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Der GMD-Spiegel - Media|Arts|Research|Studies

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Informationen<br />

aus der<br />

wissenschaftlichen<br />

Arbeit der<br />

<strong>GMD</strong> –<br />

Forschungszentrum<br />

Informationstechnik<br />

GmbH<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong><br />

Juni/September 1996 · 2/3-1996<br />

Informationstechnik<br />

in Medizin, Biologie<br />

und Chemie


Titel<br />

Nahezu alle biochemischen<br />

Prozesse in Organismen<br />

basieren auf<br />

dem Prinzip der Anlagerung<br />

zueinander komplementärer<br />

Moleküle,<br />

dem molekularen<br />

Docking. Funktionen,<br />

die sich dieses Prinzip<br />

zunutze machen, reichen<br />

von der Weiterleitung<br />

von Informationen<br />

über die Katalyse nahezu<br />

aller wichtigen Stoffwechselprozesse<br />

bis hin<br />

zur Steuerung der Umsetzung<br />

genetischer Information.Pharmazeutische<br />

Wirkstoffe basieren<br />

in vielen Fällen auf<br />

einem regulatorischen<br />

Eingriff in die komplexenStoffwechselprozesse<br />

im menschlichen<br />

Organismus. Dazu<br />

werden Moleküle entwickelt,<br />

die sehr gut an<br />

speziellen, am Stoffwechselprozeßbeteiligten<br />

Proteinen binden.<br />

Ziel der Aktivitäten ist<br />

die Entwicklung effizienter<br />

Algorithmen und<br />

Datenstrukturen zur<br />

Vorhersage von Wechselwirkungen<br />

zwischen<br />

Rezeptoren und potentiellen<br />

Wirkstoffen<br />

mit dem Computer. „Informationstechnik<br />

in<br />

Medizin, Biologie und<br />

Chemie“ – mit diesem<br />

Schwerpunktthema gibt<br />

der <strong>GMD</strong>-SPIEGEL einen<br />

Überblick über aktuelle<br />

Forschungsarbeiten der<br />

<strong>GMD</strong>-Institute.<br />

G M D<br />

DER <strong>GMD</strong>-SPIEGEL<br />

Informationen aus<br />

der wissenschaftlichen<br />

Arbeit der <strong>GMD</strong> –<br />

Forschungszentrum<br />

Informationstechnik<br />

GmbH<br />

ISSN 0724-4339<br />

Schloß Birlinghoven<br />

53754 Sankt Augustin<br />

Telefon: (0 22 41) 14-0<br />

Erscheint vierteljährlich<br />

26. Jahrgang<br />

Herausgeber:<br />

<strong>GMD</strong> – ForschungszentrumInformationstechnik<br />

GmbH<br />

Redaktion:<br />

Dr. Siegfried Münch<br />

Die <strong>GMD</strong> ist Mitglied der<br />

Hermann von Helmholtz-<br />

Gemeinschaft Deutscher<br />

Forschungszentren<br />

(HGF).<br />

Hinweis gemäß Bundesdatenschutzgesetz:<br />

Die Postbezieher des<br />

<strong>GMD</strong>-SPIEGELS sind<br />

in einer Adreßdatei<br />

gespeichert, die mit<br />

Hilfe der automatisierten<br />

Datenverarbeitung<br />

geführt wird.<br />

Grafische Gestaltung:<br />

Kuhn, Kammann & Kuhn<br />

GmbH, Köln<br />

Fotos und<br />

Illustrationen:<br />

Gunnar Collier, Köln;<br />

Michael Ponciaono,<br />

Sankt Augustin;<br />

Kunibert Söntgerath,<br />

Sankt Augustin.<br />

Satz: Zerres-Satz GmbH,<br />

Leverkusen<br />

Druck: Paul Zimnoch +<br />

Söhne GmbH,<br />

Alfter-Impekoven<br />

Gedruckt auf Recyclingpapier,<br />

chlorfrei aufbereitet.<br />

Nachdruck nur mit<br />

vollständiger Quellenangabe<br />

und nach<br />

vorheriger Abstimmung<br />

mit der <strong>GMD</strong>;<br />

Belege erbeten.<br />

2 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Spezialdisziplinen<br />

der Informatik<br />

Methoden der Informatik und der<br />

Mathematik durchdringen immer<br />

mehr auch Disziplinen, für die traditionell<br />

eine eher experimentelle Arbeitsweise<br />

kennzeichnend ist. Biologie,<br />

Chemie und Medizin sind dafür<br />

Beispiele, die wir für dieses Heft, wie<br />

auch für den <strong>GMD</strong>-Schloßtag 1996, zu<br />

dem es erscheint, als Themenschwerpunkt<br />

ausgewählt haben.<br />

Es bilden sich in diesen und anderen<br />

Bereichen Spezialdisziplinen der Informatik<br />

aus, die häufig als Bindestrichinformatiken<br />

bezeichnet werden.<br />

Dabei geht es nicht nur um eine<br />

informatische oder informationstechnische<br />

Unterstützung. Die Informatik<br />

wie auch die angewandte Mathematik<br />

bringen eine eigene Methodik und<br />

Denkweise ein, die es erlauben, aufgrund<br />

von Abstraktion, Modellierung<br />

und Simulation der realen Vorgänge<br />

Komplexität zu beherrschen. Im Ergebnis<br />

kann dies zu substantiellen Erkenntnisgewinnen<br />

in den Anwendungsbereichen<br />

führen, insbesondere<br />

da, wo Experimente zu umfangreich,<br />

zu teuer oder einfach nicht möglich<br />

sind.<br />

Ein Beispiel ist die Bioinformatik, die<br />

Kombination von Informationstechnik<br />

und moderner Biotechnologie.<br />

Die Verfügbarkeit umfangreicher Genomdaten<br />

wird nach Einschätzung der<br />

Experten die Biotechnologie revolutionieren,<br />

aber die immense Datenflut<br />

verlangt nach neuen informationstechnischen<br />

Konzepten. Schon heute<br />

besteht auch ein starkes industrielles<br />

Interesse an dieser interdisziplinären<br />

Kombination. Drug Design ist das<br />

Stichwort, der Entwurf neuer Medikamente<br />

im Computer das visionäre<br />

Ziel. Gefragt sind effiziente Simulationsalgorithmen,<br />

statistische Verfahren<br />

zur Datenanalyse, Datenhaltungsund<br />

Prüfmethoden und grafische Methoden<br />

zur Visualisierung der Daten.<br />

Die Arbeiten über das Protein-Ligand-<br />

Docking, über die wir schon in der<br />

letzten Ausgabe des <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong>s<br />

berichtet haben und die auch hier wieder<br />

mit aktuellen Ergebnissen vertre-<br />

E D I T O R I A L<br />

ten sind, sind Beispiel für ein erfolgreiches<br />

Zusammenwirken von Chemikern,<br />

Biologen und Informatikern. Sie<br />

werden im Rahmen der Förderinitiative<br />

„Molekulare Bioinformatik“ des<br />

Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft,<br />

Forschung und Technologie<br />

durchgeführt, die entscheidend dazu<br />

beigetragen hat, die Bioinformatik als<br />

interdisziplinäres Gebiet national zu<br />

etablieren und international zu profilieren.<br />

Informatikmethoden und Algorithmen,<br />

wie sie für Anwendungen in der<br />

biochemisch orientierten Molekularbiologie<br />

entwickelt werden, bieten<br />

aber noch weitere Anwendungsfelder.<br />

Sie lassen sich sehr ähnlich in der molekularen<br />

Analyse von kristallinen<br />

oder auch amorphen Materialien einsetzen,<br />

was zum Beispiel bei der Erforschung<br />

neuer Werkstoffe wie Keramiken,<br />

Gläser oder magnetischen<br />

Materialien von Bedeutung ist.<br />

In der Medizin, in Forschung und<br />

Praxis, ist Informationstechnik heute<br />

schon nicht mehr wegzudenken. Die<br />

elektronische Patientenkarte, auch<br />

wenn sie noch nicht viele Daten trägt,<br />

ist ein für jeden sichtbares Zeichen.<br />

Auch moderne Diagnosegeräte nutzen<br />

heute schon systematisch Computertechnik<br />

und informatische Methoden.<br />

Ein wichtiges Anwendungsfeld<br />

sind bildgebende Verfahren, zum<br />

Beispiel in der Computertomographie<br />

oder in der Ultraschalldiagnostik, die<br />

helfen, das Unanschauliche anschaulich<br />

zu machen. Grafische und animationstechnische<br />

Verfahren unterstützen<br />

den Arzt bei der Bewertung der<br />

umfangreichen Bildinformationen. Sie<br />

heben die für eine Diagnose relevanten<br />

Details heraus, visualisieren sie<br />

und reichern sie mit multimedialen<br />

Unterstützungen an, ohne natürlich<br />

die Originaldaten unzulässig zu verfälschen.<br />

Solche Methoden sind für die<br />

Praxis wichtig, aber ebenso für die<br />

Aus- und Fortbildung von Medizinern.<br />

In der „Telemedizin“ verhilft die Informationstechnik<br />

im Verbund mit<br />

der Kommunikationstechnik dazu,<br />

den Austausch und die Zusammenarbeit<br />

unter Medizinern zu verbessern.<br />

Kommunikation und Kooperation in<br />

Prof. Dr. Dennis Tsichritzis<br />

verteilten Systemen unter Beachtung<br />

der in diesem Bereich besonderen<br />

Sicherheitsanforderungen möglich zu<br />

machen, ist die Aufgabe, die Informationstechnik<br />

hier leisten muß. Mit<br />

ihren Arbeiten über computerunterstützte<br />

Gruppenarbeit, über Sicherheitskonzepte<br />

in offenen Netzen oder<br />

über intelligente Chipkarten verfügt<br />

die <strong>GMD</strong> auch in diesem zukunftsträchtigen<br />

Gebiet über Erfahrung und<br />

Know-how.<br />

Anwendungen der Informationstechnik<br />

in Biologie, Chemie oder Medizin<br />

wären nicht möglich ohne eine enge<br />

Zusammenarbeit mit Biologen, Chemikern<br />

und Medizinern. Interdisziplinarität<br />

ist hier nicht Lippenbekenntnis,<br />

sondern ein Muß. Daß dabei<br />

immer wieder Barrieren in der Arbeitsweise,<br />

in der Terminologie, im<br />

Denken zu überwinden sind und daß<br />

dies im Einzelfall auch schwierig ist,<br />

muß konstatiert werden. An den<br />

Grenzen zwischen den Disziplinen besteht<br />

aber am ehesten die Chance zu<br />

echter Innovation. Wir sind dankbar,<br />

in unseren Projekten Partner zu haben,<br />

die sich mit uns auf den mühsamen,<br />

aber vielversprechenden interdisziplinären<br />

Weg gemacht haben.<br />

Dennis Tsichritzis<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 3


I N H A L T<br />

Modellierung von Proteinstrukturen<br />

Die Berechnung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen aus<br />

der Kenntnis der Proteinsequenz und weiterer aus Experimenten<br />

gewonnener Informationen ist eine der zentralen Herausforderungen<br />

der Molekularen Bioinformatik. Das für die Entwicklung<br />

von biologischen Wirkstoffen, aber auch für den wissenschaftlichen<br />

Fortschritt in Medizin und Biochemie wesentliche Verständnis<br />

der Funktion der entsprechenden Proteine kann nur auf der<br />

Basis der Kenntnis ihrer räumlichen Struktur gewonnen werden.<br />

Seite 14<br />

Berechnung von molekularen Strukturen<br />

Ein Schlüssel für die Eigenschaften vieler Materialien und Wirkstoffe<br />

liegt in ihrer molekularen Struktur. Die Kenntnis der Molekülstruktur<br />

ist ein wichtiges Element bei der Entschlüsselung<br />

der Eigenschaften von Werk- und Wirkstoffen, sie unterstützt die<br />

zielgerichtete Suche nach neuartigen Substanzen.<br />

Seite 18<br />

SCENE – Bilder in der Medizin<br />

Bilder aus dem menschlichen Körper spielen eine immer größere<br />

Rolle in der Medizin. Seit der Erfindung der Röntgenstrahlen fasziniert<br />

die Idee, in den Menschen hineinblicken zu können. <strong>Der</strong><br />

Projektbereich SCENE des <strong>GMD</strong>-Instituts für Angewandte Informationstechnik<br />

entwickelt Ansätze, wie die Informationstechnik<br />

den Mediziner unterstützen kann. Eine Schlüsseltechnik dafür<br />

nennt sich erweiterte Realität, die Integration zwischen dem technischen<br />

Abbild der Wirklichkeit und einer korrespondierenden<br />

Modellvorstellung.<br />

Seite 22<br />

CardiAssist: Unterstützung der kardiologischen Diagnose<br />

Telekonsultation ermöglicht Ärzten, eine Diagnose mit einem<br />

räumlich entfernten Kollegen zu besprechen, ohne den Patienten<br />

zu einer erneuten Untersuchung dorthin zu schicken. Das im Telematik-Programm<br />

der Europäischen Union geförderte Projekt<br />

CardiAssist hat die Entwicklung eines Telekonsultationsverfahrens<br />

für die Kardiologie zum Ziel.<br />

Seite 25<br />

Trainingsumgebungen in der Echokardiographie<br />

Das Problemfeld „medizinische Ausbildung“ ist geprägt durch die<br />

Diskrepanz einer theoretisch vorklinischen und einer praxisorientiert<br />

klinischen Ausbildungsphase. Die Lerninhalte sind im Sinne<br />

des Aufbaus reflektierter Erfahrungen nahezu unverbunden. Die<br />

Informatik kann hier einen spezifischen Beitrag zur Verbesserung<br />

der Situation leisten. Veranschaulichungstechniken, wie interaktive<br />

Multimedia und Virtuelle Realität, sind geeignet, theoretische<br />

und praktische Elemente medizinischer Expertise fallbezogen erfahrbar<br />

zu machen.<br />

Seite 31<br />

Multimediale Tutorsysteme in Medizin und Pharmakologie<br />

Im Auftrag der Hoechst Marion Roussel Pharma AG entwickelte<br />

die <strong>GMD</strong>-Spin-Off-Firma ENTEC in Zusammenarbeit mit dem<br />

<strong>GMD</strong>-Institut für Angewandte Informationstechnik ein multimediales<br />

3D-Enabling-System zur Vermittlung komplexer medizinischer<br />

und pharmakologischer Zusammenhänge im Herz-Kreislauf-System.<br />

Seite 34<br />

4 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Editorial<br />

Nachrichten<br />

Titel<br />

Modellierung von<br />

Proteinstrukturen 14<br />

Berechnung von kristallinen<br />

und amorphen molekularen<br />

Strukturen 18<br />

SCENE – Bilder in der Medizin 22<br />

CardiAssist: Unterstützung<br />

der kardiologischen Diagnose<br />

und Telekommunikation<br />

durch Enablingsysteme und<br />

3D Ultraschall 25<br />

Szenische Enablingsysteme –<br />

Trainingsumgebungen in<br />

der Echokardiographie 31<br />

Multimediale Tutorsysteme mit<br />

3D-Grafik und Animation in<br />

Medizin und Pharmakologie 34<br />

Neue Wege zur Unterstützung von<br />

Diagnoseprozessen durch den<br />

Einsatz multimedialer Techniken 37<br />

<strong>Der</strong> Behandlungsraum<br />

der Zukunft 40<br />

Virtual Eye –<br />

Simulation physiologischer Optik<br />

im menschlichen Auge 44<br />

Adaptive Systemgestaltung für<br />

behinderte Computerbenutzer<br />

mit Spezialanforderungen 48<br />

Ozonvorhersage als<br />

Fernsehpräsentation 50<br />

Szenariorechnungen mit einem<br />

parallelisierten Programm 51<br />

Forschung<br />

CaTS – Bildbasierte Kameraführung<br />

im Virtuellen Studio 54<br />

Sicherheit in Multimedia<br />

Electronic Mail 57<br />

Personalien<br />

3<br />

6<br />

61<br />

I N H A L T<br />

Neue Wege zur Unterstützung von Diagnoseprozessen<br />

Unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten von Multimedia-Technologien<br />

in der medizinischen Diagnostik und in Diagnose-Lernsystemen<br />

wurden in den <strong>GMD</strong>-Projekten Cyto und Alois erarbeitet.<br />

Gemeinsam ist beiden Projekten die interdisziplinäre Anwendung<br />

kognitionspsychologischer Erkenntnisse auf medizinische Problemstellungen.<br />

Seite 37<br />

<strong>Der</strong> Behandlungsraum der Zukunft<br />

Informations- und Kommunikationstechniken werden in den kommenden<br />

Jahren auch in der Medizin deutliche Veränderungen hervorrufen.<br />

Im Gegensatz zur bisherigen Entwicklung betrifft das<br />

nicht nur die sogenannte Hochleistungsmedizin, sondern immer<br />

mehr jede Patientenbehandlung. Die Herausforderung in dieser<br />

Situation besteht darin, die Technologie nicht in den Mittelpunkt zu<br />

rücken, sondern dem Nutzen von Patienten und Ärzten unterzuordnen.<br />

Das Konzept eines Befähigungssystems wird dazu beitragen,<br />

den Mediziner bei einer Reihe von Tätigkeiten zu unterstützen.<br />

Seite 40<br />

Virtual Eye – Simulation physiologischer Optik<br />

Die Visualisierung der optischen Vorgänge im menschlichen Auge<br />

wird durch ein neues Verfahren möglich, das vom <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Medienkommunikation gemeinsam mit dem Laserforum Köln<br />

GmbH entwickelt wurde. Modelle aus der physikalischen Optik in<br />

Verbindung mit Verfahren und Algorithmen aus der Computergrafik<br />

werden für die Rekonstruktion eines Augenmodells benutzt.<br />

Seite 44<br />

Adaptive Systemgestaltung für behinderte Computerbenutzer<br />

Eine wichtige Zielgruppe von Computerbenutzern mit Spezialanforderungen<br />

sind ältere und behinderte Menschen. Für diese Bevölkerungsgruppe<br />

eröffnet die Anpaßbarkeit computergestützter<br />

<strong>Der</strong> Louvre<br />

Informations- und Kommunikationssysteme vielfältige Möglich-<br />

keiten für ein selbstbestimmtes Leben.<br />

Seite 48<br />

Ozonvorhersage als Fernsehpräsentation<br />

Im Rahmen der Vorbereitung einer Ozonvorhersage für einen<br />

Berliner Lokalsender zeigt ein Videofilm die Ozonverteilung über<br />

der Stadt und dem Umland für den nächsten Tag. Die Berechnung<br />

und eine Aussage über die zu erwartenden Ozonkonzentrationen<br />

ermöglicht das im <strong>GMD</strong>-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik<br />

erarbeitete Projekt DYMOS (Dynamische Modelle<br />

für die Smoganalyse).<br />

Seite 50<br />

Szenariorechnungen mit einem parallelisierten Programm<br />

Das EMEP-Modell (European Monitoring and Evaluation Programme)<br />

des Norwegischen Meteorologischen Instituts in Oslo<br />

zur Berechnung der grenzüberschreitenden Schadstoffbelastung<br />

in Europa wurde im Rahmen des DYMOS-Projekts (Dynamische<br />

Modelle für die Smoganalyse) im <strong>GMD</strong>-Institut für Rechnerarchitektur<br />

und Softwaretechnik in Berlin parallelisiert. Dadurch<br />

wurde es möglich, umfangreiche Szenariorechnungen für die Entwicklung<br />

eines Integrated Assessment Model’s für Ozon im International<br />

Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg bei<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 5


<strong>GMD</strong> und New<br />

York University<br />

weihen neue<br />

Infobahn ein<br />

Das Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches<br />

Rechnen der <strong>GMD</strong> in<br />

Sankt Augustin ist erster Nutzer eines<br />

neuen, transatlantischen Hochgeschwindigkeitsnetzes<br />

auf ATM-Basis<br />

(Asynchronous Transfer Mode) zwischen<br />

Deutschland und Nordamerika.<br />

Das ATM-Netz mit einer Bandbreite<br />

von bis zu 155 Megabit pro Sekunde<br />

wird im Rahmen des MAY-Projekts<br />

(Multimedia Applications on Intercontinental<br />

Highways) aus dem Forschungs-<br />

und Entwicklungs-Programm<br />

der DeTeBerkom GmbH betrieben.<br />

Partner der DeTeBerkom – einer<br />

Tochtergesellschaft von Deutsche Telekom<br />

AG – im MAY-Projekt und beteiligt<br />

an der Realisierung dieses Netzes<br />

sind GlobalOne, Sprint, Teleglobe<br />

und Deutsche Telekom AG. Unter<br />

Federführung der Forschungsgruppe<br />

„High Speed Networking“ des <strong>GMD</strong>-<br />

Instituts für Medienkommunikation<br />

ist das Institut für Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches Rechnen an das<br />

ATM-Netz der Deutschen Telekom<br />

angeschlossen und erreicht über Sylt<br />

und Montreal die New York University.<br />

In einer Kooperation zwischen dem<br />

<strong>GMD</strong>-Institut für Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches Rechnen und dem<br />

Courant Institut of Mathematical<br />

Sciences der New York University<br />

werden innovative Teleanwendungen<br />

erprobt. Neben mehrstündigen stabilen<br />

Videokonferenzen gab es bereits<br />

erste erfolgreiche Experimente zum<br />

,Telecomputing‘: Umfassende aerodynamische<br />

Berechnungen auf einem<br />

Hochleistungscomputer der <strong>GMD</strong><br />

wurden von New York aus interaktiv<br />

gesteuert und dort visualisiert.<br />

N A C H R I C H T E N<br />

Im nächsten Schritt, beim ,Metacomputing‘,<br />

werden über das Hochgeschwindigkeitsnetz<br />

gekoppelte Computer<br />

in Sankt Augustin und New<br />

York gemeinsam an der Lösung rechenintensiver<br />

Anwendungsprobleme<br />

arbeiten. ,Teleteaching‘ soll erlauben,<br />

an einer jenseits des Atlantik stattfindenden<br />

Vortragsveranstaltung in interaktiver<br />

Weise teilzunehmen.<br />

Das neue Hochgeschwindigkeitsnetz<br />

wird künftig auch das ,Telemanagement‘<br />

durch Institutsleiter Prof. Dr.<br />

Ulrich Trottenberg erleichtern. Trottenberg<br />

hält sich zur Zeit im Rahmen<br />

eines Forschungsvorhabens für ein<br />

Jahr am New Yorker Courant Institut<br />

auf und leitet von dort aus das <strong>GMD</strong>-<br />

Institut.<br />

Die Rückenschule<br />

– maßgeschneiderte<br />

Informationen für<br />

den Benutzer<br />

Wie sich Computersysteme an die individuellen<br />

Bedürfnisse verschiedener<br />

Benutzer anpassen können, ist eine<br />

Fragestellung, die Mitarbeiter der AbteilungMensch-Maschine-Kommunikation<br />

des <strong>GMD</strong>-Institutes für Angewandte<br />

Informationstechnik beschäftigt.<br />

Ein Beispiel für ein solches adaptives<br />

System ist die Rückenschule, ein<br />

experimentelles System, das Anpassungen<br />

gemäß des vermutlichen Wissensstandes<br />

eines Benutzers automatisch<br />

vornimmt.<br />

In der Rückenschule werden Informationen<br />

zu Rückenbeschwerden, zur<br />

Haltung und Rückengymnastik sowie<br />

zur Anatomie des Rückens dem Benutzer<br />

in Form eines Hypertextes angeboten.<br />

Auf die einzelnen Hypertextseiten<br />

kann direkt über ein grafisches<br />

Inhaltsverzeichnis oder durch<br />

das Verfolgen von Querverweisen<br />

über sogenannte Hyperlinks zugegriffen<br />

werden.<br />

Innerhalb einer Hypertextseite können<br />

zu wichtigen dort verwendeten<br />

Begriffen zusätzliche Informationen<br />

ein- beziehungsweise ausgeblendet<br />

werden, namentlich eine Erklärung,<br />

eine Grafik, eine Definition im Glossar,<br />

der entsprechende Fachterminus<br />

oder zusätzliche Details. Dies kann<br />

dabei entweder durch den Benutzer<br />

selbst geschehen oder automatisch<br />

durch das System.<br />

Bei letzterem ist es notwendig, daß<br />

das System Annahmen über den Wissensstand<br />

des gegenwärtigen Benutzers<br />

bildet und diese in einem Benutzermodell<br />

speichert. Diese Annahmen<br />

basieren in der Rückenschule auf einem<br />

Eingangsinterview und einigen<br />

Aktionen, die der Benutzer im Hypertext<br />

durchführen kann. Eine Benutzermodellierungskomponentespeichert<br />

diese Annahmen, bildet weitere<br />

durch geeignete Schlußfolgerungsmechanismen<br />

und gibt dem Hypertextsystem<br />

Auskunft hinsichtlich der gegenwärtigen<br />

Annahmen. Entsprechend<br />

der gebildeten Annahmen werden<br />

dann die Hypertextseiten an den jeweiligen<br />

Benutzer angepaßt.<br />

Für eine umfangreichere Evaluation<br />

und einen breiten Einsatz, der sich im<br />

Bereich der präventiven Medizin und<br />

der Verhütung beruflich bedingter<br />

Beschwerden unmittelbar anbietet,<br />

muß die vorhandene experimentelle<br />

Rückenschule weiter ausgebaut werden.<br />

Externe Partner haben die Möglichkeit,<br />

an dieser Aufgabe mitzuwirken.<br />

Ein System, welches neben dem Wissensstand<br />

auch noch die Interessen<br />

und Präferenzen von Benutzern<br />

berücksichtigen soll, wird derzeit<br />

innerhalb des Projektes AVANTI<br />

(AdaptiVe and Adaptable INteractions<br />

for Multimedia Telecommunications<br />

ApplIcations) entwickelt und in<br />

mehreren europäischen Feldtests erprobt.<br />

Hierüber wurde bereits in der<br />

Ausgabe 1/96 des <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong>s,<br />

Seite 6, berichtet.<br />

6 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Paralleles<br />

Rechnen stärkt<br />

die Industrie<br />

Wie können neue Branchen und neue<br />

Anwendungsfelder für das parallele<br />

Rechnen erschlossen werden, und wie<br />

sind insbesondere kleine und mittelständische<br />

Unternehmen zu erreichen?<br />

Antworten auf diese Fragen<br />

suchten Experten in einem Workshop<br />

zu finden, der am 21. Mai 1996 vom<br />

<strong>GMD</strong>-Institut für Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches Rechnen und dem<br />

Institut für Paralleles und Verteiltes<br />

Rechnen der Universität Stuttgart in<br />

der <strong>GMD</strong>-Birlinghoven durchgeführt<br />

wurde.<br />

Anlaß für die Tagung war die im März<br />

1996 von der Europäischen Kommission<br />

gestartete Initiative ,HPCN<br />

(High Performance Computing and<br />

Networking) at large‘. Die Veranstaltung<br />

hatte zum Ziel, das parallele und<br />

verteilte Rechnen in der Industrie<br />

besser zu fördern.<br />

Durch HPCN werden Rechenkapazitäten<br />

bereitgestellt, die helfen, Entwicklungszyklen<br />

zu verkürzen, Kosten<br />

zu sparen, Qualität zu verbessern,<br />

neue Aufgabenstellungen zu bearbeiten<br />

und damit Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit<br />

zu steigern.<br />

Die Initiative ,HPCN at large‘ der Europäischen<br />

Kommission kann als<br />

Nachfolgeaktivität zu dem kürzlich<br />

abgeschlossenen Projekt EURO-<br />

PORT gewertet werden. Inhalt dieses<br />

mit 17 Millionen Ecu von der Europäischen<br />

Kommission geförderten<br />

Projekts war die Portierung von 38<br />

wichtigen kommerziellen Codes aus<br />

verschiedenen Anwendungsbereichen<br />

auf parallele Plattformen. Das Management<br />

von EUROPORT-1, in dem<br />

14 Programme aus der Strömungsund<br />

Strukturmechanik parallelisiert<br />

worden waren, lag beim <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches Rechnen. In EU-<br />

ROPORT arbeiteten mehr als 120<br />

Partner aus ganz Europa zusammen,<br />

darunter industrielle Anwender und<br />

Nutzer wie zum Beispiel Audi, BMW,<br />

Fiat, Ford, Mercedes Benz, Saab,<br />

N A C H R I C H T E N<br />

Paralleles und verteiltes Rechnen in der Industrie: mehr als<br />

130 Experten diskutieren im Großen Saal von Schloß Birlinghoven.<br />

ABB (Asea Brown Boveri), Rolls-<br />

Royce, Aerospatiale, British Airspace,<br />

EDF (Electricité de France), Bayer,<br />

Merck, Solvay und Philips. Das<br />

Vorhaben wird als erster großer<br />

Durchbruch für die industrielle Nutzung<br />

der Parallelrechner-Technologie<br />

betrachtet.<br />

,HPCN at large‘ soll nun auch verstärkt<br />

Branchen jenseits der klassischen<br />

Anwendungsfelder und insbesondere<br />

auch kleine Betriebe und die<br />

mittelständische Industrie erfassen.<br />

,HPCN at large‘ rangiert von skalierbaren<br />

Anwendungen auf kleinen Netzen<br />

von Workstations oder Personal<br />

Computern über parallele Hochleistungsrechner<br />

bis hin zu großen verteilten<br />

Systemen (Metacomputing)<br />

und geht damit über das traditionelle<br />

Höchstleistungsrechnen hinaus.<br />

Im ersten Teil der Veranstaltung<br />

wurde von fünf Vortragenden ein<br />

Überblick über den aktuellen Stand<br />

des parallelen und verteilten Rechnens<br />

in der Industrie vermittelt. Projekte<br />

zu den zentralen HPCN-Themen<br />

Simulation und Design, vernetzte<br />

Multi-Standort-Anwendungen, eingebettete<br />

Systeme, Informationsmanagement<br />

und Entscheidungsunterstützung<br />

wurden vorgestellt, und die Frage<br />

nach der gegenwärtigen industriellen<br />

Einsetzbarkeit der neuen Technologie<br />

wurde behandelt.<br />

Am Nachmittag gab Max Lemke von<br />

der Europäischen Kommission einen<br />

Überblick über das Förderprogramm<br />

der Kommission für HPCN-Einsteiger<br />

und Technologietransfer. Sogenannte<br />

Vorbereitungs-, Unterstützungs- und<br />

Transferaktivitäten umfassen unter<br />

anderem Sensibilisierungskampagnen,Einzelstudien,<br />

den Transfer<br />

optimaler<br />

Ver- fahren und<br />

Felderprobungen.<br />

Dabei sollen<br />

die tatsächlichen<br />

Erfordernisse<br />

von Anwendern<br />

aus der Industrie<br />

behandelt werden.<br />

Zur Hilfestellung<br />

wird ein<br />

europäisches Netz von Technologietransferknoten<br />

aufge-baut.<br />

Die Veranstaltung schloß mit einer<br />

Stunde Feedback aus dem Publikum<br />

und lebhafter Diskussion. Insbesondere<br />

wurden Vorteile, Kosten und Möglichkeiten<br />

eines effizienten Einstiegs<br />

ins HPCN erörtert. Obwohl der eine<br />

oder andere ,HPCN-Neuling‘ noch<br />

Zweifel hinsichtlich Reife und praktischer<br />

Einsetzbarkeit der neuen Technologie<br />

anmeldete, zeigten sich viele<br />

Teilnehmer an einem konkreten Einstieg<br />

interessiert.<br />

Die Veranstaltung machte deutlich,<br />

daß die Zeit reif für eine breitflächigere<br />

industrielle Nutzung des HPCN<br />

ist. Dies wurde schon durch das überraschend<br />

große Interesse an dem nationalen<br />

Treffen deutlich: Mehr als<br />

130 Teilnehmer kamen aus ganz<br />

Deutschland, davon etwa die Hälfte<br />

aus der Industrie. Viele kleine und<br />

mittelständische Unternehmen aus<br />

vielen verschiedenen Branchen waren<br />

vertreten, darunter Automobil- und<br />

Chemische Industrie, Robotics, Fuzzy<br />

Logik, Qualitätsmanagement, Mikroelektronik,<br />

Meteorologie und Umwelt,<br />

Energie, Biocomputing, Medizin,<br />

Metallindustrie, Elektrotechnik,<br />

Maschinenbau, Softwarebranche und<br />

Computertechnik.<br />

HPCN in seiner vollen Breite wird<br />

erst durch die neuen Hochgeschwindigkeitsnetze<br />

möglich. Eine spezielle<br />

Anwendung wurde implizit während<br />

der Veranstaltung demonstriert: <strong>Der</strong><br />

Workshop wurde live über eine Breitbandleitung<br />

von der <strong>GMD</strong> an die<br />

Universität Karlsruhe übertragen.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 7


IDMS ’96 –<br />

interaktive<br />

multimediale<br />

Anwendungen<br />

im Blickpunkt<br />

Video-on-Demand, News-on-Demand,<br />

Tele-shopping oder auch Tele-education<br />

werden in Zukunft nicht nur die<br />

Arbeitswelt verändern, sondern auch<br />

das Verhalten privater Anwender beeinflussen.<br />

Um die Präsentation und<br />

die Analyse aktueller Entwicklungen<br />

bei interaktiven, verteilten Multimedia-Systemen<br />

und Multimedia-Diensten<br />

im Geschäfts- und Unterhaltungsbereich<br />

ging es auf dem „European<br />

Workshop on Interactive Distributed<br />

Multimedia Systems and<br />

Services“ (IDMS ’96), der vom 4. bis<br />

6. März 1996 im Japanisch-Deutschen<br />

Zentrum in Berlin stattfand.<br />

Veranstalter dieser internationalen<br />

Tagung waren die Fachgruppe „Kommunikation<br />

und Verteilte Systeme“<br />

(KuVS) der Gesellschaft für Informatik<br />

e.V. (GI) und der Informationstechnischen<br />

Gesellschaft im VDE<br />

(ITG) gemeinsam mit dem <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Offene Kommunikationssysteme.<br />

Eine wesentliche Unterstützung<br />

erfuhr der Workshop durch die<br />

DeTeBerkom GmbH, durch das European<br />

Research Consortium for Informatics<br />

and Mathematics (ERCIM)<br />

und durch die Siemens AG. Für die<br />

Tagungsleitung waren Berthold Butscher<br />

(<strong>GMD</strong>-Institut für Offene Kommunikationssysteme<br />

und Sprecher der<br />

Fachgruppe KuVS) und Eckhard<br />

Moeller (<strong>GMD</strong>) verantwortlich. Die<br />

lokale Organisation lag bei Herwart<br />

Pusch (<strong>GMD</strong>).<br />

Die 126 Teilnehmer des Workshops<br />

aus den Arbeitsbereichen Forschung,<br />

Entwicklung und Anwendung stammten<br />

aus zwölf europäischen Ländern,<br />

darüber hinaus auch aus Australien,<br />

Kanada, Korea, Japan und den USA.<br />

<strong>Der</strong> thematische Schwerpunkt einer<br />

Reihe eingeladener Vorträge und 20<br />

der zuvor begutachteten Beiträge lag<br />

auf den Gebieten: Multimedia-Dienste<br />

„auf Abruf“, Multimedia Confer-<br />

N A C H R I C H T E N<br />

Das mit der Organisation von IDMS’96 betraute Team des<br />

<strong>GMD</strong>-Instituts für Offene Kommunikationssysteme nach erfolgreicher<br />

Durchführung des Workshops: Berthold Butscher,<br />

Eckhard Moeller, Christine Passon, Silke Cords, Barbara<br />

Intelmann, Steffen Konegen, Herwart Pusch, Jan Grotelüschen<br />

(von rechts nach links).<br />

encing, Multimedia Networking und<br />

Transport, kontinuierliche Medien sowie<br />

Unterstützung bei der Entwicklung<br />

von verteilten Multimedia-Anwendungen.<br />

<strong>Der</strong> Bereich der kontinuierlichen Medien<br />

war am stärksten vertreten. Hier<br />

wurden Arbeiten zu folgenden Themen<br />

vorgestellt: Scheduling-Mechanismen<br />

in Multimedia-Systemen,<br />

Kontrolle von Videoströmen für Video-on-Demand-Dienste,Synchronisation<br />

kontinuierlicher Ströme sowie<br />

adaptive Filter für Audio- und Videoströme<br />

in Mehrpunktverbindungen<br />

zur Überbrückung heterogener Netze<br />

und Endsysteme. Andere Beiträge befaßten<br />

sich mit Systemarchitekturen<br />

und Standardisierung zur Unterstützung<br />

interaktiver multimedialer Anwendungen,<br />

Erweiterungen von Multimedia-Diensten<br />

im Internet zur Unterstützung<br />

von Mobilität, Auswahl<br />

von Informationen in Radio- und<br />

Fernsehsendungen über Spracherkennung.<br />

Den Auftakt an jedem der drei<br />

Workshoptage bildete ein Vortrag eines<br />

eingeladenen Sprechers: David<br />

Greaves, der Andy Hopper von Olivetti<br />

Research und der Cambridge<br />

University vertrat, ging in seinem Beitrag<br />

„The Network Computer – Fact<br />

or Fiction“ auf die Möglichkeit ein,<br />

Input/Output-Geräte über eine einheitliche<br />

Interface-Karte direkt an ein<br />

ATM-Netz (Asynchronous Transfer<br />

Mode) anzuschließen – statt an den<br />

Personal Computer/Workstation Bus –,<br />

um damit eine optimale Umgebung<br />

für Multimedia-Anwendungen<br />

einschließlich<br />

Mobilität und personenbezogenerKommunikation<br />

zu schaffen.<br />

Christian Huitema (Institut<br />

National de Recherche<br />

en Informatique<br />

et en Automatique)<br />

bot in seinem<br />

Vortrag „Realtime Multimedia<br />

over the Internet“<br />

einen Überblick<br />

über bestehende und<br />

zukünftige Möglichkeiten<br />

in bezug auf die Frage,<br />

wie man Audio- und<br />

Video-Daten im Internet mit ausreichender<br />

Qualität übertragen und präsentieren<br />

kann. In seinem Beitrag<br />

„From Multimedia Systems to Interactive<br />

Television (ITV)“ zeigte Ralf<br />

Guido Herrtwich (RWE Telliance)<br />

technische Alternativen beim Aufbau<br />

von ITV-Systemen auf. Die Marktchancen<br />

zukünftiger ITV-Systeme als<br />

wichtigster Zulieferer multimedialer<br />

Inhalte beurteilte er positiv.<br />

In einer Gesprächsrunde, deren Leitung<br />

André Danthine (University of<br />

Liège) übernahm, diskutierten<br />

Berthold Butscher, Ralf Guido Herrtwich,<br />

David Hutchison (Lancaster<br />

University) und Henning Schulzrinne<br />

(<strong>GMD</strong>) über das Thema „Global<br />

Multimedia Communication: Choosing<br />

the Right Platforms“. Dabei wurde<br />

die Frage, ob das Internet als globales<br />

Kommunikationssystem zukünftig<br />

allein in der Lage sein werde, multimediale<br />

Anwendungen im Geschäfts-<br />

und Heimbereich zu unterstützen,<br />

kontrovers beurteilt. Die meisten<br />

Diskussionsteilnehmer waren der<br />

Meinung, daß das Angebot an heterogenen<br />

Netzen und Diensten – trotz<br />

der steigenden Zahl von Internet-<br />

Kunden – bestehen bleiben wird.<br />

<strong>Der</strong> Workshop schloß mit einem Beitrag<br />

von Christine Seidel (DeTeBerkom),<br />

„COMENIUS – The Virtual<br />

Classroom“. Darin wurden pädagogisch-didaktischeEinsatzmöglichkeiten<br />

von Multimedia-Anwendungen in<br />

der Schule anhand eines Feldversuchs<br />

in Berlin vorgestellt. Anschließend<br />

hatten die Teilnehmer Gelegenheit,<br />

8 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


eine Demonstration in den Räumen<br />

von DeTeBerkom zu beobachten.<br />

Hierbei wurden einige mit dem<br />

Workshop eng in Zusammenhang stehende<br />

Projektergebnisse vorgestellt.<br />

Die Proceedings des Workshops sind<br />

in der Reihe „Lecture Notes in Computer<br />

Science“, Nr. 1045, des Springer-<br />

Verlags (ISBN 3-540-60938-5) erschienen.<br />

Aufgrund des großen Interesses<br />

an dem Workshop wird bereits eine<br />

weitere Veranstaltung dieser Art vorbereitet,<br />

sie wird voraussichtlich im<br />

Jahr 1997 an der Technischen Hochschule<br />

Darmstadt stattfinden.<br />

Filmproduktion<br />

und Archiv<br />

wachsen<br />

zusammen<br />

Die Filmarchive werden in Zukunft<br />

verstärkt neue Wege bei der Erschließung<br />

ihrer Bestände gehen müssen,<br />

um die Nutzer besser versorgen<br />

zu können. Zu diesem Ergebnis kamen<br />

die mehr als vierzig Teilnehmer,<br />

die am 12. Juni 1996 im <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Integrierte Publikations- und Informationssysteme<br />

in Darmstadt zu<br />

dem Fachworkshop „Digitale Filmdokumentation<br />

– Erschließung, Recherche<br />

und neue Informationsdienste“<br />

zusammengekommen waren.<br />

Über neue Entwicklungen und Erfahrungen<br />

in der täglichen Arbeit diskutierten<br />

in der <strong>GMD</strong>-Darmstadt Fachleute<br />

aus Film- und Fernseharchiven.<br />

Die Nutzer- oder „Lieferantenseite“,<br />

also die Film- und Fernsehautoren<br />

und -produzenten, waren weniger<br />

stark vertreten. Ebenfalls nur gering<br />

vertreten waren Softwarehäuser, die<br />

Softwareprodukte für Filmdokumentation<br />

anbieten oder entwickeln.<br />

Wie die Beiträge der Referenten und<br />

Diskussionsteilnehmer zeigten, ist die<br />

aktuelle Arbeit in der Filmdokumentation<br />

noch weitgehend vom Aufbau<br />

und der Pflege von inhaltsbeschreibenden<br />

Filmnachweisdatenbanken geprägt.<br />

Die digitale Speicherung von<br />

N A C H R I C H T E N<br />

Neue Wege für Film- und Fernseharchive – auf einem Darmstädter Workshop erörtern<br />

Anbieter und Nutzer die Bedürfnisse von morgen.<br />

Filmen und ihre direkte Nutzung für<br />

die inhaltliche Erschließung einerseits<br />

sowie für die Inhalts- und Motivsuche<br />

andererseits ist für den größten Teil<br />

der vertretenen Archive noch Zukunftsmusik,<br />

wenngleich vereinzelt<br />

erste Projekte laufen.<br />

So arbeitet der Südwestfunk im Projekt<br />

Euromedia zusammen mit anderen<br />

europäischen Fernsehanstalten<br />

daran, Journalisten und Redakteuren<br />

im Schneideraum und an bestimmten<br />

Arbeitsplätzen digitale Filmdaten vorzuhalten,<br />

die sie direkt durchsuchen,<br />

sichten und eventuell für die Verwendung<br />

im eigenen Film schon vorschneiden<br />

können. Das Göttinger Institut<br />

für den wissenschaftlichen Film<br />

führt zusammen mit der <strong>GMD</strong> das<br />

Projekt AMPHORE (Audio-visual<br />

Media Platform for the Highlighting<br />

Organisation and Retrieval of Entities)<br />

durch, in dem es ähnlich wie<br />

beim Südwestfunk darum geht, neben<br />

ganzen Filmen, einzelne Filmsequenzen<br />

zu erschließen und digital zur Verfügung<br />

zu stellen.<br />

Den anwesenden Filmjournalisten<br />

und Redakteuren gingen diese Entwicklungen<br />

jedoch noch nicht weit genug.<br />

Sie wünschen sich von den Dokumentationsstellen<br />

zusätzliche<br />

Dienstleistungen. So wird bei jeder<br />

Filmerstellung immer nur ein Bruchteil<br />

des gedrehten Materials verwendet,<br />

was aber nicht bedeutet, daß der<br />

nicht verwendete Teil von schlechter<br />

inhaltlicher und materieller Qualität<br />

ist. Dieses Material beispielsweise mit<br />

Hilfe von Filmarchiven zu speichern,<br />

auszuwerten und möglicherweise sogar<br />

zur Weiterverwertung anzubieten,<br />

würde den Wünschen von Journalisten<br />

sehr entgegenkommen. Auf der<br />

anderen Seite erwarten Journalisten<br />

im Zeitalter von Multimedia eine medien-<br />

und institutionenübergreifende<br />

Recherche und Dokumentversorgung.<br />

So wurde gefordert, daß auch im<br />

Bewegtbildbereich Verbundkataloge<br />

ähnlich wie im Bibliotheksbereich<br />

entstehen, die zusätzlich zu den inhaltserschließenden<br />

Angaben auch<br />

Angaben zum Inhaber der Verwertungsrechte,<br />

zu den Preisen etc. beinhalten.<br />

Solche Vorstellungen klangen in den<br />

Ohren vieler anwesender Dokumentare<br />

noch sehr nach Utopie. Die Ansätze<br />

im Südwestfunk und im Institut<br />

für den wissenschaftlichen Film zeigen<br />

jedoch, daß die Filmarchive sich darauf<br />

einstellen, neue Wege zu gehen,<br />

um ihre Nutzer zu erreichen. Produktion<br />

und Archiv wachsen zusammen,<br />

und eine neue Arbeitsteilung ist absehbar.<br />

Umgekehrt müssen aber auch<br />

die kleinen privaten Fernsehanstalten<br />

allmählich erkennen, daß sie ohne<br />

professionelle Hilfestellung bei der<br />

Erschließung ihrer Materialien über<br />

kurz oder lang im Chaos landen werden.<br />

So lautet jedenfalls das Ergebnis<br />

einer Studie der Fachhochschule<br />

Hamburg zur „Optimierung der Beitragsdokumentation<br />

und Filmarchivierung<br />

im Lokalfernsehsender<br />

HH1“. Für das nächste Jahr wird eine<br />

ähnliche Veranstaltung ins Auge gefaßt.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 9


