unser kleines Handbuch des 5p-minus Syndroms - Förderverein für ...
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von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong><br />
<strong>des</strong><br />
<strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
Herausgeber:<br />
<strong>Förderverein</strong> <strong>für</strong> Menschen mit Cri-du-Chat-Syndrom e.V.<br />
April 2012
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
2<br />
Wir - die Autoren dieses Büchleins sind:<br />
Ute Meierdierks<br />
Ihre Tochter Kim ist 1989 geboren. Kim lebt heute noch bei ihren Eltern und<br />
besucht tagsüber mit Freude eine Tagesförderstätte. Kim liebt Abwechslung und<br />
geht gerne in die Stadt.<br />
Maria Weber<br />
Ihr Sohn Christian ist 1991 geboren. Christian ist mit 22 Jahren von zuhause<br />
ausgezogen. Er wohnt in einer Wohngruppe zusammen mit acht anderen behinderten<br />
Menschen. Je<strong>des</strong> Wochenende aber holen ihn die Eltern nach Hause.<br />
Christian findet das gut. Er findet, dass bei<strong>des</strong> <strong>für</strong> ihn Vorteile hat.<br />
Agnes Kröll-Schulte<br />
Ihre Tochter Anna wurde 1994 geboren. Anna geht noch zur Schule und wohnt<br />
bei ihren Eltern. Sie ist eine “Ruhige” und mag es gerne gemütlich. Nur langweilig<br />
soll es auch nicht sein ...<br />
Ute hat <strong>unser</strong>e Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Zusammen haben wir den<br />
Verein mitbegründet und sind fast zwanzig Jahre in <strong>des</strong>sen Vorstand tätig. Eine<br />
genügend große Zeitspanne, um viel Erfahrung zu sammeln, aber lange nicht<br />
genug, um die betroffenen Menschen in all ihren Facetten erfassen zu können.<br />
Professor Dr. med. Ingo Kennerknecht<br />
Institut <strong>für</strong> Humangenetik der Universität Münster<br />
Prof. Kennerknecht unterstützt <strong>unser</strong>e Gruppe seit Jahren und hat auch dieses<br />
Büchlein freundlicherweise auf Fehler überprüft.<br />
Wir haben alle Informationen dieses Büchleins sorgfältig erarbeitet.<br />
Für eventuelle Fehler übernehmen wir keine Haftung.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
3<br />
Vorwort<br />
„Vor Zeiten“, bevor es das Internet gab, war es enorm schwierig an Informationen über das<br />
<strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom zu kommen. Da es sehr selten ist, waren in der Regel auch die Ärzte<br />
und Kinderärzte nicht darüber informiert, wenn doch, bezogen sie diese aus veralteten<br />
Lehrbüchern.<br />
Wir Eltern hatten die Wahl zwischen quälendem Nichtwissen über den Zustand <strong>unser</strong>er<br />
Neugeborenen oder den extrem negativen Ausführungen und Prognosen veralteter Publikationen.<br />
Nicht alle Eltern gaben sich mit diesen traurigen Umständen zufrieden und das war<br />
die Geburtsstunde <strong>unser</strong>er Selbsthilfegruppe. Teilweise war es abenteuerlich und mehr als<br />
glücklich, wie wir uns quer durch die gesamte Republik zusammengefunden haben - und das<br />
ohne e-mail-Kontakte oder Facebook. Zusammengeführt hat uns das aufmerksame „Hören“<br />
auf allen Ebenen. Für viele <strong>unser</strong>er Familien bedeutete die Gruppe ein Aufatmen. Denn<br />
alle Berichte der Eltern waren positiv: die Kinder entwickeln sich, lernen sitzen, krabbeln,<br />
stehen, gehen. Und: was wohl alle Eltern sehen wollen: sie lächeln, lachen, schmusen, sind<br />
anhängliche und fröhliche Kinder.<br />
1995 haben wir uns formal zu einem <strong>Förderverein</strong> zusammengeschlossen. Unsere damaligen<br />
Säuglinge, Kleinkinder und Kinder durchliefen Kindergarten und Schulen und schicken<br />
sich an, bzw. sind jetzt teilweise schon lange erwachsen. Und das durchaus so gesund, wie<br />
es „normale“ Altersgenossen auch sind.<br />
Viel wurde erreicht in dieser Zeit. Man kennt die <strong>für</strong> die Ausprägung <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
verantwortliche kritische Chromosomenregion. Und - der Beitrag aller Elterngruppen rings<br />
um die Welt: wir wissen um die mit dem Syndrom einhergehenden Beeinträchtigungen.<br />
Uns Eltern erleichtert dies, uns darauf einzustellen, das Unabänderliche zu akzeptieren. Es<br />
bietet Möglichkeiten und Ansätze <strong>für</strong> Therapien und Erziehungsformen und hilft uns, uns<br />
den Anforderungen zu stellen, die nicht nur <strong>unser</strong>e besonderen Kinder, sondern <strong>unser</strong>e<br />
gesamten Familien und <strong>unser</strong>en Freun<strong>des</strong>kreis betreffen.<br />
Das vorliegende „kleine <strong>Handbuch</strong>“ ist eine Art kurze Zusammenstellung aller von uns<br />
als wichtig erachteten Informationen über das Syndrom. Es erhebt keinen Anspruch auf<br />
Vollständigkeit, vor allem nicht im medizinischen Bereich. Wir sind keine Ärzte, wir sind<br />
Eltern. Wir wollen informieren und vor allem:<br />
Wir wollen Mut machen zu einem Leben mit einem besonderen Menschen.<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong>
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
4<br />
Was ist das Wichtigste, das Eltern über ihr Kind mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong><br />
Syndrom wissen sollen?<br />
Maria:<br />
Dass man damit leben kann.<br />
Denn das ist es doch, was Eltern am Anfang haben - Angst, nicht<br />
damit fertig zu werden. Das ist es doch, was uns allen am meisten<br />
Schwierigkeiten gemacht hat: nicht das Kind selbst, sondern die<br />
Angst vor der Zukunft. Die Angst nicht zu wissen, was auf einen<br />
zukommt.<br />
Ich sage nicht, dass es <strong>für</strong> sie einfach wird.<br />
Das ist es nicht. Aber das ist es doch mit anderen Kindern auch<br />
nicht. Auch hier kann man nicht wissen, wie diese sich entwickeln.<br />
Aber da, bei den anderen, ist dies am Anfang einfach nicht<br />
zu wichtig. Weil man denkt, dass man dies weis. Aber ist das<br />
tatsächlich so?<br />
Also, schreib, dass man damit fertig wird.<br />
Mit allem: dem Alltag, mit dem zuerst. Aber auch mit dem<br />
Traurigsein. Und der Hilflosigkeit.<br />
Sag, dass das einfach Zeit braucht.<br />
Das es Zeit braucht, manchmal sehr viel Zeit, dass aber auch dies<br />
vorüber geht. Das Leben ist so. Und das muss man annehmen.<br />
Es ist nicht mehr so wie bei <strong>unser</strong>en eigenen Kindern, denn über<br />
Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom wissen wir jetzt schon eine Menge.<br />
Ja, sie sind alle mehr oder weniger eingeschränkt in Fähigkeiten,<br />
die wir sonst so von Kindern erwarten. Aber sie gehen alle ihren<br />
Weg. Und dass ist das Wichtigste. Sie werden groß und gehen ihren<br />
eigenen Weg. Wie die anderen auch, nur eben ein wenig anders.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
5<br />
Gliederung<br />
Vorwort 3<br />
Überblick 7<br />
