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PDF-Datei - Jane Knieper

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Editorial<br />

dies ist ein persönliches Präsent, überreicht als Einzelstück zur<br />

Großen Jazz Club Hirsch Jubiläumsparty am 15. Juli 2006<br />

Dank und Anerkennung<br />

für zehn Jahre ehrenamtliche Tätigkeit im Jazz Club Hirsch e.V.<br />

verdienen insbesondere Günter Janovsky, Norbert Bürger, Karl Muskini, Rudi Maier,<br />

Irmi Nagel, Reinhard Dick, Hans Moser, Rainer Grichtmeier, Willi Wipfler<br />

und andere Helfer, Gönner und Mitglieder,<br />

sowie die Wirtsleute Ingrid und Günter<br />

Ein ehrendes Andenken<br />

gilt außerdem den viel zu früh verstorbenen Freunden<br />

Hardy Klutschak, Klaus Neumaier und Alwin Renoth.<br />

Druckerzeugnis<br />

COMPUTER PUBLISHING oHG<br />

DIGITALDRUCK-CENTER<br />

Harthamer Str. 24<br />

94560 Offenberg<br />

Tel. 09962/912800<br />

Fax 09962/912802<br />

E-Mail: service@computer-publishing.de<br />

www.computer-publishing.de<br />

Achtung, Sammler und Jazz Club Fans!<br />

Bei entsprechendem Interesse ist es möglich, „Hirsch heißt mein Jazzclub“ in einer<br />

höheren Auflage zu drucken. Voraussetzung, um etwa 200 Exemplare zum<br />

Einzelpreis von 5,- Euro anbieten zu können, wäre allerdings eine genügende Anzahl<br />

von schriftlichen Vorbestellungen (siehe Unterschriftenliste im Buchdeckel), sowie<br />

etliche Anzeigen. Als Liefertermin bietet sich das letzte Konzert vor Weihnachten 2006<br />

an.


Ein Glücksfall für Moosburg<br />

10 Jahre Jazz Club Hirsch – eine perfekte Gelegenheit, um<br />

allen Mitgliedern und Musikern, Gönnern und Gästen, die die<br />

Geschichte des Moosburger Jazz Clubs miterlebt und gestaltet<br />

haben, zum ersten Jubel-Jahrzehnt zu gratulieren. Sie alle, ob<br />

sie aus der Region stammen oder regelmäßig aus München,<br />

Landshut, Erding oder Freising ins Gasthaus „Zum Hirschwirt“<br />

pilgern, sie alle dürften sich wohl jenseits aller musikalischer<br />

Geschmacksunterschiede über eines einig sein: wenn es den<br />

Jazz Club Hirsch nicht gäbe, man müsste ihn erfinden.<br />

Zum Glück kam bereits vor zehn Jahren ein Häuflein von<br />

Musik-Enthusiasten auf diese Idee und hob den Verein „Jazz<br />

Club Hirsch e.V.“ aus der Taufe. Beim Vereinsnamen standen<br />

die Wirte des Vereins- und Szenelokals „Zum Hirschwirt“ Pate,<br />

ohne deren tatkräftiges Einverständnis, den Gästen einmal pro Woche Live-Musik<br />

zum Nulltarif zu ermöglichen, wohl alle Ideen und Mühen der Vereinsgründer<br />

umsonst gewesen wären.<br />

So aber breitete sich die Nachricht vom Jazz Club Hirsch, in dem von nun an jeden<br />

Mittwoch Live-Musik geboten wurde, wie ein Lauffeuer aus und erreichte schnell die<br />

Landeshauptstadt München, wo unter Musikern schon immer großes Interesse an<br />

neuen Auftrittsmöglichkeiten bestand. Die Folge: es dauerte nicht lange, bis die<br />

anfangs noch mehrheitlich von Lokalmatadoren frequentierte Hirsch-Bühne immer<br />

häufiger zum Schauplatz prominenter und hochkarätiger Gastspiele wurde. Heute<br />

liest sich die Liste der Musiker und Ensembles, die im Laufe von zehn Jahren in dem<br />

urigen Wirtshaus mit dem Flair einer alternativen Boheme-Kneipe Station gemacht<br />

haben, wie ein „Who is who“ der süddeutschen, ja der internationalen Jazzszene.<br />

Zum Auf und Ab in der zehnjährigen Geschichte des Jazz Club Hirsch gehörten<br />

neben vielen musikalischen Sternstunden, vereinzelten Durchhängern und vielen<br />

originellen Kultur-Specials und Szene-Feten auch organisatorische Veränderungen<br />

und Expansionsversuche. Dass dem „Et Cetera“ in Freising oder dem „Rieblwirt“ in<br />

Landshut nicht der gleiche Erfolg als Vereinslokal beschieden war wie dem<br />

„Hirschwirt“, wirft ein bezeichnendes Licht auf das einzigartige Engagement, mit dem<br />

Vorstand, Programmdirektion und Wirtsleute das Moosburger Stammhaus Jahr für<br />

Jahr mit Leben erfüllten. Auch die Reduzierung des Programms auf einen 14tägigen<br />

Turnus diente letztendlich der Kontinuität des Spielbetriebes. Bei der Stange<br />

geblieben ist außerdem das Freisinger „Abseits“, wo nach wie vor an jedem ersten<br />

Sonntag im Monat Jam-Sessions stattfinden.<br />

Als Gründungsmitglied, Musiker und Schreiberling, der seit 1998 zunächst für die<br />

Freisinger SZ und später dann für die Moosburger Zeitung aus dem Jazz Club Hirsch<br />

berichtete, ziehe ich tief den Hut vor der Leistung aller, die zehn Jahre lang etwas<br />

aufgebaut und etabliert haben: einen ländlichen, lebendigen und weltoffenen<br />

Treffpunkt für Musiker, Künstler und andere Kulturschaffende, um den Moosburg<br />

heute Isar aufwärts, Isar abwärts sogar von vielen beneidet wird. Wenn zum<br />

Jubiläumsfest am 15.Juli 2006 hoffentlich viele Besucher aus Landshut, Freising,<br />

Erding, München und weit darüber hinaus nach Moosburg kommen, hat das vor<br />

allem einen Grund: für Moosburg und das kulturelle Leben der gesamten Region<br />

stellt der Jazz Club Hirsch e.V. eine enorme Bereicherung dar!<br />

Moosburg, im Juli 2006


Inhaltsverzeichnis<br />

(ohne Anspruch auf Vollständigkeit)<br />

1999 Seite<br />

Nachgeburt Sept.99 22.09.1999 8<br />

Robert Hutya Trio Sept.99 29.09.1999 9<br />

Thomas Bendzko Sextett Okt.99 06.10.1999 10<br />

Bacher Bockius Roberts Trio Okt.99 13.10.1999 12<br />

Busch Greiner Quintett Okt.99 27.10.1999 13<br />

Trombonefire Okt.99 31.10.1999 14<br />

Stefan Stefinsky Trio Nov.99 03.11.1999 16<br />

Neil Bacher Quartett Nov.99 10.11.1999 17<br />

Dieter Holesch Julia v. Miller Duo Nov.99 17.11.1999 18<br />

Palsy Walsy Jazz Company Dez.99 01.12.1999 19<br />

Dean Wilmington Dez.99 05.12.1999 21<br />

Charakters Dez.99 08.12.1999 23<br />

Elsa va dor Dez.99 15.12.1999 24<br />

Kenny Wheeler Suite Lindenkeller Dez.99 22.12.1999 25<br />

2000 Seite<br />

Bon Bones Jan.2000 12.01.2000 28<br />

Justyn Time Jan.2000 19.01.2000 29<br />

Robert Probst Trio Jan.2000 26.01.2000 30<br />

Nachgeburt Feb.2000 02.02.2000 31<br />

Chitarra Possibile März 2000 08.03.2000 32<br />

Mairinger Lehermann Q. März 2000 15.03.2000 32<br />

Fractal Gumbo März 2000 22.03.2000 33<br />

Jazz Attacks März 2000 29.03.2000 33<br />

Sebastian Gampert Quintett April 2000 05.04.2000 35<br />

Sankt Oehl Trio April 2000 12.04.2000 36<br />

Peter Fulda Trio April 2000 26.04.2000 37<br />

Geoff Goodman Quartett Mai 2000 10.05.2000 38<br />

Edith Steyer Trio Sept.2000 20.09.2000 40<br />

Nachgeburt Sept. 2000 23.09.2000 41<br />

Operativer Vorgang Melancholie Okt.2000 04.10.2000 42<br />

SHaPe Okt.2000 18.10.2000 43<br />

Jazzoo Okt. 2000 21.10.2000 44<br />

Dean Wilmington Nov.2000 04.11.2000 45<br />

Ifeanyi Okolo & Andi Weekes Nov.2000 15.11.2000 46<br />

Jazz dont panic Nov.2000 22.11.2000 47<br />

Titus Waldenfels Trio Nov.2000 29.11.2000 48<br />

Gerhard Gschlößl Der Moment Dez.2000 02.12.2000 49<br />

B Strain Dez.2000 06.12.2000 50<br />

House of Jade Dez. 2000 20.12.2000 51


2001 Seite<br />

Hajo Hoffmann/Lygia Campos Jan.2001 10.01.2001 53<br />

Mäx Huber-Kim Chong Quartett Jan.2001 24.01.2001 54<br />

Uli Wangenheim Quartett Jan. 2001 27.01.2001 54<br />

Scoop Feb.2001 07.02.2001 55<br />

Ujima Feb.2001 09.02.2001 56<br />

Tetrapak Feb. 2001 17.02.2001 57<br />

PAO Feb. 2001 21.02.2001 58<br />

Tresilo März 2001 04.03.2001 58<br />

Jazzpiraten März 2001 07.03.2001 59<br />

La Noire März 2001 10.03.2001 60<br />

Marc Schmolling Trio März 2001 21.03.2001 61<br />

Quadro Nuevo April 2001 04.04.2001 62<br />

Hartlieb Kraus Schöfer Trio April 2001 11.04.2001 63<br />

Peter Massink Trio April 2001 21.04.2001 63<br />

Hallo Linz Mai 2001 23.05.2001 64<br />

Wanja Slavin Sextett Okt.2001 03.10.2001 65<br />

Ray Blue Nov.2001 31.10.2001 66<br />

Susanne L & die Play-Boys Nov.2001 15.11.2001 67<br />

The HUB Nov.2001 28.11.2001 68<br />

Fingerprints Dez.2001 12.12.2001 69<br />

2002 Seite<br />

Geoff Goodman’s Rosebud Jan. 2002 09.01.2002 71<br />

Jazz dont panic Jan. 2002 23.01.2002 72<br />

Ladies Talk Feb. 2002 20.02.2002 73<br />

Fractal Gumbo März 2002 20.03.2002 74<br />

Kim Chong Trio April 2002 03.04.2002 75<br />

Take 3 Mai 2002 08.05.2002 76<br />

TourneLaTete Mai 2002 22.05.2002 77<br />

Dancability Juni 2002 14.06.2002 78<br />

Benefiz Fertigbeton OBK Sept.2002 14.09.2002 80<br />

Busch Greiner Quintett Okt.2002 09.10.2002 82<br />

Tales Okt. 2002 30.10.2002 83<br />

Scoop Dez.2002 11.12.2002 84<br />

2003<br />

Sankt Oehl Trio Jan.2003 08.01.2003 85<br />

Triorange Jan.2003 21.01.2003 86<br />

Andreas Mederl Trio Feb.2003 19.02.2003 87<br />

Alex Sanguinetti Trio März 2003 12.03.2003 88<br />

Dos Hermanos & Leichtmetall März 2003 26.03.2003 89<br />

The HUB März 2003 28.03.2003 90<br />

Florian Fernbacher Trio April 2003 02.04.2003 92<br />

Christian Krischkowsky Quintett April 2003 16.04.2003 93


Michaela Navé Trio April 2003 30.04.2003 94<br />

David Thalmeier & DJ Michi Mai 2003 07.05.2003 95<br />

G. Rag Y Los Hermanos Patchekos Mai 2003 14.05.2003 96<br />

Windstärke 4 Mai 2003 28.05.2003 97<br />

C.C.Kreusch an his Sun Music Juli 2003 29.07.2003 98<br />

Norbert Bürger and the Pretty Boys Sept.2003 24.09.2003 99<br />

Fingerprints Okt.2003 08.10.2003 100<br />

Martin Auer Quintett Okt.2003 22.10.2003 101<br />

Scales Sanguinetti Trio Nov.2003 05.11.2003 102<br />

Geoff Goodman’s "Rosebud" Nov.2003 12.11.2003 104<br />

Saltzmann Weiss Duo Dez.2003 10.12.2003 105<br />

United Weihnachten Dez.2003 20.12.2003 106<br />

2004 Seite<br />

Bergmann Quartett Jan.2004 14.01.2004 108<br />

MC Miquee & Tom Jahn Quintett Jan. 2004 28.01.2004 109<br />

Tango sur Feb. 2004 11.02.2004 110<br />

Rickie Kinnen und Calle Dürr Feb.2004 18.02.2004 111<br />

Zona sul März 2004 24.03.2004 112<br />

Baltazar Trio April 2004 28.04.2004 113<br />

Etna Mai 2004 05.05.2004 114<br />

Thorsten Soos Trio Mai 2004 12.05.2004 115<br />

Digital Orient Sept.2004 15.09.2004 116<br />

Boperators Okt.2004 13.10.2004 117<br />

Association Togoen de Freising & Uhuru Okt.2004 27.10.2004 118<br />

Tea for Three Nov.2004 11.11.2004 119<br />

Maynority Report Nov.2004 25.11.2004 119<br />

Real Cats Dez.2004 08.12.2004 120<br />

2005<br />

Munich Saxophon Department Jan.2005 26.01.2005 123<br />

Blarz Feb.2005 09.02.2005 124<br />

Klima Kalima Feb.2005 23.02.2005 125<br />

Miss Ali Lee Quartett März 2005 09.03.2005 126<br />

Hoermann Rückerl Quintett März 2005 23.03.2005 127<br />

Steps of Spirit April 2005 06.04.2005 128<br />

Katrin Weber Trio April 2005 13.04.2005 129<br />

Sankt Oehl Trio Mai 2005 11.05.2005 130<br />

Rhythm & Mood & "Hallo Linz" Mai 2005 25.05.2005 131<br />

Panzerballett Sept.2005 14.09.2005 132<br />

The Magic of Brossa Sept.2005 28.09.2005 133<br />

Triorange Okt.2005 12.10.2005 139<br />

Kick la Luna Okt.2005 19.10.2005 140<br />

Tales Nov.2005 02.11.2005 141<br />

Flute Flash Nov.2005 09.11.2005 142<br />

Jazz don't panic Nov.2005 23.11.2005 143


Martin Auer Quintett Dez.2005 07.12.2005 144<br />

United Weihnachten Dez.2005 23.12.2005 145<br />

2006 Seite<br />

Frankie Boys Jan.2006 25.01.2006 147<br />

Kim Chong Quintett Feb.2006 08.02.2006 148<br />

Latin Project März 2006 08.03.2006 149<br />

Free Fishing März 2006 15.03.2006 150<br />

Hermann Martlreiter Trio März 2006 22.03.2006 151<br />

Fingerprints April 2006 19.04.2006 152<br />

Sonstige Aktivitäten Seite<br />

Jahreshauptversammlung 2000 05.03.2000 154<br />

Jahreshauptversammlung 2001 22.02.2001 154<br />

Jahreshauptversammlung 2002 23.02.2002 155<br />

Jahreshauptversammlung 2003 22.02.2003 156<br />

Jahreshauptversammlung 2004 12.02.2004 156<br />

Jahreshauptversammlung 2005 23.02.2005 157<br />

Jahreshauptversammlung 2006 15.02.2006 158<br />

Jazz for Kids Dez.1998 04.12.1998 159<br />

Jazz for Kids Dez.2001 14.12.2001 160<br />

Jazz für Lebenshilfe e.V. Aug.99 15.08.1999 161<br />

Rieblwirt Landshut Sept.2000 25.09.2000 161<br />

Benefiz für Klaus Neumaier Juli 2001 13.07.2001 162<br />

Hirsch-Bierstein Dez.2001 22.11.2001 163<br />

14 Jahre Hirschwirt Nov.99 20.11.1999 164<br />

16 Jahre Hirschwirt Okt.01 27.10.2001 165<br />

Jam Session Mai 1999 26.05.1999 166<br />

Jam Session Mai 2000 07.05.2000 167<br />

Vorschau Dez.1999 14.12.1999 168<br />

Vorschau Jan. 2006 04.01.2006 169<br />

Open Stage - Open Mind Seite<br />

Open Mind Open Stage Juli 99 28.07.1999 171<br />

Mäx Huber Solo „Gedankentaschen“ Nov.2000 26.11.2000 172<br />

Film-Premiere „Anatomie“Jan.2001 21.01.2001 174<br />

Hirscheriche März 2001 01.03.2001 175<br />

Hommage John Cage Sept.2002 04.09.2002 176<br />

Trip-Hop Party April 2002 13.04.2002 177<br />

Trash-Zauberer April 04 05.04.2004 178<br />

Zauber-Battle Dez 2004 13.12.2004 178<br />

Erlbach Halodri Hirsch Jun 2006 28.02.2005 179


8<br />

Datum: 24.09.99<br />

Geräusche, die im Zuhörer nach Bildern suchen<br />

Norbert Bürgers „Nachgeburt“ brachte den „Hirschen“ zum Röhren<br />

Moosburg. Der „Jazzclub<br />

Hirsch“ konnte gleich beim<br />

zweiten Termin des<br />

Herbstprogramms mit einer<br />

Attraktion der besonderen Art<br />

aufwarten, die sich nach den<br />

postmodernen Bebop-Klängen<br />

von Edith Steyers „Tripple<br />

Talk“ vom Eröffnungskonzert<br />

wie eine Wiedergeburt des<br />

Freejazz anhörte, diesmal<br />

jedoch im populären Gewande<br />

und angereichert mit viel Sinn<br />

für Unsinn.<br />

Dass es bei dieser Art von Musik nicht viel zu verstehen gibt, wird schon an programmatischen Vorboten wie<br />

„Gänseblümchenjazz“ und „Nachgeburt“ deutlich, mit denen gar nicht erst versucht wird, der Musik von Norbert<br />

Bürger (Gitarre), Robert Klinger (Kontrabaß) und Roland Bißwurm (Schlagzeug) ein stilistisches Etikett zu<br />

verpassen. Nein, der Zuhörer soll von vorne herein alle Schubladen zulassen, in denen er seine musikalischen<br />

Souvenirs aufbewahrt, und sich ganz dem akustischen Nichts anvertrauen, aus dem die drei Klangschöpfer ein<br />

geräuschvoll bis kitschig anschwellendes Etwas hervorbringen, das keinen Namen braucht, um zu gefallen.<br />

Kaum hat nach anfänglicher Irritation die Erkenntnis eingesetzt, daß an diesem Abend wohl weder der Fuß etwas<br />

zum Mitwippen, noch die Großhirnrinde etwas zum Mitsummen abbekommen wird, weil es zum Sinn dieser<br />

Musik gehört, ihren Sinn sofort in Unsinn zu verkehren, sobald sich ihr ein Sinn Suchender nähert, kann der<br />

Zuhörer damit beginnen, in seinem eigenen Innern Ausschau zu halten, was denn da so entsteht an Bildern und<br />

Assoziationen, wo vorher nichts war außer Erwartung.<br />

Kritiker haben nach einem solchen Abend eigentlich nur dann etwas an der Schreibmaschine verloren, wenn sich<br />

die Kritisierten eventuell selber über einen Zeitungsbericht freuen könnten. Anderen Beteiligten etwa schildern<br />

zu wollen, wie auf der Bühne ein Buddha grunzend erwachte, dessen Tempel plötzlich mitten im Verkehrslärm<br />

des Kamener Kreuzes stand, wo gerade eine Schwebebahn mit Calypso spielenden Cubanern aus Wuppertal<br />

vorüber schwebte, würde wohl genau so verdächtig nach Dichtung klingen wie der Reim vom „Schmusien in<br />

Andalusien“, der im inspirierten Maschinengetöse eines Banjos fast untergegangen wäre, hätte da nicht ein<br />

ganzes Kinderzimmer mit Tröten und Pfeifen, Rülpsen und Furzen alles in Bewegung gesetzt, was Babys nun<br />

einmal zum Juchzen bringt.<br />

Also bitte konkret: natürlich war das, was die Trommel solange anbrüllte, bis sich eine urdeutsche Hymne<br />

endlich Gehör verschaffen konnte, ganz eindeutig eine Fender-Gitarre. Was jedoch Norbert Bürger diesem Gerät<br />

unter Bedienung zweier Effekt-Fußschalter und seines Tremolo-„Jammerhakens“ entlockte, war im wahrsten<br />

Sinne des Wortes „unerhört“. Vielleicht werden irgendwann einmal Maschinen gebaut, die so rattern, oder Tiere<br />

gezüchtet, die so blöken, oder Menschen erzogen, die so brüllen – am Mittwoch im Hirschen jedenfalls wurde<br />

während der „Nachgeburt“ so mancher ungeborene Sound kreiert, der nur als Abfallprodukt einer schier<br />

grenzenlosen Neugier zu erklären war. Nach dem Motto: man gebe Norbert Bürger ein Instrument in die Hand,<br />

und er wird - wie ein Kind - herauszufinden versuchen, welche unentdeckten Geräusche darin schlummern.<br />

Zum Glück hat er in seinen Mitspielern zwei kongeniale Kumpels gefunden, die - wie er - darauf vertrauen, daß<br />

ihnen immer etwas einfällt. Wenn dann manchmal nur alberne Jesse-James-Lyrik, oder tiefsinniges Geschwafel<br />

oder ironisches Wortgeklingel dabei herauskommen, was manchmal auch etwas länger dauern kann, ist eben<br />

Geduld gefragt, wieder eine neue musikalische Phrase zu erfinden und sie so lange zu wiederholen, bis alle sie<br />

kapiert haben und – mit ein bißchen gutem Willen – auch auf sie einsteigen. Improvisation im Sinne einer<br />

situationsbedingten, jedoch immer überraschenden Stehgreif-Reaktion schwebt den drei Spielern vor, was bei<br />

ihrem neuartigen „Soundball“- Stück besonders deutlich wurde. Wie bei einem Wortketten-Spiel, in dem nach<br />

dem Schema „Moosburg...Burghof...Hofhund...Hundehütte“ aus Wortschlüssen immer neue Begriffe gebildet<br />

werden müssen, warfen sich die Drei zuerst Stimmlaute zu, später dann Phantasiegeräusche, Töne und ganze<br />

Phrasen, die vom jeweils nächsten aufgenommen und weiterentwickelt wurden. Was dabei heraus kam war ein<br />

höchst vergnügliches Hörstück, in das auch Lacher aus dem Publikum wie akustische Bausteine mit eingebaut<br />

wurden.<br />

Bei allem Chaos scheinen sich die Drei einig zu sein über die Flüchtigkeit als Prinzip, das Recycling als<br />

Methode und die Ironie von Schicksalsmelodien im allgemeinen. Nichts Kitschiges, was ihnen nicht vertraut<br />

wäre, nichts Albernes, was nicht ernst genommen, und nichts Menschliches, was nicht auf die Schippe<br />

genommen würde, so wie die Schlußnummer mit den Leuchtkerzen. Darüber aufgeklärt, daß die folgende<br />

Darbietung abrupt abgebrochen würde, sobald die letzte Leuchtkerze erloschen war, entschied sich das Publikum<br />

für ein höchst ökonomisches Verständnis von Musik: eine keineswegs ergreifende Ballade, die schon eher als<br />

Parodie zu verstehen war, endete nicht etwa in einem Lichtermeer, sie war nach vielen kleinen Sparflämmchen<br />

plötzlich wie weggepustet. –rk-


9<br />

Datum: 30.09.99<br />

Begleiter waren die Solisten des Abends<br />

„Hirschwirt“ wird durch Robert Hutyas „Klavierjazz“ zur Hotelbar<br />

Moosburg. Am dritten Konzertabend des „Jazzclub Hirsch“ standen am Mittwoch die Darbietungen<br />

eines Klaviertrios auf dem Programm, das sich erst auf Vermittlung von Jazzclub-Macher Karl<br />

Musikini für drei Auftritte im Landkreis Freising zusammengefunden hatte. Als feste Formation<br />

dürfte man den drei Musikern in Zukunft schwerlich wieder begegnen, da sie jedenfalls in Moosburg<br />

noch an sehr verschiedenen stilistischen Strängen zogen,.<br />

Natürlich hat Jazzclubchef Günter Janovsky recht mit seiner Skepsis gegenüber einem Publikum aus<br />

lauter versierten Jazz-Puristen, die alle nur gespannt auf die Fehler ihrer geschätzten Kollegen auf der<br />

Bühne warten. Natürlich ist die gute Stimmung in einem Laden mindestens genauso wichtig wie ein gutes<br />

Programm, aber manchmal anscheinend sogar noch wichtiger. Am Mittwoch jedenfalls schien letzteres<br />

der Fall zu sein, als der aus Salzburg stammende Pianist Robert Hutya (44) auf der Bühne außer<br />

aufgewärmter Hausmannskost Marke „Hiltons Klimpertopf“ nicht mehr zu bieten hatte als zwei<br />

exzellente Begleiter, die den Abend zum Glück versöhnlich gestalten konnten.<br />

Im Gespräch mit dem Österreicher, der nach einem klassischen Klavierstudium am Salzburger<br />

Mozarteum verschiedentlich auch als Percussionist in Symphonischen Orchestern mitgewirkt hat, war zu<br />

erfahren, daß ihn hauptsächlich die norddeutsche Boogie-Woogie-Seligkeit nach Hamburg verschlagen<br />

habe, wo er heute noch überwiegend als Alleinunterhalter in Hotelbars und Clubs auftrete. Dem<br />

Klavierspiel von Zeitgenossen wie Keith Jarrett, Chick Corea oder Bill Evans sei er in all den Jahren zwar<br />

schon begegnet, als „Berufsmusiker“ könne er sich aber allein schon aus Zeitgründen nicht mit dem Stil<br />

anderer Leute beschäftigen. Lieber sehe er sich als „Handwerker“, der seine eigene „ehrliche Arbeit“ tue.<br />

Gegen diese Art von Selbsteinschätzung würde man kaum etwas einwenden können, hätte Robert Hutyas<br />

Spiel den Anforderungen, die man, wie in diesem Fall, speziell an das solistische Können eines<br />

Klaviertrio-Frontmannes stellen muß, in handwerklicher und ehrlich Hinsicht genügen können. Anstelle<br />

handwerklicher Ehrlichkeit in Form präzise phrasierter Melodienbögen hörte man viel soßiges Pedal und<br />

holprige Fingersätze, Improvisationen blieben meist ideenlos an den Akkordvorlagen hängen, ohne die<br />

Thermik der Harmonien für Höhenflüge zu nutzen, und wo vielleicht doch einmal ein gemeinsamer<br />

„groove“ hätte einsetzen können, flüchtete sich der Alleinunterhalter in pompöse Tutti-Riffs, als gelte es,<br />

mit zehn Fingern eine komplette Bigband arbeitslos zu machen.<br />

Bewundernswert bei allem war die stoische Gelassenheit der<br />

beiden Begleiter an Schlagzeug und Kontrabaß, die wirklich<br />

Schwerstarbeit zu leisten hatten, um den stets vor dem Rhythmus<br />

hergaloppierenden Pianisten so swingend wie möglich und so<br />

dezent wie nötig am Zügel zu halten. Vor allem der 20-jährige<br />

Andreas Kurz aus Gröbenzell am Kontrabaß, der in Rostock mit<br />

seiner Gruppe „Sidewinders“ vor kurzem erst Sieger im<br />

Bundeswettbewerb „Jugend jazzt“ wurde und nach bestandenem<br />

Abitur im nächsten Jahr Musik studieren möchte, spielte sich mit<br />

seiner ideenreichen und astrein intonierten Melodik in die Herzen<br />

der Zuhörer und erntete ein ums andere mal begeisterten Beifall für<br />

seine solistischen Ausflüge. Daß er sich derzeit gerade mit der<br />

hohen Kunst der Baßbegleitung eines Paul Chambers, Ron Carter<br />

und Ray Brown beschäftigt, war unschwer herauszuhören und<br />

versöhnte für so manche Harmonie-Leere in der linken<br />

Pianistenhand.<br />

Blindes Verständnis mit seinem musikalischen Weggefährten<br />

Bastian Jütte am Schlagzeug tat ein übriges, den Zuhörern<br />

wenigstens streckenweise eine Ahnung davon zu vermitteln, welchen Stand zeitgenössische Trio-<br />

Jazzmusik im ausgehenden Millenium erreichen kann. Der in Mannheim studierende und in München<br />

lebende Vielspieler Bastian Jütte schien sich in dieser „zusammengewürfelten“ Besetzung speziell für die<br />

Kunst der Zurückhaltung und des wohl dosierten Miteinanders zu interessieren, ohne daß er seiner Lust<br />

an kreativen Trommelexplosionen frönen wollte. Es ehrte im übrigen beide Begleiter, daß sie einen<br />

Auftritt wie diesen als Lernprozeß verstanden, den sie wahrscheinlich schon bald unter der Rubrik<br />

„anstrengende Erfahrung“ wieder abheften werden.<br />

Warum schließlich ausgerechnet bei diesem Konzert das Klavier an die vordere Bühnenrampe geschoben<br />

wurde, als würde Oscar Peterson gleich persönlich dem Moosburger Publikum ins Auge schauen, blieb<br />

unklar, wo das Instrument doch gerade an diesem Abend dort hin gehört hätte, wo es sonst auch immer<br />

steht: in die Ecke. Dann hätte man sich nämlich den Drummer auch anschauen können, oder man wäre<br />

gleich zur Pflege des Smalltalks übergegangen, wie er zu einer Hotelbar einfach dazugehört. –rk-


10<br />

Bandleader Thomas Bendzko genoss es hörbar, kammermusikalisch in Erscheinung zu treten<br />

Mühelosigkeit, die man hören kann<br />

Datum: 07.10.99<br />

Thomas Bendzko und sein Sextett bringen den „Hirschen“ zum Juchzen<br />

Moosburg. Ein echtes Highlight einheimischen Jazzgeschehens erlebten am Mittwoch die Besucher des<br />

Jazzclub Hirsch, als sie sich von dem in München lebenden Trompeter Thomas Bendzko und fünf weiteren,<br />

amtierenden Instrumentalmeistern in die Welt des „straight-ahead-jazz“ der immer noch faszinierenden<br />

Hardbop-Ära eines Art Blakey oder Bobby Timmons entführen ließen.<br />

Es war vor allem eine tiefe Verneigung sowohl vor der kompositorischen Raffinesse und der harmonischen<br />

Vielfalt der Hardbop-Ära als auch vor dem solistischen Vermächtnis einiger legendärer „Giants“ der<br />

Siebzigerjahre, was die sechs Botschafter eines pulsierenden „Geradeaus-Jazz“ aus München ihren begeisterten<br />

Zuhörern in Moosburg zu bieten hatten. Zwar hätte Thomas Bendzko als leidenschaftlicher Liebhaber<br />

„krummer“ Siebenviertel, Neunachtel oder gar Elfzehntel-Rhythmen noch viel lieber eigene Kompositionen<br />

gebracht, da deren wirklich „relaxte“ Aufführung aber ein Vielfaches an Probenzeit erfordert hätte, und das mit<br />

einer Band, die er nur selten unter einen Hut bekommt, entschied er sich für das „zweitliebste“ auf der Welt,<br />

nämlich Standards aus der Zeit der Jazz-Messengers Art Blakey, Benny Golson und Bobby Timmons.<br />

Und wirklich, sie sind aktueller denn je, die dreistimmigen Bläsersätze für Trompete, Tenorsaxophon und<br />

Posaune, die damals das berühmte „Blue-Note-Feeling“ vermittelten, wie es in dem Kultfilm „Round about<br />

Midnight“ mit Dexter Gordon verewigt wurde. Die Spezialität jener Jahre, sich musikalischer Schönheit in sich<br />

bis zur Schmerzgrenze reibenden Arrangements anzunähern, um sich sofort wieder von einer pulsierenden<br />

Rhythm-Section zu neuen harmonischen Ufern puschen zu lassen, verfehlte auch im „Hirschen“ ihre Wirkung<br />

nicht, zumal sie von exzellenten Einzelkönnern vorgetragen wurde.<br />

Rein äußerlich dem Jünglingsalter kaum entwachsen, erwies sich Matthias Gmelin am Schlagzeug dennoch als<br />

wahrer Routinier, der durch sein jahrelanges Zusammenspiel mit Eugen Apostolidis am Kontrabaß einen<br />

gleichermaßen zuverlässigen wie abwechslungsreichen Hintergrund für die solistischen Eskapaden seiner<br />

Mitspieler erzeugte. Fast nach Belieben gaben sich die Beiden immer neuen rhythmischen Herausforderungen<br />

hin und wurden dabei am Klavier von Michael Blümel aufs einfühlsamste ergänzt. Sein Repertoire an<br />

harmonischen Klangfarben, gemischt mit präzise akzentuierten Einwürfen und virtuosen Skalen, schien<br />

unerschöpflich zu sein, und wer ihn bei der Wiederholungen gelungener Einfälle ertappen wollte, wartete<br />

schlicht vergebens. Auch Kontrabassist Eugen Apostolidis hatte für seine Mitspieler immer neue Modulationen<br />

bereit, indem er das harmonische Gerüst eines Stückes aus wechselnden Perspektiven beleuchtete und sich nur<br />

selten zum bloßen „grooven“ hinreißen ließ. Insgesamt verschaffte die Rhythmusgruppe dem Sextett einen<br />

jederzeit swingenden und dicht gewebten Background, auf dem die solistischen Beiträge wie spannende<br />

Erzählungen emporsteigen konnten.<br />

Posaunist Gerd Gschlößl dürfte derzeit mit seiner Auffassung von einem prallvollen Brass-Sound und der<br />

dazugehörigen Beherrschung seines Instrumentes zu den tonangebenden Vertretern seines Instrumentes in<br />

Deutschland gehören. Ihn in der bekennenden Blechbläserfamilie im „Hirschen“ mit seinem ganzen<br />

Klangcharme und seinen unkonventionellen Phrasierungen wiederzuhören, gehörte zu den besonders<br />

erfreulichen Erscheinungen des Abends. Nicht weniger groß war die Bewunderung, wenn Christoph Hörmann


mit seinem Tenorsaxophon<br />

immer neue Samtvorhänge<br />

aufzuziehen schien, hinter denen<br />

sich Bilder von schwermütiger<br />

Schönheit und sanfter Raserei<br />

auftaten, die wie an<br />

Perlenschnüren vorbeigezogen<br />

wurden. Kein protziges<br />

Überblasen in der Höhe sollte<br />

ungezügelte Leidenschaft oder<br />

hervorbrechende Seelenqualen<br />

suggerieren. Statt dessen blieb<br />

selbst die schmutzigste Blue<br />

Note noch unter Kontrolle und<br />

aberwitzigste Tempi wurden mit<br />

schlafwandlerischer Lässigkeit<br />

gemeistert.<br />

Bandleader Thomas Bendzko<br />

machte seinem Ruf als Mann mit<br />

der Riesenlunge und den Lippen<br />

11<br />

Bläsersatz mit Christoph Hörmann, Thomas Bendzko und Gerd Gschlößl (vorne von links)<br />

für die ganz hohen Trompetentöne auch an diesem Abend wieder alle Ehre, wobei es ihm hörbar gut tat, nach<br />

häufigen Bigbandeinsätzen als Leadtrompeter hier wieder einmal solistisch und kammermusikalisch in<br />

Erscheinung treten zu können. Viele Jahre USA-Aufenthalt und musikalische Stationen von der Karibik bis<br />

durch ganz Europa haben aus Thomas Bendzko eine reife und ungeheuer vielseitige Musikerpersönlichkeit<br />

gemacht, der sich längst in die Elite deutscher Jazztrompeter eingereiht hat.<br />

Das Publikum wußte die Programmfolge aus bluesigen Balladen, swingenden Mainstream Standards und<br />

rasenden Up-Tempo-Nummern sehr zu schätzen und gab sein Verlangen nach Mehr durch überschäumendes<br />

Juchzen und hartnäckigen Beifall so lange zu verstehen, bis der unvergeßliche Abend mit einem beruhigenden<br />

„Body and Soul“ ausklang. Dem abschließenden Wunsch der Musiker, bald wieder im „Hirschen“ auftreten zu<br />

können, dürfte nach diesem Abend sicher nicht im Wege stehen, und vielleicht bringt Thomas Bendzko dann ja<br />

sogar ein paar von seinen „krummen Nummern“ mit. –rk-


12<br />

Datum: 14.10.99<br />

Drei Gentlemen boten Jazz zum Wohlfühlen<br />

Neil Bacher, Peter Bockius und Davide Roberts spielten im „Hirschen“<br />

Moosburg. Trio-Jazz der milden Sorte, dargeboten von drei Musikern, die noch vor kurzem so auftraten, als<br />

wollten sie bis in alle Ewigkeit zu den „jungen Wilden“ des experimentellen Jazz gehören, verfehlte bei den<br />

Zuhörer im nicht ganz gefüllten „Gasthaus zum Hirschen“ seine beruhigende Wirkung nicht. Gitarrist Neil<br />

Bacher, Pianist Davide Roberts und Kontrabassist Peter Bockius haben zurückgefunden zu immergrünen<br />

Standards und einer unprätentiösen Spielweise, die bei den Zuhörern ankommen will.<br />

Neil Bacher, an diesem Tag sowohl Geburtstagskind,<br />

als auch rein äußerlich gegenüber früher zum<br />

graumelierten Gentleman mit gepflegtem<br />

Oberlippenbart gewandelt, sah an diesem Abend nicht<br />

nur glücklich aus, er war es auch. Denn was er vor<br />

sich erblickte, wenn er den Zuhörern, während er<br />

spielte, aus graublauen Augen halb fragend, halb in<br />

sich gekehrt direkt ins Gesicht sah, war genau das,<br />

was ihm viele Jahre lang gefehlt hatte, nämlich<br />

wohlgefälliges und dankbares Verständnis für seine<br />

Musik.<br />

Unvergessen die früheren Auftritte des 48-jährigen,<br />

bei denen er sich oft hinter atonalen Hirngespinsten<br />

und experimentellen Fassaden versteckte, dem<br />

Zuhörer dadurch das Mitgehen nicht gerade leicht<br />

machte und genau dies dann als Beweis für seine unverstandene Progressivität benutzte. „Ich habe in letzter Zeit viel<br />

