und auf dem MANNA-<br />
Rechner des Instituts für Rechnerarchitektur<br />
und Softwaretechnik der<br />
<strong>GMD</strong> implementiert. Dabei wurde<br />
die Möglichkeit genutzt, diesen Rechner<br />
nicht nur im Normalmodus zu betreiben,<br />
bei dem nur einer der zwei<br />
auf<br />
jedem MANNA-Knoten vorhandenen<br />
Prozessoren benutzt wird. Es<br />
wurde eine AP/AP-Variante (Arithmetic<br />
Processor) implementiert, bei<br />
der der zweite Prozessor als arithmetischer<br />
Coprozessor verwendet wird.<br />
Die Cache-Effekte liefern dabei einen<br />
super-linearen Speed-Up. <strong>Der</strong> superlineare<br />
Speed-Up wird deutlich, wenn<br />
man die notwendige Zeit zur Berechnung<br />
einer Trajektorie für verschiedene<br />
Knotenzahlen vergleicht. Für<br />
die Ein-Prozessor-Variante sinkt diese<br />
Zeit stetig bis zu 20 Knoten, im<br />
AP/AP-Modus sinkt sie bis zu 14<br />
Knoten und bleibt danach nahezu<br />
konstant.<br />
Das zeigt, daß für dieses Programm<br />
für bis zu 40 Prozessoren eine nahezu<br />
ideale parallele Effektivität, sogar bei<br />
gleicher Problemgröße, charakteristisch<br />
ist, obwohl die Berechnung<br />
dann schon ziemlich feingranular ist –<br />
jeder Prozessor berechnet dann nicht<br />
einmal 20 Trajektorien. Für die Ein-<br />
Prozessor-Variante liegt der Speed-<br />
Up-Faktor für 20 Knoten bei 21,1, bei<br />
der AP/AP-Variante liegt er bei 21,3<br />
(im Vergleich von 20 Knoten zu einem<br />
Knoten beziehungsweise 40 Prozessoren<br />
zu 2 Prozessoren).<br />
Vergleicht man die AP/AP-Variante<br />
mit 20 Knoten, das heißt, mit 40 Prozessoren,<br />
mit der Ein-Knoten/Ein-<br />
Prozessor-Variante, erhält man einen<br />
Speed-Up von 37,2. Das liegt daran,<br />
daß beide Prozessoren nur über einen<br />
gemeinsamen Datenbus zum Speicher<br />
verfügen und sich damit bei Speicherzugriffen<br />
gegenseitig stören. Dadurch<br />
wird der theoretische Speed-Up von 2<br />
beim Übergang zum AP/AP-Modus<br />
auf etwa 1,8 reduziert.<br />
Für Nutzrechnungen ist in erster Linie<br />
die Antwortzeit eines Programms interessant.<br />
Diese ist bei Parallelrechnern<br />
schon deshalb günstiger als etwa<br />
bei großen Vektorrechnern, da man<br />
Parallelrechner oft als alleiniger Nutzer<br />
zur Verfügung hat und damit die<br />
Liegezeit eines Programms etwa der<br />
Zeit der Zentraleinheit entspricht.<br />
Ein Basislauf über sechs Monate erfordert<br />
auf einem MANNA-Parallelrechner<br />
mit 20 Knoten nur noch weniger<br />
als 40 Minuten – im Vergleich zu<br />
sechs Stunden auf der Cray. Damit<br />
konnten im Februar dieses Jahres 250<br />
Szenariorechnungen in etwa einer<br />
Woche durchgeführt werden. Entsprechende<br />
Umformung, das heißt Ordnung<br />
der Trajektorien und Aufspaltung<br />
der Berechnungen in Teilpakete<br />
von Trajektorien, liefert ebenfalls eine<br />
bedeutende Laufzeitverbesserung des<br />
seriellen Programms. Auf einer Workstation<br />
wurde das beste Ergebnis mit<br />
einer Aufspaltung in 20 Teilstücke<br />
von jeweils 36 Trajektorien erreicht.<br />
Die Zeit der Zentraleinheit reduzierte<br />
sich dadurch auf etwa die Hälfte.<br />
....................................<br />
Dr. Steffen Unger ist<br />
Wissenschaftler im<br />
<strong>GMD</strong>-Institut für<br />
Rechnerarchitektur<br />
und Softwaretechnik.<br />
Er befaßt sich mit der<br />
Simulation der Bildung<br />
und des Transports<br />
von Schadstoffen in<br />
der unteren Atmosphäre<br />
und mit der<br />
Parallelisierung und<br />
Implementierung<br />
entsprechender Modelle.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 53
CaTS –<br />
Bildbasierte<br />
Kameraführung<br />
im Virtuellen<br />
Studio<br />
Von Klaus Kansy,<br />
Günther Schmitgen<br />
und Peter Wißkirchen<br />
Das Virtuelle Studio der <strong>GMD</strong> hat<br />
sich zu einer Attraktion entwickelt.<br />
Die Mischung von realer und virtueller<br />
Welt – ein realer Moderator in einem<br />
künstlichen Raum – verdeutlicht<br />
plastisch die neuen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
eines Virtuellen Studios.<br />
Zentrale Voraussetzung für eine überzeugende<br />
Mischung ist die exakte<br />
Abstimmung von realer und virtueller<br />
Kamera, wodurch erst die Illusion eines<br />
einheitlichen Raums erzeugt wird.<br />
Läßt sich diese Abstimmung bei<br />
feststehender Kamera noch manuell<br />
erreichen, wird sie zu einem Problem,<br />
wenn die reale Kamera bewegt wird.<br />
Die synthetische Kamera muß dann<br />
exakt und synchron nachgeführt werden,<br />
weil sich sonst beide Welten voneinander<br />
entfernen und die Illusion<br />
des einheitlichen Raums zerstört wird.<br />
In unserem Beispiel würde der Moderator<br />
dann nicht mehr fest auf dem<br />
Boden stehen bleiben, sondern der<br />
Boden würde ihm buchstäblich unter<br />
den Füßen wegrutschen. Zur Lösung<br />
dieser Koordinierungsaufgabe wurde<br />
in der <strong>GMD</strong> ein bildbasiertes Verfahren<br />
entwickelt, bei dem die aktuellen<br />
Kameraeinstellungen aus dem Bild<br />
berechnet und damit virtuelle Objekte<br />
pixelgenau neben reale Objekte<br />
positioniert werden können.<br />
Beim Virtuellen Studio werden aufwendige<br />
Dekorationen und Kulissen<br />
nicht mehr real gebaut, sondern im<br />
Computer konstruiert und elektronisch<br />
in das Fernsehbild hineingemischt.<br />
Neben Kosten- und Platzersparnis<br />
gewinnt ein Fernsehproduzent<br />
damit auch größere Flexibilität,<br />
weil er Kulissen in Sekunden neu<br />
zusammenstellen und ändern kann<br />
und weil er die Möglichkeit erhält,<br />
F O R S C H U N G<br />
elektronische Effekte<br />
einzubauen, die mit realen<br />
Kulissen nicht möglich<br />
wären. Über die<br />
Techniken und die<br />
praktischen Einsatzmöglichkeiten<br />
von Virtuellen<br />
Studios wurde<br />
im Heft 3/95 des <strong>GMD</strong>-<br />
<strong>Spiegel</strong>s ausführlich<br />
berichtet.<br />
Das Virtuelle Studio besteht<br />
aus einem Blauraum,<br />
in dem reale<br />
Personen agieren und in<br />
den reale Requisiten<br />
hineingestellt werden<br />
können. Abbildung 1<br />
zeigt einen Blick in den<br />
Blauraum aus der Perspektive<br />
der Studiokamera.<br />
Ein Grafikcomputer erzeugt<br />