Genetische Aspekte <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> und anderer <strong>5p</strong> Deletionen 9<br />
Nachweis 13<br />
Klinische Merkmale bei Kindern mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom 13<br />
Entwicklung in der Kindheit 17<br />
Und später 19<br />
Was im Alltag Probleme macht 21<br />
Der Kampf ums Essen und Trinken 21<br />
Psychomotorische Einschränkungen 23<br />
Das Lernen von Lebenspraktischen Fähigkeiten 23<br />
Schlafen 25<br />
Sprechen und Kommunikation 27<br />
Verhaltensauffälligkeiten 29<br />
Förderung und Therapien 31<br />
einzelne Lebensphasen 33<br />
Kindergarten und Schule 33<br />
was nach der Schule kommt: Fördergruppe und Werkstatt 33<br />
Erwachsenenleben 35<br />
Zum Nachlesen 36
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
6<br />
Wenn ihr Kinderarzt eine Chromosomen-Untersuchung<br />
vorgeschlagen hat, hat er sicher außer dem hohen,<br />
monochromatischen Schreien <strong>des</strong> Neugeborenen eventuell<br />
noch einen Teil folgender Auffälligkeiten erkannt: Ein<br />
relativ kleiner Kopf (Mikrozephalie), ein run<strong>des</strong> Gesicht<br />
mit einem kleinen fliehenden Kinn (Mikrogenie), relativ<br />
weit auseinander liegende Augen (Hypertelorismus), eine<br />
sichelförmige Hautfalte an den inneren Augenwinkeln<br />
(Epikanthus), schräg nach unten laufende Lidspalten, ein<br />
breiter, eingesunkener Nasenrücken, tiefsitzende, nach hinten<br />
gedrehte Ohren, schmale, kleine Hände und Füße, einwärts<br />
gebeugte Kleinfinger (Klinodaktylie V), eine Vierfingerfurche<br />
auf der Handinnenfläche.<br />
Das Geburtsgewicht ist meist niedrig; viele der Kinder haben<br />
Probleme mit dem Saugen; dazu kommt evtl. ein niedriger<br />
Muskeltonus (Hypotonie) - oder das Gegenteil (weniger<br />
häufig), eine starke Anspannung (Hypertonie).<br />
Weitere Auffälligkeiten finden sich 2 bis 4 fach häufiger als<br />
sonst bei Neugeborenen.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
7<br />
Überblick<br />
Mit dem Wort SYNDROM wird in der Medizin (und Psychologie) angezeigt, dass<br />
bei verschiedenen Menschen bestimmte Symptome, Auffälligkeiten oder Krankheitsanzeichen,<br />
gleich oder ähnlich vorhanden sind bzw. auftreten. Die Vermutung, dass<br />
diesem dann die gleiche Ursache zugrunde liegt, liegt nahe.<br />
Dazu gehört auch das <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom.<br />
Der französische Genetiker Jérôme Léjeune war der erste, der 1963 dem Syndrom<br />
den Namen Cri-du-Chat Syndrom gab. Seine Erstbeschreibung <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
nennt die Schlüsselsymptome wie kleine Körpergröße, langsames Wachstum,<br />
Mikrozephalie, erhebliche Verzögerungen der motorischen, sprachlichen und geistigen<br />
Entwicklung und ein Schreien der Neugeborenen und Kleinkinder, das wie<br />
bei einer Katze klingt.<br />
Léjeune stellte bei der zytogenetischen Untersuchung seines Patienten fest, dass auf<br />
einem der beiden Chromosomen 5 der äußere (distale) Teil vom kurzen Arm fehlte<br />
(partielle Deletion <strong>5p</strong>).<br />
Das Syndrom ist selten, geschätzt wird, dass ca. 1: 50.000 der neugeborenen Kinder<br />
davon betroffen sind. Die Häufigkeit und das Erscheinungsbild sind weltweit bei<br />
allen untersuchten ethnischen Gruppen gleich. Vermutlich haben doppelt so viele<br />
Mädchen als Jungen dieses Syndrom. Die Ursache hier<strong>für</strong> ist nicht bekannt.<br />
Es gibt keine Belege, dass das Alter der Eltern, Umwelteinwirkungen vor der Zeugung<br />
oder während der Schwangerschaft einen Einfluss auf die Entstehung und die<br />
Häufigkeit haben.<br />
Bislang ist wenig bekannt über die Entwicklung und die Fähigkeiten der betroffenen<br />
Menschen über das Kin<strong>des</strong>alter hinaus. Insbesondere über das späte Erwachsenenalter<br />
liegen nur Einzelberichte vor. Eine systematische Untersuchung gibt es bislang<br />
nicht. Es gibt jedoch keinen Anhalt, dass Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom eine<br />
wesentlich geringere Lebenserwartung haben.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
8<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
Genetische Aspekte <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> und anderer <strong>5p</strong><br />
Deletionen<br />
Dem <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom gemeinsam ist der Verlust (Deletion) eines Teils <strong>des</strong> kurzen<br />
Arms (als “p-Arm” bezeichnet, p steht <strong>für</strong> französisch petit, klein) <strong>des</strong> Chromosoms<br />
5. Die Deletion umfasst meist das Endstück (terminal) und ist unterschiedlich groß.<br />
In ca. 4% der Fälle fehlt nur innerhalb (interstitiell) <strong>des</strong> p-Armes ein <strong>kleines</strong> Stück.<br />
Das fehlende Chromosomenstück, ob terminal oder interstitiell, kann so klein sein,<br />
dass es im Lichtmikroskop nicht zu sehen ist und erst durch spezielle Methoden<br />
(molekularzytogenetische Sonden, Fluoreszens-in-situ-Hybridisierung, FISH) gezeigt<br />
werden kann. Andererseits kann auch nahezu der ganze p-Arm fehlen. In den<br />
meisten Fällen ist die Deletion neu (de novo) ab der Eizelle (ab ovo) entstanden. Die<br />
Eltern haben also meist einen normalen Chromosomensatz (Karyotyp).<br />
Die Deletion kann auch im Rahmen einer Chromosomentranslokation entstanden<br />
und vererbt worden sein. Bei ungefähr jedem 800. Menschen in der Bevölkerung<br />
liegt eine balancierte Chromosomentranslokation vor. Man versteht darunter, dass<br />
Stücke von unterschiedlichen Chromosomen wechselseitig ausgetauscht sind. Die<br />
Menge <strong>des</strong> genetischen Materials ist dabei unverändert (balanciert). Je nachdem wie<br />
dieser umgebaute Chromosomensatz (in der Meiose) auf die Samen- oder Eizellen<br />
verteilt wird, kann es auch zum Verlust und/oder Zugewinn von Chromosomenmaterial<br />
kommen. Ist nun ein Chromosom 5 an der Translokation beteiligt und betrifft<br />
der Verlust den kurzen Arm von Chromosom 5, so entwickelt sich, wie bei jeder<br />
Deletion an dieser Stelle, ein <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom. Meist entsteht die unbalancierte<br />
Chromosomentranslokation spontan beim Kind. Nur in 10 bis 15% wird sie von<br />
einem Elternteil, der selbst unauffälliger, balancierter Translokationsträger ist, vererbt.<br />
In diesen Fall besteht ein Wiederholungsrisiko <strong>für</strong> weitere betroffene Kinder.<br />
Die balancierte Translokation kann aber auch über mehrere Generationen hinweg<br />
balanciert weitergegeben werden. Sie wird also erst dann bemerkt, wenn sie „unbalanciert“<br />
zu einer Deletion <strong>des</strong> kurzen Armes von Chromosom 5 führt. Das Risiko<br />
ein behindertes Kind z.B. mit einem <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom zu bekommen ist übrigens<br />