Jim Hall und Wes Montgomery gehört und dabei festgestellt, daß ihre Melodien das wichtigste sind.“ Dieser Satz<br />

aus dem Munde eines ehemals bekennenden Freitöners spiegelt genau den ganzen Wandel wieder, den der früher in<br />

Freising und heute in München lebende Deutsch-Amerikaner in letzter Zeit durchgemacht hat. Wie er heute seinen<br />

Mitspielern zuhört, sie unaufdringlich begleitet, auf ihre Ideen eingeht und sie dadurch stark macht, das war schon<br />

ein Saulus-Paulus-Erlebnis der musikalischen Art, wie man es nicht alle Tage hat.<br />

Seine Triopartner dankten es ihm. Als wahrer Rohedelstein am Klavier stellte<br />

sich Davide Roberts heraus, ein Halbitaliener aus England, der seit Jahren<br />

ebenfalls in München lebt, wo er Neil Bacher während eines Band-Workshops<br />

über den Weg lief. Seine stark von Bill Evans und Keith Jarret beeinflußte<br />

Spielweise gewann in den letzten Jahren, als er unter den Fittichen seines neuen<br />

Mentors in München Fuß faßte, immer mehr an melodischer Raffinesse und<br />

rhythmischer Unabhängigkeit, so daß er heute zu einer sehr eigenständigen<br />

Musikerpersönlichkeit herangereift ist. Ein kräftiger Anschlag, mit dem er jeden<br />

einzelnen Ton nachhaltig zu formen scheint, hilf ihm bei seinen couragierten<br />

Exkursionen in melodische Neuland, aus dem er regelmäßig mit herrlichen<br />

Ideen und Ergebnisse zurückkehrt. Als wahrer „Melodienfinder“ könnte man<br />

den sympathischen „Britaliener“ bezeichnen, dem die vorzügliche Technik<br />

seiner rechten Hand nie als Selbstzweck, sondern immer nur als Hilfsmittel für<br />

schöne Einfälle zu dienen scheint.<br />

Der dritte im Bund der Gentleman-Jazzer, Peter Bokius, ist ein spätberufenes<br />

Freiburger Gewächs, das erst im alter von 25 Jahren mit dem Kontrabassspiel<br />

begonnen hat. Musikalische Weggefährten wie Wolfgang Engstfeld, Birelli<br />

Lagrene oder Michael Urbaniak haben spürbaren Anteil an seinem musikalischen Credo, in erster Linie als<br />

einfühlsamer Begleiter zu glänzen, und erst dann als Solist. Der leidenschaftliche Kontrabass-Handwerker, der zu<br />

Hause am liebsten an seinen 15 Instrumenten herumbastelt, wenn er nicht gerade unterwegs ist, brachte in Moosburg<br />

ein herrliches, selbst restauriertes Kleinod tschechischer Herkunft zum Klingen, das vor allem in der Daumenlage<br />

seinen ganzen Charme entwickelte. Die originelle Technik des 58-jährigen Autodidakten, mit der er trillerartige<br />

Läufe aufs Griffbrett zaubert, zwischen die er singende Vibratos streut, macht ihn zu einem ideenreichen Solisten<br />

und zugleich äußerst versierten Begleiter, der bei allem noch über ein sehr swingendes Timing verfügt.<br />

Als wären sie nur nach Moosburg gekommen, um die Zuhörer ein bißchen teilhaben zu lassen an ihrem eigenen<br />

Vergnügen, musizierten die drei vor sich hin, als gäbe es für sie keine technischen Hürden und Herausforderungen,<br />

sondern nur verborgene melodische Tonfolgen, die es gemeinsam zu entdecken und dann zu spielen galt. Bei einer<br />

derart zur Schau getragenen Bescheidenheit, die manchmal fast zum Verstummen führte, beschloß das Publikum,<br />

auf den sonst üblichen Beifall nach den einzelnen Solos zu verzichten und statt dessen lieber zu lauschen, wie es<br />

weiterging. Um so herzlicher fiel am Ende der Applaus aus für ein Trio, das ernst gemacht hat mit der Erkenntnis,<br />

daß auch die beste Fingertechnik eines nicht ersetzen kann: Emotionen, die man mit den Zuhörern teilt. –rk-


13<br />

Datum: 29.10.99<br />

Zwischen Spröde und Geschmeidigkeit<br />

Eigenwillige Klangkunst des „Busch-Greiner-Quintetts“ im Jazzclub Hirsch<br />

Moosburg. Nur wenige bewährte Real-Book-Standards hatten die Gäste aus München am Mittwoch abend<br />

zur gewohnten Jazz-Hour für die zahlreichen Besucher des „Jazzclub Hirsch“ parat, dafür aber um so mehr<br />

Eigenkompositionen oder Werke von seelenverwandten Musikern, die im Jazz ähnliche Ziele verfolgen wie<br />

die fünf kompromißlosen Verfechter eines Free & Hardbob-Jazz im Stile eines Freddy Hubbard oder Joe<br />

Henderson.<br />

Die beiden „Frontmen“ Florian Busch am Tenor- und Sopransaxophon und Reinhard Greiner an Trompete und<br />

Flügelhorn machten schon durch die Auswahl ihrer Titel von Anfang an klar, daß sie nicht als Botschafter eines<br />

„Schmusejazz“ der Marke „Easy listening“ gekommen waren, um den Moosburger Jazzfreunden einen leicht<br />

verdaulichen Jazz-Feierabend zu bereiten, sondern als Vertreter einer gleichermaßen ambitionierten wie<br />

eigenwilligen Klangkunst, wie sie in der Nachfolge von Miles Davis und John Coltrane zum Beispiel auch das<br />

kongeniale Gespann Eric Dolphy und Booker Little gepflegt hat. Nicht das wohlgefällige Mitswingen des<br />

Publikums zu vertrauten Melodien schien ihnen am Herzen zu liegen, sondern eine möglichst gut<br />

funktionierende Performance überwiegend eigener Titel, die ihre Stilistik deutlich aus der Ära der späten<br />

Hardbob-Freejazz-Verbrüderung beziehen.<br />

Wie in jenen Tagen üblich, konnten die harmonischen und rhythmischen Herausforderungen, die damals oft<br />

bewußt in Themen eingebaut wurden, um den Solisten förmlich auf innovative Wege zu zwingen, gar nicht hoch<br />

genug sein, was nicht erst an diesem Abend in Moosburg mit dem „Busch-Greiner-Quintett“ zu einigen eher<br />

spröden und fast abweisenden Klangerlebnissen führte, bei denen die Konzeption wichtiger zu sein schien als<br />

ihre Realisation. Konzentrierte man sich dagegen auf das individuelle Können der Solisten, die mit ihren selbst<br />

errichteten Hürden keinerlei Schwierigkeiten zu haben schienen, kam man voll auf seine Kosten. Vor allem<br />

Reinhard Greiner entlockte seiner Trompete und auch dem Flügelhorn äußerst ideenreiche Linien und<br />

Verzierungen, die in ihrer präzisen Ausführung zum ungetrübten Hörgenuß wurden. Auch Florian Busch bewies<br />

hinsichtlich Tongebung und Kreativität große Vielseitigkeit und schien immer wieder darauf zu achten, neue<br />

Kontakte zum Publikum zu knüpfen.<br />

Der Klavierdeckel blieb geschlossen an diesem Abend, denn für das harmonische Gerüst, auf dem die Bläser<br />

ihre improvisierten Kunststücke aufführten, war an diesem Abend der Gitarrist Georg Alkofer zuständig, der<br />

dem Quintett seit nunmehr sechs Monaten zusammen mit Helmut Wagner am Schlagzeug und Gerhard<br />

Uttenthaler am Kontrabass den nötigen Rückhalt verschaffen soll. Sein universelle Begabung, auf nahezu jeder<br />

musikalischen Hochzeit gut mittanzen zu können, kam vor allem in einigen exzellenten Improvisationen zum<br />

Ausdruck, die den unbeschwert aufspielenden Gitarristen als enorm vielseitigen und originellen Solisten<br />

auswiesen.<br />

Hinsichtlich ihrer begleitenden Funktion warf die Rhythmusgruppe insgesamt dennoch Fragen auf. Mochte es an<br />

der relativ kurzen Zusammenarbeit liegen oder an der ungewöhnlichen Bühnenaufstellung, den Bass mit dem<br />

Rücken zum Schlagzeug an der vorderen Bühnenrampe zu plazieren, so daß Blickkontakte nur unter<br />

Halsverdrehungen zustande kamen, ein dichtes und eng verzahntes Miteinander von Schlagzeug, Bass und<br />

Gitarre stellte sich hauptsächlich in den durcharrangierten Sequenzen ein, seltener dagegen während der<br />

Improvisationen. Unterstützt wurde der Eindruck eines Nebeneinander-Spielens durch die herbe Klangrezeptur<br />

manches Arrangements, die auch für Kontrabaß und Gitarre eine fast polyphone Gleichberechtigung vorsah, was<br />

während der Themen zwar reizvoll wirkte, beim Improvisieren aber häufig auf Kosten des Zusammenspiels<br />

ging. Dem bewußt unauffällig angelegten Schlagzeugspiel Helmut Wagners setzte Gerhard Uttenthaler<br />

außerdem auch hinsichtlich der Lautstärke eine eher dominante Auffassung von Bassbegleitung entgegen, was<br />

speziell bei rascheren Tempi leicht zu Verwackelungen führte, die den Solisten ein unbeschwertes Abheben in<br />

melodische Sphären nicht erleichterten.<br />

Die Bekanntschaft mit den fünf sympathischen Musikerpersönlichkeiten und ihrem anspruchsvollen Programm<br />

wurde für die Zuhörer dennoch zum lohnenden Erlebnis, vor allem in Momenten losgelöster Spielfreude wie in<br />

Freddy Hubbards „Crisis“ oder in einem ausdrucksvollen Tenorsolo über ein Thema von Georg Alkofer. Auch<br />

das der Freundin gewidmete „African Beauty“ von Florian Busch mit seinem originellen 12/8-Riff entwickelte<br />

sich in seien leisesten Momenten zu einem spannenden Trommel-Saxophon-Dialog, den man zu verstehen<br />

glaubte. Obwohl die Musiker bereits gegen halb zwölf die Bühne verlassen wollten, kamen die Zuhörer dank<br />

Intervention einiger Gäste noch in den Genuß von drei weiteren Stücken, die mit einem zum „Rausschmeißer“<br />

geratenen „Mamacita“ von Joe Henderson und herzlichem Beifall ausklangen. -rk-


Datum: 02.11.99<br />

Vier teuflisch gute Posaunen(b)engel<br />

„Trombone-Fire“ ließ beim vierten Live-Auftritt nichts anbrennen<br />

Moosburg. Sie wurden als „Master“ ihres Instruments vorgestellt und wurden dieser Ankündigung auch<br />

mehr als gerecht: vier Posaunisten der internationalen Sonderklasse, die sich unter der Bezeichnung<br />

„Trombonefire“ zusammengefunden haben und am Sonntag abend in einem Sonderkonzert des „Jazzclub-<br />

Hirsch“ ihrem Namen alle Ehre machten. Dem Gründer Johannes Herrlich aus München ist mit der<br />

Zusammenstellung dieser Formation ein Glücksgriff gelungen, der bei vielen Zuhörern – darunter auch<br />

vielen neuen Gesichter - den spontanen Wunsch nach einer CD auslöste, der sich als einziger unerfüllbarer<br />

Wunsch des Abends herausstellte.<br />

Um so glücklicher durfte man sich schätzen, wenn man bei dem mit Spannung erwarteten Live-Event im voll<br />

besetzten Gasthof „Zum Hirschen“ einen Platz ergattert hatte und so Zeuge eines Auftritts wurde, der erst der<br />

vierte seiner Art überhaupt war. Seitdem Bandgründer Johannes Herrlich seine Idee von der Posaunen-<br />

Viererbande in die Tat umgesetzt hat, gab der Terminkalender der vier vielbeschäftigten Posaunen-Profis<br />

nämlich erst drei Termine für einen gemeinsamen Auftritt her, und auch das Special im Hirschen wäre wohl<br />

kaum zustande gekommen, hätte es nicht als Liveprobe für einen BR-Mittschnitt in der Münchner „Unterfahrt“<br />

am Dienstagabend ideal in die Vorbereitung gepaßt.<br />

So aber kam das Moosburger Publikum in den Genuß einer Generalprobe, die intern schon am frühen<br />

Nachmittag begonnen hatte und ab 21 Uhr öffentlich fortgesetzt wurde. Ein rundes Dutzend neuer Arrangements<br />

stand auf dem Programm, unschwer zu erkennen an den gewaltigen Notenfahnen, die rechts und links über die<br />

Notenständer quollen. Auch diesmal<br />

waren einige Bandmitglieder von<br />

weither angereist, so zum Beispiel<br />

der gebürtige Australier und<br />

Wahlschweizer Adrian Mears, der<br />

eigens mit der Bahn aus Basel<br />

gekommen war. Auch der Schwabe<br />

Eberhard Budziat aus Eßlingen hatte<br />

wegen eines Auftritts in Zürich einen<br />

Umweg in Kauf genommen, um das<br />

Ensemble an Bassposaune und<br />

Basstuba zu verstärken. Komplettiert<br />

wurde das Edelblechquartett durch<br />

den 57-jährigen Altmeister Hermann<br />

Breuer, in dem Programmmacher<br />

Karl Musikini seinen ehemaligen<br />

Posaunenlehrer vorstellen konnte,<br />

sowie den Bandleader Johannes<br />

Herrlich, beide aus München. Die<br />

Qualität der übrigen Musiker<br />

beschrieb Bandgründer Johannes Herrlich mit den Worten, daß selbst vier Weltmeister an der Posaune keine<br />

Chance gehabt hätten ohne die beste Rhythmusgruppe, die derzeit in Bayern zu finden sei, nämlich Walter<br />

Lang am Piano, Thomas Stabenow am Kontrabass und Matthias Gmelin am Schlagzeug, die gewissermaßen die<br />

Glut des „Posaunenfeuers“ darstellten.<br />

14<br />

Vier Posaunisten der Extraklasse, (von links) Hermann Breuer, Adrian Mears,<br />

Johannes Herrlich und Eberhard Dudziat, entfachten im Hirschen ihr „Trombonefire“.<br />

Wie recht er damit hatte, wurde gleich im Eröffnungsstück „Fuller and Fuller“ von Eberhard Budziat deutlich,<br />

daß als Widmung an Curtis Fuller ein erstes Paradebeispiel darstellte für ausgefeilte Bläsersätze und eine<br />

unerhört pulsierende, rhythmischer Begleitung im Sinne eines Bill Evans, Paul Chambers und Philly Joe Jones,<br />

denen der moderne Jazz viele seiner unsterblichen Klassiker zu verdanken hat. An Walter Langs Klavierspiel<br />

bestachen neben seinem unerschöpflichen Fundus an perlenden Modulationen vor allem seine präzisen, eng<br />

gesetzten Einwürfe mit der linken Hand, die dem musikalischen Fluß unerhört viel Lebendigkeit verliehen.<br />

Thomas Stabenow grundierte die teilweise komplizierten Arrangements mit warmen und unaufdringlichen<br />

Basslinien, die entweder für solistische Überraschungen und wohltuende Glanzlichter im eng gewebten<br />

Soundteppich der Arrangements sorgten oder für solide grooves quer durch alle rhythmischen Spielarten.<br />

Matthias Gmelin erwies sich einmal mehr als gleichermaßen einfühlsamer Begleiter, der seinem Set wahlweise<br />

mit Besen oder Stöcken passende Akzente entlockte, oder als präziser Trommler, der mit Händen und Füßen<br />

jede beliebige Gangart in pulsierenden Drive umzuwandeln versteht.<br />

Wie bei einem Posaunen-Quartett nicht anders zu erwarten, erlag man bereits in Duke Ellingtons „Caravan“ der<br />

Versuchung, zwischen den vier Solisten Vergleiche anzustellen die sich in technischen Eigenheiten und<br />

emotionalen Ausdrucksnuancen sehr wohl, nicht aber in der Qualität ihres Spiels unterscheiden. Die Vermutung,<br />

daß es sich bei Hermann Breuer und Johannes Herrlich um hochentwickelte Autodidakten handeln könnte, die<br />

sich im Gegensatz zur klassischen Ausbildung eines Adrian Mears oder Eberhard Budziat ihr ganzes Können


15<br />

selbst angeeignet haben, bekam im Laufe des Abend immer neue Nahrung. Mit geschlossenen Augen ergaben<br />

sich bei näherem Hinhören auch Unterschiede in der Improvisationstechnik. So fiel an Herrmann Breuers Spiel<br />

immer wieder ein Hang zu lautmalerischen Expressionen auf, deren unorthodoxer technischer<br />

Herstellungsprozess selbst ausgefuchsten<br />

Kollegen immer wieder ein erstauntes<br />

Lächeln abverlangte. Johannes Herrlich<br />

setzte seine ganze technische Fitness und<br />

harmonische Durchtriebenheit dagegen,<br />

die aus ihm einen echten<br />

Blechbläserartisten macht, der sich jeder<br />

noch so rasenden Herausforderung mit<br />

couragierter Eleganz stellt. Eberhard<br />

Budziat hatte an der Baßposaune den Part<br />

des Tieftöners übernommen, der ihm<br />

weniger virtuose Kapriolen erlaubte,<br />

dafür aber ein hohes Maß an origineller<br />

Expressivität, mit der er sich über alles<br />

bisher Gehörte und Ungehörte spielerisch<br />

hinwegsetzte. Adrian Mears stellte - last<br />

not least - ein besonders seltenes<br />

Exemplar von Musiker dar, der mit<br />

seinem Instrument auf eine fast<br />

körperliche Art verwachsen zu sein<br />

Die Rhythmusgruppe von „Trombonefire“ mit Walter Lang am Klavier,<br />

Thomas Stabenow am Kontrabaß und Matthias Gmelin am Schlagzeug.<br />

scheint. Nichts, was er nicht in Töne<br />

umsetzen konnte, ganz egal, wie<br />

schwierig es auch zu spielen war.<br />

Mehrstimmige, mit gesungenen Obertönen angereicherte Chorusse, wechselten sich ab mit grandiosen<br />

Eskapaden in musikalisches Niemandsland, daß vor und nach ihm wohl kein Kollege je betreten hat.<br />

In die Hochachtung vor wunderschönen, vielstimmigen Arrangements, bei denen alle Wärme und Kraft des<br />

Posaunenklanges in nahezu sakralen Momenten verschmolz, mischte sich das Vergnügen über schmetternde,<br />

prasselnde, gurgelnde, trötende und schmatzende Tongemälde von erhabener Ausdruckskraft. „Trombinefire“<br />

hat im Jazzclub Hirsch ein Feuer entfacht, das in der Erinnerung der Fans noch lange weiter glühen wird. -rk-


16<br />

Rustikal gedrechselter Triojazz<br />

Die „Stefinsky´s“ boten Schnörkelloses aus eigener Werkstatt<br />

Datum: 04.11.1999<br />

Moosburg. Nach der perfekten Performance vom vergangenen Sonntag, als die sieben Vollprofis von<br />

„Trombonefire“ die Moosburger Jazzgemeinde mit einem Spezialmenü „á la Fire-Abend“ verwöhnten, stand<br />

am Mittwoch abend zu gewohnter Uhrzeit wieder einfache Kost auf dem musikalischen Speiseplan,<br />

dargeboten von drei ausgewachsenen Mannsbildern aus München und Rosenheim, die sich unter der<br />

Bezeichnung „Stefinsky´s“ einer eher herz- und handgemachten Spielart des Triojazz verschrieben haben.<br />

Obwohl die Bezeichnung „Amateur“ in ihrem ursprünglichen und ernsten Sinn besagt, daß der so Bezeichnete<br />

seine Kunst oder sein Tun als „Liebhaber“ ausübt, wollte der Chef des Trios, Stefan Stefinsky, im<br />

Pausengespräch von diesbezüglichen Vermutungen nichts wissen. Zwar habe man mit dieser Besetzung, die seit<br />

drei Jahren existiert und die einzige Formation der drei Musiker darstellt, nur fünf bis sechs Auftritte pro Jahr,<br />

doch verstehe man sich dennoch als Profi, rechne man die anderen Engagements als Lehrer am Freien<br />

Musikzentrum München oder als Betreiber des mobilen Figurentheaters „Die Trampelmuse“ mit dazu. 25 Jahre<br />

Saxophonspiel seien ein weiterer Beweis für ein ausgewachsenes Musikantentum, auch wenn man sich nicht zu<br />

den gefragten Größen in der Szene rechnen könne, die sich die Angebote aussuchten dürfen. Ähnliches gelte<br />

auch für seine Kollegen Günther Basmann (Schlagzeug , Mini-Vibraphon) und Christoph Weinzierl (Kontrabaß,<br />

E-Baß), die beide seit vielen Jahren Musik machten, aber im bescheidenen Rahmen eben und weniger zur<br />

Sicherung ihrer Existenz.<br />

Warum also nicht doch beim ehrenwerten Wort „Amateur“ bleiben, fragte man sich voller Sympathie für die drei<br />

musikalischen Sonderlinge, die scheinbar unbeeindruckt von Zeitgeist und stromlinienförmiger<br />

Gefälligkeitsmusik ihre Bühnenwerkstatt eröffneten und den Zuhörern neben so exotischen Instrumenten wie<br />

einem gewaltigen Baßsaxophon und einem Mini-„Vibraphonette“ ihr eigenwilliges Sortiment aus selbst<br />

gedrechselten Stücken, rustikalen Bearbeitungen und schnörkelloser Expressivität vorführten. Daß seine<br />

musikalischen Wurzeln nicht nur in der klassischen Kompositionstechnik, sondern auch im Freejazz und in der<br />

Theatermusik verankert sind, bewies Bandleader und Stückeschreiber Stefan Stefinsky mit Titeln wie<br />

„Streetcelebration“ im 5/4-Takt, „Insecure Steps“ oder dem stimmungsvollen „Libido Blue“, aber auch in so<br />

unraffinierten Rockjazz-Derivaten wie „Rockit“ oder dem Marsch-Tango mit eingeschobenem Walzerteil über<br />

„Das Lächeln der Kollaborateure“, mit dem „Die Stefinsky´s“ unter Hinweis auf Phänomene wie „Mobbing“<br />

oder den französischen Nazi-Kollaborateur Maurice Papin ein Bekenntnis zu einer sozialkritisch und politisch<br />

motivierten Musikausübung ablegten.<br />

Daß bei soviel gedanklich-idealistischem Hintergrund die handwerkliche Ausführung mancher Stücke scheinbar<br />

nebensächlich blieb, soll der Chronistenpflicht entsprechend ruhig erwähnt werden. So sorgten erhebliche<br />

Intonationsschwankungen zwischen Kontrabaß und Saxophon wiederholt für Stimmungstiefs, die nicht als Folge<br />

dissonanter Intervalle, sondern durch mangelnde Treffsicherheit entstanden. Auch näherte sich das<br />

Zusammenspiel zwischen Baß und Schlagzeug manchmal einer gefährlichen Zerfallsgrenze, was besonders bei<br />

ungeraden 5/4- oder 7/4-Metren zu dem von Musikern so gefürchteten „Umsteigen“ zwang.<br />

Solistisch tat sich Stefan Stefinsky auf Sopran-, Tenor- und Baßsaxophon hervor und machte aus seiner Vorliebe<br />

für emotionsgeladene Impressionen, bei denen über kleine Ausrutscher schnell das Gras des Vergessens wächst,<br />

keinen Hehl. Eher solide als solistisch benutzte Christoph Weinzierl seine Baßinstrumente und setzte den<br />

Himmelsstürmer-Qualitäten seiner beiden Partner überwiegend bodenständige Basisarbeit entgegen. Als<br />

Trommler voll zupackender Musikalität erwies sich Günther Basmann, der seinen vier „Toms“ herrlich rollende<br />

Soli entlockte und auch am Vibraphonette Geschmack und viel Harmonieverständnis bewies.<br />

Mit ihrer Zugabe zum Thema „Der Tod ist mir zu mager, ich zieh´ die Dicken vor“ nach einem italienischen<br />

Canzone stellten die „Stefinsky´s“ eine fast folkloristische Farbe an den Schluß, der man gerne schon früher am<br />

Abend begegnet wäre. Von dieser Art humorvoller Jazz-Theatralik dürfte es - eine noch feinere Einstimmung<br />

auf den Kammerton „A“ vorausgesetzt - beim nächsten mal gerne etwas mehr sein. -rk-


17<br />

Zwei Ladies mit Bossa- und Latin Jazz<br />

Datum: 11.11.99<br />

Neil Bacher überrascht mit Quartett-Besetzung im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Als habe ihm die nahe Aufeinanderfolge zweier Auftritte in Moosburg selbst zu denken gegeben,<br />

präsentierte sich Gitarrist Neil Bacher drei Wochen nach seinem ersten Gastspiel am vergangenen Mittwoch<br />

in ungewohnter Besetzung. Neben seinem Dauergefährten Peter Bockius am Kontrabaß lernten die Zuhörer<br />

die Sängerin Michaela Förstl und die Flötistin Olga Neisser kennen, die den Abend zu einer gelungenen<br />

Überraschung werden ließen.<br />

In einer Vorankündigung war noch von jener Triobesetzung die Rede gewesen,<br />

mit der Neil Bacher Mitte Oktober das Publikum begeistert hatte, so daß die<br />

Besucher diesmal wesentlich spärlicher als sonst hereinschneiten, weil viele<br />

das musikalische Geschehen schon zu kennen glaubten. Weit gefehlt, denn<br />

diesmal präsentierte sich der Deutsch-Amerikaner vorwiegend mit Bossa-<br />

Rhythmen im Stile eines Antonio Carlos Jobim. In der Münchner Sängerin<br />

Michaela Förstl stand ihm dabei eine erfahrene und aparte Künstlerin zur Seite,<br />

die sicher auch als Profi ihren Weg gemacht hätte, wäre da nicht der sichere<br />

Beruf einer Realschullehrerin dazwischen gekommen. So geht die<br />

„Münchnerin aus Leidenschaft“ ihren diversen Engagements in Canzone-<br />

Ensembles, bayerischen Gstanzl-Gruppen oder Jazzformationen nur<br />

nebenberuflich nach, was ihrer ausdrucksvollen und treffsicheren Altstimme<br />

nicht anzumerken ist. Ihre große Musikalität kommt in den portugiesischen<br />

Songtexten zusätzlich zum Ausdruck, so daß sich ein „Felicidade“,<br />

„Desafinado“ oder „Aqua de beber“ fast genau so anhört wie in der<br />

Originalversion.<br />

Zu diesem Konzept paßte geradezu ideal die Querflöte der zweiten<br />

Überraschung des Abends, Olga Neisser, die sich als äußerst<br />

vielseitige und technische reife Musikerin herausstellte. Seit ihrem<br />

zehnten Lebensjahr beschäftigte sich die Münchnerin mit klassischer<br />

Musik, absolvierte ein Studium an der Musikhochschule München<br />

und machte ihr Staatsexamen im Fach Querflöte. Der ausdrucksvolle<br />

und natürliche Klang ihres Instrumentes bildete eine stimmungsvolle<br />

Einheit nicht nur mit Michaela Förstls dezentem Gesang, sondern<br />

auch mit den geschmeidigen Baßlinien von Peter Bockius, der an<br />

diesem Abend wieder viele Beweise seines großen Könnens<br />

ablieferte und die Fans mehrfach zu Beifallsstürmen hinriß. Last not<br />

least war es Neil Bacher selbst, der dem Quartett durch seinen schier unendlichen Schatz an Akkorden und<br />

harmonischen Übergängen Halt und Klangvielfalt verlieh und sich sowohl als perfekter Solist wie auch als<br />

universeller Begleiter erwies.<br />

Dem sehr geschmacksicher aufeinander eingehenden Ensemble wäre eine größere Zuhörerschaft zu wünschen<br />

gewesen, denn brasilianisch angehauchtem Jazz wie diesem begegnet man in dieser Reinkultur nicht oft. Die vier<br />

Musiker ließen sich durch leere Stühle jedoch nicht entmutigen, musizierten wie auf einer Insel der Seligen<br />

miteinander und fanden erst nach mehreren Zugaben ein Ende. -rk-


18<br />

Datum: 19.11.99<br />

Souvenirs aus dem Wunderland des Jazz<br />

Talentiertes Duo unterhält im „Jazz Club Hirsch“ mit Gitarre und Gesang<br />

Moosburg. Einen amüsanten Abend erlebten am Mittwoch die Freunde des Jazzclub Hirsch beim Gastspiel<br />

eines Duos, das sein außergewöhnliches, musikalisches Können in den Dienst einer musikalischen Zeitreise<br />

stellte, auf der die nostalgischne Stationen den nachhaltigsten Eindruck hinterließen. Gitarrist Dieter<br />

Holesch und Sängerin Julia von Miller bewältigten die musikalischen Welten zwischen New Orleans und<br />

Hollywood, Bahia und Manhatten auch ohne Bass mit bewundernswürdigem Stilempfinden, auch wenn die<br />

eigene Persönlichkeit dadurch nur schemenhaft zum Vorschein kam.<br />

Beides sind „alte Bühnenhasen“ in dem<br />

Sinne, daß sie sich bereits vor sechs Jahren<br />

bei Eco Dilorenzos Innersoul-Band trafen,<br />

wo schon damals keine Anfänger<br />

beschäftigt waren. Julia von Miller,<br />

Tochter aus altem Münchner Geschlecht,<br />

dem die Hauptstadt nicht nur die Bavaria-<br />

Statue über der Wiesn, sondern auch den<br />

Oskar-von-Miller-Ring verdankt,<br />

bezeichnet sich selbst als „altmodische,<br />

moderne, junge Frau“, die ihre selbst<br />

erlernte Kunst des Gesanges bereits in<br />

Gruppen wie den „Weather-Girls“ und<br />

„Eco Dilorenzos Innersoul Band“ als<br />

Background-Vokalistin, und zuletzt auch<br />

im Gesangstrio „Blauer Engel“ in der<br />

Frontline zum Besten gegeben hat.<br />

Professionell übt sie Musik seit etwa sieben Jahren aus, entweder als gefragte Studio-Stimme, als Mitglied<br />

diverser Gruppen oder zuletzt in ihrem neuen Projekt „String of Pearls“, einem weiteren Vokal-Trio „of three<br />

beautifull vocal ladies with Sir Oliver on the Ivory“, das u.a. auch im Münchner „Lustspielhaus“ auftritt.<br />

Ihr Partner an diesem Abend war Dieter Holesch (38), der bekannte Allrounder<br />

an allen Saiteninstrumenten zwischen Banjo, Balalaika und Gitarre, der sich<br />

zwischen Studioterminen und Filmmusik, „Barcarole“ und „Blauer Engel“ als<br />

gefragter Profi seinen Weg sucht. Er ist sicher, in Julia von Miller eine<br />

vielversprechende Partnerin gefunden zu haben, mit der „die Sache noch richtig<br />

gut losgehen wird“. Daß sie an diesem Abend in Moosburg auch ohne den<br />

erkrankten Bassisten richtig gut losging, war zum Teil das Verdienst der<br />

universellen Gitarrentechnik von Dieter Holesch, der sich anscheinend<br />

vorgenommen hatte, mittels der verzwicktesten und schwierigsten Griffe ganze<br />

Orchester gleich reihenweise zu ersetzen. Für sämtliche Rhythmen zwischen<br />

Ragtime und Swing, Bossa und Balade, Rock und Shuffle auf seiner<br />

Naturgitarre alleine zuständig, zauberte der versierte Studiofuchs selbst noch die<br />

vertracktesten Harmonien aufs Griffbrett und sorgte so stets für eine<br />

zuverlässige und farbenreiche Basis, auf der sich seine Partnerin frei entfalten<br />

konnte.<br />

Schon bei den Nummern zum Aufwärmen wie „I hear music“, „Makin´whoopee“ oder dem Jimi Hendrix<br />

Coversong „Up from the skies“ entpuppte sich Julia von Miller als ein Interpretationstalent von hohen Graden,<br />

das besonders in den leiseren und gehauchten Passagen aufhorchen ließ, so spielerisch und geschmackssicher<br />

gelangen ihr die Remakes der großen Vorbilder, denen so mancher Titel seine Entwicklung zum Evergreen einst<br />

verdankte. Da glaubte man für Momente, ein Glamourgirl aus amerikanischen Musicalfilmen vor sich zu haben,<br />

so hauchdünn bezirzte die schlanke Person mit den strahlenden Zähnen und dem ausdrucksvollen Blick ihre<br />

Zuhörer, um sich schlagartig in eine spitzbübische Mary Poppins zu verwandeln, die mit glasklarer Stimme, die<br />

Fäuste in die Hüften gestemmt, eine fidele Kindfrau in sich zum Leben erweckte. Auch dem Vamp mit den<br />

gurrenden, wispernden Verführerlauten konnte man begegnen oder der romantischen Lady mit dem charming<br />

tremolo italienischer Troubadoure, was für die Künstlerin selbst lediglich eine Frage des Stimmregisters zu sein<br />

schien, das sie je nach Belieben, aber dabei immer sehr authentisch zu ziehen wußte.<br />

Diese Form von Schellack-Nostalgie verfehlte ihre Wirkung auf die Zuhörer nicht, die sich gerne in die<br />

künstliche Wunderwelt der amerikanischen Unterhaltungsmusik früherer Tage entführen ließen. Eine gewisse<br />

Distanz blieb dennoch spürbar, da mancher außer Bewunderung auch gerne echte Ergriffenheit empfunden hätte,<br />

für die bei soviel Wandelbarkeit und Können irgendwie kein Platz mehr zu sein schien. Einem sehr vitalen und<br />

musikalischen Talentbündel wie Julia von Miller und ihrem durch nichts zu erschütternden Begleiter Dieter<br />

Holesch galt am Ende ein herzlicher Applaus für eine Duo-Performance, die sehr viel Können, guten Geschmack<br />

und einen sympathischen Respekt vor den Großen des Showbusineß und des Jazz bewies. -rk-


19<br />

„Palsy-Walsy Jazz Company“ im Hirschen<br />

Datum: 02.12.99<br />

Fünf sympathische Musikerinnen und zwei männliche Begleiter überzeugen<br />

Moosburg. Den Besuchern des Jazz Club Hirsch bot sich am vergangenen Mittwoch auf der Bühne ihres<br />

Vereinslokals ein seltenes Bild: fünf junge Frauen und zwei männliche Begleiter an Schlagzeug und<br />

Kontrabaß sorgten durch natürliches Auftreten und viele gelungene Eigenkompositionen für lockerer<br />

Atmosphäre und verfeinerten Musikgenuß.<br />

Zu Anfang schien es noch, als hätte die vollmundige Vorankündigung von den „Vorzeigefrauen des deutschen<br />

Jazznachwuchses in Moosburg“ so manchen Stammgast eher mißtrauisch als neugierig gemacht, so zögerlich<br />

füllte sich der Jazzclub zur gewohnten Uhrzeit mit Gästen. Später, als nach 22 Uhr die Moosburger Jazzfamilie<br />

fast vollzählich versammelt war, wurde sie für ihr Kommen mit der Erkenntnis belohnt, daß ein Werbeslogan der<br />

Wahrheit mitunter ganz schön nahe kommen kann. Denn die fünf jungen Frauen auf der Bühne, (von denen hier<br />

schon wegen ihres Seltenheitswertes mehr die Rede sein soll, als von den beiden vorzüglichen männlichen<br />

Bühnenroutiniers), konnten in Wahrheit nicht nur optisch einiges „vorzeigen“, auch ihre Musik übertraf das<br />

Niveau einer Jazznachwuchsband in puncto Instrumentenbeherrschung und Arrangement um Klassen.<br />

Zusammengefunden haben sich die Musikerinnen vor mehr als drei Jahren in der Bayerischen Landesjugend-<br />

Jazzbigband, wo auch bei der Saxophonistin, Flötistin und heutigen „Chefin“ der Band, Janine Schrader, die Idee<br />

zu „Palsy Walsy Jazz Company“ heranreifte. Die damalige Besetzung ist heute noch weitgehend zusammen, mit<br />

Ausnahme der beiden männlichen Mitglieder, die inzwischen durch Robert Klinger am Kontrabass und Martin<br />

Kolb am Schlagzeug ersetzt wurden. An der Posaune hat sich Marion Dimbath zu einer kraftvollen und<br />

ideenreichen Blechbläserin entwickelt, der man ihre Begeisterung für ihr Instrument mit seinen warmen<br />

Glissando-Möglichkeiten und seinen strahlenden Klangfarben fast körperlich anmerkt. Mit Fortdauer des<br />

Konzertes schien sie immer intensiver mit ihrem Instrument zu verwachsen und erntete für ihre expressiven<br />

Improvisationen so manchen Sonderbeifall. Aus St. Gallen in der Schweiz stieß Manuela Müller-Kohn mit<br />

Trompete und Flügelhorn zur Gruppe, die froh war, am Ende der „Palsy-Walsy“ Mini-Tournee in Moosburg<br />

einen so liebenswürdigen Club wie den Hirschen kennenzulernen. Ihre eher introvertiert wirkenden Ausflüge in<br />

tiefere und brüchige Bereiche des Trompeten-Klangspektrums schienen jenseits aller Effekthascherei immer aufs<br />

Wesentliche gerichtet zu sein und förderten immer neue Tonfolgen von einfacher Schönheit zutage. Im<br />

Bläsersatz gab die verschmitzt unter ihrem strähnigen Wuschelkopf hervor zwinkernde Person dagegen mit fast<br />

eidgenössischer Präzision den Ton an.<br />

Viel Sympathie erwarb sich die in Amsterdam lebende Studentin der Gitarrenmusik, Christina Jöckel, durch ihre<br />

intelligente und lebendige Auffassung von Begleitung, mit der sie es ihren Mitspielern zum Vergnügen machte,<br />

auf harmonisch anschmiegsamen und rhythmisch dicht gewebten Klangteppichen solistisch abzuheben. Ihr<br />