die virtuelle Welt,<br />
die den Blauraum erst<br />
zu einem Studio macht.<br />
Im Grafiksystem wird<br />
eine virtuelle Kamera<br />
definiert, mit der die<br />
virtuelle Welt in ein<br />
Videobild umgewandelt<br />
wird. Abbildung 2 zeigt<br />
das Bild einer virtuellen<br />
Welt, die aus einem<br />
virtuellen Raum mit virtuellen<br />
Requisiten besteht.<br />
Durch einen sogenanntenChroma-Key-Mischer<br />
werden nun beide<br />
Bilder gemischt, wobei<br />
der virtuelle Raum (Abbildung<br />
2) die blauen<br />
Flächen in der realen<br />
Welt (Abbildung 1) ersetzt.<br />
Die virtuellen Requisiten<br />
können wahlweise<br />
in den Vorderoder<br />
Hintergrund gesetzt<br />
werden. Das Resultat<br />
zeigt Abbildung<br />
3.<br />
Blauraumtechnik<br />
im Fernsehen<br />
Die Blauraumtechnik wird schon seit<br />
langem im Fernehen einge-<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
<strong>Der</strong> Blauraum aus der Perspektive der Studiokamera:<br />
Eine reale Person steht an einem realen Pult neben einer<br />
blauen Tafel vor blauem Hintergrund.<br />
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
Die virtuelle Welt:<br />
Ein dreidimensionaler Raum mit virtuellen Requisiten.<br />
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
Kombination von realer und virtueller Welt.<br />
54 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
setzt, aber immer – oder fast immer –<br />
für das Mischen von Bildern: ein<br />
Fernsehbild wird in ein Fenster innerhalb<br />
eines anderen Fernsehbildes eingeblendet.<br />
Die dritte Dimension, die<br />
räumliche Tiefe, spielt dabei keine<br />
Rolle. Wollte man jedoch das Virtuelle<br />
Studio als dreidimensionalen Raum<br />
nutzen, in dem reale und virtuelle Objekte<br />
mit der richtigen Perspektive an<br />
der richtigen Stelle in der richtigen<br />
Größe dargestellt werden, mußte die<br />
Studiokamera sorgfältig justiert und<br />
auf die synthetische Welt abgestimmt<br />
werden. Dadurch ergab sich eine<br />
gravierende Beschränkung: Die<br />
Studiokamera durfte nach der Justierung<br />
um keinen Millimeter verrückt<br />
oder gedreht werden, ohne die Verbindung<br />
von Realität und Virtualität<br />
zu zerstören. <strong>Der</strong> Wetterbericht im<br />
Fernsehen, bei dem der Moderator in<br />
einem Virtuellen Studio auf eine virtuelle<br />
Wetterkarte an der Wand zeigt,<br />
ist ein Beispiel dafür.<br />
Kamerafahrten<br />
im Virtuellen Studio<br />
Interessant wird das Mischen von Realität<br />
und Virtualität aber erst, wenn<br />
die Kamera frei bewegt werden darf.<br />
Dann kann das Virtuelle Studio seine<br />
volle Stärke zeigen, und es wird sichtbar,<br />
daß der dreidimensionale Raum<br />
nicht nur ein Bild, eine Tapete ist –<br />
sondern wirkliche dreidimensionale<br />
Qualität besitzt.<br />
Wenn die Kamera einen Schwenk<br />
macht, zoomt oder im Raum bewegt<br />
wird, verändert sich das reale Kamerabild<br />
kontinuierlich. Damit die Fiktion,<br />
der Eindruck eines einzigen dreidimensionalen<br />
Raums erhalten bleibt,<br />
muß die virtuelle Welt sich entsprechend<br />
der Kamerafahrt synchron mitbewegen.<br />
Wie kann der Computer aber wissen,<br />
welche Einstellung die Studiokamera<br />
gerade hat, damit er die virtuelle Welt<br />
richtig darstellen kann? Dies ist ein<br />
sehr schwieriges Problem, für das es<br />
heute noch keine voll befriedigende<br />
generelle Lösung gibt, sondern nur<br />
verschiedene Lösungsansätze, an denen<br />
eifrig geforscht und weiterentwickelt<br />
wird.<br />
F O R S C H U N G<br />
Standardlösung:<br />
Sensoren an der Kamera<br />
Die Standardlösung, die man heute<br />
kaufen kann und die in existierenden<br />
Virtuellen Studios eingesetzt wird,<br />
sind Sensoren an der Kamera, die alle<br />
Änderungen präzise registrieren und<br />
an den Computer weitermelden. Ein<br />
Beispiel für ein sensorbasiertes System<br />
ist der Ultimatte Memory Head,<br />
der auch im Virtuellen Studio der<br />
<strong>GMD</strong> eingesetzt wird.<br />
Prinzipieller Nachteil der Sensorlösung<br />
ist, daß es keine Rückkoppelung<br />
zwischen realer und virtueller Welt<br />
gibt. Beide Welten werden einmal<br />
sorgfältig aufeinander abgestimmt,<br />
der Rest hängt von der Genauigkeit<br />
der Meßgeräte ab, die zudem unterschiedliche<br />
Parameter unterschiedlich<br />
genau messen. Somit besteht permanent<br />
die Gefahr, daß sich reale und<br />
virtuelle Welt während einer Kamerafahrt<br />
mehr und mehr voneinander<br />
entfernen. Das kann sich zum Beispiel<br />
darin äußern, daß während einer Kamerafahrt<br />
der Boden anfängt, unter<br />
den Füßen des Moderators zu wandern<br />
– der Moderator steht nicht<br />
mehr auf dem Fußboden, sondern<br />
schwebt in der Luft.<br />
Bei heutigen Sensorkameras können<br />
nur Schwenk und Zoom befriedigend<br />
genau erfaßt werden. Kamerafahrten<br />
im Raum bleiben problematisch und<br />
werden vermieden, das heißt, diese<br />
Kameras werden nur ortsfest eingesetzt.<br />
Dies wird auch schon wegen des<br />
apparativen Aufwands für die Sensorik<br />
nahegelegt. Für die pixelgenaue<br />
Koppelung von virtuellen und realen<br />
Objekten sind diese Systeme nicht<br />
präzise genug. Daher vermeidet man<br />
Situationen, in denen reale und virtuelle<br />
Gegenstände in sehr enge Berührung<br />
kommen, weil sonst Ungenauigkeiten<br />
und relative Bewegungen deutlich<br />
sichtbar werden könnten.<br />
Die <strong>GMD</strong>-Lösung:<br />
bildbasierte Kameraführung<br />
Um diese Probleme zu lösen, haben<br />
wir in der <strong>GMD</strong> einen neue Methode<br />
für die Kameraführung entwickelt<br />
und prototypisch implementiert, das<br />
Camera Tracking System CaTS. CaTS<br />
ist ein bildbasiertes Kameraführungssystem,<br />
das heißt, es mißt nicht an der<br />
Kamera, sondern es mißt im Bild.<br />
Dadurch werden keine zusätzlichen<br />
Sensoren benötigt, sondern es wird<br />
lediglich das bereits vorhandene Fernsehsignal<br />
der Kamera ausgewertet.<br />
Das Fernsehbild wird vom Computer<br />
analysiert, die aktuelle Kameraeinstellung<br />
berechnet und dann die<br />
passende virtuelle Welt erzeugt. Die<br />
Analyse des Bildes und die Erzeugung<br />