<strong>für</strong> einen unauffälligen Träger einer balancierten Chromosomentranslokation nur<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
9
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
10<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
gering erhöht. Pränatale Untersuchungen ergaben ein Zusatzrisiko von max. 10%.<br />
Dies hängt damit zusammen, dass unbalancierte Chromosomentranslokationen<br />
häufig zu sehr frühen und daher unbemerkten Aborten führen.<br />
Mosaikformen kommen ebenfalls vor. Betroffene besitzen hierbei sowohl normale<br />
Zellen wie auch Zellen mit einer Chromosomenaberration – hier also einer Deletion<br />
<strong>5p</strong>.<br />
Des weiteren kommen Ringchromosomen 5 vor. Ringchromosomen entstehen wenn<br />
nach Brüchen an beiden Chromosomenenden, der kurze Arm und der lange Arm<br />
zu einem Ring verschmelzen. Entsprechend führt auch hier die partielle Deletion<br />
vom kurzen Arm <strong>des</strong> Chromosoms 5 zum <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom.<br />
Durch die Untersuchung von Probanden mit jeweils sehr kleinen interstitiellen<br />
Stückverlusten konnte eine sogenannte “kritische Region” (Cri-du-Chat chromosomal<br />
critical region, CDCCR) gezeigt werden, deren Fehlen min<strong>des</strong>tens notwendig<br />
ist, um alle klinischen Aspekte <strong>des</strong> <strong>Syndroms</strong> zu realisieren. Die Feinkartierung<br />
erlaubt sogar das auffällige Schreien mit der hohen Stimmlage mit der Chromosomensubbande<br />
<strong>5p</strong>15.3 und die äußeren Auffälligkeiten auf der Subbande <strong>5p</strong>15.2 zu<br />
assoziieren. Bislang konnten zwei Gene, Semaphorin F (SEMAF) und δ-Katenin<br />
(Catenin delta 2, CTNND2) in der kritischen Region lokalisiert werden, die bei<br />
der Gehirnentwicklung eine Rolle spielen. Das Fehlen <strong>des</strong> Telomerase Reverse<br />
Transkriptase Gens (TERT) in <strong>5p</strong>15.33 wird ebenfalls mit den syndromtypischen<br />
Auffälligkeiten in Verbindung gebracht. Deletionen, die diese beiden Regionen nicht<br />
betreffen, gehen i.d.R. mit einer geistigen Behinderung einher, zeigen aber nicht die<br />
<strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> typischen Symptome. Während kleine interstitielle Deletionen durchaus<br />
einen Zusammenhang zwischen klinischer Ausprägung (Phänotyp) und ihrer Bandenlokalisation<br />
erlauben, so scheint - entgegen der Erwartung - die Gesamtgröße<br />
der Deletion <strong>für</strong> die sehr unterschiedlichen Ausprägung der Symptome keine große<br />
Rolle zu spielen Sobald der Verlust die kritische Chromosomenregion umfasst, zeigt<br />
sich der typische Phänotyp <strong>des</strong> <strong>Syndroms</strong>. Menschen mit kleiner Deletion können<br />
durchaus schwerer betroffen sein und umgekehrt. Vermutlich hat das intakte andere<br />
(homologe) Chromosom 5 (und der Rest <strong>des</strong> Genoms) einen starken Einfluss auf<br />
diese phänotypische Variabilität.<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
11
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
12<br />
Alexandra Sarah Niklas Leonie Julia-Yasmin Sabine<br />
Luisa-Teresa Alina Clara Emily-Sophie Leah-<br />
Sophie Lara Julia Jonas Sophie Kerstin Jasmin<br />
Julia Nadine Tim Sara Edwin Jonas Lynn Siro<br />
Svenja Elia Lisa Marie Dennis Marcel Arved Tim<br />
Tobias Maya Zoe Anja Philipp Maren Gereon Julie<br />
Louisa Caroline Robin Tim Duncan-Stuart Uwe<br />
Ludwig Ronny-Michael Philipp Janina Steven<br />
Eric Monika Kevin Tom-Louis Lara Lena William<br />
Chantal-Angie Nina Michael Ingrid Marcel Maria<br />
Filip Lea-Kathrin Tamara Kim Björn-Mattis<br />
Liz-Antonia Markus Sarina Matilde Niklas Emma<br />
Marie Evelyn Silke Peter Manuela Regine Antonia<br />
Christin Veronika Anna Stefan Benjamin Claudia<br />
Amelie Heike Alisa Emily-Marie-Angella Lea-<br />
Samira Anja Numa-Salane Marie-Antoinette Katharina<br />
Christian Anna Alina Leilani Mark Jana<br />
Sina Hannah-Sophie Bianca Samuel Steffen Luca<br />
Michelle Svenja Leonie-Sophie Alessio Hannah<br />
Mark-Pierre Niklas Christian Elena-Alexandra<br />
Julian Jonas Sinan Lea-Sarah Laura Alland Benjamin<br />
Judith Jael-Dorothea Karolina Laurent<br />
Muriel Theresa Lena Carlotta-Luzie Frieder Lisa<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
13<br />
Nachweis<br />
Die klinische Diagnose <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom wird also durch die zytogenetische Untersuchung<br />
mit dem Befund einer (partiellen) Deletion <strong>des</strong> kurzen Arms eines Chromosoms<br />
5 bestätigt. Beruht diese Deletion auf einer unbalancierten Chromosomentranslokation,<br />
so kann bei den Eltern untersucht werden, ob sie mögliche balancierte Träger dieser<br />
Translokation sind. Ist bei einem Elternteil eine solche Translokation nachgewiesen,<br />
so besteht ein Wiederholungsrisiko <strong>für</strong> ein Kind mit einem <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom. Wenn<br />
gewünscht, kann dies im Rahmen einer vorgeburtlichen Untersuchung abgeklärt werden.<br />
Ansprechpartner hier<strong>für</strong> sind Humangenetische Beratungsstellen. Findet sich bei<br />
den Eltern keine Chromosomentranslokation, so ist das Wiederholungsrisiko nicht<br />
über das allgemeine Bevölkerungsrisiko von ca. 1 : 50.000 erhöht.<br />
Klinische Merkmale bei Kindern mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom<br />
Die Schwangerschaft verläuft überwiegend normal, die Kinder werden fast immer<br />
termingerecht geboren. Das Geburtsgewicht der Kinder liegt in der Regel unterhalb<br />
der Norm, auch dann, wenn die Größe <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> fast normal ist Über drei Viertel<br />
der Säuglinge zeigen Anzeichen von Schlaffheit und geringem Muskeltonus (Hypotonie)<br />
mit ungenügender Kopfkontrolle. Die Arme und Beine sind überstreckbar.<br />
Die Kinder entwickeln sich langsamer und bleiben insgesamt kleiner als gleichaltrige<br />
unauffällige Kinder. Neben dem verzögerten körperlichen Wachstum ist in allen Fällen<br />
eine psychomotorische und geistige Entwicklungsverzögerung mit unterschiedlicher<br />
Ausprägung vorhanden. Fast alle Kinder erlernen zwar das Gehen, teilweise aber stark<br />
verspätet. Probleme mit der Bewegungskoordination bleiben bestehen.<br />
Kinder mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom sehen sich aufgrund der äußeren Auffälligkeiten<br />
einander recht ähnlich. Kennzeichnend in fast allen Fällen ist das eigenartige<br />
Schreien, welches besonders beim Neugeborenen und Säugling dem Miauen einer<br />
Katze täuschend ähnelt. Die Stimme <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> ist hoch und klingt gepresst, die
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
14<br />
Alexandra Sarah Niklas Leonie Julia-Yasmin Sabine<br />