Forschung zur<br />

Modernisierung<br />

der Justiz in<br />

Nordrhein-<br />

Westfalen<br />

Zum Schlußreview des <strong>GMD</strong>-Projekts<br />

„Modellgerichte Nordrhein-<br />

Westfalen“ konnte der Stellvertretende<br />

Vorstandsvorsitzende der <strong>GMD</strong>,<br />

Dr. Heinz-Georg Sundermann, die<br />

14 Mitglieder des Projektbeirats am<br />

15. Mai 1996 im Roten Saal von<br />

Schloß Birlinghoven begrüßen. Im<br />

Zuge der Ergebnisdiskussion des vom<br />

<strong>GMD</strong>-Institut für Angewandte Informationstechnik<br />

durchgeführten Forschungsprojekts<br />

würdigten die Vertreter<br />

des Jutizministeriums von Nordrhein-Westfalen<br />

und die Praktiker das<br />

Engagement der <strong>GMD</strong> an den Modellgerichten<br />

des Landes.<br />

Bei dem Auftrag des Landesjustizministers<br />

zur wissenschaftlichen Begleitforschung<br />

an den Amtsgerichten von<br />

Düsseldorf, Gladbeck, Köln und Krefeld<br />

ging es um den Einsatz moderner<br />

Informationstechnik, so etwa Netze<br />

von Personal Computern, in Verbindung<br />

mit neuen Formen der Arbeitsorganisation,<br />

wie beispielsweise Service-Einheiten.<br />

Erstmalig in der deut-<br />

10<br />

N A C H R I C H T E N<br />

schen Justiz wurde dabei – in Kooperation<br />

von <strong>GMD</strong> und IBM – unter<br />

wissenschaftlicher Beobachtung auch<br />

ein spracherkennendes Diktiersystem<br />

am Arbeitsplatz eines Richters erprobt.<br />

Das <strong>GMD</strong>-Projekt hat zur Optimierung<br />

der informationstechnischen Unterstützung<br />

und der damit verbunde-<br />

<strong>GMD</strong>-Wissenschaftler Hellmut Morasch (erster von links, neben <strong>GMD</strong>-Vorstandsmitglied Dr.<br />

Heinz-Georg Sundermann, zweiter von links) erläutert die Ergebnisse des Projekts „Modellgerichte<br />

Nordrhein-Westfalen“ vor Vertretern des Justizministeriums und der Oberlandesgerichte.<br />

nen organisatorischen Neuerungen<br />

beigetragen. Über die einjährige Evaluation<br />

der vier Modellversuche wurden<br />

zudem Erfahrungen gewonnen,<br />

die in Empfehlungen für den weiteren<br />

Transfer der Modellvorstellungen im<br />

Land umgesetzt wurden.<br />

Inzwischen konnte Projektleiter Hellmut<br />

Morasch den über 200seitigen<br />

Schlußbericht in Düsseldorf übergeben.<br />

Von dort wurde er an alle Gerichte<br />

des Landes sowie an die anderen<br />

Bundesländer verteilt. <strong>Der</strong> Ergebnistransfer<br />

wird durch einen Kabinettsbeschluß<br />

von Ende Juni dieses<br />

Jahres beschleunigt, womit ein Investitionsprogramm<br />

von 370 Millionen<br />

Mark für die Ausstattung der nordrhein-westfälischen<br />

Justiz mit Computernetzwerken<br />

aufgelegt wurde.<br />

Computer-<br />

Algebra verändert<br />

Mathematikausbildung<br />

Methoden der Computer-Algebra<br />

sollen für die Mathematikausbildung<br />

besser nutzbar gemacht werden. Dieses<br />

Ziel hatte eine internationale<br />

Tagung, die vom 2. bis 6. Juli 1996 in<br />

der <strong>GMD</strong>-Birlinghoven durchgeführt<br />

wurde. Veranstalter war der International<br />

Council for Computeralgebra<br />

in Matheducation (IC-CAME). Die<br />

<strong>GMD</strong>, bei der im Institut für Algorithmen<br />

und Wissenschaftliches Rechnen<br />

im Projekt „Computer Algebra<br />

and Differential Equations“ Forschungsaufgaben<br />

auf diesem Gebiet<br />

wahrgenommen werden, war Mitveranstalter.<br />

Auf der einwöchigen Tagung wurden<br />

den etwa 230 Teilnehmern aus mehr<br />

als 20 Ländern in mehr als 80 Fachvorträgen<br />

spezielle Methoden und<br />

Anwendungen vorgestellt, die sie als<br />

Anregung für ihre eigene Arbeit<br />

mit nach Hause nehmen konnten.<br />

Sprecher waren unter anderen<br />

David Stoutemyer, der Entwickler<br />

von <strong>Der</strong>ive, einem kleinen Computer-<br />

Algebra System, das speziell für Ausbildungszwecke<br />

in den USA entwickelt<br />

wurde, und Bruno Buchberger,<br />

der Entwickler des Algorithmus zur<br />

Berechnung von Gröbner-Basen. Ein<br />

Tagungsband wird in Kürze erscheinen.<br />

Schlußveranstaltung der Computer-<br />

Algebra-Tagung im Großen Saal von Schloß<br />

Birlinghoven mit Dr. Leo Klingen, der<br />

zusammen mit Bärbel Barzel die Veranstaltung<br />

organisierte.


Die Tagung wird vom IC-CAME in<br />

jährlichem Rhythmus veranstaltet,<br />

nächstes Jahr findet sie in Baltimore,<br />

USA, statt. Die Aktivitäten des IC-<br />

CAME tragen mit dazu bei, daß sich<br />

in der Mathematikausbildung heute<br />

ein ähnlicher Wandel vollzieht, wie<br />

vor 20 Jahren durch die Einführung<br />

von Taschenrechnern für numerische<br />

Rechnungen. In zahlreichen Gymnasien<br />

in Deutschland gehört das Arbeiten<br />

mit <strong>Der</strong>ive heute schon zum Standard<br />

und ist dabei, den Lehrplan in<br />

Mathematik grundlegend zu beeinflussen.<br />

Für die Schülerinnen und<br />

Schüler sind diese Kenntnisse ein entscheidender<br />

Vorteil, wenn sie an der<br />

Universität ein Studium beginnen.<br />

Elektronische<br />

Informationsdienste<br />

in<br />

Osteuropa –<br />

<strong>GMD</strong> veröffentlichtDatenbankverzeichnis<br />

„Elektronische Informationsdienste<br />

in Osteuropa“ ist der Titel einer<br />

dreibändigen Studie von Maria-Anna<br />

Courage und Alexander Vasilevic Butrimenko,<br />

die kürzlich in den Schriftenreihen<br />

der <strong>GMD</strong> veröffentlicht<br />

wurde. In einer Präsentationsveranstaltung<br />

am 24. Mai 1996 in der<br />

<strong>GMD</strong>-Birlinghoven stellten die beiden<br />

Herausgeber und Autoren das<br />

rund 1600 Seiten umfassende Werk<br />

der Öffentlichkeit vor.<br />

Die dreibändige Publikation ist ein<br />

umfassendes aktuelles Referenzwerk<br />

zu Datenbanken und anderen elektronischen<br />

wissenschaftlich-technischen<br />

und Wirtschaftsinformationsdiensten<br />

in Osteuropa. <strong>Der</strong> erste Band verzeichnet<br />

Datenbanken der Russischen<br />

Förderation, in einem zweiten Band<br />

sind Datenbanken der osteuropäischen<br />

Länder und der weiteren Nachfolgeländer<br />

der ehemaligen Sowjetunion<br />

zusammengestellt, im dritten<br />

Band werden die politischen und wirt-<br />

N A C H R I C H T E N<br />

schaftlichen Rahmenbedingungen der<br />

jeweiligen Länder dargestellt, die Serviceleistungen<br />

der Informationszentren<br />

und Bibliotheken analysiert sowie<br />

der in den letzten Jahren in Osteuropa<br />

stattfindende Strukturwandel<br />

im Informationsbereich beschrieben.<br />

Die neue Publikation ist eine umfassende<br />

Aktualisierung des zwischen<br />

1991 und 1993 bei der <strong>GMD</strong> in Zusammenarbeit<br />

mit dem Internationalen<br />

Zentrum für wissenschaftliche<br />

und technische Information, Moskau,<br />

durchgeführten Projektes, das im Jahre<br />

1993 unter dem Titel „<strong>Der</strong> elektronische<br />

Fachinformationsmarkt in Osteuropa<br />

1993“ im Verlag Hoppenstedt<br />

in zwei Bänden veröffentlicht worden<br />

ist. Bereits dieses Projekt war sehr<br />

ehrgeizig und versuchte, eine sich<br />

ständig mit großer Geschwindigkeit<br />

verändernde Informationswelt in Osteuropa<br />

zu beschreiben, dabei nur die<br />

relevanten Datenbanken zu verzeichnen<br />

und einen ersten Überblick zu erstellen.<br />

Bereits bei der Drucklegung<br />

des Verzeichnisses lagen zahlreiche<br />

Datenbankbeschreibungen vor, die<br />

nicht mehr berücksichtigt werden<br />

konnten. So wurde eine Bestandsaufnahme<br />

dringend nötig, außerdem veränderte<br />

sich die Situation laufend:<br />

täglich entstanden neue Datenbanken,<br />

gleichzeitig wurden zahlreiche<br />

Informationszentren geschlossen und<br />

viele Datenbanken eingestellt.<br />

Nachdem die Kontakte zu zahlreichen<br />

Informationszentren in Osteuropa<br />

aufgebaut waren, konnte das Projekt<br />

nach 1993 fortgeführt werden. Die<br />

Jahre 1993 bis 1995 sind für die elektronische<br />

Informationswelt in Osteuropa<br />

eine besonders wichtige Phase<br />

mit tiefgreifenden Veränderungen gewesen.<br />

Informationszentren und Bibliotheken<br />

sind dabei, in einem gesellschaftlichenDemokratisierungsprozeß<br />

eine neue Rolle zu finden, sie erschließen<br />

sich Möglichkeiten, ihr Budget<br />

teilweise selbst zu erwirtschaften<br />

und übernehmen neue Aufgaben. Ein<br />

grundlegender Strukturwandel findet<br />

statt. Eine Dokumentation und Beschreibung<br />

dieses Strukturwandels ist<br />

das Hauptziel der vorliegenden aktualisierten<br />

Publikation.<br />

Bei der Fortsetzung des Projektes<br />

1993 wurde die enge Zusammenarbeit<br />

mit dem Moskauer Internationalen<br />

Zentrum für wissenschaftliche und<br />

technische Information beibehalten,<br />

darüber hinaus war es aufgrund des<br />

Zerfalls des bisherigen zentralistischen<br />

Systems in Osteuropa notwendig,<br />

nationale Informationszentren<br />

und Bibliotheken als Datenlieferanten<br />

für eine umfassende Bestandsaktualisierung<br />

einzubeziehen. 32 Institutionen<br />

aus 21 osteuropäischen Ländern<br />

konnten für die Mitarbeit gewonnen<br />

und davon überzeugt werden,<br />

daß es für ihre Arbeit von Vorteil sei,<br />

wenn die Informationsdienste ihres<br />

Landes in Westeuropa bekannt sind.<br />

Sowohl die Datenbankbeschreibungen<br />

als auch die Daten zur Informationsinfrastruktur<br />

in Osteuropa stammen<br />

überwiegend aus den nationalen<br />

Fachinformationszentren der jeweiligen<br />

Länder. Die direkte Zusammenarbeit<br />

mit zahlreichen Informationszentren,<br />

Bibliotheken und teilweise<br />

die Unterstützung der jeweiligen Ministerien<br />

der osteuropäischen Länder<br />

ermöglichte es, zuverlässige Daten zu<br />

erhalten. Aus den mittel- und osteuropäischen<br />

Ländern liegt umfangreiches<br />

Datenmaterial vor, bei zahlreichen<br />

Republiken der ehemaligen Sowjetunion<br />

sind intensive Bemühungen<br />

um den Aufbau elektronischer Informationsdienste<br />

festzustellen. Im ehemaligen<br />

Jugoslawien waren allerdings<br />

aufgrund der politischen Situation Informationen<br />

aus den Nachfolgeländern<br />

nicht zu beschaffen. Auch Albanien<br />

konnte bei dieser Untersuchung<br />

nicht berücksichtigt werden. Es ist geplant,<br />

die Datenbankbeschreibungen<br />

in das „Gale Directory of Databases“<br />

bei Gale Research in den USA zu integrieren<br />

und in die englische Sprache<br />

zu übersetzen.<br />

<strong>Der</strong> Analyseband stellt umfangreiche<br />

und teilweise in Westeuropa bisher<br />

unbekannte Daten zur Informationsinfrastruktur<br />

in Osteuropa zur Verfügung.<br />

Auch hier handelt es sich um eine<br />

originäre und grundlegende Forschungsarbeit,<br />

die westeuropäischen<br />

Informationsfachleuten, Firmen, Unternehmen,<br />

Wissenschaftlern und Politikern<br />

den Zugang zu relevanten Daten<br />

ermöglicht.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 11


Die Zusammenarbeit im Rahmen dieses<br />

Projektes führte zu einem weiteren<br />

sehr wichtigen Ergebnis: Eine hervorragende<br />

internationale Gruppe<br />

von führenden Spezialisten wurde ins<br />

Leben gerufen, ein Netzwerk für den<br />

Informationsaustausch und für die<br />

Zusammenarbeit wurde neu geknüpft,<br />

nachdem alte „Knoten“ in dem osteuropäischen<br />

Informationsnetz nicht<br />

mehr existierten beziehungsweise vor<br />

der Auflösung standen und neue erst<br />

geschaffen werden mußten. Diese<br />

Gruppe hat mit ihrer bisherigen Zusammenarbeit<br />

eine Grundlage für die<br />

Durchführung weiterer internationaler<br />

Projekte im Bereich der osteuropäischen<br />

Informationswirtschaft geschaffen,<br />

die ohne funktionsfähige Informationsnetze<br />

nicht erfolgreich<br />

durchgeführt werden können.<br />

Symposium<br />

„Rechts- und<br />

Verwaltungsinformatik“<br />

–<br />

Offizieller<br />

Abschied für<br />

Herbert Fiedler<br />

Mit einem Symposium zum Thema<br />

„Rechts- und Verwaltungsinformatik“<br />

ist der ehemalige langjährige Institutsleiter<br />

der <strong>GMD</strong> und Leiter<br />

des Forschungsbereichs Informationsrecht,<br />

Prof. Dr. jur. Dr. rer. nat. Herbert<br />

Fiedler, am 14. März 1996 in<br />

Schloß Birlinghoven offiziell aus der<br />

<strong>GMD</strong> verabschiedet worden. Weggefährten<br />

und Fachkollegen Herbert<br />

Fiedlers erörterten in Vorträgen und<br />

Diskussionen gemeinsam mit rund<br />

50 Tagungsteilnehmern aus Wissenschaft,<br />

Verwaltung und Wirtschaft<br />

Forschungsschwerpunkte, in denen<br />

Fiedler als <strong>GMD</strong>-Institutsleiter und<br />

Hochschullehrer an der Universität<br />

Bonn tätig gewesen war.<br />

Einen Blick in die zukünftige Entwicklung<br />

von Fiedlers Fachgebiet<br />

wagte Prof. Dr. Roland Traunmüller<br />

von der österreichischen Universität<br />

N A C H R I C H T E N<br />

Nestor der deutschen Rechtsinformatik – Prof. Dr. Dr. Herbert<br />

Fiedler Ehrengast des Symposiums „Rechts- und<br />

Verwaltungsinformatik“.<br />

Linz mit seinem Beitrag „Rechtsinformatik<br />

auf dem Weg ins nächste Jahrzehnt“.<br />

Mit einer Theorie der Verwaltungsinformatik<br />

befaßte sich Prof. Dr.<br />

Klaus Lenk, Universität Oldenburg,<br />

in seinem Vortrag zum Thema „Verwaltungsmodelle<br />

und Informatikleitbilder“.<br />

Prof. Dr. Heinrich Reinermann<br />

von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften<br />

Speyer präsentierte<br />

seinen Zuhörern einen Einblick<br />

in das Gebiet der „Verwaltungsentwicklung<br />

und Verwaltungsinformationssysteme“.<br />

„Approximatives<br />

Schließen – Zur Logik des Alltags“<br />

war Thema des Beitrags von Prof. Dr.<br />

Lothar Philipps vom Institut für<br />

Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik<br />

der Universität München.<br />

„Herbert Fiedlers Anstöße zur juristischen<br />

Datenverarbeitung“ beleuchtete<br />

Prof. Dr. Dieter Strempel, Bundesministerium<br />

der Justiz und Universität<br />

Marburg. Die in den einzelnen Vorträgen<br />

angedeuteten Facetten des<br />

Fachgebiets Rechtsinformatik gaben<br />

nicht nur einen Überblick über aktuelle<br />

Arbeiten in diesem Sektor der Informatik,<br />

sondern machten gleichzeitig<br />

deutlich, daß Herbert Fiedler mit<br />

seiner Arbeit die Rechtsinformatik in<br />

vielfältiger Weise von den Anfängen<br />

an wesentlich mitgeprägt hat. So gab<br />

Fiedler in seiner Dankesrede dann<br />

auch der Hoffnung Ausdruck, daß es<br />

zu einer „zweiten Geburt“ der Rechtsinformatik<br />

kommen möge, da sie<br />

noch nicht die Anerkennung gefunden<br />

habe, die ihr zukomme. In seiner<br />

Emeritierung sieht Fiedler jedenfalls<br />

nicht seinen Abschied von seinen<br />

wissenschaftlichen Aktivitäten. Herbert<br />

Fiedler, seit 1970 Inhaber des<br />

Lehrstuhls für Juristische<br />

Informatik, Allgemeine<br />

Rechtslehre und<br />

Strafrecht an der Universität<br />

Bonn, war mit<br />

seiner Emeritierung Ende<br />

Juli 1994 auch aus<br />

der <strong>GMD</strong> ausgeschieden,<br />

der er seit 1970 angehört<br />

hatte. An der<br />

Universität Bonn hatte<br />

er gleichzeitig die Forschungsstelle<br />

für juristische<br />

Informatik und<br />

Automation geleitet. In<br />

der <strong>GMD</strong> leitete er<br />

zunächst die Abteilung für Behördliche<br />

Datenverarbeitungssysteme und<br />

baute dann das Institut für Datenverarbeitung<br />

im Rechtswesen auf, dessen<br />

Leitung er bis zur Auflösung im Zuge<br />

der <strong>GMD</strong>-Neuorganisation im Jahre<br />

1983 innehatte. Anschließend war er<br />

Leiter der Forschungsstelle für Informationsrecht<br />

und Ko-Institutsleiter<br />

des damaligen <strong>GMD</strong>-Instituts für Angewandte<br />

Informationstechnik. Einige<br />

der Entwicklungen, die Fiedler in dieser<br />

Zeit durch Forschungsaktivitäten<br />

in der <strong>GMD</strong> angestoßen hat, sind<br />

bis heute im Rechtspflegesystem<br />

Deutschlands im Einsatz. Beispiele<br />

sind JURIS, die große juristische Datenbank,<br />

JUSTIS, das Justizstatistik-<br />

Informationssystem, sowie SOJUS,<br />

ein Softwaresystem für die Geschäftsstellen<br />

in der Justiz.<br />

Herbert Fiedler ist auch international<br />

durch eine Vielzahl von Publikationen<br />

hervorgetreten, womit er sich unter<br />

anderem an den Diskussionen um den<br />

Datenschutz und das Informationsrecht<br />

beteiligt hat. Zudem engagierte<br />

er sich in der Gesellschaft für Informatik<br />

lange Zeit als Sprecher von<br />

deren Fachbereich 6 „Informatik in<br />

Recht und öffentlicher Verwaltung“.<br />

Von der Tageszeitung „Die Welt“ war<br />

er schon vor Jahren als Nestor der<br />

deutschen Rechtsinformatik gewürdigt<br />

worden.<br />

12 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Wissenschaftsregion<br />

Bonn in<br />

Peking vorgestellt<br />

Auf reges Interesse bei den chinesischen<br />

Gästen stieß eine Präsentation<br />

der Wirtschafts- und Wissenschaftsregion<br />

Bonn, die im April 1996 in<br />

Peking, Volksrepublik China, durchgeführt<br />

wurde. Die Deutsche Botschaft<br />

in Peking hatte dazu ihre<br />

Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt.<br />

Im Auftrag der Strukturfördergesellschaft<br />

präsentierte der <strong>GMD</strong>-Wissenschaftler<br />

Dr. Hans G. Klaus vor den<br />

chinesischen Teilnehmern aus wissenschaftlichen<br />

Einrichtungen, Unternehmen,<br />

Behörden und der Presse die<br />

Struktur und das Potential sowie die<br />

konkreten Ausbaupläne für Hochtechnologiebereiche<br />

in Wissenschaft<br />

und Wirtschaft für die Region Bonn.<br />

Die chinesischen Experten, die vom<br />

Gesandten der Botschaft, Walter<br />

Nocker, begrüßt worden waren, diskutierten<br />

insbesondere Initiativen wie<br />

TeleBonn und Caesar. Eine Videovorführung<br />

ergänzte die Präsentation<br />

der Bonner Vorhaben.<br />

Dr. Klaus, derzeit Leiter der Projektträgerschaft<br />

Fachinformation des Bundesforschungsministeriums<br />

und des<br />

Bundeswirtschaftsministeriums bei der<br />

<strong>GMD</strong> und zuvor Leiter des Wissenschaftsreferats<br />

der Deutschen Botschaft<br />

in Peking, präsentierte im zweiten<br />

Teil der Veranstaltung den <strong>GMD</strong>-<br />

Technologiepark als attraktives Tor<br />

für ausländische High Tech-Unternehmen<br />

oder wissenschaftliche Einrichtungen<br />

nach Deutschland und Europa.<br />

Die Initiatoren bewerten die Präsentation<br />

aufgrund der Anzahl und Zusammensetzung<br />

des Teilnehmerkreises sowie<br />

der für chinesische Verhältnisse<br />

außerordentlich regen Diskussion und<br />

Dank der Unterstützung durch die<br />

Deutsche Botschaft in Peking als<br />

wichtigen Anfangserfolg. Es sei von<br />

Bedeutung, bei potentiellen ausländischen<br />

Investoren auf einem so wichtigen<br />

Markt wie China mit 1,15 Milliarden<br />

Menschen für die Aktivitäten der<br />

Wissenschafts- und Wirtschaftsregion<br />

Bonn frühzeitig zu werben.<br />

N A C H R I C H T E N<br />

Mit der <strong>GMD</strong><br />

in die<br />

Telegesellschaft –<br />

Tag der offenen<br />

Tür in Darmstadt<br />

Telecomputing, Telemedizin, Telearbeit,<br />

Telemanagement, Telelearning,<br />

Teleshopping und Telebanking<br />

sind die Hauptthemen des Tages der<br />

offenen Tür in der <strong>GMD</strong>-Darmstadt.<br />

Diese traditionelle Veranstaltung wird<br />

in diesem Jahr am 12. November<br />

durchgeführt.<br />

Die Besucher haben die Möglichkeit,<br />

sich in den beiden Gebäuden der<br />

<strong>GMD</strong> in der Rheinstraße und in der<br />

Dolivostraße von 9.00 bis 18.00 Uhr<br />

einen Überblick über die aktuelle informationstechnische<br />

Forschung zu<br />

verschaffen und Anwendungsbeispiele<br />

kennenzulernen. Visionen und<br />

Wirklichkeit der Entwicklung zur Telegesellschaft,<br />

die einst mit dem Telefon<br />

begann, werden anhand von Forschungsprojekten<br />

und einsatzfähigen<br />

Systemen aufgezeigt und diskutiert.<br />

Wissenschaftler, Politiker und Anwender<br />

werden zu Wort kommen. Die Besucher<br />

haben Gelegenheit, selbst im<br />

Internet und World Wide Web zu<br />

surfen.<br />

Weitere Informationen im World<br />

WideWeb: http://www.darmstadt.gmd.<br />

de/TDOT96 und über Ute Sotnik,<br />

<strong>GMD</strong> – Forschungszentrum Informationstechnik<br />

GmbH, Dolivostraße 15,<br />

64293 Darmstadt, Telefon (0 61 51)<br />

869-822, Telefax (0 61 51) 869-81 81,<br />

E-mail: sotnik�gmd.de.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 13


Modellierung von<br />

Proteinstrukturen<br />

Von Thomas Lengauer, Ralf Thiele<br />

und Ralf Zimmer<br />

Die Berechnung der dreidimensionalen<br />

Struktur von Proteinen aus der<br />

Kenntnis der Proteinsequenz und gegebenenfalls<br />

weiterer aus Experimenten<br />

gewonnener Informationen ist eine<br />

der zentralen Herausforderungen<br />

der Molekularen Bioinformatik. Proteine<br />

sind bekanntlich aus den zwanzig<br />

in der Natur vorkommenden Aminosäuren<br />

aufgebaute Kettenmoleküle.<br />

Aminosäuren werden bei der Polymerisation<br />

mittels sogenannter Peptidbindungen<br />

unter Abscheidung von<br />

Wasser aneinandergereiht. Die im<br />

Protein verbleibenden Teile der Aminosäuren<br />

nennt man Aminosäurereste<br />

oder auch einfach Reste. Im Zuge<br />

der verschiedenen Genomsequenzierungsprojekte<br />

wächst die Anzahl<br />

der bekannten Proteinsequenzen heute<br />

täglich um mehr als hundert. Das<br />

für die Entwicklung von biologischen<br />

Wirkstoffen, aber auch für den wissenschaftlichen<br />

Fortschritt in Medizin<br />

und Biochemie wesentliche Verständnis<br />

der Funktion der entsprechenden<br />

Proteine kann jedoch letztlich nur auf<br />

der Basis der Kenntnis ihrer räumlichen<br />

Struktur gewonnen werden.<br />

Die experimentelle Aufklärung von<br />

Proteinstrukturen hinkt dramatisch<br />

hinter der Aufklärung von Proteinsequenzen<br />

her. Heute stehen geschätzten<br />

150 000 bekannten Proteinsequenzen,<br />

von denen etwa 40 000 in der im<br />

wissenschaftlichen Bereich häufig verwendeten<br />

Swissprot Datenbank gespeichert<br />

sind, weniger als 5 000 Einträge<br />

in der öffentlich zugänglichen<br />

Proteinstrukturdatenbank PDB gegenüber.<br />

Selbst unter der Annahme,<br />

daß in den nicht-öffentlichen Datenbanken<br />

der Industrie weitere 10 000<br />

Proteinstrukturen vorliegen, erscheint<br />

das Schließen der Lücke zwischen der<br />

Anzahl aufgeklärter Proteinsequenzen<br />

und Proteinstrukturen allein mit<br />

experimentellen Mitteln nicht realistisch.<br />

Hinzu kommt, daß die experimentelle<br />

Aufklärung einer Proteinstruktur<br />

äußerst zeitaufwendig ist und<br />

T I T E L<br />

auch das Risiko beinhaltet, überhaupt<br />

nicht zum Ziel zu gelangen, zum Beispiel<br />

weil sich das Protein nicht kristallisieren<br />

läßt. Dieses Problem kann<br />

durch theoretisch abgeleitete Strukturmodelle<br />

abgemildert werden, selbst<br />

wenn diese Modelle nur über Teilaspekte<br />

der Proteinstruktur, wie etwa<br />

die Faltungsklasse, Auskunft geben.<br />

Vor diesem Hintergrund hat sich das<br />

Proteinstrukturvorhersageproblem zu<br />

einem „Grand Challenge“-Problem<br />

der Molekularbiologie entwickelt.<br />

Die de novo Vorhersage einer Proteinstruktur<br />

aus einer Proteinsequenz,<br />

das heißt, Vorhersage ohne bekannte<br />

Verwandtschaften des Proteins zu aufgeklärten<br />

Strukturen, liegt für derzeitige<br />

Methoden jenseits des Erreichbaren.<br />

Vor dem Hintergrund, daß sich<br />

von der unglaublichen Fülle der möglichen<br />

Proteinsequenzen nur ein verschwindend<br />

geringer Prozentsatz unter<br />

natürlichen Bedingungen zuverlässig<br />

zu einer eindeutigen Struktur<br />

faltet, ist dies auch nicht verwunderlich.<br />

Darüber hinaus hat die Natur<br />

durch den Prozeß der Evolution aus<br />

dieser schon sehr kleinen Kandidatenmenge<br />

eine noch begrenztere Anzahl<br />

von Proteinfaltungen gewählt,<br />

um mit ihnen das Leben aufzubauen.<br />

Molekularbiologen schätzen diese<br />

Zahl auf höchstens 6 000.<br />

In Anbetracht dieser Tatsache stellt<br />

sich das Proteinstrukturvorhersageproblem<br />

nicht so sehr als ein Optimierungsproblem<br />

mit Kostenfunktionen<br />

wie Energie oder Packungsdichte,<br />

sondern vielmehr als ein Problem der<br />

Analyse der evolutionären Umgebung<br />

strukturbekannter Proteine. Die Methode<br />

der homologiebasierten Strukturmodellierung<br />

von Proteinen trägt<br />

dem Rechnung.<br />

Die homologiebasierte Modellierung<br />

geht von einer Proteinsequenz A aus,<br />

die evolutionär mit einer Proteinsequenz<br />

B verwandt ist, deren Struktur<br />

bekannt ist. Die Ähnlichkeit wird zum<br />

Beispiel durch den Prozentsatz von,<br />

in einem paarweisen Alignment von<br />

A und B zugeordneten, identischen<br />

Resten gemessen. Unter einem paarweisen<br />

Alignment versteht man die<br />

Identifizierung und Zuordnung von<br />

gleichen Teilen zweier Sequenzen un-<br />

ter Beachtung der Sequenzreihenfolge.<br />

Meist werden solche Alignments<br />

durch Untereinanderschreiben<br />

der Sequenzen notiert (siehe Abbildung<br />

1). Untersuchungen zeigen, daß,<br />

wann immer diese Ähnlichkeit von A<br />

und B einen Grenzwert – zum Beispiel<br />

25 Prozent Identität – übersteigt,<br />

eine weitgehende Strukturähnlichkeit<br />

der beiden Proteine praktisch zwingend<br />

vorliegt. Liegt die Homologie<br />

von A und B im Bereich zwischen 15<br />

Prozent und 25 Prozent, der sogenannten<br />

Twilight Zone, so ist eine<br />

evolutionäre Verwandtschaft zwischen<br />

A und B und eine daraus resultierende<br />

Strukturähnlichkeit möglich, aber<br />

nicht wahrscheinlich. Unterhalb von<br />

15 Prozent gelten die Proteine als evolutionär<br />

nicht verwandt, und Strukturaussagen<br />

über A können aus der<br />

Struktur von B im allgemeinen nicht<br />

abgeleitet werden.<br />

Im Falle einer nachweisbaren Homologie<br />

zwischen A und B besteht die<br />

homologiebasierte Strukturvorhersage<br />

aus folgenden Schritten:<br />

Schritt 1 (Alignment): Berechne ein<br />

geeignetes Alignment zwischen A und<br />

B.<br />

Schritt 2 (Rückgratplazierung): Weise<br />

den Rückgratatomen der Reste von<br />

A, denen im Alignment Reste von B<br />

gegenüberstehen, die Raumkoordinaten<br />

der Rückgratatome der zugeordneten<br />

Reste in B zu. Bei einem Proteinmolekül<br />

unterscheidet man zwischen<br />

der Hauptkette – auch Rückgrat<br />

genannt –, die unter anderem<br />

auch die Peptidbindungen enthält,<br />

und den Seitenketten. Seitenketten<br />

sind über ihr sogenanntes Cα-Atom<br />

an die Hauptkette angebunden. Die<br />

Erfahrung zeigt, daß der Rückgratverlauf<br />

eines Proteins die Gesamtstruktur<br />

des Proteins wesentlich bestimmt<br />

und in der Evolution stark konserviert<br />

wird. Die Plazierung der Rückgratatome<br />

– oft sogar nur der Cα-Atome – ist<br />

daher ein wesentliches Teilproblem<br />

der Proteinstrukturvorhersage.<br />

Schritt 3 (Schleifenmodellierung): Berechne<br />

Koordinaten für die in Schritt 2<br />

nicht plazierten Rückgratatome von<br />

A. Diese Atome stammen von Resten<br />

in A, die Lücken in der Sequenz B ge-<br />

14 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


genüberstehen. Ferner gibt es unter<br />

Umständen Teile der Struktur B, auf<br />

die keine Reste der Sequenz A abgebildet<br />

werden. Die dadurch getrennten<br />

Enden des Rückgrates müssen<br />

miteinander verbunden werden.<br />

Schritt 4 (Plazieren von Seitenketten):<br />

Plaziere die Seitenketten von A entlang<br />

des modellierten Rückgratverlaufs.<br />

Abbildung 1 illustriert diesen Prozeß.<br />

Sequenz A ist die Sequenz der Kette<br />

A einer Triosephosphat-Isomerase<br />

(Proteinstrukturdatenbank: 1timA).<br />

Sequenz B ist die Sequenz einer 2-<br />

Phospho-D-Glycerat-Hydrolase (Proteinstrukturdatenbank:<br />

4enl).<br />

Übersteigt die Ähnlichkeit von A und<br />

B etwa 50 Prozent, so ist das Alignment<br />

einfach, und häufig ist – wenn<br />

die Anzahl der Insertionen/Deletionen<br />

klein ist – auch die Modellierung<br />

der Schleifen möglich. In diesen<br />

Fällen kann man ein recht genaues<br />

Modell erwarten, wobei eine gute Seitenkettenplazierung<br />

entscheidend ist.<br />

In den für viele Anwendungen jedoch<br />

wesentlichen Bereichen niedrigerer<br />

Ähnlichkeit – zwischen 50 Prozent<br />

und 25 Prozent oder niedriger – sind<br />

die ersten drei Schritte die entscheidenden.<br />

Unser Ziel ist, die Genauigkeit<br />

der Strukturvorhersagen in den<br />

niederen Ähnlichkeitsbereichen nach-<br />

T I T E L<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

Schritt 1:<br />

1timA ...QEVHEKLRGWLKTHVSDAVAV--QSRIIYGGSVTGGNCKELASQHDVDGFLVGGASLK-<br />

PEF...<br />

|||||||| ||||| ||V ||||GGS||GG|| ||F|||| ||<br />

||F<br />

4enl ...VPLYKHLADLSKSKTSPYVLPVPFLNVLNGGSHAGGAL-------ALQEFMIAPTGA-<br />

KTF...<br />

rel 667898654444432110000 001235555554310 012222222110<br />

Schritt 2:<br />

Schritt 3: Schritt 4:<br />

Illustration der homologiebasierten Proteinmodellierung<br />

haltig zu verbessern. Dazu gehört<br />

auch, die untere Grenze der Ähnlichkeit,<br />

für die überhaupt noch sinnvolle<br />

Faltungsvorhersagen gemacht werden<br />

können – ohne daß eine vollständige<br />

Modellierung möglich wäre –, weiter<br />

nach unten zu verschieben. Hinweise<br />

auf den evolutionären Verwandtheitsgrad<br />

und die Zugehörigkeit zu einer<br />

Faltungsklasse können auch in schwierigen<br />

Fällen zu recht genauen Strukturaussagen<br />

für pharmazeutisch relevante<br />

Teile des Proteins führen (siehe Abschnitt<br />

„Proteinstrukturvorhersage“).<br />

Wir gehen im folgenden davon aus,<br />

daß A und B eine Ähnlichkeit von<br />

20 Prozent bis 50 Prozent haben, und<br />

wir konzentrieren uns auf Schritt 1<br />

der homologiebasierten Modellierung.<br />

<strong>Der</strong> folgende Abschnitt beschreibt<br />

die von uns angewandten<br />

Methoden zur Berechnung eines<br />

Strukturmodells, der Abschnitt „Proteinstrukturvorhersage“<br />

diskutiert eine<br />

Vorhersage, die wir mit diesen Methoden<br />

durchgeführt haben.<br />

Methodische Beiträge<br />

Das Alignment von Proteinsequenzen<br />

in Proteinstrukturen zum Zwecke der<br />

Erkennung der Faltungsklasse und<br />

der Strukturmodellierung von Proteinen<br />

wird auch als „Threading“<br />

bezeichnet. Threading unterscheidet<br />

sich algorithmisch vom herkömm-<br />

lichen Sequenzalignment darin, daß<br />

der evolutionäre Verwandtschaftsbegriff<br />

durch den einer Kompatibilität<br />

zwischen der Sequenz A und der<br />

Struktur B ersetzt beziehungsweise<br />

ergänzt wird. Weltweit werden seit<br />

etwa fünf Jahren Methoden zum<br />

Threading entwickelt. Die Modelle<br />

für Sequenz-Strukturbeziehungen von<br />

Proteinen und die daraus abgeleiteten<br />

Kostenfunktionen bei der Optimierung<br />

von Alignments sind dabei ein<br />

zentraler Gegenstand der Diskussion.<br />

Im Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches<br />

Rechnen der <strong>GMD</strong><br />

wurden im Rahmen des vom Bundesministerium<br />

für Bildung, Wissenschaft,<br />

Forschung und Technologie in<br />

seinem Strategieprogramm „Molekulare<br />

Bioinformatik“ geförderten<br />

PROTAL Verbundprojektes (Proteine:<br />

Sequenz, Struktur und Evolution)<br />

verschiedene Verfahren zum<br />

Threading einer Proteinsequenz A in<br />

eine Proteinstruktur B entwickelt.<br />

(Eine zusammenfassende Darstellung<br />

des PROTAL Projektes findet sich in<br />

Thomas Lengauer et al., PROTAL:<br />

Proteine, Sequenz, Struktur, Evolution.<br />

Statusseminar des Bundesministeriums<br />

für Bildung, Wissenschaft,<br />

Forschung und Technologie Bioinformatik<br />

(Gottfried Wolf, Ralph<br />

Schmidt, Marius van der Meer, Hrsg.),<br />

Deutsche Forschungsanstalt für Luftund<br />

Raumfahrt (1995) 3 bis 26). Ein<br />

Verfahren ist in dem Softwarewerkzeug<br />

123D implementiert und basiert<br />

auf der Methode der dynamischen<br />

Programmierung. Dabei werden die<br />

beiden Proteinsequenzen simultan<br />

von links nach rechts abgearbeitet,<br />

und<br />

es wird jeweils entschieden, welche<br />

Reste einander zuzuordnen sind.<br />

Diese Methode des Alignments wird<br />

seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreich<br />

bei der Analyse evolutionärer<br />

Verwandtschaften zwischen Proteinsequenzen<br />

eingesetzt. Im vorliegenden<br />

Falle ist das Alignmentkriterium<br />

aber nicht die evolutionäre Abstammung,<br />

sondern die Sequenz-Strukturähnlichkeit<br />

beider Proteine. Für diese<br />

Ähnlichkeit müssen spezielle Maße<br />

entwickelt und eingesetzt werden.<br />

In der <strong>GMD</strong> wurde nun ein struktureller<br />

Ähnlichkeitsbegriff entwickelt,<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 15


Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

α-Helix<br />

β-Strang<br />

hydrophob<br />

der nach unseren bisherigen Experimenten<br />

besonders gut zur Faltungserkennung<br />

sowie zur Abbildung wesentlicher<br />

Teile von Proteinen geeignet ist.<br />

Dieser Ähnlichkeitsbegriff unterscheidet<br />

im wesentlichen zwischen verschiedenen<br />

Kontaktdichten in unterschiedlichen<br />

Abschnitten der Proteinkette,<br />

wobei die Sekundärstrukturen<br />

berücksichtigt werden (siehe Abbildung<br />

2). Ein Kontakt ist eine Stelle,<br />

an der sich zwei in der Proteinsequenz<br />

nicht benachbarte Aminosäurereste<br />

räumlich nahestehen. Dabei ist wesentlich,<br />

zwischen Kontakten mit<br />

großen und kleinen Sequenzabständen<br />

zu unterscheiden. Erstere verbinden<br />

Teile der Proteinkette, die in der<br />

Kette weit voneinander entfernt sind.<br />

In letzteren berühren sich Teile der<br />

Kette, die auch in der Kette und nicht<br />

nur im dreidimensionalen Raum nahe<br />

beieinander liegen. <strong>Der</strong> Ähnlichkeitsbegriff<br />

wird kalibriert durch eine statistische<br />

Analyse einer bereinigten Datenbank<br />

bereits bekannter Proteinstrukturen.<br />

Diese Kalibrierung quantifiziert<br />

unser bisheriges Wissen über<br />

Proteinstrukturen.<br />

Die mit einem solchen Ähnlichkeitsbegriff<br />

ausgestattete dynamische Programmierung<br />

kann eine Proteinsequenz<br />

in Minutenschnelle gegen eine<br />

repräsentative Menge von einigen<br />

hundert strukturbekannten Proteinen<br />

alinieren und dabei die Sequenzen heraussuchen,<br />

die am besten zur gegebenen<br />

Sequenz passen. Unsere Erfahrungen<br />

mit 123D sind, daß dabei die allgemeine<br />

Struktur, insbesondere die Lage<br />

der Sekundärstrukturelemente, recht<br />

zuverlässig vorhergesagt werden kann,<br />

T I T E L<br />

Umgebung eines Restes in einer Proteinstruktur.<br />

<strong>Der</strong> dunkle Rest liegt am Ende<br />

eines β-Stranges in einer hydrophoben Umgebung<br />

und kontaktiert mit fünf anderen<br />

Resten, darunter zweien in einer α-Helix. Es<br />

gibt zwei häufig beobachtete sogenannte<br />

Sekundärstrukturelemente in Proteinen. In<br />

einer α-Helix nimmt die Polymerkette des<br />

Proteins eine sehr kompakte spiralförmig<br />

gewundene Form an. In der Natur beobachtet<br />

man immer links gewundene α-Helices.<br />

In einem β-Strang streckt sich die Polymerkette<br />

des Proteins. β-Stränge lagern gern aneinander<br />

und formen so β-Faltblätter.<br />

selbst wenn die Ähnlichkeit gering ist.<br />

Nicht alle Teile der Proteinstruktur<br />

sind für das Verständnis der Funktion<br />

eines Proteins gleich wichtig. Proteine,<br />

die Stoffwechselfunktionen ausüben,<br />

zum Beispiel Enzyme, haben ein<br />

oder mehrere aktive Zentren, meistens<br />

Gruben oder Taschen, in denen<br />

sich andere Moleküle anlagern und<br />

chemische Reaktionen katalysiert<br />

werden. Das Aussehen solcher aktiver<br />

Zentren ist besonders wesentlich. Die<br />

Modellierung dieser Taschen erfordert<br />

eine Genauigkeit bei der Proteinstrukturvorhersage,<br />

die mit dynamischer<br />

Programmierung im allgemeinen<br />

nicht zu erreichen ist. <strong>Der</strong> Grund<br />

hierfür ist, daß sich in einer Proteinstruktur<br />

Teile der Proteinsequenz gegenseitig<br />

beeinflussen können, die innerhalb<br />

der Sequenz weit voneinander<br />

entfernt sind. Die dynamische<br />

Programmierung, die beide Proteinketten<br />

simultan von links nach rechts<br />

abarbeitet und dabei weder vor noch<br />

zurück „schaut“, kann solche Beeinflussungen<br />

nicht berücksichtigen.<br />

Die durch oben genannte komplexe<br />

Wechelwirkungsnetze implizierten<br />

algorithmischen Probleme sind<br />

meist NP vollständig. NP vollständige<br />

Probleme bilden eine bekannte Klasse<br />

von Problemen, für die keine polynomialen<br />

Algorithmen bekannt sind.<br />

Ein polynomialer Algorithmus für ein<br />

solches Problem würde dann auch die<br />

polynomiale Lösung aller Probleme<br />

dieser Klasse implizieren. Daher sind<br />

zur genauen Modellierung von aktiven<br />

Zentren komplexere Alignmentmethoden<br />

notwendig.<br />

In der <strong>GMD</strong> wurde eine solche Alignmentmethode,<br />

die RDP-Methode<br />

(Recursive Dynamic Programming),<br />

entwickelt, die das Alignment gleichsam<br />

von innen nach außen angeht.<br />

Die Methode beginnt mit den „wichtigen“<br />

Teilen des Alignments und arbeitet<br />

sich schrittweise in Bereiche<br />

vor, in denen das Alignment unzuverlässiger<br />

wird. Sich aus dem Alignment<br />

ergebende Informationen über die<br />

Proteinstruktur werden bei der weiteren<br />

Alignmentberechnung berücksichtigt.<br />

In den mehrdeutigen Bereichen<br />

des Alignments wird so versucht,<br />

mittels der schon alinierten sicheren<br />

Bereiche die weiteren Alinierungen<br />

so vorzunehmen, daß ein konsistentes<br />

Bild der gesamten Struktur entsteht.<br />

Dabei werden paarweise Wechselwirkungen<br />

zwischen in der Struktur kontaktierenden<br />

Resten bewertet. Die<br />

Methode benötigt gewöhnlich eine<br />

längere Laufzeit als die dynamische<br />

Programmierung, aber auch sie kann<br />

eine Datenbank von ein paar hundert<br />

Proteinstrukturen in einigen Stunden<br />

durchsuchen.<br />

Will man ein Strukturmodell entwerfen,<br />

so ist die Erkennung signifikanter<br />

Abschnitte des Alignments wesentlich.<br />

Darunter versteht man Abschnitte,<br />

deren Korrektheit mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit angenommen werden<br />

kann. Diese Abschnitte zu finden<br />

und gewinnbringend für die sukzessive<br />

Alignmentberechung einzusetzen,<br />

ist auch ein wesentlicher Bestandteil<br />

der RDP-Methode. In der <strong>GMD</strong> wurde<br />

eine statistische Methode entwickelt,<br />

solche Zuverlässigkeiten zu<br />

schätzen. In Abbildung 1 werden beispielsweise<br />

in der Zeile rel des Alignments<br />

mit hohen Ziffern hohe Zuverlässigkeiten<br />

von Alignmentpositionen<br />

angegeben.<br />

Verfügbarkeit der Methoden<br />

Die im Projekt PROTAL entwickelten<br />

Methoden sind in ein Software-<br />

Werkzeug ToPLign (Toolbox for Protein<br />

Alignment) integriert und zum<br />

größten Teil auf dem World Wide<br />

Web über die Adresse http://www.cartan.<br />

gmd.de/ToPLign.html verfügbar.<br />

123D ist seit Mitte des Jahres 1995<br />

auch auf einem Server der amerikanischen<br />

National Institutes of Health<br />

16 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


(NIH) zugreifbar (http://www.cartan.<br />

gmd.de/123D.html (<strong>GMD</strong>) oder<br />

http://www.lmmb.ncifcrf.gov/~nicka/1<br />

23D.html (NIH, Washington DC))<br />

und beantwortet zur Zeit etwa 1000<br />

Anfragen nach Threadings pro Monat.<br />

RDP Suchläufe können über<br />

ToPLign durchgeführt werden.<br />

Proteinstrukturvorhersage:<br />

Ein Beispiel<br />

Es gibt grundsätzlich zwei Vorgehensweisen,<br />

um Methoden zur Proteinstrukturvorhersage<br />

zu validieren.<br />

Zum einen kann man von dem Datenbestand<br />

der bisher bekannten Proteinstrukturen<br />

ausgehen, wie er etwa in<br />

der Protein Data Bank gegeben ist.<br />

Solche Strukturen sind praktisch ausnahmslos<br />

mit experimentellen Methoden,<br />

zum Beispiel Röntgenkristallographie<br />

oder Kernresonanzspektroskopie,<br />

bestimmt worden. Diese Daten<br />

bereinigt man, indem man eine repräsentative<br />

Auswahl von Proteinen<br />

vornimmt, deren Strukturen besonders<br />

präzise aufgeklärt worden sind<br />

und ein möglichst breites Spektrum<br />

der bekannten Strukturen abdecken.<br />

Einige zu solchen Proteinen ähnliche<br />

und ebenfalls genau in der Struktur<br />

aufgeklärte Proteine verwendet man<br />

zum Test der Methode: Man sagt ihre<br />

Struktur vorher und vergleicht mit<br />

den experimentell ermittelten Daten.<br />

Auf diese Weise kann man statistische<br />

Untersuchungen über die Zuverlässigkeit<br />

der Vorhersagemethode anwenden.<br />

In bezug auf die beiden in der<br />

<strong>GMD</strong> entwickelten Alignmentmethoden<br />

sagen diese aus, daß strukturelle<br />

Ähnlichkeiten auch im Bereich der<br />

Twilight-Zone in vielen Fällen eindeutig<br />

erkannt werden können.<br />

Neben dieser Methode gibt es noch<br />

die Möglichkeit der Validierung anhand<br />

einer „echten“ Strukturvorhersage.<br />

Diese ist immer dann möglich,<br />

wenn eine Proteinstruktur kurz vor<br />

ihrer Aufklärung steht. Die Vorhersagemethode<br />

soll in diesem Fall einen<br />

Strukturvorschlag machen, der mit<br />

den danach experimentell erhaltenen<br />

Daten verglichen wird.<br />

Im letzten Jahr hatten wir Gelegenheit<br />

zu einer solchen „echten“ Strukturvorhersage.<br />

Die zugrundeliegende<br />

T I T E L<br />

Sequenz wurde uns über Prof. Dr.<br />

Hugo Kubinyi von der BASF Ludwigshafen<br />

und von Prof. Dr. Gerhard<br />

Folkers, Eidgenössische Technische<br />

Hochschule Zürich, übermittelt. Die<br />

Struktur war zu dieser Zeit bereits<br />

aufgeklärt, aber noch nicht veröffentlicht<br />

und uns nicht bekannt. In acht<br />

Tagen haben wir durch Einsatz unserer<br />

Methoden zur Strukturvorhersage,<br />

unserer ToPLign-Alignmentverfahren<br />

sowie von Methoden, die über das<br />

World Wide Web verfügbar sind, die<br />

Sequenz als die einer Herpes-viralen<br />

Thymidin Kinase (TK) identifizieren,<br />

ein plausibles Faltungsmodell erstellen<br />

und eine partielle Strukturvorhersage<br />

machen können. Etwa die Hälfte<br />

der Proteinsequenz konnten wir<br />

strukturell nicht modellieren. Dies ist<br />

im Nachhinein nicht überraschend,<br />

weil diese Hälfte eine Teilstruktur bildet,<br />

für die es in der Datenbank bekannter<br />

Strukturen offenbar kein Vorbild<br />

gibt. Für die Vorhersage kommt<br />

erschwerend hinzu, daß sich je zwei<br />

TK-Ketten zu einem Dimer Komplex<br />

zusammenlagern und somit nur für<br />

ein Viertel des Proteins ein geeignetes<br />

Modell in der Datenbank vorlag. In<br />

diesem Teil des Proteins konnten wir<br />

alle Sekundärstrukturelemente bis auf<br />

einen β-Strang korrekt zuordnen. Eine<br />

Zuverlässigkeitsanalyse der Alignmentpositionen<br />

hat den nicht korrekt<br />

vorhergesagten Strang als unzuverlässig<br />

aliniert qualifiziert, da in diesem<br />

Bereich eine zweite ähnlich gute<br />

Alternative für das Alignment vorlag,<br />

die sich im Nachhinein als die richtige<br />

herausgestellt hat.<br />

Besonders erfreulich ist, daß wir das<br />

aktive Zentrum des Proteins (siehe<br />

Abbildung 3) sehr genau modellieren<br />

konnten. In der Tat ist das Modell genau<br />

genug, um Hypothesen über die<br />

Wechselwirkung des Proteins mit anderen<br />

Molekülen abzuleiten. Interessant<br />

ist, daß bei einem Alignment zwischen<br />

der Thymidin Kinase und dem<br />

Strukturvorbild in der Protein Data<br />

Bank, einer Adenylat Kinase, eine Sequenzähnlichkeit<br />

von 19 Prozent herauskommt,<br />

wenn das Alignment die<br />

Übereinstimmungen in beiden Sequenzen<br />

maximiert. Bei dem strukturell<br />

abgeleiteten Alignment fällt diese<br />

Ähnlichkeit jedoch auf unter 11 Prozent.<br />

Das zeigt deutlich, daß bei der<br />

Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

Bereich von 61 Aminosäuren der Herpesviralen<br />

Thymidin Kinase, der mit einer<br />

Genauigkeit von 1.41 Ångström root mean<br />

square vorhergesagt wurde. α-Helices sind<br />

dunkel, β-Stränge hell markiert. Die beiden<br />

Liganden ATP/Adenosintriphosphat<br />

(dunkelgraues Knopfmodell) und Thymidin<br />

(hellgraues Knopfmodell) sind ebenfalls<br />

eingezeichnet.<br />

Proteinstrukturvorhersage in dieser<br />

Ähnlichkeitsklasse Alignments, die<br />

Sequenzähnlichkeiten maximieren,<br />

nicht unmittelbar von Nutzen sind.<br />

Zusammenfassung<br />

Die Vorhersage von Proteinstrukturen<br />

ist eines der Grand Challenge-<br />

Probleme der rechnergestützten Molekularbiologie.<br />

Bis heute ist es nicht<br />

möglich, Proteinstrukturen de novo<br />

vorherzusagen. Für eine zuverlässige<br />

Strukturvorhersage braucht man vielmehr<br />

ein strukturelles Modell in Form<br />

eines (Teils eines) oder mehrerer Proteine,<br />

deren Struktur bekannt ist. In<br />

diesem Fall spricht man von der homologiebasiertenProteinstrukturvorhersage.<br />

Wenn hinreichende Sequenzähnlichkeit<br />

zwischen dem strukturell<br />

zu modellierenden Protein und den<br />

Proteinketten der Strukturvorbilder<br />

gegeben und berechenbar ist, kann<br />

der Vorhersageprozeß zum Erfolg<br />

führen. Bei Sequenzähnlichkeiten von<br />

unter 25 Prozent wird der Alignmentprozeß<br />

im allgemeinen sehr schwierig.<br />

Das Beispiel der Herpes-viralen Thymidin<br />

Kinase illustriert, wo die Möglichkeiten<br />

und Grenzen der homologiebasiertenProteinstrukturvorhersage<br />

liegen. Auf der einen Seite kann<br />

man Proteine modellieren, für die nur<br />

in Teilen Strukturmodelle in der Da-<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 17


tenbank vorliegen. Die Methoden finden<br />

den Teil des Proteins heraus, der<br />

modelliert werden kann. Falls dieser<br />

Teil das aktive Zentrum des Proteins<br />

enthält, ist die Strukturvorhersage<br />

nützlich, auch wenn nicht das ganze<br />

Protein modelliert werden kann. Auf<br />

der anderen Seite findet die homologiebasierte<br />

Modellierung schon nach<br />

ihrer Konzeption dort ihre Grenzen,<br />

wo keine geeigneten Strukturvorbilder<br />

in der Datenbank vorliegen.<br />

Informatiker können zur Entwicklung<br />

von Methoden zur Proteinstrukturvorhersage<br />

in drei Bereichen beitragen.<br />

Zum einen können sie durch effiziente<br />

Implementierung die Mächtigkeit<br />

der Methoden beim Einsatz in<br />

der Molekularbiologie stark erhöhen.<br />

Ein Beispiel hierfür ist die Kodierung<br />

sorgfältig auf die Anwendung abgestimmter<br />

Varianten der dynamischen<br />

Programmierung in 123D. Zweitens<br />

können Informatiker durch die Entwicklung<br />

geeigneter Algorithmen<br />

neuartige biologische Fragestellungen<br />

für einen Rechner zugänglich machen.<br />

Ein Beispiel hierfür ist die RDP-Methode,<br />

deren baumorientierte Optimierungsverfahren<br />

die Analyse struktureller<br />

und sequentieller Abhängigkeiten<br />

in Proteinen ermöglicht.<br />

Schließlich sollten sich Informatiker<br />

aber auch an der Modellierung<br />

des molekularbiologischen Problems<br />

selbst beteiligen. Beispiel hierfür ist<br />

die Herleitung der strukturellen Ähnlichkeitsbegriffe,<br />

die den 123D- und<br />

RDP-Methoden zugrunde liegen. Zumindest<br />

die Beteiligungen der letzten<br />

beiden Arten erfordern ein hohes<br />

Maß an Interdisziplinarität. <strong>Der</strong> Ertrag<br />

aus dieser interdisziplinären Forschung<br />

hat direkte Anwendungsrelevanz<br />

der durch die Informatiker entwickelten<br />

Methoden.<br />

T I T E L<br />

....................................<br />

Prof. Dr. Thomas<br />

Lengauer, PhD ist Leiter<br />

des <strong>GMD</strong>-Instituts für<br />

Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches<br />

Rechnen. Seine derzeitigenForschungsinteressen<br />

umfassen<br />

Algorithmen für technische<br />

Anwendungen<br />

von Packungsproblemen<br />

sowie Probleme<br />

der molekularen Modellierung<br />

in Chemie<br />

und Biologie.<br />

....................................<br />

Ralf Thiele ist Mitarbeiter<br />

im <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches<br />

Rechnen. Sein Forschungsschwerpunkt<br />

im Projekt „Proteine:<br />

Sequenz, Struktur und<br />

Evolution“ liegt in der<br />

Entwicklung effizienter<br />

Algorithmen zur Proteinstrukturvorhersage,<br />

basierend auf empirischen,<br />

aus der Menge<br />

der bekannten Proteinstrukturen<br />

und<br />

-sequenzen abgeleiteten<br />

Potentialen.<br />

....................................<br />

Dr. Ralf Zimmer ist<br />

Mitarbeiter im Projekt<br />

„Proteine: Sequenz,<br />

Struktur und Evolution“.<br />

Er beschäftigt<br />

sich mit der Modellierung<br />

von Proteinstrukturen<br />

und Proteinfaltung.<br />

Sein Hauptarbeitsgebiet<br />

ist zur<br />

Zeit die Entwicklung<br />

effizienter Algorithmen<br />

zur Proteinstrukturvorhersage<br />

und für die<br />

Analyse von biologischen<br />

Sequenzen<br />

und Proteinstrukturen.<br />

Berechnung<br />

von kristallinen<br />

und amorphen<br />

molekularen<br />

Strukturen<br />

Von Detlef Hofmann,<br />

Thomas Lengauer,<br />

Christina Oligschleger<br />

und Stephan Wefing<br />

Ein Schlüssel für die Eigenschaften<br />

vieler Materialien und Wirkstoffe<br />

liegt in ihrer molekularen Struktur.<br />

Unter der molekularen Struktur versteht<br />

man in diesem Zusammenhang<br />

sowohl das chemische Bindungsgerüst<br />

als auch und insbesondere die Anordnung<br />

der Atome im Raum. Die<br />

Kenntnis der Molekülstruktur ist<br />

daher ein wesentlicher Faktor in<br />

den naturwissenschaftlichen Disziplinen<br />

Chemie, Biochemie und Molekularbiologie.<br />

Sie ist ein wichtiges Element<br />

bei der Entschlüsselung der<br />

Eigenschaften von Werk- und Wirkstoffen<br />

und unterstützt die zielgerichtete<br />

Suche nach neuartigen Substanzen.<br />

Die experimentelle Chemie stellt eine<br />

beträchtliche Zahl von Verfahren zur<br />

Aufklärung molekularer Strukturen<br />

sowie zur Bestimmung von deren<br />

Energie bereit. Zu den strukturbestimmenden<br />

Methoden gehört die<br />

Röntgenkristallographie, bei der aus<br />

Beugungsmustern, die mit Röntgenstrahlen<br />

an Kristallen aus der betrachteten<br />

Substanz gewonnen werden,<br />

Strukturinformationen abgeleitet werden.<br />

Andere Methoden sind die Kernresonanzspektroskopie,<br />

diverse Methoden<br />

der Elektronenmikroskopie sowie<br />

Methoden, die auf anderen Teilchenstrahlen<br />

(Neutronen, Positronen)<br />

oder elektromagnetischen Wellen (γ-<br />

Strahlen) beruhen.<br />

Experimentelle Methoden der Strukturaufklärung<br />

sind häufig sehr aufwendig<br />

und führen nicht in allen Fäl-<br />

18 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


len zum Erfolg. Oft ist es hilfreich,<br />

durch ein rechnergeneriertes Strukturmodell<br />

alle bekannten Strukturdaten<br />

auf ihre Konsistenz hin zu überprüfen<br />

und den Raum der möglichen<br />

Strukturen einzuschränken. Andererseits<br />

erlauben diese Modelle unter<br />

Umständen die Berechnung von noch<br />

gar nicht vermessenen Substanzeigenschaften.<br />

Für eine solche Vorhersage<br />

muß sowohl die Strukturgenerierung<br />

als auch die Berechnung der Eigenschaft<br />

ausreichend schnell und zuverlässig<br />

sein. Ist dies der Fall, kann man<br />

über die Untersuchung einzelner<br />

Substanzen hinausgehen und ganze<br />

Datenbanken auf Substanzen mit<br />

gewünschten Eigenschaften durchsuchen.<br />

Die im Rechner erzeugten<br />

Modelle können der Ausgangspunkt<br />

für weitere gezielte experimentelle<br />

Untersuchungen sein.<br />

Für vergleichende Untersuchungen<br />

über Datenbanken benötigt man einen<br />

Durchsatz von einer Strukturmodellierung<br />

innerhalb weniger Minuten,<br />

damit auch Substanzfamilien mit<br />

einigen hundert bis tausend Mitgliedern<br />

noch in angemessener Zeit bearbeitet<br />

werden können. Konzentriert<br />

man sich auf eine einzelne Substanz,<br />

so sind Rechenzeiten von Stunden bis<br />

zu einem Tag tragbar.<br />

In der <strong>GMD</strong> verfolgen wir die Methodik,<br />

zunächst mit gezielt vergröberten<br />

Modellen und diskreten Optimierungsmethoden<br />

zu arbeiten, um in einem<br />

begrenzten Zeitumfang erste<br />

Strukturvorschläge zu machen. Favorisierte<br />

Strukturvorschläge werden<br />

dann mit verfeinerten Modellen und<br />

numerischen Methoden weiter bearbeitet,<br />

um größere Genauigkeiten zu<br />

erhalten. Im folgenden beschreiben<br />

wir die Ausprägung dieser Methodik<br />

für zwei Anwendungsbereiche, nämlich<br />

die Bestimmung von Kristallstrukturen<br />

kleiner bis mittelgroßer organischer<br />

Moleküle sowie die Berechnung<br />

von Strukturvorschlägen für anorganische<br />

amorphe Verbindungen.<br />

Weitere Anwendungen, die wir bearbeiten,<br />

sind die Berechnung von molekularen<br />

Komplexen aus Proteinen<br />

und niedermolekularen Liganden<br />

T I T E L<br />

(siehe auch Karl Aberer et al., <strong>GMD</strong>-<br />

<strong>Spiegel</strong> 1/96, Seite 15 ff, und das Titelbild<br />

dieser Ausgabe) sowie die<br />

Berechnung von Proteinstrukturen<br />

(siehe Thomas Lengauer et al., Modellierung<br />

von Proteinstrukturen, in<br />

diesem Heft). Unsere Forschungen<br />

finden in gemeinsamen Projekten mit<br />

Chemiefirmen (BASF, Merck) beziehungsweise<br />

im Rahmen des Sonderforschungsbereichs<br />

408, „Anorganische<br />

Festkörper ohne Translationssymmetrie“,<br />

der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

mit Physikern<br />

und Chemikern an der Universität<br />

Bonn und der Deutschen Forschungsanstalt<br />

für Luft- und Raumfahrt statt.<br />

Modellierung von<br />

organischen Kristallen<br />

Kristalle, die aus organischen Molekülen<br />

kleiner und mittlerer Größe<br />

gebildet werden, spielen eine wichtige<br />

Rolle bei der Entwicklung von Werkstoffen<br />

wie Pigmenten, Piezokristallen,<br />

optischen Elementen und magnetischen<br />

Substanzen. Die Moleküle, die<br />

hier betrachtet werden, haben eine<br />

Größe von bis zu etwa 100 Atomen.<br />

Die Kristallstruktur bedingt wesentliche<br />

physikalische Eigenschaften der<br />

Substanz. Etwa hängen bei Pigmenten<br />

die Farbschattierungen von der Kristallstruktur<br />

ab. Ferner ist die Substanz<br />

gegenüber äußeren Einflüssen<br />

wie etwa Lichteinwirkung oder Erhitzung<br />

um so stabiler, je höher die<br />

Energie ist, die aufgewendet werden<br />

muß, um die Kristallstruktur zu verändern.<br />

Mit Methoden wie zum Beispiel der<br />

Röntgendiffraktion lassen sich Kristallstrukturen<br />

atomar auflösen. Ferner<br />

lassen sich auch die Energien der<br />

Kristalle experimentell bestimmen.<br />

Beide Verfahren sind jedoch nicht immer<br />

erfolgreich, häufig deshalb, weil<br />

sie große Einkristalle benötigen, deren<br />

Fertigung nicht immer gelingt.<br />

Daher ist es sinnvoll, Kristallstrukturen<br />

und die aus ihnen resultierenden<br />

Eigenschaften der Substanz auch<br />

rechnerisch vorhersagen zu können.<br />

Wenn man aus der Kristallstruktur die<br />

interessierende Eigenschaft der Substanz,<br />

zum Beispiel ihre Farbe, rückrechnen<br />

kann, kann man mit einer<br />

schnellen Strukturberechnung Datenbanken<br />

organischer Moleküle auf<br />

Kandidaten hin durchsuchen, deren<br />

Kristalle die gewünschte Eigenschaft<br />

haben.<br />

Wir nehmen an, daß das organische<br />

Molekül starr ist. Diese Annahme ist<br />

in verschiedenen Anwendungsbereichen,<br />

zum Beispiel bei Pigmenten,<br />

naheliegend. Es sollen favorisierte<br />

Kristallstrukturen berechnet werden,<br />

die das Molekül annimmt.<br />

Wir haben eine Methode entwickelt,<br />

die auf der Basis einer gitterförmigen<br />

Diskretisierung des Raumes energetisch<br />

favorisierte Kristallstrukturen<br />

berechnet. Die Maschenlänge des Gitters<br />

liegt bei 1 Ångström, so daß die<br />

Diskretisierung Fehler von höchstens<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

Beobachtete (grau) und berechnete (weiß)<br />

Kristallstruktur des Moleküls Bis(dimethylamino)-tetrasulfur-tetranitrid.<br />

etwa 0.9 Ångström Abweichung in<br />

sich birgt. Fehler dieser Größe sind<br />

zur Berechnung von Kristallstrukturen<br />

noch vertretbar. Bei Eingabe der<br />

Struktur des Moleküls Bis(dimethylamino)-tetrasulfur-tetranitridberechnet<br />

unser Programm FlexCryst eine<br />

Reihe von Kristallstrukturen und bewertet<br />

ihre Energie nach heuristischen<br />

Kriterien. Dabei werden Kristallstrukturen<br />

generiert, die bis auf<br />

die durch die Diskretisierung des<br />

Raumes bedingte Abweichung den<br />

tatsächlich beobachteten Kristallstrukturen<br />

gleichen.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 19


Abbildung 1 zeigt die beobachtete<br />

Kristallstruktur des Moleküls Bis(dimethylamino)-tetrasulfur-tetranitrid<br />

(grau) sowie eine von FlexCryst<br />

berechnete ähnliche Kristallstruktur<br />

(weiß). Die Abweichung zwischen<br />

beiden Strukturen ist für Analysezwecke<br />

ausreichend gering. Die Laufzeiten<br />

von FlexCryst hängen unter anderem<br />

von der Raumgruppe des Kristalls<br />

ab. Bei der einfachsten Raumgruppe<br />

liegen sie im Bereich von einer<br />

Minute. Bei komplexeren Raumgruppen<br />

kann die Zeit auf über 30 Minuten<br />

ansteigen. Zur Zeit können wir<br />

zwei Raumgruppen bearbeiten und<br />

erweitern das Programm auf weitere<br />

Raumgruppen.<br />

Die von FlexCryst erzeugten Strukturen<br />

können mit numerischen Methoden,<br />

etwa Energieminimierung, weiter<br />

verfeinert werden. Hier gibt man die<br />

Vergröberung des Raumes auf ein diskretes<br />

Raster auf und sucht dafür<br />

nicht mehr global niederenergetische<br />

Kristallstrukturen, sondern nur noch<br />

solche in unmittelbarer Nähe der<br />

Ausgangsstruktur. Die Anwendung<br />

dieser Methoden auf die Struktur in<br />

Abbildung 1 zeigt, daß die Verfeinerung<br />

die Struktur in kurzer Zeit und<br />

durch nur geringe Veränderungen auf<br />

ein energetisches Minimum führen<br />

kann, dessen Abweichung von der beobachteten<br />

Kristallstruktur sich weiter<br />

reduziert. Hätte man dagegen numerische<br />

Modellierungsmethoden auf<br />

eine zufällige Anfangsstruktur angesetzt,<br />

so hätte man bei Laufzeiten im<br />

Stundenbereich mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

Kristallstrukturen erhalten,<br />

die den beobachteten gänzlich<br />

unähnlich sind.<br />

Ein Test unseres Programms auf einer<br />

Auswahl von chemischen Verbindungen<br />

aus der Cambridge Structure Database<br />

ergab, daß in etwa einem Drittel<br />

der von uns untersuchten Fälle die<br />

Datenbank signifikante Fehler aufwies.<br />

Daher kann ein Werkzeug wie<br />

FlexCryst nicht nur zur Strukturberechnung,<br />

sondern auch zur Bereinigung<br />

von molekularen Datenbanken<br />

dienen.<br />

T I T E L<br />

Modellierung von anorganischen<br />

Gläsern<br />

Im Gegensatz zu Kristallen zeichnen<br />

sich amorphe Substanzen durch ein<br />

unregelmäßiges atomares Bindungsmuster<br />

aus. Ein Beispiel für eine<br />

amorphe Substanz ist Quarzglas.<br />

Während im Quarzkristall die atomare<br />

Anordnung regelmäßig ist (siehe<br />

Abbildung 2 (a)), liegt bei Quarzglas<br />

keine strukturelle Regelmäßigkeit vor.<br />

Gerade in dieser strukturellen Unregelmäßigkeit<br />

liegt die Besonderheit<br />

amorpher Substanzen, die sie zum Beispiel<br />

für hitzebeständige Keramiken,<br />

optische Leiter, Halbleiter und magnetische<br />

Materialien in verschiedenen Umfeldern<br />

besonders attraktiv machen.<br />

Viele der experimentellen<br />

Methoden zur<br />

Strukturbestimmung beruhen<br />

gerade auf der<br />

signalverstärkenden Eigenschaft,<br />

die Kristalle<br />

aufgrund ihrer regelmäßigen<br />

Struktur haben.<br />

So sind im Gegensatz<br />

zum Kristall die<br />

Koordinaten der Atome<br />

in einer amorphen Substanz<br />

experimentell in<br />

der Regel nicht direkt<br />

zugänglich. Darum ist<br />

die experimentelle Bestimmung<br />

amorpher<br />

Strukturen besonders<br />

schwierig, und der<br />

rechnergestützten Modellierung<br />

amorpher<br />

Strukturen kommt eine<br />

besondere Bedeutung<br />

zu. Insbesondere ist die<br />

Bestimmung einer einzelnen<br />

amorphen Struktur<br />

wenig aussagekräftig.<br />

Vielmehr muß man<br />

Ensembles solcher Modelle<br />

erzeugen, die mit<br />

experimentellen Daten<br />

verträglich sind, und auf<br />

ihnen statistische Rechnungen<br />

vornehmen, um<br />

dem Wesen der amorphen<br />

Substanz auf die<br />

Spur zu kommen. Das<br />

stellt besonders hohe Anforderungen<br />

an die Performanz einer rechnergestützten<br />

Methode zur Bestimmung<br />

amorpher Strukturen.<br />

Ein in der <strong>GMD</strong> entwickeltes Programm<br />

zur Modellierung amorpher<br />

Molekülcluster berechnet die in Abbildung<br />

2(b) dargestellte Quarzglasstruktur<br />

mit etwa 2 000 Atomen. Aufgrund<br />

der großen Anzahl von Atomen<br />

und der damit verbundenen<br />

großen Anzahl von Freiheitsgraden<br />

benötigt die Modellierung länger als<br />

im kristallinen Fall, nämlich bis zu einigen<br />

Stunden. Grundlage ist hier<br />

wiederum ein diskretes Strukturmodell.<br />

Diesmal wird jedoch nicht der<br />

Raum diskretisiert, sondern die Men-<br />

Abbildung 2 a: <strong>GMD</strong><br />

Quarzkristall<br />

Abbildung 2 b: <strong>GMD</strong><br />

Quarzglas<br />

20 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


ge der Variationsmöglichkeiten bei<br />

der Festlegung von atomaren Bindungspartnern.<br />

Die mit dem Programm<br />

erzeugten Strukturmodelle<br />

sind im Innern naturgetreu, leiden jedoch<br />

am Rand unter der Tatsache,<br />

daß die Atome an der Oberfläche in<br />

einer für sie „untypischen“ Umgebung<br />

liegen. Wir sind zur Zeit dabei,<br />

durch die Einbringung periodischer<br />

Randbedingungen Oberflächen aus<br />

unseren Modellen zu eliminieren. Ferner<br />

erweitern wir das Programm auf<br />

andere amorphe Substanzen.<br />

Mit unseren Kooperationspartnern im<br />

Sonderforschungsbereich 408, „Anorganische<br />

Festkörper ohne Translationssymmetrie,“<br />

an der Universität<br />

Bonn entwickeln wir zur Zeit Methoden<br />

zur Verfeinerung der erzeugten<br />

Strukturmodelle. Eine Validierung<br />

der Strukturmodelle verläuft bei<br />

amorphen Substanzen durch Rückrechnung<br />

von Spektren und Korrelationsfunktionen<br />

aus dem Modell und<br />

ihren Vergleich mit entsprechenden<br />

gemessenen Daten.<br />

Zusammenfassung und Ausblick<br />

Die Rechnergestützte Modellierung<br />

molekularer Strukturen entwickelt<br />

sich zunehmend zu einer Analysemethode<br />

in der Chemie. Neben der experimentellen<br />

Untersuchung chemischer<br />

Werk- und Wirkstoffe und einer<br />

Theoriebildung auf dem Papier ist die<br />

Methode der Simulation chemischer<br />

Strukturen und Reaktionen bereits<br />

heute zur dritten Säule wissenschaftlicher<br />

Untersuchungen von chemischen<br />

Fragestellungen geworden.<br />

In der <strong>GMD</strong> beteiligen wir uns an dieser<br />

wissenschaftlichen Unternehmung<br />

in den Bereichen Molekularbiologie/Biochemie<br />

(Strukturen von Proteinen<br />

und Berechnung molekularer<br />

Wechselwirkungen zwischen Proteinen<br />

und organischen Wirkstoffen),<br />

organische Chemie (Berechnung von<br />

Kristallstrukturen organischer Moleküle),<br />

und anorganische Chemie<br />

(Strukturmodellierung kovalenter<br />

T I T E L<br />

Gläser). Neuartige diskrete Modellierungsmethoden<br />

sind in allen Fällen<br />

der Schlüssel für eine schnelle Berechnung<br />

plausibler Strukturvorschläge,<br />

die mit numerischen Methoden<br />

verfeinert werden können. Die Effizienz<br />

der Modellierungsalgorithmen<br />

ist so hoch, daß vergleichende Studien<br />

über größere Mengen von Verbindungen<br />

möglich werden.<br />

Heute sind die experimentelle und die<br />

rechnergestützte Untersuchung chemischer<br />

Verbindungen noch weitgehend<br />

voneinander getrennte Methoden.<br />

Wir versprechen uns einen erheblichen<br />

Fortschritt von der Verzahnung<br />

experimenteller und rechnerbasierter<br />

Methoden. Das langfristige<br />

Ziel liegt darin, in sorgfältig abgestimmten<br />

Untersuchungsfolgen, die<br />

mehrfach zwischen Experiment und<br />

Rechnermodellierung wechseln, die<br />

bereits angesammelten Strukturinformationen<br />

optimal zu nutzen und so in<br />

akzeptabler Zeit und mit hoher Sicherheit<br />

zu zuverlässigen Bestimmungen<br />

molekularer Strukturen zu kommen.<br />

....................................<br />

Dr. Detlef Hofmann<br />

arbeitet im Bereich<br />

rechnergestützte<br />

Chemie des <strong>GMD</strong>-Instituts<br />

für Algorithmen<br />

und Wissenschaftliches<br />

Rechnen. Sein<br />

Forschungsschwerpunkt<br />

ist die Entwicklung<br />

neuer Methoden<br />

zur Vorhersage von<br />

Kristallstrukturen organischer<br />

Moleküle.<br />

....................................<br />

Prof. Dr. Thomas<br />

Lengauer, PhD ist Leiter<br />

des <strong>GMD</strong>-Instituts für<br />

Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches<br />

Rechnen. Seine derzeitigenForschungsinteressen<br />

umfassen<br />

Algorithmen für technische<br />

Anwendungen<br />

von Packungsproblemen<br />

sowie Probleme<br />

der molekularen Modellierung<br />

in Chemie<br />

und Biologie.<br />

....................................<br />

Dr. Christa Oligschleger<br />

ist Physikerin und<br />

arbeitet im Projekt<br />

„Computational<br />

Chemistry“ am <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für Algorithmen<br />

und Wissenschaftliches<br />

Rechnen.<br />

Ihr Aufgabenbereich<br />

liegt in der Untersuchung<br />

von Strukturen<br />

anorganischer Festkörper<br />

und der Simulation<br />

dynamischer Eigenschaften,<br />

dazu wird<br />

auch der Parallelrechner<br />

SP-2 eingesetzt.<br />

....................................<br />

Dr. Stephan Wefing ist<br />

Chemiker im Projekt<br />

„Computational<br />

Chemistry“ am <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für Algorithmen<br />

und Wissenschaftliches<br />

Rechnen.<br />

Sein Arbeitsschwerpunkt<br />

ist die Modellierung<br />

amorpher Festkörper.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 21


SCENE — Bilder<br />

in der Medizin<br />

Von Thomas Berlage<br />

Bilder aus dem menschlichen Körper<br />

spielen eine immer größere Rolle in<br />

der Medizin. Seit der Erfindung der<br />

Röntgenstrahlen fasziniert die Idee, in<br />

den Menschen hineinblicken zu können.<br />

Von Ultraschall zu Magnetresonanzverfahren,<br />

von Video zur Endoskopie,<br />

immer mehr stützt sich die<br />

ärztliche Diagnose auf bildgebende<br />

Verfahren. Auflösung und Qualität<br />

der Bilder steigen ständig. Dadurch ist<br />

vieles leichter zu erkennen, gleichzeitig<br />

tauchen aber auch mehr Details<br />

auf, die für die Diagnose entscheidend<br />

sein können. Die Aufgabe des Arztes<br />

ist also nicht einfacher geworden, im<br />

Gegenteil, die feineren Unterscheidungsmöglichkeiten<br />

bedingen eine<br />

höhere Detailkenntnis und Erfahrung.<br />

<strong>Der</strong> Projektbereich SCENE des<br />

<strong>GMD</strong>-Instituts für Angewandte Informationstechnik<br />

entwickelt Ansätze,<br />

wie die Informationstechnik den Mediziner<br />

hier unterstützen kann. Eine<br />

Schlüsseltechnik dafür nennt sich erweiterte<br />

Realität (augmented reality),<br />

die Integration zwischen dem technischen<br />

Abbild der Wirklichkeit und einer<br />

korrespondierenden Modellvorstellung.<br />

Heutige Computersysteme<br />

sind dazu in der Lage, animierte dreidimensionale<br />

Objekte darzustellen,<br />

die gedankliche Vorstellungen über<br />

die Abläufe im menschlichen Körper<br />

anschaulich machen können.<br />

Beispiel:<br />

Ultraschall in der Kardiologie<br />

Eine typische Anwendung dieser<br />

Technik sind Ultraschalluntersuchungen<br />

des Herzens. Zur Interpretation<br />

der Ultraschallbilder ist ein sehr differenziertes<br />

räumliches Vorstellungsvermögen<br />

notwendig. Damit aus „Sehen“<br />

auch „Erkennen“ wird, muß der Arzt<br />

unbewußt visuelle Erwartungen aufbauen,<br />

denn Erkennen ist ein aktiver<br />

Prozeß. Normalerweise werden solche<br />

Erwartungsmuster durch lange Erfahrung,<br />

verbale Erläuterungen und vereinzelte<br />

Bilder vermittelt.<br />

T I T E L<br />

Für diese Situation hat die Projektgruppe<br />

den EchoSimulator konstruiert,<br />

eine Simulation, die neben dem<br />

Ultraschallbild auch ein animiertes<br />

Herzmodell zeigt. Das Herzmodell<br />

veranschaulicht genau die Modellvorstellungen,<br />

die ein erfahrener Kardiologe<br />

vom Herzen hat. Ein angehender<br />

Facharzt kann eine Ultraschalluntersuchung<br />

anhand dieses Modellherzens<br />

simulieren, um den Übergang zwischen<br />

den Denkvorstellungen und<br />

dem aktuellen Ultraschallbild zu trainieren.<br />

Auf diese Weise werden die<br />

notwendigen Erwartungsmuster viel<br />

schneller als bisher aufgebaut und<br />

Fehlvorstellungen von vorneherein<br />

vermieden.<br />

Am Simulator bewegt der Arzt einen<br />

simulierten Ultraschallkopf über einen<br />

Plastiktorso. Ein Sensor übermittelt<br />

Position und Orientierung des<br />

Kopfes an den Rechner. Dieser erzeugt<br />

eine Visualisierung der Abbildungsebene<br />

innerhalb des Herzens<br />

(Abbildung 2 rechts) und ein Schnittbild,<br />

das dem tatsächlichen Ultraschallbild<br />

entspricht (Abbildung 2<br />

links). Natürlich sind beide Darstellungen<br />

animiert: sie bilden auch den<br />

Herzschlag nach.<br />

Am Simulator trainiert der Arzt die<br />

Beziehung zwischen der Vorstellung<br />

vom Herzen und den tatsächlichen<br />

Ultraschallbildern. Gleichzeitig ist<br />

das System dazu geeignet, typische<br />

Schwierigkeiten des Ultraschalls und<br />

ihre Ursache am Modell zu demonstrieren,<br />

zum Beispiel in einem Ultraschallfortbildungskurs.<br />

Dieses Beispiel zeigt,<br />

wie die intuitive Veranschaulichung<br />

von medizinischen<br />

Vorstellungen<br />

in der Konfrontation<br />

mit realen Bildern dem<br />

behandelnden Arzt eine<br />

wirksame Orientierung<br />

geben kann. Diese Orientierung<br />

kann in verschiedenen<br />

Situationen<br />

wirksam werden:<br />

– Ausbildung: Grundlegende<br />

Vorstellungen<br />

werden schneller und<br />

ausführlicher vermittelt.<br />

– Diagnose: Modelle entlasten den<br />

Prozeß der Diagnosefindung; die<br />

Konfrontation von realen Bildern mit<br />

anschaulichen Modellvorstellungen<br />

bestimmter Krankheitsbilder erleichtert<br />

die Entscheidung, ersetzt sie aber<br />

nicht.<br />

– Behandlung: Ein Modell kann den<br />

Zustand des Patienten widerspiegeln<br />

und an weiterbehandelnde Personen<br />

kommunizieren.<br />

<strong>Der</strong> oben beschriebene EchoSimulator<br />

ist primär für die Ausbildung gedacht,<br />

die Unterstützung für die Diagnose<br />

wird in einer Industriekooperation<br />

unter dem Namen CardiAssist<br />

entwickelt.<br />

Das Projekt CardiAssist<br />

In dem europäischen Verbundprojekt<br />

CardiAssist, unterstützt durch das<br />

Förderprogramm Gesundheits-Telematik<br />

der Europäischen Union, will<br />

die <strong>GMD</strong> solche Unterstützungsleistungen<br />

beispielhaft umsetzen. In Kooperation<br />

mit Medizinern aus Universitätskliniken<br />

und Firmen der Medizintechnik<br />

werden Herzmodelle als<br />

Orientierungshilfen in kommerzielle<br />

Ultraschallgeräte integriert.<br />

Die dort entstehenden Prototypen<br />

werden für die kardiologische Ausbildung<br />

konzipiert, für die Diagnosefindung<br />

anhand dreidimensionaler<br />

Ultraschallbilder und zur Falldokumentation<br />

und Falldiskussion über<br />

Telekonsultation.<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

Simulation einer Ultraschalluntersuchung<br />

22 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


T I T E L<br />

Abbildung 2 : <strong>GMD</strong><br />

Bildschirm des EchoSimulators<br />

Ein typisches Szenario für dieses Projekt<br />

könnte sich etwa wie folgt abspielen.<br />

Ein neugeborenes Kind mit einem<br />

angeborenen Herzfehler wird in<br />

einer<br />

kardiologischen Klinik untersucht.<br />

Unter anderem erstellt die Kardiologin<br />

ein dreidimensionales Ultraschallbild<br />

des Herzens. Angeborene Fehlbildungen<br />

können mitunter sehr ungewöhnliche<br />

Formen haben, die zu ihrer<br />

Beurteilung und Behandlung eine<br />

konkrete räumliche Vorstellung bedingen.<br />

Dabei hilft die dreidimensionale<br />

Aufnahme mit dem begleitenden<br />

(Normal)modell.<br />

Die chirurgische Behandlung ist aber<br />

nur in einer entfernten Klinik möglich.<br />

Es bleibt nur wenig Zeit, um festzustellen,<br />

wer in der Lage ist, diesen<br />

Eingriff vorzunehmen. Die Ärztin<br />

kann nun das Normalmodell soweit<br />

variieren, daß es die wesentlichen<br />

Merkmale des realen Herzens wiedergibt.<br />

Diese Darstellung zusammen mit<br />

dem Ultraschallbild erlaubt dann eine<br />

sehr schnelle Beurteilung durch einen<br />

Chirurgen. Zu diesem Zweck wird eine<br />

Telekonsultation über das Integrated<br />

Services Digital Network (ISDN)<br />

aufgerufen, in der beide Ärzte den<br />

Fall diskutieren und die umgehende<br />

Überweisung des kleinen Patienten<br />

anordnen. Im entfernten Hospital angekommen,<br />

ist bereits alles zur Operation<br />

vorbereitet, ohne erneut langwierige<br />

Untersuchungen wiederholen<br />

zu müssen.<br />

Telekommunikationstechniken erlauben<br />

in allen Situationen die Zusammenarbeit<br />

zwischen entfernten Partnern.<br />

In der Ausbildung können hospitierende<br />

Studenten später auch in<br />

anderen Krankenhäusern weiter betreut<br />

werden. Diagnoseprobleme können<br />

mit entfernten Kollegen besprochen<br />

werden, und die Überweisung<br />

zur Folgebehandlung wird von einer<br />

anschaulichen Falldokumentation<br />

elektronisch begleitet.<br />

Die Dokumentation des Falles kann<br />

später aufbereitet wiederum Studenten<br />

zur Verfügung gestellt werden, um<br />

die Diagnose und Behandlung solcher<br />

Fehlbildungen für die Zukunft im Simulator<br />

zu trainieren.<br />

Virtuelle Szenen<br />

Als tragendes Konzept während der<br />

erwähnten Entwicklungen hat sich der<br />

Begriff der Szene erwiesen. Räumliche<br />

und bewegte Szenen – wie etwa<br />

das Herz mit der Visualisierung des<br />

Schallkopfes und der Bildebene, eingebettet<br />

in den Brustkorb, siehe Abbildung<br />

2 – bieten einerseits Anknüpfungspunkte<br />

für vorhandene Erwartungen,<br />

vermitteln darüber hinaus<br />

aber auch neue und detaillierte Vorstellungen.<br />

Die räumliche Struktur einer Szene<br />

kommt der menschlichen Wahrnehmung<br />

entgegen, weil wir von Geburt<br />

an die Umwelt in der gleichen Weise<br />

wahrnehmen und erforschen. Dreidimensionale<br />

Darstellungen veranschaulichen<br />

unmittelbar räumliche<br />

und strukturelle Zusammenhänge.<br />

Die Szene vermittelt eine Orientierung<br />

für das Zurechtfinden in den<br />

Bilddetails. Die Orientierung erlaubt<br />

es dem Betrachter, sich sofort auf die<br />

relevanten Details zu konzentrieren.<br />

Mit zunehmendem Wissen wird die<br />

Szene immer vertrauter, aber ähnlich<br />

wie in der Realität wird die Visualisierung<br />

nicht als Belastung empfunden,<br />

sondern unbewußt ausgeblendet, so<br />

daß die Details wirksam werden<br />

können.<br />

Zu diesem Zweck muß sich der Betrachter<br />

natürlich in der Szene bewegen<br />

und sich Einzelheiten genau betrachten<br />

können. Übertragen auf das<br />

Herzmodell heißt dies, daß man die<br />

Betrachtungsposition ändern kann, also<br />

quasi um das Herz herumgeht. Man<br />

kann näher herangehen, aber auch<br />

Teile des Herzens transparent machen<br />

oder wegblenden, um die Innenstruktur<br />

zu erforschen, wie etwa die Herzklappen.<br />

Neben der Orientierung bietet eine<br />

Szene aber auch bildhafte Erklärungen.<br />

Die Szene ist nicht nur der umschließende<br />

Raum für etwaige Details<br />

wie das Ultraschallbild, sondern bietet<br />

gleichzeitig auch Anhaltspunkte zum<br />

Verstehen dieser Ultraschallbilder.<br />

Für die Diagnose und das Verständnis<br />

von Herzkrankheiten spielen das Bewegungsverhalten<br />

und das Zusammenspiel<br />

der einzelnen Herzstrukturen<br />

eine entscheidende Rolle. Die<br />

Funktionsweise der Herzklappen muß<br />

verstanden sein, um Abweichungen in<br />

der Bewegung feststellen und in ihrer<br />

Tragweite beurteilen zu können.<br />

Animierte Computergrafiken sind ein<br />

neues Medium, in dem solche komplexen<br />

Strukturen und Abläufe veranschaulicht<br />

werden können. Im Gegensatz<br />

zum Trickfilm kann ein Benutzer<br />

aber interaktiv eingreifen und sich auf<br />

interessante Teile konzentrieren. Dies<br />

ist eine Voraussetzung, um Erklärungen<br />

auch in der alltäglichen Arbeitssituation<br />

benutzen zu können.<br />

Noch wenig ausgelotet sind die Möglichkeiten<br />

der Interaktion mit solchen<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 23


Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

Herz mit Darstellung des Klappenapparates<br />

Systemen: der Benutzer kann aktiv<br />

werden und simulierte Reaktionen<br />

hervorrufen. Damit ist auch aktives<br />

Handeln in komplexen Prozessen trainierbar.<br />

Im Gegensatz zu einem reinen Simulator<br />

kann die Szene aber auch Wirkungsmechanismen<br />

veranschaulichen.<br />

Beispielsweise würde ein simpler Simulator<br />

nur das Ultraschallbild zeigen.<br />

Damit wäre zwar gewonnen, daß<br />

keine Probanden mehr gebraucht<br />

werden – was übrigens für chirurgische<br />

Simulatoren ein sehr entscheidender<br />

Faktor ist – aber es fehlt die<br />

dazugehörige grafische Erläuterung<br />

des Geschehens, die die Bilder erst<br />

verständlich macht.<br />

Entwicklungsprozeß<br />

Eine andere Erkenntnis der bisherigen<br />

Arbeiten betrifft den Entwicklungsprozeß.<br />

Die Visualisierung komplexer<br />

Modelle ist mit heutigen Computersystemen<br />

weitgehend problemlos,<br />

wenn auch sehr mühselig, die eigentliche<br />

Herausforderung liegt aber<br />

in der Entwicklung und Umsetzung<br />

geeigneter Modellvorstellungen. Nie<br />

zuvor hatten Mediziner die Möglichkeit<br />

und die Anforderung, ihre Vorstellungen<br />

in einem dynamischen Medium<br />

zu realisieren. Die intensive<br />

Auseinandersetzung zwischen Medizinern<br />

und Informatikern, Psychologen<br />

und Designern ist notwendig, um<br />

wirksame Unterstützungsleistungen<br />

T I T E L<br />

zu realisieren.<br />

Es ist unmittelbar anschaulich, daß etwa<br />

ein Informatiker allein kaum in<br />

der Lage wäre, eine diagnostisch korrekte<br />

Herzdarstellung zu finden. Aber<br />

auch die Mediziner tun sich schwer,<br />

ihr Wissen in grafische Modelle umzusetzen.<br />

Erst in der Konfrontation mit<br />

einem anfaßbaren Zwischenergebnis<br />

kann der Mediziner seine Vorstellungen<br />

artikulieren.<br />

So ist auch das Herzmodell in SCENE<br />

entstanden. Erste rudimentäre Modelle<br />

wurden noch mit einfachen Entwicklungswerkzeugen<br />

konstruiert.<br />

Die Detaillierung war zwar erkennbar<br />

ungeeignet zur Vermittlung anatomischer<br />

Vorstellungen, aber die interaktive<br />

Bedienung ließ die medizinischen<br />

Kooperationspartner (Prof. Dr. Dierk<br />

A. Redel, Universitätskinderklinik<br />

Bonn) bereits die möglichen Anwendungen<br />

erkennen. Die Detailkritik<br />

der Mediziner führte zu einer ständigen<br />

Verfeinerung des Modells in aufwendigen<br />

Modellierungsverfahren.<br />

Beispielsweise wurden zur Darstellung<br />

des Klappenapparates Erwachsenenkardiologen<br />

hinzugezogen (Prof.<br />

Dr. Reinhard Griebenow, Universitätsklinik<br />

Köln-Merheim).<br />

Damit wird auch deutlich, daß es bei<br />

der Modellierung nicht auf die unkritische<br />

Abbildung einer wie auch immer<br />

gearteten Wirklichkeit ankommt.<br />

Das Herzmodell, so wie es ist, wird<br />

nie mit der Realität verglichen werden<br />

können, weil mit dem Öffnen des<br />

Brustkorbs das Herz aufhört zu schlagen<br />

und in sich zusammensinkt. Statt<br />

dessen repräsentiert das Modell die<br />

Vorstellungen des Kardiologen, die er<br />

zur Diagnosefindung benutzt.<br />

Zukunftsaussichten<br />

Natürlich lassen sich die erwähnten<br />

Techniken in fast allen medizinischen<br />

Bereichen anwenden. Es seien hier<br />

beispielhaft folgende Ansätze genannt:<br />

– Kardiologie: Die Veranschaulichung<br />

von Medikamentenwirkungen<br />

unterstützt Arzt und Patient in der<br />

richtigen Medikamentierung.<br />

– Gynäkologie: Auch in der Gynäkologie<br />

kann die Ultraschallunter-<br />

suchung durch Modelle unterstützt<br />

werden. Trainingsmechanismen verbessern<br />

die Diagnose aufgrund von<br />

Mikroskopbildern in der routinemäßigen<br />

Krebsvorsorgeuntersuchung.<br />

– Neurologie: Die Beziehung zwischen<br />

Bildern der Hirnaktivität und<br />

den auftretenden Störungen stellt<br />

hohe Anforderungen an das Vorstellungsvermögen<br />

des Mediziners.<br />

Ein weiterer Schritt betrifft die Einbeziehung<br />

der gesamten Situation des<br />

Arztes einschließlich der Beziehung<br />

zu seinen Patienten. Unterstützungssysteme,<br />

wie in SCENE entwickelt,<br />

werden auch Befähigungssysteme genannt.<br />

Sie vermitteln in der Arbeitssituation<br />

neue Fähigkeiten abgestimmt<br />

auf die Bedürfnisse des nutzenden<br />

Arztes. Auch die Patienten<br />

profitieren von dieser Technik. Sie erhalten<br />

nicht nur eine qualifiziertere<br />

Behandlung, sondern können durch<br />

die erklärenden Modelle selber die<br />

Situation besser verstehen.<br />

Dieses Szenario, in dem Arzt und Patient<br />

nicht durch die Technik getrennt<br />

sind, sondern, in dem Informationsund<br />

Kommunikationstechnik das Zusammenwirken<br />

beider stärken, wird<br />

in dem Modell des „Behandlungsraums<br />

der Zukunft“ verdeutlicht<br />

(Abbildung 4).<br />

Die Beziehung zwischen Arzt und Patient<br />

steht im Mittelpunkt des Geschehens.<br />

An den Wänden werden in<br />

einer gemeinsamen Szene situationsunterstützende<br />

Veranschaulichungen<br />

gegeben, die von der aktuellen Untersuchung<br />

beeinflußt werden. Neben<br />

den wichtigsten Fakten aus der Patientenakte<br />

findet man dort Bildaufnahmen,<br />

wie Ultraschall und Röntgen,<br />

zusammen mit erläuternden Modellen.<br />

Dies hilft dem Arzt bei der<br />

Diagnose, aber auch dem Patienten<br />

zum Verständnis. Arzt und Patient<br />

können sich über diesen gemeinsamen<br />

Bezug unterhalten, der Arzt wird die<br />

Modelle als Vermittlungsmedium benutzen.<br />

Auch Informationen aus Online-<br />

Diensten zu bestimmten Krankheitsbildern<br />

oder möglichen Medikationen<br />

können so abgerufen werden. Zur Te-<br />

24 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />

Behandlungsraum der Zukunft<br />

lekonsultation werden andere Ärzte<br />

hinzugeschaltet, um die gemeinsame<br />

Diskussion auch über räumliche<br />

Grenzen hinweg zu führen. Neue Interaktionstechniken,<br />

beispielsweise<br />

Video, Gestik, Spracherkennung, werden<br />

benötigt, um mit den neuen Systemen<br />

zu arbeiten. Im Gegensatz zu<br />

heute lenkt die Technik den Arzt<br />

nicht vom Patienten ab, sondern bezieht<br />

beide kooperativ mit ein.<br />

Auch wenn das konkrete Szenario sicherlich<br />

nicht so schnell Einzug in die<br />

Praxis des Hausarztes finden wird,<br />

zeigt es doch auf, wie moderne Technik<br />

den Menschen sanft unterstützen<br />

kann. Gerade der niedergelassene<br />

Arzt braucht zum lebenslangen Lernen<br />

Unterstützung, um mit dem rasanten<br />

Fortschritt der Medizin Schritt<br />

halten zu können.<br />

....................................<br />

Dr. Thomas Berlage<br />

arbeitet im <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für Angewandte<br />

Informationstechnik<br />

an interaktiven Telekonsultationssystemen<br />

für die Kardiologie<br />

und leitet das europäischeVerbundprojekt<br />

CardiAssist.<br />

T I T E L<br />

CardiAssist:<br />

Unterstützung der<br />

kardiologischen<br />

Diagnose und<br />

Telekommunikation<br />

durch<br />

Enablingsysteme<br />

und 3D Ultraschall<br />

Von Thomas Berlage<br />

Telekonsultation spielt eine zunehmend<br />

wichtigere Rolle in der Medizin.<br />

Sie ermöglicht Ärzten, eine Diagnose<br />

mit einem räumlich entfernten Kollegen<br />

zu besprechen, ohne den Patienten<br />

zu einer erneuten Untersuchung<br />

dorthin zu schicken. Sie ermöglicht<br />

einen nahtlosen Übergang zwischen<br />

der Diagnosestellung und der anschließenden<br />

Behandlung an einem<br />

beliebigen Ort. Telekonsultation kann<br />

lebensrettend sein, wenn in Notfällen<br />

oder abgelegenen Gebieten kein Spezialist<br />

vor Ort erreichbar ist.<br />

Das im Telematik-Programm der Europäischen<br />

Union geförderte Projekt<br />

CardiAssist hat ein Telekonsultationsverfahren<br />

für die Kardiologie zum<br />

Ziel, basierend auf dreidimensionalen<br />

Ultraschallbildern. Dem EchoCom-<br />

System liegen zwei wesentliche Ideen<br />

zugrunde:<br />

– Dreidimensionale Ultraschallbilder<br />

des Patienten werden in ein künstliches<br />

animiertes Oberflächenmodell<br />

des Herzens integriert. Das Herzmodell<br />

stellt eine virtuelle 3D-Szene dar,<br />

die zur räumlichen Orientierung dient<br />

und visuelle Erwartungsmuster für die<br />

Bildinterpretation bereitstellen soll.<br />

Interaktive Funktionen, wie das Auswählen<br />

von bestimmten Bildebenen<br />

und die Markierung und Annotation<br />

von Regionen, unterstützen die implizite<br />

Kommunikation zwischen den<br />

Partnern.<br />

– Das Herzmodell stellt ein „gemeinsames<br />

Artefakt“ zur Telekommunikation<br />

dar, das die folgenden Komponenten<br />

enthält: eine Repräsentation<br />

der Partner als virtuelle Akteure, eine<br />

Unterscheidung zwischen dem Kontext<br />

(der Patientenakte) und den individuellen<br />

Inhalten (Bildern, Meßwerten<br />

etc.), Konversation in Form von<br />

Audiosequenzen und Textnachrichten<br />

sowie einem Satz von Werkzeugen zur<br />

Manipulation.<br />

Das Zusammenspiel dieser beiden<br />

Konzepte stellt eine szenische Kommunikationsschnittstelle<br />

dar. Eine szenische<br />

Schnittstelle visualisiert eine<br />

Abstraktion in den gewohnten Dimensionen<br />

von Raum und Zeit. Die<br />

Struktur der Szene folgt den physikalischen<br />

Gesetzen. Außerdem ist eine<br />

Szene nicht nur passiv, sondern zeigt<br />

ein Verhalten, das nicht vom Benutzer<br />

selbst angestoßen wurde. Die raumzeitliche<br />

Natur der Szene ermöglicht<br />

es, solche Veränderungen natürlich<br />

wahrzunehmen, ohne sich auf die Einzelheiten<br />

der Szene zu konzentrieren.<br />

Szenische Kommunikationsschnittstellen<br />

basieren auf den folgenden<br />

drei fundamentalen Eigenschaften:<br />

– Orientierung. Die Kommunikationspartner<br />

benötigen eine Übersicht über<br />

die Situation und ihre eigene Beziehung<br />

dazu; sie müssen sich gegenseitig<br />

und die jeweiligen Standpunkte wahrnehmen<br />

können.<br />

– Visuelle Erklärung. Die grafische<br />

Struktur der Szene und ihr zeitliches<br />

Verhalten dienen zur Erklärung der<br />

Historie des Geschehens, der aktuellen<br />

Beziehungen der Einzelteile und<br />

der zukünftigen Aktionsmöglichkeiten.<br />

– Implizite Kommunikation. Die<br />

Partner kommunizieren durch Zeigeoperationen<br />

und Änderungen der<br />

Szene.<br />

Im folgenden werden zunächst unsere<br />

Erfahrungen mit szenischen Interfaces<br />

(Abschnitt 2) und gemeinsamen<br />

Artefakten (Abschnitt 3) geschildert.<br />

Anschließend werden die drei genannten<br />

Eigenschaften näher untersucht,<br />

die nach unserer Meinung wichtige<br />

Aspekte virtueller Modelle für<br />

die Telekommunikation beschreiben.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 25


Obwohl EchoCom bisher nur zum<br />

Teil implementiert ist, haben wir einige<br />

dieser Annahmen durch Beobachtungen<br />

in einem Ultraschallkurs verifiziert.<br />

In diesem Kurs wurde das vorher<br />

entwickelte System EchoSim als<br />

Vermittlungsmedium verwendet.<br />

EchoSim ist ein Trainingssystem für<br />

die Echokardiographie, das ebenfalls<br />

ein szenisches Interface mit einem virtuellen<br />

Herzmodell verwendet.<br />

Erfahrungen mit<br />

szenischen Visualisierungen<br />

für Ultraschalltraining<br />

Im Projekt SCENE wurde in der<br />

<strong>GMD</strong> ein Trainingssystem für die<br />

Echokardiographie entwickelt, dessen<br />

Konzepte auch für die Telekonsultation<br />

übernommen werden. <strong>Der</strong> interaktive<br />

Simulator EchoSim zeigt, wie<br />

virtuelle Modelle eine Orientierungshilfe<br />

für die Interpretation von Ultraschallbildern<br />

liefern können. Mit<br />

EchoSim kann der Kardiologe eine<br />

virtuelle Ultraschalluntersuchung anhand<br />

eines 3D-Datensatzes ausführen.<br />

<strong>Der</strong> EchoSim Ultraschallsimulator<br />

Konventionelle Ultraschallgeräte produzieren<br />

einen kontinuierlichen Strom<br />

von zweidimensionalen Ultraschallbildern,<br />

die durch einen von Hand bewegten<br />

Ultraschallkopf erzeugt werden.<br />

Dreidimensionaler Ultraschall<br />

besteht aus einer Anzahl von zweidimensionalen<br />

Schichtaufnahmen, die<br />

in bestimmter Reihenfolge mit konstanter<br />

Relativbewegung aufgezeichnet<br />

wurden. Jede der Aufnahmen ist<br />

eine kurze Folge von Bildern (6 bis<br />

24), um in der Kardiologie jeweils einen<br />

vollen Herzzyklus aufnehmen zu<br />

können.<br />

<strong>Der</strong> so erzeugte Datensatz (mit der<br />

Bezeichnung 4D, weil zeitabhängig)<br />

kann auch als Abfolge von Volumen<br />

beschrieben werden, die sich aus einzelnen<br />

„Voxeln“ zusammensetzen.<br />

Voxel sind das 3D-Äquivalent zu<br />

Pixeln und beschreiben ein kubisches<br />

Volumen mit einem bestimmten<br />

Grauwert. Ein solcher Datensatz stellt<br />

eine vollständige Beschreibung des<br />

raum-zeitlichen Zustands in einem bestimmten<br />

Teil des Körpers dar und ist<br />

daher auch für asynchrone Kommunikation<br />

und permanente Speicherung<br />

T I T E L<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

Angeschnittenes Herzmodell in EchoSim<br />

verwendbar.<br />

EchoSim wird gesteuert mit einem<br />

imitierten Ultraschallkopf, an dem ein<br />

Sensor befestigt ist. <strong>Der</strong> Sensor mißt<br />

kontinuierlich Position und Orientierung<br />

des Ultraschallkopfes. Auf dem<br />

Rechner wird ein entsprechendes 3D-<br />

Szenario gezeigt, das aus einem animierten<br />

Herzmodell und einer visuellen<br />

Darstellung des Ultraschallkopfes<br />

und dessen simulierter Schallebene<br />

besteht (Abbildung 1).<br />

Durch Bewegen, Drehen oder Neigen<br />

des Ultraschallkopfes kann der Benutzer<br />

die Bewegungen der Bildebene<br />

durch das Herz aus zwei unterschiedlichen<br />

Perspektiven beobachten:<br />

1. In der „Außenansicht“ (rechts)<br />

blickt der Benutzer frontal auf den<br />

Brustkorb, das Herz und den Schallkopf<br />

als virtuelles Modell. <strong>Der</strong> Standpunkt<br />

in dieser Welt kann verändert<br />

werden, zum Beispiel, um die Seite<br />

oder Rückseite zu beobachten. Teile<br />

des Modells können transparent gemacht<br />

oder ganz weggenommen werden,<br />

um das Innere des Herzens mit<br />

dem Klappenapparat zu sehen.<br />

2. In der „Schnittansicht“ (links) sieht<br />

der Benutzer auf die aktuelle Bildebene<br />

des Schallkopfes, so wie dies auch<br />

in einem realen Ultraschallgerät zu<br />

sehen ist. In dieser Sicht wird ein<br />

Schnittbild aus dem 3D-Datensatz mit<br />

einer Konturdarstellung des virtuellen<br />

Herzmodells überlagert.<br />

Auf diese Weise vermittelt das virtuelle<br />

Oberflächenmodell eine Basisorientierung<br />

und den Überblick über<br />

den Datensatz. Das Herzmodell ist<br />

nicht vom jeweiligen Patienten abgeleitet,<br />

sondern von Hand modelliert,<br />

um die wesentlichen Vorstellungen<br />

eines kardiologischen Experten zu visualisieren.<br />

Damit bietet es nicht nur<br />

eine globale Orientierung, sondern<br />

vermittelt auch einen konkreten Satz<br />

von Erwartungsmustern zur Interpretation<br />

der Bilder.<br />

Beobachtungen in einem Trainingskurs<br />

Beobachtungen zur Nutzung von<br />

EchoSim als Kommunikationsmedium<br />

wurden in einem eintägigen Basiskurs<br />

zur Echokardiographie vorgenommen.<br />

In diesem Kurs wurde<br />

EchoSim zur Erläuterung von diagnostisch<br />

relevanten Standardpositionen,<br />

den notwendigen Schritten zu deren<br />

Einstellung, der dort sichtbaren<br />

Strukturen und der diagnostischen<br />

Zwecke dieser Positionen verwendet.<br />

Daneben wurde auch ein reales Ultraschallgerät<br />

verwendet.<br />

In vorherigen Kursen war zur Erläuterung<br />

noch ein mechanisches Herzmodell<br />

verwendet worden, das zur<br />

Darstellung der Innenstruktur auch<br />

aufgeklappt werden kann. An diesem<br />

Modell können natürlich keinen dynamischen<br />

Phänomene erläutert werden,<br />

auch die Illustration von Schnit-<br />

26 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


tebenen mit entsprechenden Handbewegungen<br />

ist nicht sehr aussagekräftig.<br />

Die Beobachtungen zeigen, daß der<br />

Simulator im Kursvortrag im wesentlichen<br />

als ein implizites Kommunikationsmedium<br />

zur Unterstützung der<br />

gesprochenen Sprache und anstelle<br />

von händischen Gesten eingesetzt<br />

wird. <strong>Der</strong> Simulator wurde häufig zeigend<br />

eingesetzt, um Strukturen, Positionen,<br />

Bewegungen und Regionen<br />

hervorzuheben. Ähnliche Operationen<br />

können in einer Telekonsultationssituation<br />

einen zusätzlichen<br />

Kommunikationskanal aufbauen, der<br />

auf einer Manipulation des 3D-<br />

Modells auf der einen Seite und der<br />

Beobachtung dieser Aktionen auf der<br />

anderen Seite besteht.<br />

Obwohl diese Beobachtungen primär<br />

eine Lehr-Lernsituation betreffen,<br />

sind sie auch auf Telekonsultationen<br />

anwendbar. Bei einer Telekonsultation<br />

sind auch selten beide Partner auf<br />

dem gleichen Wissenstand. Unabhängig<br />

davon sind die Kursbeobachtungen<br />

die einzigen realen Erfahrungen,<br />

die vor der Realisierung des Telekonsultationsdienstes<br />

zur Verfügung<br />

stehen.<br />

<strong>Der</strong> Vortragende benutzte den Simulator<br />

in folgender Hinsicht:<br />

Hervorheben benannter Strukturen:<br />

Strukturen, wie „Aorta“, „Mitralklappe“,<br />

„linker Ventrikel“, werden in<br />

der Lehrsituation häufig benannt. Obwohl<br />

alle Teilnehmer als ausgebildete<br />

Ärzte die entsprechenden Begriffe beherrschten,<br />

wurde dennoch häufig das<br />

benannte Element gleichzeitig in einer<br />

der beiden Sichten gezeigt. Damit<br />

wurde die Aufmerksamkeit verstärkt<br />

auf das jeweilige Element gelenkt und<br />

der mentale Aufwand zur Umsetzung<br />

von Name in Objekt verringert.<br />

Hervorheben von Kurven und Regionen:<br />

Als präzisere Zeigeoperation<br />

wurde in den 2D-Sichten häufig eine<br />

Kurve, zum Beispiel das posteriore<br />

Segel der Mitralklappe, oder eine Region<br />

mit dem Finger oder einem<br />

Leuchtzeiger hervorgehoben. Dazu<br />

wurde eine Kurve nachgefahren oder<br />

eine Region umgrenzt. Damit wurde<br />

die exakte Begrenzung einer Struktur<br />

T I T E L<br />

verdeutlicht, was in einem Ultraschallbild<br />

nicht immer offensichtlich<br />

ist. Es wurden nicht nur ganze Strukturelemente<br />

gezeigt, sondern auch bestimmte<br />

Abschnitte, zum Beispiel<br />

„der Mittelteil der anterioren Wand“<br />

(um das Ausmaß eines Infarktes zu<br />

beschreiben).<br />

Bewegungsrichtung der Bildebene: In<br />

einigen Fällen war es wichtig, die<br />

Bewegungsrichtung der Bildebene<br />

(Drehen, Kippen, Verschieben) zu<br />

verdeutlichen. Dabei sind schon kleine<br />

Differenzen von Bedeutung, die in<br />

der 3D-Ansicht ohne weitere Hilfsmittel<br />

schwer zu erkennen sind. In einem<br />

solchen Fall wurde die Richtung<br />

verbal beschrieben oder mit einer zusätzlichen<br />

Handgeste veranschaulicht.<br />

Bewegungsrichtungen: Auch Bewegungen,<br />

zum Beispiel des Blutstroms,<br />

wurden durch Fingergesten gezeigt. In<br />

der Bildebene wurde dazu eine imaginäre<br />

Linie in Flußrichtung angedeutet,<br />

in der dreidimensionalen Darstellung<br />

mußte eine zusätzliche Fingerrichtung<br />

verwendet werden, da es dort<br />

keine Möglichkeit zur Richtungsangabe<br />

gibt.<br />

Verschieben des Standpunkts: Um die<br />

exakte Lage der Bildebene relativ zu<br />

verschiedenen Herzstrukturen zu zeigen,<br />

wurde häufig der Beobachtungsstandpunkt<br />

in der 3D-Darstellung verändert,<br />

aber nur zwischen drei bestimmten<br />

Positionen („vorn“, „links“<br />

und „rechts“). Die Positionen waren<br />

jeweils relativ zur Schallebene, um<br />

den Schnitt jeweils aus der Vogelperspektive<br />

oder einer direkten Seitenansicht<br />

zu zeigen.<br />

Strukturen verbergen: Um die innere<br />

Struktur zu sehen, wurde die Herzkammer<br />

verschiedentlich unsichtbar<br />

oder transparent gemacht.<br />

Orientierung<br />

Eine wesentliche menschliche Fähigkeit<br />

ist die Orientierung in räumlichen<br />

Umgebungen. Einige wenige Blicke<br />

von verschiedenen Positionen reichen<br />

aus, um ein mentales Modell der<br />

Struktur und Aktivität in einer räumlichen<br />

Szene aufzubauen. Dieses mentale<br />

Modell ist ausreichend, um direkt<br />

aktiv zu werden und sich zu bewegen,<br />

Dinge zu verändern und mit anderen<br />

Menschen Kontakt aufzunehmen.<br />

In der beobachteten Kurssituation<br />

war die Szene real und lokal, aber der<br />

Simulator fügte einen virtuellen Teil<br />

hinzu. Das virtuelle Modell gab den<br />

Teilnehmern eine Orientierung über<br />

das Kursthema und ihre eigene Beziehung<br />

zu der gewünschten Vorstellung<br />

vom Herzen.<br />

Telekonsultation stellt hohe Anforderungen<br />

an die Orientierung der Teilnehmer,<br />

zum einen, weil innere Organe<br />

nur indirekt abgebildet werden<br />

können und zum anderen, weil in der<br />

Regel einer der Partner mit einem<br />

unbekannten Fall konfrontiert wird.<br />

Orientierung wird in folgender Hinsicht<br />

benötigt:<br />

– Um Kontakt aufzunehmen (Übersicht<br />

über Verfügbarkeit).<br />

– Zum Überblick über die jeweiligen<br />

Blickpunkte der Partner.<br />

– Zur räumlichen Orientierung in<br />

3D-Datensätzen.<br />

– Zur Orientierung über die Lage<br />

von Bildebenen im Raum.<br />

Diese Aspekte müssen bei der Konzeption<br />

eines entsprechenden Modells<br />

berücksichtigt werden.<br />

Kontaktaufnahme<br />

Asynchrone Telekonsultation ermöglicht<br />

es dem medizinischen Experten,<br />

die Arbeitszeit noch flexibler einzuteilen.<br />

Aber selbst unter diesen Bedingungen<br />

ist immer noch eine Information<br />

über die Verfügbarkeit der<br />

Partner notwendig, um in kritischen<br />

Situationen den geeigneten Kollegen<br />

herauszufinden. Die gemeinsame Szene<br />

muß also einen Überblick über die<br />

Verfügbarkeit der Partner bieten.<br />

EchoCom visualisiert die Büros der<br />

Partner in Form eines „cone trees“<br />

(Abbildung 2). Wenn ein Partner<br />

nicht in seinem Büro zu sehen ist – also<br />

nicht für eine direkte elektronische<br />

Kontaktaufnahme zur Verfügung<br />

steht – ist das „virtuelle Büro“ leer. Es<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 27


T I T E L<br />

Abbildung 2 : <strong>GMD</strong><br />

EchoCom Bildschirm mit Patienten- und Partnerdaten (unten), Herzmodell (rechts) und Anschnitt (links).<br />

kann auch Hinweise wie „OP bis 12<br />

Uhr“ zeigen. Ist der Partner verfügbar,<br />

wird ein Miniaturbild angezeigt.<br />

Konsultationen werden durchgeführt,<br />

indem die eigene Person virtuell in einen<br />

bestimmten Raum bewegt wird.<br />

In diesem Raum wird der Zustand des<br />

Patienten in Form von Bildern repräsentiert.<br />

Weitere Informationen stehen<br />

in Schubladen zur Verfügung, die<br />

gegen unbefugte Einsicht gesichert<br />

werden können.<br />

Aufnahmeposition<br />

Eines der grundlegenden Probleme<br />

des kardiologischen Ultraschalls ist es,<br />

ein Bild an der geeigneten Stelle und<br />

im richtigen Abbildungsmodus aufzunehmen.<br />

Ein Bild zeigt jeweils nur einen<br />

winzigen Ausschnitt des Patienten,<br />

und es ist leicht möglich, die kritischen<br />

Stellen zu verfehlen. Messungen<br />

anhand von Bildern sind ebenfalls<br />

sehr anfällig gegenüber unkorrekten<br />

Aufnahmepositionen.<br />

Daher erhalten aufgenomme Bilder<br />

einen wesentlich höheren Wert, wenn<br />

ihre Aufnahmeposition relativ zum<br />

Patienten bekannt ist. Die Orientierung<br />

eines 3D-Ultraschalldatensatzes<br />

ist ohne zugehöriges Herzmodell alles<br />

andere als offensichtlich, und Volumendarstellungen<br />

zeigen selten eindeutige<br />

Darstellungen. <strong>Der</strong> hinzugezogene<br />

Kardiologe muß in der Lage<br />

sein, die Aufnahmeposition zu beurteilen<br />

und gegebenenfalls Korrekturen<br />

oder Alternativpositionen vorschlagen<br />

können.<br />

Zur Lösung dieses Problems präsentiert<br />

EchoCom die Ultraschallbilder<br />

immer in eindeutiger Beziehung zu<br />

dem virtuellen Herzmodell, entweder<br />

durch eine direkte bildliche Integration<br />

(die Konturüberlagerung in<br />

der 2D-Sicht) oder durch interaktive<br />

Rückkopplung (die Kopplung des 2D-<br />

Bildes an die simulierte Bildebene des<br />

Ultraschalkopfes).<br />

Blickpunkt Bewegen<br />

In der realen Welt kann eine komplette<br />

Beurteilung einer Situation selten<br />

aus einer einzigen Position erfolgen.<br />

Stattdessen muß der Beobachter auf<br />

bestimmte Teile fokussieren. Die Bewegung<br />

des eigenen Standpunktes in<br />

der (virtuellen) Welt hat zwei Motivationen:<br />

– Wahrnehmung der räumlichen<br />

Struktur.<br />

– Verändern des fokalen Punkts.<br />

<strong>Der</strong> erste Grund rührt daher, daß perspektivische<br />

Änderungen bei Eigenbewegungen<br />

einen Ersatz für stereoskopische<br />

Wahrnehmung darstellen.<br />

<strong>Der</strong> zweite Grund bezieht sich auf die<br />

Größe und Komplexität einer Szene.<br />

Das Hauptfenster in EchoCom zeigt<br />

einen Überblick über alle relevanten<br />

Patientendaten und Kommunikationspartner.<br />

In dieser Umgebung ist jeweils<br />

ein Patient der aktuelle Fokus.<br />

Die detaillierte Sicht bezieht sich auf<br />

genau eine Aufnahme und auf eine<br />

bestimmte Bildebene in dieser Aufnahme.<br />

28 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Die Beziehung zwischen den verschiedenen<br />

Fokusebenen kann auf unterschiedliche<br />

Weise dargestellt werden.<br />

Man kann das aktuell fokussierte Objekt<br />

statisch markieren, man kann<br />

aber auch durch Animation beim Navigieren<br />

Beziehungen zwischen verschiedenen<br />

Ebenen herstellen. Zum<br />

Beispiel läßt sich die Beziehung zwischen<br />

der aktuellen Bildebene und<br />

der Position des Ultraschallkopfes<br />

sehr einfach anhand der Rückkopplung<br />

auf Bewegung des Ultraschallkopfes<br />

nachvollziehen.<br />

EchoCom benutzt einen gemeinsamen<br />

Standpunkt für alle Beobachter<br />

einer bestimmten Szene. Falls sich<br />

dies als eine Beschränkung herausstellen<br />

sollte, kann man zusätzlich eine<br />

Visualisierung der jeweiligen Standpunkte<br />

in die Szene aufnehmen.<br />

Implizite Kommunikation<br />

In EchoCom spielen Zeigeoperationen<br />

eine wichtige Rolle, weil die<br />

Kommunikation bereichert wird<br />

durch die Möglichkeit, in Konversationen<br />

auf Teile des Artefakts verweisen<br />

zu können. Diese zweifache<br />

Kommunikationsebene (double-level<br />

language) erhöht die Kommunikationseffizienz,<br />

weil Mehrdeutigkeiten<br />

verringert werden und schneller eine<br />

gemeinsame Verstehensbasis geschaffen<br />

wird. Die räumliche Struktur virtueller<br />

Welten und ihr Verhalten über<br />

die Zeit stellen sicher, daß die implizite<br />

Kommunikation in möglichst natürlicher<br />

Weise wahrgenommen werden<br />

kann.<br />

In dem beobachteten Trainingskurs<br />

wurden Zeigeoperationen intensiv genutzt,<br />

um die informelle Kommunikation<br />

mit der virtuellen Szene zu verbinden.<br />

Solche mehrfachen Kommunikationskanäle<br />

können auch für Telekonsultation<br />

oder Teletraining über<br />

Entfernungen genutzt werden.<br />

Konversation<br />

Die Aufzeichnung von Konversationen<br />

ist notwendig, um Zeigeopera-<br />

T I T E L<br />

tionen auch für asynchrone Kommunikation<br />

nutzen zu können. Solche<br />

Konversationen können in verschiedener<br />

Weise ablaufen:<br />

– Anmerkungen zur Patientenakte<br />

oder den Bildern. Anmerkungen verschiedener<br />

Personen können zum Beispiel<br />

durch verschiedene Farben identifiziert<br />

werden.<br />

– Aufzeichnung von geführten Touren<br />

durch die wichtigsten Beobachtungen.<br />

Solch eine Aufzeichnung besteht<br />

aus einer Audiospur mit synchronisierten<br />

Aktionen, die später<br />

wieder abgespielt werden können.<br />

– Synchrone Audio-/Videokonferenz<br />

mit Zeigeoperationen.<br />

Asynchrone Kontaktaufnahmen erfolgen<br />

durch Verschieben einer Aufzeichnung<br />

in ein bestimmtes Büro.<br />

Die Anfrage wurde bearbeitet, wenn<br />

eine entsprechende Aufzeichnung<br />

zurückgekommen ist.<br />

Interaktive Kommunikaton<br />

durch 3D-Bilder<br />

Im Trainingskurs benutzte der Instruktor<br />

den EchoSimulator als ein<br />

Medium, das kontinuierlich in den<br />

Fortgang der Konversation eingebunden<br />

wurde. Mehrere Kommunikationskanäle<br />

wurden gleichzeitig benutzt.<br />

Zeigemechanismen für Telekooperation<br />

müssen diese Randbedingungen<br />

beachten. Den verschiedenen<br />

Kommunikationskanälen sollten auch<br />

verschiedene parallel zu benutzende<br />

Eingabemechanismen zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Verfolgung des Ultraschallkopfes: Offensichtlich<br />

ist der Ultraschallkopf das<br />

am häufigsten benutzte Instrument,<br />

das mit der rechten Hand gesteuert<br />

wird. In dem 3D-Szenario dient der<br />

Schallkopf zur Exploration des Volumens<br />

und zum Einstellen einer bestimmten<br />

Bildebene von Interesse.<br />

Markierung: Die zweithäufigste Operation<br />

war das Zeigen bestimmter<br />

Details in der Bildebene. In der Bildebene<br />

werden die meisten diagnostischen<br />

Details identifiziert und Messungen<br />

durchgeführt. Es wird ein Mechanismus<br />

gebraucht, um diese Fein-<br />

heiten gegenseitig zu markieren.<br />

Die Zeigeoperationen werden mit der<br />

linken Hand durchgeführt. In den<br />

meisten Ultraschallgeräten ist ein<br />

Trackball für diesen Zweck vorhanden.<br />

Alternativ könnte ein Lichtzeiger<br />

benutzt werden, da ein solcher auch<br />

häufig im Kursus eingesetzt wurde.<br />

Die Visualisierung einer solchen Zeigeoperation<br />

muß so gewählt werden,<br />

daß sie leicht wahrgenommen werden<br />

kann. Eine Anzeige (Telepointer) ist<br />

nur für die Dauer des Zeigevorgangs<br />

notwendig. Ein Grafiktablett bietet<br />

hierfür eine gute Möglichkeit, da die<br />

Visualisierung vom Stiftdruck abhängig<br />

gemacht werden und damit dynamisch<br />

aktiviert werden kann.<br />

Fokus: Einige Aktionen lenken die<br />

Aufmerksamkeit des Gegenüber (Fokus)<br />

auf einen bestimmten Teil der<br />

Szene. Da ihre Anzahl begrenzt ist,<br />

kann man sie durch Spracherkennung<br />

mit begrenztem Wortschatz auslösen,<br />

um eine separate Menübedienung zu<br />

vermeiden:<br />

– Fokus auf ein bestimmtes Fenster<br />

setzen („1“ oder „2“). Die Größe dieses<br />

Fensters kann mit weiteren Angaben<br />

(„groß“, „klein“) verändert werden,<br />

da eine Feineinstellung der Fenstergrößen<br />

nicht notwendig ist.<br />

– Blickpunkt in 3D setzen. Hier werden<br />

nur wenige Positionen tatsächlich<br />

eingenommen. Es ist noch zu untersuchen,<br />

ob diese Positionen absolut<br />

zum Herzen oder relativ zur Bildebene<br />

interpretiert werden sollen.<br />

– Herausheben benannter Strukturen,<br />

die durch ein begrenztes Vokabular<br />

benannt werden können. Dadurch<br />

werden mentale Beziehungen zwischen<br />

Namen und Bild gestärkt; für<br />

Experten wird das Auffinden des Fokuspunktes<br />

unterstützt. Mit den Zusatzworten<br />

„ein“/„aus“ können die<br />

Strukturen unsichtbar gemacht werden.<br />

Um die Spracherkennung während<br />

der Konversation zu ermöglichen, aktiviert<br />

ein Knopf auf dem Schallkopf<br />

die Spracheingabe für jeweils einen<br />

Befehl.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 29


Zeitliche Effekte: Im Gegensatz zu<br />

gemeinsamen Zeichenprogrammen<br />

sollen die Markierungen an bestimmten<br />

Stellen oder die Hervorhebungen<br />

nur selten permanent sein. Sie haben<br />

eine untergeordnete Rolle in bezug<br />

auf die eigentliche Konversation und<br />

sollten nur während des entsprechenden<br />

Gesprächsteils angezeigt werden,<br />

ohne daß die Partner die Markierungen<br />

explizit wieder entfernen müssen.<br />

Als Kompromiß zwischen Flüchtigkeit<br />

und Sichtbarkeit sollen die Markierungen<br />

„nachleuchten“ und nach<br />

kurzer Zeit allmählich verschwinden<br />

(Abbildung 3).<br />

Durch das Benennen wird eine Struktur<br />

mit voller Intensität markiert. Die<br />

Intensität nimmt dann allmählich ab,<br />

bis die Hervorhebung nicht mehr<br />

sichtbar ist. In der Bildebene können<br />

durch Nachleuchten Linien und Regionen<br />

nachgefahren werden.<br />

Betonung kann ausgedrückt werden<br />

durch die Intensität der Markierung.<br />

Wenn das Zeigegerät stärker gedrückt<br />

wird, wird die Markierungsintensität<br />

und damit die Nachleuchtdauer<br />

größer. Ein drucksensitiver Stift kann<br />

so vorteilhaft eingesetzt werden.<br />

Ebenso kann die Lautstärke für die<br />

Spracherkennung ausgewertet werden.<br />

Ausblick<br />

Die Erfahrungen aus dem Ultraschallkurs<br />

zeigen, daß virtuelle Modelle eine<br />

ausdrucksstarke implizite Kommunikation<br />

vermitteln können. Dabei<br />

wurden die folgenden drei Eigenschaften<br />

als besonders wichtig identifiziert:<br />

– Das Gewinnen eines Überblicks<br />

durch Navigieren in einer 3D-Szene.<br />

– Eine visuelle Erläuterung durch<br />

strukturelle Modelle, Animationen<br />

und die Historie.<br />

T I T E L<br />

Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

Allmählich verschwindende Markierung<br />

einer Linie.<br />

– Implizite Kommunikation durch<br />

verschiedene Zeigemechanismen.<br />

Eine solche szenische Kommunikationsschnittstelle<br />

stellt nicht nur ein<br />

neuartiges Kommunikationsmedium<br />

dar, sondern unterstützt auch die kontinuierliche<br />

Forbildung der Benutzer,<br />

da entsprechende mentale Modelle<br />

zur Bildinterpretation und Wirkungsweise<br />

des Herzens vermittelt werden.<br />

Aber auch die persönliche Hilfestellung<br />

und die Fortbildung werden unterstützt.<br />

Unterstützung<br />

Die Unterstützungskonzepte für die<br />

Ultraschalldiagnose und das animierte<br />

Herzmodell wurden vom Projekt<br />

SCENE in der <strong>GMD</strong> (Gernoth<br />

Grunst, Thorsten Fox, Klaus-Jürgen<br />

Quast, Peter Rohleder) in Kooperation<br />

mit der Universitätskinderklinik<br />

Bonn (Prof. Dr. Dierk A. Redel) und<br />

der Universitätsklinik Köln-Merheim<br />

(Prof. Dr. Reinhard Griebenow) entwickelt.<br />

Das CardiAssist-Projekt wird<br />

von der Europäischen Union im Programm<br />

Gesundheitstelematik gefördert.<br />

Die Partner in diesem Projekt<br />

sind Stiftelsen for Industriell og Teknisk<br />

Forskning ved Norges Tekniske<br />

Høgskole (SINTEF), Vingmed Sound,<br />

TomTec, SONOTRON, Universität<br />

Bonn, Thorax Center Rotterdam und<br />

die Universitätsklinik Lissabon.<br />

....................................<br />

Dr. Thomas Berlage<br />

arbeitet im <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für Angewandte<br />