Unisono-Zusammenspiel mit dem Kontrabass war nicht nur in Klingers „Feridi Testa“ ein Ohrenschmaus, auch<br />

in raffinierten Salsa-Rhythmen oder der anspruchsvollen Harmonik eines Horace Silver meisterte sie jede Hürde


20<br />

mit unaufdringlicher Bravour. Als Bandleaderin, Tenorsaxophonistin und Flötistin überzeugte auch Janine<br />

Schrader das Publikum durch ihre Natürlichkeit, die sowohl in ihren Ansagen als auch in ihrer Spielweise zum<br />

Vorschein kam. Das muntere Parlando, mit dem sie den Programmablauf kommentierte und dabei kleine<br />

technische Pannen ebenso fröhlich dem Gelächter preisgab wie sie im nächsten Atemzug die Leistungen ihrer<br />

Bandmitglieder hervorhob, schien sich in ihren Improvisationen jeweils fortzusetzen, angereichert mit allerlei<br />

widerborstigen und originellen Einfällen, die ihr den Charme eines halb geschliffenen Rohedelsteins verliehen.<br />

Als Fünfte im Bunde gesellte sich mit der Sängerin Anna Hermann eine nur zeitweilig zur Band gehörende<br />

Musikerin auf die Bühne, deren Auftritt zwar anfangs unter der provisorischen Beschallung litt, später aber<br />

durchaus überzeugen konnte, da Anna Hermann neben einer sympathischen Ausstrahlung auch über bestechende<br />

gesangliche und improvisatorische Fähigkeiten verfügt.<br />

Marion Dimbath Manuela Müller-Kohn Janine Schrader<br />

Optisch unauffällig bis fast zur Anonymität verhielt sich an diesem Abend Drummer Martin Kolb, der trotz einer<br />

Grippe präzise und einfühlsame Schlagzeugarbeit beisteuerte und zusammen mit Bass und Gitarre für eine solide<br />

rhythmische Basis sorgte. Ganz in seinem Element schien dagegen Robert Klinger zu sein, der seinen guten<br />

Kontrabass-Draht zu musizierenden Damen schon in mehreren Frauen-Formationen unter Beweis gestellt und<br />

auch gezupft hat. Er bereicherte das Konzert sowohl durch klangvolle Soli als auch durch selbst arrangierte<br />

Eigenkompositionen, wie überhaupt der Anteil eigener Kreationen an diesem Abend aufs Angenehmste<br />

überwog. Ein „Riot Girl“ oder die Vorstadt-Ballade „Molloch Allach“ aus der Feder von Marion Dimbath<br />

hinterließen dabei einen ebenso professionellen Eindruck wie Robert Klingers „Feridi Testa“ oder Janine<br />

Schraders „Finale“-Salsa. Am nachhaltigsten dürfte jedoch die natürliche Ausstrahlung einer jungen Frauenband<br />

in Erinnerung bleiben, die musikalische Präzision als Selbstverständlichkeit und nicht als Herausforderung zum<br />

Imponiergehabe zu betrachten scheint. Daß dabei unter Kreativität keine waghalsigen Hahnenkämpfe verstanden<br />

werden sondern eine eher verhaltene Annäherung an die eigene Idealform, gehört zu den angenehmen<br />

Überraschungen, an die man sich gewöhnen könnte. -rk-


21<br />

Datum: 04.12.99<br />

Zurück zu uralten Lauten und Rhythmen<br />

Gelungener Workshop für Didgeridoo und Djembe im Hirschen<br />

Moosburg. Als Zusatzangebot zu einem Spezialkonzert im „Jazz Club Hirsch“ standen am Samstag die<br />

Interpreten des Abends bereits am Nachmittag für zwei Workshops zur Verfügung, die von zahlreichen<br />

Interessenten aus München und Starnberg, Freising und Moosburg begeistert wahrgenommen wurden. Der<br />

australische Musiker und Didgeridoo-Guru Dean Wilmington und sein afrikanischer Partner und Djembe-<br />

Spieler Famadi Sako entführten dabei die Kursteilnehmer in getrennten Sitzungen jeweils zwei Stunden lang<br />

in die Welt ihrer Musik und gaben damit ein uraltes Erbe australischer und afrikanischer Kultur an die<br />

Schüler weiter.<br />

Zum Glück war der zukünftige<br />

Club- und Büroraum im Gasthaus<br />

„Zum Hirschen“ bereits in einem<br />

wohnlichen Zustand, so daß die<br />

sechs weiblichen Djembe-<br />

Interessenten, die entweder mit<br />

eigenen Handtrommeln<br />

gekommen waren oder<br />

Leihinstrumente von JAHU-<br />

Musik benutzen durften,<br />

ausreichend Platz vorfanden für<br />

eine Trommelsession der<br />

besonderen Art. Famadi Sako, der<br />

in München eine Schule für<br />

traditionelles Trommeln und<br />

afrikanischen Tanz unterhält,<br />

passte sich dem Wissensstand<br />

seiner Schülerinnen problemlos an<br />

und begann mit einfachen rhythmischen Figuren, die jede Schülerin einzeln nachspielen musste. Erst wenn die<br />

eine oder andere Trommelsequenz einigermaßen beherrscht wurde, fügte er seinerseits kontrastierende oder<br />

synkopische Rhythmen dazu, so daß sich schon nach kurzer Zeit hörenswerte, kleine Trommeletüden<br />

entwickelten, die den Kursteilnehmerinnen sichtlich Vergnügen bereiteten. Insgesamt vier verschiedene<br />

Rhythmusfiguren von etwa zweitaktiger Länge wurden so reihum zuerst einstudiert und anschließend in immer<br />

freier werden Variationen weiterentwickelt, wobei der Lehrmeister den rhythmischen Fähigkeiten der einzelnen<br />

sehr feinfühlig und geduldig entgegenkam.<br />

Gleichzeitig hallte der Gastraum nebenan von den dunklen Urlauten eines ansehnlichen Didgeridoo-Orchesters<br />

wieder, wie es Moosburg in dieser Klangfülle wohl nur selten erlebt hat. Auf der Bühne sah sich der junge<br />

australische Maestro Dean Wilmington einem Halbrund von etwa fünfzehn Schülern jeder Altersklasse<br />

gegenüber, die alle ihre eigenen Holzrohre mitgebracht hatten, deren Entstehungs- oder Herkunftsgeschichte<br />

alleine eine abendfüllende Geschichte ergeben hätte. Zwischen Atem- und Tierschreiübungen,<br />

Zirkulationstraining und Lippenlockerung, rhythmischem Silbensalat à la „ku ku ku - ka ka ka“ oder „di gi dung<br />

– da ga dong“ und anderen abgründigen Urlauten tauchte denn auch so manche neugierige Frage nach der<br />

Qualität von Hölzern oder der Machart besonders wertvoller Instrumente auf, die Dean Wilmington alle in<br />

souveräner Weise zu beantworten wußte. Einige der Kursteilnehmer konnten bereits auf musikalische Erlebnisse<br />

mit australischen Ureinwohnern verweisen, andere wiederum hatten sich ihre Didgeridoos selber gebaut und<br />

wollten nun zu gerne die Meinung des Meisters über ihre guten Stücke in Erfahrung bringen.<br />

Am Rande erfuhr man, daß der weltweite Didgeridoo-Boom, der auch Moosburg schon erfaßt hat, in Australien<br />

zu einer alarmierenden Verknappung von Eukalyptusholz führt. Schuld daran seien nicht Termiten, die sich<br />

durch die wohlschmeckenden Äste des Eukalyptusbaumes fressen und so als die eigentlichen Didgeridoo-Bauer<br />

gelten müssen, sondern geschäftstüchtige Australier. Gute Didgeridoos aus Eukalyptusholz kosteten daher heute<br />

bereits bis zu 1000 DM, was dem Lehrmeister den guten Tip entlockte, es doch zuerst einmal mit einem<br />

Plastikrohr aus dem Baumarkt zu versuchen, bevor man sich in hohe Unkosten stürze. Bei der Blastechnik sei es<br />

vor allem entscheidend, aus dem Bauch heraus den eigenen Grundton zu finden, der entsprechend dem<br />

englischen „grunt“ auch als „Grunzton“ bezeichnet werden könnte. In Verbindung mit ihm sei das Didgeridoo in<br />

der Lage, selbst schräge Mißtöne und schrille Schreie, sofern sie nur laut genug ins Rohr gepustet würden, in<br />

reinen Wohlklang zu verwandeln. „Das Didge macht alles schön“ lautete denn auch das Fazit des Meisters, der<br />

nicht nur für diese frohe Botschaft die helle Begeisterung seiner Schüler verdient hatte, sondern auch für seine<br />

extrem entwickelte Kunst, einem Holzrohr einen Kosmos von geheimnisvollen Urlauten zu entlocken. -rk-


22<br />

Urige Didgeridoo-Kultnacht im Hirschen<br />

Datum: 04.12.99<br />

Konzert mit Dean Wilmingtons „Pulse“ animiert zum Mittrommeln<br />

Moosburg. Dicht gedrängt wurde das „Jazz Club Hirsch“-Publikum am Samstagabend Zeuge eines<br />

mitreißenden Bühnenspektakels, in dessen Mittelpunkt der Didgeridoo-Magier Dean Wilmington und seine<br />

Partner Famadi Sako an der „Djembe“-Handtrommel und Steven Young mit Klarinette und Bassklarinette<br />

die Zuhörer in Begeisterung versetzten. Als zu fortgeschrittener Uhrzeit sogar trommelnde Besucherinnen<br />

und Rasta gelockte Musikerfreunde die Bühne bevölkerten, um die Besucher mit ihrem spontanen<br />

Temperamentsausbruch vollends aus dem Häuschen zu bringen, war die urige Didgeridoo-Kultnacht von<br />

Moosburg perfekt.<br />

Dass an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend neben<br />

allerlei Schnickschnack ausgerechnet auch das<br />

wahrscheinlich älteste Musikinstrument der Erde nahezu<br />

kultische Verehrung genießt, darf nach dieser Nacht im<br />

Moosburger Hirschen zu den eher liebenswürdigen<br />

Spleens einer Gesellschaft gezählt werden, vor deren<br />

Sehnsucht nach Kultur inzwischen alles zum Kult wird,<br />

was länger als einen Monat die Aufmerksam breiterer<br />

Schichten erregt. Ja, es war eine urige Kultnacht,<br />

getragen von dem Verlangen, gemeinsam den Ur- Ur-<br />

Ursprüngen von Tönen und Geräuschen, Lauten und<br />

Klängen auf die Spur zu kommen, bevor sie zu dem<br />

werden, was die alten Griechen erst viel später als<br />

„Musik“ bezeichneten und darunter die absichtsvolle<br />

Organisation von periodischen Schallschwingungen,<br />

sprich Tönen, verstanden. Vielleicht waren auch deshalb<br />

die Frauen an diesem gesamten Didgeridoo- und<br />

Djembe-Tag im Hirschen eindeutig in der Überzahl, weil<br />

sie sich für die Herkunft einer Musik, die nach der Lehre<br />

des Didgeridoo-Botschafters Dean Wilmington „aus<br />

dem Bauch“ kommen muss, von Natur aus mehr<br />

interessierten als Männer, die schon beim<br />

nachmittäglichen Workshop eher über die Herstellung<br />

von Obertonreihen mit Hilfe der Kopfstimme<br />

nachzudenken schienen.<br />

Im Mittelpunkt stand dabei immer der persönliche,<br />

sogenannte „grunt“-Ton des Australiers Dean<br />

Wilmington, den man in etwa als den „individuellen<br />

Grunzton der natürlichen Stimmlage eines jeden einzelnen“ bezeichnen könnte. Je nach dem, welches Instrument<br />

aus seinem umfangreichen Didgerido-Sortiment der Künstler gerade ansetzte, bildete sein „grunt“ einen<br />

orgelpunktartigen, das heißt, gleichbleibenden Grundton für das entsprechende Musikstück, über dessen<br />

vielfältig pulsierende Schwingungen und Rhythmisierungen der Künstler selbst und seine beiden Mitspieler dann<br />

zu improvisieren begannen.<br />

Es gab Besucher, die sich den so entstehenden Ur-Klangerlebnissen lieber mit geschlossenen Augen hingaben<br />

und sich gerne in eine Art natürlicher Trance entführen ließen, was durch Titelbezeichnungen wie „Yellow<br />

Waters“ noch erleichtert wurde, in denen Szenen aus längst versunkenen Tierparadiesen zu entstehen schienen.<br />

Ob dabei nun das „Urviech“ in jedem Einzelnen angesprochen wurde, oder die Sehnsucht nach einer Art<br />

vorsintflutlicher Schönheit, mag dahingestellt bleiben, die Mischung aus Ur-Folklore und Freejazz, Gegrunze<br />

und Getrommel verfehlte ihre befreiende Wirkung auf die Moosburger und viele angereiste Didge-Fans nicht, so<br />

dass Famadi Sako keine Mühe hatte, einige Schülerinnen seines Workshops für ein weibliches Trommeltrio auf<br />

der Bühne zu gewinnen. Hinzu gesellten sich wie durch Zauberei noch weitere Djembe-Freunde aus den<br />

heißeren Regionen der Erde, so dass man sich plötzlich einer fast besessen musizierenden, bunten Truppe aus<br />

„eingeborenen“ Trommlerinnen und „zuagroasten“ Rastafaris gegenübersah, welche die Hirsch-Bühne in einen<br />

wahren Hexenkessel verwandelten. Auch vor der Bühne trommelten Stadträtinnen und Hausfrauen um ihr<br />

Leben, als gelte es, auf jeden Fall aus sich heraus- und - wenn möglich - in sein besseres Ur-Ego überzugehen.<br />

Das Publikum fand an dem geregelten Durcheinander des „wilden“ Treibens so viel Gefallen, dass es gar nicht<br />

daran dachte, die langsam in Schweiß geratenden Musik-Animateure von der Bühne zu lassen. Erst nach vielen<br />

Zugaben und hinreißenden Expeditionen einzelner Musiker in rätselhafte Grenzbereiche prähistorischer<br />

Musikkultur stellte sich bei den Zuhörern eine tief empfundene Zufriedenheit ein über einen Abend, von dem<br />

nicht nur unter „Didge“- und „Djembe“- Anhängern noch lange die Rede sein dürfte. -rk-


23<br />

Datum: 09.12.99<br />

Gepflegtes Jazz-Entertainment für Verwöhnte<br />

„Characters“ aus Regensburg gaben ihr Debüt im Hirschen<br />

Characters aus Regensburg Annette Frank<br />

Moosburg. Das derzeitige Programm-Hoch im Hirschen hält an. Nach Lady-Jazz vom feinsten und einer<br />

denkwürdigen Didgeridoo-Performance am Wochenende gaben beim turnusmäßigen Mittwochskonzert vier<br />

sympathische „Characters“ aus Regensburg ihre Visitenkarte in Moosburg ab und empfahlen sich durch<br />

gepflegtes Mainstream-Jazz-Entertainment für ein Wiederholungskonzert im nächsten Jahr vor größerer<br />

Kulisse.<br />

Kenner der Ausgehgewohnheiten von Moosburger Jazzliebhabern sprachen angesichts der ungewöhnlich<br />

überschaubaren Besucherkulisse am Mittwochabend bereits von „verwöhnten“ Jazz-Gourmets, die man durch<br />

Vorankündigungen wie „Swingender Akustik Jazz“ gar nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken könne. Wenn<br />

dem tatsächlich so ist, haben sich alle, die dem Gastspiel der „Characters“ fernblieben, selbst um eine<br />

lohnenswerte Begegnung mit drei Vollblutinstrumentalisten und einer außergewöhnlich aparten und<br />

ausdrucksstarken Sängerin gebracht. Da die gebürtige Freiburgerin, die unter ihrem Mädchennamen Annette<br />

Bolz in Jazzerkreisen schon zu den hoffnungsvollen Nachwuchstalenten zählte, vor vier Monaten nach Bad<br />

Abbach bei Regensburg geheiratet hat, wurde sie dem Publikum überraschend als Annette Frank vorgestellt, was<br />

jedoch nichts an ihrer mädchenhaften Natürlichkeit änderte, mit der sie die Zuhörer vom ersten Ton an für sich<br />

einnehmen konnte. Ein elegant-legerer Hosenanzug, dazu die aparte, kastanienrote Kurzhaarfrisur und ein<br />

dezentes Make-up deuteten an, daß der Bühnenauftritt einer Jazz-Entertainerin reinsten Wassers bevorstand, die<br />

sich mit Leib und Seele der Musik ihrer großen Idole Cole Porter, George Gershwin oder Kurt Weill<br />

verschrieben hat. Tatsächlich schien die junge Frau ihren schmalen Körper ganz in den Dienst der Musik zu<br />

stellen und spiegelte auf feinen Gesichtszügen den ganzen Empfindungsreichtum der sehr bewußt und mitteilsam<br />

interpretierten Songtexte wieder. Bezüglich ihrer in allen Lagen sicheren und ausdrucksvollen Stimme gab es für<br />

die gelernte Klassikerin und spätere Absolventin der berühmten Jazzschule in Hilversum nichts, was ihr<br />

Probleme zu bereiten schien. Im Gegenteil verfügte die leidenschaftliche Scat-Sängerin auch bei Up-Tempo-<br />

Nummern wie Cole Porters „Love for sale“ über hohe improvisatorische Fähigkeiten, die nie in schrille oder<br />

unkontrollierte Passagen entglitten. Erst recht in Balladen wie Kurt Weills und Ira Gershwins „My Ship“ oder<br />

„My one and only Love“ gelangen Annette Frank sehr persönliche Interpretationen, bei denen sie die berühmten<br />

Evergreens von jeglicher Nostalgie befreite und sie in neuer, zeitloser Schönheit zum Leben erweckte.<br />

Ihre Begleiter standen ihr an Musikalität und Geschmack nicht nach. Hans „Yankee“ Meier an der elektrischen<br />

Akustikgitarre achtete jederzeit auf eine ausgewogene Sound-Balance und unterlegte den Gesang mit stimmigen<br />

und vielfarbigen „Chords“, die nie aufdringlich wirkten. Seine kompositorischen Fähigkeiten überzeugten<br />

vollends in der Ballade „Samuel“, in der er seinem Sohn, dem das Stück gewidmet ist, ein gefühlvoll erzähltes<br />

Märchen zu erzählen schien. Seine solistischen Eskapaden begleitete er selbst gerne mit leisem Unisono-Gesang,<br />

was überhaupt eine Spezialität der „Characters“ zu sein schien, denn auch Kontrabassmann Wolfgang Kriener<br />

überraschte nach dem Vorbild des großen Slam Stewart immer wieder mit gesungenen Improvisationen, die<br />

seinen flinken und technisch anspruchsvollen Bassläufen wie ein Echo folgten. Ganz im Sinne des<br />

kammermusikalischen Zusammenspiels griff Schlagzeuger Michael „Scotty“ Gottwald hauptsächlich zu den<br />

Besen und machte nur bei einigen Soli Gebrauch von den „Hot Rods“, um seine imponierende Trommelkunst<br />

unter Beweis zu stellen.<br />

Zur lockeren Atmosphäre des gelungene Abends trug ansonsten auch die herzliche und humorvolle Beziehung<br />

der Musiker untereinander bei. Sie haben sich als Lehrer der Regensburger Fachhochschule für Rock- Pop- und<br />

Jazzmusik kennengelernt, wo sie auch heute noch unterrichten, wenn sie nicht gerade in wechselnden<br />

Besetzungen unterwegs sind. Nach einer ergreifenden Ballen-Zugabe klang der Abend mit einem herzlichen<br />

Beifall aus, der beim nächsten Besuch der „Characters“ im Hirschen ruhig etwas kräftiger klingen könnte. -rk-


24<br />

Grenzüberschreitende Kammermusik<br />

“Elsa va dor” aus München überzeugt im Jazz Club Hirsch<br />

Datum: 16.12.99<br />

Moosburg. Das Trio “Elsa va dor” aus<br />

München überraschte am Mittwoch<br />

die Zuhörer im “Jazz Club Hirsch”<br />

mit kammermusikalisch inspirierten<br />

Eigenkompositionen und erzeugte<br />

dabei auf Posaune, Klarinette und<br />

Violoncello ebenso reizvolle wie<br />

unkonventionelle Klangfarben, wobei<br />

einige Stücke noch durch ein<br />

Akkordeon angereichert wurden.<br />

Die Notenblätter, auf die an diesem<br />

Abend die konzentrierten Blicke der<br />

Akteure gerichtet waren, enthielten<br />

durcharrangierte Eigenkompositionen<br />

der Posaunistin Marion Dimbath, oder<br />

bearbeitete Themen von Carla Bley,<br />

Chick Corea oder Charlie Haden, die<br />

mit viel kammermusikalischem Gespür<br />

zu Gehör gebracht wurden. Einziger Mann auf der Bühne war der Violoncellist Thilo Steinmetz (23), der sein<br />

Instrument in überzeugender Weise zu behandeln wusste. Obwohl man ihn sogar als Profi hätte einschätzen<br />

können, gab er sich im Pausengespräch als Student der Physik zu erkennen, der zwar auf allen Hochzeiten<br />

zwischen Heavy Metal und Jazz ein gefragter Gast ist, sich aber dennoch nicht für den Beruf eines Musikers<br />

entscheiden kann. Er gab den Darbietungen durch sein gefühlvolles Spiel eine stets souveräne Basis.<br />

Komplettiert wurde das Trio durch die beiden Dimbath- Schwestern Marion und Nikola, die ihre Musikalität<br />

nach eigenem Bekunden sowohl ihrer Mutter verdanken als auch der Tatsache, dass sie beide schon früh mit<br />

dem Klavier Bekanntschaft schlossen. Die Grafikerin Nicola Dimbath versteht ihr Klarinettenspiel<br />

ausschließlich als Hobby, obwohl sie als gediegene Könnerin gelten kann. Ebenso ihre Schwester Marion, der<br />

sogar eine vielversprechende Laufbahn als Posaunistin, Komponistin und Arrangeurin offen zu stehen scheint.<br />

Das Überraschende an diesem<br />

Abend waren weniger die<br />

technischen Fähigkeiten einzelner<br />

Musiker, zu denen sich einige Male<br />

auch die Akkordeonistin Anja Stahl<br />

als “Stargast” gesellte, sondern die<br />

hohe Qualität der Arrangements und<br />

ihre sensible Umsetzung.<br />

Der jungen Marion Dimbath sind<br />

zahlreiche ausdrucksvolle Trio- oder<br />

Quartett- Miniaturen gelungen, die<br />

teilweise noch etwas etüdenhaft<br />

wirken, dabei aber viel Talent für die<br />

künstlerische Aufbereitung von<br />

Musik verraten. Ihr Verständnis für<br />

die typischen Klangfarben der<br />

Instrumente lässt bereits Ansätze<br />

einer eigenen musikalischen Handschrift erkennen.<br />

Titel wie “Afro-Munich”, “Molloch Allach” oder “Dansant pour les Enfant” können sich jederzeit messen mit<br />

dem “Reactionary Tango” einer Carla Bley oder Charlie Hadens “L´Apassionaria”, aber auch mit den<br />

brasilianischen “Choro”- Stücken eines Pixinguinha wie “Abracando Jacaré” oder dem “El sega d´or” aus El<br />

Salvador. Welchen klanglichen Feinheiten der Arrangeurin vorschweben, wurde in ihrer Komposition “Die<br />

Verführung” besonders deutlich. Zwar bedurfte es noch einführender Worte, um zu betonen, dass es sich dabei<br />

keineswegs um ein Liebeslied handelt, aber irgendwann wird die Musikerin Marion Dimbath ohne Worte<br />

auskommen. –rk-


25<br />

Datum: 22.12.99<br />

Vulkane, die in Ehrfurcht erstarren<br />

Munich Jazz Orchestra bringt Kenny-Wheeler-Suite zur Aufführung<br />

Freising. Es erinnerte fast ein bißchen an die Rituale vor einem Langstreckenflug, als der zum Chefsteward<br />

der Musiker-Crew avancierte Posaunist Johannes Herrlich die Gäste im gut besetzten Unterhaus aufforderte,<br />

währen der rund 90minütigen „Suite“ des Stargastes Kenny Wheeler das Rauchen doch bitte einzuschränken<br />

und das Bier lieber in den Beifallspausen zu holen. Zumindest wußte der Konzertbesucher von nun an, daß<br />

ihm Ernstes bevorstand, und zwar pausenlos. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch, als die Crewmitglieder<br />

des „Munich Jazz Orchestra“ namentlich vorgestellt wurden. Da konnten dem Kenner schon heiße<br />

Ehrfurchtschauer über den Rücken laufen bei so viel geballter Jazzkompetenz aus der Landeshauptstadt auf<br />

einer Freisinger Bühne.<br />

Im „Munich Jazz Orchestra“, einer<br />

von Projekt zu Projekt mehr<br />

überlebenden als tatsächlich<br />

lebensfähigen Einrichtung der<br />

Gründer Guido May, Thomas<br />

Stabenow und Franz Weyerer,<br />

denen irgendwann das Warten auf<br />

einen Platz in einer<br />

funktionierende Bigband einfach<br />

zu lange dauerte, so daß sie<br />

kurzerhand ein eigenes 12köpfiges<br />

Jazzorchester in Leben<br />

riefen, haben sich von Anfang an<br />

Spitzenkräfte der Münchner<br />

Jazzszene zusammengefunden.<br />

Schon das Project No.1, das 1998<br />

die Musik des Münchener<br />

Urgesteins Joe Haider zum Inhalt<br />

hatte, sah Könner wie Thomas Faist und Peter Tuscher neben Hermann Breuer und Gerhard Gschlößl, und löste<br />

dennoch neben viel Begeisterung ebenso viel Nachdenklichkeit aus, ob das Konzept auf Dauer lebensfähig sein<br />

würde. Das Project No.2 war dann der Musik des Komponisten und Arrangeurs Roger Janotta gewidmet und rief<br />

ebenfalls zwiespältige Reaktionen hervor, auch unter Musikern selbst, denen die Wirtschaftlichkeit des<br />

Unternehmens zunehmend fraglich erschien.<br />

Im Project No.3 hieß nun der Gast, um dessen Musik sich alles drehte, Kenny Wheeler, der aus Kanada<br />

stammende und in London lebende Komponist und Arrangeur, Trompeten- und Flügehornstar, der weltweit zu<br />

den Großen des Jazz gerechnet werden darf, seitdem ihm mit Partnern wie Keith Jarrett, Dave Holland, Lee<br />

Konitz, Bill Frisell, Jack DeJohnette, John Taylor und anderen auf Manfred Eichers ECM-Label der große<br />

Durchbruch gelang. Auch in Deutschland entwickelte Kenny Wheeler ein festes Standbein als Mitglied der<br />

Formation „United Jazz und Rock Ensemble“, für die er zahlreiche eigene Stücke und Arrangements beisteuerte.<br />

Für das Project No.3, das nach der Lindenkeller-Generalprobe am nächsten Tag auch vom Bayerischen<br />

Rundfunk mitgeschnitten wurde, hatte Kenny Wheeler ebenfalls Eigenes mitgebracht und zwar eine „Suite“, die<br />

zwischen sieben durcharrangierten Teilen auch Platz für Improvisationen der hochkarätigen Solisten aufwies.<br />

Um im Bild des Langstreckenfluges zu bleiben: die Maschine hob schwerfällig ab, gewann dann langsam an<br />

Höhe und ging bald in einen gemächlichen Geradeausflug über, bei dem man alle Zeit der Welt hatte, sich in die<br />

spezielle Harmonik des leidenschaftlichen Melancholikers Wheeler hineinzuhören. Seine Kompositionen<br />

eröffnen stets eine eigene Welt moderner Harmonik, Melodik und einer eigentümlich schwebenden Trauer.<br />

Seine Arrangierkunst verwendet häufig Ostinatofiguren und sequenzierte Intervallmotive, gänzlich ungerade<br />

Taktformen und eigenwillige Akkorde mit tonartfremden Grundtönen im Bass oder verminderten Major-<br />

Akkorden. Über dem prallen Bigbandsound schwebt häufig die hohe Gesangsstimme von Merit Ostermann als<br />

reizvolle Verdoppelung der Melodiestimme und einziges weibliches Element in einem ansonsten männlich<br />

dominierten Eliteensemble.<br />

Auch in Wheelers neuester Suite überwiegen ausschweifende, harmonische Schwelgereien, in denen der<br />

Komponist seiner Vorliebe für immer neue Klangkaskaden nachgibt, die neuerdings sogar bis ins Pompöse<br />

ausufern dürfen. Seltener dagegen bekommt die Rhythmusgruppe, die an diesem Abend mit Roberto di Gioia<br />

(Klavier), Thomas Stabenow (Kontrabass), Falk Willis (Schlagzeug) und Peter O’Mara (Gitarre) überragend<br />

besetzt war, Gelegenheit für ihre elektrisierenden Vorstöße, mit denen sie der Band einige male gehörig Beine<br />

machte, was angesichts eines fast zum Stillstand kommenden, schwermütigen Klanggletschers auch höchst<br />

willkommen war.<br />

Fiel der Blick hin und wieder auf den Gaststar, der in seiner grauen Feierabendweste wie ein Mahnmal des<br />

unbekannten Musikbeamten durch randlose Brillengläser vor sich hin starrte, mochte man kaum glauben, daß er


26<br />

es war, dem sich an diesem Abend alles unterzuordnen hatte, selbst sattsam bekannte Vulkane an Kreativität, die<br />

bei so konsequenter Kanalisierung gezwungenermaßen auf Sparflamme umschalteten. Befreiende Momente<br />

verdankte man fast ausschließlich der Rhythmusgruppe, die bei einigen Up-Tempo-Passagen gemeinsam mit<br />

losgelöst aufspielenden Solisten daran erinnerte, daß dies ein Jazzkonzert war und keine philharmonische Seance<br />

für Besserhörende.<br />

Es erstaunt, daß ein so erfahrener<br />

Mann wie Kenny Wheeler<br />

vergessen zu haben scheint, daß<br />

Musik von Pausen lebt. Von<br />

Pausen zwischen den Tönen, aber<br />

auch von Pausen zwischen den<br />

Stücken, damit die Töne bzw. die<br />

Stücke besser atmen können, und<br />

mit ihnen die Zuhörer, die auch<br />

nur Menschen sind. Neunzig<br />

Minuten anspruchsvolle Suiten-<br />

Soundpower Nonstop waren des<br />

Guten einfach zuviel! Ein Grund<br />

für das atemlose Herunterspielen<br />

von sieben durch Interludes<br />

miteinander verbundenen Teilen<br />

war außerdem nicht zu erkennen.<br />

Vielmehr hätte es wohl jeder als<br />

wohltuend empfunden, sich nach einem schweren Stück wie „Deriviation“ oder „The Deathly Child“ oder<br />

„Phrase Second“ nach üppigem Beifall auf ein neues Stück einstellen zu können. Statt dessen gönnten sich<br />

lediglich die Musiker, die gerade Tacet hatten, ihre kleinen Erholungspausen, und zwar nach einer etwas<br />

rätselhaften Choreografie des ständigen Kommens und Gehens.<br />

Abgesehen von dieser etwas ermüdenden Länge boten sämtliche Musiker die erwartet hohe Leistung und<br />

überzeugten reihenweise durch Persönlichkeit und Spielkultur. Thomas Zoller (Bariton), Kulturförderpreisträger<br />

´98 Johannes Enders (Alt) und Till Martin (Tenor) überzeugten an den Saxophonen. Einziger Posaunist war<br />

Johannes Herrlich. Claus Reichstaller, Franz Weyerer und Kenny Wheeler beflügelten sich gegenseitig zu<br />

Höchstleistungen auf Trompete und Flügelhorn. Merit Ostermann wirkte vor allem als Leadstimme über dem<br />

Orchester immer sicher. Die o.a. Rhythmusgruppe war über jeden Zweifel erhaben. Die Tonregie von Bernhard<br />

Klutschaks Bekaton-PA-Verleih funktionierte ausgezeichnet. Als besonders wohltuend wurde von vielen die<br />

letzte Zugabe empfunden, bei der nur noch ein Quintett auf der Bühne stand. Der Grund: plötzlich spielten fünf<br />

Musiker miteinander, hörten sich gegenseitig zu und gingen aufeinander ein. Die Spannung, die dabei entstand,<br />

hatte sich niemand vorher ausgedacht. -rk-


28<br />

Zwei Posaunen wie aus einem Guss<br />

Datum: 13.01.00<br />

Gelungener Auftakt im „Jazz Club Hirsch“ mit den „Bon Bones“<br />

Moosburg. Für Freunde des gepflegten Bebop-Jazz begann das Jahr im „Jazz Club Hirsch“ mit einem<br />

musikalischen Appetizer der Extraklasse namens „Bon Bones“. Im Gegensatz zur Mehrdeutigkeit des<br />

originellen Bandnamens, den man wahlweise als „Gute Knochen“ oder „Süße Posaunen“ übersetzen könnte,<br />

fiel das Urteil des Publikums über die Musik des Quintetts eindeutig aus und reichte von „ausgezeichnet“ bis<br />

„hervorragend“.<br />

Nach den vier Großmeistern von „Trombone-Fire“ und ihrem Gastspiel Ende Oktober war dies die zweite<br />

Begegnung mit einer geballten Ladung Posaunengebläse im Jazz Club Hirsch, bei der die Zuhörer voll auf ihre<br />

Kosten kamen, und diesmal sogar gratis. Sie scheinen sich derzeit zu suchen und zu finden, die<br />

Blechbläserartisten mit den großen Lungen und den langen Armen, die dem symbolträchtigen Instrument des<br />

jüngsten Gerichts mit seinen zwei U-förmig gebogenen, ineinander gleitenden, zylindrischen Röhren den satten<br />

Wohlklang musizierender Erzengel zu entlocken verstehen. In vorderster Front auf der Jazz Club Hirsch-Bühne<br />

stellten sich an diesem Abend mit Matthias Götz aus Heidelberg und dem Münchner Martin Ostermeier gleich<br />

zwei exzellente Einzelkönner ihres Faches vor, die bei allem unterschiedlichen Temperament dennoch wie aus<br />

einem Guß miteinander musizierten.<br />

Was die beiden miteinander verbindet, ist ihre<br />

gemeinsame Bewunderung für zwei legendäre<br />

„giants“ der Jazzposaune, nämlich Kay<br />

Winding und J.J. Johnson, die in den 50-iger<br />

und 60-iger Jahren viel zusammengearbeitet<br />

und dabei die Kunst des Posaunenspiels in bis<br />

dahin ungeahnte Höhen weiterentwickelt<br />

haben. Viele Titel stammten denn auch aus<br />

jener Zeit, manche sogar aus dem Repertoire<br />

der beiden großen Vorbilder, die an ihren<br />

talentierten Nacheiferern ihre reinste Freude<br />

gehabt hätten. Unterschiede in puncto<br />

technischer Raffinesse herauszuhören war so<br />

gut wie unmöglich, gaben sich doch beide dem<br />

viel spannenderen Vergnügen hin, sich in fast<br />

brüderlicher Verbundenheit einander<br />

anzugleichen und zu ergänzen, was in ihren raschen und reibungslos funktionierenden Wechselspielen besonders<br />

gut zum Ausdruck kam. Aber auch in der Tongebung und rhythmischen Phrasierung schien der eine dem<br />

anderen auf engste verbunden zu sein, was bei direkt aufeinander folgenden Improvisationen zuweilen sogar den<br />

Eindruck eines einzigen, großen Posaunensolos hinterließ. Hier hätte aus dramaturgischer Sicht vielleicht sogar<br />

ein häufigerer Instrumentenwechsel für mehr Kurzweil gesorgt, zumal das Quintett über drei weitere Solisten<br />

von hohen Graden verfügt, die sich keineswegs hinter ihren beiden Frontmännern zu verstecken brauchten.<br />

Als einfühlsamer Begleiter und brillanter Solist am Klavier erwies sich der Allgäuer Christian Ludwig Mayer,<br />

der trotz seiner Jugend bereits ein breites Spektrum von lyrischen und rhythmischen, manchmal sogar äußerst<br />

effektvollen Ausdrucksmöglichkeiten beherrscht. Ihm dürfte eine vielversprechende Laufbahn als Pianist offen<br />

stehen, der scheinbar mühelos zwischen verschiedenen Stilrichtungen wechseln und daher in jeder Formation<br />

spielend mithalten kann. Auch am Kontrabaß ist „Bon Bones“ bestens besetzt mit Tiny Schmauch, einem<br />

weiteren Allgäuer Musiker, der über ein hervorragendes Timing verfügt und interessante, melodische Baßlinien<br />

zu setzen versteht, die dem Sound der Gruppe Wärme und Gefühl verleihen. Ihm beim Spielen zuzuschauen<br />

bereitet zusätzliches Vergnügen, weil er mit spürbarer Inbrunst zu Werke geht und seinen ganzen Körper in den<br />

Dienst der Musik zu stellen scheint.<br />

Als eine Art „Stargast“ wurde der Argentinier Alex Sanguinetti am Schlagzeug vorgestellt, der in Moosburg erst<br />

zum dritten mal mit der Gruppe musizierte. Er fand sich kraft seiner langjährigen Erfahrung, die er in über<br />

zwanzig Jahren in vielen namhaften Bands dieser Welt gesammelt hat, mühelos in den zum Teil recht<br />

anspruchsvoll arrangierten Stücken zurecht und nahm seine Mitspieler und die staunenden Zuhörer durch<br />

stilsichere Zurückhaltung und hohe technische Perfektion für sich ein. Seine solistischen Einlagen sprühten vor<br />

akrobatischem Witz und rhythmischem Einfallsreichtum, so daß man die lobenden Erwähnungen durch seine<br />

Mitspieler gut verstehen konnte, die sich glücklich schätzen, seit kurzem einen Top-Trommler dieses Formats in<br />

ihren Reihen zu haben. Perfekt vorgetragene Bebop-Arrangements, aus ausgewogener, nie aufdringlicher Sound<br />

und viele originelle Improvisationen bescherten den Zuhörern einen hohen Konzertgenuß, der zu Beginn des<br />

Jahres genau den richtigen Appetit macht auf viele, weitere gelungene Abende im „Jazz Club Hirsch“. -rk-


29<br />

Datum: 21.01.00<br />

Willkommene Abwechslung mit „Justyn Time“<br />

Ungewohnte Funk- und Soul Sounds im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Das Gastspiel der Gruppe<br />