Luisa-Teresa Alina Clara Emily-Sophie Leah-<br />
Sophie Lara Julia Jonas Sophie Kerstin Jasmin<br />
Julia Nadine Tim Sara Edwin Jonas Lynn Siro<br />
Svenja Elia Lisa Marie Dennis Marcel Arved Tim<br />
Tobias Maya Zoe Anja Philipp Maren Gereon Julie<br />
Louisa Caroline Robin Tim Duncan-Stuart Uwe<br />
Ludwig Ronny-Michael Philipp Janina Steven<br />
Eric Monika Kevin Tom-Louis Lara Lena William<br />
Chantal-Angie Nina Michael Ingrid Marcel Maria<br />
Filip Lea-Kathrin Tamara Kim Björn-Mattis<br />
Liz-Antonia Markus Sarina Matilde Niklas Emma<br />
Marie Evelyn Silke Peter Manuela Regine Antonia<br />
Christin Veronika Anna Stefan Benjamin Claudia<br />
Amelie Heike Alisa Emily-Marie-Angella Lea-<br />
Samira Anja Numa-Salane Marie-Antoinette Katharina<br />
Christian Anna Alina Leilani Mark Jana<br />
Sina Hannah-Sophie Bianca Samuel Steffen Luca<br />
Michelle Svenja Leonie-Sophie Alessio Hannah<br />
Mark-Pierre Niklas Christian Elena-Alexandra<br />
Julian Jonas Sinan Lea-Sarah Laura Alland Benjamin<br />
Judith Jael-Dorothea Karolina Laurent<br />
Muriel Theresa Lena Carlotta-Luzie Frieder Lisa<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
15<br />
Ausatmung ist verlängert und unterbrochen; die Einatmung wird durch das weiche<br />
Kehlkopfgerüst behindert und kann zu einem zischenden, pfeifenden Geräusch<br />
führen (inspiratorischer Stridor). Mittelohrentzündungen und Infekte der Atemwege<br />
treten vermehrt auf. Im Säuglings- und Kleinkin<strong>des</strong>alter stehen Ernährungsprobleme<br />
im Vordergrund: Der Saugreflex ist schwach und später fällt das Kauen schwer. Die<br />
Kinder spucken viel und häufig kommt es auch zu anhaltendem Erbrechen. Ein großes<br />
Problem sind hartnäckige Verstopfungen. Kaum zu beeinflussen sind ausgeprägte<br />
Phasen von Schlaflosigkeit.<br />
Unter den häufigsten angeborenen Missbildungen sind:<br />
Eine allgemeine körperliche und psychomotorische Entwicklungsverzögerung; der<br />
Gang ist breitbeinig und unsicher, der Oberkörper leicht nach vorne geneigt. Im<br />
Säuglingsalter eine ausgeprägte muskuläre Hypotonie; auch im Erwachsenenalter<br />
ist die Muskelkraft schwach entwickelt.<br />
Der Kopfumfang ist klein (Mikrozephalie), das Gesicht ist im Säuglingsalter rund<br />
und wird später sehr schmal; die Augen sind tiefliegend, die Lidachse verläuft schräg<br />
nach außen unten (antimongoloid), der Augenabstand ist weit (Hypertelorismus), es<br />
besteht eine kleine sichelförmige Hautfalte im inneren Augenwinkel (Epikanthus),<br />
eine Kurzsichtigkeit (Myopie), Schielen (Strabismus) und es kann zu einer Rückbildung<br />
<strong>des</strong> Augennervs (Optikusatrophie) kommen. Die Ohren sind tiefsitzend, die<br />
Nasenwurzel breit und eingesunken. Das Kinn ist klein (Mikrogenie), der Gaumen<br />
spitz und häufig finden sich Zahnfehlstelllungen. Das Kehlkopfgerüst ist weich und<br />
führt <strong>des</strong>halb bei schneller Einatmung bei Säuglingen und Kleinkindern zu einem<br />
zischenden, pfeifenden Geräusch (inspiratorischer Stridor).<br />
Häufig und ausgeprägt ist eine meist seitliche Verbiegung der Wirbelsäule (Kyphoskoliose),<br />
Fehlbildungen der inneren Organe sind eher selten. Ungefähr ein Fünftel bis<br />
ein Drittel der Kinder mit einer terminalen Deletion und drei Fünftel der Kinder mit<br />
unbalancierten Translokationen haben irgendeine – meist nur leichte - Form eines<br />
angeborenen Herzfehlers. Der Darm kann eine Fehldrehung (Malrotation) haben.<br />
Häufig kann in einem Dickdarmsegment die Nervenversorgung fehlen (aganglionäres<br />
Segment) und somit der Darminhalt nur schwer weiterbefördert werden (Morbus<br />
Hirschsprung). Häufig ist der Darmausgang etwas nach vorne (ventral) verlagert.<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong>
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
16<br />
Ute über Kim<br />
Als Kim geboren wurde, war ich 24, ihr Vater 28 Jahre alt. Sie war <strong>unser</strong>e zweite Tochter.<br />
Die Schwangerschaft verlief normal. Kim kam in der 36. Schwangerschaftswoche zur Welt.<br />
Bei der Geburt wog sie 2560 Gramm und war 48 cm lang. Sie wurde als unausgereift mit<br />
einem hohen, celebralen Schrei beschrieben. Die sofortige Chromosomenuntersuchungen<br />
bestätigten, dass das Neugeborene das <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom hatte.<br />
Sie hatte häufig Infektionen der oberen Atemwege und Mundschleimhautentzündungen.<br />
Der Zahndurchbruch begann mit 4 Monaten und verlief ganz normal.<br />
Verdauungsstörungen sind vom 3. Lebensmonat bis ca. 2 Jahre aufgetreten. Das<br />
Kopfschlagen, welches mit 1 Jahr begann, hat sich auf Phasen im Bett (teilweise<br />
mehrere Stunden Nachts) beschränkt.<br />
Kim ist sehr empfindlich gegen laute Maschinengeräusche, Mixer, Bohrmaschinen usw.,<br />
außerdem mag sie sehr hohe Pfeiftöne nicht.<br />
Bei der Geburt wurde ein Sichelfuß festgestellt, der im Alter von 8 Wochen eingegipst<br />
wurde, danach musste sie eine Schiene tragen und bis zur heutigen Zeit trägt sie<br />
Spezialschuhe.<br />
Im Alter von ca. 6 Jahren wurde eine beginnende Skoliose (seitliche Verbiegung der<br />
Wirbelsäule) festgestellt. Es wurde gezielt Krankengymnastik angewandt. Mit 8<br />
Jahren haben wir damit aufgehört, da Kim sich sehr dagegen wehrte und es nicht<br />
mehr viel Nutzen brachte. Von mehreren Ärzten wurde mir aber bestätigt, das Kim<br />
ihre Skoliose sehr gut ausbalanciere und bis zum heutigen Tag ist keine wesentliche<br />
Verschlechterung eingetreten.<br />
Die Entwicklung in allen Bereichen ist generell langsam und etwas unregelmäßig gewesen,<br />
es kam auch vor das sie Rückschritte machte. Besonders in der Sprachentwicklung ist ein<br />
sehr langer Stillstand eingetreten. Sie spricht bis heute nur wenige Worte.<br />
Wir haben versucht, Kim so früh wie möglich zu fördern. Sie bekam reichlich Gelegenheit<br />
neue Geschmäcker, Geräusche und Materialien zu erforschen und mit stimulierenden<br />
Spielzeugen zu spielen. Eine Frühföderung durch die Lebenshilfe wurde im Alter<br />
von 6 Monaten begonnen. Während dies alles relativ früh begann, konnte ich bei der<br />
Sprachentwicklung nur sehr mühsam Unterstützung finden. Es wollte keiner mit<br />
Kim arbeiten und sie vertrösteten mich immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
Die Handinnenfläche kann eine Vierfingerfurche zeigen, die Mittelhandknochen<br />
(Metakarpalia) und Mittelfußknochen (Metatarsalia) sind oft verkürzt; die Kleinfinger<br />
sind meist nach innen gebogen (Klinodaktylie V). Die Füße weisen schon<br />
bei Geburt eine Fehlform und Fehlstellung auf: Sichelfüße bis hin zum Klumpfuß<br />
kommen vor.<br />
Fast immer besteht eine Steigerung der Reflexe (Hyperreflexie).<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
17<br />
Entwicklung in der Kindheit<br />