der virtuellen Welt geschehen<br />
zwar in Realzeit, aber die<br />
einzelnen Schritte brauchen etwas<br />
Zeit. Daher muß das Fernsehsignal in<br />
einem Videoverzögerer um etwa drei<br />
bis fünf Bilder verzögert werden, damit<br />
das Bild der virtuellen Welt aus<br />
dem Grafikcomputer mit dem entsprechenden<br />
realen Kamerabild gemischt<br />
werden kann.<br />
Wie kann nun der Computer allein<br />
durch Bildanalyse herausfinden, an<br />
welcher Position die Kamera sich gerade<br />
befindet und welcher Schwenkwinkel<br />
oder Zoom gerade eingestellt<br />
sind?<br />
Dies geht natürlich nicht mit jedem<br />
Bild, sondern es wird vorausgesetzt,<br />
daß es im Virtuellen Studio Strukturen<br />
gibt, die dem Rechner bekannt<br />
sind, die er in jedem Bild wiederfindet<br />
und mit deren Hilfe er die gesuchten<br />
Parameter bestimmen kann.<br />
Reale Objekte als Sensoren<br />
In unserem Camera Tracking System<br />
CaTS benutzen wir die im Virtuellen<br />
Studio vorhandenen realen Objekte<br />
als Referenzobjekte. Dies sind in Abbildung<br />
1 das Pult und die blaue Tafel.<br />
Es können natürlich andere und mehr<br />
Objekte verwendet werden, solange<br />
sie der Rechner automatisch und sicher<br />
in jedem Bild wiederfinden kann.<br />
Die Referenzobjekte werden entweder<br />
sorgfältig vermessen, oder man<br />
kann ihre Position aus Stereoansichten<br />
berechnen. In jedem Ka-<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 55
Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />
Kombination von realer und virtueller Welt aus anderer<br />
Perspektive: Die virtuellen Objekte bleiben an ihrem Platz.<br />
merabild werden dann die Referenzobjekte<br />
gesucht und ihre aktuelle<br />
Position und Größe im Bild bestimmt.<br />
Aus entsprechenden Koordinaten im<br />
realen Raum und im Bild können nun<br />
alle geometrischen Kameraparameter<br />
berechnet werden: die Position, die<br />
drei Schwenkwinkel und der Öffnungswinkel<br />
oder Zoomfaktor. Das<br />
mathematische Verfahren setzt lediglich<br />
voraus, daß von mindestens vier<br />
Punkten im Bild die realen Koordinaten<br />
bekannt sind und daß diese Punkte<br />
nicht alle auf einer Fläche liegen.<br />
Bildbasierte Kameraführung wird<br />
auch im europäischen Förderprojekt<br />
MonaLisa und im ORAD-System aus<br />
Israel verwendet. Allerdings wird hier<br />
ein anderer Weg beschritten. Es werden<br />
Muster im Blauraum aufgemalt,<br />
die mit speziellen Hochleistungsprozessoren<br />
im Bild identifiziert und analysiert<br />
werden und aus denen man die<br />
Kameraeinstellung ganz oder teilweise<br />
bestimmen kann. Beim Mischen<br />
mit dem Chroma-Key-Mischer verschwinden<br />
diese blauen Muster automatisch.<br />
Reale Objekte und Ankerpunkte<br />
als Orientierungshilfen<br />
im Virtuellen Studio<br />
Wir kennen aus den Anfängen des<br />
Virtuellen Studios Szenen, in denen<br />
ein Moderator beim Erläutern der<br />
virtuellen Szene auf die falsche Stelle<br />
zeigt oder in die falsche Richtung<br />
blickt, weil er nicht sieht, wo sich die<br />
F O R S C H U N G<br />
virtuellen Objekte befinden.<br />
Wenn man den<br />
Raum durch reale Objekte<br />
strukturiert, läßt<br />
sich dies vermeiden.<br />
Ankerpunkte sind eine<br />
weitere Möglichkeit, um<br />
Positionen im Blauraum<br />
zu kennzeichnen, an denen<br />
sich virtuelle Objekte<br />
befinden. Solche<br />
Ankerpunkte befinden<br />
sich am Pult und auf der<br />
Tafel in Abbildung 1.<br />
Das <strong>GMD</strong>-Logo am<br />
Pult oder das CaTS-<br />
Logo auf der Tafel sind<br />
an den Ankerpunkten befestigt (Abbildung<br />
3). Die Blumenvase auf dem<br />
Pult zeigt, daß es natürlich auch ohne<br />
Ankerpunkte geht, wenn dem Rechner<br />
die Geometrie des Pultes bekannt<br />
ist.<br />
Mit diesen Orientierungshilfen ist es<br />
nun keine Schwierigkeit mehr für den<br />
Moderator, mit virtuellen Objekten<br />
umzugehen. Die realen Objekte und<br />
die Ankerpunkte zeigen ihm deren<br />
Position an, und er kann zum Beispiel<br />
die Blumenvase auf dem Pult anfassen<br />
(Abbildung 3) oder auf das CaTS-<br />
Logo zeigen (Abbildung 4).<br />
Daß diese Möglichkeit bislang wenig<br />
genutzt wird, liegt daran, daß natürlich<br />
jede Schnittstelle zwischen Realität<br />
und Virtualität problematisch ist<br />
und Ungenauigkeiten in der Koordination<br />
unbarmherzig aufzeigt. Bildbasierte<br />
Kameraführung ist die einzige<br />
Möglichkeit, Realität und Virtualität<br />
in so enge Berührung kommen zu<br />
lassen.<br />
Eigenschaften der bildbasierten<br />
Kameraführung<br />
Durch die Rückkoppelung mit dem<br />
Kamerabild, die bei der bildbasierten<br />
Kameraführung möglich ist, können<br />
die virtuelle Welt im Prinzip pixelgenau<br />
mit der realen Welt gekoppelt<br />
und damit Computereffekte in der<br />
Videoszene erzeugt werden, die mit<br />
der üblichen Sensorkamera aus Genauigkeitsgründen<br />
unmöglich sind.<br />
Bildbasierte Kameraführung erlaubt<br />
alle Kamerafahrten ohne Einschränkung,<br />
ohne daß sich bei langen Fahrten<br />
Fehler akkumulieren können. Die<br />
Abbildungen 3 und 4 zeigen das<br />
Virtuelle Studio vor und nach einer<br />
Kamerafahrt von einer Seite des Studios<br />
zur anderen, die mit sensorbasierten<br />
Systemen zu instabilen Ergebnissen<br />
führen würde. Allerdings müssen<br />
bei den Kamerafahrten genügend<br />
viele Referenzobjekte im Blickfeld<br />
der Kamera bleiben, um die kontinuierliche<br />
Berechnung der Kameraparameter<br />
zu ermöglichen. Ein Zoom auf<br />
den Kopf des Moderators ist für<br />
bildbasierte Systeme daher eine heikle<br />
Kamerafahrt, für die noch geeignete<br />
Lösungen entwickelt werden<br />
müssen.<br />
Abbildung 5: <strong>GMD</strong><br />
Ein Ankerpunkt auf dem Pult, wie ihn der<br />
Computer sieht: Wo liegt der Mittelpunkt der<br />
Markierung?<br />
Abbildung 6: <strong>GMD</strong><br />
Bildausschnitt bei Kamerabewegung:<br />
Das Bild ist zusammengesetzt aus zwei<br />
Halbbildern, die verschiedenen Zeitpunkten<br />
der Bewegung entsprechen.<br />
56 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Die Kalibrierung bei Kamera- oder<br />
Szenenwechsel – bei sensorbasierten<br />