Informationstechnik<br />

an interaktiven Telekonsultationssystemen<br />

für die Kardiologie<br />

und leitet das europäischeVerbundprojekt<br />

CardiAssist.<br />

30 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Szenische<br />

Enablingsysteme –<br />

Trainingsumgebungen<br />

in der Echokardiographie<br />

Von Gernoth Grunst,<br />

Thorsten Fox, Klaus-Jürgen Quast<br />

und Dierk A. Redel<br />

Das Problemfeld „medizinische Ausbildung“<br />

ist geprägt durch die Diskrepanz<br />

einer theoretisch vorklinischen<br />

und einer praxisorientiert klinischen<br />

Ausbildungsphase. Die Lerninhalte<br />

sind im Sinne des Aufbaus reflektierter<br />

Erfahrungen nahezu unverbunden.<br />

Informatik verstanden als kooperative<br />

Problemlösewissenschaft kann hier einen<br />

spezifischen Beitrag zur Verbesserung<br />

der Situation leisten. Veranschaulichungstechniken,<br />

wie interaktive<br />

Multimedia und Virtuelle Realität,<br />

sind geeignet, theoretische und<br />

praktische Elemente medizinischer<br />

Expertise fallbezogen erfahrbar zu<br />

machen.<br />

Ein problemangemessenes und kognitiv<br />

adäquates Vermittlungskonzept<br />

setzt voraus, daß die wesentlichen<br />

Aspekte der realen Expertise beziehungsweise<br />

notorische Verstehensprobleme<br />

und Versagensgründe bekannt<br />

sind. Das Projekt SCENE hat zum<br />

Ziel, für den Bereich der Echokardiographie,<br />

also für Ultraschalluntersuchungen<br />

des Herzens, solche bedarfsgerechten<br />

Trainings- oder „Enablingsysteme“<br />

zu entwickeln. Zu diesem<br />

Zweck werden zunächst interaktionsanalytische<br />

Untersuchungen realer<br />

Diagnosen und Fallbesprechungen<br />

durchgeführt.<br />

Die Analyseergebnisse leiten einen<br />

partizipativ-interdisziplinären Entwicklungsprozeß<br />

an. Von Medizinern<br />

und Psychologen gemeinsam als wesentlich<br />

erkannte Zusammenhänge<br />

und zugeordnete Hilfsvorstellungen<br />

T I T E L<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

Anwendungsbereich<br />

Vor-Analysen<br />

Identifikation relevanter<br />

Inhalte und ihrer kognitiven<br />

Bewältigung durch<br />

den menschlichen Experten<br />

Erster Prototyp<br />

Zweiter Prototyp<br />

1. Bewertungsphase<br />

Beurteilung durch den<br />

Experten und Verfeinerung<br />

der Vermittlungsinhalte<br />

2. Bewertungsphase<br />

Test der Orientierungswirksamkeit<br />

in<br />

realen Zielsituationen<br />

Endsystem<br />

Generelle Merkmale<br />

- interdisziplinär<br />

- empirisch qualitativ<br />

- Rapid-Prototyping<br />

Vorgangsmodell der partizipativen<br />

Systementwicklung<br />

erfahrener Ärzte werden nach Diskussionen<br />

mit Multimedia-Designern<br />

und Informatikern in geeignete Veranschaulichungen<br />

durch interaktive<br />

3D-Grafiken und Animationen umgesetzt.<br />

In Design-Evaluation-Redesign-<br />

Zyklen werden zunächst Grobentwürfe<br />

realisiert, deren Unzulänglichkeiten<br />

mit den Zielanwendern erörtert<br />

werden. Diese Evaluationen fördern<br />

häufig noch tiefere Einsichten in<br />

die vom Experten tatsächlich angewandten<br />

mentalen Modelle zutage.<br />

Das folgende Transkript gibt ein typisches<br />

Beispiel dafür, welche räumlich<br />

dynamischen und anschaulich funktionalen<br />

Vorstellungen des kardiologischen<br />

Experten (E) hierbei elizitiert<br />

werden:<br />

E: Es könnte theoretisch sein, daß –<br />

wenn die Klappe aufgeht – die Chordae<br />

erschlaffen. Verstehen Sie, was<br />

ich meine?<br />

N: Ja. Natürlich, ja, ja.<br />

E: Daß sie, daß sie durchhängt. So´n<br />

bißchen, daß man sie so´n bißchen<br />

krüngelig zeigt, wenn die aufgeht.<br />

Aber die Chordae sind nun nicht<br />

dafür da, – sozusagen – in Diastole<br />

was zu steuern, nur in Systole. Aber<br />

sobald die Klappe beginnt, sich zu<br />

schließen, ja?, werden die Chordae<br />

wieder gespannt.<br />

N: Mhm, mhm.<br />

E: Und dann bewegen sich die Papillarmuskeln<br />

in dem Maße, in dem sich<br />

die Chordae bewegen. Mit anderen<br />

Worten, die Ventrikel wird kürzer, dadurch<br />

wird der Abstand.. äh die Ventrikel<br />

wird kürzer, die Klappe muß zubleiben.<br />

Theoretisch würde die Klappe<br />

jetzt nach hinten durchschlagen,<br />

weil die Chordae gleichlang bleiben<br />

muß. Mit anderen Worten, in dem<br />

Maß, in dem die Ventrikel kürzer<br />

wird, müssen die Papillarmuskel auch<br />

kürzer werden, um das Gespann zu<br />

halten.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 31<br />

N: Ja.<br />

E: Wichtig ist, daß in Diastole die<br />

Chordae schlaff sind. Wie so´n Zügel<br />

am Pferd, der ganz locker ist, ´n<br />

bißchen wellig würd ich die zeichnen<br />

in Diastole. Das wär toll. Dann ist die<br />

Sache also echt realistisch. Hat keiner<br />

so richtig gesehen bisher, aber so muß<br />

man sich das vorstellen.<br />

N: Mhm.<br />

E: Man sieht halt im Echo, wenn man<br />

in kurzer Achse ist, sieht man die<br />

Chordae als Punkte. Sieht man, wie<br />

die hin und herfliegen, flippern in<br />

Diastole, in Systole sind die ganz<br />

stramm.<br />

In erfolgreich verlaufenden tutoriellen<br />

Interaktionen mit Studenten hinterlegt<br />

der medizinische Experte<br />

durch vergleichbare Metaphern abstrakte<br />

Wahrnehmungen mit anschau-


lichem Sinn. Analysen realer Diagnosen<br />

zeigen zudem, daß derartige Leitvorstellungen<br />

dem Experten die intuitive<br />

Interpretation von Ultraschallbildern<br />

ermöglichen. Sie sind eine<br />

Voraussetzung der Erkennung pathologischer<br />

Veränderungen des Herzens<br />

im Ultraschall.<br />

Die im Transkript deutlich werdenden<br />

Mentalen Funktionsmodelle sind jedoch<br />

nicht die einzigen Formen kognitiv<br />

verdichteter Erfahrungen, die<br />

im Verhalten des Experten festzustellen<br />

sind und in der Ultraschalldiagnose<br />

eine Rolle spielen. Im Gegensatz<br />

zum Anfänger ist er unmittelbar – also<br />

ohne längere Überlegungsschritte –<br />

dazu in der Lage, die schallkopfabhängigen<br />

Ansichtswinkel eines Ultraschallbildes<br />

zu erfassen und Bilddetails<br />

geometrisch korrekt zuzuordnen.<br />

In den Interaktionsanalysen werden<br />

diese Unterschiede vor allem in der<br />

verzögerungsfreien Benennung der<br />

sichtbaren Strukturen deutlich. <strong>Der</strong><br />

Anfänger hat sehr oft Schwierigkeiten,<br />

über die räumlich strukturelle<br />

Einordnung des Ultraschallbildes hinaus<br />

auch noch die Relevanz des Gesehenen<br />

für die Diagnose bestimmter<br />

Herzkrankheiten zu erfassen. Die aufeinander<br />

aufbauenden kognitiven Anforderungen<br />

scheinen zu kumulativen<br />

Desorientierungen zu führen.<br />

Ein diesem kognitiven Anforderungsprofil<br />

gerecht werdendes Enablingkonzept<br />

muß versuchen, Teilelemente<br />

der Expertise zu isolieren und in gesonderten<br />

Trainingseinheiten zu vermitteln.<br />

Durch selbstgesteuertes Üben<br />

sollen Erfahrungen gesammelt und zu<br />

automatisierten Wahrnehmungs- und<br />

Verhaltensmustern verdichtet werden<br />

können.<br />

Die multimedialen Trainingssysteme<br />

EchoTutor und 4D Heart Explorer<br />

<strong>Der</strong> EchoTutor ist der erste Prototyp<br />

computertechnischer Unterstützungssysteme<br />

für die Echokardiographie,<br />

der aus der Kooperation der <strong>GMD</strong><br />

T I T E L<br />

Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

Multimediale Trainingsszenarien EchoTutor und 4D Heart Explorer<br />

und der Abteilung für Kardiologie der<br />

Universitätskinderklinik Bonn hervorgegangen<br />

ist. Durch eine Verbindung<br />

von einfacher interaktiver 3D-<br />

Grafik, Animationen und Videosequenzen<br />

von Ultraschallaufnahmen<br />

erfährt der Arzt auf anschauliche<br />

Weise, wie diagnostisch relevante<br />

Schallebenen eingestellt werden, und<br />

bekommt Orientierungshilfen zur<br />

Identifikation von Strukturen in den<br />

ge-wonnenen Bildsequenzen. Außerdem<br />

werden räumliche Zusammenhänge<br />

von Bildebene und Schnittebene<br />

im Herzen anschaulich visualisiert<br />

und zum Beispiel erlaubt, die notwendigen<br />

mentalen Rotationen der im Ultraschall<br />

gezeigten Anschnittbilder<br />

des Herzens einzuüben. Sie sind eine<br />

Voraussetzung der schallkopfabhängigen<br />

räumlichen Interpretation von<br />

transthorakalen Echobildern in den<br />

diagnostischen Normpositionen.<br />

Im 4D Heart Explorer lassen sich detailreiche<br />

Visualisierungen des schlagenden<br />

Herzens in Form interaktiver<br />

Animationen aufrufen. Das Herzmodell<br />

läßt sich mit der Maus drehen<br />

und aus unterschiedlichen Winkeln<br />

betrachten. Durch die Wahl verschiedener<br />

Transparenzgrade und Detaildarstellungen<br />

können Außen- und<br />

Innenstruktur des Herzens, die Kammer-,<br />

Klappen- und Hämodynamik,<br />

der Blutfluß, intuitiv erkundet werden.<br />

Als Macintosh Programme lassen sich<br />

die Trainingsmodule auf dem Ultraschallgerät<br />

CFM 800 in den Anwendungskontext<br />

einbinden. So kann der<br />

untersuchende Arzt zum Beispiel 3Dgrafische<br />

Visualisierungen diagnoserelevanter<br />

Anschnitte abrufen und typische<br />

Ultraschallfilme mit den aktuell<br />

am Patienten gewonnenen Bildern<br />

vergleichen.<br />

Das interaktive Simulationssystem<br />

EchoSim<br />

<strong>Der</strong> auffälligste Unterschied zwischen<br />

Anfänger und Routinier in der Echokardiographie<br />

besteht jedoch in der<br />

Souveränität, mit der der Schallkopf<br />

in die untersuchungsrelevanten Normpositionen<br />

gebracht wird. Die hierfür<br />

notwendige effiziente Auge-Hand-<br />

Steuerung kann nur praktisch eingeübt<br />

werden. Das Simulationssystem<br />

EchoSim erlaubt dem Lernenden, an<br />

einem Übungsmodell die Positionierungen<br />

zu trainieren.<br />

Die Steuerung des virtuellen Ultraschalls<br />

erfolgt durch einen realen<br />

Schallkopf, an dem ein Polhemus<br />

Fastrack befestigt ist. Dieses Eingabeinstrument<br />

aus dem Technikarsenal<br />

der Virtuellen Realität erlaubt die<br />

kontinuierliche Bestimmung von Ort,<br />

Neigung und Rotation des Schallkopfs<br />

zur Steuerung der grafischen Entsprechung<br />

in der Computerszene. Zugeordnete<br />

Fenster zeigen einschlägige<br />

Ultraschallfilme. Übergänge durch<br />

Schwenks und Rotationen können interaktiv<br />

durchgeführt werden. Außenund<br />

Innenansichten des schlagenden<br />

Herzens bieten dabei visuelle Kontrollen<br />

zur Positionierung des Ultraschalls.<br />

32 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


T I T E L<br />

Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

Virtuelle Ultraschalluntersuchung im Simulator EchoSim<br />

Bei allen Veranschaulichungen wird<br />

versucht, Facetten des mentalen<br />

Herzmodells kardiologischer Experten<br />

zu erfassen. Von dieser Zielsetzung<br />

her bestimmt sich die Kornfeinheit<br />

der Modellierungen. Es wird dabei<br />

nicht notwendig der Realitätsanspruch<br />

verfolgt, wie er in anatomischen<br />

Darstellungen angestrebt wird<br />

Weiterentwicklungen<br />

der Trainingsumgebungen<br />

Um die SCENE Trainingsmodule in<br />

Richtung eines diagnostischen Enablingsystems<br />

zu erweitern, muß das<br />

Spektrum der Erscheinungsformen<br />

normaler und pathologischer Herzdetails<br />

einbezogen werden. Vergleichend<br />

werden Beispiele realer Ultraschallbilder<br />

und die parallelen Ansichten<br />

pathologischer Varianten des 3D-<br />

Herzmodells präsentiert werden.<br />

Den Pathologien zugeordnet sollen in<br />

Animationen Muster von Diagnoseschritten<br />

demonstriert werden, durch<br />

die bestimmte Herzkrankheiten verifiziert<br />

werden können. Sachlogische<br />

Zusammenhänge zwischen den feststellbaren<br />

pathologischen Details werden<br />

so veranschaulicht, daß sich in der<br />

Exploration der Trainingseinheiten<br />

ein mosaikartiges Verständnis des<br />

Krankheitstyps aufbaut.<br />

Die heterogenen Wissens- und Erfahrungszusammenhänge<br />

sollen sich zu<br />

einem vernetzten System diagnostischer<br />

Beurteilungskompetenz verbinden,<br />

das fallspezifisch aktiviert werden<br />

kann. Die technische Umsetzung<br />

wird durch ein hypermediales Netz<br />

adaptiv angebotener Orientierungen<br />

erfolgen.<br />

Die bisherigen Analysen und Entwicklungen<br />

zeigen, daß Trainingssysteme<br />

aufbauend auf interaktiven 3D-<br />

Szenen und Animation als Medium<br />

geeignet sind, zumindest einen Teil<br />

des schwer faßbaren Erfahrungswissens<br />

von Domänenexperten abzubilden<br />

und damit vermittel- und erfahrbar<br />

zu machen. Die bisherigen Evaluationen<br />

im Projekt SCENE waren<br />

als qualitative Rekonstruktionen der<br />

Nutzung des Enablingsystems angelegt.<br />

Die quantitative Absicherung<br />

der hier festgestellten Orientierungswirksamkeit<br />

komplexer multimedialer<br />

Vermittlungskonzepte stellt eine methodische<br />

Herausforderung an die<br />

Medienpädagogik dar, die Kriterien<br />

der (ökologischen) Validität und Reliabilität<br />

Rechnung tragen will.<br />

....................................<br />

Dr. Gernoth Grunst ist<br />

im <strong>GMD</strong>-Institut für<br />

Angewandte Informationstechnikverantwortlich<br />

für die Entwicklung<br />

szenischer<br />

Unterstützungssysteme<br />

in der Medizin und<br />

leitet das Projekt<br />

SCENE.<br />

....................................<br />

Thorsten Fox ist<br />

Geschäftsführer der<br />

ENTEC GmbH.<br />

Seine Arbeitsschwerpunkte<br />

liegen im<br />

Bereich multimediales<br />

Interface-Design,<br />

3D-Modellierung und<br />

Animation.<br />

....................................<br />

Klaus-Jürgen Quast ist<br />

Geschäftsführer der<br />

ENTEC GmbH. Seine<br />

Arbeitsschwerpunkte<br />

liegen im Bereich 3Dgrafische<br />

Simulation<br />

und Künstliche Intelligenz.<br />

....................................<br />

Prof. Dr. Dierk A. Redel<br />

leitet die Abteilung für<br />

Kardiologie an der<br />

Universitätsklinik Bonn<br />

und arbeitet mit dem<br />

Projekt SCENE an der<br />

Entwicklung von multimedialenTrainingsundUnterstützungssystemen.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 33


Multimediale<br />

Tutorsysteme mit<br />

3D-Grafik und<br />

Animation in<br />

Medizin und<br />

Pharmakologie<br />

Von Thorsten Fox,<br />

Klaus-Jürgen Quast<br />

und Rainer Wieching<br />

Durch die Anwendung neuer Techniken<br />

aus den Bereichen 3D-Grafik und<br />

Animation können die bestehenden<br />

Lern- und Kommunikationsszenarien<br />

in der medizinischen Ausbildung verbessert<br />

und ein Beitrag zur Qualitätssicherung<br />

geleistet werden. Im Auftrag<br />

der Hoechst Marion Roussel<br />

(HMR) Pharma AG entwickelte die<br />

<strong>GMD</strong>-Spin-Off-Firma ENTEC in Zusammenarbeit<br />

mit dem <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Angewandte Informationstechnik<br />

ein multimediales 3D-Enabling-System<br />

zur Vermittlung komplexer medizinischer<br />

und pharmakologischer Zusammenhänge<br />

im Herz-Kreislauf-System,<br />

das das Potential der Techniken verdeutlicht.<br />

Die Medizin lebt von einem genauen<br />

Blick auf und in den menschlichen<br />

Körper. Entsprechende Diagnosemethoden,<br />

wie zum Beispiel Ultraschall,<br />

Röntgen oder Elektrokardiogramm<br />

(EKG), vermitteln jedoch lediglich ein<br />

unvollständiges Bild der Verhältnisse,<br />

deren korrekte Interpretation nur auf<br />

der Basis jahrelanger Erfahrung erfolgen<br />

kann. Eine wesentliche Rolle<br />

spielen hier bildhafte Vorstellungen<br />

über räumliche Konstellationen der<br />

Organe sowie das Wissen über deren<br />

Funktion, insbesondere bei komplexen<br />

Krankheitsbildern wie Herz-<br />

Kreislauf-Pathologien.<br />

Adäquate therapeutische Maßnahmen<br />

verlangen ein tiefgreifendes Verständnis<br />

über das Zusammenspiel von<br />

Aufbau und Funktion der Organe<br />

(Makroebene) einerseits und über die<br />

zugehörigen biochemischen Prozesse<br />

in den Zellen (Mikroebene) anderer-<br />

T I T E L<br />

seits. Aus diesen Gründen sind die Informations-<br />

und Kommunikationszenarien<br />

im Bereich der Medizin sehr<br />

komplex und vielschichtig. Die Möglichkeiten,<br />

wichtige räumliche und<br />

zeitliche Zusammenhänge darzustellen<br />

und zu vermitteln, sind mit den<br />

herkömmlichen Medien, wie beispielsweise<br />

dem Lehrbuch, begrenzt.<br />

Hier bietet sich neuerdings der Einsatz<br />

interaktiver Computersysteme<br />

mit 3D-Grafik und Animation als effizientes<br />

und für manche zu transportierende<br />

Inhalte erst adäquates Medium<br />

an.<br />

Vorarbeiten<br />

Grundlage des hier vorgestellten Medical-Enabling<br />

Systems für den Herz-<br />

Kreislaufbereich sind die Entwicklungen<br />

der Forschungsgruppe Mensch-<br />

Maschine-Kommunikation im Institut<br />

für Angewandte Informationstechnik<br />

der <strong>GMD</strong>, die in Zusammenarbeit mit<br />

der Universitätskinderklinik Bonn<br />

entstanden sind. Unter dem Titel<br />

„szenische Trainingssysteme“ wurden<br />

Prototypen von multimedialen Tutorien<br />

und Simulationen erstellt, die das<br />

Potential neuer Informationstechniken<br />

deutlich machen. Die realisierten<br />

Systeme vermitteln Basiswissen, Vorstellungen<br />

und praktische Erfahrungen<br />

im Anwendungsbereich Echokardiographie,<br />

das heißt, für Ultraschalluntersuchungen<br />

des Herzens. Zur<br />

Vermittlung dieser kognitiv anspruchsvollen<br />

Inhalte wurden neue<br />

Visualisierungstechniken aus den Bereichen<br />

3D-Grafik und Virtual Reality<br />

eingesetzt und erfolgreich evaluiert.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-Spin-Off ENTEC (Gesellschaft<br />

für interaktive 3D-Visualisierung<br />

mbH) greift auf die Erfahrungen<br />

dieser prototypischen Entwicklungen<br />

zurück und entwickelt die Systeme bis<br />

zur Marktreife hin.<br />

Enabling-Systeme<br />

Enabling-Systeme sind computerbasierte<br />

Lehr-/Lern-, Informations- und<br />

Präsentationssysteme, die den informationsbedürftigen<br />

oder lernenden<br />

Benutzer in die Lage versetzen, einen<br />

Sachverhalt besser zu erfassen beziehungsweise<br />

schneller zu verstehen.<br />

Diese Leistung wird durch den zielgenauen<br />

Einsatz neuer Medien aus den<br />

Bereichen 3D-Grafik, Animation und<br />

Virtual Reality erreicht. Damit können<br />

komplexe Inhalte und Problemstellungen,<br />

die durch die traditionellen<br />

Medien wie Buch oder Film gar<br />

nicht oder nur unangemessen dargestellt<br />

werden können, eindrucksvoll<br />

und verstehensförderlich visualisiert<br />

und interaktiv erfahrbar gemacht werden.<br />

Enabling-Systeme leisten damit<br />

in der Medizin einen entscheidenden<br />

Beitrag zur Effizienzsteigerung von<br />

Lern- und Kommunikationsprozessen<br />

und zur Qualitätssicherung.<br />

Basiskonzepte<br />

Die medizinischen Inhalte und Vorgänge<br />

werden als interaktive 3D-<br />

Szenarien aufbereitet, die relevante<br />

Prozesse und Ereignisse an verschiedenen<br />

Orten und Zeitpunkten sowie<br />

auf unterschiedlich tiefen<br />

Verständnisebenen und mit verschiedenem<br />

Detaillierungsgrad darstellen.<br />

Das Interface unterstützt die Navigation<br />

des Benutzers von den Makro- in<br />

die Mikroebenen der Erklärungen.<br />

Elemente der Aufmerksamkeitssteuerung<br />

unterstützen die Fokussierung<br />

auf wichtige räumliche und zeitliche<br />

Vorgänge. <strong>Der</strong> Benutzer kann vordefinierte<br />

Ereignisse direkt oder aber<br />

durch seine Position im System indirekt<br />

initiieren. Diese Einflußnahmen<br />

des Benutzers pflanzen sich im System<br />

als Wirkungskaskade fort und<br />

verändern die Szenarien und Prozesse<br />

auf spezifische Art und Weise.<br />

Kognitive Analysen<br />

<strong>Der</strong> Ausgangspunkt bei der Realisierung<br />

von Enabling-Systemen in allen<br />

Bereichen ist die kognitive Problemanalyse.<br />

Ihr Ziel ist es, die Metaphern<br />

und Erklärungsmodelle der jeweiligen<br />

Experten sowie notorische Verstehensbarrieren<br />

bei Novizen der Domäne<br />

zu identifizieren. In der medizinischen<br />

Anwendung sind insbesondere<br />

räumlich und zeitlich verteilte Prozesse<br />

in komplexen Wirkzusammenhängen<br />

wichtige Aspekte, die die<br />

mentalen Modellvorstellungen erfolgreicher<br />

Experten prägen. Die kognitive<br />

Problemanalyse bildet die Basis<br />

für eine adäquate Umsetzung menschlicher<br />

Erklärungsmodelle in informationstechnische<br />

Konzepte, die das<br />

34 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


vorhandene Wissen erfolgreich kommunizieren<br />

und typische Fehlvorstellungen<br />

effektiv ausräumen. In der<br />

<strong>GMD</strong> wurde in dieser Hinsicht einschlägiges<br />

Know-how aufgebaut, es<br />

wird nun in Gemeinschaftsprojekten<br />

mit ENTEC weiter vertieft.<br />

Technik und Zielnutzer<br />

Die Erzeugung und Nutzung von dreidimensionalen<br />

Grafiken stellt hohe<br />

Anforderungen an die Rechenkapazität<br />

des Computersystems und erfordert<br />

nach wie vor teure Spezialhardware.<br />

Neuere technische Entwicklungen<br />

(QuickTime VR/Virtual Reality)<br />

ermöglichen aber die Einbindung<br />

von „pseudo“-interaktiver 3D-Grafik<br />

in Standard-Autorensysteme (Macro-<br />

Media Director) und stellen das damit<br />

verbundene mediale Potential einer<br />

großen Anzahl von Nutzern mit Personal<br />

Computern und CD-ROM<br />

Laufwerk plattformunabhängig zur<br />

Verfügung.<br />

Ein medizinisches Enabling-System<br />

kann im Selbststudium individuell genutzt<br />

werden und damit den medizinischen<br />

Lehr- und Fortbildungssektor<br />

ergänzen. Es kann weiterhin das obligatorische<br />

Patientengespräch des Arztes<br />

unterstützen, indem es dem Mediziner<br />

bei der Aufklärung der immer<br />

informationsbedürftiger werdenden<br />

Patienten hilft, also beispielsweise die<br />

Risiken einer Erkrankung und die<br />

Möglichkeiten der therapeutischen<br />

Behandlung verdeutlicht. Über Großbildprojektionen<br />

können die Medien<br />

auch in Präsentationssituationen vor<br />

einem größeren Publikum, zum Beispiel<br />

in Medizinvorlesungen, eingesetzt<br />

werden, um Vorträge zu unterstützen<br />

und zu vertiefen.<br />

Die umfassende Darstellung komplexer<br />

naturwissenschaftlicher Phänomene<br />

ist auch für die biotechnologische<br />

Forschung und Entwicklung, etwa<br />

in der Pharmazie, von Bedeutung.<br />

Die adäquate Präsentation von Wissensbeständen,<br />

die bislang nur in den<br />

Vorstellungen weniger Experten vorhanden<br />

sind, schafft eine Kommunikationsbasis<br />

auf der eine objektivere<br />

Überprüfung und Verfeinerung des<br />

Wissens stattfinden kann.<br />

T I T E L<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

Loop<br />

Topic: Necrosis Time: 6 hours<br />

Simulation der Entwicklung eines Herzfinfarkts<br />

Anwendungsbeispiel:<br />

HMR Cardiovascular Academy<br />

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-<br />

Systems sind zur Zeit mittelbar oder<br />

unmittelbar für etwa 50 Prozent der<br />

Todesfälle in den Industrienationen<br />

der nördlichen Hemisphäre verantwortlich.<br />

Entsprechend groß ist der<br />

Informationsbedarf über die zugrundeliegenden<br />

Krankheitsbilder und deren<br />

Therapie sowohl bei den Experten<br />

der Domäne (Ärzte, Pharmakolo-<br />

Acute Infarction<br />

Mean arterial Pressure<br />

0 37.5 75 112.5 150<br />

(ml)<br />

Enddiastolic Pressure<br />

0 12.5 25 37.5 50<br />

(mmHg)<br />

Ejection Fraction<br />

0 25 50 75 100<br />

(%)<br />

®<br />

TRITACE<br />

Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

Closed<br />

Hypertrophy<br />

Cross-Section<br />

Scar<br />

View<br />

Additional<br />

Media<br />

Myocardial<br />

Hypertrophy<br />

Pressure<br />

Characteristics<br />

Enzyme Kinetics<br />

M-Mode-Echo<br />

Echocardiography<br />

Angiogramm<br />

gen und Wissenschaftler) als auch bei<br />

den betroffenen Patienten.<br />

Die HMR Cardiovascular Academy<br />

behandelt die Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

Hypertonie (Bluthochdruck),<br />

Herzinfarkt und Herzinsuffizienz sowie<br />

deren pharmakologische Therapie<br />

mittels ACE-Hemmern (Angiotensin<br />

Converting Enzyme). Gemeinsam<br />

mit Mitarbeitern des <strong>GMD</strong>-Instituts<br />

für Angewandte Informationstechnik,<br />

Experten der pharmakologischen For-<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 35<br />

Quit<br />

Normal<br />

Heart<br />

Myocardial<br />

Infarction<br />

Help<br />

Explorationsszenario zum Herzinfarkt-Remodeling<br />

Slow<br />

Hypertension<br />

References<br />

Back<br />

Heart Failure<br />

Index<br />

Help<br />

Acute<br />

Infarction<br />

Remodeled<br />

Infarction<br />

ACE-<br />

Inhibitor<br />

®<br />

TRITACE<br />

Show<br />

Development<br />

Remodeled<br />

Infarction<br />

ACE-Inhibitor<br />

Compare


schung der Hoechst Marion Roussel<br />

Pharma AG und der kardiologischen<br />

Abteilung der Universitätsklinik Köln<br />

wurden zunächst kognitive Problemanalysen<br />

durchgeführt, die in einem<br />

Anforderungsprofil für das System<br />

mündeten; das Endresultat ist ein medizinisches<br />

Enabling-System auf CD-<br />

ROM, mit dessen Hilfe Mediziner<br />

und auch interessierte Laien die uns<br />

allen – meist nur namentlich – bekannten<br />

Phänomene anschaulich und<br />

eindrucksvoll per interaktiver 3D-<br />

Grafik und Simulation erfahren können.<br />

Die Wirkungsweisen von Herz-Kreislauf-Medikamenten<br />

sind komplex und<br />

vielfältig. ACE-Hemmer wirken auf<br />

struktureller Ebene sowohl an der Innenwand<br />

der Blutgefäße als auch in<br />

der Herzmuskulatur. Auf funktioneller<br />

Ebene bewirkt die Therapie Veränderungen<br />

direkt an der glatten Gefäßmuskulatur<br />

der Arterien (Blutdrucksenkung)<br />

sowie indirekt am<br />

Herzen (Verringerung der Arbeitsbelastung).<br />

Diese Effekte wirken sich in<br />

einer bestimmten zeitlichen Abfolge<br />

in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium<br />

und der jeweiligen Pathologie<br />

im Gefäßsystem und am Herzen auf<br />

Zell- und Organebene aus. Die spezifischen<br />

Wirkungsszenarien können im<br />

Enabling-System umfassend erfahrbar<br />

gemacht und vergleichend gegenübergestellt<br />

werden.<br />

Ausgehend von der Anatomie und<br />

Physiologie des gesunden Herzens,<br />

die als Referenzszenarien in der<br />

HMR Cardiovascular Academy enthalten<br />

sind, werden die strukturellen<br />

und funktionellen Veränderungen bei<br />

den verschiedenen Herz-Kreislauf-Pathologien<br />

am animierten 3D-Modell<br />

anschaulich visualisiert und mittels<br />

Audio-Kommentaren erläutert sowie<br />

durch Zusatzmedien, wie histologische<br />

Schnitte oder Ultraschallfilme,<br />

hinterlegt. Parallel hierzu wird die<br />

Veränderung der relevanten medizinischen<br />

Parameter, wie Herzfrequenz,<br />

Blutdruck und Herzzeitvolumen, veranschaulicht.<br />

Die Abbildungen 1 und<br />

2 zeigen einen Ausschnitt der Herzinfarktsimulation<br />

aus der HMR Cardiovascular<br />

Academy.<br />

Ausblick<br />

T I T E L<br />

In vielen Bereichen auch außerhalb<br />

der Medizin, zum Beispiel im Ingenieurswesen,<br />

in der Geographie und<br />

in der Architektur, spielt ein genaues<br />

Verständnis räumlicher und auch dynamischer<br />

Phänomene eine Schlüsselrolle.<br />

Die Erforschung der kognitiven<br />

Mechanismen von bildhaftem und<br />

räumlichem Denken sowie deren<br />

Rolle in Lern- und Kommunikationssituationen<br />

ist eine wichtige Forschungsaufgabe.<br />

Dieses psychologische<br />

Phänomen hat mit interaktiver<br />

3D-Grafik, Animation und Virtual<br />

Reality ein informationstechnisches<br />

Pendant bekommen, das für die<br />

Lösung dieser Aufgabe eingesetzt<br />

werden kann.<br />

Die Realisierung von Computersystemen,<br />

die die genannten neuen Medien<br />

adäquat einsetzen, so daß sie die kognitiven<br />

Fähigkeiten des Menschen<br />

optimal unterstützen, stellt eine Herausforderung<br />

für die angewandte Informationstechnologie<br />

dar. Ähnlich<br />

der Rolle, die der Buchdruck für die<br />

Verbreitung des Lesens und Schreibens<br />

spielte, ist der Computer das<br />

Werkzeug, um relevante visuelle Informationen<br />

zu produzieren und auch<br />

vermitteln zu können. Die damit verbundene<br />

Anhebung des Kommunikationsniveaus<br />

kann im Bereich der Medizin<br />

die Qualität der Ausbildung und<br />

die Effektivität des Informationsflusses<br />

in der klinischen Praxis bedeutend<br />

verbessern.<br />

....................................<br />

Thorsten Fox ist<br />

Geschäftsführer der<br />

ENTEC GmbH.<br />

Seine Arbeitsschwerpunkte<br />

liegen im<br />

Bereich multimediales<br />

Interface-Design,<br />

3D-Modellierung und<br />

Animation.<br />

....................................<br />

Klaus-Jürgen Quast ist<br />

Geschäftsführer der<br />

ENTEC GmbH. Seine<br />

Arbeitsschwerpunkte<br />

liegen im Bereich<br />

3D-grafische Simulation<br />

und Künstliche<br />

Intelligenz.<br />

....................................<br />

Dr. Rainer Wieching ist<br />

Geschäftsführer der<br />

ENTEC GmbH. Seine<br />

Arbeitsschwerpunkte<br />

liegen im Bereich<br />

medizinische Grundlagen<br />

und Biosignalanalyse.<br />

36 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Neue Wege zur<br />

Unterstützung<br />

von Diagnoseprozessen<br />

durch<br />

den Einsatz<br />

multimedialer<br />

Techniken<br />

Von Ute Simon<br />

und Manfred Berndtgen<br />

Unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten<br />

von Multimedia-Technologien in<br />

der medizinischen Diagnostik und<br />

in Diagnose-Lernsystemen (medical<br />

enabling) wurden in den <strong>GMD</strong>-<br />

Projekten Cyto und Alois erarbeitet.<br />

Gemeinsam ist beiden Projekten die<br />

interdisziplinäre Anwendung kognitionspsychologischer<br />

Erkenntnisse auf<br />

medizinische Problemstellungen, einem<br />

Arbeitsschwerpunkt der AbteilungMensch-Maschine-Kommunikation,<br />

Projektbereich SCENE, des<br />

<strong>GMD</strong>-Instituts für Angewandte Informationstechnik.<br />

Da zwei voneinander<br />

völlig verschiedene medizinische Gebiete<br />

berührt werden: mit Cyto die<br />

Onkologie und mit Alois die Neurologie,<br />

werden die Projekte getrennt vorgestellt.<br />

Das Projekt Cyto befaßt sich mit der<br />

Qualitätssicherung der gynäkologischen<br />

Zytodiagnostik. Die derzeitige<br />

zytologische Diagnostik zur Früherkennung<br />

von Karzinomen des Cervix<br />

uteri wird in der Regel von Zytologieassistenten<br />

in Form von lichtmikroskopischen<br />

Untersuchungen durchgeführt,<br />

in der Regel ohne weitere Gegenkontrolle<br />

durch einen Pathologen.<br />

Die prozentuale Häufigkeit, mit der<br />

Fehler mit dieser Art der Untersuchung<br />

auftreten, ist relativ hoch,<br />

die Schätzungen für Fehldiagnosen<br />

schwanken zwischen Werten von 20<br />

bis 40 Prozent. Dies ist angesichts des<br />

hohen Stichprobendurchlaufs von Abstrichen<br />

des Cervix uteri in dieser<br />

Screening-Situation nicht verwunderlich.<br />

T I T E L<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

Zellabstrichbild eines Plattenepithelkarzinoms des Cervix uteri im Anfangsstadium<br />

Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

Gesunde Intermediärzellen des Cervix uteri<br />

Erschwerend kommt hinzu, daß die<br />

Übergänge zwischen dem zytologischen<br />

Normalbild, anderen Krankheitsbildern<br />

und dem zytologischen<br />

Abstrichbild eines Carcinoma in situ<br />

(Cervixkarzinom im Anfangsstadium<br />

noch ohne invasives Wachstum)<br />

fließend sind. Dieses Phänomen spiegelt<br />

den funktionellen Tatbestand<br />

wider, der für die Entstehung eines<br />

Carcinoma in situ des Cervix uteri als<br />

typisch zu bezeichnen ist: Ein Cervixkarzinom<br />

kann sich nicht nur aus normalen<br />

Zellen über verschiedene<br />

Schweregrade einer Dysplasie hinweg<br />

entwickeln, sondern auch aus Papilloma-Virus-infizierten<br />

oder metapla-<br />

stisch veränderten Zellen. Dabei behalten<br />

die entarteten Krebszellen zu<br />

einem nicht geringen Anteil die<br />

Merkmale der Zellen beziehungsweise<br />

der pathologisch veränderten Zellen<br />

bei, aus denen sie sich entwickelt<br />

haben. Hierdurch wird eine differentielle<br />

Diagnostik erschwert.<br />

Bei Fehldiagnosen sind eigentlich nur<br />

falsch negative Diagnosen von wirklicher<br />

Bedeutung, da sich vor allem<br />

hier für den Patienten ernste Konsequenzen<br />

ergeben. Bei dieser Art von<br />

Fehldiagnosen handelt es sich um<br />

Fälle, bei denen zumindest ein Carcinoma<br />

in situ vorliegt, dieses jedoch im<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 37


Abstrichbild nicht erkannt wird und<br />

die dazugehörige Patientin als gesund<br />

beurteilt wird. Da sich eine fehlerhaft<br />

als gesund diagnostizierte Patientin im<br />

Gegensatz zu einer fehlerhaft als<br />

krebskrank diagnostizierten Patientin<br />

in der Regel keinen weiteren Kontrolluntersuchungen<br />

unterziehen wird,<br />

kann die Fehldiagnose über einen langen<br />

Zeitraum unentdeckt bleiben und<br />

somit der wirkungsvollste Zeitraum<br />

für eine Krebstherapie – das heißt,<br />

das Anfangsstadium einer Krebserkrankung<br />

– verpaßt werden.<br />

Trotz dieser diagnostischen Problematik<br />

ist der Einsatz von modernen Informationstechnologien<br />

in den meisten<br />

Arztpraxen zur Unterstützung<br />

der Diagnostik bisher noch nicht üblich.<br />

Ein in diesem Zusammenhang<br />

von informatischer Seite häufig unterschätztes<br />

Problem ist die juristische<br />

Stellung automatisierter Diagnosen.<br />

<strong>Der</strong> medizinisch-rechtliche Status<br />

computerbasierter Diagnose- und<br />

Telekooperationssysteme ist im Gegensatz<br />

zu klassischen bildgebenden<br />

Verfahren und computergestützten<br />

Kassenabrechnungssystemen noch<br />

weitestgehend ungeklärt. Beispiele für<br />

die juristischen Probleme, die solche<br />

Hilfsmittel aufwerfen können, sind<br />

der Einsatz des PAPNETS-Systems,<br />

eines neuronalen Netzes, das eine automatische<br />

Erkennung von auffälligen<br />

Zellen anhand einfacher morphologischer<br />

Kriterien ermöglicht, oder von<br />

telepathologischen Systemen, wie<br />

dem HISTKOM-System.<br />

Diese Widerstände erfahren medizinische<br />

Enabling-Systeme in der Regel<br />

nicht. <strong>Der</strong> Ansatz hat nicht die Automatisierung<br />

der Diagnostik zum Ziel,<br />

vielmehr sollen Lernprozesse und medizinische<br />

(zytologische) Diagnosen<br />

so unterstützt werden, daß der Arzt<br />

beziehungsweise die Zytologieassistentin<br />

selbstverantwortlich handelt.<br />

Die Unterstützungsumgebungen reichern<br />

die Diagnosesituation jedoch<br />

um intuitive Informationen an, die bekannte<br />

Diagnoseprobleme absichern.<br />

Welche kognitiven Funktionen in den<br />

Lern- und Diagnoseprozessen unterstützt<br />

werden, ist abhängig von der<br />

Art der diagnostischen Problemstellung,<br />

beziehungsweise von den Eigenschaften<br />

des diagnostizierten Objekts.<br />

T I T E L<br />

Zugeordnete mentale Pathologiemodelle<br />

und individuelle Diagnosestrategien<br />

erfolgreicher Experten geben<br />

Vorbilder der multimedialen Illustrationen.<br />

Im Fall einer Diagnostik des Cervix<br />

uteri sind es unter biologischen<br />

Aspekten folgende Eigenschaften des<br />

Abstrichs, die dabei von entscheidender<br />

Bedeutung sind: die Größe, Anzahl<br />

und Form von Zellkernen im<br />

Verhältnis zum Zytoplasma, ihre<br />

Oberflächenstruktur, die Färbung und<br />

Struktur des Zytoplasmas sowie der<br />

Ordnungsgrad der Zellen im Gewebeverband.<br />

Die kognitiven Funktionen, die zum<br />

Erwerb von diagnostischen Klassifikationsleistungen<br />

anhand dieser biologischen<br />

Eigenschaften führen, lassen<br />

sich dabei unter Begriffen wie Kartengedächtnis,<br />

mentale Modellbildung<br />

und räumliches Gedächtnis zusammenfassen.<br />

Diese kognitiven Leistungen<br />

sind dabei nicht nur für die gynäkologische<br />

Zytodiagnostik prototypisch,<br />

sondern allgemein bei allen diagnostischen<br />

Leistungen zu finden. Typisch<br />

für eine erfolgreiche Zytodiagnostik<br />

sind jedoch zusätzlich Leistungen,<br />

die eher zu den Basisfunktionen<br />

des menschlichen Gehirns zu rechnen<br />

sind. Dazu gehören Blickbewegungsmechanismen<br />

und die Steuerung der<br />

selektiven Aufmerksamkeit. Neben<br />

der biologischen Angemessenheit der<br />

Illustrationen einschlägiger Pathologien<br />

bestimmt sich die Nützlichkeit<br />

eines Enabling-Systems auch über<br />

dessen Vollständigkeit.<br />

Das Enabling-System Cyto thematisiert<br />

alle wichtigen Verwechslungsmöglichkeiten<br />

in der Differentialdiagnostik<br />

für das Carcinoma in situ.<br />

Dazu gehören im wesentlichen Dysplasien<br />

und Metaplasien verschiedenen<br />

Schweregrades sowie Papilloma-<br />

Virus-Infektionen. Merkmale, die für<br />

eine differentialdiagnostische Unterscheidung<br />

besonders wichtig sind,<br />

werden in Form von grafischen 3D<br />

Modellen visualisiert.<br />

Ein wesentlicher Schritt zur Qualitätssicherung<br />

medizinischer Lern- und<br />

Unterstützungssysteme liegt in der<br />

Evaluation der Wirksamkeit des En-<br />

abling-Systems beim Einsatz in der<br />

Praxis. Die Überprüfung eines zytologischen<br />

Enablingsystems muß im<br />

Sinne der realen diagnostischen Zusammenarbeit<br />

in der Krebsfrüherkennung<br />

verschiedene Expertengruppen<br />

aus der Pathologie, Onkologie und<br />

Zytologie einbeziehen. Dies gilt in<br />

noch höherem Maß für Unterstützungsumgebungen,<br />

die – wie Cyto –<br />

auch in telepathologischen Kooperationen<br />

eingesetzt werden sollen.<br />

Eines der Kernprobleme der Telepathologie<br />

ist die Digitalisierung zytologischen<br />

Bildmaterials. Einerseits muß<br />

die diagnostisch erforderliche Auflösungshöhe<br />

des Mikroskops erreicht<br />

werden. Andererseits setzen der verfügbare<br />

Speicherplatz beziehungweise<br />

die Übertragungskapazität von Leitungen<br />

Grenzen. Neben der Orientierungswirksamkeit<br />

der Systeme wird<br />

daher in eher technischen Evaluationen<br />

auch die diagnostische Qualität<br />

von Kompressions- und Bildverarbeitungsverfahren<br />

bewertet, die im Rahmen<br />

telemedizinischer Anwendungen<br />

zum Einsatz kommen müssen.<br />

Endziel des Projekts ist die regionale<br />

Einbindung telemedizinischer Verfahren<br />

in die vorhandenen Infrastrukturen<br />

der Krebsvorsorge.<br />

Alois – Entwicklung eines<br />

diagnostischen Verfahrens<br />

Die Zielsetzung und auch das methodische<br />

Vorgehen ist bei Alois von<br />

gänzlich anderer Natur. Hier ist nicht<br />

die Entwicklung eines Diagnoselernsystems,<br />

sondern eines eigenständigen<br />

diagnostischen Verfahrens vorgesehen,<br />

das nach vollständigem Entwicklungsabschluß<br />

allen juristischen Richtlinien<br />

für die Entwicklung von medizinischen<br />

Diagnoseverfahren entsprechen<br />

wird.<br />

Ausgangspunkt für die Entwicklung<br />

eines kognitionspsychologischen Testverfahrens<br />

zur Erfassung von Gedächtniseinbußen<br />

und Verminderungen<br />

der kognitiven Leistungsfähigkeit<br />

ist die zunehmende Lebenserwartung<br />

in den industrialisierten Ländern, die<br />

in den letzten Jahrzehnten zu einer<br />

deutlichen Zunahme der Krankheiten<br />

führte, die statistisch und kausal mit<br />

38 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

Übersicht über einige der in Alois verwendeten Testverfahren<br />

einem höheren Lebensalter verbunden<br />

sind. Zu diesen Krankheiten<br />

gehört unter anderem der Formenkreis<br />

der dementiellen Erkrankungen<br />

und neurologischen Leistungseinbußen.<br />

<strong>Der</strong> Begriff Demenz, wie er in<br />

der Öffentlichkeit gebraucht wird, beschreibt<br />

dabei im eigentlichen Sinne<br />

kein eigenes Krankheitsbild, sondern<br />

Veränderungen im Erleben und Verhalten,<br />

die bei verschiedenen hirnorganischen<br />

Störungsbildern, zum<br />

Beispiel Morbus Parkinson, Multi-<br />

Infarkt-Demenz, reversible Demenz,<br />

Depression, Alzheimer-Demenz oder<br />

Demenz des Alzheimerformen Typs,<br />

gleichermaßen auftreten können.<br />

Das Krankheitsbild der Demenz kann<br />

gemäß den internationalen Diagnosekriterien<br />

folgendermaßen beschrieben<br />

werden: Verschlechterung des Kurzund<br />

Langzeit-Gedächtnisses, Interferenz-Störungen<br />

bei der Arbeit oder<br />

anderen sozialen Aktivitäten sowie<br />

mindestens eine weitere höhere kortikale<br />

Dysfunktion wie Verschlechterungen<br />

in der Abstraktions- und komplexen<br />

Problemlösefähigkeit, Apraxie,<br />

mangelnde Objektidentifikation<br />

trotz intakter sensorischer Funktionen<br />

oder Schwierigkeiten in der<br />

Rekonstruktion dreidimensionaler<br />

Objekte.<br />

Die Diagnose in der klinischen Praxis<br />

sollte üblicherweise in folgenden<br />

Schritten erfolgen:<br />

– Anamnese der Krankengeschichte<br />

unter besonderer Berücksichtigung<br />

von pharmakologisch wirksamen Substanzen,<br />

– Screening anhand von klinischen<br />

Skalen wie zum Beispiel dem Folstein<br />

T I T E L<br />

Mini-Mental Status,<br />

– Differentialdiagnostik<br />

mit neuropsychologischen<br />

Testbatterien wie<br />

zum Beispiel der Halstead-Reitan-Batterie,<br />

– Laborevaluation durch<br />

die Erhebung von sekundären<br />

Hirnstoffwechsel-<br />

Produkten.<br />

Das Projekt Alois setzt<br />

bei der neuropsychologischenDifferentialdiagnostik<br />

an, die von besonderer Bedeutung<br />

bei Patienten mit Screening-<br />

Werten im Normbereich ist, wie sie<br />

bei leichten Stadien der Demenz auftreten<br />

können. Außerdem ermöglichen<br />

sie eine diagnostische Abgrenzung<br />

zum Bild der klinischen Altersdepression.<br />

Statt jedoch wie in den meisten Kliniken<br />

üblich mit Papier-und-Bleistift-<br />

Material zu arbeiten, werden mit<br />

Alois verschiedene standardisierte<br />

Tests für kognitive Funktionen wie<br />

Aufmerksamkeit, Abstraktions- und<br />

Problemlösefähigkeit, Sprachvermögen,<br />

Gedächtnis sowie Wahrnehmungs-<br />

und visuo-konstruktive Funktionen<br />

rechnergestützt dargeboten,<br />

die Reaktionen der Patienten über<br />

Maus- und Tastaturbedienung automatisch<br />

erfaßt und statistisch ausgewertet.<br />

<strong>Der</strong> Einsatz von Multimedia-Technologien<br />

ist für die Art der eingesetzten<br />

Aufgaben wesentlich. Die meisten<br />

kognitiven Funktionstests setzen<br />

ihren diagnostischen Schwerpunkt<br />

und damit auch die dargebotenen<br />

Aufgaben auf kognitive Funktionsbereiche,<br />

die eng mit dem Verbalisierungsvermögen<br />

von Patienten verbunden<br />

sind, während mit Alois verstärkt<br />

nonverbale kognitive Fähigkeiten<br />

wie räumliches Vorstellungsvermögen,<br />

Objekterkennung, visuelles Gedächtnis,<br />

logisches Denken und Konzentrationsfähigkeit<br />

geprüft werden<br />

sollen.<br />

<strong>Der</strong> Einsatz von aktuellen Multimedia-Technologien<br />

geschieht daher<br />

nicht aus einem informationstechnischen<br />

Interesse, sondern ist durch<br />

differentialdiagnostische Ergebnisse<br />

bei Untersuchungen von Demenzkranken<br />

begründet. Diese sind zwar<br />

widerprüchlich, lassen jedoch den<br />

Schluß zu, daß den Bereichen Visuomotorik,<br />

räumliches Vorstellungsvermögen,<br />

visuelles Gedächtnis und Objektidentifikation<br />

in Abgrenzung zu<br />

sprachgebundenen Funktionen eine<br />

kritische Bedeutung bei der Differentialdiagnostik<br />

der Demenz zukommt.<br />

Geplant ist ein direkter Einsatz des<br />

Diagnosesystems Alois an Patienten<br />

in neurologischen und gerontopsychiatrischen<br />

Einrichtungen. Anhand<br />

einer hinreichend großen Patientenstichprobe<br />

und in Kombination mit<br />

anderen medizinischen und biologischen<br />

Daten werden in der letzten<br />

Projektphase statistisch Reliabiliät<br />

und Validität bestimmt werden.<br />

....................................<br />

Dipl.-Biol., Dipl.-Psych.<br />

Ute Simon ist Wissenschaftlerin<br />

im <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für AngewandteInformationstechnik.<br />