Die Kinder weisen starke Entwicklungsschwierigkeiten auf. Das körperliche Wachstum<br />
und die Gewichtszunahme bleiben in der Regel weit unter der Norm. In vielen<br />
Fällen bereitet die Nahrungsaufnahme Probleme. Viele der Babys sind saugschwach,<br />
aber nur einige wenige müssen sondiert werden. Später bereitet das Abbeißen und<br />
Kauen Probleme. Spucken bis hin zu heftigem anhaltendem Erbrechen und hartnäckige<br />
Verstopfung sind häufig und können auch im Erwachsenenalter bestehen<br />
bleiben. Im Säuglingsalter sind Krämpfe (vermutlich Fieberkrämpfe) häufiger. Viele<br />
Kinder leiden unter teils heftigen wiederkehrenden Infektionen <strong>des</strong> Mittelohrs und<br />
der Atemwege. Im Durchschnitt lernen Kinder das aufrechte Stehen mit ca. zwei<br />
Jahren, Gehen/Laufen folgt mit drei bis vier Jahren. Dies ist auch der Zeitraum,<br />
indem viele selbständig (mit dem Löffel) essen können. Die weitere Entwicklung<br />
der Grob- und Feinmotorik verläuft sehr unterschiedlich, wie auch das Verständnis<br />
<strong>für</strong> Aufforderungen. Somit ist das Erreichen wichtiger Meilensteine wie: alleine<br />
An-/Ausziehen und das Toilettentraining schwer vorauszusehen. Manche Kinder<br />
erlernen dies rasch, andere verzögert, manche aber auch nie. Unsicherheiten beim<br />
Gehen und der Bewegungskoordination bleiben bei der Mehrzahl der Kinder und<br />
Erwachsenden erkennbar bestehen.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
18<br />
Ausschlaggebend war dann, dass Kim von sich aus immer häufiger Gesten und Gebärden<br />
benutzte. Dies griff ich auf und mir wurde dann nach einem Beratungsgespräch<br />
empfohlen, mit Gebärdensprache zu beginnen. Eine große Hürde war es, jemanden zu<br />
finden, der auf diesem Gebiet Erfahrung hatte und mit Kim arbeiten konnte und wollte.<br />
Kim lernte die einfachen Gebärden sehr schnell und benutzte sie auch sofort. Leider ist<br />
sie motorisch nicht in der Lage, komlexere Gebärden auszuführen. Wir suchten nach<br />
Alternativen und fanden Fotos und Bildsymbole um mit ihr zu arbeiten. Heute benutzen<br />
wir und Kim außer den Gebärden verstärkt Bildsymbole.<br />
Von ihrem 7 Lebensjahr an besuchte Kim eine Schule <strong>für</strong> geistig Behinderte, die<br />
kooperativ arbeitet. Kim lebte sich sehr schnell ein und war bei den Kindern sehr<br />
beliebt, da sie immer lustig und auch recht robust war. Mit 18 Jahren wechselte sie in<br />
eine Tagesförderstätte. Der Übergang dorthin ging viel leichter und unkomplizierter<br />
vonstatten als von mir erwartet. Es gefiel ihr sehr schnell, das große Chaos blieb aus.<br />
In ihrer Freizeit geht Kim gerne in die Stadt. Sie mag es, wenn um sie herum<br />
möglichst viel Betrieb ist. Sie nimmt gerne Kontakt zu anderen auf.<br />
Was jetzt noch ansteht, ist <strong>für</strong> sie die geeignete Wohnform zu finden. Momentan<br />
wohnt sie noch bei uns zuhause aber das soll sich in den nächsten Jahren ändern. Ich<br />
wünsche mir, dass sie in einer kleinen Gruppe leben kann, mitten in der Stadt und<br />
doch so beschützt, wie sie es braucht.<br />
Kim ist, seit sie Kind war, sehr schmusig. Wenn man mit ihr schimpft, versucht sie zu<br />
schlichten, indem sie Küsschen gibt, uns in den Arm nimmt oder „Ei“ macht. Auch weiß<br />
sie, wenn sie etwas Verbotenes getan hat, dann wird sie knallrot und zieht eine Schnute.<br />
Es ist und bleibt eine schwierige Aufgabe, aber auch eine schöne und befriedigende.<br />
Das Kind gibt einen sehr viel zurück. Man muss lernen, nicht zu große Erwartungen<br />
zu stellen, dann freut man sich über jeden kleinen Fortschritt der kommt.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
19<br />
Und später<br />
Eine tiefgreifende Sprachverzögerung ist eines der häufigsten und schwerwiegendsten<br />
Merkmale.<br />
Mit der Entwicklung kommt es zu einen ausgeprägtem Wandel im klinischen Bild.<br />
Das auffallendste Syndrom, der hohe Schrei, verschwindet in fast allen Fällen bereits in<br />
früher Kindheit, wobei die Stimme jedoch einen hohen charakteristischen Klang behält.<br />
Ein tiefgreifen<strong>des</strong> Problem bleibt die Sprachentwicklung. Vom Intellekt scheint<br />
der Spracherwerb offensichtlich möglich, die Kinder verstehen alle gesprochene<br />
Sprache. Möglicherweise verhindert die mangelnde Mundmotorik in den meisten<br />
Fällen einen normalen Sprachfluss.<br />
In den meisten Fällen bleiben die Körpergröße und der Kopfumfang deutlich unter<br />
dem normalen Durchschnitt. Auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel: Die Körpergröße<br />
kann normal sein und selten auch das Körpergewicht. Auch Übergewicht<br />
(Adipositas) kommt vor.<br />
Die Pubertätsentwicklung verläuft altersentsprechend und die Ausbildung der<br />
sekundären Geschlechtsmerkmale ist offensichtlich unauffällig. Viele nehmen in<br />
dieser Zeit auch gut an Gewicht zu. Die erste Menstruation erfolgt im normalen<br />
Alter, allerdings wird in der Folge über Unregelmäßigkeit und schwache Blutungen<br />
berichtet. Über die Zeugungsfähigkeit ist wenig bekannt, man nimmt aber an, dass sie<br />
normal vorhanden ist. In der Literatur wird von wenigstens zwei Schwangerschaften<br />
bei Frauen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom berichtet. Kinder dieser Frauen haben formal ein<br />
Risiko von 50% <strong>für</strong> ein <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom.<br />
Im Erwachsenster typisch ist das relativ früh einsetzende Ergrauen der Haare (Alter:<br />
20-30 Jahre). Über den Alterungsprozess gibt es kaum Berichte. Man kann jedoch<br />
aufgrund <strong>unser</strong>er Erfahrung davon ausgehen, dass die Lebenserwartung nicht (wesentlich)<br />
reduziert ist.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
20<br />
Bemerkung:<br />
Im Mitgliederbereich <strong>unser</strong>er<br />
Homepage haben wir Tipps von<br />
Eltern <strong>für</strong> Eltern gesammelt. Eine<br />
allgemein gültige Vorgehensweise<br />
oder Mittel zu Abhilfe gibt es<br />
zwar nicht, es lohnt sich dennoch,<br />
einzelne erprobte Maßnahmen<br />
selbst auszuprobieren.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
21<br />
Was im Alltag Probleme macht<br />
Der Kampf ums Essen und Trinken<br />
Viele der Neugeborenen haben einen schwachen Saugreflex, was das Stillen erschwert<br />
oder sogar unmöglich macht. Sie trinken sehr langsam und nehmen oft pro Mahlzeit<br />
nur sehr kleine Mengen zu sich. Spucken oder gar heftiges, anhalten<strong>des</strong> Erbrechen<br />
können das Problem noch verstärken. In der Folge nehmen die Kinder nur sehr langsam<br />
an Gewicht zu. Zum Problem kann dies insbesondere bei Infektionen werden,<br />
insbesondere die Gefahr der “Austrocknung” (Exsikkation) muss im Auge behalten<br />
werden. Dennoch müssen nur wenige Kinder sondiert werden. Ab dem “Breialter”<br />