Systemen eine kritische Aktion – ist<br />
bei bildbasierten Systemen einfach<br />
und problemlos in etwa einer Minute<br />
durchzuführen.<br />
Bildbasierte Kameraführung stellt<br />
keine besonderen Anforderungen an<br />
die Kamera, sie ist auch bei Schulterkameras<br />
und Hobbykameras anwendbar.<br />
Es kann damit sogar vorhandenes<br />
Filmmaterial weiter bearbeitet werden,<br />
wenn dort Objekte mit bekannter<br />
Geometrie vorhanden sind. Ein<br />
Anwendungsbeispiel hierfür ist die<br />
Montage von Schauspielern in historische<br />
Filmaufnahmen.<br />
Ein Nachteil des bildbasierten Verfahrens<br />
ist, daß es ausschließlich auf dem<br />
flimmernden und verrauschten Bild<br />
einer Kamera basiert. Abbildung 5<br />
zeigt, wie unregelmäßig ein in Abbildung<br />
1 gestochen scharf wirkender<br />
Punkt für den Computer aussieht, der<br />
nur die einzelnen Pixel betrachten<br />
kann. Abbildung 6 illustriert, daß es<br />
bei einer Kamerafahrt eigentlich keine<br />
konsistenten Bilder mehr gibt, weil<br />
eine Videokamera Halbbilder (abwechselnd<br />
die Zeilen mit gerader<br />
oder ungerader Nummer) aufnimmt,<br />
die dann zu verschieden Punkten in<br />
der Kamerafahrt gehören und sich<br />
entsprechend deutlich unterscheiden.<br />
Die Berechnung und Positionierung<br />
kann nur so genau sein, wie die Referenzobjekte<br />
lokalisiert werden können.<br />
Die Glättung von Pixelsprüngen<br />
im Bild und die Stabilisierung der Kamerafahrt<br />
sind ein anspruchsvolles<br />
mathematisches Problem. Wir haben<br />
hier noch nicht alle Möglichkeiten<br />
ausgereizt. Durch Modellierung von<br />
physikalisch möglichen Kamerabewegungen<br />
und durch Einsatz von<br />
Bildverarbeitungsmethoden wollen<br />
wir noch einen Schritt weiterkommen.<br />
F O R S C H U N G<br />
....................................<br />
Dr. Klaus Kansy leitet<br />
im <strong>GMD</strong>-Institut für<br />
Angewandte Informationstechnik<br />
das<br />
Projekt DRIVE (Design<br />
of Realistic Interactive<br />
Virtual Environment),<br />
in dem das bildbasierteKameraführungssystem<br />
CaTS entwickelt<br />
wird. Daneben<br />
befaßt er sich mit<br />
Grafik- und Multimedianormung.<br />
....................................<br />
Dr. Günther Schmitgen<br />
ist wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter im Projekt<br />
DRIVE. Sein Forschungsschwerpunkt<br />
ist die Integration von<br />
Medien im Virtuellen<br />
Studio.<br />
....................................<br />
Dr. Peter Wißkirchen<br />
ist wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter im Projekt<br />
DRIVE. Er interessiert<br />
sich für mathematische<br />
Probleme der<br />
Kameraberechnung<br />
und objektorientierte<br />
Grafik.<br />
Sicherheit<br />
in Multimedia<br />
Electronic Mail<br />
Von Burkhard Wiegel<br />
und Jürgen Sander<br />
Für die globale Informationsgesellschaft<br />
ist Sicherheit zu einem wesentlichen<br />
Qualitätsmerkmal von Anwendungen<br />
und Kommunikationssystemen<br />
geworden. Mit der zunehmenden<br />
Nutzung verteilter und multimedialer<br />
Systeme sind die Anzahl potentieller<br />
Angreifer und der möglichen Bedrohungen<br />
gewachsen. Im Rahmen<br />
des BERKOM-Projekts Sicherheit<br />
in Multimedia Electronic Mail<br />
(MMMSec) werden im <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Offene Kommunikationssysteme<br />
Sicherheitsfunktionalitäten für offene<br />
Kommunikationssysteme entwickelt<br />
und beispielhaft in die Schnittstelle<br />
X.400 und SMTP Email (Simple Mail<br />
Transfer Protocol) integriert.<br />
Electronic Messaging ist einer der ältesten<br />
und am meisten verbreiteten,<br />
informationstechnischbasierten, globalen<br />
Kommunikationsdienste, er<br />
wird auch in Zukunft eine der zentralen<br />
Anwendungen in allen Bereichen<br />
der Informationsgesellschaft sein.<br />
Mit der Einführung von Multimedia<br />
Messaging entstanden neue Probleme.<br />
Im Gegensatz zu den wenigen Kilobytes,<br />
die durchschnittlich die Größe<br />
von ASCII-Nachrichten (American<br />
National Standard Code for Information<br />
Interchange) ausmachen, können<br />
multimediale Nachrichten sehr leicht<br />
Hunderte von Megabytes groß werden.<br />
Im Kontext von Internet Electronic<br />
Mail wurde die Problematik durch geeignete<br />
Definitionen innerhalb des<br />
MIME-Standards (Multipurpose Internet<br />
Mail Extensions) aufgegriffen.<br />
Für die Schnittstellen X.400/X.420<br />
wurden im Rahmen des BERKOM-<br />
Projekts „BERKOM-Multimedia-Mail<br />
Teleservice“ Erweiterungen des Nachrichtenformats<br />
X.420 entwickelt.<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 57
Sicherheit in Multimedia-<br />
Messaging<br />
Electronic Messaging ist durch seine<br />
in hohem Maße verteilte Systemarchitektur<br />
extrem anfällig für die verschiedensten<br />
Sicherheitsbedrohungen.<br />
Die wesentlichen Grundbedrohungen<br />
sind unautorisiertes Lesen beziehungsweise<br />
Kopieren, Ändern, Erzeugen<br />
und Löschen von Nachrichten<br />
oder deren Inhalten.<br />
Es existieren heute sowohl für Internet<br />
Electronic Mail – PEM (Privacy<br />
Enhanced Mail) und PGP (Pretty<br />
Good Privacy) – als auch für X.400<br />
und X.420 – die Standards selbst – optionale,<br />
genormte Sicherheitsfunktionalitäten.<br />
Trotz der Verfügbarkeit<br />
werden diese Sicherheitsfunktionalitäten<br />
jedoch nur bei einem Bruchteil<br />
der Nachrichten im globalen Messaging<br />
angewendet. Diese Tatsache beruht<br />
unter anderem darauf, daß die<br />
existierenden Sicherheitsfunktionalitäten<br />
inkompatibel zwischen verschiedenen<br />
Implementierungen und<br />
sehr komplex sind. Für Benutzer und<br />
Administratoren sind sie schwierig zu<br />
bedienen und daher auch nur in die<br />
wenigsten existierenden User Agent-<br />
Programme integriert. Weiterhin ist<br />
festzustellen, daß die genormten Sicherheitsfunktionalitäten<br />
den technischen<br />
Wandel von monolithischen,<br />
textbasierten Inhalten zu multi-content/multi-mode-Nachrichten<br />
nicht<br />
nachvollzogen haben und bis heute eine<br />
globale Zertifizierungs- und Verteilungsinfrastruktur<br />
für öffentliche<br />
Schlüssel nicht realisiert ist.<br />