Sie arbeitet<br />

im Bereich Mensch-<br />

Maschine-Kommunikation<br />

des Instituts<br />

auf dem Gebiet der<br />

biomedizinischen<br />

Diagnostik.<br />

....................................<br />

Dipl.-Inform. Manfred<br />

Berndtgen ist Wissenschaftler<br />

im <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für AngewandteInformationstechnik.<br />

Er arbeitet<br />

im Bereich Mensch-<br />

Maschine-Kommunikation<br />

auf dem Gebiet<br />

der medizinischen<br />

Bildverarbeitung.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 39


<strong>Der</strong> Behandlungsraum<br />

der Zukunft<br />

Von Thomas Berlage<br />

Informations- und Kommunikationstechniken<br />

werden in den kommenden<br />

Jahren auch in der Medizin deutliche<br />

Veränderungen hervorrufen. Im Gegensatz<br />

zur bisherigen Entwicklung<br />

betrifft das nicht nur die sogenannte<br />

Hochleistungsmedizin, sondern immer<br />

mehr jede Patientenbehandlung.<br />

Die Herausforderung in dieser Situation<br />

besteht darin, die Technologie<br />

nicht in den Mittelpunkt zu rücken,<br />

sondern dem Nutzen von Patienten<br />

und Ärzten unterzuordnen.<br />

Das Konzept eines Befähigungssystems<br />

(enabling system) wird dazu<br />

beitragen, den Mediziner bei einer<br />

Reihe von Tätigkeiten zu unterstützen,<br />

so beispielsweise bei der Fortbildung,<br />

bei der Diagnose, bei Konsultationen<br />

oder bei der Aufklärung des<br />

Patienten. Befähigungssysteme sind<br />

weder reine Werkzeuge noch Automatismen,<br />

sondern sie bieten abge-<br />

T I T E L<br />

stimmt auf die Situation und die kognitiven<br />

Anforderungen des Mediziners<br />

Informations- und Trainingseinheiten<br />

an, die den Mediziner oder Patienten<br />

befähigen, die aktuelle Situation und<br />

ähnliche Situationen in der Zukunft<br />

zu beherrschen. Eine wesentliche<br />

Rolle spielt dabei die Orientierung:<br />

die Zusammenstellung und Veranschaulichung<br />

relevanter Informationen<br />

in Form einer zusammenhängenden<br />

Szene.<br />

Die Unterordnung der Technologie<br />

unter die situativen Anforderungen<br />

wird besonders deutlich in dem Projekt<br />

SCENE, in dem das <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Angewandte Informationstechnik<br />

den Behandlungsraum der Zukunft<br />

skizziert. Dieser Behandlungsraum<br />

rückt den Patienten in den Mittelpunkt<br />

des Geschehens. Die notwendigen<br />

technischen Medien sind integriert,<br />

aber soweit wie möglich verborgen.<br />

Ringsherum an den Wänden<br />

unterstützt ein Befähigungssystem<br />

Arzt und Patient als gemeinsame Orientierung.<br />

<strong>Der</strong> ganze Raum wird zu<br />

einer szenischen Situation, die sowohl<br />

die Wissenserweiterung als auch die<br />

Kommunikation unterstützt.<br />

<strong>Der</strong> Behandlungsraum SIGMA dient<br />

als Bühne, um typische Unterstützungssituationen<br />

und die dafür vorstellbaren<br />

Lösungen zu demonstrieren.<br />

Verschiedene Lösungen aus der<br />

<strong>GMD</strong>-Arbeit werden in einem gemeinsamen<br />

Kontext sichtbar gemacht:<br />

von kardiologischen Trainingssystemen<br />

zu dreidimensionaler Bildgebung,<br />

von animierten dreidimensionalen<br />

Herzmodellen zu Telekonsultationen,<br />

von medizinischen Online-Systemen<br />

zur Veranschaulichung von<br />

Krankheitsbildern und Medikamentenwirkungen.<br />

<strong>Der</strong> Behandlungsraum<br />

Im Behandlungsraum steht die Liege<br />

für den Patienten im Mittelpunkt. Neben<br />

dieser Liege haben der Arzt und<br />

seine direkt benötigten medizinischen<br />

Geräte, zum Beispiel ein Ultraschallgerät,<br />

Platz. Darüber hinaus ist aber<br />

kein Gerät zu sehen, das wie ein Personal<br />

Computer aussieht. Stattdessen<br />

kann der Arzt die Wände als Darstellungsmedium<br />

benutzen. Dort erscheinen<br />

Patientendaten, Bilddaten, Vergleichswerte,<br />

animierte Visualisierun-<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

<strong>Der</strong> Behandlungsraum<br />

40 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


gen, Simulationen, Videobilder von<br />

Konsultationspartnern und Fachinformationen<br />

aus Online-Diensten. Wenn<br />

die Darstellungsflächen nicht gebraucht<br />

werden, zeigen sie neutrale<br />

Hintergründe oder Kunstobjekte.<br />

<strong>Der</strong> Arzt steuert diese Darstellungen<br />

von seinem medizinischen Gerät aus,<br />

mit Hilfe eines Zeigegeräts (Lichtzeiger)<br />

oder mit Hilfe eines stiftbasierten<br />

Anzeige- und Eingabetabletts (pen<br />

pad). Die lokalen Anzeigen im medizinischen<br />

Gerät und im Eingabetablett<br />

dienen auch zur Anzeige von<br />

Daten, die kein anderer Anwesender<br />

sehen soll.<br />

Die Wandanzeigen dienen zum einen<br />

als Kontext und Orientierung für den<br />

Arzt, der alle wesentlichen Informationen<br />

und Zusammenhänge gemeinsam<br />

als Hintergrundinformation zur<br />

Diagnose zur Verfügung hat. Gleichzeitig<br />

kann er diese Anzeigen auch<br />

zur Aufklärung und Unterrichtung<br />

des Patienten verwenden. Spezielle<br />

Veranschaulichungen bestimmter Pathologien<br />

können bereits auf die<br />

Situation des Patienten und die damit<br />

verbundenen Informationsbedürfnisse<br />

zugeschnitten sein.<br />

Diagnoseunterstützung<br />

Die vielfältigen Anzeigen dienen dem<br />

Arzt dazu, die Gesamtsituation des<br />

Patienten abzubilden und so eine Orientierung<br />

für die Diagnosefindung zu<br />

bieten. Abgestimmt auf die Situation<br />

kann er den Verlauf der Bildaufnahme<br />

kontrollieren, Vergleichsbilder abrufen,<br />

Online-Dienste konsultieren<br />

oder sich Diagnoseschritte vorführen<br />

lassen.<br />

Nehmen wir an, ein Jugendlicher mit<br />

einem schon lange behandelten angeborenen<br />

Herzfehler kommt zur Routineuntersuchung<br />

zu seiner Ärztin –<br />

einer niedergelassenen Kardiologin<br />

vielleicht. Als erste Aufgabe muß die<br />

Ärztin die wichtigsten Punkte aus der<br />

vorhergehenden Behandlung rekapitulieren.<br />

Zu diesem Zweck hat das<br />

Praxispersonal die Patientenakte aus<br />

dem elektronischen Archiv geholt und<br />

T I T E L<br />

Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

auf dem virtuellen Schreibtisch verfügbar<br />

gemacht. Um das komplette<br />

Durchblättern zu ersparen, werden<br />

die wichtigsten Punkte der Patientenvergangenheit<br />

in einer grafischen<br />

Übersichtsdarstellung präsentiert. Diese<br />

Darstellung wird zum Teil automatisch<br />

erzeugt, das Praxispersonal kann<br />

sie aber aufgrund ihrer eigenen Kompetenz<br />

noch verändern, um die Darstellung<br />

so gut wie möglich auf den<br />

Zweck der Untersuchung zu fokussieren.<br />

Solcherart effektiv „ins Bild gesetzt“,<br />

kann die Ärztin bald mit einer gezielten<br />

Ultraschalluntersuchung des Herzens<br />

beginnen. Um eine Aufzeichnung<br />

des Zustandes zu erlangen, wird<br />

eine dreidimensionale Schichtaufnahme<br />

angefertigt. Da es schwierig ist,<br />

sich in diesem sogenannten Volumendatensatz<br />

zurechtzufinden, wird passend<br />

dazu ein angepaßtes dreidimensionales<br />

Modell des schlagenden Herzens<br />

angezeigt, das intuitiv angibt,<br />

welcher Ausschnitt des Herzens gerade<br />

angeschaut wird.<br />

Zum Vergleich kann parallel die Aufnahme<br />

der vorherigen Untersuchung<br />

verglichen werden, um die Entwicklung<br />

beurteilen zu können.<br />

Da die Anomalie bei der früheren Behandlung<br />

nicht vollständig beseitigt<br />

Apikaler Vierkammerblick<br />

Aufsetzposition und Angulation<br />

Schallkopf mit dem Zeigefinger<br />

auf der Kerbe greifen...<br />

...und im 5. Interkostalraum<br />

aufsetzen.<br />

(Bei Kindern eventuell auch im 4.)<br />

Orientierung an der Diagonale:<br />

linke Hüfte -> rechte Schulter.<br />

Zum Anfang<br />

Sehen Sie sich die Positionierungsschritte bitte an.<br />

Echo Tutor<br />

StartmenŸ Pause<br />

Illustration eines Tutormoduls<br />

werden konnte, obwohl der Patient<br />

keine Beschwerden hat, möchte die<br />

Ärztin sich vergewissern, ob der vorliegende<br />

Fall vorbeugend operiert<br />

werden sollte oder nicht. Dazu ruft sie<br />

aus einem medizinischen Online-<br />

Dienst Informationen zur konkreten<br />

Fehlbildung ab. <strong>Der</strong> Online-Dienst<br />

bietet verschiedene Beispielfälle an<br />

und nennt Kriterien, die für die Folgebehandlung<br />

relevant sind. Die einzelnen<br />

Fälle können sowohl in Form von<br />

Ultraschallbildern als auch von grafischen<br />

Modellen beschrieben werden,<br />

zur Verifikation werden weitere<br />

Meßverfahren und Untersuchungsschritte<br />

vorgeschlagen.<br />

Die Ärztin entschließt sich aufgrund<br />

dieser Information, einen Meßwert<br />

zur speziellen Pumpleistung des Herzens<br />

zu erheben. Da sie eine solche<br />

Messung lange nicht mehr durchgeführt<br />

hat, ruft sie aus dem Online-<br />

Dienst ein multimediales Tutorium<br />

ab, das die notwendigen Schritte animiert<br />

vormacht und ihr gleichzeitig<br />

die Durchführung am Patienten ermöglicht.<br />

Das Tutorium weist auf erfahrungsgemäß<br />

kritische Schritte hin,<br />

die für die Genauigkeit der Messung<br />

entscheidend sind. Damit wird verhindert,<br />

daß ein ungenau erhobener Wert<br />

später zu einer falschen Entscheidung<br />

führt.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 41


T I T E L<br />

Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

Auswahlangebot für passende Medikamente<br />

Im Vergleich mit einer Normwerttabelle<br />

erkennt die Ärztin, daß der<br />

Wert an der unteren Grenze, aber<br />

noch im Normalbereich liegt. Auf<br />

Kommando werden das Ultraschallbild<br />

und der Meßwert in die Patientenakte<br />

übernommen, über ein<br />

Spracherkennungssystem wird die<br />

Diagnose diktiert. Diese Aufzeichnungen<br />

werden dann anschließend<br />

vom Praxispersonal elektronisch weiterbearbeitet,<br />

zum Beispiel zur Kassenabrechnung<br />

und zur Information<br />

des Hausarztes. Die Arbeitsteilung<br />

und Zusammenarbeit in der Praxis<br />

werden nicht wesentlich verändert,<br />

die Übermittlung der Information innerhalb<br />

und außerhalb der Praxis erfolgt<br />

aber immer elektronisch.<br />

Zur Prophylaxe soll der Patient ein<br />

neues Medikament erhalten. Aus den<br />

wesentlichen Befunddaten sucht der<br />

Online-Dienst aus einer Datenbank<br />

eine Anzahl passender Medikamente<br />

mit allen Informationen heraus. Die<br />

Ärztin kann nun diese Auswahl unter<br />

verschiedenen Gesichtspunkten, zum<br />

Beispiel Verträglichkeit, Verabreichungsform,<br />

Packungsgröße, Preis, im<br />

Gespräch mit dem Patienten das geeignete<br />

Produkt heraussuchen und<br />

verschreiben.<br />

Aufklärung des Patienten<br />

Viele Patienten möchten gerne besser<br />

über ihren Zustand informiert sein.<br />

Ein genaues Verständnis des Krankheitsbildes<br />

ist oft sehr wichtig für eine<br />

erfolgreiche Behandlung. <strong>Der</strong> Patient<br />

kann an der Wand des Behandlungs-<br />

raums einerseits den Verlauf der Untersuchung<br />

mitverfolgen, zum Beispiel<br />

anhand von Ultraschallbildern mit<br />

automatisch eingeblendeten Modellvisualisierungen,<br />

andererseits vom<br />

Arzt über konkrete Diagnosen und<br />

Therapien informiert werden, zum<br />

Beispiel anhand von Markierungen in<br />

Bildern, Vergleichsbildern oder Visualisierungen<br />

von Operationsmethoden<br />

und Medikamentenwirkungen.<br />

In unserem Beispiel hat der Patient –<br />

als alter Hase – bereits aufmerksam<br />

das Ultraschallbild verfolgt und sogar,<br />

dank der Modellunterstützung, ein<br />

paar Einzelheiten erkannt. Die Ärztin<br />

kann ihm anschließend aber anhand<br />

des elektronischen Herzmodells ganz<br />

genau zeigen, in welcher Form sein<br />

Herz von einem normalen Herzen ab-<br />

42 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


T I T E L<br />

Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />

Modifikation des Modellherzens<br />

Abbildung 5: <strong>GMD</strong><br />

Telekommunikationsszenario<br />

weicht. Dazu modifiziert sie an einer<br />

Stelle interaktiv das Modellherz und<br />

stellt so den geänderten Blutfluß und<br />

die geänderten Druckverhältnisse dar.<br />

Das Ergebnis kann sich der Patient<br />

von allen Seiten, von innen und von<br />

außen ansehen.<br />

Auch aus dem Ultraschalldatensatz<br />

können dreidimensionale Ansichten<br />

der Problemstelle aus bestimmten<br />

Blickwinkeln generiert werden. Diese<br />

Ansichtspunkte werden im Modell<br />

ausgewählt und dann mit dem Patientenbild<br />

berechnet. Nach der Vororientierung<br />

durch das Modell kann der<br />

Patient die Fehlbildung selbst identifizieren.<br />

Zur erfolgreichen Medikation kann<br />

der Wirkungsmechanismus des Medikaments<br />

ebenfalls anhand von animierten<br />

dreidimensionalen Modellwelten<br />

veranschaulicht werden. Effekte<br />

von Unter- und Überdosierung sowie<br />

Langfristwirkung und Dosierungsverlauf<br />

werden angezeigt. Solche<br />

Veranschaulichungen werden vom<br />

Pharmahersteller bereitgestellt, der<br />

damit seine Verantwortung für Arzt<br />

und Patient beweist.<br />

Konsultation<br />

In Abwesenheit des Patienten kann<br />

der Arzt über Telekonsultation eine<br />

zweite Meinung einholen oder den<br />

Befund zur Behandlung weitergeben<br />

– zum Beispiel von Kardiologe zu<br />

Chirurg. Die dargestellten Informationen<br />

stehen dabei beiden Seiten zur<br />

Verfügung, gleichzeitig existiert eine<br />

Konferenzschaltung. Mit einem Zeigegerät<br />

kann der Arzt Dinge hervorheben.<br />

Mit anwesenden Kollegen<br />

kann eine solche Konsultation auch<br />

innerhalb des Raumes stattfinden.<br />

In unserem Beispiel möchte die Ärztin<br />

den Fall doch noch einmal mit einem<br />

Spezialisten und einem Herzchirurgen<br />

diskutieren. Ausgehend von<br />

den aktuellen Falldaten kann sie die<br />

Ultraschalldaten, Meßwerte, das modifizierte<br />

Modell und relevante Ansichten<br />

des Ultraschallbildes zusammen<br />

mit gesprochenen Kommentaren<br />

an eine Kollegin im nahegelegenen<br />

Herzzentrum schicken. Die Kollegin<br />

kann sich anhand der Zusammenstel-<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 43


Abbildung 6: <strong>GMD</strong><br />

Ansicht eines dreidimensionalen<br />

Ultraschalldatensatzes<br />

lung ein erstes Bild machen. Sie führt<br />

jedoch am Nachmittag noch eine<br />

Rückfrage durch, meldet sich über<br />

Videokonferenz und erläutert anhand<br />

der im Raum sichtbaren Bilder ihre<br />

Meinung.<br />

In gleicher Weise wird anschließend<br />

ein entfernt arbeitender Chirurg kontaktiert.<br />

<strong>Der</strong> Chirurg ist kein Experte<br />

in der Interpretation von Ultraschallbildern,<br />

kann sich aber anhand der<br />

Modelle ein anschauliches Bild vom<br />

Zustand des Patienten machen und<br />

ebenfalls anhand der Bilder demonstrieren,<br />

warum eine Operation im<br />

Moment nicht sinnvoll ist. Wäre eine<br />

Operation nötig, könnte er anhand<br />

der Modelle und der Ultraschallbilder<br />

die Operation bereits in Einzelheiten<br />

planen und vorbereiten, so daß in einem<br />

Notfall direkt nach dem Eintreffen<br />

des Patienten mit der Behandlung<br />

begonnen werden könnte.<br />

....................................<br />

Dr. Thomas Berlage<br />

arbeitet im <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für Angewandte<br />

Informationstechnik<br />

an interaktiven Telekonsultationssystemen<br />

für die Kardiologie<br />

und leitet das europäischeVerbundprojekt<br />

CardiAssist.<br />

T I T E L<br />

Virtual Eye –<br />

Simulation<br />

physiologischer<br />

Optik im menschlichen<br />

Auge<br />

Von Sina Mostafawy<br />

Die Visualisierung der optischen Vorgänge<br />

im menschlichen Auge wird<br />

durch ein neues Verfahren möglich,<br />

das vom <strong>GMD</strong>-Institut für Medienkommunikation<br />

gemeinsam mit dem<br />

Laserforum Köln GmbH entwickelt<br />

wurde. Modelle aus der physikalischen<br />

Optik in Verbindung mit Verfahren<br />

und Algorithmen aus der<br />

Computergrafik werden für die Rekonstruktion<br />

eines Augenmodells benutzt.<br />

Die berechneten Bilder durch<br />

das Augenmodell entsprechen den auf<br />

die Netzhaut projizierten Abbildungen.<br />

Wichtige optische Komponenten<br />

des Auges, wie Linse, Hornhaut, Pupille,<br />

werden durch ein Linsensystem<br />

im Computer simuliert. Das System<br />

berechnet ein Bild von einer beliebigen<br />

dreidimensionalen Szene, zunächst<br />

aus der Sicht eines gesunden<br />

Auges. Das Programm ist in der Lage,<br />

Effekte wie Akkommodation oder<br />

Änderung der Pupillenweite zu simulieren.<br />

Dem Augenmodell können<br />

verschiedene Krankheitsbilder und<br />

Fehlsichtigkeiten, etwa Kurz- oder<br />

Weitsichtigkeit sowie Astigmatismus,<br />

zugeordnet werden.<br />

Das virtuelle Auge zeigt ein Bild, welches<br />

ein Patient mit einer entsprechenden<br />

Sehschwäche sehen würde.<br />

Aufgrund des Krankheitsbildes können<br />

Vorschläge für eine Behandlungsmethode<br />

gemacht und diese am Computer<br />

simuliert werden. Dabei können<br />

sowohl einfache Modelle, wie die Verschreibung<br />

einer Brille, als auch neue<br />

chirurgische Verfahren, wie eine Laserbehandlung,<br />

eingesetzt werden.<br />

Die berechneten Bilder zeigen die zu<br />

erwartenden Ergebnisse nach einer<br />

solchen Behandlung.<br />

Basierend auf den aktuellen Forschungsprojekten<br />

im Bereich der Refraktiven<br />

Chirurgie können eine bessere<br />

Planung und Prognosen bei bestimmten<br />

Verfahren erzielt werden.<br />

Die Visualisierung der Netzhautbilder<br />

führt zum besseren Verständnis bei<br />

Studenten und auszubildenden Ärzten<br />

und dient ebenfalls als Aufklärung<br />

für Patienten.<br />

Simulation des Auges<br />

In der medizinischen Optik ist Ray<br />

Tracing ein bekanntes mathematisches<br />

Modell für die Simulation optischer<br />

Aberrationen beliebiger Linsen.<br />

Das Verfahren wird häufig für die Beurteilung<br />

der optischen Eigenschaften<br />

eines solchen Linsensystems eingesetzt.<br />

Typischerweise werden Strahlen<br />

von der Objektebene durch das Linsensystem<br />

in die Bildebene verfolgt.<br />

Die Lage der Bildpunkte gibt Aufschluß<br />

über die Brechungseigenschaften<br />

der verwendeten Optik. Aus diesen<br />

Informationen werden Kurven<br />

und Statistiken berechnet, die Aussagen<br />

über die Qualität der Linsen erlauben.<br />

Bisher wurden diese Methoden<br />

jedoch nicht benutzt, um die<br />

tatsächliche Projektion auf der Bildebene<br />

zu visualisieren.<br />

In der Computergrafik ist Ray Tracing<br />

eine Methode zur Erzeugung fotorealistischer<br />

Bilder aus einer dreidimensionalen<br />

virtuellen Szene. Lichtstrahlen<br />

werden verfolgt und ihre Wechselwirkung<br />

mit den in der Szene befindlichen<br />

Objekten untersucht. Sehr viele<br />

Arbeiten auf diesem Gebiet befassen<br />

sich mit der realistischen Darstellung<br />

der Lichtausbreitung im Raum. Andere<br />

haben sich mehr mit der realistischen<br />

Simulation optischer Effekte<br />

auseinandergesetzt. So werden in der<br />

wissenschaftlichen Literatur beispielsweise<br />

Effekte wie Tiefenschärfe vorgestellt<br />

oder in einem Kameramodell<br />

sowohl optische Aberrationen als<br />

auch der Einfluß von Belichtungsdauer<br />

auf Bilder präsentiert.<br />

Dennoch gibt es unseres Wissens kein<br />

System, das ein menschliches Auge<br />

derart simuliert, daß man die Projektion<br />

einer dreidimensionalen Szene<br />

auf der Netzhaut unter bestimmten<br />

optischen Bedingungen sieht. Die<br />

44 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Motivation dieser Arbeit besteht darin,<br />

zwei weit entwickelte wissenschaftliche<br />

Methoden in einer Form zu<br />

kombinieren, die eine solche Simulation<br />

erlaubt.<br />

Das Auge<br />

Anatomie<br />

Das Auge ist eine fast kugelförmige,<br />

24 Millimeter tiefe und etwa 22 Millimeter<br />

breite, gallertartige Masse, die<br />

innerhalb einer widerstandsfähigen<br />

Hülle eingeschlossen ist. Bis auf<br />

den vorderen Teil, der transparenten<br />

Hornhaut, ist sie lichtundurchlässig.<br />

Die Hornhaut ist das erste und stärkste<br />

Konvex-Element des Linsensystems.<br />

<strong>Der</strong> größte Teil der Ablenkung<br />

eines Strahlenbündels findet an der<br />

Luft-Hornhaut-Grundfläche statt. Danach<br />

wird das Licht durch die Pupille<br />

gebündelt, die als Blende wirkt und<br />

die einfallende Lichtmenge reguliert.<br />

Dahinter befindet sich die Linse, die<br />

im Gegensatz zu künstlichen Linsen<br />

verformbar ist und dadurch eine variable<br />

Brennweite hat. Den Vorgang<br />

der Feineinstellung nennt man Akkommodation.<br />

Das einfallende Licht<br />

trifft auf die Netzhaut, die lichtempfindliche<br />

Zellen enthält, welche die<br />

Information zum Gehirn weiterleiten.<br />

Fehlsichtigkeit<br />

Wir unterscheiden drei Hauptformen<br />

der Fehlsichtigkeit, die Kurzsichtigkeit<br />

(Myopie), die Weitsichtigkeit<br />

(Hyperopie) und den Astigmatismus.<br />

Kurzsichtigkeit ist der Zustand, bei<br />

dem parallele Strahlen vor der Netzhaut<br />

gebündelt werden. Die Brechkraft<br />

des Linsensystems ist zu stark<br />

für die Axiallänge vom vorderen bis<br />

zum hinteren Punkt des Auges. Dies<br />

kann unter verschiedenen Umständen<br />

eintreten: das Auge könnte länger<br />

werden, obwohl seine Brechkraft normal<br />

bleibt, oder die Hornhaut könnte<br />

sich stärker krümmen.<br />

Weitsichtigkeit ist eine Fehlsichtigkeit,<br />

deren Ursache darin liegt, daß<br />

der zweite Brennpunkt des nichtakkomodierten<br />

Auges hinter der Netzhaut<br />

liegt. Sie ist oft die Folge einer Ver-<br />

T I T E L<br />

kürzung der Axiallänge<br />

des Auges, die Linse befindet<br />

sich zu nah an der<br />

Netzhaut.<br />

Ein anderer Augenfehler<br />

ist der Astigmatismus.<br />

Er stammt von einer<br />

ungleichen Krümmung<br />

der Hornhaut. Mit<br />

anderen Worten, die<br />

Hornhaut<br />

ist asymmetrisch. Dieser<br />

Fehler hat eine Verzerrung<br />

des Bildes zur Folge,<br />

so daß ein Punkt beispielsweise<br />

als kleiner<br />

Strich abgebildet wird.<br />

Methoden zur Korrektur<br />

Die Fehlsichtigkeit kann auf verschiedene<br />

Weise korrigiert werden. Konventionelle<br />

Methoden sind Brillen<br />

oder Kontaktlinsen. Neben diesen bewährten<br />

Methoden zur Korrektur gibt<br />

es seit einigen Jahren operative Verfahren<br />

mit Hilfe des Lasers. Die photorefraktive<br />

Keratektomie wird mit<br />

einem Excimer Laser meistens an<br />

kurzsichtigen Patienten durchgeführt.<br />

Dabei werden feinste Gewebeschichten<br />

berührungslos abgedampft. Durch<br />

die Behandlung wird das Zentrum der<br />

Hornhaut flacher, die Brechkraft wird<br />

soweit verringert, bis die Lichtstrahlen<br />

wieder auf der Netzhaut gebündelt<br />

werden.<br />

Eine wichtige Frage bei der photorefraktiven<br />

Keratektomie ist die Wahl<br />

des Durchmessers der optischen Zone<br />

für den Eingriff. Das hängt von vielen<br />

Faktoren wie dem Grad der Kurzsichtigkeit<br />

oder sogar dem Beruf des Patienten<br />

ab. Wenn der Patient nachts<br />

beruflich tätig ist, wählt man eine<br />

große Zone, etwa sechs bis sieben<br />

Millimeter, da die Pupille in der Dunkelheit<br />

bis zu acht Millimeter Durchmesser<br />

haben kann, und somit Strahlen<br />

durch eine unbehandelte Zone gehen<br />

würden. Auf der anderen Seite<br />

hat die Wahl des Durchmessers Einfluß<br />

auf die Tiefe der Behandlung. Eine<br />

zu tiefe Abtragung könnte zu<br />

Stabilitätsproblemen der Hornhaut<br />

führen.<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

Augenpunkt<br />

Ray Tracing<br />

Bildebene<br />

Es ergeben sich bei der Korrektur der<br />

Fehlsichtigkeit viele Fragen, die durch<br />

eine Simulation im Computer besser<br />

behandelt werden können.<br />

Methoden<br />

Ray Tracing<br />

Reflexion<br />

Transparent<br />

Ein wichtiges Teilgebiet der Computergrafik<br />

ist die realistische Darstellung<br />

einer dreidimensionalen Szene<br />

auf einem zweidimensionalen Ausgabemedium.<br />

Ray Tracing ist eines der<br />

Verfahren für die fotorealistische Bilderzeugung.<br />

Dazu werden ein Projektionszentrum<br />

(Augenpunkt) und eine<br />

Bildebene gewählt. Für jeden Bildpunkt<br />

wird ein Strahl vom Augenpunkt<br />

aus erzeugt und durch die<br />

Szene verfolgt. Falls dieser Strahl ein<br />

Objekt in der Szene trifft, bekommt<br />

der dazugehörige Bildpunkt die berechnete<br />

Farbe des Objektes in Abhängigkeit<br />

von den Lichtquellen.<br />

<strong>Der</strong> Vorteil einer solchen Strahlenverfolgung<br />

ist, daß <strong>Spiegel</strong>ungen und<br />

Brechungen physikalisch korrekt simuliert<br />

werden können. Mit Hilfe der<br />

Gesetze der geometrischen Optik<br />

werden spiegelnde Oberflächen oder<br />

transparente Objekte mit beliebigem<br />

Brechungsindex dargestellt. Für die<br />

realistische Simulation eines Linsensystems<br />

ist allerdings die Verfolgung<br />

eines Sichtstrahls aus der Bildebene<br />

nicht ausreichend, da Effekte wie Tiefenschärfe<br />

oder Fokussierung damit<br />

nicht erzeugt werden können.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 45


Simulation eines Linsensystems<br />

Für die Simulation eines optischen Systems<br />

werden von jedem Bildpunkt<br />

mehrere Strahlen durch das Linsensystem<br />

geschickt. Die Linsen werden<br />

durch meist sphärische Objekte mit<br />

entsprechendem Brechungsindex präsentiert.<br />

Die Strahlen werden gleichmäßig<br />

auf die Oberfläche der Linse<br />

ausgestreut, an dieser gebrochen und<br />

T I T E L<br />

Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

optische Zone<br />

Hornhaut<br />

Optische Zonen der photorefraktiven Keratektomie<br />

behandelte Zonen<br />

in die Szene verfolgt. Strahlen, die<br />

sich nach dem Durchgang durch das<br />

optische System an einem Punkt auf<br />

der Oberfläche eines Objektes treffen,<br />

bilden diesen Punkt scharf auf<br />

der Bildebene ab. Dagegen wird ein<br />

Objekt, welches nicht in der Brennebene<br />

des Linsensystems liegt, von den<br />

Strahlen an jeweils verschiedenen<br />

Punkten getroffen und unscharf abgebildet.<br />

Simulation eines Auges<br />

Das Auge ist, vereinfacht betrachtet,<br />

ein Linsensystem, bestehend aus mehreren<br />

sphärischen Konvex-Linsen.<br />

Wir benutzen das Gullstrand-Augenmodell<br />

aus der medizinischen Optik,<br />

das eine gute Approximation für die<br />

optischen Verhältnisse im Auge ist.<br />

Die Strahlen werden von der Netzhaut<br />

auf die Linse verteilt, werden<br />

durch die Pupille gebündelt und gehen<br />

durch beide Schichten der Hornhaut.<br />

Alle Abstände und Größen können<br />

derart verändert werden, daß eine<br />

Simulation von Akkommodation, Pupillenverengung<br />

und Fehlsichtigkeit<br />

ermöglicht wird. Zusätzliche Linsen<br />

können eingefügt werden, um Brillen,<br />

Kontaktlinsen oder Intraokularlinsen<br />

zu simulieren.<br />

Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

Simulation der Akkomodation<br />

a) nah<br />

Myopes Auge bei einer Pupille von 5 Millimetern<br />

d) – 3 Dioptrien e) – 6 Dioptrien f) – 8 Dioptrien<br />

Simulation des gesunden und myopen Auges<br />

b) mittel c) fern<br />

46 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />

r<br />

x<br />

y


T I T E L<br />

Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />

a) Normales Auge mit 5 Millimeter<br />

Pupillendurchmesser<br />

Simulation der Akkommodation<br />

c) Nach Laserbehandlung mit einer<br />

optischen Zone von 3 Millimetern<br />

Simulation der photorefraktiven<br />

Keratektomie-Laseroperation<br />

Durch die photorefraktive Keratektomie<br />

erhält die Hornhaut eine ortsabhängige<br />

Brechkraft. Die behandelte<br />

Zone unterscheidet sich in der Brechkraft<br />

gegenüber der unbehandelten<br />

Zone durch die Krümmung. Da wir<br />

beliebig viele refraktive Oberflächen<br />

in das System eingliedern können,<br />

sind wir in der Lage, eine Hornhaut<br />

zu modellieren, die einer Hornhaut<br />

nach der Laserbehandlung in ihren<br />

optischen Eigenschaften sehr nahekommt.<br />

Wenn die Strahlen die Innenseite der<br />

Hornhaut treffen, können wir die Position<br />

des Treffpunktes ermitteln und<br />

somit erfahren, in welcher optischen<br />

Zone sich der Strahl befindet. Mit dieser<br />

Methode können wir die photore-<br />

b) Myopes Auge (– 6 Dioptrien)<br />

Simulation einer photorefraktiven Keratektomie-Laserbehandlung<br />

d) Klares Netzhautbild bei einer optischen<br />

Zone von 5 Millimetern<br />

fraktive Keratektomie-Operation mit<br />

beliebigem optischen Durchmesser<br />

durchführen. Durch eine Verschiebung<br />

der optischen Zone in x- oder y-<br />

Richtung sind wir in der Lage, eine<br />

dezentrierte photorefraktive Keratektomie<br />

zu simulieren. Auch andere<br />

operative Techniken, wie mehrere<br />

Übergangszonen für hochgradig kurzsichtige<br />

Patienten, können in ihrer<br />

Wirkung untersucht werden.<br />

Ergebnisse<br />

Zunächst haben wir die Akkommodation<br />

mit dem virtuellem Auge simuliert.<br />

Hierbei wählten wir eine Szene<br />

mit Objekten in verschiedenen Distanzen<br />

zum Auge und fokussierten<br />

das System auf diese. In Abbildung 3<br />

(a bis c) sehen wir die berechneten<br />

Bilder mit drei Linseneinstellungen.<br />

Sowohl für die Feineinstellung der<br />

Linse als auch für alle anderen optischen<br />

und operativen Einstellungen<br />

benutzen wir die einfach zu bedienende<br />

Benutzeroberfläche.<br />

Abbildung 3 (d bis f) zeigt dieselbe<br />

Szene, gesehen durch ein Auge mit<br />

unterschiedlichen Kurzsichtigkeiten<br />

von -3 Dioptrien, -6 Dioptrien und -8<br />

Dioptrien. In Abbildung 4 sind die<br />

Ergebnisse einer Laserbehandlung visualisiert.<br />

Zunächst ein gesundes Auge<br />

in Abbildung 4a, um die späteren<br />

Ergebnisse der photorefraktiven Keratektomie<br />

mit dem Optimalbild vergleichen<br />

zu können. Das Auge wurde<br />

mit -6 Dioptrien simuliert (Abbildung<br />

4b), um dann mit verschiedenen optischen<br />

Zonen operiert zu werden.<br />

Klare Netzhautbilder erzielen wir mit<br />

einem Durchmesser der optischen<br />

Zone von 4,5 Millimetern und mehr<br />

(Abbildung 4d). Diese Ergebnisse<br />

stimmen mit den klinischen Erfahrungen<br />

überein. Wir sehen in Abbildung<br />

4c, was Patienten mit einer zu kleinen<br />

optischen Zone sehen. Da sehr viele<br />

Lichtstrahlen mit einer Pupille von 5<br />

Millimetern durch die unbehandelte<br />

Zone gehen, ist das Bild einerseits unschärfer,<br />

weil sich die Strahlen vor der<br />

Netzhaut treffen, und andererseits<br />

entstehen Doppelbilder aus der Überlagerung<br />

der korrigierten und unkorrigierten<br />

Zonen.<br />

....................................<br />

Sina Mostafawy ist<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

in der Gruppe<br />

„Visualization and<br />

Media Systems<br />

Design“ des <strong>GMD</strong>-<br />

Instituts für Medienkommunikation.<br />

Seine<br />

Arbeitsschwerpunkte<br />

liegen im Bereich der<br />

medizinischen Visualisierung.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 47


Adaptive Systemgestaltung<br />

für<br />

behinderte<br />

Computerbenutzer<br />

mit Spezialanforderungen<br />

Von Josef Fink, Andreas Nill<br />

und Michael Pieper<br />

Benutzer von Computersystemen sind<br />

sehr heterogen, etwa in bezug auf ihre<br />

Interessen, Präferenzen oder ihr Wissen.<br />

Gefordert werden daher Computersysteme,<br />

die an den jeweiligen Benutzer<br />

individuell anpaßbar sind. Dies<br />

kann dabei entweder durch den Benutzer<br />

selbst erfolgen (Adaptierbarkeit)<br />

oder automatisch durch das System<br />

(Adaptivität). Eine wichtige<br />

Zielgruppe von Computerbenutzern<br />

mit Spezialanforderungen sind ältere<br />

und behinderte Menschen. In Europa<br />

beläuft sich die Anzahl dieser Bevölkerungsgruppe<br />

auf 150 Millionen. Allein<br />

in Deutschland sind 6,4 Millionen<br />

Menschen schwerbehindert. Da körperliche<br />

Beeinträchtigungen altersbedingt<br />

zunehmen, steigt der Anteil Behinderter<br />

an der Gesamtbevölkerung<br />

bei einer sich ständig erhöhenden Lebenserwartung<br />

überproportional.<br />

In diesem Zusammenhang eröffnet<br />

gerade die Anpaßbarkeit computergestützter<br />

Informations- und Kommunikationssysteme<br />

vielfältige Möglichkeiten,<br />

behinderten und älteren Menschen<br />

trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigungen<br />

weiterhin ein selbstbestimmtes<br />

Leben und eine gleichberechtigte<br />

Teilnahme an den gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Tätigkeiten<br />

der Gemeinschaft, in der sie<br />

leben, zu ermöglichen. So kann vor<br />

allem die häufig eingeschränkte räumliche<br />

Mobilität Behinderter, die so-<br />

T I T E L<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

File Edit View Go Bookmarks Options Directory<br />

Les Pages de Paris / Naviguer The Paris Pages / Navigate Die Paris-Seiten / Navigiere<br />