mit ca. 3-6 Monaten tritt hier in der Regel eine gewisse Verbesserung ein.<br />
Bereits von Anfang an können Blähungen und Verstopfung auftreten. Insbesondere<br />
das Problem der Verstopfung zieht sich mitunter durch das ganze Leben.<br />
Später haben viele Kinder Probleme mit dem Kauen. Zu grobe Nahrung wird häufig<br />
im Ganzen verschluckt, was zu heftigem Erbrechen führen kann. Dies lässt sich<br />
weniger auf eine Zahnfehlstellung zurückführen als auf eine gestörte Mundmotorik.<br />
Der mangelhafte Schluckreflex ist es auch, der zum massivem Speichelfluss führt.<br />
Dies ist weniger Ausdruck einer starken Speichelproduktion als eines eingeschränkten<br />
Schluckvermögens. Die mangelhafte Ausbildung <strong>des</strong> Sprechvermögens beruht<br />
sicherlich auch auf der eingeschränkten Mundmotorik.<br />
Heftiges Erbrechen ohne erkennbaren Grund wird von einigen Eltern auch später<br />
noch angegeben. Eine organische Ursache lässt sich nicht ermitteln, meist wird<br />
dies als eine Art Verhaltensauffälligkeit betrachtet. Eine Abklärung ist noch nicht<br />
systematisch versucht worden.<br />
Spezialnahrung ist dennoch nur in sehr seltenen Fällen nötig. Es genügt häufig auf die<br />
im einzelnen vertragene Konsistenz der Nahrung bzw. <strong>des</strong> Nahrungsbreis zu achten<br />
(ausreichend klein schneiden, mit der Gabel zerdrücken, pürieren).<br />
Trotz all dieser Probleme lieben die meisten Kinder das Essen, sie sind neugierig auf<br />
Geschmackserlebnisse und entwickeln schnell eigene Vorlieben und Abneigungen.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
22<br />
Das <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom ist eine Behinderung, die <strong>für</strong> Eltern,<br />
Geschwister, Freunde, Ärzte und Therapeuten eine große<br />
Herausforderung bedeutet. Das Syndrom ist selbst unter<br />
Fachleuten nur vage bekannt.<br />
Wir ermuntern sie als Eltern, sich selbst mit dem Syndrom<br />
vertraut zu machen und den erforderlichen Gang durch Ärzte,<br />
Therapeuten und Behandlungen selbst zu steuern. Korrekturen<br />
medizinischer Problemstellungen, die bei “normalen” Kindern<br />
heute fast schon Standard sind, sind bei <strong>unser</strong>en Kindern nicht<br />
immer angebracht.<br />
Hinterfragen sie einzelne Behandlungs- und Therapieschritte<br />
kritisch. Fragen wie: „Welche Risiken hat diese oder jene<br />
Untersuchung / Eingriff ?” „Sind sie wirklich notwendig?” sollten<br />
sie begleiten. Lassen sie sich nicht durch einfache Antworten<br />
abspeisen. Insbesondere Eingriffe, die eine lange Genesungsphase<br />
und Mitarbeit <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> erwarten, sind kritisch abzuwägen.<br />
Suchen sie eine Zweitmeinung, möglichst aus einem Umfeld, in<br />
dem es Erfahrungen mit geistig behinderten Menschen gibt.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
23<br />
Psychomotorische Einschränkungen<br />
Die Entwicklung der Grob- und vor allem der Feinmotorik verläuft insgesamt sehr<br />
verzögert. Übungen können hier helfen, die Motorik zu verbessern. In der Regel<br />
wird hier bereits im Säuglingsalter mit entsprechender Krankengymnastik begonnen.<br />
Wunder sollte man sich aber nicht erwarten.<br />
Fußfehlstellungen und Skoliose sind häufig. In der Regel werden sie mit Krankengymnastik<br />
und entsprechenden Hilfsmitteln (Einlagen, Spezialschuhe, Korsett usw.)<br />
behandelt. Wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Kind unter allzu einschränkenden<br />
Therapien leidet, zögern sie nicht, eine zweite medizinische Stelle, möglichst mit<br />
Erfahrungen im Bereich der medizinischen Versorgung geistig behinderter Menschen,<br />
zu Rate zu ziehen. Die Kinder reagieren allzu häufig mit aggressivem und<br />
selbstverletzendem Verhalten auf diese Art gutgemeinter Hilfestellung.<br />
Das Lernen von Lebenspraktischen Fähigkeiten<br />
Die körperlichen und geistigen Einschränkungen haben natürlich ihre Auswirkung<br />
auch auf das Erlernen sogenannter „Lebenspraktischer Fähigkeiten“. Während das<br />
Essen mit Löffel oder Gabel im Lauf der Zeit allen gelingt, ist das Erreichen der<br />
Fähigkeiten: sich selbst An- und Auszuziehen, sich zu Waschen, Zähne zu putzen<br />
usw. individuell sehr verschieden. Dies gilt auch <strong>für</strong> die Kontrolle der Blasen- und<br />
Stuhlfunktion.<br />
Von vielen Eltern und Fachleuten wird empfohlen, hier bald viel zu Üben. Das kann<br />
helfen oder auch nicht. Wenn es Eltern und Kinder unter Druck setzt, hat es auf<br />
erfahrungsgemäß den entgegengesetzten Effekt.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
24<br />
„Nichtalltäglicher Alltag“<br />
Wir sind der Meinung: „Den" Alltag gibt es sowieso nicht.<br />
Und: <strong>für</strong> Aussenstehende ist je<strong>des</strong> Familienleben mit einem behinderten<br />
Kind nichtalltäglich. Das bleibt so. Von außen wahrgenommen<br />
wird die Belastung durch die Behinderung.<br />
Was in den Hintergrund tritt ist:<br />
Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom sind sehr liebebedürftig und<br />
anhänglich. Als Kinder und als Erwachsene. Sie lachen sehr gerne,<br />
haben viel Sinn <strong>für</strong> Spaß und Schabernack, sind im großen und<br />
ganzen mit ihrem Leben zufrieden und fröhlich.<br />
Wir wollen auf ihre Gesellschaft nicht verzichten.<br />
Sie geben so viel zurück, wie sie fordern.<br />
Die Kommunikation mit ihnen ist manchmal sehr körperlich und<br />
unmittelbar. Eine Spontanität und Nähe, die in <strong>unser</strong>er Gesellschaft<br />
verschwunden ist und doch in ihrer Ehrlichkeit <strong>unser</strong>er<br />
Seele so gut tut.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
25<br />
Schlafen<br />
Alles kommt vor: normales Schlafverhalten, Einschlafprobleme, Durchschlafprobleme,<br />
häufiges Wachwerden und lange Wachphasen in der Nacht.<br />
Hier einen abhelfenden Modus zu finden ist enorm wichtig - vor allem <strong>für</strong> die Eltern.<br />
Denn der Schlafmangel ist mehr ihr Problem als der <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>. Wir finden: erlaubt<br />
ist alles, was hilft: geregelte Zeiten und Rituale zum Schlafengehen, den Säugling<br />
(wenn keine anderen Probleme/Krankheiten bestehen) auch mal etwas länger schreien<br />
lassen, Spezialmatratzen (z.B. Wasserbetten oder Luftmatratzen), mechanische<br />
Absperrungen (Gitterbett, Fenster-/Türverriegelung ...). Bettgurte, bisher von vielen<br />
Kindern durchaus akzeptiert, werden heute kritisch gesehen.<br />
In der Regel lernen Eltern und Kinder sich mit der Schlafproblematik zu arrangieren.<br />
Und im Lauf der Zeit bessern sich das Schlafverhalten. Bei Jugendlichen und<br />
Erwachsenen berichten die Eltern kaum noch über dieses Problem.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