„Justyn Time“ im Jazz Club Hirsch bot<br />

am Mittwoch zahlreichen Jazzfreunden<br />

in puncto Sound eine willkommene<br />

Abwechslung. Im überwiegend aus<br />

Eigenkompositionen bestehenden<br />

Programm des aus zwei Bläsern,<br />

Gitarre, E-Bass und Schlagzeug<br />

formierten Quintetts überwogen soulige,<br />

funkige und lateinamerikanische<br />

Rhythmen, die im Angebot des Jazzclubs<br />

sonst eher Mangelware sind.<br />

Sie zeigten sich anfangs amüsiert und<br />

überrascht über das Prädikat „Partyjazz“,<br />

mit dem ihr Auftritt in Moosburg<br />

angekündigt worden war, die fünf<br />

sympathischen Mit-Dreißiger aus München, die nach ihrem Gastspiel 1998 bereits zum zweiten mal ihre<br />

Aufwartung in Moosburg machten. Doch als sich die „Hütte“ zunehmend mit neugierigen Jazzfreunden füllte,<br />

hatte die Werbemaßnahme auch in ihren Augen ihren Zweck bestens erfüllt. Was es mit dem gut gemeinten<br />

„Partytip“ in Wahrheit auf sich hatte, erfuhren die Besucher dann im Verlaufe eines interessanten und<br />

abwechslungsreichen Konzertes, das geprägt war von rockigen und souligen, funkigen und lateinamerikanischen<br />

Sounds, die kaum einmal von den sonst auf der Hirsch-Bühne vorherrschenden Grooves wie Swing oder Bebop<br />

unterbrochen wurden. Ausschlaggebend dafür war vor allem die Besetzung, in der die Rhythmusgruppe um den<br />

persisch-österreichischen Gitarristen Saman Vossoughi mit Thomas Gätjens am E-Bass und Andreas Hauer am<br />

Schlagzeug den stilistischen Ton angab.<br />

Erinnerungen an Herbie Hancock oder George Benson mit ihrer stark durch Pop- und Souleinflüsse geprägten<br />

schwarzen Musik wurden wach, als sich die Rhythmsection ein ums andere mal mit einfachen Baßlinien in<br />

tanzbare Riffs hinein groovte, über denen die beiden Saxophonisten Thomas Maier und Bernhard Detzel dann<br />

ihre eingängigen Melodienbögen entwickeln konnten. Dabei schienen solistische Eskapaden weit weniger<br />

gefragt zu sein als stimmiges Zusammenspiel und originelle Arrangements, die meist wie durchkomponierte<br />

Stücke vorgetragen wurden.<br />

Bei so viel Anleihen aus den Quellen der Black Music konnte natürlich der Vergleich zu den großen schwarzen<br />

Vorbildern nicht ausbleiben, der – bei allem Respekt vor dem erfrischenden Konzept – nicht immer zu Gunsten<br />

der weißen Männer auf der Bühne ausfallen konnte. Zu brav vor allem das E-Baßspiel von Thomas Gätjens, der<br />

seine gute Technik zu selten für wirklich schnalzende Slap-Synkopen einsetzte und sich statt dessen häufig mit<br />

dem wesentlich impulsiveren Kollegen am Schlagzeug ins Gehege kam, der wiederum seine Eingebungen eher<br />

aus der expressiven Trommelsprache afrikanischer Vorbilder zu schöpfen schien als aus der schlanken<br />

Diätküche amerikanischer Funk- und Soulköche. Große Verdienste um die Verschmelzung beider Auffassungen<br />

erwarb sich Saman Vossoughi an der Gitarre, in dem er jede Möglichkeit zur harmonischen Anreicherung oder<br />

rhythmischen Differenzierung nutzte, die sich im drohenden Nebeneinander von Baß und Schlagzeug eröffneten.<br />

Auch seine Eigenkompositionen zeugten von einem außergewöhnlich vielfältigen Musikverständnis, in dem<br />

Elemente orientalischer Musik ebenso Platz zu haben schienen wie europäische oder amerikanische Traditionen.<br />

Eigenes steuerten auch die beiden Bläser des Ensembles bei, die neben Saman Vossoughi für die meisten<br />

Kompositionen verantwortlich zeichneten. Dabei machten sowohl Thomas Meier als auch Bernhard Detzel nur<br />

selten den Versuch, sich als überragende Improvisationskünstler oder Sound-Erneuerer zu empfehlen, sondern<br />

beließen es häufig bei kurzen, fast wie einstudiert wirkenden solistischen Einlagen zwischen den arrangierten<br />

Teilen und nahmen dem Ganzen dadurch einiges von der sonst für den Jazz typischen Spontanität.<br />

Daß sich die Besucher dennoch gut amüsierten, lag wohl an der ungewohnten Zusammenstellung des<br />

Repertoires, das insgesamt eine bekömmliche Mischung aus eingängigen Melodien und tanzbaren Rhythmen<br />

darstellte. Auf die Pausenfrage, warum viele Stücke alles andere als routiniert wirkten, obwohl die Band doch<br />

fast seit zehn Jahren zusammen spiele, hatte Thomas Maier eine verblüffend einfache Antwort parat. „Sobald wir<br />

ein Stück richtig draufhaben, verschwindet es meistens aus dem Programm. Dadurch kommen die Zuhörer oft in<br />

den Genuß von Stücken, an denen wir gerade arbeiten!“ Neugierig geworden auf Titel, die an diesem Abend<br />

nicht auf der Bühne erklangen, hätte man gerne eine der beiden bisher erschienen CDs gekauft, doch daraus<br />

wurde leider nichts. Mit entwaffnender Offenheit gestand Thomas Maier ein, daß noch vierhundert CD-<br />

Exemplare zu Hause im Regal lägen, die man aber leider vergessen habe, mit nach Moosburg zu bringen.<br />

Insgesamt drei Zugaben entschädigten dann auch für dieses sympathische Eingeständnis von Künstlerpech. -rk-


30<br />

Ein Gastspiel ohne Blues in c-moll<br />

Datum: 28.01.2000<br />

Wenig Zuhörer und eine gebrochene Taste beim Robert Probst-Trio<br />

Moosburg. Pianotrio-Jazz<br />

vorn Feinsten servierte am<br />

Mittwoch. das Robert Probst<br />

Trio aus München im Jazz<br />

Club Hirsch. Leider fanden<br />

wegen des Wetters nur<br />

wenige den Weg in den<br />

Hirschen, was die Spiellaune<br />

der drei Ausnahmekönner<br />

zunächst nur wenig<br />

beeinträchtigte. Als dann<br />

aber eine schwarze Taste<br />

verstummte und später sogar<br />

abbrach, wurde aus der<br />

Pianokür eine Pflichtübung.<br />

Es war das eingestrichene „Es“, das an diesem Abend nicht nur den Mittelpunkt der Klaviertastatur bildete,<br />

sondern leider auch zum Mittelpunkt eines Gastspiels wurde, das so swingend und brillant begonnen hatte, wie<br />

ein Jazzabend mit drei hervorragenden Musikern nur beginnen kann. Robert Probst am Klavier, sein um zwei<br />

Jahre älterer Bruder Walter Probst am Schlagzeug und Lui Leininger am Kontrabass hatten sich nach eigener<br />

Aussage auf den Abend im Hirschen echt gefreut, weil sie hier in der Vergangenheit nur beste Erfahrungen mit<br />

dem Moosburger Publikum und der besonderen Clubatmosphäre gemacht hatten.<br />

Im ersten Set ließen sich die Drei denn auch nicht beeindrucken von den vielen leeren Stühlen und machten statt<br />

dessen beste Werbung für ihre kammermusikalisch angehauchte Kunst der leisen aber wirkungsvollen Trio-<br />

Töne. Speziell Robert Probst am Klavier benutzte vertraute Standards wie „Straight no Chaser“, „Old Folks“,<br />

„You and the Night and the Music“ oder „Welcome Home“ dazu, seinen zahlreichen Vorbildern wie Lennie<br />

Tristano und Bill Evens, Thelonius Monk oder McCoy Tyner die Reverenz zu erweisen, indem er sich<br />

spielerisch durch die Klavierstile der Jazzgeschichte bewegte und dabei vor keiner noch so schwierigen,<br />

technischen Hürde zurückschreckte. Sein offenkundig auch in klassischer Tradition erlerntes Klavierspiel<br />

eröffnete dem erstaunlichen Tastentalent scheinbar grenzenlose Möglichkeiten, der eigenen Kreativität in jeder<br />

gewünschten Stilrichtung Ausdruck zu verleihen, wobei ihm die Wandelbarkeit seiner beiden Mitspieler sehr<br />

entgegenkam.<br />

Am Schlagzeug erwies sich Walter Probst als kongenialer Begleiter, der vor allem die Kunst des dynamischen<br />

Wechsels zwischen forte und pianissimo so perfekt beherrscht, daß man häufig sogar die sprichwörtliche<br />

Stecknadel fallen hörte, wenn er mit seinen Besen das hervorragend abgestimmte Gretsch-Schlagzeug zum<br />

Flirren und Rascheln, Flattern und Rauschen brachte. Aber auch seine Auffassung von solidem Drive und<br />

zupackender Trommelarbeit bestach durch Präzision und einfühlsame Zurückhaltung, mit der er sich nie in den<br />

Vordergrund spielte, auch während seiner Solodarbietungen nicht, die trotz ausgefeilter Technik und<br />

atemberaubender Tricks nie zum Selbstzweck wurden, sondern sich stets im Rahmen der gerade<br />

vorherrschenden Stimmung hielten.<br />

Dritter im Bunde war der Kontrabassist Lui Leininger, der sich an diesem Abend für eine gänzlich unverstärkte<br />

Spielweise entschieden hatte und statt dessen lieber auf die Bühne als natürlichen Resonanzboden vertraute.<br />

Dadurch trat auch er niemals vordergründig in Erscheinung sondern im Gegenteil fast etwas zu bescheiden.<br />

Dennoch war seinem Baßspiel stets eine fundierte Basisarbeit anzumerken, die ohne Schnörkel und Showeffekte<br />

auskam und sich ganz darauf konzentrierte, den warmen Klang seines Instrumentes so delikat und durchsichtig<br />

wie möglich ins Spiel zu bringen. Wie erfolgreich ihm das gelang, bewies immer wieder der spontane Beifall der<br />

Zuhörer, die ihm und seinen Mitspielern vor Ohren führten, daß ein kleiner aber harter Kern des Moosburger<br />

Jazz-Publikums das Gehörte durchaus zu schätzen wußte.<br />

Leichte Enttäuschung klang dann in der Pause an, als Robert Probst mit der abgebrochenen „Es“-Taste von der<br />

Bühne kam und sich gleichzeitig an sein letztes Gastspiel im Hirschen erinnerte, wo wesentlich mehr Zuhörer für<br />

echte Konzertstimmung gesorgt hatten. „Einen Blues in c-moll können wir jetzt leider vergessen, ohne das ‚Es‘“,<br />

meinte er süßsauer und schien sich darauf einzustellen, den Rest des Abends nach der vorausgegangenen Kür als<br />

eine Art Pflicht aufzufassen.<br />

Mit Stücken wie „Oblomow“, das bereits als Titelsong der nächsten CD feststeht, oder dem an Thelonius Monks<br />

„Bemsha Swing“ angelehnten „Geisha Swing“, oder auch der Eigenkomposition „Wait after Midnight“ kam<br />

dann trotzdem noch einmal gute Stimmung auf, die naturgemäß etwas darunter zu leiden hatte, daß Robert<br />

Probst gehörigen Respekt vor der gefährlichen Lücke innerhalb der Tastatur entwickelte, in der sich seine Finger<br />

leicht hätten verfangen können. Trotz eines besonders herzlichen Schlußapplauses der rund zwanzig<br />

verbliebenen Zuhörer waren die Musiker denn auch nicht bereit, sich eine Zugabe abringen zu lassen. Statt<br />

dessen hefteten sie ihren Auftritt bei einem anschließenden „Absacker“ unter der Rubrik „Pflichtübung“ ab und<br />

hofften, sich in absehbarer Zukunft im Hirschen wieder von ihrer Kürseite zeigen zu können. -rk-


31<br />

Drei Perlentaucher im Bermudadreieck<br />

Datum: 04.02.00<br />

„Nachgeburt“ sorgt für volles Haus und tolle Stimmung im Hirschen<br />

Moosburg. Es war kein Abend für Leute mit Platz- oder Berührungsangst, als am Mittwoch das Trio<br />

„Nachgeburt“ im Hirschen für Andrang sorgten, wie ihn der Jazz Club schon lange nicht mehr erlebt hatte.<br />

Mochten gute Erinnerungen an den „Gänseblümchenjazz“ vom September schuld daran gewesen sein, oder<br />

der rasant um sich greifende Kultverdacht, oder schlicht das Zauberwörtchen „Kuba“, das derzeit fast jedes<br />

Auge zum Glänzen bringt, die drei guten alten Bekannten Norbert Bürger, Robert Klinger und Roland<br />

Bißwurm fanden auf der Hirschbühne Voraussetzungen für ihr Programm „Nachgeburt goes Cuba“ vor, wie<br />

sie besser nicht hätten sein können.<br />

Das war am Vorabend im Landshuter „Rieblwirt“ keineswegs so, erinnerte sich<br />

Norbert Bürger etwas genervt, da er für sein Konzept einer fast grenzenlosen<br />

Dynamik und Stilistik naturgemäß auf Räume mit guter Akustik angewiesen ist,<br />

um die unendlichen Weiten zwischen Pianissimo und Fortissimo, Donnerhall<br />

und Friedhofstille genußvoll durchstreifen zu können. In diesem Punkt erwies<br />

sich denn auch das Moosburger Stammhaus einmal mehr als akustische<br />

Hochburg, in der selbst die hinteren Reihen immer voll auf ihre Kosten<br />

kommen.<br />

Was es an diesem Abend zu hören gab, wurde meist von dem für seinen Hang<br />

zum Stehgreif-Nonsens bekannten Schlagzeuger Roland Bißwurm in rauchigem<br />

„Bavarian Spanish“ angekündigt, mit dem er der rasch dicker werdende Luft<br />

zwar nicht das Aroma edler Havannas verleihen konnte, das die ehemalige<br />

deutsche Traditionsgaststätte aber dennoch in eine Art virtuellen „Social Club“<br />

verwandelte, in dem sich gut dem Traum von besseren und wärmeren Regionen<br />

nachhängen ließ. Unterstützt wurden seine witzigen Dolmetscherübungen durch<br />

Diaprojektionen aus dem Reisegepäck von Kontrabassist Robert Klinger, der<br />

von seinem 14tägigen Kubatrip allerlei klingende und farbige Souvenirs<br />

mitgebracht hatte, die nun in einer zwanglosen Collage zum Gesamtkunstwerk<br />

„Nachgeburt goes Cuba“ aufbereitet wurden. Da leiteten spielende<br />

Straßenkinder ein Stück für Tröte und Fahrradklingel, Mundharmonika und Quietschbass ein. Da wurden die<br />

verzwickten Rhythmen eines Männerchores zum eigenen Riff der Marke „Made in<br />

Moosburg“ destilliert, bevor ein Diawechsel zu neuen Taten rief.<br />

Es erübrigt sich, den fulminanten technischen Fähigkeiten aller drei Musiker mehr<br />

als ein ehrliches „bravissimo“ nachzurufen, das im wirklichen Leben, sprich auf<br />

der Hirschbühne, wahrscheinlich ebenso unter die Räder irgendeines<br />

vorbeifahrenden Bananenlasters oder Kinderschulbusses geraten wäre, wie so<br />

manche andere Idee. Aus einem einfachen Grund: den drei Musikern, die auf<br />

hohem technischen Level miteinander musizieren, schwebte an diesem abend nie<br />

ein Guinessrekord im Schnell- oder Lautspielen vor, sondern eher eine Art<br />

gemeinsames Abenteuer als Perlentaucher im Bermuda-Dreieck karibischer<br />

Musik. Dabei kann das blinde Vertrauen, das die Drei speziell in „brenzligen“<br />

Situationen füreinander entwickeln, nämlich immer dann, wenn einem von ihnen<br />

der Sauerstoff ausgeht oder ein anderer im Tiefenrausch kurzzeitig die<br />

Orientierung verliert, gar nicht hoch genug gelobt werden. Auf ihren Ausflügen in<br />

die Weiten unerforschter Klänge scheint es lediglich flüchtig verabredete Treffs zu<br />

geben, die kurzen Sicherheitschecks gleichen, nach denen man sich um so mutiger<br />

in neue Sound-Abenteuer stürzen kann. Jedem kommen dabei abwechselnd<br />

solistische Funktionen und dann wieder begleitende Aufgaben zu, die ohne jede<br />

Anzeichen eines Führungsanspruchs abgewickelt werden. Galt bis vor kurzem<br />

noch Norbert Bürger als eigentlicher Frontmann des Trios, wurde an diesem Abend deutlich, wie<br />

gleichberechtigt und kongenial die drei ein Ganzes ergeben.<br />

Die Auswahl der Stücke ergab zunächst ein Übergewicht für karibisch<br />

angehauchtes Klänge, wie sie derzeit durch Wim Wenders, Ry Cooder und den<br />

Kultfilm „Buena Vista Social Club“ in aller Ohren sind. Die Atmosphäre leerer<br />

kubanischer Bars in der Mittagssonne, in denen spätkoloniale Tristesse<br />

schlagartiger Lebensfreude weicht, sobald auch nur der Schatten eines Gastes<br />

auftaucht, scheint derzeit zum neuen mitteleuropäischen Lifestyle zu gehören,<br />

wie Zuckerrohrschnaps zum Coca-Cola.<br />

Auch Moosburg ließ sich nur allzu gern von den eingängigen Melodien<br />

kubanischer Barmusik ins Träume bringen, nahm jedoch genau so dankbar jeden<br />

Nonsens und jede kreative Verfremdung zur Kenntnis, die im Verlauf des<br />

Abends dann auch die Überhand gewannen. Als absolutes Novum blieb der<br />

Sound eines Heavy-Metal-Work-Tangos in Erinnerung, den der unerschöpfliche<br />

Roland Bißwurm dadurch erreichte, daß er zwei Hi-Hat-Becken auf seine<br />

Trommelfelle legte und nach allen Regeln des Trash Punk bearbeitete. Kein<br />

Wunder, daß man nach diesem Blick in musikalisches Neuland nicht unter drei<br />

Zugaben nach Hause gehen mochte. Als Fortsetzung der Nonsens-Ballade vom<br />

Jamaica-Man, „who went fishing, to never come back“, sei den drei<br />

Soundexplorern gewünscht, daß sie nach ihrer Art der Weltumseglung<br />

möglichst bald wieder im Hirschen festmachen. -rk-


32<br />

Entschlackung auf musikalisch<br />

„Chitarra Possibile“ servierte Neutönernes zur Fastenzeit<br />

Datum: 10.03.00<br />

Moosburg. Nach wochenlangem Humba-Humba und Täterää hatten sich die Programmgestalter des Jazz<br />

Club Hirsch mit dem Gitarren-Duo „Chitarra Possibile“ aus Freising für den musikalischen Aschermittwoch<br />

in Moosburg einen passenden Abgesang ausgedacht, vielleicht auch, um daran zu erinnern, daß die Welt um<br />

Passau und Vilshofen nicht im Hagel politischer Dreckschleuderei versinkt, sondern ganz einfach nur in<br />

etwas ruhigeren und strengeren musikalischen Bahnen dem nächsten Freudenfest entgegensieht.<br />

Ob diese Form der Sofort-Entschlackung so recht nach dem Geschmack der wenigen Jazz-Gläubigen war, die an<br />

diesem Abend entweder den TV-Champions um Lothar Matthäus oder einem anderen dringenden<br />

Schlafbedürfnis widerstanden, steht nach allem, was das Duo „Chitarra Possibile“ auf seinen gewaltigen<br />

Notenfahnen mit auf die Bühne brachte, auf einem anderen Blatt. Selbst komponierte Sprechgesang-Psalter, die<br />

das Duo im Hirschen ausnahmsweise ohne Sprechstimme, sondern pur zu Gehör brachte, wechselten sich vor<br />

der Pause ab mit strengen 12-Ton-Schöpfungen aus der Feder von Hans Steiner oder Andy Mayr, die ihre<br />

Kompositionstechnik beide unter Anleitung von Franz David Baumann an der „Munich Jazz School“ erlernt<br />

haben. Ihr instrumentales Können verdanken beide dem bekannten Gitarristen Thomas Reimer, einem weiteren<br />

Lehrer der „Munich Jazz School“, dem beide neben großen pädagogischen Fähigkeiten übrigens auch beste<br />

Gesundheit nachsagten.<br />

Zwar wurde dem Zuhörer der Zugang zum spröden Charme zeitgenössischer Musik durch warme und<br />

dynamische Naturtöne zweier akustischer Gitarren etwas erleichtert, die sich in einfühlsamem Wechselspiel auch<br />

absolut gleichberechtigt ergänzten, doch ein gewisses Beharrungsvermögen war dennoch erforderlich, um durch<br />

geduldiges Zuhören und ohne melodische Gehhilfen zum versteckten Reiz der Darbietungen vorzudringen. Wer<br />

dieses Sitzfleisch an diesem Abend nicht mitbrachte und sich nach der Pause in die Schar der Davonziehenden<br />

einreihte, versäumte einen zweiten Set, der die Kunst des dualen In-sich-Gehens anstelle des gemeinsamen Aussich-heraus-Gehens<br />

noch weiter verfeinerte. Da war es schon eine Rarität, wenn der Fuß kurz mitwippen durfte<br />

zu zart angedeuteten Grooves, die sich immer wieder schnell in flüchtige Skalen auflösten, bevor etwas<br />

Singbares hängen blieb.<br />

Vor einem knappen Dutzend Nimmermüder wurde diversen Giganten der Gitarre die Ehre einer Homage zuteil,<br />

darunter auch Ralph Towner und Frank Zappa, wobei eine Komposition mit dem Titel „Goodbye Uncle Meat“<br />

sicher nicht ganz an die Anarcho-Komik des großen Meisters heranreichte. Die Intention des Duos, gängige<br />

Hörklischees zu überwinden, wurde dabei dennoch nachdrücklich zum Klingen gebracht. Bei Herbie Hancocks<br />

„Dolphin Dance“ wagten die beiden sogar einen etwas halbherzigen Ausflug in die Jazz-Improvisation. Dabei<br />

wurde deutlich, was den Mut des wahren Jazzers ausmacht: gerät sein Solo einmal an den Rand des Tonalen<br />

oder sogar ganz aus den harmonischen Fugen, ist noch nicht viel kaputt. Wird Atonales jedoch aufgeschrieben<br />

und dann mit Überzeugung vom Blatt gespielt, nennen es manche sogar Komposition. –rk-<br />

Datum: 16.03.00<br />

„Cooler“ Abend mit vier heißen Typen<br />

Musik von Gerry Mulligan und Chet Baker im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Am Mittwochabend kam der harte Kern der Moosburger Jazzfan-Gemeinde in den Genuß eines<br />

Konzertes mit dem „Mairinger-Lehermann-Quartett“ aus München, das sich der Musik von Gerry Mulligan und<br />

Chet Baker verschrieben hat, jener beiden legendären Vorreiter des amerikanischen Cool-Jazz, die in den<br />

Fünfzigerjahren mit Hits wie „My Funny Valentine“ oder Line for Lions“ Jazzgeschichte geschrieben haben.<br />

Ein leichter Aufwärtstrend im Besucherinteresse war nach den eher schwach besuchten Konzerten währen der<br />

Faschingszeit zwar endlich zu erkennen, doch hätten die musikalischen Gäste an diesem Abend durchaus noch<br />

mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt für ihr lobenswertes Projekt, sich in Zeiten eines sich abzeichnenden<br />

stilistischen Stillstandes an den Cooljazz der Nach-Bebop-Ära in seiner reinsten Form zu erinnern. Da wurden<br />

Erinnerungen wach an die großen Erfolge, mit denen junge Musiker wie Miles Davis oder Stan Getz, Gerry<br />

Mulligan, Chet Baker oder Lennie Tristano mit Produktionen wie „Birth of Cool“ den Siegeszug des Jazz in die<br />

Filmmusik und in die großen Konzertsäle der Nachkriegszeit vorbereiteten und eine neuen Sound<br />

gesellschaftsfähig machten.<br />

Das erste Kompliment, das man dem Baritonsaxophonisten und Bandgründer Michael Mairinger und seinem<br />

Kompagnon an Trompete und Flügelhorn, Karl Lehermann, machen kann, ist die Feststellung, daß ihnen nicht<br />

nur die Adaption von Originalarrangements wie „My funny Valentine“, „Line for Lions“ oder „Alone together“<br />

hervorragend gelungen ist, auch mit ihren eigenen Kompositionen treten sie kongenial in die Fußstapfen ihrer<br />

großen Vorbilder. Speziell beim wohl dosierten Zusammenspiel von Bariton und Flügelhorn kommen immer<br />

wieder Erinnerungen hoch an die polyphone Perfektion, mit der in jenen Tagen Wohlklang anstelle von purer<br />

Expressivität hergestellt wurde. Setzt der eine mit lyrischen Flügelhornlinien zum Solo an, kann er sich blind


33<br />

auf die Unterstützung des anderen verlassen, der mit sanften, typisch nasalen Baritontönen die harmonische<br />

Begleitung beisteuert und dem Solisten dadurch zusätzliche Freiräume eröffnet.<br />

Ein weiterer Vorzug des Quartetts liegt in seiner außergewöhnlich virtuosen und geschmackssicheren<br />

Rhythmusgruppe, bestehend aus dem jungen Drummer Stephan Staadt und dem überragenden Kontrabassisten<br />

Sava Medan aus Österreich. Selten findet man eine musikalische Paarung, die sich hinsichtlich Drive und<br />

Zusammenspiel so zuverlässig ergänzt wie diese Beiden. Besondere Erwähnung verdient dabei der Bassist Sava<br />

Medan, für den sein Instrument eine Art Spielzeugersatz zu sein scheint, so leicht und souverän gehen ihm die<br />

aberwitzigsten Sechzehntel-Tempi von der Hand, egal, ob mit seiner kraftvollen Zweifinger-Zupftechnik oder<br />

seinen ausgefeilten Doppelgriffen in jeder erdenklichen Griffbrettlage. Ein für sein Alter erstaunliches<br />

Einfühlungsvermögen zeichnet den Schlagzeuger Stephan Staadt aus, der sein hohes technisches Können immer<br />

in den Dienst des Ensembles stellt und lediglich bei Solos die Katze aus dem Sack läßt.<br />

Unvergeßlicher Höhepunkt des Abends war die Ballade „Alone together“, die in ihrer coolen Tristesse an jene<br />

epochemachende Filmmusik zu Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ erinnerte, jene Zeit also, als Chet Baker<br />

mit Schmalztolle und Gerry Mulligan im Hippielook gerade die Existentialisten-Cafes von Paris mit ihrer Musik<br />

erfüllten und dem Jazz ein junges, europäisches Publikum eroberten. Die Wiederbegegnung mit dieser Musik<br />

war dem Moosburger Publikum einen langen und herzlichen Applaus wert, für den sich die Musiker mit einer<br />

Zugabe bedankten. –rk-<br />

Datum: 23.03.00<br />

Chaos-Etüden für starke Nerven<br />

Marty Cooks „Fractal Gumbo“ bot Gewöhnungsbedürftiges<br />

Moosburg. Kein reines Vergnügen für Melodiensüchtige tischte am Mittwoch das Trio „Fractal Gumbo“ den<br />

Besuchern des Jazz Club Hirsch auf. Das aus zwei Altmeistern der Gitarre und einem nimmermüden<br />

Globetrotter des kreativen Posaunenspiels besetzte Ensemble nahm auf seiner rastlosen Suche nach dem<br />

eigenen Weg nur wenig Rücksicht auf Langsamhörende und benutzte statt dessen die Bühne zur Einübung<br />

virtuoser Chaosetüden.<br />

Sie haben allesamt schon ein paar Jahrzehnte Jazzerfahrung auf dem Buckel und steigen doch jedesmal auf die<br />

Bühne, als gelte es, im wahrsten Sinne des Wortes „unerhört“ Neues zu entdecken. Mit dieser in der Freejazz-<br />

Ära wurzelnden Attitüde, die durch Zeiten der Fusionmusik und des Jazzrock, des Funk und Acidjazz hindurch<br />

wie das Erbe einer besseren Welt aufrechterhalten und gegen alle Kommerzialisierungstendenzen verteidigt<br />

wurde, betraten die leicht ergrauten Meister auch die Bühne des Jazz Club Hirsch und machten sich an die<br />

Arbeit, die sie auf einen einsamen Weg durch die Stile<br />

Die Abstände zwischen ihren Auftritten, so war später zu hören, werden in letzter Zeit immer größer, was nicht<br />

zuletzt auf den Umzug des Bandleaders Marty Cook zurückzuführen ist, der seit einem halben Jahr in Berlin ein<br />

besseres Pflaster für seine Musik gefunden hat als in München, wo die beiden anderen leben. Diese räumliche<br />

Trennung mag auch der Grund dafür gewesen sein, warum im ersten Set nicht viel zusammenging, was man als<br />

Hörvergnügen hätte bezeichnen können. Wer jedoch an unbändiger Instrumentenbeherrschung oder einer im<br />

Band-Flyer angekündigten Vertonung von Chaos-Theorien interessiert war, kam dafür um so mehr auf seine<br />

Kosten. „Wir gehen ganz bewußt ein hohes Risiko ein“, meinte Cook und räumte anschließend ein, daß der<br />

gemeinsame Abenteuerurlaub auf der Hirschbühne diesbezüglich seinen eigenen Erwartungen nicht entsprochen<br />

hat. „Das war viel zu uferlos und hat die Idee der Stücke oft gar nicht rüber gebracht“, befand er selbstkritisch,<br />

hatte dafür aber auch die Begründung parat, daß er selbst „sehr schlecht gelaunt“ auf die Bühne gegangen sei.<br />

Welche Laune die beiden Megavirtuosen Gunnar Geisse und Geoff Goodmann unter ihrem stets zur Schau<br />

getragenen lockeren Humor empfanden, ist nicht bekannt. Man kann aber davon ausgehen, daß sie sich in ihrem<br />

Bestreben, fünf Saiten immer neue Rekorde der Raserei zu entlocken, gesucht und gefunden haben. Daß dabei<br />

zeitweise eine Musik herauskam, die Außenstehende leicht für das gleichzeitige Wettüben zweier<br />

Zimmergenossen halten konnten, mag ein rein subjektiver Eindruck gewesen sein. Objektiv steht dagegen fest,<br />

daß einer schneller spielen konnte als der andere.<br />

Selbst auf der oft als schwerfällig geltenden Posaune konnte Marty Cook jedes Tempo seiner Mitspieler<br />

mitgehen, was in einigen astreinen Unisono-Passagen für verblüffende Effekte sorgte. Überhaupt kamen im<br />

zweiten Set die eigenwilligen Kompositionen des New Yorker Posaunisten wesentlich besser zur Geltung, fielen<br />

dann aber meist dem Ungestüm aller drei Akteure wieder zum Opfer, denen ein wirkliches Miteinander nur<br />

selten gelang. -rk-<br />

Volle Hütte mit „Jazz Attacks“<br />

Aufpolierte Standards treffen den Geschmack des Publikums<br />

Datum: 30.03.00<br />

Moosburg. Das war höchste Zeit! Endlich bot sich den Besuchern des Jazz Club Hirsch beim Betreten ihres<br />

Clublokals wieder einmal der Anblick, der neben interessanter Musik auch nicht unwesentlich zur Beliebtheit<br />

der Moosburger Institution beitragen dürfte: ein volles Haus! Zu den groovigen Klängen der ehemals in<br />

Landshut beheimateten Band „Ideal Standard“, die heute unter dem neuen Namen „Jazz Attacks“ unterwegs ist,


34<br />

verbrüderte sich die bunt gemischte Jazzgemeinde in dem Bewußtsein, bei einem wirklich gelungenen Konzert<br />

dabei gewesen zu sein.<br />

Ein Grund für die volle Hütte war wohl auch die Tatsache, daß jeder Musiker seinen persönlichen Anhang<br />

mobilisiert hatte, was sich in dem lebhaften Beifall äußerte, mit dem - nach guter alter Jazztradition - jedes<br />

einzelne Solo belohnt wurde. Da spielte es sich für die fünf Jungprofis, die von schmal bemessenen<br />

Auftrittshonoraren allein sicher nicht über die Runden kommen, sondern sich mit Unterricht und diversen<br />

anderen Gruppen über Wasser halten, doch gleich doppelt so leicht, als selbst weniger gelungene<br />

Improvisationen mit Applaus und einem aufmunternden „Yeah“ aus der „eigenen Ecke“ bedacht wurden. Erst<br />

recht die ausgefeilten und nahezu perfekt vorgetragenen Arrangements vertrauter Standards trafen voll den<br />

Geschmack des gesamten Publikums, das den Wiedererkennungswert von Titeln wie „St.Thomas“ von Sonny<br />

Rollins, „Straight no Chaser“ von Thelonius Monk oder „Four“ von Miles Davis sichtlich zu schätzen wußte.<br />

Dabei wurden besonders wohlgefällig die aufpolierten Bearbeitungen einiger Titel zur Kenntnis genommen, die<br />

sonst leicht Gefahr laufen, zu abgenudelten Ohrwürmern zu verkommen.<br />

In diese Richtung, Standards so werkgetreu wie möglich und so zeitgemäß wie nötig auf die Bühne zu bringen,<br />

möchte sich das Quintett in Zukunft weiter entwickeln, und die Chancen stehen gut, daß dieses Konzept auch<br />

aufgeht. Jeder einzelne bringt neben seinen technischen Fähigkeiten auf dem Instrument auch die Bereitschaft<br />

mit, sich in den Dienst des Ensembles und damit unter das stilistische Korsett jedes einzelnen Arrangements zu<br />

stellen. Das Spektrum der Stilrichtungen bleibt dabei breit gefächert und reicht von gefällig vorgetragenen<br />

Bebop-Souvenirs über Hardbop-Remakes bis zu Jazzrock und Funk, wobei die Besetzung mit dem guten alten<br />

Fender-Rhodes E-Piano (Lorenz Winkel) und einem kraftvollen E-Bass (Karlle Metz) bei den moderneren<br />

Sounds zweifellos am besten zur Entfaltung kommt.<br />

Dies wurde vor allem im dritten Set deutlich, als immer häufiger Latin- und Fusion-Grooves wie in Tito Puentes<br />

„Swing la Moderna“ oder angerockte Funk-Sounds die Zuhörer zum begeisterten Mitgehen brachten. Solistisch<br />

verdienten sich Michael Petri (Sax und Flöte), Martin Kegelmaier (Posaune) und Karlle Metz am Bass die<br />

meisten Meriten, aber auch Lorenz Winkel am Keyboard bestach durch solide und vielseitige Spielkultur.<br />

Besonders erfreulich setzte sich kurz vor Schluß Mäx Huber am Schlagzeug mit einem fulminanten Solo in<br />

Szene, mit dem der Neu-Moosburger und Ex-Landshuter seiner sensiblen und präzisen Begleitung während des<br />

ganzen Abends die Krone aufsetzte. Einen angehenden Nachwuchsprofi wie ihn in der Dreirosenstadt zu wissen,<br />

gibt zu den schönsten Hoffnungen Anlass. -rk-


35<br />

Datum: 05.04.00<br />

Jazz-Quintett setzt Highlight im Hirschen<br />

Aus Sebastian Gampert und seinem Trio wurde ein Spitzenensemble<br />

Moosburg. Modernen Mainstream-Jazz mit deutlichen Anklängen an den expressionistischen Spirit der<br />

Coltrane-Ära bot am Mittwochabend der aus Haag stammende Pianist und Jazz-Preisträger Sebastian<br />

„Basti“ Gampert mit seinen Freunden im gut besuchten Jazz Club Hirsch. Zusätzlich zum angekündigten<br />

Piano-Trio hatte der virtuose Senkrechtstarter zwei Bläser im Gefolge, die sich die Chance eines Auftritts im<br />

Hirschen nicht entgehen lassen wollten.<br />

Dank des guten Rufes, den gerade<br />

die Atmosphäre des Moosburger<br />

Jazzclubs bei vielen Musikern<br />

genießt, kamen die Besucher am<br />

Mittwoch in den Genuß eines<br />

Abends, der so gar nicht vorgesehen<br />

war. Ursprünglich wollte der zur<br />

Zeit in Amsterdam studierende<br />

Sebastian Gampert nämlich nur mit<br />

Baß und Schlagzeug auftreten, doch<br />

dann waren zwei alte Freunde aus<br />

erfolgreichen „Contrasts“-Zeiten,<br />

der Trompeter David Thalmeier und<br />

der Tenorist Uli Wagenheim,<br />

schnell überredet, als sie den<br />

Namen „Jazz Club Hirsch“ auf dem<br />

Tournee-Plan sahen. Spontan wurde<br />

noch eine Probe am Nachmittag<br />

eingeschoben, zu der neben Bastian<br />

Jütte am Schlagzeug noch der absolute Neuling Florian Schmitt am E-Baß stieß, der das Blattspielen<br />

anscheinend nicht nur bei Peter O´Mara in München aus dem Effeff gelernt hat. Schnell hatte man ein Programm<br />

aus älteren und neuen Titeln zusammen gestellt, daß sich dann am Abend als genau die richtige Mischung<br />

erwies, um die Moosburger Jazzfreunde in Begeisterung zu versetzen.<br />

Die Eigenkompositionen, die hauptsächlich durch Gampert selbst oder Uli Wangenheim beigesteuert werden,<br />

verraten allesamt eine tiefe Verwurzelung in der Stilistik eines John Coltrane, Mc Coy Tyner oder Miles Davis,<br />

jener großen Erneuerer des Jazz, die auf ihrem jeweiligen Instrument Maßstäbe für ganze Generationen von<br />

Musikern gesetzt haben. So macht z.B. Gampert selbst gar nicht erst den Versuch, seine Vorliebe für die<br />

typischen Quarten-Kaskaden und die eng gesetzten Akkord-Einwürfe eines Mc Coy Tyner zu leugnen, und auch<br />

Uli Wangenheim bekennt sich in jedem Ton seines beseelten Spiels zum majestätischen Erbe seines großen<br />

Vorbildes Coltrane.<br />

Entscheidend für die professionelle Performance aller fünf Musiker ist jedoch die musikalische Reife des<br />