<strong>Der</strong> Louvre<br />

1. 2. 3. 4.<br />

1. Kostbarkeiten des Louvre<br />

2. Geschichte des Museums / Geschichte des Gebäudes<br />

3. Allgemeines / Hinweise zu den Sammlungen<br />

4. Wegweiser<br />

Hinweise für Rollstuhlfahrer<br />

Führungen<br />

Wo: 1. Arrondissement.<br />

Métro-Haltestelle: Palais Royal - Musee du Louvre.<br />

Öffnungszeiten: Täglich von 9.00 - 21.45 Uhr außer Dienstags.<br />

Laufende Ausstellungen<br />

Eintrittspreise: 40 FF (20 FF nach 15 Uhr); 20 FF unter 26 oder über 60 Jahren;<br />

unter 18 Jahren frei.<br />

Tel.: 40 20 53 17<br />

Die Informationsseite „<strong>Der</strong> Louvre“<br />

wohl für ihre Freizeitgestaltung, als<br />

auch ihre berufliche Integration von<br />

Nachteil ist, in ihren negativen Auswirkungen<br />

abgemildert werden.<br />

In der Forschungsgruppe „Mensch-<br />

Maschine-Kommunikation“ des <strong>GMD</strong>-<br />

Instituts für Angewandte Informationstechnik<br />

wird diesen Aspekten in<br />

unterschiedlichen Forschungs- und<br />

Entwicklungsprojekten zur behindertengerechten<br />

Anpassung von Mensch-<br />

Computer-Schnittstellen Rechnung getragen.<br />

Eines dieser Projekte verfolgt das<br />

Ziel, einem Kreis von Benutzern mit<br />

unterschiedlichem Hintergrund und<br />

Interessenlagen, zum Beispiel Touristen,<br />

Geschäftsleuten, Städtepla-<br />

nern, aber auch bestimmten Behindertengruppen,<br />

multimediale Umgebungsinformationen<br />

über ein Land,<br />

eine Region, eine Stadt oder eine kulturelle<br />

Einrichtung adäquat anzubieten.<br />

Grundlage für ein mögliches Anwendungszenario<br />

sind zum Beispiel die im<br />

World Wide Web, der Multimediaumgebung<br />

des Internet, angebotenen Informationen<br />

zum Louvre in Paris<br />

(URL: http://www.paris.org.:80/Musees/<br />

Louvre). Das Informationsangebot<br />

und die Darstellungsform<br />

dieser World Wide Web-Präsentation<br />

wurde an einigen Stellen behindertengerecht<br />

angepaßt.<br />

48 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />

Help


Nehmen wir zu Beginn an, daß der gegenwärtige<br />

Benutzer des Systems, ein<br />

Rollstuhlfahrer, Paris beziehungsweise<br />

den Louvre als Tourist besuchen<br />

möchte. Beide Informationen – also<br />

Rollstuhlfahrer und Tourist – hat er<br />

eingangs dem System mitgeteilt. Die<br />

daraufhin angebotene Informationsseite<br />

„<strong>Der</strong> Louvre“ (siehe Abbildung<br />

1) enthält in der Mitte zwei markante<br />

Hinweise. Einer verweist auf das spezielle<br />

Informationsangebot für Rollstuhlfahrer,<br />

zum Beispiel Parkmöglichkeiten,<br />

Rampen, Aufzüge, Telefone,<br />

und der andere auf das aktuelle<br />

Angebot an Führungen durch den<br />

Louvre. Die Aufnahme des ersten<br />

Hinweises ist klar motiviert, da der<br />

Benutzer ja Rollstuhlfahrer ist. Aufgrund<br />

seiner zweiten Eigenschaft,<br />

nämlich Tourist zu sein, und der im<br />

System enthaltenen Annahme, daß<br />

Touristen spezielles Interesse an<br />

Führungen haben, wurde von der adaptiven<br />

Komponente des Systems der<br />

zweite Hinweis auf Führungen mit in<br />

die Seite aufgenommen.<br />

In der Folge navigiert der Benutzer<br />

ein wenig im System und schaut sich<br />

dabei einige Exponate aus der Gemäldesammlung<br />

an. Die adaptive Komponente<br />

schließt aus diesem Navigationsverhalten<br />

auf ein Interesse<br />

des Benutzers an Gemälden. Anschließend<br />

wechselt er dann zur Seite<br />

„Kostbarkeiten des Louvre“ (siehe<br />

Abbildung 2), auf der die einzelnen<br />

Abteilungen dargestellt sind. Bei der<br />

Erstellung der Seite wird aufgrund<br />

der vorher gebildeten Annahme die<br />

Gemäldeabteilung unter anderem<br />

durch zwei Exponate und einen markanten<br />

Hinweis besonders hervorgehoben.<br />

Hinweise auf einen behindertengerechten<br />

Zugang zu diesen Exponaten<br />

können dabei vom System mitberücksichtigt<br />

werden.<br />

<strong>Der</strong> Benutzer wechselt nun direkt zur<br />

„Gemälde-Abteilung“. Bei der Erstellung<br />

der Seite wird ein Interesse des<br />

Benutzers an Zusatzinformationen<br />

zum Gemälde der „Mona Lisa“ antizipiert,<br />

da der Benutzer sowohl an<br />

Gemälden interessiert ist, als auch in<br />

seiner Eigenschaft als Tourist Interesse<br />

am wohl bekanntesten Gemälde<br />

T I T E L<br />

Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

File Edit View Go Bookmarks Options Directory Help<br />

Les Pages de Paris / Naviguer The Paris Pages / Navigate Die Paris-Seiten / Navigiere<br />

Kostbarkeiten des Louvre<br />

Die Mona Lisa Die Freiheit führt das Volk<br />

Gemälde<br />

Ägyptische Abteilung / Orientalische Abteilung / Drucke und Zeichnungen<br />

Skulpturen / Griechische, Etruskische und Römische Abteilung / Kunstobjekte<br />

Die Seite „Kostbarkeiten des Louvre“<br />

des Louvre hat. Deshalb wird auf dieser<br />

Seite die „Mona Lisa“ besonders<br />

hervorgehoben, und Zusatzinformationen<br />

zum Gemälde und seiner Entstehungsgeschichte<br />

werden angezeigt.<br />

<strong>Der</strong>artige Anpassungen können vom<br />

Benutzer natürlich auch jederzeit<br />

rückgängig gemacht werden. Bevormundungen<br />

werden auf diese Weise<br />

weitgehend vermieden.<br />

Neben einer aktiveren Freizeitgestaltung<br />

eröffnet der Zugang zu Telekommunikationssystemen<br />

vielen behinderten<br />

Menschen auch Möglichkeiten,<br />

überhaupt am Arbeitsleben teilnehmen<br />

zu können. In diesem Zusam-<br />

menhang hat sich die <strong>GMD</strong> in einem<br />

weiteren Projekt die Aufgabe gestellt,<br />

einen an spezifische Behinderungen<br />

anpaßbaren Telearbeitsplatz zu realisieren,<br />

der auch industriell leicht und<br />

kostengünstig reproduzierbar ist und<br />

einer größeren Gruppe Behinderter<br />

zugute kommen soll.<br />

Die technische Herausforderung bei<br />

der prototypischen Ausgestaltung eines<br />

Telearbeitsplatzes für Behinderte<br />

liegt in der Integration von Multimedia-,<br />

Computer- und Kommunikationstechniken,<br />

mit dem Ziel, die bei<br />

eingeschränkter Mobilität verhängnisvolle<br />

räumliche Trennung einer verteilten<br />

Arbeitsorganisation zu überwinden.<br />

Technisch bieten mittlerweile<br />

integrierte Multimediasysteme, die<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 49


zumindest grundlegende Kommunikationsarten<br />

über Ton, Text und Bild<br />

miteinander kombinieren, weitreichende<br />

Möglichkeiten, den Spezialanforderungen<br />

behinderter Endbenutzer<br />

zu entsprechen. Mit der weiteren<br />

netztechnologischen Entwicklung<br />

von ISDN (Integrated Services Digital<br />

Network) hin zu Breitband-ISDN beziehungsweise<br />

ATM-Technologien<br />

(Asynchronous Transfer Mode) wird<br />

sich dieses Potential noch erweitern.<br />

Eine extreme Form der Medienintegration<br />

in Telekommunikationssystemen<br />

wird durch den Begriff der Telepräsenz<br />

charakterisiert. Gemeint ist<br />

damit die Verteilbarkeit einer Organisationseinheit<br />

über mehrere Orte,<br />

ohne Einbuße an Kooperationsmöglichkeiten.<br />

Gerade für Behinderte stellt die Gewährleistung<br />

von Telepräsenz erhöhte<br />

Anforderungen an die Ausgestaltung<br />

der Mensch-Maschine-Schnittstelle.<br />

Grundsätzlich soll versucht werden,<br />

bereits existierende Telekooperationssysteme<br />

mit einer generischen und somit<br />

möglichst universell einsetzbaren<br />

grafischen Benutzeroberfläche auszustatten,<br />

deren Objekte (Fenster, Kommandomenüs,<br />

Schaltflächen etc.) sich<br />

auf multimediale Weise, etwa visuell,<br />

akustisch oder taktil, manifestieren<br />

und so an spezifische körperliche Beeinträchtigungen<br />

des jeweiligen Endbenutzers<br />

anpassen.<br />

Übergeordnete wissenschaftliche Arbeitsziele<br />

werden durch eine in das<br />

Projekt integrierte Technikfolgenabschätzung<br />

bestimmt, die zunächst auf<br />

den Aspekt fokussiert werden soll,<br />

daß die Unterstützung von Behinderten<br />

durch multimediale Kooperationssysteme<br />

nicht dazu führen darf,<br />

daß sie menschliche Integrationsmöglichkeiten<br />

verlieren und in eine isolierte<br />

Welt von Apparaten abgedrängt<br />

werden, die sie zwar selbst bedienen<br />

können, die sie aber vom normalen<br />

menschlichen Leben abschneiden.<br />

Neben technischen Aspekten sind somit<br />

zentral auch ethische und soziale,<br />

in der weiteren Folge aber auch medizinische,<br />

rechtliche und ökonomische<br />

Aspekte der Telearbeit zu berücksich-<br />

T I T E L<br />

tigen, die nicht unbedingt nur behindertenspezifisch<br />

sein müssen. „Dual<br />

Use“ als einer in der wisssenschaftlichen<br />

und technologiepolitischen Debatte<br />

um behindertengerechte Technikgestaltung<br />

durchgängigen Anforderung<br />

wird auf diese Weise Rechnung<br />

getragen. Behindertengerechte<br />

Technikgestaltung ist immer auch ein<br />

„Design for All“ und hat Auswirkungen<br />

über das eigentliche Anwendungsgebiet<br />

hinaus.<br />

....................................<br />

Josef Fink und Andreas<br />

Nill sind wissenschaftliche<br />

Mitarbeiter im<br />

Forschungsbereich<br />

Mensch-Maschine-<br />

Kommunikation des<br />

<strong>GMD</strong>-Instituts für<br />

Angewandte Informationstechnik.<br />

Ihre<br />

Arbeitsschwerpunkte<br />

sind Adaptive Interaktive<br />

Systeme und<br />

Benutzermodellierung.<br />

....................................<br />

Dr. Michael Pieper ist<br />

Wissenschaftler im<br />

Forschungsbereich<br />

Mensch-Maschine-<br />

Kommunikation des<br />

<strong>GMD</strong>-Instituts für<br />

Angewandte Informationstechnik.<br />

Seine<br />

Arbeitsschwerpunkte<br />

sind sozialwissenschaftlicheTechnikfolgenabschätzung<br />

und Softwareergonomie.<br />

Seit April<br />

1995 leitet er das<br />

Projekt „Telearbeit für<br />

Behinderte“.<br />

Ozonvorhersage<br />

als Fernsehpräsentation<br />

Von Bertram Walter<br />

Im Rahmen der Vorbereitung einer<br />

Ozonvorhersage für einen Berliner<br />

Lokalsender zeigt ein Videofilm die<br />

Ozonverteilung über der Stadt und<br />

dem Umland für den nächsten Tag.<br />

Die Berechnung und eine Aussage<br />

über die zu erwartenden Ozonkonzentrationen<br />

ermöglicht das im <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für Rechnerarchitektur und<br />

Softwaretechnik erarbeitete Projekt<br />

DYMOS (Dynamische Modelle für<br />

die Smoganalyse).<br />

An eine Ozonvorhersage im Fernsehen<br />

richten sich unterschiedliche<br />

Erwartungen. <strong>Der</strong> durchschnittliche<br />

Fernsehzuschauer wird als Laie andere<br />

Anforderungen haben als ein<br />

Wissenschaftler mit entsprechendem<br />

Hintergrundwissen. Relevante Informationen<br />

für den Experten sind<br />

beispielsweise die Validierung eines<br />

Modells oder die Verdeutlichung von<br />

Einflußgrößen auf den Ozonaufbau<br />

oder Ozonabbau. <strong>Der</strong> durchschnittliche<br />

Fernsehzuschauer fragt voraussichtlich<br />

in erster Linie danach, in<br />

welchen Gebieten hohe oder niedrige<br />

Ozonkonzentrationen auftreten, welche<br />

Grenzwerte dabei über- oder<br />

unterschritten werden oder ob tageszeitliche<br />

Änderungen zu beobachten<br />

sein werden.<br />

Eine Ozonvorhersage als Fernsehfilm<br />

muß darüber hinaus noch Aspekte<br />

der Ästhetik und Verständlichkeit<br />

berücksichtigen. Die vorliegende Arbeit<br />

richtet auf diese beiden Punkte<br />

das Hauptaugenmerk. Ein Visualisierungssystem<br />

muß unter diesem Gesichtspunkt<br />

folgende Anforderungen<br />

erfüllen:<br />

– Die Ozonkonzentrationen sollten<br />

nur in den aussagekräftigen beziehungsweise<br />

gesundheitlich relevanten<br />

Grenzwertbereichen dargestellt wer-<br />

50 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


den: 120 Mikrogramm (Grenzwert<br />

der Weltgesundheitsorganisation) bis<br />

180 Mikrogramm (bundeseinheitlicher<br />

Vorwarnwert) und 180 Mikrogramm<br />

bis unendlich.<br />

– Die Zuordnung zu den Grenzbereichen<br />

muß für den Betrachter<br />

schnell erfaßbar sein.<br />

– Die Ozonverteilungen sollten in einem<br />

Umfeld dargestellt werden,<br />

das der Realität möglichst nahekommt.<br />

Dem Betrachter soll ein intuitives<br />

Zurechtfinden ermöglicht<br />

werden.<br />

– Die regionale Zuordnung der<br />

Ozonkonzentrationen muß mit einer<br />

hinreichenden Genauigkeit und Auflösung,<br />

zum Beispiel in Bezirke,<br />

Wohngegenden, Erholungsgebiete,<br />

möglich sein.<br />

Um sowohl eine ansprechende als<br />

auch aussagekräftige Videosequenz zu<br />

erhalten, wird die Ozonvorhersage im<br />

Rahmen eines simulierten Fluges über<br />

Berlin – angelehnt an die Wetterflüge<br />

im Fernsehen – modelliert. Die Visualisierung<br />

läßt sich somit in zwei Bereiche<br />

unterteilen: die Darstellung des<br />

Ozons und der räumlichen Umgebung.<br />

Um den Flug möglichst realistisch zu<br />

gestalten, überfliegt der Betrachter<br />

eine auf ein Höhenprofil projizierte<br />

Satellitenaufnahme von Berlin. Durch<br />

deren hohe Ortsauflösung und Realitätstreue<br />

in Verbindung mit der Hervorhebung<br />

der Stadt- und Bezirksgrenzen<br />

sowie der Flüsse und Seen<br />

wird eine exakte und genaue Orientierung<br />

für den Betrachter ermöglicht.<br />

Da abhängig vom Blickwinkel die horizontnahen<br />

Bereiche des Himmels<br />

sichtbar sein können, wird ein entsprechender<br />

Himmelsausschnitt abhängig<br />

von Sonnenstand und Lufttrübung<br />

berechnet.<br />

Eine ebenfalls an der Realität orientierte<br />

Wiedergabe des Ozons ist nicht<br />

sinnvoll, da es keine Eigenfarbe besitzt:<br />

es ist unsichtbar. Somit muß man<br />

bei der Darstellung des Ozons auf<br />

künstliche Strukturen und Farben<br />

zurückgreifen.<br />

T I T E L<br />

Auf eine dreidimensionale Darstellung<br />

der Verteilungen wurde bewußt<br />

verzichtet, da der Rechenaufwand<br />

deutlich größer und die vorher erwähnte<br />

regionale Zuordnung – die<br />

Abbildung der Ozonwolke auf der<br />

Karte – schwieriger ist. Die Rechenzeit<br />

ist ein wesentlicher Faktor, da für<br />

die Berechnung nur der Zeitraum<br />

zwischen der Ozonberechnung – deren<br />

Vorhersagegenauigkeit von der<br />

zeitlichen Nähe zum berechneten<br />

Zeitraum abhängt – und der Übertragung<br />

zum Fernsehen genutzt werden<br />

kann. Außerdem sind Wolken reale<br />

Gebilde, die sich in größeren Höhen<br />

befinden (aber das Ozon in Bodennähe<br />

soll visualisiert werden) und<br />

eher mit Wasserdampf oder Staub in<br />

Verbindung gebracht werden.<br />

Einfacher und schneller ist es, direkt<br />

über die Karte eine transparente<br />

zweite Karte zu legen, die durch ihre<br />

Färbung die Ozonkonzentrationen repräsentiert.<br />

Sowohl durch die gewählte<br />

Farbe als auch durch den Grad der<br />

Transparenz können dann die örtlichen<br />

Ozonwerte verdeutlicht werden.<br />

In der aktuellen Version wird für<br />

die Ozonkonzentration des Grenzwertes<br />

der Weltgesundheitsorganisation<br />

ein Blau und für alle Werte größer<br />

240 Mikrogramm (bundeseinheitlicher<br />

Auslösewert) ein Signalrot verwendet.<br />

Für die Zwischenwerte werden<br />

die beiden Farben ineinander<br />

übergeblendet.<br />

Somit sind die beiden Grenzwertbereiche<br />

farblich voneinander abgegrenzt.<br />

Durch die durchscheinende<br />

Karte kann der Fernsehzuschauer die<br />

für ihn interessanten Regionen klar<br />

erkennen.<br />

....................................<br />

Dipl.-Inform. Bertram<br />

Walter ist Doktorand<br />

am <strong>GMD</strong>-Institut für<br />

Rechnerarchitektur<br />

und Softwaretechnik.<br />

Schwerpunkt seiner<br />

wissenschaftlichen<br />

Arbeit ist das Gebiet<br />

Simulationssysteme.<br />

Szenariorechnungen<br />

mit einem<br />

parallelisierten<br />

Programm<br />

Von Steffen Unger<br />

Das EMEP-Modell (European Monitoring<br />

and Evaluation Programme)<br />

des Norwegischen Meteorologischen<br />

Instituts in Oslo zur Berechnung der<br />

grenzüberschreitenden Schadstoffbelastung<br />

in Europa wurde im Rahmen<br />

des DYMOS-Projektes (Dynamische<br />

Modelle für die Smoganalyse) im<br />

<strong>GMD</strong>-Institut für Rechnerarchitektur<br />

und Softwaretechnik in Berlin parallelisiert.<br />

Durch die Parallelisierung des<br />

Programms konnte eine bedeutende<br />

Laufzeitverbesserung erreicht werden.<br />

Dadurch wurde es möglich, auf<br />

dem im Institut entwickelten Parallelrechner<br />

MANNA (Massiv-Parallele<br />

Architektur für Numerische und<br />

Nicht-Numerische Anwendungen)<br />

umfangreiche Szenariorechnungen für<br />

die Entwicklung eines Integrated<br />

Assessment Model’s für Ozon im<br />

International Institute for Applied Systems<br />

Analysis (IIASA) in Laxenburg<br />

bei Wien durchzuführen.<br />

Die Transboundary Air Pollution<br />

Gruppe des IIASA entwickelt ein Integrated<br />

Assessment Model für Ozon.<br />

Dieses Modell bezieht ökonomische,<br />

soziale und gesundheitliche Aspekte<br />

der Schadstoffbelastung der Luft ein,<br />

speziell für die Leitsubstanz Ozon,<br />

und bilanziert Auswirkungen von Veränderungen<br />

der charakteristischen<br />

Größen des Modells. Insbesondere<br />

lassen sich Kosten/Nutzen-Abschätzungen<br />

für emissionsmindernde Maßnahmen<br />

im europäischen Rahmen<br />

durchführen.<br />

Analog zu den vor einigen Jahren in<br />

Vorbereitung des 1994 unterzeichneten<br />

Schwefel-Protokolls durchgeführten<br />

Untersuchungen, an denen das<br />

IIASA ebenfalls beteiligt war, kann<br />

dieses Simulationsmodell Entschei-<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 51


dungshilfen für die Ausarbeitung des<br />

europäischen Stickoxid-Reduktions-<br />

Programms liefern. Die in der Atmosphäre<br />

ablaufenden physikalischen<br />

und chemischen Vorgänge sind so<br />

komplex, daß Aussagen über die<br />

Auswirkungen emissionsmindernder<br />

Maßnahmen für die Vorläufersubstanzen<br />

der Ozonbildung, insbesondere<br />

die Stickoxide und die Volatile Organic<br />

Compounds (VOC), nur als Resultat<br />

einer statistischen Trendanalyse<br />

gewonnen werden können. Dazu<br />

dient ein statistisches Regressionsmodell<br />

zur Bestimmung des Source-Receptor-Verhaltens<br />

für Schadstoffe, das<br />

ein wesentlicher Bestandteil des<br />

Integrated Assessment Model’s ist.<br />

Die zur Anpassung der Parameter in<br />

diesem Regressionsmodell notwendigen<br />

Daten können nicht aus Messungen<br />

bestimmt werden. Deshalb ist eine<br />

Vielzahl von Szenarioanalysen<br />

durchzuführen und auszuwerten.<br />

Als Grundlage für diese Analysen<br />

wurde in Zusammenarbeit mit dem<br />

Meteorologischen Institut Oslo und<br />

dem EMEP das dort im Regelbetrieb<br />

laufende Modell zur Berechnung der<br />

grenzüberschreitenden Schadstoffbelastung<br />

in Europa ausgewählt. Dieses<br />

Modell hat den Vorteil, daß es<br />

als Trajektorien- (Lagrange-) Modell<br />

wesentlich weniger Rechenzeit erfordert<br />

als vergleichbare Gitter- (Euler-)<br />

Modelle. Es liefert die für das Regressionsmodell<br />

notwendigen Daten, vor<br />

allem summarische Werte wie die<br />

mittlere Ozonbelastung von Gebieten<br />

in der Sommerperiode, in ausreichender<br />

Auflösung. Außerdem verfügt das<br />

EMEP über eine anerkannte europäische<br />

Emissionsdatenbasis, die als<br />

Grundlage für reale und vorstellbare<br />

Emissionsminderungsszenarien dient.<br />

Leider ist der Rechenaufwand für dieses<br />

EMEP-Modell immer noch zu<br />

groß, um damit umfangreiche Szenarioanalysen<br />

durchführen zu können.<br />

Ein sechs Monate umfassender Simulationslauf<br />

dauert auf der Cray-Rechenanlage<br />

in Oslo etwa sechs Stunden.<br />

250 Szenariorechnungen würden<br />

dann etwa zwei Monate an Rechenzeit<br />

erfordern.<br />

Die Fachleute des IIASA wandten<br />

sich deshalb mit der Bitte an die<br />

<strong>GMD</strong>, dieses Modell zu parallelelisie-<br />

T I T E L<br />

ren, um dadurch einen<br />

Rechenzeitgewinn<br />

zu erreichen. Das Meteorologische<br />

Institut<br />

Oslo ist gleichfalls an einer<br />

Parallelisierung interessiert,<br />

da dort demnächst<br />

ebenfalls ein Parallelrechner<br />

zur Verfügung<br />

stehen wird.<br />

Das EMEP-Modell<br />

Das EMEP-Modell ist<br />

5<br />

ein Lagrangesches Boxmodell.<br />

Für Ankunftspunkte<br />

in einem Raster<br />

0<br />

von 150 mal 150 Kilometer,<br />

die den europäischen<br />

Landsockel abdecken,<br />

werden alle<br />

sechs Stunden Ozonwerte berechnet.<br />

Im folgenden werden wir solch eine<br />

Berechnung der Ozonwerte in allen<br />

Punkten zu einer Ankunftszeit als<br />

Zeitschritt bezeichnen. Ausgehend<br />

vom Ankunftspunkt werden die Trajektorien<br />

anhand der meteorologischen<br />

Daten bis zu vier Tagen in zweistündlicher<br />

Auflösung zurückverfolgt.<br />

Für eine Schadstoffe tragende<br />

Luftsäule, die sich entlang dieser Trajektorie<br />

bewegt, werden dann Bilanzgleichungen<br />

für die Schadstoffe gelöst,<br />

wobei relevante physikalische<br />

Prozesse wie Emission, Deposition<br />

und Entrainment und die chemische<br />

Umsetzung berücksichtigt werden.<br />

Da es sich um ein Lagrangemodell<br />

handelt, ist das Modell relativ einfach<br />

zu parallelisieren. Im Gegensatz<br />

zu Lagrangeschen Partikelmodellen<br />

kommen hier aber einige Besonderheiten<br />

hinzu. Zunächst gibt es eine<br />

Abhängigkeit zwischen aufeinanderfolgenden<br />

Zeitschritten, da die Initialkonzentrationen<br />

der Luftpakete,<br />

wenn möglich, aus vorhergehenden<br />

Zeitpunkten akkumuliert werden.<br />

Somit ist nur eine Parallelisierung innerhalb<br />

eines Zeitschrittes möglich.<br />

Damit hat man dann aber eine relativ<br />

geringe Anzahl von Trajektorien, zum<br />

Beispiel im aktuellen Raster 709, die<br />

zudem noch relativ kurz sind (vier<br />

Tage im Zwei-Stunden Raster ergeben<br />

maximal 49 Punkte). Hinzu<br />

kommt, daß die Trajektorien unter-<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