Das BERKOM-Projekt<br />
„MMMSec“<br />
In MMMSec wurden für diese Problematiken<br />
mit Ausnahme des Key-Managements<br />
beispielhafte Lösungsansätze<br />
entwickelt. Für die Sicherheitskonzepte<br />
in MMMSec galten folgende<br />
Anforderungen:<br />
– Es werden nur User Agent/User<br />
Agent-Sicherheitsfunktionalitäten berücksichtigt<br />
und realisiert, da diese für<br />
das Message Transfer System transparent<br />
sind, und der Benutzer den Message<br />
Transfer System-Providern nicht<br />
zu vertrauen braucht.<br />
F O R S C H U N G<br />
– Sicherheitsfunktionalitäten für einzelne<br />
X.420-Bodyparts, um die einzelnen<br />
Bestandteile einer Nachricht separat<br />
und unterschiedlich sichern zu<br />
können.<br />
– Sicherheit für externe Referenzen<br />
beziehungsweise die referenzierten<br />
Daten.<br />
– User Agent-Programme müssen<br />
mehrere Message-Formate und auch<br />
deren unterschiedliche User Agent/<br />
User Agent-Sicherheitsfunktionalitäten<br />
unterstützen, da ein Konvertieren<br />
geschützter Nachrichten in Gateways<br />
nicht möglich ist.<br />
– Sicherheit soll unabhängig vom<br />
Message-Format dem Benutzer einfach<br />
und in homogener Oberflächenform<br />
angeboten werden.<br />
– Sicherheitsbasisdienste (Key-Management,<br />
kryptographische Mechanismen,<br />
etc.) werden durch eine allgemeine<br />
Sicherheitsplattform bereitgestellt<br />
und durch dynamisch konfigurierbare<br />
Sicherheitspolitiken und<br />
optionale Benutzereingaben gesteuert.<br />
MMMSec User Agent<br />
Zur Evaluierung, Demonstration und<br />
beispielhaften Integration der in<br />
MMMSec entwickelten Sicherheitskonzepte<br />
wurde das einfache User<br />
Agent-Programm „S-Mail“ imple-<br />
mentiert. Zur Zeit werden X.400(88)<br />
und Internet Electronic Mail sowie<br />
die jeweiligen Sicherheitsdienste<br />
X.420-Security-Bodypart und Privacy<br />
Enhanced Mail unterstützt. An der<br />
Integration von MOSS (MIME Object<br />
Security Services) und Pretty<br />
Good Privacy wird zur Zeit noch gearbeitet.<br />
Die Benutzeroberfläche bezüglich<br />
Sicherheit ist besonders einfach<br />
und objektorientiert gehalten<br />
und ist auch auf andere Anwendungen<br />
übertragbar. Über einen voreinstellbaren<br />
Expertenmodus ist in „S-<br />
Mail“ aber auch eine detaillierte Parameterisierung<br />
der Sicherheitsdienste<br />
unter Berücksichtigung der organisationsweiten<br />
Sicherheitspolitik möglich.<br />
In Abbildung 1 ist die Oberfläche für<br />
das Erstellen von Nachrichten dargestellt.<br />
Durch aussagekräftige Symbole<br />
– in der Abbildung zum Beispiel Signatur<br />
und Verschlüsselung – wird die<br />
Art der durch die Sicherheitspolitik<br />
voreingestellten Sicherheitsdienste für<br />
das aktuell bearbeitete Objekt angezeigt.<br />
<strong>Der</strong> Benutzer kann über<br />
ein entsprechendes Pop-Up-Menü<br />
zum Sicherheitsprofildialog gelangen,<br />
um die Auswahl im Rahmen der Sicherheitspolitikvorgaben<br />
zu verändern.<br />
Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />
User Agent im Projekt Sicherheit in Multimedia Electronic Mail<br />
58 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
Im Empfangsfall erfolgt die Präsentation<br />
von Sicherheit mit Hilfe analoger<br />
Objekte und Dialoge.<br />
Sicherheitspolitik<br />
Die Sicherheitspolitik ist die zentrale<br />
Steuerungskomponente des Sicherungskonzepts<br />
für Multimedia Mail.<br />
Über die Sicherheitspolitik wird für<br />
verschiedene Anwendungskontexte<br />
festgelegt, wie und mit welchen Sicherheitsdiensten<br />
und -mechanismen<br />
welche Datenobjekte mindestens oder<br />
maximal zu sichern sind. Sie wird von<br />
einem Sicherheitsadministrator für alle<br />
Benutzer der Domäne bindend<br />
festgelegt. Somit ist es möglich, technischen<br />
oder gesetzlichen Gegebenheiten<br />
nachzukommen, ohne Änderungen<br />
in der Anwendung vornehmen<br />
zu müssen.<br />
Sicherheitsprofile<br />
Für Anwender, die aktiv die Sicherheitsbehandlung<br />
beeinflussen möchten,<br />
wird ein Sicherheitsprofildialog<br />
(Abbildung 2) zur Verfügung gestellt,<br />
mit dem auf der Ebene von Sicherheitsprofilen<br />
Einstellungen vorgenommen<br />
werden können. Sicherheitsprofile<br />
abstrahieren von den standardisierten<br />
Sicherheitsdiensten der unterschiedlichen<br />
Nachrichtenformate,<br />
die zwar in der Benutzung, Terminologie<br />
und Realisierung sehr verschieden,<br />
aber in der Funktionalität selbst<br />
sehr ähnlich sind. Durch die Einführung<br />
von Sicherheitsprofilen und<br />
der Zuordnung von Symbolen erhält<br />
der Anwender eine homogene Sichtweise<br />
bezüglich der Sicherheit – auch<br />
über die Grenzen einer bestimmen<br />
Applikation hinaus, da das Sicherheitskonzept<br />
nicht anwendungsspezifisch<br />
ausgelegt ist.<br />
F O R S C H U N G<br />
Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />
S-Mail: Security Processing Information<br />
Object Domain: BERKOM-BP Object Type:<br />
TEXT.IA5<br />
Security:<br />
NONE<br />
Integral Signed<br />
Int/Conf Sig/Conf<br />
Dialogbox bei Security Processing Information<br />
Blindtext für<br />
die Dialogbox<br />
bei Security<br />
Processing<br />
Information<br />
Sicherheitsplattform<br />
Die Realisierung von Sicherheit für<br />
Electronic Messaging erfordert eine<br />
Reihe von Funktionalitäten, die nicht<br />
Messaging-spezifisch sind, sondern in<br />
gleicher oder ähnlicher Weise auch<br />
von anderen Anwendungen benötigt<br />
werden, die Sicherheit integrieren. Im<br />
Projekt MMMSec wird das Sicherheits-Softwarepaket<br />
SecuDE eingesetzt,<br />
welches unter anderem das Key-<br />
Management mit Unterstützung von<br />
SmartCards und kryptographische<br />
Basismechanismen zur Verfügung<br />
stellt. Neben den schon erwähnten<br />
Komponenten für eine allgemeine Sicherheitsplattform<br />
wurden innerhalb<br />
des Projekts noch weitere Komponenten<br />
realisiert.<br />
X. 420 security bodypart<br />
X. 420 security<br />
bodypart<br />
X. 420 security<br />
bodypart<br />
X. 420 security<br />
bodypart<br />
any X. 420<br />
Bodypart<br />
BERKOM Security-Bodypart<br />
X.420-Sicherheits-Bodypart<br />
Mit den existierenden Sicherheitsfunktionalitäten<br />