Zusammenspiels. Jeder scheint sich seiner eigenen Ausdrucksmöglichkeiten so sicher zu sein, daß er Räume<br />

lassen kann für Pausen, in denen andere zu Wort kommen. Kein Konkurrenzdenken, wer in seinem Solo mehr<br />

Sechzehntelnoten unterbringen kann oder den Mitspieler an Ideenreichtum übertrifft, scheint die Musizierfreude<br />

der Musiker zu trüben, die vielmehr alles daran setzten, den jeweiligen Solisten so gut wie möglich in Szene zu<br />

setzen. Das setzt Einfühlungsvermögen und Zurückhaltung voraus, zwei Eigenschaften, die auf dem Weg zur<br />

instrumentalen Meisterschaft weiß Gott nicht selbstverständlich sind, die aber diesen fünf Jungprofis bereits in<br />

hohem Maße vertraut zu sein scheinen.<br />

Glänzende Solisten sind sie obendrein. Gestochen scharfe Phrasierungen und perlende Läufe gehören bei<br />

Sebastian Gampert gewissermaßen zur Grundausstattung, die durch wuchtige Akkordfolgen nach Belieben<br />

angereichert wird. In allen Lagen entlockt Uli Wangenheim seinem Tenor das ganze Spektrum zwischen warmen<br />

und strahlenden Tönen, und das nicht nur in Balladen, sondern auch bei „Notes in a Hurry“, wie eines seiner<br />

Stücke bezeichnenderweise betitelt war. Auch David Thalmeier überzeugt auf Trompete und Flügelhorn durch<br />

seinen kraftvollen, sprechenden Sound, ohne allerdings mit technischen Kabinettstückchen zu prahlen. Florian<br />

Schmitt am 5-saitigen E-Baß stellte für Moosburg eine echte Neuentdeckung dar und machte sich durch seine<br />

solide und phantasievolle Begleitung, erst recht aber durch seine melodiösen Soli auf Anhieb viele Freunde. Eine<br />

Garant für pulsierende Grooves und explosionsartige Soli saß mit Bastian Jütte am Drumset. Ihm hatten es<br />

sowohl Mitspieler als auch Zuhörer zu verdanken, daß jedes Stück nicht nur in die Ohren, sondern auch in die<br />

Fußspitzen ging. -rk-


36<br />

Höllenlärm zum Genießen<br />

„St. Oehl-Trio“ überzeugt mit kraftvoller Freejazz- Renaissance<br />

Datum: 12.04.00<br />

Moosburg. Die Hirsch-Gemeinde kam am Mittwoch in den seltenen Genuß eines Auftritts des „St.Oehl-<br />

Trios“ aus München, daß seine Kunst des High-Energy-Free-Jazz nur selten, dann aber um so<br />

überzeugender in der Öffentlichkeit vorstellt. Trotz ohrenbetäubenden Lärms und kompromißloser<br />

Experimentierfreude kamen Augen und Ohren der begeisterten Fans voll auf ihre Kosten.<br />

Schon von weitem kündigte sich an, daß an diesem Abend nicht Schmuse-Fusion oder gängige Postmoderne<br />

angesagt waren, sondern Musik der Marke „High-Energy-Free-Jazz“, wie man sie lange nicht gehört hat.. Dabei<br />

standen mit „Flo“ Haas an Tenorsaxophon und Querflöte, Stephan Lanius am Kontrabaß und Günter<br />

Hillenmeyer am Schlagzeug nur drei Musiker auf der Bühne, die jedoch unüberhörbar das Ziel verfolgten,<br />

kreative Hochspannungsmusik in Perfektion zu erzeugen. Energie als gemeinsames Credo ist denn auch das<br />

Markenzeichen des „St.Oehl-Trios“, das seinen Namen einer Verballhornung des finnischen Wortes für Bier<br />

verdankt. Gespeist von einem leistungsstarken Zentrifugalgenerator am Kontrabaß, der sowohl optisch als auch<br />

akustisch den Ton angibt, erzeugt das Trio einen so mächtigen Sound, das manche es vorzogen, etwas mehr<br />

Abstand zwischen sich und die Bühne zu bringen, um dann mit um so größerer Begeisterung der Wiedergeburt<br />

des Freejazz beizuwohnen.<br />

Das überwiegend aus Eigenkompositionen bestehende Programm huldigt nur zweimal dem großen Paten des<br />

Freejazz, Ornette Coleman, verrät aber in jeder Phase die gemeinsame Bewunderung für dessen<br />

Innovationskraft, mit der er Anfang der Siebziger sowohl das Tenorsaxophon als auch das Ensemblespiel zu<br />

neuen Ufern geführt hat. Befreit von harmonischen Klischees und formalen Zwängen knüpft das „St-Oehl-Trio“<br />

an Colemans Vermächtnis an, sich in erster Linie dem Material des Instruments verpflichtet zu fühlen und ihm<br />

sein Geheimnis nötigenfalls mit Brachialgewalt zu entreißen.<br />

Am deutlichsten wird das am Baßspiel von Stephan Lannius. Der klassisch geschulte Baßgeiger greift häufig<br />

zum Bogen und rückt den unzähligen Flageolettönen und Qietschern, Kratzgeräuschen und Seufzern seines<br />

Instrumentes mit virtuosem Einfallsreichtum auf den Leib. Auch seine pulsierende Pizzikato-Technik und seine<br />

rasende Fingerfertigkeit auf dem Griffbrett treiben stets den Rhythmus voran und schaffen zugleich die<br />

harmonische Basis für die Modulationen seiner Mitspieler. Meist stehen frei schwebende Unisono-Passagen<br />

zwischen Tenor und Baß am Anfang eines Stückes, die in ungeraden 7/4- oder 9/4- oder sogar 11/4-Taktzahlen<br />

den Weg frei machen für modale Improvisationen, die häufig auf die gängige Abfolge von Begleitung und Solo<br />

verzichten und statt dessen aus einem kollektiven Miteinander entstehen. Bemerkenswert und bezeichnend ist<br />

dabei die Tatsache, daß sämtliche 18 Stücke ohne Noten gespielt werden.<br />

Das musikalische Energiekonzept wird mit solcher Konsequenz verfolgt, daß aus dem scheinbaren Chaos eine<br />

Gesetzmäßigkeit entsteht, die im Ohr ankommt. Der Zuhörer erkennt eine tiefere Übereinstimmung, die sich<br />

nicht in Wohlklang, sondern in Kompromißlosigkeit äußert. Dazu kommt die Virtuosität eines Schlagzeugers,<br />

der seine Trommeln und Becken als Präzisionsinstrumente versteht, mit denen er das Spiel seiner Vorderleute<br />

nach Belieben beflügelt. Wie ein Uhrwerk, dessen Unruheherd die Relativität der Zeit offenbart, poltert und<br />

dengelt und kracht Hillenmeyers Schlagzeugspiel von der Bühne, ohne sich je in den Vordergrund zu drängen.<br />

Die scheinbar grenzenlose Beweglichkeit auf den Klappen seines Tenorsaxophons machen aus Florian Haas<br />

einen Musiker, der jedes Tempo nicht nur mitgehen, sondern auch gestalten kann. In der Tradition eines frühen<br />

Archie Shepp oder Albert Ayler entlockt er seinem Horn Geräusche, hinter denen sich eine andere Form von<br />

Musik auftut als die der sauberen Schwingungen und Melodien. Da krächzt und fiept und brüllt oft ein ganzer<br />

Zoo aus seinem Saxophontrichter, in den sich das Schnalzen und Grunzen der Baßsaiten mischt, vorangetrieben<br />

durch das Dröhnen der Trommeln und das trockene Knattern der Snaredrum.<br />

Ob die Stücke nun „Kalter Bauer“ oder „Schimmliger Bulenschwanzbesen“ heißen, „Weichei“, „CSU-Blues“<br />

oder „Bananenschalenschlacht“, die vordergründige Komik solcher Bezeichnungen kann nicht über die<br />

Ernsthaftigkeit hinweg täuschen, mit der die Drei an der Entfesselung der Musik arbeiten. Daß dabei kein<br />

einziges leises Stück herauskam, führte nach dem Konzert zu einer interessanten Diskussion, bei der sich<br />

herausstellte, daß leise Töne allzu leicht dem Kitsch anheimfallen, und daß entfesselte Töne von Natur aus nicht<br />

auf Zehenspitzen daherkommen. Das Publikum dankte dem Trio mit frenetischem Applaus, der sich so anhörte,<br />

als sei die Renaissance des Free-Jazz in dieser Form längst überfällig gewesen. -rk-


37<br />

Datum: 27.04.00<br />

Drei eindrucksvolle Ausdruckskünstler<br />

Peter Fulda Trio überzeugt bei seinem Debüt im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Mit dem Peter Fulda Trio stellte sich am Mittwochabend eine Formation im Jazz Club Hirsch vor,<br />

die erst seit knapp einer Woche zusammen spielt und die Besucher dennoch auf Anhieb überzeugen konnte.<br />

Dem Pianisten Peter Fulda aus Windsbach bei Nürnberg, dem Kontrabassisten Joscha Oetz aus Köln und<br />

dem Schlagzeuger Eric Schäfer aus Berlin gelang bei ihrem ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt der<br />

Beweis, daß perfektes Zusammenspiel keine Frage des Übens, sondern der geschmacklicher<br />

Übereinstimmung sein kann.<br />

Eine Probe in der vorausgegangenen Woche<br />

und zwei Sessions zur Auffrischung des<br />

neuen Repertoires hatten genügen müssen,<br />

um sich auf ihren Auftritt in Moosburg<br />

vorzubereiten, der für alle drei zu einem<br />

bejubelten Sprung ins kalte Wasser wurde.<br />

Zwar kannte man sich vom Hörensagen,<br />

auch hatte Peter Fulda während seiner<br />

Studienzeit in Köln bei einer Session schon<br />

einmal die Bekanntschaft von Joscha Oetz<br />

gemacht, doch mehr verband die drei<br />

Musiker zunächst nicht, als in Peter Fuldas<br />

neuem Domizil bei Nürnberg erstmals die<br />

Noten für das neue, abendfüllende<br />

Programm verteilt wurden. Erschwerend im<br />

wahrsten Sinne des Wortes kam hinzu, daß<br />

es sich bei den Eigenkompositionen<br />

weitgehend um Stücke handelt, die eher der E-Musik als gängiger U-Musik zuzuordnen sind. Peter Fulda outete<br />

sich denn auch als Bewunderer von Karlheinz Stockhausen oder György Ligeti und bezeichnete es als<br />

Glücksfall, zwei Partner gefunden zu haben, die seine Vorliebe für klassische Einflüsse teilen.<br />

Daß neben den genannten Avantgardisten auch Klassiker wie Claude Debussy und Maurice Ravel an Peter<br />

Fuldas Piano Pate gestanden haben, wird spätestens deutlich an der impressionistischen Grundstimmung, die<br />

allen Dreien viel Raum läßt für schwebende Exkursionen in scheinbar schwerelose Harmoniegefilde.<br />

Gemeinsame Verpflichtung bleibt dabei immer die hohe Präzision in der Vorstellung eines Themas, das als<br />

durcharrangierte Komposition am Anfang steht. Die sich daraus entwickelnden Improvisationen gleiten nie ab in<br />

austauschbare Klischees, sondern bleiben ihrer harmonischen und stilistischen Herkunft auch dann noch treu,<br />

wenn das Thema schön längst in seine melodischen Bestandteile zerlegt ist.<br />

Es gleicht der Kunst eines spannenden Puzzlespiels, bei dem ein Tongemälde zunächst feierlich enthüllt, dann in<br />

tausend Einzelteile zerlegt und schließlich genüßlich wieder zusammengesetzt wird, was die Drei ihren<br />

erstaunten Zuhörern vorsetzen. Da wird selbst ein Ohrwurm wie „Solar“ so gekonnt durch den Klangwolf<br />

gedreht, daß zunächst nur Tonfetzen an Miles Davis erinnern, der an diesem respektlosen Umgang mit seinem<br />

Stück sicher seine Freude gehabt hätte. Wer versucht, den Grundrhythmus zu erahnen, der das Ganze<br />

zusammenhält, wartet zunächst vergebens auf zählbare Takteinheiten, bis plötzlich ein rasendes Tempo<br />

angeschlagen wird, das zu atemberaubenden Läufen, halsbrecherischen Baßlinien und rasanten Trommelfiguren<br />

zwingt. Scheinbar mühelos verwandelt sich auch dieses Irrsinnstempo wieder in ein anderes Metrum, in dem nur<br />

wie zufällig hingeworfene Akzente daran erinnern, um welches Stück es sich handeln könnte. Spätestens, wenn<br />

sich die Drei nach furiosem Baßsolo, perlenden Pianokaskaden und trockenem Snare-Geschlacker wieder beim<br />

Thema zusammenfinden, ist die Welt sogar ein bißchen mehr in Ordnung als zuvor.<br />

Auch Balladen wie das lyrische „Alone together“ oder Peter Fuldas Homage an die baskische Hafenstadt Bilbao<br />

offenbaren ein hohes Maß an Übereinstimmung, das auf einer feinnervigen Beobachtungsgabe dessen beruht,<br />

was der andere gerade tut und fühlt. Einzelne solistische Leistungen hervorzuheben erscheint bei dieser Art des<br />

interaktiven Musizierens fehl am Platz. Dafür hinterließ der Eindruck, Musiker bei der Arbeit zu beobachten, die<br />

jeder für sich und doch zu dritt jenseits ausgetrampelter Pfade nach neuen musikalischen Blüten suchten, den<br />

stärksten Eindruck. Lang anhaltender Beifall und eine erste Zugabe wie „Amazing Grace“ sorgten dafür, daß<br />

beim abschließenden „All the things you are“ sogar noch die neckischsten Register klassischer Spielkultur<br />

gezogen wurden. Dem Peter Fulda Trio dürfte man „höheren Orts“ bald wieder begegnen. -rk-


38<br />

Datum: 12.05.00<br />

Leidenschaftliche Grenzverletzungen<br />

Moosburg war dem Geoff Goodman Quartett eine Reise wert<br />

Moosburg. Am Mittwochabend profitierten die Besucher des Jazz Club Hirsch wieder einmal von der Nähe<br />

der Dreirosenstadt zur Landeshauptstadt, als sich die vier international renommierten Spitzenmusiker des<br />

„Geoff Goodman Quartetts“ die Hirsch-Bühne auserkoren, um sich auf ihren Auftritt in der Münchner<br />

„Unterfahrt“ vorzubereiten. Häufiger noch als früher, als sich Jazzer zwischen den drei Clublokalen in<br />

Freising, Landshut und Moosburg entscheiden konnten, kommen die einheimischen Besucher inzwischen in<br />

den Genuß wirklich hochkarätiger Jazzabende, die Moosburg längst zu einer bedeutenden Jazz-Adresse<br />

machen.<br />

Das mit klingenden Namen durchaus vertraute Moosburger Jazzpublikum konnte sich am Mittwochabend auf<br />

die Begegnung mit gleich vier Musikern freuen, die jeder für sich mit Recht zur Crème de la Crème der<br />

deutschen, wenn nicht sogar der europäischen Jazzszene zählen. Unter dem Namen „Geoff Goodman Quartett“<br />

stellte sich mit dem Bandleader und Wahlmünchner Geoff Goodman an der Gitarre und dem Berliner<br />

Saxophonisten Felix Wahnschaffe zugleich auch die prominente Münchner Rhythm-Section mit Guido May am<br />

Schlagzeug und Henning Sieverts am Kontrabaß vor, die in dieser Quartettbesetzung ihr sage und schreibe<br />

zweites Konzert in Moosburg absolvierten.<br />

Grund zur Bewunderung gab es dennoch in Hülle und Fülle, denn sowohl<br />

das Konzept einer universellen Musikalität, mit dem Geoff Goodman in<br />

seinen Kompositionen zur stilistischen Grenzüberscheitung zwischen<br />

Folklore und Pop, Jazz und Klassik förmlich einlädt, ohne sich um<br />

überlieferte Schranken zu kümmern, als auch die meisterhaften<br />

Einzeldarbietungen der Solisten wurden von den Besuchern mit<br />

wohlgefälligem Staunen und viel Beifall bedacht.<br />

Die hoch entwickelte Kunst des improvisierten Zusammenspiels, durch die<br />

selbst „gewöhnungsbedürftige“ Sounds und experimentelle Abläufe<br />

genießbar werden, ist dabei nur zum Teil Resultat der unüberhörbaren<br />

Routine, mit der die vier Einzelkönner ihre Instrumente beherrschen.<br />

Wesentlich größeren Anteil am Zustandekommen wirklich spannender und<br />

überraschender Klangerlebnisse hat die gemeinsame Spielfreude, mit der<br />

Geoff Goodmans thematische Vorgaben ein ums andere Mal in<br />

phantasievolle Einzelstücke umgewandelt und dann nach und nach zu einem<br />

schillerndes Mosaik innovativer Musik zusammengesetzt werden.<br />

Felix Wahnschaffe verfügt neben seiner hoch entwickelten Technik und<br />

einem schier unerschöpflichen melodischen Ideenreichtum über einen Ton,


39<br />

der in seiner sanften Intensität und lyrischen Ausdruckskraft für pures Behagen sorgt. Auch Henning Sieverts<br />

Kontrabassspiel überzeugt durch präzise Technik, wohlige Klangfülle und souveränes Timing, was ihn zu einem<br />

absolut zuverlässigen Begleiter, aber auch zu einem Solisten mit großer schöpferischer Ausstrahlung macht.<br />

Guido May am Schlagzeug stellte sich wieder als genialer Rhythmiker und<br />

traumwandlerisch relaxter Begleiter vor, dessen Reifeprozeß auf der nach<br />

oben offenen Trommelskala einem neuen Höchststand zuzustreben scheint.<br />

Seiner internationalen Karriere dürfte nach eigenen Angaben nur noch seine<br />

eigene Zögerlichkeit im Wege stehen, sich aus vielen interessanten<br />

Angeboten das richtige auszusuchen. Geoff Goodman zieht schon durch seine<br />

atemberaubende Beherrschung der Gitarre die Bewunderung der Fans auf<br />

sich. Sein Instrument wird in seinen Händen zum Universalspielzeug, auf<br />

dem sich der musikalische Kosmos in immer neuen Zickzackflügen<br />

durchstreifen läßt. Aber auch seine Kompositionen, die er jeweils unter<br />

Arbeitstiteln als Entwürfe vorstellt, überzeugen durch Originalität und<br />

individuelle Handschrift, mit der sich der leidenschaftliche Grenzverletzer auf<br />

musikalischem Neuland bewegt.<br />

Dabei gelangen ihm auch in Moosburg Stimmungen, die so fremdartig<br />

daherkamen, daß sich auf den Gesichtern vieler Besucher immer wieder<br />

fragendes Erstaunen widerspiegelte, wie denn das nun wieder zu verstehen<br />

sei. Es waren nicht die zahllos eingestreuten Zitate aus allen Musikstilen der<br />

Welt allein, die dann für Aha-Erlebnisse sorgten. Es waren auch die<br />

wunderschönen, stillen Passagen und die jähen Ausbrüche von vitaler Musizierfreude, die den Zuhörern ein<br />

bewegendes und spannendes Konzerterlebnis bescherten, das mit langem Beifall belohnt wurde. -rk-


40<br />

Datum: 21.09.00<br />

Im Hirschen geht wieder der Jazz ab<br />

Edith Steyers Trio „Le West“ eröffnete stilvoll die neue Jazz-Saison<br />

Moosburg. Etwas mehr als den harten<br />

Kern der Moosburger Jazzliebhaber hätte<br />

das Gastspiel der Münchner<br />

Saxophonistin Edith Steyer mit ihrem<br />

Trio „Le West“ schon verdient gehabt,<br />

zumal es sich am Mittwoch um den<br />

Eröffnungsabend der Jazzsaison<br />

2000/2002 handelte. So aber kamen nur<br />

etwa 30 Besucher in den Genuß eines<br />

Gratis-Jazzkonzertes, das deutlich von<br />

kammermusikalischen Tönen beherrscht<br />

wurde.<br />

Sie ist keine Unbekannte mehr in<br />

Moosburg, die aparte Musikerin aus<br />

München mit dem gefühlvollen<br />

Klangvolumen auf dem Tenor- bzw.<br />

Altsaxophon. In dieser oder anderen<br />

Besetzungen konnte man sie schon des<br />

öfteren im Hirschen erleben, wo sie schon deshalb immer wieder gerne auftritt, weil man da „neue Sachen so<br />

schön ausprobieren und alles spielen kann, worauf man Lust hat“, wie sie im Pausengespräch verriet. Zusammen<br />

mit Peter Wegele am wohltönenden, ehemaligen Club-Klavier aus dem Etcetera und Rainer Lewalter am<br />

swingenden Kontrabaß, zwei erfahrenen Berufsmusikern aus der Münchner Szene, hatte sie diesmal Lust auf<br />

allerlei Bebob-Reminiszenzen, die den ersten Set zu einer eher konventionell anmutenden Performance machten,<br />

die hauptsächlich vom Wohlklang des Tenors, dem soliden Groove des Kontrabasses und dem routinierten Spiel<br />

des Pianisten lebte.<br />

Der zweite Durchgang brachte dann überwiegend Eigenes aus der Feder von Edith Steyer, deren Kompositionen<br />

sich durchaus mit denen ihrer großen Vorbilder wie Thelonius Monk, Dizzy Gillespie oder George Gershwin aus<br />

dem ersten Set messen konnten. Das kammermusikalische Konzept des Trios, unbeeindruckt vom Tam-Tam<br />

oder Bum-Bum eines Schlagzeugs primär die melodischen und harmonischen Werte ihrer Stücke möglichst<br />

stilvoll in den Vordergrund zu<br />

stellen, war wohl eher etwas für die<br />

Genießer stilvollen Musizierens als<br />

für die Anhänger eines mitreißenden,<br />

rhythmischen Drive. So mancher<br />

Besucher schien denn auch zu<br />

ungewohnt früher Stunde genug<br />

gehört zu haben und machte sich<br />

wohlgefällig wippend auf den<br />

Heimweg. So kamen nur die ganz<br />

harten Bewunderer in den Genuß<br />

eines besonderes originellen Stückes<br />

namens „The Ending“, in dem Edith<br />

Steyer sämtliche Klischees von<br />

musikalischen Schlüssen<br />

aneinanderreihte, was zum Ausklang<br />

des Abends paßte wie das<br />

Tüpfelchen auf dem i. –rk-<br />

Edith Steyer, Rainer Lewalter und Peter Wegele (v.l) im Jazz Club Hirsch


41<br />

Anarcho-Musik fürs Kind im Zuhörer<br />

Datum: 25.09.00<br />

Bürgers „Nachgeburt“ alias „3B-Trio“ gefiel im Hirschen wie verrückt<br />

Moosburg. Nicht, daß der „Jazz Club Hirsch“ hätte anbauen müssen, um allen zahlenden Fans seines<br />

berühmtesten Mitglieds Gelegenheit zu einem Wiederhören zu geben, im Gegenteil: der Kultcharakter von<br />

Nachgeburt-Seancen scheint für einige bereits wieder zu verblassen, so daß ausreichend Platz entsteht für neue<br />

Zuhörerschichten, um sich zu Füßen dreier begnadeter Urkomiker niederzulassen, die diesmal als „3B-Trio“ in<br />

Erscheinung traten.<br />

Neben den vertrauten „Nachgeburt“- Gesichtern von Roland Bißwurm an Schlag- und Mundwerk, sowie<br />

Norbert Bürger an allem, nur nicht an der Quetschkommode, überraschte erstmals der kongeniale Schmarrn-<br />

Virtuose „Guiseppe Pertini“ mit rotzfrechen Saxophon-Heulern und Tuba-Winden, die ebensowenig aus Milano<br />

stammten wie die bayerischen Kommentare des amtierenden „Negerländers“. Dennoch: Taktgeber und<br />

Chefdramaturg Roland Bißwurm war seinen erwartungsvollen Zuhörern, die fifty-fifty fürs Lachen und fürs<br />

Zuhören gekommen waren, wieder jede Menge musikalische Münchhausiaden schuldig. Nach dem Rezept „Je<br />

freier der Jazz, desto mehr Spaß muß sein“ und mit Kalauern wie „Der Klavierstimmer hat sich am Freitag früh<br />

den Arm gebrochen“, oder „Auf hoher See ist es abends am schönsten“ oder „Sesam und Adam lagen beim<br />

Bäcker im Regal und ließen den Herrgott einen guten Mann sein“ pustete Bißwurm immer wieder jene würzige<br />

Mischung aus Treib- und Lachgas in den Raum, die Free-Jazz am bekömmlichsten macht.<br />

Denn gerade solcher Nonsens, der ruhig auch daneben gehen und dadurch um so sympathischer werden kann,<br />

macht Zuhörer so richtig hypersensibel für jeden Blödsinn, der sich dann in den frei improvisierten<br />

Musikstücken nahtlos fortzusetzen scheint. Wie anders wäre es denkbar, daß vor der Androhung einer 12teiligen<br />

Suite schon die versehentliche Berührung eines Beckens für Kreischen sorgt? Wie anders würde eine<br />

Kaffeemaschine, die bei den ersten Tönen des Stücks „Auf hoher See“ plötzlich Gischt zu versprühen scheint,<br />

den Hirschen zum Brüllen bringen?<br />

Nicht immer kommen den drei todernsten Witzbolden bei ihrem Trip ins Ungewisse solche Zufälle zu Hilfe.<br />

Dann müssen sie zeigen, was sie können. Und das ist eine Menge. Man gebe Norbert Bürger zwei Töne, Roland<br />

Bißwurm einen Luftballon und Guiseppe Pertini keine Wäscheklammer, mit etwas Glück kommt ein Ohrwurm<br />

dabei daraus. Erst recht an ihren angestammten Instrumenten entwickeln die Drei eine Könnerschaft, die für<br />

jeden verbalen Schmarrn entschädigt. Das Neuste vom Samstag: Norbert Bürger läßt auf seiner Gitarre jetzt<br />

schon Lokomotiven in Tunnels verschwinden! Bei Guiseppe Pertini melden sich Kobolde, die in seiner Tuba<br />

wohnen, erstmals öffentlich zu Wort! Mundwerk-Maestro Bißwurm hat am Luftballon endlich auch das<br />

Quietschen austretender Luft entdeckt! Wenn das keine Nachrichten sind!<br />

Man sieht, die Luft wird dünn, wo Sound-Explorer im Unerhörten Land nach neuen Energiequellen schürfen.<br />

Mag das Kind im Zuhörer ruhig daran glauben, daß aus Anarchie und Chaos jederzeit ein „Lied für Adeline“<br />

nachgeboren werden kann, ehrliche Musiker selbst hören an ihren eigenen Soundspuren sehr genau, wo sie<br />

schon waren und wo kein Neuland mehr ist. Das kann beim Pionierspielen dann ziemlich langweilig für einen<br />

selber werden! Wie willkommen ist da ein vertrautes Gesicht, das plötzlich in der Tür erscheint. Wenn es dazu<br />

noch dem alten Fährtensucher Harry Salzmann gehört, der außerdem noch sein Tenor dabei hat, was soll da noch<br />

passieren? Natürlich das Neuste vom Tage! Harry Salzmann hütet in seinem Tenorsaxophon neuerdings die<br />

Brunftschreie des gesamten alpenländischen Tierkreises! Irgendwie eigenartig, laut, komisch, pompös, zufällig,<br />

aber schön blöd, das Ganze! -rk-


42<br />

Wann spielt die Stadtkapelle im Hirschen?<br />

Datum: 05.10.00<br />

Vollmundige Blechmusik sorgt für Überraschung im „Jazz Club Hirsch“<br />

Moosburg. Was immer bei jazzhungrigen Lesern geklingelt haben mag, als ihnen auf dem „Jazz Club Hirsch“-<br />

Programm für Mittwoch, 4.10. mit feuchtem Augenaufschlag ein „Operativer Vorgang mit Melancholie“<br />

angeboten wurde, bei dem – wie es weiter heißt – „sieben Musiker der Traurigkeit eine Chance geben wollen<br />

und den Soundtrack spielen zum Film, der sich Leben nennt,“ - die Vorstellungskraft der meisten dürfte bei<br />

soviel Tremolo und Waschzettel-Poesie weit über das Ziel hinaus geschossen sein. Würde der berühmte Klos im<br />

Hals auftreten? Würden Tränen aus dem Film „ Leben 1“ oder „Leben 2“ zur von der Bühne kullern? Würde die<br />

Traurigkeit die ihr gebotene Chance nutzen und Rotz und Wasser heulen?<br />

Wer auf dem Weg zum Hirschen mit solchen spannenden Fragen beschäftigt war, (die ja auftauchen können, wo<br />

nicht mehr Töne die Musik machen, sondern Worte), bekam beim Betreten des Lokals die Antwort sofort: die<br />

Zeit ist reif für komische Rührseligkeit! Gut gefüllt, wohnte der Jazz Club Hirsch dem Gastspiel einer jungen<br />

und vorlauten Blaskapelle bei, die vor allem über weiblichen Charme, die Liebe zur alpenländischen Folklore,<br />

eine gediegene ostdeutsche Ausbildung in Dialektik und außerdem über einen waschechten ehemaligen „IM<br />

Melancholie“ verfügt, der seinen früheren Stasi-Decknamen zum Programm gemacht hat.<br />

Was bei dem „Operativen Vorgang“ aus Landlern und Mazurken, Walzern Märschen und Zwiegesang fehlte,<br />

war die Traurigkeit. Sie schlug die Chance aus, die man ihr bot. Auf Friedhöfen, wo man den sieben Schelmen<br />

auch begegnen soll, mag sie durchaus anzutreffen sein, im Hirschen aber mußte man die erforderliche<br />

Melancholie schon selber mitbringen. Oder auch nicht. Einige Zuhörer konnte man dabei beobachten, wie sie<br />

mit den Mitteln des „Positiven Denkens“ in schrägen Tönen und holprigen Rhythmen lieber die Parodie als die<br />

Melancholie suchten. Ein durch und durch loyaler Zug, in allem, was auf einer Bühne daneben geht, liebe die<br />

Komik als den Fauxpas zu sehen. Man hat dabei mehr zu lachen!<br />

Was fehlte, war auch „der Film, der sich Leben nennt“. Statt dessen konnte man einem sympathischen Häuflein<br />

von Amateuren dabei zuschauen, wie es sich durch vertrackte Blasmusik-Arrangements kämpfte. Übrigens ein<br />

Vergnügen, dem man auch in Musikschulen und Proberäumen begegnen kann. Nur nicht mit diesem<br />

vollmundigen Anspruch. So manche bescheidene Schülerkapelle sollte sich vielleicht einfach ein frecheres<br />

Etikett zulegen. So was stellt bei gewissen Freunden des uferlosen Experimentierens sofort die Ohrwatschln in<br />

die Höhe, ganz egal, was danach kommt. Wenn dann das Publikum auch noch so anständig ist, wie im<br />

Moosburger Hirschen, spenden am Ende wieder fünf Aufrechte den Applaus für zwanzig, die gegangen sind.<br />

Bleibt die Frage: wann bekommt die Moosburger Stadtkapelle endlich ihre Chance im Hirschen? Wo doch jetzt<br />

der „Jazz Club Hirsch“ nach den Worten von Club-Präsident Günther Janovski, zum „Menschen Club Hirsch“<br />

werden soll? Wann wird Norbert Bürgers „Nachgeburt“ endlich beim Bezirks-Blasmusikfest auftreten? Ein<br />

kritisches und ernstes Studium der Programmankündigungen der nächsten Zeit erscheint geboten. Damit beim<br />

nächsten mal die Volksmusikfreunde in den Hirschen, die Jazzfans ins Festzelt und die Pressefritzen ihre<br />

verlorenen Maßstäbe wiederfinden. –rk-


43<br />

Spannende Reise in die Langsamkeit<br />

Datum: 19.10.00<br />

SHaPe-Debüt mit Harfe, Flöten und Trommeln im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Ein ebenso ungewöhnliches wie reizvolles Konzerterlebnis hatte am Mittwoch der Jazz Club<br />

Hirsch für fußballabstinente Zeitgenossen parat: Mit der Gruppe „SHaPe, deren Name sich aus den<br />

Anfangsbuchstaben von Saxophon, Harfe und Percussion zusammensetzt, stellte sich ein Trio vor, das in<br />

dieser Zusammensetzung zum ersten mal vor Publikum auf der Bühne stand. Dem begeisterten Beifall der bis<br />

zum letzten Ton ausharrenden Zuhörer nach zu schließen dürfte der erste Auftritt von SHaPe in Moosburg<br />

nicht der letzte gewesen sein.<br />

Für Roman Seehon, den weitgereisten Jazzer und Weltmusik-<br />

Percussionisten aus Freising, war es die Rückkehr auf eine<br />

Bühne, auf der er zum letzten mal vor fünf Jahren mit einer<br />

Bigband aufgetreten war, wie er in seiner Begrüßung<br />

feststellte. Diesmal sei man zwar nur zu dritt, aber dennoch<br />

habe man fast genau so viele Instrumente dabei wie damals. In<br />

der Tat hätten vor lauter Trommeln und Becken, Blas- und<br />

Schlaginstrumenten neben der wahrhaft majestätisch<br />

aufragenden Harfe kaum noch weitere Instrumente,<br />

geschweige denn ein vierter Musiker auf der Bühne Platz<br />

gehabt.<br />

In sachlicher Form umriß Seehon das musikalische Konzept<br />

und stimmte die Zuhörer mit interessanten Informationen auf die<br />

jeweiligen Stücke ein, die sich im Lauf des Abends zu einem dezenten<br />

Fleckerlteppich aus orientalischen und südamerikanischen, jazzigen und<br />

experimentellen Klangfarben zusammenfügten. Wohltuend unprätentiös<br />

verließen sich die Musiker dabei auf die natürlichen Schwingungen<br />

ihres archaisch zusammengesetzten Instrumentariums aus Saiten- Blas-<br />

und Schlaginstrumenten, und erzeugten damit eine geradezu<br />

erdverbunden wirkende Harmonie im Raum. Weder Virtuosität noch<br />

überschäumende Kreativität ließ die Zuhörer beim Harfenspiel von<br />

Kathrin Pechlof aufhorchen, sondern ihre offenkundig klassisch<br />

geschulte Musikalität, mit der sie die lyrischen Klangfarben ihres<br />

Instruments sehr gekonnt ins musikalische Ganze einbrachte. Dabei<br />

verschwieg die junge Musikerin keineswegs, welche Hemmschwellen<br />

eine klassische Harfinistin auf dem Weg zur freien Improvisation zu<br />

überwinden hat. „Ich hab mir vorher die tollsten Sachen zurechtgelegt,<br />

die ich spielen wollte, aber dann bin ich doch lieber auf Nummer sicher<br />

gegangen“, meinte sie in der Pause mit entwaffnender Offenheit.<br />

Haupthindernis einer sich frei entfaltenden Melodik seien die Pedale,<br />

die zur Erzeugung jedes chromatischen Halbtonschritts gedrückt werden<br />

müßten, klärte Kathrin Pechlof, die dennoch fest entschlossen ist, ihrem<br />

großen Vorbild Evelin Huber bei der Emanzipation der Harfe nachzueifern<br />

Auf allen sogenannten „Woodwinds“, sprich Flöte, Klarinette, Sopran- und Tenorsaxophon entwickelt Wolfhard<br />

Metz aus Garching eine höchst sensible Könnerschaft, die ebenfalls eine klassische Schulung verrät. Auch seine<br />

locker eingeschobenen Improvisationen, mit denen er von Zeit zu Zeit ins Ungewisse aufbricht, um dann sehr<br />

stilsicher auf den gemeinsamen Weg zurückzufinden, tragen sehr zur Abwechslung bei. „Wir sind heute auf der<br />

langsamen Seite“, lautete sein Kommentar, mit dem er sich fast dafür zu entschuldigen schien, daß überwiegend<br />

lyrische und meditative Stücke im Programm auftauchten.<br />

Dass dennoch keinerlei Tristesse oder Langeweile aufkam, war vor allem ein Verdienst des Ausnahmetrommlers<br />

und Geräusche-Magiers Roman Seehon, der nicht nur Darabukas und Doiras, Davul,<br />

Bendir, Küdüm und Nagara aus seiner Sammlung orientalischer<br />

Percussionsinstrumente zum Knarzen und Heulen, Schlackern und Säuseln brachte,<br />

sondern auch einen Roland-Drum-Sythesizer, dem er nicht minder exotische Klänge<br />

entlockte. Stets in Bewegung wie ein verspielter Derwisch auf der Suche nach<br />

Schlangen, die man beschwören könnte, stellt Seehon den Tambourmajor und<br />

Medizinmann in einer Person dar, der seine Mitspieler unaufdringlich inspiriert.<br />

Aus Eigenkompositionen und orientalischen Traditionals, Astor Piazzollas „Tango<br />

Apacionado“ und Michael Breckers „Safari E42“, Ray Briants „Cubano Chant“ und<br />

Joe Zawinuls „Remarkumate“ woben die Drei von „ShaPe“ einen Teppich, der über 50<br />

Zuhörern Platz bot, um die musikalische Reise in die Langsamkeit wie im Flug<br />

mitzuerleben. Alle blieben bis zum Schluß und wurden mit zwei Zugaben belohnt. –rk-


44<br />

Dosierter Beifall für sechs coole Könner<br />

Datum: 23.10.00<br />

Warten auf den zündenden Funken beim Hardbob-Revival von „Jazzoo“<br />

Moosburg. Extremer hätten die Unterschiede im Programmangebot des<br />

Jazz Club Hirsch innerhalb einer Woche kaum ausfallen können: Hatten<br />

noch am Mittwoch die Drei von „SHaPe“ mit ihrer aus dem Bauch<br />

kommenden Ethno-Exotik für gefühlvolle und spannende Séancen-<br />

Stimmung im gut gefüllten Hirschen gesorgt, stellten am Samstag beim<br />

Sondergastspiel der Gruppe „Jazzoo“ sechs talentierte Jazzakrobaten mit<br />

zum Teil schwer zugänglichen Eigenkompositionen einen respektvollen<br />

Abstand zwischen Publikum und Podium her.<br />

Die ambitionierte Kompromißlosigkeit des Sextetts aus München kündigte<br />

sich schon im Warm-Up an, als zum gegenseitigen Kennenlernen nicht etwa<br />

eine leicht bekömmliche Medium- oder Up-Tempo-Nummer Appetit auf mehr<br />

machte. Statt dessen stand eine opulente Ballade am Anfang, deren intensive<br />