schiedlich lang sind, da bei Erreichen<br />

der Gebietsgrenzen die Trajektorie<br />

nicht weiter fortgesetzt wird. Eine direkte<br />

Parallelisierung führt damit zu<br />

erheblichen Lastausgleichsproblemen.<br />

Unabhängig davon ist eine Parallelisierung<br />

sehr sinnvoll, da die Rechenzeit<br />

für eine Trajektorie pro Zeitschritt<br />

relativ groß ist. Ein Zeitschritt<br />

dauert auf einem Vektorrechner immerhin<br />

etwa eine halbe Minute (für<br />

rund 700 Trajektorien).<br />

Parallelisierung<br />

Folgende Hauptprobleme wurden bei<br />

der Parallelisierung gelöst:<br />

1. Lastausgleich<br />

Die Berechnung der Trajektorien für<br />

den jeweiligen Zeitschritt erfolgt zusammen<br />

mit dem Input/Output und<br />

der Verteilung der notwendigen<br />

Daten an die restlichen Knoten auf<br />

einem ausgewählten Knoten, im<br />

folgenden Host-Knoten genannt. Danach<br />

werden die Trajektorien der<br />

Länge nach geordnet, und zyklisch<br />

nach einer einfachen Vorschrift auf<br />

die Rechenknoten verteilt (der erste<br />

Knoten erhält die erste Trajektorie,<br />

der zweite die zweite usw.). Dadurch<br />

ist ein fast idealer Lastausgleich möglich,<br />

da jeder Knoten nicht nur<br />

annähernd die gleiche Zahl von Berechnungspunkten<br />

erhält, was den<br />

Rechenaufwand bestimmt, sondern<br />

auch dieselbe Anzahl von Trajektori-<br />

52 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />

speed-up<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

parallel efficiency<br />

1.2<br />

1.0<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

parallel efficiency<br />

speed-up<br />

linear speed-up<br />

0.0<br />

0 5 10 15 20<br />

number of processors<br />

Speed-Up und parallele Effizienz im Ein-Prozessor-Modus


en, was sich als günstig für die Dimensionierung<br />

der Konzentrations- und<br />

anderen Felder für die Trajektorien<br />

erweist.<br />

Während der Berechnung des k-ten<br />

Zeitschritts auf den übrigen Knoten<br />

werden die Ergebnisse des (k-1)-ten<br />

Zeitschritts ausgegeben und die Daten<br />

für den (k+1)-ten Zeitschritt vorbereitet<br />

und verteilt. Dadurch werden<br />

Input/Output, Kommunikation und<br />

Berechnung überlagert und die Stillstandszeit<br />

der Prozessoren ist praktisch<br />

gleich Null.<br />

2. Abhängigkeit der Anfangskonzentrationen<br />

von den Berechnungen<br />

früherer Zeitschritte<br />

Das Rechengebiet ist im Vergleich zur<br />

Länge der Trajektorien recht groß.<br />

Deshalb gibt es nur sehr wenige Trajektorien<br />

– mit Ankunftspunkten am<br />

Rande Europas –, die als Initialwerte<br />

Daten aus dem Zeitschritt benötigen,<br />

der zur selben Zeit erst auf den anderen<br />

Knoten berechnet wird. Die anderen<br />

Werte sind auf dem Host-Knoten<br />

schon verfügbar. Deshalb wird die Initialisierung<br />

der Konzentrationen für<br />

die Trajektorien ebenfalls auf dem<br />

Host-Knoten durchgeführt. Die wenigen<br />

verbleibenden sehr kurzen Trajektorien<br />

werden nach Empfang der<br />

Ergebnisse vom vorhergehenden<br />

Schritt auf dem Host-Knoten berechnet.<br />

Mit diesem einfachen Algorithmus<br />

kann die Stillstandszeit der Rechenknoten<br />

sehr klein gehalten werden.<br />

Bei einer Simulation über sechs Monate<br />

lag die Summe der Wartezeiten<br />

der Rechenknoten auf die Daten für<br />

den nächsten Schritt bei einigen Sekunden,<br />

was im Vergleich zur Rechenzeit<br />

von etwa 40 Minuten verschwindend<br />

wenig ist. Die obige Prozedur<br />

hat nun auch einige Auswirkungen<br />

auf das serielle Programm. Das Ausgangsprogramm<br />

wurde speziell für die<br />

Anwendung auf einem Vektorrechner<br />

entwickelt und ist so aufgebaut, daß<br />

die einzelnen Rechenschritte eines<br />

Zeitschritts für jeweils alle Trajektorien<br />

ausgeführt werden. Wegen der<br />

unterschiedlichen Länge der Trajektorien<br />

erfordert dies ständige Tests, ob<br />

für die jeweilige Trajektorie zum ge-<br />

T I T E L<br />

gebenen Zeitpunkt die Rechnung bereits<br />

ausgeführt werden muß. Liegen<br />

die Trajektorien nun bereits der Länge<br />

nach geordnet vor, so können alle<br />

diese Tests entfallen. Das macht das<br />

Programm nicht nur viel einfacher,<br />

sondern auch schneller. Weiterhin hat<br />

sich gezeigt, daß Cache-Effekte hier<br />

eine große Rolle spielen, damit haben<br />

kleinere Felddimensionen sofort positive<br />

Auswirkungen auf die Rechenzeit.<br />

Die oben skizzierte Verteilungsvorschrift<br />

auf die Knoten erlaubt es,<br />

die Felddimensionen für die Knoten<br />

zu minimieren.<br />

Ergebnisse<br />

Das Programm wurde mit Hilfe von<br />

PVM (Parallel Virtual Machine) parallelisiert<br />

und auf dem MANNA-<br />

Rechner des Instituts für Rechnerarchitektur<br />

und Softwaretechnik der<br />

<strong>GMD</strong> implementiert. Dabei wurde<br />

die Möglichkeit genutzt, diesen Rechner<br />

nicht nur im Normalmodus zu betreiben,<br />

bei dem nur einer der zwei<br />

auf<br />

jedem MANNA-Knoten vorhandenen<br />

Prozessoren benutzt wird. Es<br />

wurde eine AP/AP-Variante (Arithmetic<br />

Processor) implementiert, bei<br />

der der zweite Prozessor als arithmetischer<br />

Coprozessor verwendet wird.<br />

Die Cache-Effekte liefern dabei einen<br />

super-linearen Speed-Up. <strong>Der</strong> superlineare<br />

Speed-Up wird deutlich, wenn<br />

man die notwendige Zeit zur Berechnung<br />

einer Trajektorie für verschiedene<br />

Knotenzahlen vergleicht. Für<br />

die Ein-Prozessor-Variante sinkt diese<br />

Zeit stetig bis zu 20 Knoten, im<br />

AP/AP-Modus sinkt sie bis zu 14<br />

Knoten und bleibt danach nahezu<br />

konstant.<br />

Das zeigt, daß für dieses Programm<br />

für bis zu 40 Prozessoren eine nahezu<br />

ideale parallele Effektivität, sogar bei<br />

gleicher Problemgröße, charakteristisch<br />

ist, obwohl die Berechnung<br />

dann schon ziemlich feingranular ist –<br />

jeder Prozessor berechnet dann nicht<br />

einmal 20 Trajektorien. Für die Ein-<br />

Prozessor-Variante liegt der Speed-<br />

Up-Faktor für 20 Knoten bei 21,1, bei<br />

der AP/AP-Variante liegt er bei 21,3<br />

(im Vergleich von 20 Knoten zu einem<br />

Knoten beziehungsweise 40 Prozessoren<br />

zu 2 Prozessoren).<br />

Vergleicht man die AP/AP-Variante<br />

mit 20 Knoten, das heißt, mit 40 Prozessoren,<br />

mit der Ein-Knoten/Ein-<br />

Prozessor-Variante, erhält man einen<br />

Speed-Up von 37,2. Das liegt daran,<br />

daß beide Prozessoren nur über einen<br />

gemeinsamen Datenbus zum Speicher<br />

verfügen und sich damit bei Speicherzugriffen<br />

gegenseitig stören. Dadurch<br />

wird der theoretische Speed-Up von 2<br />

beim Übergang zum AP/AP-Modus<br />

auf etwa 1,8 reduziert.<br />

Für Nutzrechnungen ist in erster Linie<br />

die Antwortzeit eines Programms interessant.<br />

Diese ist bei Parallelrechnern<br />

schon deshalb günstiger als etwa<br />

bei großen Vektorrechnern, da man<br />

Parallelrechner oft als alleiniger Nutzer<br />

zur Verfügung hat und damit die<br />

Liegezeit eines Programms etwa der<br />

Zeit der Zentraleinheit entspricht.<br />

Ein Basislauf über sechs Monate erfordert<br />

auf einem MANNA-Parallelrechner<br />

mit 20 Knoten nur noch weniger<br />

als 40 Minuten – im Vergleich zu<br />

sechs Stunden auf der Cray. Damit<br />

konnten im Februar dieses Jahres 250<br />

Szenariorechnungen in etwa einer<br />

Woche durchgeführt werden. Entsprechende<br />

Umformung, das heißt Ordnung<br />

der Trajektorien und Aufspaltung<br />

der Berechnungen in Teilpakete<br />

von Trajektorien, liefert ebenfalls eine<br />

bedeutende Laufzeitverbesserung des<br />

seriellen Programms. Auf einer Workstation<br />

wurde das beste Ergebnis mit<br />

einer Aufspaltung in 20 Teilstücke<br />

von jeweils 36 Trajektorien erreicht.<br />

Die Zeit der Zentraleinheit reduzierte<br />

sich dadurch auf etwa die Hälfte.<br />

....................................<br />

Dr. Steffen Unger ist<br />

Wissenschaftler im<br />

<strong>GMD</strong>-Institut für<br />

Rechnerarchitektur<br />

und Softwaretechnik.<br />

Er befaßt sich mit der<br />

Simulation der Bildung<br />

und des Transports<br />

von Schadstoffen in<br />

der unteren Atmosphäre<br />

und mit der<br />

Parallelisierung und<br />

Implementierung<br />

entsprechender Modelle.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 53


CaTS –<br />

Bildbasierte<br />

Kameraführung<br />

im Virtuellen<br />

Studio<br />

Von Klaus Kansy,<br />

Günther Schmitgen<br />

und Peter Wißkirchen<br />

Das Virtuelle Studio der <strong>GMD</strong> hat<br />

sich zu einer Attraktion entwickelt.<br />

Die Mischung von realer und virtueller<br />

Welt – ein realer Moderator in einem<br />

künstlichen Raum – verdeutlicht<br />

plastisch die neuen Gestaltungsmöglichkeiten<br />

eines Virtuellen Studios.<br />

Zentrale Voraussetzung für eine überzeugende<br />

Mischung ist die exakte<br />

Abstimmung von realer und virtueller<br />

Kamera, wodurch erst die Illusion eines<br />

einheitlichen Raums erzeugt wird.<br />

Läßt sich diese Abstimmung bei<br />

feststehender Kamera noch manuell<br />

erreichen, wird sie zu einem Problem,<br />

wenn die reale Kamera bewegt wird.<br />

Die synthetische Kamera muß dann<br />

exakt und synchron nachgeführt werden,<br />

weil sich sonst beide Welten voneinander<br />

entfernen und die Illusion<br />

des einheitlichen Raums zerstört wird.<br />

In unserem Beispiel würde der Moderator<br />

dann nicht mehr fest auf dem<br />

Boden stehen bleiben, sondern der<br />

Boden würde ihm buchstäblich unter<br />

den Füßen wegrutschen. Zur Lösung<br />

dieser Koordinierungsaufgabe wurde<br />

in der <strong>GMD</strong> ein bildbasiertes Verfahren<br />

entwickelt, bei dem die aktuellen<br />

Kameraeinstellungen aus dem Bild<br />

berechnet und damit virtuelle Objekte<br />

pixelgenau neben reale Objekte<br />

positioniert werden können.<br />

Beim Virtuellen Studio werden aufwendige<br />

Dekorationen und Kulissen<br />

nicht mehr real gebaut, sondern im<br />

Computer konstruiert und elektronisch<br />

in das Fernsehbild hineingemischt.<br />

Neben Kosten- und Platzersparnis<br />

gewinnt ein Fernsehproduzent<br />

damit auch größere Flexibilität,<br />

weil er Kulissen in Sekunden neu<br />

zusammenstellen und ändern kann<br />

und weil er die Möglichkeit erhält,<br />

F O R S C H U N G<br />

elektronische Effekte<br />

einzubauen, die mit realen<br />

Kulissen nicht möglich<br />

wären. Über die<br />

Techniken und die<br />

praktischen Einsatzmöglichkeiten<br />

von Virtuellen<br />

Studios wurde<br />

im Heft 3/95 des <strong>GMD</strong>-<br />

<strong>Spiegel</strong>s ausführlich<br />

berichtet.<br />

Das Virtuelle Studio besteht<br />

aus einem Blauraum,<br />

in dem reale<br />

Personen agieren und in<br />

den reale Requisiten<br />

hineingestellt werden<br />

können. Abbildung 1<br />

zeigt einen Blick in den<br />

Blauraum aus der Perspektive<br />

der Studiokamera.<br />

Ein Grafikcomputer erzeugt<br />

die virtuelle Welt,<br />

die den Blauraum erst<br />

zu einem Studio macht.<br />

Im Grafiksystem wird<br />

eine virtuelle Kamera<br />

definiert, mit der die<br />

virtuelle Welt in ein<br />

Videobild umgewandelt<br />

wird. Abbildung 2 zeigt<br />

das Bild einer virtuellen<br />

Welt, die aus einem<br />

virtuellen Raum mit virtuellen<br />

Requisiten besteht.<br />

Durch einen sogenanntenChroma-Key-Mischer<br />

werden nun beide<br />

Bilder gemischt, wobei<br />

der virtuelle Raum (Abbildung<br />

2) die blauen<br />

Flächen in der realen<br />

Welt (Abbildung 1) ersetzt.<br />

Die virtuellen Requisiten<br />

können wahlweise<br />

in den Vorderoder<br />

Hintergrund gesetzt<br />

werden. Das Resultat<br />

zeigt Abbildung<br />

3.<br />

Blauraumtechnik<br />

im Fernsehen<br />

Die Blauraumtechnik wird schon seit<br />

langem im Fernehen einge-<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

<strong>Der</strong> Blauraum aus der Perspektive der Studiokamera:<br />

Eine reale Person steht an einem realen Pult neben einer<br />

blauen Tafel vor blauem Hintergrund.<br />

Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

Die virtuelle Welt:<br />

Ein dreidimensionaler Raum mit virtuellen Requisiten.<br />

Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

Kombination von realer und virtueller Welt.<br />

54 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


setzt, aber immer – oder fast immer –<br />

für das Mischen von Bildern: ein<br />

Fernsehbild wird in ein Fenster innerhalb<br />

eines anderen Fernsehbildes eingeblendet.<br />

Die dritte Dimension, die<br />

räumliche Tiefe, spielt dabei keine<br />

Rolle. Wollte man jedoch das Virtuelle<br />

Studio als dreidimensionalen Raum<br />

nutzen, in dem reale und virtuelle Objekte<br />

mit der richtigen Perspektive an<br />

der richtigen Stelle in der richtigen<br />

Größe dargestellt werden, mußte die<br />

Studiokamera sorgfältig justiert und<br />

auf die synthetische Welt abgestimmt<br />

werden. Dadurch ergab sich eine<br />

gravierende Beschränkung: Die<br />

Studiokamera durfte nach der Justierung<br />

um keinen Millimeter verrückt<br />

oder gedreht werden, ohne die Verbindung<br />

von Realität und Virtualität<br />

zu zerstören. <strong>Der</strong> Wetterbericht im<br />

Fernsehen, bei dem der Moderator in<br />

einem Virtuellen Studio auf eine virtuelle<br />

Wetterkarte an der Wand zeigt,<br />

ist ein Beispiel dafür.<br />

Kamerafahrten<br />

im Virtuellen Studio<br />

Interessant wird das Mischen von Realität<br />

und Virtualität aber erst, wenn<br />

die Kamera frei bewegt werden darf.<br />

Dann kann das Virtuelle Studio seine<br />

volle Stärke zeigen, und es wird sichtbar,<br />

daß der dreidimensionale Raum<br />

nicht nur ein Bild, eine Tapete ist –<br />

sondern wirkliche dreidimensionale<br />

Qualität besitzt.<br />

Wenn die Kamera einen Schwenk<br />

macht, zoomt oder im Raum bewegt<br />

wird, verändert sich das reale Kamerabild<br />

kontinuierlich. Damit die Fiktion,<br />

der Eindruck eines einzigen dreidimensionalen<br />

Raums erhalten bleibt,<br />

muß die virtuelle Welt sich entsprechend<br />

der Kamerafahrt synchron mitbewegen.<br />

Wie kann der Computer aber wissen,<br />

welche Einstellung die Studiokamera<br />

gerade hat, damit er die virtuelle Welt<br />

richtig darstellen kann? Dies ist ein<br />

sehr schwieriges Problem, für das es<br />

heute noch keine voll befriedigende<br />

generelle Lösung gibt, sondern nur<br />

verschiedene Lösungsansätze, an denen<br />

eifrig geforscht und weiterentwickelt<br />

wird.<br />

F O R S C H U N G<br />

Standardlösung:<br />

Sensoren an der Kamera<br />

Die Standardlösung, die man heute<br />

kaufen kann und die in existierenden<br />

Virtuellen Studios eingesetzt wird,<br />

sind Sensoren an der Kamera, die alle<br />

Änderungen präzise registrieren und<br />

an den Computer weitermelden. Ein<br />

Beispiel für ein sensorbasiertes System<br />

ist der Ultimatte Memory Head,<br />

der auch im Virtuellen Studio der<br />

<strong>GMD</strong> eingesetzt wird.<br />

Prinzipieller Nachteil der Sensorlösung<br />

ist, daß es keine Rückkoppelung<br />

zwischen realer und virtueller Welt<br />

gibt. Beide Welten werden einmal<br />

sorgfältig aufeinander abgestimmt,<br />

der Rest hängt von der Genauigkeit<br />

der Meßgeräte ab, die zudem unterschiedliche<br />

Parameter unterschiedlich<br />

genau messen. Somit besteht permanent<br />

die Gefahr, daß sich reale und<br />

virtuelle Welt während einer Kamerafahrt<br />

mehr und mehr voneinander<br />

entfernen. Das kann sich zum Beispiel<br />

darin äußern, daß während einer Kamerafahrt<br />

der Boden anfängt, unter<br />

den Füßen des Moderators zu wandern<br />

– der Moderator steht nicht<br />

mehr auf dem Fußboden, sondern<br />

schwebt in der Luft.<br />

Bei heutigen Sensorkameras können<br />

nur Schwenk und Zoom befriedigend<br />

genau erfaßt werden. Kamerafahrten<br />

im Raum bleiben problematisch und<br />

werden vermieden, das heißt, diese<br />

Kameras werden nur ortsfest eingesetzt.<br />

Dies wird auch schon wegen des<br />

apparativen Aufwands für die Sensorik<br />

nahegelegt. Für die pixelgenaue<br />

Koppelung von virtuellen und realen<br />

Objekten sind diese Systeme nicht<br />

präzise genug. Daher vermeidet man<br />

Situationen, in denen reale und virtuelle<br />

Gegenstände in sehr enge Berührung<br />

kommen, weil sonst Ungenauigkeiten<br />

und relative Bewegungen deutlich<br />

sichtbar werden könnten.<br />

Die <strong>GMD</strong>-Lösung:<br />

bildbasierte Kameraführung<br />

Um diese Probleme zu lösen, haben<br />

wir in der <strong>GMD</strong> einen neue Methode<br />

für die Kameraführung entwickelt<br />

und prototypisch implementiert, das<br />

Camera Tracking System CaTS. CaTS<br />

ist ein bildbasiertes Kameraführungssystem,<br />

das heißt, es mißt nicht an der<br />

Kamera, sondern es mißt im Bild.<br />

Dadurch werden keine zusätzlichen<br />

Sensoren benötigt, sondern es wird<br />

lediglich das bereits vorhandene Fernsehsignal<br />

der Kamera ausgewertet.<br />

Das Fernsehbild wird vom Computer<br />

analysiert, die aktuelle Kameraeinstellung<br />

berechnet und dann die<br />

passende virtuelle Welt erzeugt. Die<br />

Analyse des Bildes und die Erzeugung<br />

der virtuellen Welt geschehen<br />

zwar in Realzeit, aber die<br />

einzelnen Schritte brauchen etwas<br />

Zeit. Daher muß das Fernsehsignal in<br />

einem Videoverzögerer um etwa drei<br />

bis fünf Bilder verzögert werden, damit<br />

das Bild der virtuellen Welt aus<br />

dem Grafikcomputer mit dem entsprechenden<br />

realen Kamerabild gemischt<br />

werden kann.<br />

Wie kann nun der Computer allein<br />

durch Bildanalyse herausfinden, an<br />

welcher Position die Kamera sich gerade<br />

befindet und welcher Schwenkwinkel<br />

oder Zoom gerade eingestellt<br />

sind?<br />

Dies geht natürlich nicht mit jedem<br />

Bild, sondern es wird vorausgesetzt,<br />

daß es im Virtuellen Studio Strukturen<br />

gibt, die dem Rechner bekannt<br />

sind, die er in jedem Bild wiederfindet<br />

und mit deren Hilfe er die gesuchten<br />

Parameter bestimmen kann.<br />

Reale Objekte als Sensoren<br />

In unserem Camera Tracking System<br />

CaTS benutzen wir die im Virtuellen<br />

Studio vorhandenen realen Objekte<br />

als Referenzobjekte. Dies sind in Abbildung<br />

1 das Pult und die blaue Tafel.<br />

Es können natürlich andere und mehr<br />

Objekte verwendet werden, solange<br />

sie der Rechner automatisch und sicher<br />

in jedem Bild wiederfinden kann.<br />

Die Referenzobjekte werden entweder<br />

sorgfältig vermessen, oder man<br />

kann ihre Position aus Stereoansichten<br />

berechnen. In jedem Ka-<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 55


Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />

Kombination von realer und virtueller Welt aus anderer<br />

Perspektive: Die virtuellen Objekte bleiben an ihrem Platz.<br />

merabild werden dann die Referenzobjekte<br />

gesucht und ihre aktuelle<br />

Position und Größe im Bild bestimmt.<br />

Aus entsprechenden Koordinaten im<br />

realen Raum und im Bild können nun<br />

alle geometrischen Kameraparameter<br />

berechnet werden: die Position, die<br />

drei Schwenkwinkel und der Öffnungswinkel<br />

oder Zoomfaktor. Das<br />

mathematische Verfahren setzt lediglich<br />

voraus, daß von mindestens vier<br />

Punkten im Bild die realen Koordinaten<br />

bekannt sind und daß diese Punkte<br />

nicht alle auf einer Fläche liegen.<br />

Bildbasierte Kameraführung wird<br />

auch im europäischen Förderprojekt<br />

MonaLisa und im ORAD-System aus<br />

Israel verwendet. Allerdings wird hier<br />

ein anderer Weg beschritten. Es werden<br />

Muster im Blauraum aufgemalt,<br />

die mit speziellen Hochleistungsprozessoren<br />

im Bild identifiziert und analysiert<br />

werden und aus denen man die<br />

Kameraeinstellung ganz oder teilweise<br />

bestimmen kann. Beim Mischen<br />

mit dem Chroma-Key-Mischer verschwinden<br />

diese blauen Muster automatisch.<br />

Reale Objekte und Ankerpunkte<br />

als Orientierungshilfen<br />

im Virtuellen Studio<br />

Wir kennen aus den Anfängen des<br />

Virtuellen Studios Szenen, in denen<br />

ein Moderator beim Erläutern der<br />

virtuellen Szene auf die falsche Stelle<br />

zeigt oder in die falsche Richtung<br />

blickt, weil er nicht sieht, wo sich die<br />

F O R S C H U N G<br />

virtuellen Objekte befinden.<br />

Wenn man den<br />

Raum durch reale Objekte<br />

strukturiert, läßt<br />

sich dies vermeiden.<br />

Ankerpunkte sind eine<br />

weitere Möglichkeit, um<br />

Positionen im Blauraum<br />

zu kennzeichnen, an denen<br />

sich virtuelle Objekte<br />

befinden. Solche<br />

Ankerpunkte befinden<br />

sich am Pult und auf der<br />

Tafel in Abbildung 1.<br />

Das <strong>GMD</strong>-Logo am<br />

Pult oder das CaTS-<br />

Logo auf der Tafel sind<br />

an den Ankerpunkten befestigt (Abbildung<br />

3). Die Blumenvase auf dem<br />

Pult zeigt, daß es natürlich auch ohne<br />

Ankerpunkte geht, wenn dem Rechner<br />

die Geometrie des Pultes bekannt<br />

ist.<br />

Mit diesen Orientierungshilfen ist es<br />

nun keine Schwierigkeit mehr für den<br />

Moderator, mit virtuellen Objekten<br />

umzugehen. Die realen Objekte und<br />

die Ankerpunkte zeigen ihm deren<br />

Position an, und er kann zum Beispiel<br />

die Blumenvase auf dem Pult anfassen<br />

(Abbildung 3) oder auf das CaTS-<br />

Logo zeigen (Abbildung 4).<br />

Daß diese Möglichkeit bislang wenig<br />

genutzt wird, liegt daran, daß natürlich<br />

jede Schnittstelle zwischen Realität<br />

und Virtualität problematisch ist<br />

und Ungenauigkeiten in der Koordination<br />

unbarmherzig aufzeigt. Bildbasierte<br />

Kameraführung ist die einzige<br />

Möglichkeit, Realität und Virtualität<br />

in so enge Berührung kommen zu<br />

lassen.<br />

Eigenschaften der bildbasierten<br />

Kameraführung<br />

Durch die Rückkoppelung mit dem<br />

Kamerabild, die bei der bildbasierten<br />

Kameraführung möglich ist, können<br />

die virtuelle Welt im Prinzip pixelgenau<br />

mit der realen Welt gekoppelt<br />

und damit Computereffekte in der<br />

Videoszene erzeugt werden, die mit<br />

der üblichen Sensorkamera aus Genauigkeitsgründen<br />

unmöglich sind.<br />

Bildbasierte Kameraführung erlaubt<br />

alle Kamerafahrten ohne Einschränkung,<br />

ohne daß sich bei langen Fahrten<br />

Fehler akkumulieren können. Die<br />

Abbildungen 3 und 4 zeigen das<br />

Virtuelle Studio vor und nach einer<br />

Kamerafahrt von einer Seite des Studios<br />

zur anderen, die mit sensorbasierten<br />

Systemen zu instabilen Ergebnissen<br />

führen würde. Allerdings müssen<br />

bei den Kamerafahrten genügend<br />

viele Referenzobjekte im Blickfeld<br />

der Kamera bleiben, um die kontinuierliche<br />

Berechnung der Kameraparameter<br />

zu ermöglichen. Ein Zoom auf<br />

den Kopf des Moderators ist für<br />

bildbasierte Systeme daher eine heikle<br />

Kamerafahrt, für die noch geeignete<br />

Lösungen entwickelt werden<br />

müssen.<br />

Abbildung 5: <strong>GMD</strong><br />

Ein Ankerpunkt auf dem Pult, wie ihn der<br />

Computer sieht: Wo liegt der Mittelpunkt der<br />

Markierung?<br />

Abbildung 6: <strong>GMD</strong><br />

Bildausschnitt bei Kamerabewegung:<br />

Das Bild ist zusammengesetzt aus zwei<br />

Halbbildern, die verschiedenen Zeitpunkten<br />

der Bewegung entsprechen.<br />

56 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Die Kalibrierung bei Kamera- oder<br />

Szenenwechsel – bei sensorbasierten<br />

Systemen eine kritische Aktion – ist<br />

bei bildbasierten Systemen einfach<br />

und problemlos in etwa einer Minute<br />

durchzuführen.<br />

Bildbasierte Kameraführung stellt<br />

keine besonderen Anforderungen an<br />

die Kamera, sie ist auch bei Schulterkameras<br />

und Hobbykameras anwendbar.<br />

Es kann damit sogar vorhandenes<br />

Filmmaterial weiter bearbeitet werden,<br />

wenn dort Objekte mit bekannter<br />

Geometrie vorhanden sind. Ein<br />

Anwendungsbeispiel hierfür ist die<br />

Montage von Schauspielern in historische<br />

Filmaufnahmen.<br />

Ein Nachteil des bildbasierten Verfahrens<br />

ist, daß es ausschließlich auf dem<br />

flimmernden und verrauschten Bild<br />

einer Kamera basiert. Abbildung 5<br />

zeigt, wie unregelmäßig ein in Abbildung<br />

1 gestochen scharf wirkender<br />

Punkt für den Computer aussieht, der<br />

nur die einzelnen Pixel betrachten<br />

kann. Abbildung 6 illustriert, daß es<br />

bei einer Kamerafahrt eigentlich keine<br />

konsistenten Bilder mehr gibt, weil<br />

eine Videokamera Halbbilder (abwechselnd<br />

die Zeilen mit gerader<br />

oder ungerader Nummer) aufnimmt,<br />

die dann zu verschieden Punkten in<br />

der Kamerafahrt gehören und sich<br />

entsprechend deutlich unterscheiden.<br />

Die Berechnung und Positionierung<br />

kann nur so genau sein, wie die Referenzobjekte<br />

lokalisiert werden können.<br />

Die Glättung von Pixelsprüngen<br />

im Bild und die Stabilisierung der Kamerafahrt<br />

sind ein anspruchsvolles<br />

mathematisches Problem. Wir haben<br />

hier noch nicht alle Möglichkeiten<br />

ausgereizt. Durch Modellierung von<br />

physikalisch möglichen Kamerabewegungen<br />

und durch Einsatz von<br />

Bildverarbeitungsmethoden wollen<br />

wir noch einen Schritt weiterkommen.<br />

F O R S C H U N G<br />

....................................<br />

Dr. Klaus Kansy leitet<br />

im <strong>GMD</strong>-Institut für<br />

Angewandte Informationstechnik<br />

das<br />

Projekt DRIVE (Design<br />

of Realistic Interactive<br />

Virtual Environment),<br />

in dem das bildbasierteKameraführungssystem<br />

CaTS entwickelt<br />

wird. Daneben<br />

befaßt er sich mit<br />

Grafik- und Multimedianormung.<br />

....................................<br />

Dr. Günther Schmitgen<br />

ist wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter im Projekt<br />

DRIVE. Sein Forschungsschwerpunkt<br />

ist die Integration von<br />

Medien im Virtuellen<br />

Studio.<br />

....................................<br />

Dr. Peter Wißkirchen<br />

ist wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter im Projekt<br />

DRIVE. Er interessiert<br />

sich für mathematische<br />

Probleme der<br />

Kameraberechnung<br />

und objektorientierte<br />

Grafik.<br />

Sicherheit<br />

in Multimedia<br />

Electronic Mail<br />

Von Burkhard Wiegel<br />

und Jürgen Sander<br />

Für die globale Informationsgesellschaft<br />

ist Sicherheit zu einem wesentlichen<br />

Qualitätsmerkmal von Anwendungen<br />

und Kommunikationssystemen<br />

geworden. Mit der zunehmenden<br />

Nutzung verteilter und multimedialer<br />

Systeme sind die Anzahl potentieller<br />

Angreifer und der möglichen Bedrohungen<br />

gewachsen. Im Rahmen<br />

des BERKOM-Projekts Sicherheit<br />

in Multimedia Electronic Mail<br />

(MMMSec) werden im <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Offene Kommunikationssysteme<br />

Sicherheitsfunktionalitäten für offene<br />

Kommunikationssysteme entwickelt<br />

und beispielhaft in die Schnittstelle<br />

X.400 und SMTP Email (Simple Mail<br />

Transfer Protocol) integriert.<br />

Electronic Messaging ist einer der ältesten<br />

und am meisten verbreiteten,<br />

informationstechnischbasierten, globalen<br />

Kommunikationsdienste, er<br />

wird auch in Zukunft eine der zentralen<br />

Anwendungen in allen Bereichen<br />

der Informationsgesellschaft sein.<br />

Mit der Einführung von Multimedia<br />

Messaging entstanden neue Probleme.<br />

Im Gegensatz zu den wenigen Kilobytes,<br />

die durchschnittlich die Größe<br />

von ASCII-Nachrichten (American<br />

National Standard Code for Information<br />

Interchange) ausmachen, können<br />

multimediale Nachrichten sehr leicht<br />

Hunderte von Megabytes groß werden.<br />

Im Kontext von Internet Electronic<br />

Mail wurde die Problematik durch geeignete<br />

Definitionen innerhalb des<br />

MIME-Standards (Multipurpose Internet<br />

Mail Extensions) aufgegriffen.<br />

Für die Schnittstellen X.400/X.420<br />

wurden im Rahmen des BERKOM-<br />

Projekts „BERKOM-Multimedia-Mail<br />

Teleservice“ Erweiterungen des Nachrichtenformats<br />

X.420 entwickelt.<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 57


Sicherheit in Multimedia-<br />

Messaging<br />

Electronic Messaging ist durch seine<br />

in hohem Maße verteilte Systemarchitektur<br />

extrem anfällig für die verschiedensten<br />

Sicherheitsbedrohungen.<br />

Die wesentlichen Grundbedrohungen<br />

sind unautorisiertes Lesen beziehungsweise<br />

Kopieren, Ändern, Erzeugen<br />

und Löschen von Nachrichten<br />

oder deren Inhalten.<br />

Es existieren heute sowohl für Internet<br />

Electronic Mail – PEM (Privacy<br />

Enhanced Mail) und PGP (Pretty<br />

Good Privacy) – als auch für X.400<br />

und X.420 – die Standards selbst – optionale,<br />

genormte Sicherheitsfunktionalitäten.<br />

Trotz der Verfügbarkeit<br />

werden diese Sicherheitsfunktionalitäten<br />

jedoch nur bei einem Bruchteil<br />

der Nachrichten im globalen Messaging<br />

angewendet. Diese Tatsache beruht<br />

unter anderem darauf, daß die<br />

existierenden Sicherheitsfunktionalitäten<br />

inkompatibel zwischen verschiedenen<br />

Implementierungen und<br />

sehr komplex sind. Für Benutzer und<br />

Administratoren sind sie schwierig zu<br />

bedienen und daher auch nur in die<br />

wenigsten existierenden User Agent-<br />

Programme integriert. Weiterhin ist<br />

festzustellen, daß die genormten Sicherheitsfunktionalitäten<br />

den technischen<br />

Wandel von monolithischen,<br />

textbasierten Inhalten zu multi-content/multi-mode-Nachrichten<br />

nicht<br />

nachvollzogen haben und bis heute eine<br />

globale Zertifizierungs- und Verteilungsinfrastruktur<br />

für öffentliche<br />

Schlüssel nicht realisiert ist.<br />

Das BERKOM-Projekt<br />

„MMMSec“<br />

In MMMSec wurden für diese Problematiken<br />

mit Ausnahme des Key-Managements<br />

beispielhafte Lösungsansätze<br />

entwickelt. Für die Sicherheitskonzepte<br />

in MMMSec galten folgende<br />

Anforderungen:<br />

– Es werden nur User Agent/User<br />

Agent-Sicherheitsfunktionalitäten berücksichtigt<br />

und realisiert, da diese für<br />

das Message Transfer System transparent<br />

sind, und der Benutzer den Message<br />

Transfer System-Providern nicht<br />

zu vertrauen braucht.<br />

F O R S C H U N G<br />

– Sicherheitsfunktionalitäten für einzelne<br />

X.420-Bodyparts, um die einzelnen<br />

Bestandteile einer Nachricht separat<br />

und unterschiedlich sichern zu<br />

können.<br />

– Sicherheit für externe Referenzen<br />

beziehungsweise die referenzierten<br />

Daten.<br />

– User Agent-Programme müssen<br />

mehrere Message-Formate und auch<br />

deren unterschiedliche User Agent/<br />

User Agent-Sicherheitsfunktionalitäten<br />

unterstützen, da ein Konvertieren<br />

geschützter Nachrichten in Gateways<br />

nicht möglich ist.<br />

– Sicherheit soll unabhängig vom<br />

Message-Format dem Benutzer einfach<br />

und in homogener Oberflächenform<br />

angeboten werden.<br />

– Sicherheitsbasisdienste (Key-Management,<br />

kryptographische Mechanismen,<br />

etc.) werden durch eine allgemeine<br />

Sicherheitsplattform bereitgestellt<br />

und durch dynamisch konfigurierbare<br />

Sicherheitspolitiken und<br />

optionale Benutzereingaben gesteuert.<br />

MMMSec User Agent<br />

Zur Evaluierung, Demonstration und<br />

beispielhaften Integration der in<br />

MMMSec entwickelten Sicherheitskonzepte<br />

wurde das einfache User<br />

Agent-Programm „S-Mail“ imple-<br />

mentiert. Zur Zeit werden X.400(88)<br />

und Internet Electronic Mail sowie<br />

die jeweiligen Sicherheitsdienste<br />

X.420-Security-Bodypart und Privacy<br />

Enhanced Mail unterstützt. An der<br />

Integration von MOSS (MIME Object<br />

Security Services) und Pretty<br />

Good Privacy wird zur Zeit noch gearbeitet.<br />

Die Benutzeroberfläche bezüglich<br />

Sicherheit ist besonders einfach<br />

und objektorientiert gehalten<br />

und ist auch auf andere Anwendungen<br />

übertragbar. Über einen voreinstellbaren<br />

Expertenmodus ist in „S-<br />

Mail“ aber auch eine detaillierte Parameterisierung<br />

der Sicherheitsdienste<br />

unter Berücksichtigung der organisationsweiten<br />

Sicherheitspolitik möglich.<br />

In Abbildung 1 ist die Oberfläche für<br />

das Erstellen von Nachrichten dargestellt.<br />

Durch aussagekräftige Symbole<br />

– in der Abbildung zum Beispiel Signatur<br />

und Verschlüsselung – wird die<br />

Art der durch die Sicherheitspolitik<br />

voreingestellten Sicherheitsdienste für<br />

das aktuell bearbeitete Objekt angezeigt.<br />

<strong>Der</strong> Benutzer kann über<br />

ein entsprechendes Pop-Up-Menü<br />

zum Sicherheitsprofildialog gelangen,<br />

um die Auswahl im Rahmen der Sicherheitspolitikvorgaben<br />

zu verändern.<br />

Abbildung 1: <strong>GMD</strong><br />

User Agent im Projekt Sicherheit in Multimedia Electronic Mail<br />

58 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


Im Empfangsfall erfolgt die Präsentation<br />

von Sicherheit mit Hilfe analoger<br />

Objekte und Dialoge.<br />

Sicherheitspolitik<br />

Die Sicherheitspolitik ist die zentrale<br />

Steuerungskomponente des Sicherungskonzepts<br />

für Multimedia Mail.<br />

Über die Sicherheitspolitik wird für<br />

verschiedene Anwendungskontexte<br />

festgelegt, wie und mit welchen Sicherheitsdiensten<br />

und -mechanismen<br />

welche Datenobjekte mindestens oder<br />

maximal zu sichern sind. Sie wird von<br />

einem Sicherheitsadministrator für alle<br />

Benutzer der Domäne bindend<br />

festgelegt. Somit ist es möglich, technischen<br />

oder gesetzlichen Gegebenheiten<br />

nachzukommen, ohne Änderungen<br />

in der Anwendung vornehmen<br />

zu müssen.<br />

Sicherheitsprofile<br />

Für Anwender, die aktiv die Sicherheitsbehandlung<br />

beeinflussen möchten,<br />

wird ein Sicherheitsprofildialog<br />

(Abbildung 2) zur Verfügung gestellt,<br />

mit dem auf der Ebene von Sicherheitsprofilen<br />

Einstellungen vorgenommen<br />

werden können. Sicherheitsprofile<br />

abstrahieren von den standardisierten<br />

Sicherheitsdiensten der unterschiedlichen<br />

Nachrichtenformate,<br />

die zwar in der Benutzung, Terminologie<br />

und Realisierung sehr verschieden,<br />

aber in der Funktionalität selbst<br />

sehr ähnlich sind. Durch die Einführung<br />

von Sicherheitsprofilen und<br />

der Zuordnung von Symbolen erhält<br />

der Anwender eine homogene Sichtweise<br />

bezüglich der Sicherheit – auch<br />

über die Grenzen einer bestimmen<br />

Applikation hinaus, da das Sicherheitskonzept<br />

nicht anwendungsspezifisch<br />

ausgelegt ist.<br />

F O R S C H U N G<br />

Abbildung 2: <strong>GMD</strong><br />

S-Mail: Security Processing Information<br />

Object Domain: BERKOM-BP Object Type:<br />

TEXT.IA5<br />

Security:<br />

NONE<br />

Integral Signed<br />

Int/Conf Sig/Conf<br />

Dialogbox bei Security Processing Information<br />

Blindtext für<br />

die Dialogbox<br />

bei Security<br />

Processing<br />

Information<br />

Sicherheitsplattform<br />

Die Realisierung von Sicherheit für<br />

Electronic Messaging erfordert eine<br />

Reihe von Funktionalitäten, die nicht<br />

Messaging-spezifisch sind, sondern in<br />

gleicher oder ähnlicher Weise auch<br />

von anderen Anwendungen benötigt<br />

werden, die Sicherheit integrieren. Im<br />

Projekt MMMSec wird das Sicherheits-Softwarepaket<br />

SecuDE eingesetzt,<br />

welches unter anderem das Key-<br />

Management mit Unterstützung von<br />

SmartCards und kryptographische<br />

Basismechanismen zur Verfügung<br />

stellt. Neben den schon erwähnten<br />

Komponenten für eine allgemeine Sicherheitsplattform<br />

wurden innerhalb<br />

des Projekts noch weitere Komponenten<br />

realisiert.<br />

X. 420 security bodypart<br />

X. 420 security<br />

bodypart<br />

X. 420 security<br />

bodypart<br />

X. 420 security<br />

bodypart<br />

any X. 420<br />

Bodypart<br />

BERKOM Security-Bodypart<br />

X.420-Sicherheits-Bodypart<br />

Mit den existierenden Sicherheitsfunktionalitäten<br />

von X.400 beziehungsweise<br />

X.420 können bisher nur<br />

komplette Nachrichteninhalte im<br />

Ganzen gesichert werden. Das ist für<br />

die multi-content/multi-mode-Nachrichten<br />

von Multimedia-Messaging<br />

nicht mehr adäquat, da für verschiedene<br />

Bodyparts einer Nachricht unterschiedlicheSicherheitsanforderungen<br />

bestehen können. Auch neuere<br />

Bodypart-orientierte Message-Store-<br />

Zugriffsprotokolle (IMAP, 95er P7),<br />

die Weiterverarbeitung von einzelnen<br />

Bodyparts oder der Einsatz von formatspezifischen<br />

kryptographischen<br />

Mechanismen macht Sicherheitsfunktionalitäten<br />

für einzelne Bodyparts<br />

notwendig.<br />

In MMMSec wurde daher unter Verwendung<br />

des X.420-Bodyparts „externally-defined“<br />

ein neuer „X.420-Security-Bodypart“<br />

spezifiziert. Dieser besteht<br />

aus einem Parameter- und einem<br />

Datenfeld und realisiert eine Sicherheitskapsel.<br />

Ein beliebiger Abstract<br />

Syntax Notation One-kodierter<br />

X.420-Bodypart kann durch Anwendung<br />

eines Sicherheitsdienstes in einen<br />

Security-Bodypart eingekapselt<br />

werden. Damit lassen sich beliebige<br />

Kombinationen der Sicherheitsbear-<br />

Abbildung 3: <strong>GMD</strong><br />

(eg.)<br />

encrypted-bodypart<br />

(eg.)<br />

signed-bodypart<br />

structure of<br />

any X.420<br />

bodypart<br />

(optional)<br />

Parameter<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 59<br />

Details<br />

Dismiss Default Help<br />

Data


eitungen schachteln. In Abbildung 4<br />

ist das Konzept schematisch dargestellt.<br />

Für Internet Electronic Mail<br />

existieren MOSS und S-MIME.<br />

Generische Objektsicherheit<br />

Für die Realisierung von User<br />

Agent/User Agent-Sicherheit sind<br />

keine Sicherheitsfunktionalitäten in<br />

den Schichten der involvierten Kommunikations-Stacks<br />

der MTS-Komponenten<br />

(Message Transfer System)<br />

notwendig. Sicherheit wird durch<br />

Schutz der Nachrichteninhalte transparent<br />

für das MTS realisiert. Die<br />

Nachrichteninhalte sind zum Zeitpunkt<br />

der Sicherheitsbearbeitung von<br />

einer Kommunikation unabhängige<br />

Datenobjekte, die allerdings speziellen<br />

Datenformaten unterliegen.<br />

Ein generisches Sicherheitswerkzeug<br />

(Security Mediator) wurde realisiert,<br />

mit dem Datenobjekte durch entsprechende,<br />

adaptierte Sicherheitswerkzeuge<br />

gesichert und entsichert werden<br />

können. Die Kontrolle der adaptierten<br />

Werkzeuge geschieht durch abstrakte<br />

Security Processing Information,<br />

welche aus den Vorgaben der Sicherheitspolitik<br />

und des Anwenders<br />

gebildet werden. Während der Sicherung<br />

beziehungsweise Entsicherung<br />

eines Objekts erzeugt der Security<br />

Mediator abstrakte Security Result<br />

Information mit den Resultaten des<br />

Vorgangs. <strong>Der</strong> Security-Mediator<br />

konvertiert zwischen abstrakter Security<br />

Processing Information beziehungsweise<br />

Security Result Information<br />

und den werkzeugspezifischen Parametern<br />

beziehungsweise Ergebniswerten.<br />

Die Oberflächenelemente sowie<br />

das Sicherheitspolitikmanagement<br />

arbeiten nur auf dieser Basis.<br />

Sicherheit für Externe Referenzen<br />

Zum Schutz von referenzierten Daten<br />

wurde ein Konzept entwickelt, bei<br />

dem die Sicherheitsfunktionalitäten<br />

transparent für den Global Store und<br />

die Transportprotokolle sind. Die referenzierten<br />

Daten sind durchgängig<br />

während der Speicherung und der<br />

Übertragung geschützt. Die entsprechenden<br />

Informationen, Parameter<br />

und Schlüssel werden dabei in die externe<br />

Referenz integriert.<br />

F O R S C H U N G<br />

Abbildung 4: <strong>GMD</strong><br />

Ausblick<br />

MM-UA<br />

Sender<br />

Security<br />

transformation<br />

External Reference<br />

Produce Stub<br />

RDEK-Info, RMIC-Info<br />

Originator-Certificate<br />

Recipient-Infos …<br />

Sicherheitskonzept für Externe Referenzen<br />

Die im Rahmen von MMMSec entwickelten<br />

Konzepte und Komponenten<br />

für eine Sicherheitsplattform ermöglichen<br />

eine Integration von Sicherheitstechnologien<br />

in eine Vielzahl<br />

von Applikationen aus dem Bereich<br />

der Informations- und Kommunikationssysteme.<br />

Weiterhin sind durch die Möglichkeit,<br />

beliebige Datenobjekte zu schützen<br />

und im Anwendungskontext Electronic<br />

Mail zu übertragen, neue,<br />

sicherheitssensible Messaging-Anwendungen<br />

wie Electronic Banking oder<br />

Shopping einfach realisierbar.<br />

Darüber hinaus können durch die Offenheit<br />

der Konzepte weitere Sicherheitsdienste<br />

einfach und effizient integriert<br />

und über Sicherheitspolitiken<br />

gesteuert werden.<br />

Insbesondere ein Einsatz im World<br />

Wide Web bietet sich als weiteres Feld<br />

an, da die Inhalte des Hpertext Transfer-Protocol<br />

dem MIME-Standard<br />

entsprechen.<br />

Multimedia message<br />

Das Projekt ist eines aus einer Reihe<br />

von fünf Sicherheitsprojekten, die alle<br />

von der DeTeBerkom GmbH finanziert<br />

werden. Übergreifendes Ziel dieser<br />

Projektreihe ist die Entwicklung<br />

der generischen Sicherheitsplattform<br />

PLASMA (Plattform für sichere<br />

Multimedia-Anwendungen). Beteiligte<br />

Partner sind neben der <strong>GMD</strong> noch<br />

Siemens, der Rheinisch-Westfälische<br />

Technische Überwachungsverein und<br />

die Fraunhofer-Gesellschaft.<br />

60 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />

From:<br />

To:<br />

Cc:<br />

Bodyparts<br />

External<br />

Reference {<br />

Security Information;<br />

}<br />

Global Store<br />

Security<br />

transformed<br />

RDO<br />

MM-UA<br />

Recipient<br />

Security<br />

transformation<br />

External Reference<br />

Resolve Stub<br />

....................................<br />

Dipl.-Inform. Burkhard<br />

Wiegel und Dipl.-<br />

Inform. Jürgen Sander<br />

sind wissenschaftliche<br />

Mitarbeiter im <strong>GMD</strong>-<br />

Institut für Offene<br />

Kommunikationssysteme<br />

in Berlin. Ihr<br />

Arbeitsschwerpunkt<br />

liegt auf den Gebieten<br />

Sicherheit in offenen<br />

verteilten Kommunikationssystemen<br />

und<br />

multimediale Anwendungen.


Dr. Ing. Heinrich-<br />

Theodor Vierhaus<br />

Dr. Liliane Peters<br />

Dr.-Ing. Heinrich-Theodor Vierhaus,<br />

kommissarischer Leiter des<br />

<strong>GMD</strong>-Instituts für Systementwurfstechnik,<br />

ist zum 1. April 1996<br />

zum Universitätsprofessor an der<br />

Brandenburgischen Technischen<br />

Universität Cottbus berufen worden.<br />

Er vertritt dort das Fach<br />

Technische Informatik. Vierhaus<br />

hatte seine wissenschaftliche Laufbahn<br />

in der <strong>GMD</strong> im Jahr 1983<br />

begonnen, im Großprojekt „Entwurf<br />

Integrierter Schaltungen“ arbeitete<br />

er unter anderem auf dem<br />

Gebiet des Entwurfs und Tests<br />

von hochintegrierten Schaltungen.<br />

Er wurde 1992 Leiter des Forschungsbereichs„Entwurfsautomatisierung<br />

digitaler Systeme“<br />

und zum 1. Januar 1994, nach dem<br />

Ausscheiden von Prof. Dr. Raul<br />

Camposano, kommissarischer Leiter<br />

des Instituts. Nachfolgerin von<br />

Vierhaus ist Dr.-Ing. Liliane Peters.<br />

Die neue kommissarische Institutsleiterin,<br />

die seit 1989 in der<br />

<strong>GMD</strong> arbeitet, hatte an der Technischen<br />

Hochschule Bukarest<br />

Elektrotechnik studiert. Nach einer<br />

ersten Berufstätigkeit in einem<br />

elektrotechnischen Betrieb in<br />

Rumänien wurde sie wissenschaftliche<br />

Hilfskraft und später wissenschaftliche<br />

Angestellte am Lehrstuhl<br />

für Allgemeine Elektrotechnik<br />

und Datenverarbeitungssysteme<br />

an der Rheinisch-Westfälischen<br />

Technischen Hochschule<br />

Aachen, wo sie im Jahr 1990 promovierte.<br />

In der <strong>GMD</strong> war sie<br />

zunächst Wissenschaftlerin im<br />

Großprojekt „Entwurf Integrierter<br />

Schaltungen“, im Oktober 1993<br />

wurde ihr die Leitung des Forschungsbereichs<br />

„Entwurf Innovative<br />

Anwendungen“ übertragen,<br />

zum 1. April 1995 übernahm sie<br />

darüber hinaus die ständige Vertretung<br />

des kommissarischen Institutsleiters.<br />

P E R S O N A L I E N<br />

Dr.-Ing. Peter Behr, kommissarischer<br />

geschäftsführender Leiter<br />

des <strong>GMD</strong>-Instituts für Rechnerarchitektur<br />

und Softwaretechnik, ist<br />

zum Honorarprofessor an der Universität<br />

Potsdam ernannt worden.<br />

Er vertritt dort am Institut für Informatik<br />

der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen<br />

Fakultät das<br />

Fachgebiet Technische Informatik.<br />

Dr. Herbert Burkert, Wissenschaftler<br />

im <strong>GMD</strong>-Institut für Medienkommunikation,<br />

ist zum Privatdozenten<br />

für Öffentliches<br />

Recht, insbesondere Informationsund<br />

Kommunikationsrecht, an der<br />

Universität St. Gallen ernannt<br />

worden. Burkert, der der <strong>GMD</strong><br />

seit 1977 angehört, leitete eine<br />

Reihe von internationalen Projekten<br />

zum Informatikrecht und arbeitet<br />

als Berater zu nationalen<br />

und internationalen Fragen der Informationspolitik.<br />

Er ist Vorsitzender<br />

des Rechtsbeirats der<br />

Generaldirektion XIII der Europäischen<br />

Kommission. Seine<br />

Habilitationsschrift trägt den Titel<br />

„Verwaltungsinformationen: Zwischen<br />

Marktinteressen und Informationsverantwortung.<br />

Ein Beitrag<br />

aus öffentlich-rechtlicher<br />

Sicht“.<br />

Monika Fleischmann, Medienkünstlerin<br />

und künstlerische Leiterin<br />

im <strong>GMD</strong>-Institut für Medienkommunikation,<br />

ist in den Beirat<br />

Medien des Goethe-Instituts berufen<br />

worden. Die Beiräte des<br />

Goethe-Instituts geben der Münchener<br />

Zentralverwaltung in allen<br />

Fachbereichen Unterstützung bei<br />

der Gestaltung der Aufgaben des<br />

Goethe-Instituts im Rahmen der<br />

Auswärtigen Kulturpolitik der<br />

Bundesrepublik Deutschland. Die<br />

Wahlperiode für Beiräte beträgt<br />

drei Jahre. Mit zwei Projekten<br />

wurde Monika Fleischmann bereits<br />

direkt von einzelnen Goethe-<br />

Vertretungen im Ausland betraut.<br />

Für das Projekt „Woman And The<br />

Art Of Multimedia“ hat das<br />

Prof. Dr.-Ing. Peter Behr<br />

Dr. Herbert Burkert<br />

Monika Fleischmann<br />

<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996 61


Dr. Hartmut Surmann<br />

Dr. Saso Dzeroski<br />

Goethe-Institut Washington Monika<br />

Fleischmann als deutsches Mitglied<br />

in den Beirat berufen. Bei<br />

diesem Vorhaben handelt es sich<br />

um die Vorbereitung und Durchführung<br />

einer multimedial angelegten<br />

Konferenz, die im Mai 1997<br />

in Washington D.C. stattfinden<br />

und sich mit dem Themenkreis<br />

„Frauen und neue Medien“ auseinandersetzen<br />

wird. Monika<br />

Fleischmann wird auch Kuratorin,<br />

der gleichzeitig stattfindenden Medienausstellung<br />

sein. Für das Projekt<br />

Thessaloniki, Kulturhauptstadt<br />

Europa ’97, wurde sie vom<br />

Goethe-Institut beauftragt, als<br />

deutschen Beitrag ein Konzept zu<br />

realisieren, das ihre eigenen künstlerischen<br />

Arbeiten beziehungsweise<br />

in der <strong>GMD</strong> entstandene kulturelle<br />

Projekte präsentiert.<br />

Dr. Hartmut Surmann, Wissenschaftler<br />

im <strong>GMD</strong>-Institut für<br />

Systementwurfstechnik, ist von<br />

der Arbeitsgemeinschaft der<br />

Deutschen KI-Institute (AKI) mit<br />

dem AKI-Dissertationspreis 1995<br />

ausgezeichnet worden. Das Thema<br />

der Arbeit heißt „Automatisierter<br />

Entwurf von Fuzzy-Systemen“.<br />

Dr. Saso Dzeroski, ERCIM Fellow<br />

1995, wurde am 20. März 1996 in<br />

Ljubljana, Slowenien, für seine<br />

Dissertation mit dem Titel „Numerical<br />

constraints and learnability<br />

in inductive logic programming“‚<br />

die Goldene Jozef-Stefan-<br />

Medaille verliehen. Die Goldene<br />

Jozef-Stefan-Medaille ist der einzige<br />

Preis, der seit 1992 in Slowenien<br />

jährlich für Dissertationen vergeben<br />

wird. Hauptbewertungskriterium<br />

ist dabei die entsprechende<br />

Resonanz der Arbeit in der internationalen<br />

Wissenschaftsgemeinde<br />

P E R S O N A L I E N<br />

und ihr Potential für praktische<br />

Anwendungen. Dzeroskis Arbeit<br />

gehört zum Gebiet der induktiven<br />

Logikprogrammierung, die sich<br />

mit dem Lernen aus Beispielen<br />

unter der Verwendung der Prädikatenlogik<br />

befaßt. Vom 1. Mai<br />

1995 bis 30. April 1996 war Saso<br />

Dzeroski als ERCIM Fellow im<br />

<strong>GMD</strong>-Institut für Angewandte Informationstechnik<br />

beschäftigt, und<br />

vom 1. Mai bis 30. Oktober 1996<br />

hält er sich in gleicher Eigenschaft<br />

am FORTH Institute of Computer<br />

Science auf. In der <strong>GMD</strong> arbeitete<br />

er mit Dr. Stefan Wrobel und der<br />

Gruppe für Maschinelles Lernen<br />

an der Weiterentwicklung der Formalisierung<br />

des Lernens in Prädikatenlogik<br />

sowie an praktischen<br />

Anwendungen des maschinellen<br />

Lernens und der induktiven Logikprogrammierung<br />

zur Wissenserkennung<br />

in pharmazeutischen<br />

Datenbanken. Bei FORTH wird<br />

sich Dzeroski zusammen mit Prof.<br />

Vassilis Moustakis in erster Linie<br />

mit praktischen Anwendungen des<br />

maschinellen Lernens und der induktiven<br />

Logikprogrammierung<br />

bei der Wissenserkennung in Datenbanken<br />

befassen.<br />

Dipl.-Inform. Matthias Rarey,<br />

Wissenschaftler am <strong>GMD</strong>-Institut<br />

für Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches Rechnen, promovierte<br />

am 11. Juli 1996 an der<br />

Mathematisch-Naturwissenschaftlichen<br />

Fakultät der Universität<br />

Bonn. Thema der Arbeit war die<br />

„Rechnergestützte Vorhersage von<br />

Rezeptor-Ligand-Wechselwirkungen“.<br />

Dr. Matthias Rarey<br />

62 <strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996


<strong>Der</strong> <strong>GMD</strong>-<strong>Spiegel</strong> 2/3 – 1996<br />

<strong>GMD</strong> – Forschungszentrum<br />

Informationstechnik GmbH<br />

Vorstand (Geschäftsführung)<br />

Prof. Dr. Dennis Tsichritzis<br />

Dr. jur. Heinz-Georg Sundermann<br />

Institute und Projekte<br />

Institut für Algorithmen und<br />

Wissenschaftliches Rechnen<br />

Leitung:<br />

Prof. Dr. rer. nat. Ulrich<br />

Trottenberg (geschäftsführend)<br />

Prof. Dr. rer. nat. Thomas<br />

Lengauer, PhD<br />

Institut für<br />

Telekooperationstechnik<br />

Leitung:<br />

Prof. Dr.-Ing. Heinz Thielmann<br />

Institut für Angewandte<br />

Informationstechnik<br />

Leitung:<br />

Dr. rer. pol. Peter Hoschka<br />

(geschäftsführend)<br />

Prof. Dr. rer. nat. Thomas<br />

Christaller<br />

Prof. Dr. techn. Alfred Kobsa<br />

Institut für Integrierte<br />

Publikations- und<br />

Informationssysteme<br />

Leitung:<br />

Prof. Dr. techn. Erich J. Neuhold<br />

Institut für Systementwurfstechnik<br />

Leitung:<br />

Dr.-Ing. Liliane Peters<br />

(kommissarisch)<br />

Institut für Rechnerarchitektur<br />

und Softwaretechnik<br />

Leitung:<br />

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang K. Giloi<br />

Prof. Dr.-Ing. Stefan Jähnichen<br />

Prof. Dr.-Ing. Peter Behr<br />

(kommissarisch geschäftsführend)<br />

G M D<br />

Stand: 30. September 1996<br />

Institut für Offene<br />

Kommunikationssysteme<br />

Leitung:<br />

Prof. Dr.-Ing. Dr.h.c. Radu<br />

Popescu-Zeletin<br />

Institut für<br />

Medienkommunikation<br />

Leitung:<br />

Prof. Dr. Dennis Tsichritzis<br />

(kommissarisch)<br />

Projektträger Fachinformation:<br />

Leitung:<br />

Dr. rer. pol. Hans-G. Klaus<br />

Projekt „Innovationsberatung<br />

und -entwicklung“<br />

Leitung:<br />

Dr. rer. nat. Ronald Tost<br />

TechnoPark<br />

Leitung:<br />

Dr. rer. pol. Karlheinz Schunk<br />

<strong>GMD</strong>-Birlinghoven<br />

Schloß Birlinghoven<br />

D-53754 Sankt Augustin<br />

Telefon: (0 22 41) 14-0<br />

Telefax: (0 22 41) 14-28 89<br />

Telex: 8 89 469 gmd d<br />

Internet:<br />

http://www.gmd.de<br />

Electronic Mail:<br />

info�gmd.de<br />

Bildschirmtext: ✶ <strong>GMD</strong> �<br />

<strong>GMD</strong>-Darmstadt<br />

Rheinstraße 75<br />

D-64295 Darmstadt<br />

Telefon: (0 61 51) 8 69-0<br />

Telefax: (0 61 51) 8 69-2 24<br />

Dolivostraße 15<br />

D-64293 Darmstadt<br />

Telefon: (0 61 51) 8 69-0<br />

Telefax: (0 61 51) 8 69-7 85<br />

<strong>GMD</strong>-Berlin<br />

Hardenbergplatz 2<br />

D-10623 Berlin<br />

Telefon: (0 30) 2 54 99-0<br />

Telefax: (030) 2 54 99-202<br />

Rudower Chaussee 5<br />

D-12489 Berlin-Adlershof<br />

Telefon: (0 30) 63 92-18 00<br />

Telefax: (0 30) 63 92-18 05<br />

<strong>GMD</strong> – German<br />

National Research<br />

Center for Information<br />

Technology<br />

<strong>GMD</strong>-Bureau Tokyo<br />

German Cultural Center<br />

Akasaka 7-5-56<br />

Minato-ku<br />

Tokyo 107<br />

Telephone:<br />

00 81-3-35 86-71 04<br />

Telefax:<br />

00 81-3-3586-7187


<strong>GMD</strong> –<br />

Forschungszentrum<br />

Informationstechnik<br />

GmbH<br />

ISSN 0724-4339

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