von X.400 beziehungsweise<br />
X.420 können bisher nur<br />
komplette Nachrichteninhalte im<br />
Ganzen gesichert werden. Das ist für<br />
die multi-content/multi-mode-Nachrichten<br />
von Multimedia-Messaging<br />
nicht mehr adäquat, da für verschiedene<br />
Bodyparts einer Nachricht unterschiedlicheSicherheitsanforderungen<br />
bestehen können. Auch neuere<br />
Bodypart-orientierte Message-Store-<br />
Zugriffsprotokolle (IMAP, 95er P7),<br />
die Weiterverarbeitung von einzelnen<br />
Bodyparts oder der Einsatz von formatspezifischen<br />
kryptographischen<br />
Mechanismen macht Sicherheitsfunktionalitäten<br />
für einzelne Bodyparts<br />
notwendig.<br />
In MMMSec wurde daher unter Verwendung<br />
des X.420-Bodyparts „externally-defined“<br />
ein neuer „X.420-Security-Bodypart“<br />
spezifiziert. Dieser besteht<br />
aus einem Parameter- und einem<br />
Datenfeld und realisiert eine Sicherheitskapsel.<br />
Ein beliebiger Abstract<br />
Syntax Notation One-kodierter<br />
X.420-Bodypart kann durch Anwendung<br />
eines Sicherheitsdienstes in einen<br />
Security-Bodypart eingekapselt<br />
werden. Damit lassen sich beliebige<br />
Kombinationen der Sicherheitsbear-<br />
Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />
(eg.)<br />
encrypted-bodypart<br />
(eg.)<br />
signed-bodypart<br />
structure of<br />
any X.420<br />
bodypart<br />
(optional)<br />
Parameter<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 59<br />
Details<br />
Dismiss Default Help<br />
Data
eitungen schachteln. In Abbildung 4<br />
ist das Konzept schematisch dargestellt.<br />
Für Internet Electronic Mail<br />
existieren MOSS und S-MIME.<br />
Generische Objektsicherheit<br />
Für die Realisierung von User<br />
Agent/User Agent-Sicherheit sind<br />
keine Sicherheitsfunktionalitäten in<br />
den Schichten der involvierten Kommunikations-Stacks<br />
der MTS-Komponenten<br />
(Message Transfer System)<br />
notwendig. Sicherheit wird durch<br />
Schutz der Nachrichteninhalte transparent<br />
für das MTS realisiert. Die<br />
Nachrichteninhalte sind zum Zeitpunkt<br />
der Sicherheitsbearbeitung von<br />
einer Kommunikation unabhängige<br />
Datenobjekte, die allerdings speziellen<br />
Datenformaten unterliegen.<br />
Ein generisches Sicherheitswerkzeug<br />
(Security Mediator) wurde realisiert,<br />
mit dem Datenobjekte durch entsprechende,<br />
adaptierte Sicherheitswerkzeuge<br />
gesichert und entsichert werden<br />
können. Die Kontrolle der adaptierten<br />
Werkzeuge geschieht durch abstrakte<br />
Security Processing Information,<br />
welche aus den Vorgaben der Sicherheitspolitik<br />
und des Anwenders<br />
gebildet werden. Während der Sicherung<br />
beziehungsweise Entsicherung<br />
eines Objekts erzeugt der Security<br />
Mediator abstrakte Security Result<br />
Information mit den Resultaten des<br />
Vorgangs. <strong>Der</strong> Security-Mediator<br />
konvertiert zwischen abstrakter Security<br />
Processing Information beziehungsweise<br />
Security Result Information<br />
und den werkzeugspezifischen Parametern<br />
beziehungsweise Ergebniswerten.<br />
Die Oberflächenelemente sowie<br />
das Sicherheitspolitikmanagement<br />
arbeiten nur auf dieser Basis.<br />
Sicherheit für Externe Referenzen<br />
Zum Schutz von referenzierten Daten<br />
wurde ein Konzept entwickelt, bei<br />
dem die Sicherheitsfunktionalitäten<br />
transparent für den Global Store und<br />
die Transportprotokolle sind. Die referenzierten<br />
Daten sind durchgängig<br />
während der Speicherung und der<br />
Übertragung geschützt. Die entsprechenden<br />
Informationen, Parameter<br />
und Schlüssel werden dabei in die externe<br />
Referenz integriert.<br />
F O R S C H U N G<br />
Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />
Ausblick<br />
MM-UA<br />
Sender<br />
Security<br />
transformation<br />
External Reference<br />
Produce Stub<br />
RDEK-Info, RMIC-Info<br />
Originator-Certificate<br />
Recipient-Infos …<br />
Sicherheitskonzept für Externe Referenzen<br />
Die im Rahmen von MMMSec entwickelten<br />
Konzepte und Komponenten<br />
für eine Sicherheitsplattform ermöglichen<br />
eine Integration von Sicherheitstechnologien<br />
in eine Vielzahl<br />
von Applikationen aus dem Bereich<br />
der Informations- und Kommunikationssysteme.<br />
Weiterhin sind durch die Möglichkeit,<br />
beliebige Datenobjekte zu schützen<br />
und im Anwendungskontext Electronic<br />
Mail zu übertragen, neue,<br />
sicherheitssensible Messaging-Anwendungen<br />
wie Electronic Banking oder<br />
Shopping einfach realisierbar.<br />
Darüber hinaus können durch die Offenheit<br />
der Konzepte weitere Sicherheitsdienste<br />
einfach und effizient integriert<br />
und über Sicherheitspolitiken<br />
gesteuert werden.<br />
Insbesondere ein Einsatz im World<br />
Wide Web bietet sich als weiteres Feld<br />
an, da die Inhalte des Hpertext Transfer-Protocol<br />
dem MIME-Standard<br />
entsprechen.<br />
Multimedia message<br />
Das Projekt ist eines aus einer Reihe<br />
von fünf Sicherheitsprojekten, die alle<br />
von der DeTeBerkom GmbH finanziert<br />
werden. Übergreifendes Ziel dieser<br />
Projektreihe ist die Entwicklung<br />
der generischen Sicherheitsplattform<br />
PLASMA (Plattform für sichere<br />
Multimedia-Anwendungen). Beteiligte<br />
Partner sind neben der <strong>GMD</strong> noch<br />
Siemens, der Rheinisch-Westfälische<br />
Technische Überwachungsverein und<br />
die Fraunhofer-Gesellschaft.<br />
60 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />
From:<br />
To:<br />
Cc:<br />
Bodyparts<br />
External<br />
Reference {<br />
Security Information;<br />
}<br />
Global Store<br />
Security<br />
transformed<br />
RDO<br />
MM-UA<br />
Recipient<br />
Security<br />
transformation<br />
External Reference<br />
Resolve Stub<br />
....................................<br />
Dipl.-Inform. Burkhard<br />
Wiegel und Dipl.-<br />
Inform. Jürgen Sander<br />
sind wissenschaftliche<br />
Mitarbeiter im <strong>GMD</strong>-<br />
Institut für Offene<br />
Kommunikationssysteme<br />
in Berlin. Ihr<br />
Arbeitsschwerpunkt<br />
liegt auf den Gebieten<br />
Sicherheit in offenen<br />
verteilten Kommunikationssystemen<br />
und<br />
multimediale Anwendungen.