Harmonik den Zuhörern alles andere als kalorienarme Jazz-Diät ankündigte.<br />

Gepaart mit einer seltsam introvertierten Gestik, die den Musikern jede<br />

äußerliche Gefühlsregung zu verbieten schien, die jedoch ebenso gut<br />

Ausdruck von cooler Professionalität oder intellektueller Anspannung sein<br />

konnte, hinterließ diese Art von Willkommensgruß dennoch nicht die Wärme,<br />

die Balladen sonst erzeugen können. Andererseits wurde von Anfang an<br />

das ausgeprägte Gefühl für Timing deutlich, über das alle sechs Musiker<br />

verfügen. Auch in der weiteren Programmfolge bestätigte sich, daß gerade<br />

in Balladen die kompositorische Kraft von Stückeschreiber Jörg Weber,<br />

aber auch die Kunst des Zusammenspiels von „Jazzoo“ am<br />

überzeugendsten zum Ausdruck kommen.<br />

Die Eingewöhnungsphase, in der sich die überschaubare Zuhörerschar mit<br />

sechs talentierten Jazzpuristen und ihren postmodern inspirierten Hardbob-<br />

Reminiszenzen anfreundete, dauerte exakt bis zum Trompetensolo von<br />

Robert Alonso, der in der 6/8-Komposition „Sechsperten“ erstmals hörbar<br />

die Gefühlsventile öffnete und sofort mit Beifall belohnt wurde. Von nun<br />

an dosierte das Publikum seine Reaktionen, wenn auch in ungewohnt<br />

zurückhaltender Form, je nach Gefühls-Input der einzelnen Solisten. Ein<br />

Zündfunke der Begeisterung für das Gesamtkonzept glomm derweil eher<br />

verhalten vor sich hin und wartete vergeblich darauf, entfacht zu werden.<br />

Bezeichnenderweise brauchte „Jazzoo“<br />

nach fünf Titeln, darunter ein sehr<br />

effektvoller „Psychowalzer“ für gestopftes<br />

Blech und ein vertracktes Werk namens „Birnenkompott“, eine „Pause für den<br />

Kopf“, wie sich Jörg Weber ausdrückte, was den Eindruck einer insgesamt<br />

etwas zu kopf- und kompositionslastigen Musik noch unterstrich.<br />

Ausschließlich Eigenkompositionen brachte auch der zweite Teil, wobei die<br />

leise Art, miteinander zu musizieren, und die professionelle Ruhe, mit der sich<br />

die Musiker ihrer individuellen Möglichkeiten sicher zu sein schienen, mehr<br />

überzeugen konnten als so manches Werk. Durch ihren Mut, einen ganzen<br />

Abend lang nur Eigenkompositionen aufzuführen, aber auch durch so manchen<br />

beherzten Ausbruchsversuch ins Reich der Improvisation, verdienten sich die<br />

sechs vielversprechenden Einzelkönner von „Jazzoo“ am Ende die respektvolle<br />

Anerkennung der Zuhörer, für die sich Pianist Victor Alcantara, Drummer<br />

Thomas Zimmerman, Kontrabassist Andreas Kurz, Posaunist Rainer Sell,<br />

Trompeter Robert Alonso und Saxophonist Jörg Weber mit einer kurzen<br />

Zugabe bedankten. –rk-


45<br />

Musikalische Reise durch Australien<br />

Datum: 02.11.00<br />

Didgeridoo-Virtuose Dean Wilmington spielt und lehrt in Moosburg<br />

Moosburg. Am Samstag, 4.11. erwartet Moosburger Musikfreunde im Jazz Club Hirsch ein Musikerlebnis der<br />

besonderen Art: Der Didgeridoovirtuose Dean Wilmington, der während seiner Tourneen und musikalischen<br />

Expeditionen die grandiose Naturvielfalt Australiens in allen Ecken und Winkeln kennengelernt hat, stellt in<br />

Wort und Ton seine Heimat vor. Auf einem der ältesten Musikinstrumente der Welt, dem Didgeridoo, will er<br />

den Zuhörern Land und Leute, Tiere und Ureinwohner zum Greifen nahebringen.<br />

Dean Wilmington, der sein Musikdiplom für Klavier und Komposition am Queensland Conservatorium for<br />

Music in Brisbane mit Auszeichnung absolviert hat, konzentriert seine weltweiten musikalischen Aktivitäten<br />

inzwischen ganz auf das faszinierende Blasinstrument der Australischen Ureinwohner. Er hat außerdem ein<br />

neuen Bass-Blasinstrument entwickelt, bei dem die Spieltechnik des Didgeridoos übernommen wird. Sein<br />

Schaffen umfaßt auch Ethnisches Theater und Kompositionsaufträge wie z.B. ein Werk für Didge und Brass<br />

Ensemble. Sein interaktives Didgeridoo Lernprogramm vom Anfang bis zur Konzertreife können Interessierte<br />

ebenfalls am Samstag kennenlernen, wenn Dean Wilmington im Hirschen zwei Workshops für Anfänger und<br />

Fortgeschrittene abhält. Anmeldungen sind möglich über Jahu Musik Freising 08161-3184. -rk-<br />

Australiens „Leitkultur“ ist vielstimmig<br />

Didgeridoo-Virtuose Dean Wilmington begeistert im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Wie schon im vergangenen Jahr verwandelte der australische Komponist, Didgeridoo-Lehrmeister<br />

und Grunz-Prophet Dean Wilmington den Jazz Club Hirsch für mehrere Stunden in einen gut besuchten Tempel<br />

der Ur-Musik. 15 Anfänger und fünf Fortgeschrittene nahmen am Samstag nachmittag an zwei Didgeridoo-<br />

Workshops teil. Am Abend endete eine musikalische Konzertreise durch Australien vor vollem Haus mit einem<br />

grandiosen Grunz-Konzert, in das zahlreiche Befürworter einer vielstimmigen „Leitkultur“ begeistert mit<br />

einstimmten.<br />

Von „fliegenden Ärzten“ hatte man schon gehört aus dem fünften Kontinent „Down under“, wo Entfernungen so<br />

gigantisch sind, daß selbst Seelsorger ihre Schäfchen mit dem Flugzeug zusammenhalten müssen, erfuhren die<br />

Zuhörer an diesem Abend. Als Sohn eines solchen „fliegenden Pastors“ hat Dean Wilmington sein Heimatland<br />

vom Norden her kennengelernt, jenem wilden Teil Australiens, aus dem auch das geheimnisumwitterte Klang-<br />

Langholz namens Didgeridoo seinen Siegeszug durch das zivilisierte Australien und später durch den Rest der<br />

Welt angetreten hat. Wie begeistert seine Ankunft gerade in Bayern und speziell im Raum München-Freising-<br />

Moosburg aufgenommen wurde, machte die Anwesenheit zahlreicher praktizierender Didgeridoo-Fans deutlich,<br />

die sich zusammen mit vielen Neugierigen aller Couleur an diesem Abend auf eine spannende Didge-Seance im<br />

Hirschen einrichteten.<br />

Die Nähe zum Jazz liegt in der Natur der Didge-Musik, denn auch sie entsteht aus der Improvisation. Doch<br />

anders als im Jazz stehen nicht Kompositionen, die in Variationen weiterentwickelt werden, am Beginn eines<br />

Didge-Stückes, sondern elementare Klangbilder, deren Bestandteile der Natur selbst abgelauscht zu sein<br />

scheinen. So nahm Reiseleiter Wilmington seine Zuhörer zunächst mit auf jene schnurgerader Straße von Nord-<br />

nach Zentralaustralien namens „The Track“, deren scheinbar monotoner Verlauf ins flimmernde Nichts vor den<br />

Augen und Ohren der gebannten Zuhörer immer vielstimmiger Gestalt annahm. Daß bei so viel Polytonie sogar<br />

dem Künstler manchmal buchstäblich „die Spucke wegblieb“ und er immer wieder am Wasserglas nippen<br />

mußte, hatte bei Stücken wie „Yellow Waters“, „A Walk through the Rainforest“ oder „Dessert Flight“ weniger<br />

mit der australischen Wüste zu tun als mit seiner zirkularen Atem- und Blastechnik, mit der er vom Känguruh bis<br />

zum Dingo alles zum Leben erweckte, was Down-Under kreucht und fleucht. Wieviel Atemluft zur Erzeugung<br />

solcher scheinbar pausenloser Soundtracks nötig ist, erfuhren die Zuhörer am eigenen Leib, als sie in einem<br />

kleinen Workshop die Entwicklung vom ersten Ton bis zur Zirkularatmung nachvollziehen sollten.<br />

Jener tranceähnlicher Zustand, den jeder kennt, der einmal ein Feuer angeblasen hat, stellte sich aber nicht nur<br />

bei Wilmingtons amüsanten Didge-Lektionen ein, sondern auch beim Zuhören. Davongetragen auf den<br />

rhythmischen Schwingungen natürlicher Urlaute konnte man mit geschlossenen Augen in längst versunkene<br />

Welten vordringen, deren Bilder direkt aus der Seele der Erde zu kommen schienen. Aber auch<br />

Errungenschaften der Zivilisation, wie jene längste Eisenbahnstrecke der Welt zwischen Adelaide und Perth,<br />

wurden mit ihren mühsamen Steigungen und rasanten Abfahrten zu einem grandiosen Naturphänomen. Auch bei<br />

einer Performance für Disco-Playback und Didgeridoo, die anläßlich eines Windsurfer-Events in Sylt entstanden<br />

ist, bewies Wilmington, daß sein Instrument längst dabei ist, aus den Kinderschuhen ethnischer Grunzlaute in die<br />

modernen Disco-Treter der Techno-Welt zu schlüpfen.<br />

Vielstimmigkeit blieb auch während der Zugabe das A und O der Didge-Kultur. Wilmingtons origineller<br />

Gedanken, die hoch entwickelte Musikalität, mit der das Publikum jeden Ton, den er ihm vorsang, sofort<br />

nachsingen konnte, sei typischer Ausdruck einer europäischen „Leitkultur“, führte direkt in die deutsche<br />

Gegenwart. Nachdem er jeden einzelnen Zuhörer dazu ermutigte, doch seinen eigenen Grunzlaut zu finden und<br />

selbstbewußt gegen alle anderen Stimmen durchzusetzen, erfüllte sich der Hirsch mit einer grandiosen<br />

Vielstimmigkeit, die jeder Diskussionsrunde über „Leitkultur“ als elementare Hörprobe zu empfehlen wäre. –rk-


46<br />

Trommeln bis der Hirsch tanzt<br />

Workshop und Trommelnacht mit therapeutischer Wirkung<br />

Datum: 15.11.00<br />

Moosburg. Nach der letzten „Afrikanischen<br />

Trommelnacht“ im Jazz Club Hirsch soll niemand mehr<br />

behaupten, er sei zu schüchtern oder zu ungelenk oder<br />

zu unrhythmisch, um zu tanzen. Ganz das Gegenteil<br />

bewiesen nämlich am vergangenen Wochenende zwei<br />

Trommelvirtuosen aus Nigeria und Barbados, die auf<br />

ihren exotischen Yembes, Ikoros und einem ganz<br />

normalen Schlagzeug-Set die Zuhörer solange aus der<br />

Reserve lockten, bis es selbst eingefleischteste<br />

Tanzmuffel nicht mehr auf ihren Sitzen hielt.<br />

Das Geheimnis von Ifanyi Okolo und Andi Weekes ist so<br />

einfach wie wirkungsvoll. „Alleine auf der Bühne geht gar<br />

nichts“, meinte der nigerianische Trommelkünstler und<br />

Bildhauer Ifanyi Okolo. „Uns geht es ums Mitmachen, um<br />

ein Gemeinschaftserlebnis, bei dem wir die traditionellen<br />

Rhythmen unserer Kultur an andere weitergeben“. Der<br />

elementare Ansatz lautet dabei: das Trommelfell ist ein<br />

Medium, über das Menschen aller Kulturkreise in<br />

Verbindung treten und Botschaften untereinander<br />

austauschen können. Tatsächlich versteht der studierte<br />

Bildhauer und Trommelmeister sein perkussives<br />

Instrumentarium als eine Art Sprachrohr, womit er ganz in<br />

der Tradition der „Talking Drums“ seiner Heimat Nigeria<br />

steht In seinen Workshops, die sich unter dem Motto „Jeder kann trommeln und tanzen“ auch in Moosburg<br />

immer größerer Beliebtheit erfreuen, führt er seine Schüler in die Grundlagen der Trommelsprache ein.<br />

Entscheidende Bedeutung kommt dabei der eigenen Artikulationsweise bestimmter Gefühlsinhalte und Silben<br />

zu. „Wenn jemand mit dem Mund die Silben da dum ba formt, ist damit eigentlich schon klar, wie sich das auf<br />

einer Trommel anhören würde“, erklärt Ifanyi Okolo und meint damit die Zuordnung heller oder dunkler Vokale<br />

und harter oder weicher Konsonanten zu einzelnen Trommeln oder Segmenten eines Trommelfells. „Über den<br />

Mund erschließt sich jedem einzelnen die ganze Welt der Rhythmen, die wir auf unseren Trommeln nur noch<br />

umzusetzen brauchen“, meinte der Meister und formte typische Beispiele rhythmischer Figuren mit den Lippen,<br />

die klar als Fragen oder Antworten, Ausrufe oder Lockrufe zu deuten waren.<br />

Zu welchen Geschichten zwei Virtuosen ihres Faches mittels der sprechenden Trommeln in der Lage sind,<br />

erfuhren die Besucher der „Afrikanischen Trommelnacht“ am eigenen Leib. Zwar war anfangs eine gewisse<br />

insistierende Beharrlichkeit der Künstler nötig, um auch den schüchternsten Gast davon zu überzeugen, daß auch<br />

er tanzen könne, doch irgendwann gab sich jeder einen Ruck und mischte sich groovend oder zuckend,<br />

stampfend oder schwebend, gelenkig oder steif unter die übrigen Tänzer. Es hatte etwas Befreiendes, mit<br />

anzuschauen, wie Alt und Jung, Frauen und Männer, von denen einige zuletzt in der Tanzstunde getanzt haben<br />

dürften, zu den Klängen zweier Trommler aus sich<br />

herausgingen und ihren eigenen Ausdrucksstil<br />

fanden.<br />

Als dann auch noch einige Schüler auf der Bühne<br />

zusammen mit ihren Lehrmeistern zum besten<br />

gaben, was sie im Workshop gelernt hatten, kannte<br />

das gemeinsame Lockerungs- und<br />

Selbstbefreiungsritual keine Grenzen mehr.<br />

Schweißgebadet, mit geschlossenen Augen und<br />

entrücktem Gesichtsausdruck, ließen sich die<br />

Tänzer in eine Welt entführen, in der es keine<br />

Ungeschicklichkeit oder Tapsigkeit, sondern nur<br />

noch Ausdruck und Freude an der Bewegung gibt.<br />

-rk-<br />

Befragt, ob er sich auch als Therapeut verstehe, antwortete Ifeanyi<br />

mit einem klaren Ja.


47<br />

Keine Panik trotz Jazz-Inferno<br />

Münchner Quintett „Jazz don´t panic“ bricht Power-Rekord<br />

Datum: 25.11.00<br />

Moosburg. Kein winziger Flötenständer hätte mehr auf die Bühne gepaßt, so dicht gedrängt schickten sich<br />

am vergangenen Mittwoch fünf Musiker und ungefähr doppelt so viele Instrumente an, im Jazz Club Hirsch<br />

den Power-Jazz-Rekord auf der nach oben offenen Inferno-Skala zu durchbrechen. Selbst hartgesottene<br />

Zuhörer brachten sich nach geraumer Zeit auf entfernteren Stühlen in Sicherheit und genossen eine<br />

avantgardistische Sounddusche der Extraklasse.<br />

Allein das Arsenal der Rhythmusinstrumente ließ im wahrsten Sinne des Wortes aufhorchen. Drei Stand-<br />

Tomtoms, drei Hänge-Tomtoms, zwei Snare Drums, sieben elektronische Rhythmpads, zwei Hi-Hats, fünf große<br />

und sieben kleine Becken, sowie zahllose Percussion Instrumente wurden von zwei exzellenten Schlagzeugern,<br />

Karsten Helmbold aus Hannover und Thomas Wühr aus München, derart leidenschaftlich bearbeitet, daß der<br />

rhythmische Untergrund mehr als gesichert war. Daß die Beiden im Moosburger Jazz Club Hirsch überhaupt<br />

zum ersten mal gemeinsam auf der Bühne standen, hätte beim bloßen Zuhören niemand gemerkt, so homogen<br />

und ohne gegenseitige Behelligung ergänzten sie sich.<br />

An E-Gitarre und Baß sorgten Bernhard Bürger und Nick Högl für harmonische Fülle, die häufig auch durch<br />

Sequenzer und allerlei Hall-Effekte angereichert wurde. Überhaupt entwickelte sich die reinste Materialschlacht<br />

auf der Bühne, da auch Bandleader und Saxophonist Wolfgang Mesch gleich mehrere Keyboard- und<br />

Sequenzergeräte einsetzte, die für einen selten gehörte und überaus abwechslungsreiche Klangfülle sorgten.<br />

Zum Glück waren die Fensterläden des Hirschen schon vor Konzertbeginn geschlossen worden, so daß keine<br />

empörten Anlieger den Kunstgenuß trübten.<br />

Sämtliche Stücke, darunter Titel wie „Los geht’s“, Hasen-Quartett“<br />

oder „Viel Verkehr“ stammen von Wolfgang Mesch, der nicht nur über<br />

große solistische Fähigkeiten auf dem Tenor- und Baritonsaxophon<br />

verfügt, sondern auch als Soundmagier neue Wege geht. Ein<br />

ausgeklügeltes elektronisches System von Sequenzern, die er über<br />

zwölf Fußpedale bedient, erlaubt es ihm, sich selbst Riffs oder<br />

Melodienbögen zu unterlegen, auf denen er dann seine solistischen<br />

Höhenflüge entwickelt. Daß daraus manchmal eine Art One-Man-<br />

Show wird, bei der die anderen Vier ihrem Sound-Guru Wolfgang<br />

Mesch als Wasserträger dienen, tut dem musikalischen Genuß keinen<br />

Abbruch.<br />

Die kompositorische Qualität ist enorm. Hier packt ein Klangvisionär<br />

mit ungewöhnlichen harmonischen Kenntnissen seine Trickkiste aus,<br />

die neben Funk, Rock, Latin und Fusion auch viel avantgardistische<br />

Elemente enthält. Erdiger Jazz-Rock wechselt ab mit Südsee-<br />

Romantik, modale Riffs werden zu immer neuen Höhepunkten<br />

aufgetürmt, so daß der Zuhörer am Ende den Eindruck gewinnt, durch<br />

eine Galerie aus Klanggemälden geführt zu werden. Der Gefahr einer<br />

gewissen Saxophon- Lastigkeit des Programms entgeht Wolfgang<br />

Mesch zum Glück durch sein enormes solistisches Repertoire, das<br />

keine Langeweile aufkommen läßt, auch wenn man sich das eine oder<br />

andere zusätzliche Gitarren- oder Baßsolo gewünscht hätte.<br />

Die fünf Musiker genossen ihren Ausflug in den Jazz Club Hirsch offensichtlich selbst so sehr, daß sie sich am<br />

Ende bei dem „tollen Moosburger Publikum“ bedankten. Auch die Besucher waren vom opulenten Power-Jazz-<br />

Menü Marke „Jazz don´t panic“ so angetan, daß sie durch minutenlangen Beifall mehrere Zugaben erzwangen.<br />

-rk-


48<br />

Musizieren bis der Fuß wippt<br />

Titus Waldenfels Trio serviert Swing- und Blues Delikatessen<br />

Datum: 30.11.00<br />

Moosburg. In Abwandlung eines Marlene-Dietrich-Songs, der ebenfalls zum Repertoire der drei<br />

Vollblutmusiker gehörte, die am Mittwoch im Hirschen ihre Aufwartung machten, hätte es auch heißen<br />

können „Wir sind von Kopf bis Fuß auf Musik eingestellt“. Aber egal. Da Texte ohnehin zu<br />

bedeutungsschwer gewirkt hätten in diesem leicht bekömmlichen Menü aus handgemachter Easy-listening-<br />

Music, swingenden Evergreens und bluesigen Standards, konnten die zahlreichen Besucher sich ganz auf die<br />

virtuos zum Klingen gebrachte Botschaft des Titus Waldenfels Trios konzentrieren, die da heißt: swingen, bis<br />

der Fuß wippt.<br />

Mit extrem leichtem Gepäck, bestehend aus drei kleinen Verstärkern, sowie einer alten Epiphone-<br />

Massivholzgitarre, einem schlanken Kontrabaß tschechischer Bauart und einer elektrisch verstärkten Geige,<br />

machten sich die Drei daran, mit verhaltener Lässigkeit die Filigrankunst des Zusammenspiels zu zelebrieren.<br />

Tonangebend ganz klar Gitarrist Titus Waldenfels, der auf der Bühne eine freundliche Führerschaft an den Tag<br />

legt, der sich seine beiden Mitspieler mit wachsamer Aufmerksamkeit unterordnen.<br />

Wo hat er nicht schon überall seine Gitarrenkünste eingebracht. Bei der Ethno-Kulttruppe „Embryo“ hat er eine<br />

Weile mitgemischt, aber auch beim strengen Piano-Meister Mal Waldron hat er in die Saiten gehauen. Doch<br />

merkt man von all diesen Einflüssen nur wenig, geht es ihm in seinem eigenen Trio doch um den eigenen Spaß,<br />

und den findet er in der Swingmusik eines Django Reinhardt oder anderer Größen der akustischen Gitarre. In<br />

diesem Genre wird Waldenfels eins mit seinem Instrument. Kein Tempo zu hoch und keine Changes zu<br />

verzwickt, als daß er nicht mit sichtbarem Vergnügen daran ginge, alles aus seinem Instrument herauszuholen,<br />

was er irgendwann, irgendwo aufgeschnappt hat. Zitate sind keine Seltenheit in seinem Spiel, doch scheinen sie<br />

wie Spielsachen an seinem Weg zu liegen, der ihn zu immer neuen Freuden führt.<br />

Mit Martin Marincak am Kontrabass und L'ubo Samo an der Violine, zwei tschechischen Meistern ihres Fachs,<br />

hat Titus Waldenfels einen Glücksgriff getan, der letztlich ihm selbst zugute kommt. Niemand würde vermuten,<br />

daß Martin Marincak, ein ehemaliger E-Bassist, seinen wohlklingenden Kontrabaß erst vor etwa acht Jahren in<br />

die Hand genommen hat, so sicher und geschmackvoll gehen ihm die schwierigsten Läufe von der Hand. Seine<br />

Intonation ist bewundernswert rein, und auch seine Zwei-Finger-Zupftechnik erlaubt ihm solistische Einlagen<br />

von hoher Virtuosität. L’ubo Samo hat offensichtlich die großen Jazz-Geiger von Stephan Grappelli bis Zipflo<br />

Reinhardt mit Fleiß studiert und wandelt mit Bravour auf ihren Pfaden.<br />

Was die drei Musiker vereint, ist ihre Liebe zu handgemachter, dynamischer Triomusik, in der alle Stimmen<br />

gleichberechtigt sind und sich gegenseitig befruchten. Selbst wenn ein Baßsolo sanft mit Akkorden unterlegt<br />

wird, steuert die Violine noch ihren Teil durch sanfte Trommelschläge auf den Geigenkorpus bei. Mit Standards<br />

wie „Exactly like You“ oder „Sweet Georgia Brown“, aber auch mit einem lyrischen Bossa-Nova wie „Waiting<br />

for the Wulf“ von Martin Marincak trafen die drei passionierten Saitenkünstler voll den Geschmack des<br />

Publikums. Auch sie selbst schienen so viel Spaß am Musizieren zu haben, daß die Pausen nach einem Stücken<br />

auf das absolute Minimum zusammenschrumpften, nämlich das unvermeidliche „One – two – one – two – three<br />

– for“, mit dem schon im Applaus das nächste Thema eingezählt wurde.<br />

Warum Titus Waldenfels sogar während der Stücke des öfteren auf die Wanduhr über dem Hirschgeweih<br />

schaute, kann nur vermutet werden. Vielleicht wollte er ja nur ausrechnen, ob noch das eine oder andere<br />

zusätzliche Stück ins Programm paßte. Nach drei swingenden und groovenden Sets kamen jedenfalls alle, die<br />

dabei waren, voll auf ihre Kosten. –rk-


49<br />

Musikalische Notlösung mit Zukunft<br />

Datum: 04.12.00<br />

Auch ohne Baß wurde „Der Moment – Moment mal“ zur Sternstunde<br />

Moosburg. Er tauchte nur in einigen Ansagen als Komponist auf, der dritte Mann Johannes Fink, seines<br />

Zeichens Kontrabassist, der Gerhard Gschlößls Trio „Der Moment“ sonst angehört. An diesem Abend<br />

dürften dem Abtrünnigen in seiner neuen Heimat Berlin die Ohren geklungen haben, jedoch nicht, weil im<br />

gut gefüllten Hirschen so viel über ihn geredet wurde, sondern weil dem verbleibenden Duo aus Gerhard<br />

Gschlößl an der Posaune und Matthias Rosenbauer am Schlagzeug, das sich kurzerhand in „Der Moment –<br />

Moment mal“ umbenannte, der Beweis gelang, daß man einen fehlenden Baß auch in Abwesenheit zum<br />

Klingen bringen kann.<br />

„Als klar war, daß sich die Anreise aus Berlin für ihn nicht<br />

rechnen würde, haben wir uns zusammengesetzt und<br />

probiert, was wir zu zweit machen können“, lautete die<br />

einfache Entstehungsgeschichte, mit der Gerhard Gschlößl<br />

den Weg von der Not zu Tugend beschrieb. Was dabei<br />

herauskam, war alles andere als eine Notlösung. Im<br />

Gegenteil: das stutzige „Moment mal“ im neuen<br />

Bandnamen ließ derart aufhorchen, daß man ohne<br />

Übertreibung von einer Sternstunde der Duo-Musik<br />

sprechen kann. Da haben sich zwei kongeniale<br />

Instrumentalisten gegenseitig ein Programm auf den Leib<br />

geschrieben, das beiden ein Maximum an<br />

Entfaltungsspielraum bietet. Den scheinbar grenzenlosen<br />

technischen Möglichkeiten des Posaunisten Gerhard<br />

Gschlößl, der seinem Instrument alle nur denkbaren<br />

Intervalle, Phrasierungen und Läufe mit spielerischer<br />

Leichtigkeit entlockt und dabei stets geschmeidigen<br />

Wohlklang erzeugt, setzt Matthias Rosenbaum sein nicht<br />

minder komplettes Arsenal an Schlagtechniken und<br />

rhythmischen Geräuschen entgegen.<br />

Auf fein abgestimmten Fellen, die nicht krachen, sondern<br />

tönen, aber auch auf den Gestängen und Schrauben seines<br />

Sets, sowie auf vier effektvoll eingesetzten Becken, geht er<br />

so athletisch, präzise und zupackend zu Werke, daß er eine<br />

ganze Rhythmusgruppe ersetzt, die normalerweise ja aus<br />

Baß, Schlagzeug plus Klavier oder Gitarre besteht. Speziell<br />

seine virtuose Behandlung der sonoren Fußtrommel sorgt im Zusammenspiel mit den synkopischen Einwürfen<br />

der Stöcke oder Besen für Grooves, die absolut tanzbar sind. Durch sein solides Timing, das ein unbestechliches<br />

inneres Metronom vermuten läßt, schafft er je nach Belieben wechselnde Anklänge an Hip-Hop und Polka,<br />

Samba und Tango, Gospel und Blues, denen sich sein Partner blind anvertrauen kann.<br />

Eventuell existierende Zweifel im Publikum ob der ungewöhnlichen Besetzung Posaune/Schlagzeug waren<br />

schon nach den ersten Takten verflogen. Erst recht, als Gschlößl durch sparsamen Einsatz elektronischer<br />

Hilfsmittel für selbst erzeugte Mehrstimmigkeit und begleitende Loops sorgte, die entweder als flinke Schatten<br />

hinter seinen melodischen Figuren her eilten oder als Echo auf seine uriger Brunftlaute antworteten, stellte sich<br />

pures Vergnügen bei den Zuhörern ein. Aus Eigenkreationen wie „Gospel Nr.2“, „Die einsame Bärin“ oder<br />

„Polka Pokal“ sprach außerdem eine Fülle jenes musikalischen Humors, der als Nebenprodukt perfekter<br />

Instrumentalkunst häufig entsteht.<br />

Das beste aber war, wie Gerhard Gschlößl und Matthias Rosenbaum ihren dritten Mann am Kontrabaß, der gar<br />

nicht da war, dennoch zum Klingen brachten. Durch pure Einbildungskraft gelang es ihnen, die fehlenden<br />

Baßtöne so zum Schwingen zu bringen, daß sie im Ohr des Zuhörers tatsächlich entstanden. Moment mal ... das<br />

gibt’s doch gar nicht, könnte man sagen! „Der Moment“ hat es im Hirschen vorgemacht. Kompliment! -rk-


50<br />

Jazzige Nikolaus-Bescherung im Jazz Club<br />

Datum: 07.12.00<br />

„B-Strain“ aus München hatte Bebop, Fusion und Funk-Jazz im Gepäck<br />

Moosburg. In fast allen Sätteln<br />

modernen Jazz-Stilistik gerecht<br />

präsentierte sich am Mittwoch das<br />

Quartett „B-Strain“ aus<br />

München. Mit Bandleader und<br />

Gitarrist Georg Alköfer,<br />

Saxophonist und Klarinettist<br />

Alexander von Hagke, E-Bassist<br />

Gerd Bödicke und Drummer<br />

Tommy Eberhard stellten sich am<br />

Nikolaustag vier erfahrene<br />

Musiker auf der Hirsch-Bühne<br />

vor, denen swingende Bebob-<br />

Standards von Charlie Parker<br />

oder Fusion-Musik von Chick<br />

Corea genau so gut von der Hand<br />

gingen wie Gospel-Funk,<br />

Jazzrock oder Latin-Grooves.<br />

Mit Eigenkompositionen machte<br />

Georg Alköfer auf sich<br />

aufmerksam. Titel wie „Saigon-<br />

Walz“ oder „Even Cowboys get the Blues“ verrieten ein ausgeprägtes Gespür für lyrisches Harmonik und<br />

eigneten sich hervorragend zum Improvisieren. Schön auch die Wiederbegegnung mit Ohrwürmern der jüngeren<br />

Jazzgeschichte wie Pat Methenys „Song for Bilbao“, Nat Adderlys „Sweet Emma“ oder Don Grolniks „Nothing<br />

personal“.<br />

Dass die Vier schon länger zusammen spielen, zeigte sich an dem blinden<br />

Verständnis, mit dem selbst schwierigste und technisch anspruchsvolle Titel<br />

dargeboten wurden. Lediglich einige Reminiszenzen an die Bebob-Ära ließen<br />

vermuten, daß dies nicht unbedingt der authentische Stil des Quartetts ist,<br />

dessen Mitglieder hörbar mit der Musik der 70ger- und 80iger-Jahre<br />

aufgewachsen sind. Dafür klappte das Zusammenspiel zwischen Schlagzeug<br />

und Bass in der Abteilung Fusionmusik um so besser. Funkige Basslinien<br />

von Gerd Bödicke wurden von Drummer Tommy Eberhard exzellent<br />

aufgegriffen und in pulsierende Drives verwandelt, denen Gitarrist Georg<br />

Alköfer mit sicherem Timing rhythmische und harmonische Glanzlichter<br />

aufsetzte. Mit sattem Tenorsound schwang Alexander von Hagke sich über<br />

die harmonischen Vorgaben und machte keinen Hehl aus seiner<br />

Bewunderung für Vorbilder wie Wayne Shorter oder John Coltrane.<br />

Überraschend dann sein einziges Klarinetten-Solo, daß in seiner brüchigen<br />

und zugleich lyrischen Sensibilität an jiddische Traditionals erinnerte. Von<br />

dieser Art schlichter und ergreifender Emotionalität, die auch verhangene<br />

Vierteltönen mit einbezog, hätte man gerne mehr gehört.<br />

Bassist Gerd Bödicke fühlte sich dagegen eher heimisch in der Welt<br />

slappender und funkiger Fretless-Virtuosität und nutzte jedes Stück für<br />

seine atemberaubende Fingerakrobatik. Georg Alköfer erwies sich einmal<br />

mehr als kompletter Gitarrist, der mit großer Einfühlungsgabe musizierte<br />

und seine ausgefeilte Technik immer in den Dienst der Kompositionen<br />

stellte. Drummer Tommy Eberhard gab dem Quartett durch solide<br />

Trommelarbeit und sicheres Timing die nötige Sicherheit, hielt sich jedoch<br />

solistisch etwas zu sehr im Hintergrund.<br />

Ob der Nikolaus schuld daran war, daß die Musiker mit nur etwa dreißig<br />

Zuhörern unter sich blieben, oder König Fußball, egal: B-Strain hatte viel<br />

Hörenswertes im Gepäck und bereitete den Jazzfreunden eine wahrhaft<br />

bekömmliche Nikolaus-Bescherung. Auf einem Zeichenblock festgehalten<br />

wurde der Auftritt übrigens von einer Studentin der Kommunikations-<br />

Grafik, Eva Wilcke aus Freising, deren Kohlezeichnung von den Musikern<br />

anschließend gebührend bewundert wurde. Ob da vielleicht sogar ein<br />

Coverbild für die nächste CD entstanden ist? Zu wünschen wäre es der<br />

jungen Künstlerin, die im „Kunstraum Hirsch“ irgendwann ihre<br />

gesammelten Jazz-Zeichnungen ausstellen möchte. –rk-


51<br />

Aus dem Quintett wurde ein Trio<br />

Bekömmliche Jazz-Standards im Hirschen mit „House of Jade“<br />

Datum: 21.12.00<br />

Moosburg. Vielleicht sollte es so sein, daß dem Quintett „House of Jade“ bei seinem Gastspiel im Jazz Club<br />

Hirsch drei Tage vor Weihnachten ausgerechnet zwei Musiker fehlten, die sonst für besondere<br />

Lärmentwicklung garantieren. Ohne Schlagzeug und Trompete präsentierte sich „House of Jade“ am<br />

Mittwoch mit einer bekömmlichen und besinnlichen Mischung aus Real-Book-Standards,, bei der sich der<br />

Kontrabaß von Hans Hartmann, das Tenorsaxophon von Elmar Krick und die Gitarre von Peter Satzger zu<br />

einer swingenden Form von moderner „Stubenmusi“ vereinten.<br />

Es waren nur einige wenige Stücke, bei denen die zu Sonderschichten gezwungene Rhythmusgruppe das<br />

Schlagzeug vermissen ließ, wie etwa bei Wahne Shorters „House of Jade“, dem das Ensemble seinen Namen<br />

verdankt. Ansonsten machten Gitarre und Baß das beste aus der Situation und genossen hörbar ihr ungestörtes<br />

Tete-a-tete, zu dem Hans Hartmann geschmeidige Baßlinien und abwechslungsreiche Soli beisteuerte, während<br />

Peter Satzger auf seiner Epiphone-Gitarre durch geschmackvolle Begleitung und filigrane Improvisationen<br />

überzeugte.<br />

Auch Saxophonist Elmar Krick interpretierte seine führende Rolle als einziger Bläser mit spürbarer Begeisterung<br />

und entschädigte die Zuhörer durch kraftvolle und melodiöse Improvisationen. Besonders mit lateinamerikanisch<br />

angehauchten Stücken wie Joe Hendersons „Recordame“, Antonio Jobims „Meditation“ oder dem<br />

unverwüstlichen „One Note Samba“ traf das Trio voll den Geschmack des Publikums und schuf eine<br />

Atmosphäre von unkomplizierter Entspanntheit. Sichtlich angetan von dieser Art des leisen Musizierens gab das<br />

Publikum sich erst zufrieden, als die Musiker mit ihrer zweiten Zugabe die Musiksperrstunde um Mitternacht um<br />

fünf Minuten überzogen. -rk-


53<br />

Entwicklungshilfe in Sachen Lebensfreude<br />

Datum: 14.01.01<br />

Hajo Hoffmann und Lygia Campos verzaubern durch BrazilJazzWorldMusic<br />

Moosburg. Die Besucher des Jazz Club Hirsch kamen am Samstag beim Auftritt des Duos „Hajo & Lygia“ in<br />

den Genuss eines hochkarätigen Konzert-Specials, das in punkto Spiel- und Lebensfreude keine Wünsche<br />

offen ließ. Die seit zehn Jahren in München lebende brasilianische Sängerin, Pianistin und Komponistin<br />

Lygia Campos und ihr Partner Hajo Hoffmann, Jazzgeiger, Arrangeur und Komponist aus Hannover, haben<br />

sich unter dem Motto „The art of dialogue“ (Die Kunst des Dialogs) einer Musik verschrieben, die sie als<br />

„BrasilJazzWorldMusic“ bezeichnen.<br />

Was sie darunter verstehen, sprang in Form von allseits bekannten, aber sehr persönlich aufpolierten Bossa-<br />

Nova-Standards, aber auch in originellen, stilübergreifenden Eigenkompositionen derart spontan auf die Zuhörer<br />

über, dass sich im gut gefüllten Hirschen eine wahrhaft „grenzenlose“ Musikbegeisterung breit machte. Auf<br />

geistreiche Art mit dem Inhalt der Stücke vertraut gemacht, erlebten die Zuhörer eine spannende Reise durch<br />

Musikkulturen dieser Welt, denen die Kraft innewohnt, europäischen Ohren so etwas wie „Entwicklungshilfe in<br />

Sachen Lebensfreude“ zurückzugeben.<br />

Beide Musiker verstehen sich als Botschafter eines kulturellen Verschmelzungsprozesses, der ernst macht mit<br />

den Zielen von Humanität und Völkerverständigung. Die Vision einer multikulturellen Welt lag auch der<br />

Gründung einer privaten Musikschule in München zugrunde, an der Hajo und Lygia seit vier Jahren zusammen<br />

mit vier weiteren Lehrkräften in sogenannten „Blue Planet“-Kursen die Musikkulturen Afrikas, Südamerikas und<br />