26<br />
Wer nicht sprechen kann hat trotzdem viel zu sagen!<br />
“Früher” - und das ist gar nicht solange her, wurde der<br />
Einsatz von alternativen Kommunikationsformen, vor allem<br />
von Gebärden, von vielen Pädagogen und Therapeuten<br />
abgelehnt. Den einen war es zu mühsam, die anderen hielten<br />
es <strong>für</strong> eine Behinderung bei dem Erlernen der Lautsprache.<br />
Heute weiß man: Kommunikation mit Gebärden und<br />
Bildsystemen sprechen ganz andere Gehirnregionen an. Sie<br />
behindern nicht die Lautsprache, sie ergänzen sie.<br />
Deshalb sollte Sprachtherapie nie mit dem Ziel begonnen<br />
werden, dass das Kind Sprechen lernt.<br />
Was es lernen soll, ist sich auszudrücken - entsprechend<br />
seinen eigenen Fähigkeiten und Vorlieben.<br />
Sie finden eine Menge an Information darüber, wie sie ihr<br />
Kind mit einfachen Dingen und Gebärden unterstützen<br />
können auf <strong>unser</strong>er Website und auf der Website <strong>des</strong> ISAAC<br />
Deutschland, der Gesellschaft <strong>für</strong> Unterstützte Kommunikation<br />
e.V.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
27<br />
Sprechen und Kommunikation<br />
Kommunikation bezeichnet gemäß Lexikon den Austausch von Informationen<br />
zwischen zwei oder mehreren Personen. Sie wird als elementare Notwendigkeit<br />
menschlicher Existenz und wichtigstes soziales Bindemittel betrachtet.<br />
Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom sind offen, freundlich und haben gerne Kontakt<br />
zu ihrer Umgebung.<br />
Bei fast allen Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom sind die sprachlichen Fähigkeiten<br />
aber mehr oder weniger eingeschränkt. Dies reicht von einer etwas undeutlichen<br />
Sprache bis zum Fehlen der kompletten Lautsprache. Nicht eingeschränkt dagegen<br />
ist das Verstehen von Sprache. Nichts hindert sie demnach, kommunikativ sehr aktiv<br />
zu sein. Über Mimik, Gestik, Körperausdruckskraft, Zeigen, Deuten, Hinführen, ...<br />
sind sie sehr wohl in der Lage ihre Bedürfnisse mitzuteilen.<br />
Unterstützende Maßnahmen in diesem Bereich wie Gebärden, Bildsysteme, moderne<br />
Medien nehmen alle gerne war und lassen sich darauf ein (Gebärden und Gesten<br />
nutzen alle, die Auswahl, was sie sonst benutzen wollen treffen sie selber).<br />
Dagegen sind logopädische Versuche, die Lautsprache zu verbessern nur in Einzelfällen<br />
erfolgreich.<br />
Von ausnahmslos allen Eltern wird über die außergewöhnliche Empathie und<br />
Sensibilität gegenüber Gefühlen und Ausdrucksweisen anderer Menschen berichtet.<br />
Insbesondere erkannte Wut, Trauer, Schmerz im “Gegenüber” kann sie total<br />
verstören, während Lachen und Fröhlichkeit mit gleicher Weise beantwortet wird.<br />
(Das “Gegenüber” kann nicht nur eine wirkliche Person, sondern auch Personen in<br />
Film/Fernsehen sein).
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
28<br />
Ist die Ursache erkennbar, ist eine Abhilfe einfacher.<br />
Zum Beispiel, wenn den Menschen eine Möglichkeit fehlt, sich<br />
auszudrücken. Oder wenn sie Personen wie Lehrer, Therapeuten,<br />
Mitschüler einfach „nicht leiden können“.<br />
Ansonsten ist Geduld und Einfühlungsvermögen gefragt.<br />
Und manchmal ist auch keine Ursache ermittelbar.<br />
Wir möchten sie animieren, im Bedarfsfall den Kontakt mit<br />
anderen Eltern zu suchen. Auch hier gilt: in der Regel sind sie<br />
nicht allein mit diesem Problem, es ist in der Regel in dieser oder<br />
ähnlicher Weise bereits bei anderen aufgetreten.<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
29<br />
Verhaltensauffälligkeiten<br />
Was eine Verhaltensauffälligkeit ist, ist ein sehr dehnbarer Begriff. Für viele ist bereits<br />
die Abweichung vom Normalen auffällig.<br />
Die Andersartigkeit von Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom bringt nicht nur medizinische<br />
Auffälligkeiten mit sich, sondern macht es diesen Menschen auch schwieriger<br />
<strong>unser</strong>e Welt zu erfahren, zu begreifen und zu verarbeiten. Dies wird in <strong>unser</strong>er Welt<br />
als “geistige Behinderung” bezeichnet.<br />
Eine gewisse Auffälligkeit ist in diesem Umfeld also schlicht “normal”.<br />
“Normal” ist bei Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom, dass sie sich nicht lange alleine<br />
auf eine Sache konzentrieren können. Eine gewisse mehr oder weniger ausgeprägte<br />
Hyperaktivität und Unruhe ist die Folge. Dies bessert sich zwar mit zunehmendem<br />
Alter. Es bedeutet aber vor allem im Kleinkindalter, dass sie ständig beaufsichtigt<br />
werden müssen.<br />
Zum Problem können aggressive- und selbstaggressive Verhaltensweisen werden. Denn<br />
diese stören das Zusammenleben mit anderen - in der Familie, im Bekanntenkreis,<br />
Schule, Fördergruppe-/Werkstatt, Wohngruppe.<br />
Verhaltensauffälligkeiten sind keine Besonderheit von Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong><br />
Syndrom, sondern kommen bei allen geistigen Behinderungen vor. Sie bestimmen<br />
in der Regel auch nicht das gesamte Zusammenleben. Dennoch sind sie in vielen<br />
Fällen sehr störend und fordern eine Abhilfe.<br />
Die Ursachen sind vielfältig: Schmerz, Frustration, falsches Einschätzen <strong>des</strong> “Gegenüber”,<br />
der Situation, eigene unverarbeitbare Empfindungen.<br />
Medikation (Psychopharmika zur Beruhigung) ist nur in Ausnahmefällen notwendig<br />
und sollte nur durch entsprechend qualifizierte Ärzte verordnet und überwacht werden.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
30<br />
"Was heißt denn fördern? Ich verstehe darunter nicht,<br />
Zielsetzungen <strong>für</strong> andere Menschen festzulegen (auch wenn sie<br />
uns noch so sinnvoll erscheinen mögen) und sie dann daraufhin zu<br />
trimmen, diese Ziele zu erreichen.<br />
Fördern heißt <strong>für</strong> mich: Bedingungen schaffen, in denen<br />
Menschen Entwicklungsschritte machen können, aber nicht<br />
müssen.<br />
Fördern heißt, der Eigenständigkeit eines Menschen Raum geben<br />
und ihm dabei behilflich sein, diese Eigenständigkeit auf <strong>für</strong> ihn<br />
konstruktive Weise zu leben.<br />
Fördern heißt, Menschen in ihrem Tempo auf ihrem Weg begleiten<br />
und ihnen da Hilfestellung bieten, wo sie es brauchen.<br />
Fördern heißt, einem anderen Menschen Erfahrungen<br />
ermöglichen - mit der Realität, mit sich selbst und mit anderen.<br />
Fördern heißt, anderen etwas zutrauen.<br />
Fördern heißt aber auch: Grenzen erkennen und respektieren -<br />
die eigenen, die <strong>des</strong> anderen, die der Institution."<br />
Aussagen der Mutter eines behinderten Kin<strong>des</strong><br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
31<br />
Förderung und Therapien<br />
Schön wäre es, wenn es einen Leitfaden geben würde - so etwa: wie, unter welchen<br />