Dr. Ing. Heinrich-<br />
Theodor Vierhaus<br />
Dr. Liliane Peters<br />
Dr.-Ing. Heinrich-Theodor Vierhaus,<br />
kommissarischer Leiter des<br />
<strong>GMD</strong>-Instituts für Systementwurfstechnik,<br />
ist zum 1. April 1996<br />
zum Universitätsprofessor an der<br />
Brandenburgischen Technischen<br />
Universität Cottbus berufen worden.<br />
Er vertritt dort das Fach<br />
Technische Informatik. Vierhaus<br />
hatte seine wissenschaftliche Laufbahn<br />
in der <strong>GMD</strong> im Jahr 1983<br />
begonnen, im Großprojekt „Entwurf<br />
Integrierter Schaltungen“ arbeitete<br />
er unter anderem auf dem<br />
Gebiet des Entwurfs und Tests<br />
von hochintegrierten Schaltungen.<br />
Er wurde 1992 Leiter des Forschungsbereichs„Entwurfsautomatisierung<br />
digitaler Systeme“<br />
und zum 1. Januar 1994, nach dem<br />
Ausscheiden von Prof. Dr. Raul<br />
Camposano, kommissarischer Leiter<br />
des Instituts. Nachfolgerin von<br />
Vierhaus ist Dr.-Ing. Liliane Peters.<br />
Die neue kommissarische Institutsleiterin,<br />
die seit 1989 in der<br />
<strong>GMD</strong> arbeitet, hatte an der Technischen<br />
Hochschule Bukarest<br />
Elektrotechnik studiert. Nach einer<br />
ersten Berufstätigkeit in einem<br />
elektrotechnischen Betrieb in<br />
Rumänien wurde sie wissenschaftliche<br />
Hilfskraft und später wissenschaftliche<br />
Angestellte am Lehrstuhl<br />
für Allgemeine Elektrotechnik<br />
und Datenverarbeitungssysteme<br />
an der Rheinisch-Westfälischen<br />
Technischen Hochschule<br />
Aachen, wo sie im Jahr 1990 promovierte.<br />
In der <strong>GMD</strong> war sie<br />
zunächst Wissenschaftlerin im<br />
Großprojekt „Entwurf Integrierter<br />
Schaltungen“, im Oktober 1993<br />
wurde ihr die Leitung des Forschungsbereichs<br />
„Entwurf Innovative<br />
Anwendungen“ übertragen,<br />
zum 1. April 1995 übernahm sie<br />
darüber hinaus die ständige Vertretung<br />
des kommissarischen Institutsleiters.<br />
P E R S O N A L I E N<br />
Dr.-Ing. Peter Behr, kommissarischer<br />
geschäftsführender Leiter<br />
des <strong>GMD</strong>-Instituts für Rechnerarchitektur<br />
und Softwaretechnik, ist<br />
zum Honorarprofessor an der Universität<br />
Potsdam ernannt worden.<br />
Er vertritt dort am Institut für Informatik<br />
der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen<br />
Fakultät das<br />
Fachgebiet Technische Informatik.<br />
Dr. Herbert Burkert, Wissenschaftler<br />
im <strong>GMD</strong>-Institut für Medienkommunikation,<br />
ist zum Privatdozenten<br />
für Öffentliches<br />
Recht, insbesondere Informationsund<br />
Kommunikationsrecht, an der<br />
Universität St. Gallen ernannt<br />
worden. Burkert, der der <strong>GMD</strong><br />
seit 1977 angehört, leitete eine<br />
Reihe von internationalen Projekten<br />
zum Informatikrecht und arbeitet<br />
als Berater zu nationalen<br />
und internationalen Fragen der Informationspolitik.<br />
Er ist Vorsitzender<br />
des Rechtsbeirats der<br />
Generaldirektion XIII der Europäischen<br />
Kommission. Seine<br />
Habilitationsschrift trägt den Titel<br />
„Verwaltungsinformationen: Zwischen<br />
Marktinteressen und Informationsverantwortung.<br />
Ein Beitrag<br />
aus öffentlich-rechtlicher<br />
Sicht“.<br />
Monika Fleischmann, Medienkünstlerin<br />
und künstlerische Leiterin<br />
im <strong>GMD</strong>-Institut für Medienkommunikation,<br />
ist in den Beirat<br />
Medien des Goethe-Instituts berufen<br />
worden. Die Beiräte des<br />
Goethe-Instituts geben der Münchener<br />
Zentralverwaltung in allen<br />
Fachbereichen Unterstützung bei<br />
der Gestaltung der Aufgaben des<br />
Goethe-Instituts im Rahmen der<br />
Auswärtigen Kulturpolitik der<br />
Bundesrepublik Deutschland. Die<br />
Wahlperiode für Beiräte beträgt<br />
drei Jahre. Mit zwei Projekten<br />
wurde Monika Fleischmann bereits<br />
direkt von einzelnen Goethe-<br />
Vertretungen im Ausland betraut.<br />
Für das Projekt „Woman And The<br />
Art Of Multimedia“ hat das<br />
Prof. Dr.-Ing. Peter Behr<br />
Dr. Herbert Burkert<br />
Monika Fleischmann<br />
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 61
Dr. Hartmut Surmann<br />
Dr. Saso Dzeroski<br />
Goethe-Institut Washington Monika<br />
Fleischmann als deutsches Mitglied<br />
in den Beirat berufen. Bei<br />
diesem Vorhaben handelt es sich<br />
um die Vorbereitung und Durchführung<br />
einer multimedial angelegten<br />
Konferenz, die im Mai 1997<br />
in Washington D.C. stattfinden<br />
und sich mit dem Themenkreis<br />
„Frauen und neue Medien“ auseinandersetzen<br />
wird. Monika<br />
Fleischmann wird auch Kuratorin,<br />
der gleichzeitig stattfindenden Medienausstellung<br />
sein. Für das Projekt<br />
Thessaloniki, Kulturhauptstadt<br />
Europa ’97, wurde sie vom<br />
Goethe-Institut beauftragt, als<br />
deutschen Beitrag ein Konzept zu<br />
realisieren, das ihre eigenen künstlerischen<br />
Arbeiten beziehungsweise<br />
in der <strong>GMD</strong> entstandene kulturelle<br />
Projekte präsentiert.<br />
Dr. Hartmut Surmann, Wissenschaftler<br />
im <strong>GMD</strong>-Institut für<br />
Systementwurfstechnik, ist von<br />
der Arbeitsgemeinschaft der<br />
Deutschen KI-Institute (AKI) mit<br />
dem AKI-Dissertationspreis 1995<br />
ausgezeichnet worden. Das Thema<br />
der Arbeit heißt „Automatisierter<br />
Entwurf von Fuzzy-Systemen“.<br />