Europas vermitteln. Unter der Maxime „Sensibilität für dich selbst ist Sensibilität für die Welt“ zielt der<br />

Unterricht auf ein ganzheitliches Menschenbild, in dem Natürlichkeit und Kreativität mehr bedeuten als Technik<br />

und Industrie. Zwar wurde das Publikum im Hirschen nicht direkt mit solchen gesprächsweise geäußerten<br />

Gedanken konfrontiert, doch übertrug sich der geistige Background des Duos spürbar auf die Zuhörer, die das<br />

faszinierende Zusammenspiel von Temperament und Sinnlichkeit, Humor und Virtuosität mit Staunen<br />

verfolgten.<br />

Lygia Campos, äußerlich ausgestattet mit allen Attributen exotischer Weiblichkeit, überträgt die Phantasiewelt<br />

ihrer Songs mit warmer und zugleich kraftvoller Stimme in Melodien voller Sinnenfreude, auch dann noch,<br />

wenn in den meist portugiesischen Texten die Melancholie überwiegt. Mit kraftvollem Anschlag begleitet sie<br />

sich und die feinen Lautmalereien ihres Partners auf einer elektronischen Klaviertastatur. Hajo Hoffmann,<br />

Schüler des verstorbenen polnischen Jazzgeigers Zbigniew Seiffert, gehört zweifellos zu den Großen seines<br />

Faches. Seine atemberaubende Grifftechnik, sein dynamischer Bogenstrich und seine improvisatorische<br />

Kreativität verhelfen ihm zu einer umfassenden musikalischen Freiheit, in der er alles Denkbare auch hörbar<br />

machen kann. Hinzu kommt sein geschmackvoll modulierter Ton, der weit vom oft kitschverdächtigen<br />

Schluchzen anderer Jazzgeiger entfernt ist. Zusammen bilden die beiden eine sensible Symbiose, die in ihrer<br />

natürlichen Ausgewogenheit pures Hörvergnügen hinterlässt.<br />

Nachdem sich die Zuhörer bei Ohrwürmern wie „Girl of Ipanema“ selbst stimmlich einbringen und später sogar<br />

mittels Biergläsern, Feuerzeugen und Schlüsseln eine rhythmische Begleitung beisteuern durften, stand fest, dass<br />

die Botschaft vom kulturellen Miteinander auch in Moosburg auf fruchtbaren Boden gefallen ist. –rk-


54<br />

Datum: 25.01.01<br />

Jazz-Entertainment zum Mitswingen<br />

Das Mäx Huber Quartett sorgte im Jazz Club Hirsch für gute Laune<br />

Moosburg. Nach seinem Kabarettdebüt im November letzten Jahres packte Drummer Mäx Huber am<br />

Mittwoch im „Jazz Club Hirsch“ keine „Gedankentaschen“, sondern gute, alte Standards zum Mitswingen<br />

aus. Sattelfest in allen Stilrichtungen des Mainstream-Jazz-Entertainments blätterten die Koreanerin Kim<br />

Chong (Klavier und Gesang), Stefan Pfisterer (Gesang), Kalle Metz (E-Baß) und Mäx Hummer (Schlagzeug)<br />

nach Belieben in der Real-Book-Jazzbibel und zogen dabei so manches fast vergessene Kleinod hervor, das<br />

man in dieser Besetzung nur selten zu Gehör bekommt.<br />

Ausgestattet mit einem wohlklingenden Jazz-Organ sorgte der aus Wangen im Allgäu stammende Sänger Stefan<br />

Pfisterer für relaxte Clubatmosphäre und ließ Erinnerungen an Ballrooms der Fünfzigerjahre aufkommen, in<br />

denen einst Titel wie „All of me“, „Ain´t misbehavin“ oder „Body and Soul“ zu Ohrwürmern wurden. Da der<br />

schwäbelnde Charmeur mit dem gewissen<br />

Etwas in der Stimme außerdem die Kunst des<br />

Scat-Gesangs beherrscht, kamen auch die<br />

Anhänger swingender Gesangs-Improvisationen<br />

zu ihrem Recht.<br />

Am Klavier zog die attraktive Koreanerin Kim<br />

Chong, Studentin der Munich-Jazz-School, die<br />

Blicke auf sich und machte ihrem Lehrmeister<br />

Max Neissendörfer musikalisch alle Ehre. Mit<br />

Songs wie dem unverwüstlichen „One Note<br />

Samba“ und ein zupackendes Klavierspiel, bei<br />

dem die linke Hand viel Drive erzeugte,<br />

während die rechte letzte Leichtigkeit noch<br />

etwas vermissen ließ, nahm sie die Zuhörer im<br />

Sturm für sich ein und zählt mit Sicherheit zu<br />

den apartesten Erscheinungen der letzten Zeit<br />

auf der Hirschbühne.<br />

Seine Bewunderung für den Revolutionär am E-Baß, Jaco Pastorius, setzte Kalle Metz mit technischer Bravour<br />

und großer Musikalität in die Tat um. Seine solistischen Einlagen, die mühelos alle stilistischen Anforderungen<br />

zwischen Funk und Fusion, Bebop und Latin erfüllen, wurden stets mit Beifall belohnt. Am Schlagzeug erwies<br />

sich Mäx Huber einmal mehr als ruhender Pol, der mit sicherem Timing und raffinierten, solistischen Miniaturen<br />

für Bewunderung sorgte.<br />

Dass beim zweiten Auftritt einer Gruppe, die in dieser Besetzung erst seit kurzem zusammen ist, die Besucher<br />

bis zur Zugabe begeistert mitgingen, spricht für die sympathische Ausstrahlung eines Quartetts, das angetreten<br />

ist, die oft vergessene Entertainment-Qualität des Jazz neu zu beleben. Rasante Unisono-Läufe zwischen Piano<br />

und Gesang, perfekte einstudierte Schlüsse und so manches gelungene Arrangement erhöhten den Reiz eines<br />

Auftritts, der am Ende mit großem Beifall bedacht wurde. –rk-<br />

Sonderapplaus für Sondergastspiel<br />

Datum: 28.01.01<br />

Das Uli-Wangenheim-Quartett sorgt im Hirschen für Begeisterung<br />

Moosburg. Mit einem in jeder Hinsicht gelungenen Auftritt sicherte sich das Uli-Wangenheim-Quartett am<br />

Samstagabend die Begeisterung des Moosburger Jazz-Publikums. In der Besetzung Jan Eschke (p), Bastian<br />

Jütte (dr), Lui Leininger (b) und Uli Wangenheim (ts) präsentierten sich gleich vier Musiker der<br />

Spitzenklasse auf der Bühne und machten das kostenpflichtige Sondergastspiel zu einem ungetrübten<br />

Vergnügen.<br />

Namensgeber Uli Wangenheim ließ nicht nur durch ausgereifte und originelle Kompositionen wie „Piano“,<br />

„Odessa“ oder „Slavotic“ aufhorchen, er ging auch als Solist mit bestem Beispiel voran und erfüllte selbst einige<br />

zunächst etwas kopflastig wirkende Stücke mit unbändiger Musikalität und großem Sound-Reichtum. Eines der<br />

typischen Merkmale der Band, trotz größter, solistischer Entfaltungsmöglichkeit jedes einzelnen in kurzen Riffs<br />

immer wieder Kontakt zueinander aufzunehmen, führte zu atemberaubenden Arrangements von selten gehörter<br />

Präzision.<br />

Mit Jan Eschke sitzt eines der hoffnungsvollsten Münchner Piano-Talente am Klavier und erweist sich in punkto<br />

Variabilität und Einfallsreichtum als absolut ebenbürtiger Partner des Bandleaders. Dass er seine fulminante<br />

Technik nie zum Selbstzweck, sondern stets in dramaturgischer Absicht einsetzt, um einem Stück neue


55<br />

Glanzlichter aufzusetzen, gereicht ihm besonders zur Ehre. Ähnlich Bastian Jütte am Schlagzeug, der sein<br />

gruppendienliches Spiel nur dann für solistische Eskapaden unterbricht, wenn das Arrangement danach verlangt.<br />

So wurde sein Solo im Soundgemälde „Niger“ zu einer einzigen Vertonung von Licht und Schatten auf den<br />

braunen Stromschnellen eines Flusses, der am Ende in den „Polyrhythmischen Ozean“ mündet.<br />

Die Zuverlässigkeit in Person steht mit Lui Leininger am Kontrabass. Nie aufdringlich im Ton, dafür mit<br />

einfühlsamer Präzision begleitend, begeisterte<br />

auch er die Zuhörer durch seine melodische<br />

Improvisationsgabe. In Balladen wie dem<br />

zerbrechlich hingehauchten „Piano“ erzeugten<br />

die Vier eine Ruhe, in der man fast den<br />

Herzschlag des Sitznachbarn zu hören glaubte.<br />

Zwischen Swing, Fusion und zeitgenössischen<br />

Bebop-Derivaten gelang dem Uli-<br />

Wangenheim-Quartett der Nachweis, dass es<br />

einem begabten Arrangeur und drei<br />

kongenialen Instrumentalisten möglich ist, mit<br />

einem Kopfnicken Ordnung zu schaffen, wo<br />

eben noch lustvolles Chaos herrschte. Musiker<br />

und Zuhörer belohnten sich mit zwei Zugaben<br />

und einem Jimi Hendrix-Hymnus unter<br />

präsidialer Mitwirkung von Günter Janovsky. –<br />

rk-<br />

Fruchtbare Fusion unter Komponisten<br />

Datum: 08.02.01<br />

Münchner Quintett „Scoop“ geht im Jazz Club Hirsch an Ei(ge)ngemachte<br />

Moosburg. Es spricht nicht nur für die schöpferische Potenz einer Band, sondern auch für ihr intaktes<br />

Selbstbewußtsein, wenn statt wohlfeiler Jazzstandards einen ganzen Abend lang nur Eigenes aufs Notenpult<br />

kommt. Wo andere Musiker schon bei der Ankündigung beliebter Ohrwürmer mit der Zustimmung der<br />

Zuhörer rechnen können, mußten die fünf Musiker von „Scoop“, die sich am Mittwochabend auf der<br />

Hirschwirt-Bühne ausschließlich ans Ei(ge)ngemachte wagten, Stück für Stück ihr Bestes geben, um die<br />

Erwartungen, die sie mit ihren oft skurrilen Titeln erweckten, auch mit Inhalt zu erfüllen. Sie wurden für ihr<br />

couragiertes Konzept mit viel Beifall belohnt.<br />

Das liegt zum einen an der erfrischenden Wirkung ihrer Werke. Unschwer zu erkennen, hat jeder der Fünf seine<br />

Hausaufgaben in Komposition und Arrangement gemacht und sich außerdem fleißig in der jüngeren<br />

Jazzgeschichte umgehört. Mag vielleicht beim einen die ausgetüftelte Konstruktion mehr im Vordergrund<br />

stehen, beim anderen das impressionistische Auftürmen verminderter Major-Akkorde und beim Dritten das<br />

gründliche Ausloten modaler Grundstimmungen, das Repertoire bietet viel Abwechslung und stellt als Ganzes<br />

eine spannende Momentaufnahme zeitgenössischer Jazzkomposition dar.<br />

Hinzu kommt die sympathische Unbefangenheit, mit der die teilweise hoch gelegten harmonischen Hürden der<br />

eigenen Werke solistisch angegangen werden. Daß sich dabei nicht alle Titel gleich gut zum Abheben eignen,<br />

mag daran liegen, daß manches seitenlange Arrangement sich offensichtlich noch im „Rohbau“ befindet.<br />

Dagegen entfalten Wolfgang Roth (Alt- und Sopransax), Thomas Wecker (E-Gitarre), Volker Giesek (Klavier<br />

und Synthesizer), Manolo Diaz (Kontra-E-Baß) und Martin Kolb (Schlagzeug) in bereits abgehangenen oder<br />

einfacher gestrickten Stücken um so mehr Spielfreude und stehen sich in puncto melodischer Raffinesse und<br />

rhythmischer Präzision in nichts nach.<br />

Bei sanft-rockiger Latin Fusion in „Der Norweger“, mit Blue Notes gespickten Arrangements wie „The Frog“,<br />

grüblerisch-verdrucksten Kopfgeburten wie „Not in Austria“ oder einem an Kurt Weill erinnernden, morbiden<br />

Synthi-Walzer wie „Bereits die Erste“, machten die Zuhörer gerne Bekanntschaft mit fünf<br />

Musikerpersönlichkeiten, die mehr in die Band „Scoop“ einbringen als nur Technik und Spielwitz. Ihren<br />

Werken, die in der fruchtbaren Fusion musizierender Komponisten einen spannenden Reifeprozeß durchlaufen<br />

werden, möchte man irgendwann wieder begegnen. -rk-


56<br />

Rasta-Look und Reggae-Groove<br />

Datum: 11.02.01<br />

Bunte Hirsch-Gemeinde begrüßt den Frühling mit der Gruppe „Ujima“<br />

Moosburg. Es muß nicht immer Jazz sein. Manchmal, wenn die grauen Tage und kalten Nächte gar kein Ende<br />

nehmen wollen, darf es sogar liebend gerne etwas Leichteres sein. So geschehen am Samstag im Jazz Club<br />

Hirsch, als die lapidare Plakat-Ankündigung „Ujima – Reggae“ gleich so viele Besucher anlockte, daß es guter<br />

Ellenbogen bedurfte, um sich seinen Weg durch tanzende und groovende Freunde der karibischen Kultmusik zu<br />

einem der wenigen Stehplätze zu bahnen. So vertraut die rhythmischen Klänge auch waren, mit denen die drei<br />

gut gelaunten Musiker auf der Bühne ihr Publikum in Wallung brachten, so neu waren auch viele Gesichter von<br />

Besuchern, die man sonst kaum im Hirschen sieht.<br />

Zahlreiche Brüder und Schwestern im Geiste Rastafaris, die stolz ihre mühsam<br />

verfilzten Zöpfe zur Schau trugen oder sie unter gewaltigen Häkelturbanen<br />

verbargen, bildeten zusammen mit feschen Farbigen aus München, neuen und<br />

alten Blumenkindern aus Altbayern und vielen jungen Anhängern karibischer<br />

Kultur eine bunte Gesellschaft, die vor allem eines wollte: gut drauf sein bei einer<br />

Musik, die mit drei Akkorden, einem eingängigen Refrain und einem<br />

pulsierenden Rhythmus ein Maximum an Lebensfreude vermittelt.<br />

Daß die Gesetze des schönen Gesanges und seiner dekorativen Verpackung<br />

schon bald aufgehoben waren und statt dessen ein Schwall einfacher, aber sehr<br />

humaner Botschaften von der Bühne donnerte, störte nur verwöhnte Genießer.<br />

Hoffnungslos in Unterzahl, schwenkten auch sie bald ein ins sanfte Schunkeln<br />

und verlegten sich darauf, „good vibrations“ auszusenden, was zur Folge hatte,<br />

daß der Funke des guten alten Reggae-Feelings bald vom ganzen Raum Besitz<br />

ergriff.<br />

Wer möchte schon einem „Rasta-Soldier“ widersprechen, der mit rauher Stimme immer wieder daran erinnert,<br />

daß alle Menschen gleich sind, daß braun nicht schwarz und grau nicht weiß ist und daß man beim Trinken (und<br />

überhaupt) immer daran denken soll, daß draußen die Polizei wartet. Als Andi Weekes (Gesang und Schlagzeug)<br />

aus Barbados, Jonas Jay (Keyboards) aus Nigeria und Jackson (E-Baß) aus dem Sudan dann mit „No woman no<br />

cry“ auch noch die legendäre Hymne der Reggae-Musik anstimmten, waren Jung und Alt, Arm und Reich,<br />

Braun und Grau im schweißtreibenden Groove der Karibik vereint. -rk-


57<br />

Ohrenschmaus im Jazz Club Hirsch<br />

Quartett "Tetrapak" begeistert durch "brutal starkes" Können<br />

Datum: 18.02.01<br />

Moosburg. Wenn Kunst tatsächlich von Können kommt, trifft<br />

es zu, daß die Besucher des Jazz Club Hirsch am<br />

Samstagabend einen Kunstgenuß erster Klasse erleben durften.<br />

Selbst hochgesteckte Erwartungen, ausgelöst durch die Namen<br />

Uli Wangenheim (Bassklarinette und Tenorsaxophon), Martin<br />

Auer (Trompete und Flügelhorn), Florian Schmitt (E-Baß)<br />

und Guido May (Schlagzeug), wurden durch das<br />

Zusammenwirken der vier Ausnahmemusiker im Quartett<br />

"Tetrapak" noch übertroffen. Erst recht, seitdem man weiß,<br />

daß die Gruppe in Moosburg ihren dritten Auftritt absolvierte,<br />

kann man sich ausrechnen, daß "Tetrapak" eine glänzende<br />

Zukunft bevorsteht.<br />

Einzelne Musiker besonders hervorzuheben, erscheint müßig<br />

angesichts der absolut ebenbürtigen Leistung aller Vier. Auch<br />

zielte die Art und Weise, wie selbst atemberaubende Soli fast<br />

übergangslos in kollektive Spannungsbögen übergingen,<br />

keineswegs darauf, Beifall für demonstrative Höchstleistungen<br />

einzuheimsen. Im Gegenteil: selten standen die Stücke selbst und<br />

die Kunst des differenzierten Dialoges zwischen vier<br />

gleichberechtigten Künstlern so im Vordergrund wie hier. Die<br />

dadurch erreichte Bandbreite an Dynamik war enorm. Selbst<br />

berüchtigte Ratsch-Ecken im gut besetzten Hirschwirt verstummten angesichts einer Spannung, die buchstäblich<br />

mit Händen zu greifen war. Die Stille zwischen den Stücken war erfüllt von staunender Nachdenklichkeit über<br />

das gerade gehörte, bevor ein neues Sound-Kapitel aufgeschlagen wurde.<br />

Mit Ausnahme einiger selten gespielter Titel von Eric Dolphy oder Don<br />

Grollnik bestand das Repertoire aus Eigenkompositionen, deren<br />

unterschiedliche Stilistik den Zuhörern viel Abwechslung und den<br />

Musikern große Entfaltungsmöglichkeiten eröffneten. Extrem dynamisch,<br />

außergewöhnlich feinnervig und voller technischer Raffinesse schien<br />

"Tetrapak" sein Publikum nach allen Regeln der Kunst zu beherrschen.<br />

Zwischen atemlosem Pianissimo, das nur vom Geräusch der auf und zu<br />

gehenden Saxophonklappen unterbrochen wurde, und wohl dosiertem<br />

Fortissimo, das nie in Lärm überging, nutzte "Tetrapak" alle<br />

Schattierungen zeitgenössischer Fusion- und Jazzmusik, um den Zuhörern<br />

einen unvergesslichen Abend zu bereiten. Nach tosendem Beifall schien<br />

selbst Guido May die Erkenntnis schwerzufallen, daß der Vorrat an<br />

Stücken bereits nach einer Zugabe aufgebraucht war. Er hätte gerne noch<br />

weiter gespielt, doch wird man auf die Fortsetzung dieses Abends wohl<br />

bis zum nächsten mal warten müssen. „Tetrapak" beherrschte das<br />

Hirschwirt-Publikum nach allen Regeln der Kunst“. –rk-


58<br />

Datum: 22.02.01<br />

Starke Songs aus dem eigenen Leben<br />

Das Singer/Songwriter-Duo PAO überzeugte im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Der Farbenreichtum des Jazz Club Hirsch-Programms wurde am Mittwochabend um eine neue<br />

Schattierung bereichert. Zu Gast war das Singer/Songwriter Duo „PAO“, in dem sich die Sängerin Petra<br />

Scheeser und der Pianist Oliver Hahn zusammengetan haben. Beide können auf eine erfolgreiche Karriere<br />

außerhalb der Jazzbühne zurückblicken. So machte sich Petra Scheeser in der Pop-Gruppe „Wind“ oder in<br />

dem A capella Ensemble „Knister-Sisters“ einen Namen, bevor sie vor einem Vierteljahr mit einem Duo-<br />

Programm zu neuen Ufern aufbrach.<br />

Ihr Partner und Lebensgefährte Oliver Hahn kam aus Bamberg nach München, wo er zunächst in Wally<br />

Warnings „Munich“ die Tasten bediente, später dann in der Thomas-Gottschalk-Show „Na so was“ am<br />

Keyboard saß und zuletzt die Gruppe „Die Komiker“ mit<br />

begründete. Nicht um Geld zu verdienen, sondern um neben<br />

ihren einträglichen Bühnen und TV-Jobs musikalisch<br />

weiterzukommen, haben die beiden ein Bühnenprogramm auf<br />

die Beine gestellt, das fast ausschließlich aus eigenen Songs<br />

besteht.<br />

Die anglo-amerikanische Singer/Songwriter Tradition, aus der<br />

beide kommen, ist unüberhörbar. Nicht musikalische<br />

Innovation ist ihr Anliegen, sondern der Versuch, dem<br />

Bewährtem eigene Glanzlichter aufzusetzen. So wird in den<br />

ausschließlich englischen Texten viel Privates und<br />

Persönliches preisgegeben, das man in dieser oder jener<br />

Formulierung aber auch schon aus anderem Mund gehört hat.<br />

Aufhorchen lassen die außergewöhnliche stimmliche Qualität von Petra Scheesers Gesang und die profunde<br />

Klavierbegleitung Oliver Hahns, der als erklärter Autodidakt über ein erstaunliches technisches und kreatives<br />

Potential verfügt.<br />

Kleine Anekdoten über die gemeinsame Tochter werden ebenso in Melodien umgewandelt wie „Regentage im<br />

August“, Tagträume unter ziehenden Wolken oder Beschwörungen einer besseren Welt, in der man zu sich<br />

selber finden kann. Eindringlich kommt Petra Scheesers Leidenschaft, sich im Gesang zu verwirklichen, über die<br />

Rampe, wenn sie mit der schlichten Zeile „I´ve got to sing my Song“ den Schlußpunkt hinter ein Programm<br />

setzt, das zwischen Pop und Jazz den schmalen Grad geschmackvoller Unterhaltung findet.<br />

Sollte es den beiden gelingen, ihr gemeinsames Songbook noch durch die eine oder andere musikalische<br />

Abwechslung zu bereichern, um so einer gewissen Gleichförmigkeit zu entgehen, die sich nach zwei Stunden<br />

Gesang mit Klavierbegleitung zwangsläufig einstellt, könnte das sympathische Paar „PAO“ der in Deutschland<br />

nicht gerade hoch entwickelten Kunst des Songschreibens neue Freunde gewinnen. –rk-<br />

Eine Polka für Hirsch-Wirtin Ingrid<br />

Datum: 05.03.01<br />

„Tresilo“- Bassist Robert Klinger komponierte für den Jazz Club<br />

Moosburg. Die Gruppe „Tresilo“ mußte am Samstag<br />

im Jazz Club Hirsch zunächst feststellen, daß die<br />

Ankündigung „Zwischen Jazz, Klassik und Folklore“<br />

die Fans nicht gerade in Scharen zum<br />

kostenpflichtigen Samstagabend-Special lockte. Die<br />

drei Saitenkünstler auf E-Gitarre, Konzertgitarre und<br />

Kontrabaß begannen ihr leises Konzert dennoch in<br />

bester Laune und bescherten den immer zahlreicher<br />

werdenden Besuchern einen Hörgenuß, bei dem man<br />

die Seele baumeln lassen konnte.<br />

Lyrische und mit viel Verständnis für den<br />

Zusammenklang von drei Saiteninstrumenten<br />

arrangierte Eigenkompositionen boten gegenüber dem<br />

letzten Auftritt von „Tresilo“ vor einem Jahr viel<br />

Neues. Klassische Elemente, die damals noch<br />

überwogen hatten, wurden durch Stücke ersetzt, die rhythmischer und moderner geworden sind, sich einem<br />

stilistischen Etikett jedoch noch immer verschließen. Mag der eine bei so viel Gitarren-Seligkeit von Spaniens<br />

Küsten geträumt haben, ein anderer davon, wieder einmal die eigene Klampfe hervorzuholen und zu üben, ein


59<br />

dritter vielleicht davon, wieder einmal Garcia Lorca zu lesen, eine musikalische<br />

Schublade, in die man die Musik hätte stecken können, fehlte und wurde von<br />

keinem vermißt.<br />

Bemerkenswert gut mischte sich der synthetische Sound von Alex Czinkes E-<br />

Gitarre mit den filigranen Arpeggien der spanischen Konzertgitarre Wolfgang<br />

Wallners und den eleganten Linien, die Robert Klinger auf seinem Kontrabaß fand.<br />

Rhythmisch anspruchsvoll und voll harmonischer Raffinesse entstanden<br />

musikalische Miniaturen, die<br />

eigentlich der witzigen Titel<br />

gar nicht bedurft hätten, die<br />

immer wieder für Schmunzeln<br />

sorgten. Eine tiefe<br />

Verneigung vor der „guten<br />

Seele“ des Hirschwirts machte Robert Klinger mit seiner<br />

Komposition „Hirsch-Polka“, die er der Hirschwirtin Ingrid<br />

widmete. Ihm, der lange vor der Gründung des Jazz Clubs<br />

auf der Hirsch-Bühne sein Kontrabaß-Debüt gab, sei es ein<br />

echtes Anliegen, seine Verbundenheit mit dem „Hirschen“<br />

musikalisch zu dokumentieren, ließ er die Zuhörer wissen.<br />

Für seine Geste, die „Hirsch Polka“ selbst und drei<br />

Zugaben gab es reichlich Applaus. -rk-<br />

Hirschwirtin Ingrid nahm von Robert Klinger die „Hirsch-Polka“ entgegen<br />

Auf Kaperfahrt im Bermuda-Dreieck<br />

Datum: 09.03.01<br />

„Jazzpiraten“ zu harmlos, um fette Beute im Hirschen zu machen<br />

Moosburg. Wie andere Kinder gerne Räuber und Gendarm spielen, oder Cowboy und Indianer, so spielten<br />

am Mittwoch fünf namhafte Jazzer im Jazz Club Hirsch das Spiel „Jazzpiraten“. Was stimmte, war die naive<br />

Unbefangenheit, sich unter einem Stock ein Schwert vorzustellen, oder unter einem Saxophon eben einen<br />

Enterhaken. Was fehlte, war die wilde Angriffslust, mit der zu allem entschlossene Piraten sonst ihre fette<br />

Beute machen.<br />

Zwar rief Käpt´n Harry Saltzmann am Saxophon seine<br />

Piraten-Crew, bestehend aus Patrik Ried an der E-<br />

Gitarre, Roland Bißwurm am Schlagzeug und Willi<br />

Wipfler am Kontrabaß, sowie Gastpirat Gerhard<br />

Geschlössl an der Posaune mit Rufen wie „Alles klar,<br />

Piraten zum Entern!“ immer wieder ins Gefecht, doch<br />

schien bei dem sonst so inspirierten Trommler an<br />

diesem Abend das Pulver trocken zu sein, beim<br />

feingliedrigen Baßmann fehlte die rechte<br />

Durchschlagskraft und auf der Gitarre erklang anstelle<br />

blutrünstiger Shanties eher sanfter Dudel-Rock. Was bei<br />

dem so entstehenden musikalischen Scharmützel<br />

vollends fehlte, waren gut aufeinander abgestimmte,<br />

gemeinsam vorgetragene Attacken. Statt dessen suchte<br />

jeder Einzelkämpfer sein Heil in der Flucht nach vorn,<br />

in der Hoffnung, jemand würde ihn da schon wieder raus hauen.<br />

Beim Ort des Geschehens konnte es sich eigentlich nur um das berüchtigte Bermuda-Dreieck handeln, in dem<br />

schon so manche stolze Fregatte auf Grund liegt. Während die Fünf so vor sich hin schipperten, schollen allerlei<br />

Calypso- und Bambo-, Rumba- und Cha-Cha-Cha-Fetzen herüber, unterbrochen von den Klängen einer<br />

alpenländischen Blaskapelle, die in der Domenikanischen Republik anscheinend gerade des bairischen König<br />

Ludwigs gedachte.<br />

Entschädigt für viel Getöse wurde das zurückhaltende Publikum durch einige Kostproben des Balladen-Meisters<br />

Harry Salzmann, der seinem Ruf als Soundvulkan wieder alle Ehre machte. Absoluter Höhepunkt der<br />

gemeinsamen Kaperfahrt war das Stück „Professor“ des Gastpiraten Gerhard Gschlössl. Der mitreißende<br />

Second-Line-Groove seiner Komposition versöhnte für viel Treibgut, das inzwischen wohl längst auf dem<br />

Meeresgrund des Vergessens gelandet ist. -rk-


60<br />

„La noire“ kommt mit Perkussion<br />

Datum: 02.03.01<br />

Moosburg. Temperamentvoll und gelassen, tiefgründig und leidenschaftlich, rauchig und sexy – den Journalisten<br />

gehen die Vergleiche nicht aus, wenn es darum geht, „La Noire“ in Worte zu fassen, die Chansonsängerin Birgit<br />

Heymann aus Vilsheim, die am Samstag, 10.3. auf der Bühne des Hirschwirt auftritt. Wem die attraktive<br />

Künstlerin mit der Vorliebe für französische Chansons und südamerikanische Lieder bereits bekannt vorkommt,<br />

sollte den Termin dennoch nicht versäumen, denn erstmals musiziert „La noire“ in Begleitung eines<br />

Perkussionisten. Er heißt Roland Gallner, verfügt über ein ganzes Arsenal von Rhythmusinstrumenten und setzt<br />

den Interpretationen von Birgit Heymann das rhythmische i-Tüpferl auf. Da sich die beiden auch menschlich gut<br />

verstehen, darf mit einem interessanten Abend und allerlei humorigen Zutaten gerechnet werden. -rk-<br />

„La Noire“ im Hirschwirt gefeiert<br />

Starke Lieder und gekonnte Performance überzeugen das Publikum<br />

Datum: 10.03.01<br />

Moosburg. Es gibt ein fachkundiges und dankbares Publikum für Chansons und kritische Lieder in<br />

Moosburg, wie man beim Auftritt der Künstlerin Birgit Heyman alias „La Noire“ am Samstagabend im Jazz<br />

Club Hirsch miterleben konnte. In dem für seine Bohème- Atmosphäre und seine gute Akustik bekannten<br />

Musiklokal entwickelte sich das Konzert der sympathischen Künstlerin mit der dunklen Mähne und der<br />

großen Stimme zu einer stimmungsvollen Séance für Chansonfreunde.<br />

Sie ist längst keine<br />

Unbekannte mehr, die in<br />

Vilsheim lebende Sängerin<br />

und Gitarristin Birgit<br />

Heymann, die unter dem<br />

Künstlernamen „La Noire“<br />

in der gesamten Region<br />

einen guten Ruf als<br />

engagierte Künstlerin<br />

genießt. Was neu war an<br />

diesem Abend: seit einiger<br />

Zeit tritt sie zusammen mit<br />

dem Perkussionisten Roland<br />

Gallner auf, einem bei<br />

Vilsbiburg lebenden Multi-<br />

Instrumentalisten, der sich in<br />

Moosburg als kongenialer<br />

Bühnenpartner präsentierte.<br />

Ausgerüstet mit sparsamem<br />

Besteck, bestehend aus<br />

einigen Kürbistrommeln,<br />

Schellen, Klanghölzern und Tamburin, entlockte er seinem Instrumentarium genau jene rhythmischen und<br />

akustischen Klangfarben, die den Vortrag seiner Partnerin aufs einfühlsamste bereicherten.<br />

Erst recht begeistert waren die Besucher von den stimmlichen und instrumentalen Fähigkeiten Birgit Heymanns,<br />

die einmal mehr ihrem Ruf als vielseitige Interpretin gehaltvoller Lieder und versierte Gitarristin gerecht wurde.<br />

Ohne Mikrofon erfüllte ihre ausdrucksvolle Stimme auch dann noch mühelos den Raum, wenn sie selbst den<br />

Eindruck hatte, nicht von allen gleich gut gehört zu werden. Sobald unter den rund 50 Zuhörern dann wieder die<br />

erwünschte Stille einkehrte, kamen sie in den Genuß verborgener Schätze der südamerikanischen Lied-Tradition,<br />

die in Birgit Heymanns Repertoire inzwischen überwiegt. Ihre Verbeugung vor den Großen des französischen<br />

Chansons endete bei Jacques Brels „Amsterdam“ und Edith Piafs „La Foule“, zwei volkstümlichen<br />

Gassenhauern, die heute nicht mehr dem Anspruch Heymanns genügen, Neues und Gehaltvolles aus dem<br />

hispano-portugiesischen Sprachraum zu präsentieren.<br />

Auch wenn einem der poetische und oft auch politische Gehalt der meisten Lieder trotz der in tiefstem<br />

Niederbayerisch gehaltenen Moderationen verborgen blieb, durch ihre enorme Ausstrahlung zog „La Noire“ die<br />

Zuhörer stets in ihren Bann. Dabei erregte auch die Virtuosität, mit der sie während des Spielens ihre Haarpracht<br />

bändigte, Bewunderung. Auch die Perfektion, mit der vertrackte 13/8- und 7/8-Rhythmen beherrscht und in<br />

vielfältige Stimmungen und musikalische Gemälde umgesetzt wurden, ließ keine Wünsche offen. Künstler und<br />

Zuhörer belohnten sich für den gelungenen Abend mit mehreren Zugaben. -rk-


Trio-Jazz-Cocktail Marke Extra-Dry<br />

Datum: 22.03.01<br />

Hörgenuss ohne Filter mit dem Mark Schmolling Trio im „Hirschen“<br />

Moosburg. Es dürfte eher von Vorteil gewesen sein, daß der BR seinen<br />

Besuch anläßlich des fünften Jubiläumsjahres des Jazz Club Hirsch<br />

kurzfristig abgesagt hatte, denn die zahlreich erschienenen Besucher<br />

kamen so ohne jede Ablenkung in den Genuß eines Hörerlebnisses, das die<br />

Bezeichnung hochklassig verdient hat. Mark Schmolling, der<br />

vielversprechende Münchner Pianovirtuose mit der eingebauten<br />

Perltechnik und dem Anschlag eines Tastenmagiers, stellte sich mit seinem<br />

Trio vor, begleitet von Sava Medan am Kontrabaß und Bastian Jütte am<br />

Schlagzeug.<br />

Vom ersten Ton an fiel eine extrem kompromißlose Klangmischung auf, die<br />

vor allem Sava Medan zuzuschreiben war, der seinem alten tschechischen<br />

Instrument trotz kraftvollster Zupftechnik nur äußerst kurzlebige,<br />

knochentrockene Töne entlockte, die - kaum erklungen - schon wieder Platz<br />

machten für Neues. Der von ihm beabsichtigte und mittels dicker Piccato-<br />

Saiten erreichte Effekt, Mitspielern und Hörern nichts als puren Klang ohne<br />

jede Soundsoße anzubieten, prägte den Stil des gesamten Trios, denn auch<br />

Drummer Bastian Jütte stieg mit der ihm eigenen Sensibilität auf die<br />

perkussive Trockenbeerenauslese seines Baßpartners ein und beantwortete Präzision mit unbestechlicher<br />

Genauigkeit. Den beiden bei ihren „Four-Fours“ zuzuhören und dabei Zeuge ihrer fast schon brüderlichen<br />

Zwiesprache zu werden, löste Begeisterung aus.<br />

Hinzu kam eine Virtuosität und Musikalität, die dem ganzen Trio nahezu grenzenlose Ausdrucksmöglichkeiten<br />

eröffnet. Es scheint nichts zu geben, was Sava Medan nicht spielen könnte, nichts, was Bastian Jütte in<br />

Verlegenheit bringen könnte und nichts, was Mark Schmolling nicht in perlende Läufe und wuchtige Akkorde<br />

verwandeln könnte. Er beherrscht die seltene Improvisations-Dramaturgie, seine Soli über weite dynamische<br />

Bögen zu spannen, die vom feinsten Pianissimo-Groove über astrein phrasierte Skalen langsam bis zum<br />

gehämmerten Fortissimo anschwellen, angereichert mit allen harmonischen Schattierungen, die Spannung<br />

erzeugen, zuweilen aber auch mit pompösem Geklingel, das nicht zur Imponier-Routine werden darf.<br />

Die Auswahl an eigenen Stücken wie „Moon Power“ oder „Rictic“, „Cinderella“ oder „What next“ und<br />

Standards wie Ellingtons „Sophisticated Lady“ oder<br />

Cole Porters „Night and Day“ verdeutlichte<br />

nachhaltig, daß eine traditionelle Stilistik so jung sein<br />

kann wie eh und je, ohne sich moderne Accessoires<br />

ausleihen zu müssen. Mit seiner puren und doch<br />

gefühlvollen Art, zu musizieren, ermöglichte das Mark<br />

Schmolling Trio dem Zuhörer einen Blick ins<br />

Innenleben der Musik, unverstellt, ohne Filter und<br />

Verzerrung, in musikalische Zwischenräume, in denen<br />

Monk und Peterson, Debussy und Gershwin,<br />

Beethoven und Mozart Platz hatten, vor allem aber<br />

Sava Medan, Bastian Jütte und Mark Schmolling. Für<br />

langen Beifall gab´s zwei Zugaben. -rk-<br />

Sava Medan, Mark Schmolling und Bastian Jütte (v.l.n.r.)<br />

begeisterten das Publikum<br />

61


62<br />

„Quadro Nuevo“ gibt Gratis-Gastspiel<br />

Datum: 05.04.01<br />

Das Welt-Bohème-Jazz-Ensembles begeistert im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. An Neugierigen, die der Ankündigung „Tango, Valse Musette, Filmmusik und andere<br />

Schmonzetten“ auf die Spur kommen wollten, fehlte es am Mittwoch nicht im Jazz Club Hirsch, als die<br />

Gruppe „Quadro Nuevo“ aus Rosenheim ihr erstes Gastspiel in Moosburg gab. Um es vorwegzunehmen:<br />

niemand mußte die erstaunliche Gratis-Vorstellung einer Band bereuen, die seit ihrer Gründung vor drei<br />