Voraussetzungen, mit welchen Methoden fördere ich mein Kind optimal mit den<br />
besten Ergebnissen. Den gibt es aber nicht.<br />
Für viele Eltern beginnt das Zusammenleben daher mit einer Zeit voll verzweifelter<br />
Therapie-Anstrengungen um “das zu tun, was andere <strong>für</strong> richtig halten”. Der Blick<br />
auf die Defizite <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> steht im Vordergrund.<br />
Wir kennen in der Zwischenzeit glücklicherweise den groben Rahmen, innerhalb<br />
<strong>des</strong>sen sich die <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong>-Kinder entwickeln, ihre Chancen und ihre Schwächen.<br />
Doch diese Rahmenbreite ist sehr groß, die individuelle Entwicklung der Kinder -<br />
trotz Gemeinsamkeiten - eben doch sehr verschieden.<br />
Entsprechend diesem Wissen raten wir allen Eltern zu Gelassenheit. In der Regel<br />
sinnvoll und hilfreich ist physikalische Therapie (Krankengymnastik). Auch hier<br />
bevorzugen wir die “sanften” Therapieformen, die die Kinder mögen und zu denen<br />
sie gerne gehen.<br />
Eine anregende Umgebung und variantenreiches Spiel ist heute hoffentlich eine<br />
Selbstverständlichkeit. Bei allen anderen Entscheidungen <strong>für</strong> Therapien soll das<br />
Kind in seiner Eigenständigkeit betrachtet werden. Mit all seinen gegenwärtigen<br />
Fähigkeiten und möglichen Potentialen. Alles kann versucht werden.<br />
Erfolgreich nach <strong>unser</strong>er Beobachtung sind die Therapien aber nur, wenn sie dem<br />
Kind echt Spaß machen. Alles andere gleitet im besten Fall schlicht an ihnen vorbei<br />
oder führt sogar zu Verhaltensproblemen.<br />
Und ganz wichtig:<br />
die Therapie darf das Familienleben nicht über Gebühr belasten.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
32<br />
Alexandra Sarah Niklas Leonie Julia-Yasmin Sabine<br />
Luisa-Teresa Alina Clara Emily-Sophie Leah-<br />
Sophie Lara Julia Jonas Sophie Kerstin Jasmin<br />
Julia Nadine Tim Sara Edwin Jonas Lynn Siro<br />
Svenja Elia Lisa Marie Dennis Marcel Arved Tim<br />
Tobias Maya Zoe Anja Philipp Maren Gereon Julie<br />
Louisa Caroline Robin Tim Duncan-Stuart Uwe<br />
Ludwig Ronny-Michael Philipp Janina Steven<br />
Eric Monika Kevin Tom-Louis Lara Lena William<br />
Chantal-Angie Nina Michael Ingrid Marcel Maria<br />
Filip Lea-Kathrin Tamara Kim Björn-Mattis<br />
Liz-Antonia Markus Sarina Matilde Niklas Emma<br />
Marie Evelyn Silke Peter Manuela Regine Antonia<br />
Christin Veronika Anna Stefan Benjamin Claudia<br />
Amelie Heike Alisa Emily-Marie-Angella Lea-<br />
Samira Anja Numa-Salane Marie-Antoinette Katharina<br />
Christian Anna Alina Leilani Mark Jana<br />
Sina Hannah-Sophie Bianca Samuel Steffen Luca<br />
Michelle Svenja Leonie-Sophie Alessio Hannah<br />
Mark-Pierre Niklas Christian Elena-Alexandra<br />
Julian Jonas Sinan Lea-Sarah Laura Alland Benjamin<br />
Judith Jael-Dorothea Karolina Laurent<br />
Muriel Theresa Lena Carlotta-Luzie Frieder Lisa<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
33<br />
einzelne Lebensphasen<br />
Kindergarten und Schule<br />
Ab dem Alter von 2 1/2 bis 3 Jahren beginnt auch <strong>für</strong> geistig behinderte Kinder die<br />
Kindergartenzeit. Fast ausnahmslos alle <strong>unser</strong>e Kinder gehen /gingen gerne dorthin.<br />
Und damit beginnt die erste echte Entlastung <strong>für</strong> ihre Eltern!<br />
Von <strong>unser</strong>en Eltern bevorzugt werden derzeit Sonderschulkindergärten oder kooperative<br />
Einrichtungen. Das gilt im Anschluss auch <strong>für</strong> Schulen.<br />
Die Kinder (und später die Jugendlichen) genießen die geordnete Tagesstruktur<br />
der Einrichtungen. Sie nehmen die Anregungen gerne auf und kommen gut mit<br />
Mitschülern und Lehrkräften zurecht.<br />
Mit zunehmendem Alter kann je nach Bun<strong>des</strong>land die außerschulische Betreuung<br />
zum Problem werden, vor allem, wenn beide Eltern berufstätig sind. Aber das ist<br />
kein spezifischer <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom Problemkreis mehr, hier sind die Strukturen<br />
vor Ort gefragt.<br />
was nach der Schule kommt: Fördergruppe und Werkstatt<br />
Nur wenige Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom erreichen den “Status der Werkstattfähigkeit”.<br />
Neben ihrer geringen Aufmerksamkeitsspanne stehen dem auch weiterhin<br />
mangelnde Feinmotorik entgegen. In der Regel folgt daher nach der Schulzeit die<br />
Fördergruppe (je nach Bun<strong>des</strong>land im Alter von 18 bis 24 Jahren). In der Regel<br />
gewöhnen sie sich schnell an die neue Umgebung und Tagesstruktur.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
34<br />
Alexandra Sarah Niklas Leonie Julia-Yasmin Sabine<br />
Luisa-Teresa Alina Clara Emily-Sophie Leah-<br />
Sophie Lara Julia Jonas Sophie Kerstin Jasmin<br />
Julia Nadine Tim Sara Edwin Jonas Lynn Siro<br />
Svenja Elia Lisa Marie Dennis Marcel Arved Tim<br />
Tobias Maya Zoe Anja Philipp Maren Gereon Julie<br />
Louisa Caroline Robin Tim Duncan-Stuart Uwe<br />
Ludwig Ronny-Michael Philipp Janina Steven<br />
Eric Monika Kevin Tom-Louis Lara Lena William<br />
Chantal-Angie Nina Michael Ingrid Marcel Maria<br />
Filip Lea-Kathrin Tamara Kim Björn-Mattis<br />
Liz-Antonia Markus Sarina Matilde Niklas Emma<br />
Marie Evelyn Silke Peter Manuela Regine Antonia<br />
Christin Veronika Anna Stefan Benjamin Claudia<br />
Amelie Heike Alisa Emily-Marie-Angella Lea-<br />
Samira Anja Numa-Salane Marie-Antoinette Katharina<br />
Christian Anna Alina Leilani Mark Jana<br />
Sina Hannah-Sophie Bianca Samuel Steffen Luca<br />
Michelle Svenja Leonie-Sophie Alessio Hannah<br />
Mark-Pierre Niklas Christian Elena-Alexandra<br />
Julian Jonas Sinan Lea-Sarah Laura Alland Benjamin<br />
Judith Jael-Dorothea Karolina Laurent<br />
Muriel Theresa Lena Carlotta-Luzie Frieder Lisa<br />
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong> <strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
35<br />
Erwachsenenleben<br />
Viele erwachsene Menschen mit <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> Syndrom kennen wir nicht. Aber die,<br />
die wir kennen machen uns Freude! Sie bleiben aufgeschlossen und freundlich, sind<br />
neugierig auf alles, was sich in ihrer Umgebung tut.<br />
Einige von ihnen haben ihr Elternhaus verlassen und leben jetzt in betreuten Wohngruppen.<br />
Auch dieser Übergang vollzieht sich zur Erleichterung der Eltern in der<br />
Regel problemlos.
von Eltern <strong>für</strong> Eltern<br />
36<br />
<strong>unser</strong> <strong>kleines</strong> <strong>Handbuch</strong> <strong>des</strong> <strong>5p</strong>-<strong>minus</strong> <strong>Syndroms</strong><br />
Zum Nachlesen<br />
Alle Informationen und noch viel mehr:<br />
www.<strong>5p</strong>-syndrom.de<br />
Wir empfehlen auch die Seiten der anderen Selbsthilfegruppen weltweit.