Dr. Saso Dzeroski, ERCIM Fellow<br />
1995, wurde am 20. März 1996 in<br />
Ljubljana, Slowenien, für seine<br />
Dissertation mit dem Titel „Numerical<br />
constraints and learnability<br />
in inductive logic programming“‚<br />
die Goldene Jozef-Stefan-<br />
Medaille verliehen. Die Goldene<br />
Jozef-Stefan-Medaille ist der einzige<br />
Preis, der seit 1992 in Slowenien<br />
jährlich für Dissertationen vergeben<br />
wird. Hauptbewertungskriterium<br />
ist dabei die entsprechende<br />
Resonanz der Arbeit in der internationalen<br />
Wissenschaftsgemeinde<br />
P E R S O N A L I E N<br />
und ihr Potential für praktische<br />
Anwendungen. Dzeroskis Arbeit<br />
gehört zum Gebiet der induktiven<br />
Logikprogrammierung, die sich<br />
mit dem Lernen aus Beispielen<br />
unter der Verwendung der Prädikatenlogik<br />
befaßt. Vom 1. Mai<br />
1995 bis 30. April 1996 war Saso<br />
Dzeroski als ERCIM Fellow im<br />
<strong>GMD</strong>-Institut für Angewandte Informationstechnik<br />
beschäftigt, und<br />
vom 1. Mai bis 30. Oktober 1996<br />
hält er sich in gleicher Eigenschaft<br />
am FORTH Institute of Computer<br />
Science auf. In der <strong>GMD</strong> arbeitete<br />
er mit Dr. Stefan Wrobel und der<br />
Gruppe für Maschinelles Lernen<br />
an der Weiterentwicklung der Formalisierung<br />
des Lernens in Prädikatenlogik<br />
sowie an praktischen<br />
Anwendungen des maschinellen<br />
Lernens und der induktiven Logikprogrammierung<br />
zur Wissenserkennung<br />
in pharmazeutischen<br />
Datenbanken. Bei FORTH wird<br />
sich Dzeroski zusammen mit Prof.<br />
Vassilis Moustakis in erster Linie<br />
mit praktischen Anwendungen des<br />
maschinellen Lernens und der induktiven<br />
Logikprogrammierung<br />
bei der Wissenserkennung in Datenbanken<br />
befassen.<br />
Dipl.-Inform. Matthias Rarey,<br />
Wissenschaftler am <strong>GMD</strong>-Institut<br />
für Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches Rechnen, promovierte<br />
am 11. Juli 1996 an der<br />
Mathematisch-Naturwissenschaftlichen<br />
Fakultät der Universität<br />
Bonn. Thema der Arbeit war die<br />
„Rechnergestützte Vorhersage von<br />
Rezeptor-Ligand-Wechselwirkungen“.<br />
Dr. Matthias Rarey<br />
62 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996
<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />
<strong>GMD</strong> – Forschungszentrum<br />
Informationstechnik GmbH<br />
Vorstand (Geschäftsführung)<br />
Prof. Dr. Dennis Tsichritzis<br />
Dr. jur. Heinz-Georg Sundermann<br />
Institute und Projekte<br />
Institut für Algorithmen und<br />
Wissenschaftliches Rechnen<br />
Leitung:<br />
Prof. Dr. rer. nat. Ulrich<br />
Trottenberg (geschäftsführend)<br />
Prof. Dr. rer. nat. Thomas<br />
Lengauer, PhD<br />
Institut für<br />
Telekooperationstechnik<br />
Leitung:<br />
Prof. Dr.-Ing. Heinz Thielmann<br />
Institut für Angewandte<br />
Informationstechnik<br />
Leitung:<br />
Dr. rer. pol. Peter Hoschka<br />
(geschäftsführend)<br />
Prof. Dr. rer. nat. Thomas<br />
Christaller<br />
Prof. Dr. techn. Alfred Kobsa<br />
Institut für Integrierte<br />
Publikations- und<br />
Informationssysteme<br />
Leitung:<br />
Prof. Dr. techn. Erich J. Neuhold<br />
Institut für Systementwurfstechnik<br />
Leitung:<br />
Dr.-Ing. Liliane Peters<br />
(kommissarisch)<br />
Institut für Rechnerarchitektur<br />
und Softwaretechnik<br />
Leitung:<br />
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang K. Giloi<br />
Prof. Dr.-Ing. Stefan Jähnichen<br />
Prof. Dr.-Ing. Peter Behr<br />
(kommissarisch geschäftsführend)<br />
G M D<br />
Stand: 30. September 1996<br />
Institut für Offene<br />
Kommunikationssysteme<br />
Leitung:<br />
Prof. Dr.-Ing. Dr.h.c. Radu<br />
Popescu-Zeletin<br />
Institut für<br />
Medienkommunikation<br />
Leitung:<br />
Prof. Dr. Dennis Tsichritzis<br />
(kommissarisch)<br />
Projektträger Fachinformation:<br />
Leitung:<br />
Dr. rer. pol. Hans-G. Klaus<br />
Projekt „Innovationsberatung<br />
und -entwicklung“<br />
Leitung:<br />
Dr. rer. nat. Ronald Tost<br />
TechnoPark<br />
Leitung:<br />
Dr. rer. pol. Karlheinz Schunk<br />
<strong>GMD</strong>-Birlinghoven<br />
Schloß Birlinghoven<br />
D-53754 Sankt Augustin<br />
Telefon: (0 22 41) 14-0<br />
Telefax: (0 22 41) 14-28 89<br />
Telex: 8 89 469 gmd d<br />
Internet:<br />
http://www.gmd.de<br />
Electronic Mail:<br />
info�gmd.de<br />
Bildschirmtext: ✶ <strong>GMD</strong> �<br />
<strong>GMD</strong>-Darmstadt<br />
Rheinstraße 75<br />
D-64295 Darmstadt<br />
Telefon: (0 61 51) 8 69-0<br />
Telefax: (0 61 51) 8 69-2 24<br />
Dolivostraße 15<br />
D-64293 Darmstadt<br />
Telefon: (0 61 51) 8 69-0<br />
Telefax: (0 61 51) 8 69-7 85<br />
<strong>GMD</strong>-Berlin<br />
Hardenbergplatz 2<br />
D-10623 Berlin<br />
Telefon: (0 30) 2 54 99-0<br />
Telefax: (030) 2 54 99-202<br />
Rudower Chaussee 5<br />
D-12489 Berlin-Adlershof<br />
Telefon: (0 30) 63 92-18 00<br />
Telefax: (0 30) 63 92-18 05<br />
<strong>GMD</strong> – German<br />
National Research<br />
Center for Information<br />
Technology<br />
<strong>GMD</strong>-Bureau Tokyo<br />
German Cultural Center<br />
Akasaka 7-5-56<br />
Minato-ku<br />
Tokyo 107<br />
Telephone:<br />
00 81-3-35 86-71 04<br />
Telefax:<br />
00 81-3-3586-7187
<strong>GMD</strong> –<br />
Forschungszentrum<br />
Informationstechnik<br />
GmbH<br />
ISSN 0724-4339