Jahren längst kein Geheimtips mehr ist. Sie verkauft inzwischen nicht nur ihre dritte CD „CinéPassion“ in<br />

fünfstelliger Auflage und hat über 500 Konzerte in Deutschland, Österreich und USA absolviert, sie wurde<br />

auch mit dem „Jazz Award“ der Deutschen Phonoakademie ausgezeichnet.<br />

Die Instrumentierung macht es möglich: Muso Francel am Saxophon, Robert Wolf an der Gitarre, Didi Lowka<br />

am Kontrabaß und Heinz-Ludger Jeromin am Akkordeon traten auch in Moosburg den Beweis an, daß gute<br />

Musiker die Schwelle zwischen Jazz und internationaler Popularmusik mit sympathischer Grandezza<br />

überschreiten können. Eine Titelauswahl, die vom „Ohrwurm“ bis „Nie gehört“ alles bietet, kommt hinzu. Nicht<br />

etwas das berühmte „Schabadabadaa-schabadabadaa“ aus „Ein Mann und eine Frau“ wurde ausgesucht, es<br />

wurde nur kurz angespielt, um auf das unbekannte zweite Leitmotiv des Film hinzuweisen. Und schon war man<br />

beim Lieblingsthema von „Quadro Nuevo“, dem schwelgerischen Liedgut südlicher und östlicher Nachbarn, die<br />

von Jazz nur wenig verstehen, dafür aber alles von Gefühl.<br />

Da fügte es sich glücklich, daß „Quadro Nuevo“ von Beidem viel versteht. In einer seltenen Symbiose zwischen<br />

Schmalz und Improvisationskunst, Virtuosität und Hafenkneipenromantik, Präzision und Bel-Canto-Seligkeit<br />

erklangen Arrangements, die den Geist einer einzigen, weltumspannenden „Bohème“-Gemeinde<br />

heraufbeschworen. Wer dazugehören wollte, brauchte nur de Augen zu schließen. Ob da gerade Paco de Lucia<br />

persönlich seine irrwitzigen Gitarrenkadenzen heruntertrommelte oder Robert Wolf, ob sich Astor Piazzolla mit<br />

seinem Bandonion nach Moosburg verirrt hatte oder Heinz-Ludger Jeromin, die Personen waren nebensächlich.<br />

Was zählte, war der Wunsch, die Hörer in Gefühlstiefen zu entführen, die sie den Stücken und sich selbst kaum<br />

zugetraut hätten. Ob dies ein Tango-Vermächtnis an „Susanata“ die Traumschiff-Barpianistin war oder eine<br />

Lucio-Dalla-Hommage für den sterbenden Caruso, ob Saxophon und Akkordeon sich in rasanten Unisono-<br />

Kapriolen gegenseitig jagten oder Mulo Francel auf dem Sopran die Pan-Flöte imitierte, immer stand die<br />

Performance eines gemeinsamen Arrangements im Vordergrund. Stiller Höhepunkt der kollektiven<br />

Verzauberung war eine melancholische „Nachtblume“, die bei erloschenem Licht im Hirschen erblühte. -rk-


63<br />

Datum: 12.04.01<br />

Entspanntes Musizieren für Genießer<br />

Das „Hartlieb – Kraus – Schöfer – Trio“ überzeugte im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Für Freunde swingender Hardbop-Standards hielt der Jazz Club Hirsch am Mittwoch ein echt<br />

bairisches Schmakerl bereit, das „Hartlieb-Kraus-Schöfer-Trio“ aus Nürnberg. Drei gestandene Mannsbilder<br />

bildeten dabei eine mittelfränkisch-oberpfälzisch-niederbayerische Fusion, die den Ruf bayerischen Jazz-<br />

Schaffens hervorragend vertrat.<br />

Imponierendste Erscheinung war zweifellos der 62jährige<br />

Zweimetermann Manfred „General“ Hartlieb am<br />

Kontrabaß, ein Urgestein fränkischer Jazzgeschichte aus<br />

Nürnberg, der vor kurzem sein 40jähriges<br />

Bühnenjubiläum feiern konnte und auch in Moosburg<br />

durch grundsolides Timing und geschmackvolle<br />

Zurückhaltung überzeugte. Neben seiner Tätigkeit als<br />

Diplom-Ingenieur und ehemaliger städtischer<br />

Angestellter im Nürnberger Rathaus hatte der „General“<br />

ein langes Musikerleben lang Gelegenheit, seinem Hobby<br />

zusammen mit Größen wie Fatty George, Joe Zawinul<br />

oder Herb Ellis nachzugehen.<br />

An der Gitarre, einem wohlklingenden Instrument der<br />

Marke „Gibson“, ließ der Oberpfälzer Gerhard Kraus aus<br />

Schnaittenbach bei Weiden keinen Zweifel daran, wer<br />

seine musikalischen Vorbilder sind. In filigranen Duo-<br />

Sequenzen mit Kontrabaß oder Tenorsaxophon klangen<br />

immer wieder Reminiszenzen an Herb Ellis oder Jim Hall<br />

durch, aber auch Wes Montgomery ließ bei so manchem<br />

Oktaven-Lauf grüßen. Mit großem Griff-Repertoire und<br />

rhythmischer Vielfalt sorgte er stets für zuverlässige<br />

Begleitung und ließ bei seinen spontanen Frage- und<br />

Antwort-Spielen mit dem Saxophon sein technisches<br />

Können aufblitzen.<br />

Bandleader Thomas Schöfer am Saxophon wohnt derzeit in Straubing und lebt dort hauptsächlich vom<br />

Unterrichten. Als Solist empfiehlt er sich durch geschmeidigen Ton und melodiösen Ideenreichtum darüber<br />

hinaus als wertvolles Bandmitglied, das vor keiner noch so rasanten Charly Parker- oder Sonny Stitt-Nummer<br />

zurückschreckt. Bei eingängigen Bebob-Standards wie „All the Things You are“, „Out of Nowhere“ oder<br />

„Confirmation“, aber auch mit brasilianischen Bossa-Nova-Anklängen und Hardbop-Stücken, entwickelten die<br />

Drei eine angenehm entspannte Musizierfreude, die sich mühelos auf das fachkundige Publikum übertrug.<br />

Lediglich bei zwei etwas „verzinkteren“ Balladen schlich sich der Verdacht ein, daß Straubing, Nürnberg und<br />

Schaittenbach vielleicht doch ein bißchen zu weit auseinander liegen, um jeden Akkord bis ins Letzte<br />

einzustudieren. Die relaxte Swing-Performance dreier Senior-Bavarians hatte den herzlichen Beifall der rund<br />

fünfzig Zuhörer dennoch mehr als verdient. -rk-<br />

Jazz-Special von hoher Qualität<br />

Peter Massink-Trio läßt im Hirschen die Bebop-Ära auferstehen<br />

Datum: 16.06.06<br />

Moosburg. Woran es lag, daß zum jüngsten Samstags-Special im Jazz Club Hirsch nur knapp 30 Zuhörer<br />

erschienen, man konnte es sich selbst kaum erklären, und den exzellenten Gästen aus Passau, Wasserburg<br />

und Linz natürlich noch weniger. Sollten es die zehn Mark Eintritt gewesen sein, die bei solchen<br />

Gelegenheiten im Gegensatz zum Gratis-Mittwoch erhoben werden, sie wären allemal günstig angelegt<br />

gewesen für einen Abend dieser Qualität.<br />

Eingefädelt vom in Linz studierenden Jazz-Club-Impressario Karl Musikini, führte das Konzert drei Musiker in<br />

Moosburg zusammen, die sich erst seit kurzem gefunden haben: Peter Massink an Tenor- und Sopransaxophon,<br />

Jimmy Gounelas am Schlagzeug und Mathias Pichler am Kontrabaß. Da sie in kürzester Zeit schon viel<br />

Gemeinsames entdeckt haben, ist bereits eine erste CD im Entstehen. Vor allem der Liebe zu Sonny Rollins,<br />

dem Urgestein der Bebob-Ära, der mit seinen karibisch angehauchten Ohrwürmern Jazzgeschichte geschrieben<br />

hat, wird ausführlich und sehr gekonnt gehuldigt. Aber auch Hardbop-Standards von Horace Silver, Hank<br />

Mobley oder John Coltrane lassen Zeiten auferstehen, in denen von Funk und Fusion noch keine Rede war.


Die stets hörbare Ehrfurcht vor den Altmeistern führt zu einer Werktreue, die nur wenig Platz für Innovation<br />

bietet. Dafür wird man mit technischen und improvisatorischen Schmankerln im Stil der 70erjahre entschädigt,<br />

die mindestens der Vier-Sterne-Küche der aktuellen Jazzszene entstammen. Vor allem der 19jährige „junge<br />

Wilde“ Mathias Pichler am Kontrabaß läßt aufhorchen. Was er seinem herrlichen Instrument mit rasender Vier-<br />

Finger-Zupftechnik und sicherem Griffrepertoire an Läufen entlockt, dürfte auch in New York oder Paris<br />

gefallen. In der Tat plant der ehrgeizige Ausnahmevirtuose einen Studienwechsel von Linz nach New York, wie<br />

er die Moosburger Zeitung wissen ließ.<br />

Saxophonist Peter Massink, ein in<br />

Passau lebender Holländer, hat die<br />

Zeit des Studiums hinter sich und<br />

verfügt über alles, was ein Rollins-<br />

Nachfahre drauf haben muß. Ähnlich<br />

wie sein griechischer Freund Jimmy<br />

Gounelas am Schlagzeug, den es von<br />

Athen nach Wasserburg am Inn<br />

verschlagen hat. Mit seiner<br />

vorzüglichen Besentechnik sorgte er<br />

stets für verhaltene Zuverlässigkeit<br />

und überließ das Glänzen seinen<br />

Vorderleuten. Bei noch mehr<br />

Resonanz wäre wohl noch mehr<br />

Feuer von der Bühne gekommen. So<br />

konnte man eine gewisse<br />

Zurückhaltung der Musiker sogar<br />

verstehen, die sich zu einer Zugabe<br />

nur entschlossen, „weil sie so<br />

freundlich sind“. -rk-<br />

Rock-Avantgard-Schlager aus Linz<br />

Das Karl Muskini-Quartett sorgt im Hirschen für schräge Töne<br />

Datum: 25.05.01<br />

Moosburg. Keine Angst vor leeren Stühlen hatten am eher musikfeindlichen Champions-League-Mittwoch<br />

vier musikalische Gäste aus Österreich, die im Hirschen zum „Hallo-Linz“-Konzert baten. In einem alten<br />

VW-Bus kamen sie aus Linz angetuckert, der Musikstudent und langjährige Programmdirektor des Jazz Club<br />

Hirsch, Karl Muskini (Posaune, Sampler), der Schweizer Schlagzeuger Andi Kaufmann, die Österreicher<br />

Christian Deisinger (Bass und Tuba) und Martin Kessler, der Synthesizer, Keyboard und akustisches Klavier<br />

bediente.<br />

Seinem zahlreich präsenten Freundeskreis kündigte Bandleader Muskini einen Abend voller Überraschungen an,<br />

gestaltet von einer „Rock-Avantgard-Popband“ und einigen „Stargästen“, bevor das Programm mit zwei Stücken<br />

des Tubisten Bob Steward und einer Nummer von Gerry Mulligan eröffnet wurde, womit die Jazzstandards des<br />

Abends auch schon abgehakt waren. Weiter ging es mit funkigen Grooves, zweistimmigen Läufen von Posaune<br />

und Synthesizer, österreichischer Lyrik mit Keyboard-Anklängen an Joe Zawinul, eigenen Stücken des<br />

bekennenden Kuh-Freundes Muskini mit Titeln wie "Sonja" oder "Kalb" und immer schräger bis poppiger<br />

werdenden New-Wave-Schlagern wie "Fred vom Jupiter", bei dem „Hallo Linz“ überaus witzig von den<br />

„Stargästen“ Abbie und Heidindia der<br />

Freisinger Girlband "Penisneid" unterstützt<br />

wurde.<br />

Charme und Humor waren das Hauptkonzept<br />

des Abends, und nur allzu schnell war der<br />

Zeitpunkt gekommen, an dem Karl Muskini die<br />

letzten drei Stücke des Abends ankündigte,<br />

wobei er wie immer die Vergeblichkeit<br />

jeglicher Zugaberufe unterstrich. Man<br />

verabschiedete sich mit einem netten, klassisch<br />

abgehauchten Duett für Posaune und Tuba und<br />

bedankte sich mit einer Verbeugung beim<br />

begeisterten Publikum, dem bei dieser<br />

musikalischen Wanderung vom Jazz zum<br />

Schlager ein weites, kurzweiliges und<br />

originelles Spektrum geboten wurde. –rk-<br />

64<br />

Anstelle einer Zugabe gab´s ein klassisch angehauchtes Duett<br />

von Karl Muskini und Christian Deisinger


65<br />

Altsaxophonist, Komponist und Arrangeur Wanja Slavin (18) und sein Sextett beim Debütauftritt im Hirschen.<br />

Gelungenes Debüt im Jazz Club Hirsch<br />

Datum: 03.10.01<br />

Das Wanja Slavin Sextett überzeugte mit originellen Eigenkompositionen<br />

Moosburg. Der Jazz Club Hirsch machte am Mittwoch seinem Ruf als Talentschmiede und Treffpunkt<br />

hochkarätiger musikalischer Gäste wieder alle Ehre. Angelockt durch so vertraute Namen wie Gerhard<br />

Gschlößl an der Posaune, Peter Bockius am Kontrabass oder Sunk Pöschl am Schlagzeug, aber auch aus<br />

Neugier auf weniger bekannte Newcomer wie den Bandleader Wanja Slavin am Altsaxophon oder die Jazz-<br />

Harfinistin Katrin Pechlov und den Gitarristen Karsten Hochapfel, strömten die Besucher in Scharen herbei<br />

und bescherten den sechs Münchnern eine ideale Kulisse für ihr erstes gemeinsames Debüt.<br />

Die Entdeckung des Abend war zweifellos der erst 18 Jahre alte<br />

Saxophonist Wanja Slavin, der nicht nur als Komponist und<br />

Arrangeur, sondern auch als Solist überzeugte. Ausgestattet mit<br />

einem unverwechselbaren Ton, der ungeahnte Facetten zwischen<br />

geschmeidiger Eleganz, lyrischer Verspieltheit und robuster<br />

Strahlkraft beinhaltete, entlockte der eher introvertiert wirkende<br />

Teenager seinem Altsaxophon Improvisationen von solcher<br />

Reife, dass man weder seinen Augen noch seinen Ohren trauen<br />

wollte. Dabei wurde der Ideenreichtum seiner Soli noch von der<br />

innovativen Frische seiner Arrangements übertroffen, die ihm<br />

und seinen Mitspielern ein Höchstmaß an Konzentration und<br />

Hellhörigkeit abverlangten.<br />

Staunend nahm man zur Kenntnis, dass das Sextett im Hirschen<br />

erst seinen dritten Auftritt absolvierte, und das mit einem<br />

Repertoire aus vertrackten Eigenkompositionen von Wanja<br />

Slavin, Gerhard Gschlößl und Peter Bockies, das auch<br />

eingespielte Gruppen auf eine harte Probe gestellt hätte. Dass der<br />

Bandleader im Pausengespräch dann auch noch das begeistert<br />

mitgehende Publikum dafür verantwortlich machte, dass (fast)<br />

alles so klappte wie geprobt, sprach zusätzlich für seine<br />

Bescheidenheit. „Ich habe mir das meiste selber beigebracht,<br />

wenn man von ein paar Workshops und Einzelstunden absieht“,<br />

erklärte er und machte keinen Hehl daraus, dass er nur ungern mit musikalischen Vorbildern in Verbindung<br />

gebracht wird. Lieber möchte er seinen eigenen Weg finden und hat für das, was ihm vorschwebt, in der jetzigen<br />

Besetzung ideale Mitstreiter gefunden, wie er meinte.<br />

In der Tat standen ihm mit Gerhard Gschlößl, Peter Bockius, Sunk Pöschl, Karsten Hochapfel und Katrin<br />

Pechlow fünf kongeniale Musiker zur Seite, die eine originelle Mischung aus routinierter Bühnenerfahrung und<br />

innovativer Kreativität beisteuerten. Diskussionswürdig blieb das diffizile akustische Zusammenspiel zwischen<br />

Gitarre und Harfe, die sich unter den beengten Verhältnissen auf der Hirsch-Bühne manchmal überlagerten. Das<br />

Debüt de Wanja Slavin-Sextetts kam dennoch so gut an, dass der Abend mit Zugaben ausklang. -rk-


66<br />

Saxophonist Ray Blue aus New York wurde begleitet von Guido May, Rocky Knauer und Michael Flügel<br />

Volle Ladung beliebter Jazz-Standards<br />

Datum: 01.11.01<br />

Ray Blue Quartett setzte im Hirschen ausschließlich auf Bewährtes<br />

Moosburg. Im Jazz hat das Wort „New York“ von jeher einen besonderen Klang: Weltweit als Mekka von<br />

Musikern anerkannt, die zwischen Lofts, Nightclubs und Studios im Dauerstress kreativer Konkurrenz zu<br />

Ruhm und Ehre kommen wollen, und wenn es gut geht, vielleicht auch zu ein paar Dollars, gilt New York<br />

nach wie vor als die Energiequelle des Jazz schlechthin. Kaum verwunderlich also, das die Heimat des<br />

Tenorsaxophonisten Ray Blue, was so viel wie „Blauer Strahl“ bedeutet, bei den Besuchern des Jazz Club<br />

Hirsch am Mittwoch höchste Erwartungen auslöste. Dank dreier überragender Musiker aus München<br />

wurden sie erfüllt.<br />

Ray Blue selbst hat seit einem Jahr den Jazz-Dschungel New York mit der Gemütsmetropole München<br />

vertauscht, wo er sich je nach Bedarf und Budget Bands zusammenstellt. Dass seine Wahl diesmal auf den<br />

Ausnahmetrommler Guido May, den Kontrabass-Allrounder Rocky Knauer und den Piano-Virtuosen Michael<br />

Flügel fiel, verrät eine glückliche Hand. Auch bei der Auswahl der Stücke setzt Ray Blue ausschließlich auf<br />

Bewährtes: Standards wie Monks „Well You needn´t” oder Gillespies “Night in Tunesia”, Jobims “Wave” oder<br />

Davis´ “So what”, Hendersons “Blue Bossa” oder Ellingtons “In a sentimental Mood” gehören seit Jahrzehnten<br />

zu den Ohrwürmern, die in keiner Session fehlen. Ob sie auch dem kreativen Anspruch einer Band genügen,<br />

deren Ziel naturgemäß die Erforschung musikalischen Neulands sein sollte, steht auf einem andren Blatt.<br />

Mag der hochkarätigen Rhythmusgruppe, wie Guido May einräumte, an diesem Abend selbst das innovative<br />

Element gefehlt haben, die Besucher kamen bei so viel Wiedererkennungswert voll auf ihre Kosten. Umso<br />

vertrauter die Themen daher kamen, desto besser konnte man sich auf die Könnerschaft der Musiker<br />

konzentrieren. Guido Mays filigrane Schlagzeugkunst scheint von Jahr zu Jahr reifer und wesentlicher zu<br />

werden. Bassist Rocky Knauer setzt seiner swingenden rhythmischen Basisarbeit immer phantasievollere,<br />

solistische Krönchen auf. Michael Flügel brilliert mit einem Ideenreichtum und einer technischen Virtuosität auf<br />

den Tasten, die unerschöpflich scheint.<br />

Ray Blue selbst brachte neben sympathischen Moderationen, die den Entertainer verrieten, auf dem<br />

Tenorsaxophon überwiegend deftige Hausmannskost mit ein. Seine Spezialität, die Zirkularatmung, erlaubte ihm<br />

Töne und Triller von so imponierender Länge, dass man so lange ein Glas Bier leeren konnte. Mit einem runden,<br />

warmen Ton und oft allzu flüchtigen Renommierphrasen allein dürfte es jedoch selbst ein New Yorker in<br />

München auf die Dauer schwer haben. Es sei denn, er findet ein Trio wie Guido May, Rocky Knauer und<br />

Michael Flügel. –rk-


67<br />

Susanne L. und ihre vier Play Boys<br />

Datum: 15.11.01<br />

Münchner Quintett sorgt mit Funk, Rock und Blues für gute Unterhaltung<br />

Moosburg. Nicht nur der Name der Band, auch das Plakat,<br />

auf dem eine attraktive Schlagzeug- Lady namens „Susanne<br />

L.“ im Kreise von vier musikalischen Bodyguards eine<br />

unterhaltsame Mischung aus Funk und Blues, Rock und<br />

Jazz versprach, lockte am Mittwoch zahlreiche Neugierige<br />

in den Jazz Club Hirsch. Sie wurden nicht enttäuscht, wenn<br />

auch der emotionale Begeisterungsfunke nicht auf jeden<br />

übersprang.<br />

Das Konzept der jungen, dunkelhäutigen Bandleaderin<br />

Susanne Loeser am Schlagzeug, die ihren Nachnamen<br />

erklärtermaßen zum geheimnisvollen L. verkürzt hat, um von<br />

für ihren Humor bekannten Musikerkollegen nicht als<br />

Susanne „Looser“ bespöttelt zu werden, stand von Anfang an<br />

im Mittelpunkt eines musikalischen Geschehens, das nicht<br />

von solistischen Einzelleistungen, sondern von eigenen<br />

Arrangements und disziplinierter Ensemble-Arbeit geprägt<br />

war. Die als „Play-boys“ nur unzureichend beschriebenen<br />

Mitspieler Reinhard Greiner an der Trompete, Florian Busch<br />

am Tenorsaxophon, Günter Stölling am 5saitigen E-Baß und<br />

Knud Mensing an der Gitarre überzeugten vor allem durch<br />

präzises Zusammenspiel und routinierte Werktreue, was bei der breiten Auswahl an Stücken auch angebracht<br />

erschien.<br />

Ob in David Sanborns „Hidaway“ oder dem „Revelation“ der Yellowjacketts, ob im „Come together“ der<br />

Beatles oder in „Sunshine of the Love“ der Gruppe „Cream“, ob in Cover-Versions von Stan Getz, Jimi Hendrix<br />

oder John Scofield, stets sorgten knackige Bläser-Arrangements für satten Sound, bevor in solistischen Passagen<br />

die Spannung etwas nachließ. Daß dennoch jedes Stück mit warmem Beifall bedacht wurde, war nicht zuletzt ein<br />

Verdienst der Bandleaderin selbst, die hinter ihrem großen „Pearl“-Schlagzeugset optisch und akustisch eine<br />

gute Figur machte. Der konzentrierte Ernst, mit dem die Studentin des Richard-Strauss-Konservatoriums in<br />

München für zuverlässiges Timing und pulsierende Grooves sorgte, wurde nur manchmal durch ein befreiendes<br />

Lächeln abgelöst, mit dem sie eigene gelungene Aktionen oder die ihrer Mitspieler belohnte.<br />

Da Ausflüge in freiere Gefilde des<br />

Jazz unterblieben, stellte sich mit<br />

Fortlauf des Programms dennoch<br />

eine gewisse Einseitigkeit heraus,<br />

deren Ursache wohl auch im<br />

derzeitigen Studienstand der<br />

talentierten Schlagzeugschülerin<br />

liegen dürfte. Der zündende Funke<br />

sprang daher nicht auf alle Zuhörer<br />

über, die sich etwas mehr Emotion<br />

und stilistische Abwechslung<br />

gewünscht hätten. Dennoch darf<br />

man auf ein Wiederhören gespannt<br />

sein, denn just als der Eindruck<br />

entstand, es könnte sich bei<br />

Susanne L. um einen exzellenten,<br />

aber irgendwie unterkühlten<br />

Schlagzeug-Begleitservice handeln,<br />

verabschiedete sie sich mit einem<br />

vielversprechenden Schlagzeugsolo.<br />

-rk-<br />

Die als „Play-boys“ nur unzureichend beschriebenen Mitspieler<br />

überzeugten durch präzises Zusammenspiel


68<br />

Geballte Ladung „New York“ im Hirschen<br />

Das Trio „The HUB“ kam wie ein Gewitter über den Jazz Club<br />

Datum: 29.11.01<br />

Moosburg. Mit Ausnahme einiger weniger,<br />

die nicht ganz zu Unrecht um ihr<br />

Trommelfell fürchteten und in der Pause<br />

das Weite suchten, waren sich die<br />

Moosburger Jazzfreunde am Mittwoch<br />

einig: was da gerade wie ein Gewitter über<br />

die Bühne des Hirschwirt gefegt war,<br />

verdiente wieder einmal das Prädikat<br />

„Sternstunde“. Drei junge, amerikanische<br />

Musiker, alle unter 25, hatten auf ihrem<br />

Trip durch Europa in der Dreirosenstadt<br />

Station gemacht, wo sie vor imponierender<br />

Besucherkulisse eine geballte Ladung „New<br />

York“ zündeten.<br />

Das Newcomer-Trio „The HUB“, bestehend<br />

aus dem kalifornischen Altsaxophonisten<br />

Dan Maday und den beiden New Yorkern<br />

Tim Dahl am E-Bass und Sean Noonan am Schlagzeug, gilt zwar noch als Geheimtipp, hat sich aber längst in<br />

ganz Europa ein weit verzweigtes Netzwerk aus Clubs, Konzertsälen und Festivals aufgebaut, das nun vier<br />

Wochen lang im PKW buchstäblich abgeklappert wird. Ganz zu schweigen von der enormen Leistung des<br />

bekennenden „Workaholic“ Sean Noonan, der von New York aus ohne Agentur und Management eine Tournee<br />

zusammengestellt hat, die von Schweden bis Portugal, von Prag bis Paris, Von Dresden bis Moosburg reicht,<br />

spiegelt auch die Musik des Trios eine Power wieder, wie man sie auf Jazzer-Bühnen nur selten antrifft.<br />

Dem Bemühen um Schubladisierung ihrer Musik, die in weiten Teilen durchkomponiert ist, dabei jedoch extrem<br />

spontan und neuartig wirkt, wiedersetzen sich die drei Sympathen mit einem verständnisvollen Lächeln: „Nenn´<br />

es wie du willst! Wir sagen „Young Jazz“ dazu“, kommt es zurück, gefolgt von einem „Can we get your<br />

adress?“, denn bei aller Begeisterung für neue Wege in der Musik – das Business muss stimmen. Es sind nicht<br />

die New Yorker Vorzeige-Clubs wie das „Village Vanguard“ oder das „Sweet Basil“, aus denen diese<br />

elektrisierende Mischung aus Punkrock, Powerjazz und klassischer Avantgarde kommt. Die Wiege von „The<br />

HUB“ steht noch heute in Brooklyn. Zum Explosiv-Trio verschmolzen die drei Ausnahmekönner während eines<br />

mehrwöchigen Dinner-Gala-Engagements in Florida, als sie tagsüber nichts besseres zu tun wussten, als sich<br />

gegenseitig zu immer neuen Instrumental-Abenteuern herauszufordern.<br />

Herausgekommen ist ein Sound, bei dem die Hörgewohnheit aller Musikliebhaber gehörig ins Trudeln gerät.<br />

Laut wie Raketentriebwerke in Cape Canaveral, pur wie der Himmel über dem Äquator und dynamisch wie der<br />

Verkehr auf der 5th Avenue, eignet sich „The HUB“ nur bedingt für Träumereien vorm Kamin. Aus zwei CD´s,<br />

die nicht zufällig „Vandalism“ und „Accident“ heißen, zitierten die drei fast notengetreu Eigenkompositionen<br />

wie „Big Mouth“, „Sreaming Contest“ oder „Over and Out“, bei denen einige Gäste im Hirschen auf die<br />

Barhocker stiegen. Die Reduzierung auf das nötigste Tournee-Gepäck, bestehend aus einer Bass und einer<br />

Snare-Trommel, einer Hi-Hat, zwei<br />

Hängebecken und einem Gong, sowie<br />

einem E-Baß mit drei Fußpedalen und<br />

einem Altsaxophon, wirkt sich direkt auf<br />

den Reinheitsgrad der Musik aus. Ohne<br />

Schmusefüllung und ohne<br />

Augenzwinkern, dafür mit einer<br />

kompromisslosen Polyphonie der drei<br />

Instrumente, effektvoll inszenierten<br />

Pausen und gnadenlosen Eruptionen,<br />

sowie einigen sehr lyrischen Unisono-<br />

Passagen, in denen die Präzision des<br />

Zusammenspiels am schönsten zum<br />

Ausdruck kam, brachte „The HUB“ den<br />

Hirschen in Brunftstimmung. Auf das<br />

stereotype „Thank You“ nach jedem<br />

Stück konnte es am Ende nur eine<br />

Antwort geben, und die gleich drei mal:<br />

Zugabe! –rk-<br />

Die Dynamik von „The HUB“ reichte von der Schalmei bis zum Raketentriebwerk


69<br />

Swingendes Familientreffen im Hirschen<br />

Datum: 14.12.01<br />

„Fingerprints“ boten swingende Standards und Eigenkompositionen<br />

Moosburg. Alle Jahr wieder und daher passend zum musikalischen Ausklang des Jahres, macht das Quartett<br />

„Fingerprints“ des Langenbacher Kontrabassisten Stephan Telser im Jazz Club Hirsch seine Aufwartung. So<br />

auch am Mittwoch, als sich das anfangs nur spärlich besuchte Lokal zusehends füllte und einen ansprechenden<br />

Abend erlebte, der nicht von musikalischem Ehrgeiz hungriger Jazz-<br />

Erneuerer, sondern vom beseelten Feeling bekennender Mainstream-<br />

Liebhaber geprägt war. Swingende Standards, pulsierende Grooves<br />

und Eigenkompositionen standen auf dem Programm, das von Stefan<br />

Telser locker präsentiert und um schwäbelnde Akzente bereichert<br />

wurde.<br />

Für Stammschlagzeuger Dietmar Hess sprang an diesem Abend<br />

Roman Seehon ein, der sich routiniert ins Konzept einfügte und für<br />

manches musikalische Sahnehäubchen mit Sonderbeifall bedacht<br />

wurde. Vor allem bei durcharrangierten Eigenkompositionen und<br />

überraschenden Schlussakkorden machte sich seine einfühlsame<br />

Erfahrung bemerkbar.<br />

Bandleader Stefan Telser<br />

überzeugte einmal mehr<br />

durch solide swingende<br />

Basisarbeit am Kontrabass<br />

und stellte mit astreinen,<br />

gestrichenen Einlagen<br />

seine klassische Schulung<br />

unter Beweis.<br />

Pianist Jörg Walser sorgte für abwechslungsreiche Begleitung und<br />

zeigte als Solist vielversprechende Ansätze. Auch als Komponist<br />

steuerte er zahlreiche Beweise seiner Musikalität bei. Mit robustem<br />

Ton und technischer Raffinesse entlockte Wolfgang Wahl seinem<br />

Tenorsaxophon so manches mitreißende Solo. Dank der Anwesenheit<br />

zahlreicher befreundeter Musiker aus der Region, darunter die halbe<br />

Isar-Amper Jazzband, entwickelte sich der Abend zu einem familiären<br />

Treffen, das erst nach mehreren Zugaben mit viel Beifall zu Ende ging.<br />

-rk-


71<br />

Karibisch-Alpenländischer Terzen-Tango<br />

Jazz Club Hirsch: Das „Rosebud Trio“ passt in keine Schublade<br />

Datum: 10.01.02<br />

Moosburg. Zum Auftakt 2002 hatte<br />

der gut besuchte „Jazz Club Hirsch“<br />

am Mittwoch ein besonderes<br />

Schmankerl parat: das „Rosebud<br />

Trio“ aus München. So<br />

unkonventionell die Besetzung aus<br />

Gitarre, Posaune und Tenorsaxophon<br />

auch wirken mochte, was die drei<br />

Könner Geoff Goodman, Johannes<br />

Herrlich und Jason Seizer, der<br />

kurzfristig für den erkrankten Till<br />

Martin eingesprungen war, zu bieten<br />

hatten, war unterhaltsam und<br />

wegweisend zugleich.<br />

Als Garant für musikalische<br />

Überraschungen beherrschte der<br />

amerikanische Gitarrist und<br />

Komponist Geoff Goodman von<br />

Anfang an die Bühne. Zu seiner Aura<br />

eines mit allen Wassern gewaschenen<br />

Universal-Musikers, dessen Wurzeln quer durch die amerikanische Musikgeschichte bis weit in die unendlichen<br />

Weiten globaler Weltmusik reichen, passte auch das Programm. Jazz-Standards von Thelonius Monk oder<br />

Charlie Parker bildeten zusammen mit Blue-Grass-Hymnen und Hillbilly-Anleihen, Filmmelodien und<br />

Eigenkompositionen, Evergreens und Experimentalmusik ein stilistisches Mosaik, das in keine Schublade passt.<br />

Eingebettet in sehr persönliche und mit augenzwinkerndem Humor gewürzte Überleitungen, in denen zur Freude<br />

der Zuhörer und zum sichtlichen Vergnügen seiner beiden Mitspieler der Philosoph und Mensch Geoff<br />

Goodman zum Vorschein kam, erstrahlte so manches Bebop-Oldie wie „I mean you“ oder „Bemsha-Swing“ in<br />

ungewohntem Feuer. Bedingt durch den Verzicht auf Bass und Schlagzeug übernahm jeder abwechselnd die<br />

Rolle des Solisten oder des Begleiters, was insgesamt zu einer wohltuenden kammermusikalischen Transparenz<br />

führte und jedem Einzelnen ein Höchstmaß an Entfaltungsmöglichkeiten bot.<br />

Insbesondere Geoff Goodman selbst glänzte auf der Gitarre mit swingenden Basslinien und pulsierenden<br />

rhythmischen Einwürfen, hingetupften harmonischen<br />

Akzenten und wohldosierten Soundeffekten, die es seinen<br />

Mitspielern erlaubten, ihr ganzes solistisches Können zu<br />

zelebrieren. Auch als Begleiter betraten Posaunist Johannes<br />

Herrlich und Tenorsaxophonist Jason Seizer ungewohntes<br />

Terrain und flankierten Goodmans solistische Ausflüge<br />

durch einfühlsame Polyphonie. Geradezu urwüchsiges<br />

Musikantentum kam bei gelegentlichen Kollektiv-<br />

Improvisationen auf, bei denen sich die filigrane<br />

Klangmischung aus zwei Bläsern und Gitarre besonders<br />

bewährte.<br />

Amüsiert beteiligte sich das Publikum an der<br />

gelegentlichen Suche nach Titeln für namenlose Stücke,<br />

deren Entstehungsgeschichten ebenfalls viel von der<br />

Persönlichkeit des Komponisten Geoff Goodman verrieten.<br />

Für die Geschichte vom verschollenen Seemann, dessen<br />

Geliebte noch heute irgendwo an der Mole sitzen dürfte,<br />

wurde auch an diesem Abend kein Titel gefunden. Umso<br />

einiger war man sich darüber, dass ein Filmmusiktitel wie<br />

„Rosemaries Baby“ oder eine herrliche Schnulze wie der<br />

karibisch-alpenländische Terzen-Tango sehr wohl ihren<br />

Platz auf einer Jazzbühne haben. Dank der hellhörigen Art<br />

des Miteinander-Musizierens und der sympathischen<br />

Präsentation eines unkonventionellen Programms wurde<br />

der Hirsch-Auftakt 2002 zu einem vollen Erfolg. -rk-


72<br />

Wattebäuschchen waren Fehlanzeige<br />

Bei „Jazz don´t panic“ röhrte der Hirschwirt bis zum Anschlag<br />

Datum: 26.01.02<br />

Moosburg. „Manche mögen´s laut“ hieß die erste Botschaft, die einem schon von weitem entgegen scholl, als<br />

man sich am Mittwoch dem „Jazz Club Hirsch“ näherte, um das zweite Gastspiel der Münchner Freestyle-<br />

Formation „Jazz don´t panic“ zu erleben. Wie recht die Ohren hatten, bewies beim Betreten des gut gefüllten<br />

Lokals ein Blick auf die kleine Bühne, auf der sechs ausgewachsene Musiker hinter ihren Arbeitsgeräten, die<br />

fast für ein Bigband-Gastspiel in der Mehrzweckhalle ausgereicht hätte, fast verschwanden.<br />

Wer sich in Beherzigung des Bandnamens dennoch ohne Panik in Bühnennähe niederließ, hatte sich zu früh über<br />

einen freien Platz gefreut, denn was sechs Hochenergie-Technokraten mittels zweier kompletter Schlagzeug-<br />

Sets, wahlweise eingesetztem Sopran-, Alt- oder Baritonsaxophon, Trompete und Flügelhorn, vierseitigem und<br />

sechssaitigem E-Bass, einer E-Gitarre, eines Keyboards, sowie diverser Effekt- und Perkussionsgeräte aus fünf<br />

Lautsprecherboxen auf knapp 150 Quadratmetern auf die Zuhörer losließen, waren keineswegs<br />

Wattebäuschchen, die man sich in die Ohren hätte stopfen können.<br />

Die Musik, deren Bewertung angesichts des hohen Einsatzes an Material, Technik und Können ständig zwischen<br />

Fleißnoten, Dezibelzahlen und Aha-Effekten schwankte, war aber nicht nur laut, sie war es ständig. Für<br />

pianissimo oder mezzoforte war kein Platz in einem Konzept, das nach dem Motto „wenn schon – denn schon“<br />

ständig alles aufbot, was vorhanden war. Schuld an der daraus resultierenden Ermattung der Sinne war nicht nur<br />

ein kleines Lokal, sondern ein Mangel an akustischem Raumgefühl. Bei allem Respekt vor der<br />

Kompositionsleistung des Bandleaders und Multi-Saxophonisten Wolfgang Mesch, der zur neuen CD wieder<br />

viele originelle Stücke beigesteuert hat, bei Bühnenauftritten wie diesem hätte schon ein gelegentliches, winziges<br />

„Tacet“ für einen der beiden Schlagzeuger für erholsame Dynamik sorgen können. Aber nein, sie mussten immer<br />

beide spielen.<br />

Panik vor jazzigen Eruptionen, die das Freestyle-Gemisch aus modalem Funk und Fusion-Rock, Blues und<br />

Ethno-Grooves zum Überkochen gebracht hätten, war ebenso wenig angebracht wie Euphorie über allzu<br />

lustbetonte Spielfreude. Um die Relaxtheit afrikanischer Elefanten oder amerikanischer Baumwollpflücker nicht<br />

nur zu zitieren, sondern nachzuempfinden, waren die Musiker Albert Frische (Gitarre), Nick Hogl (E-Bässe)<br />

Karsten Helmbold und Thomas Wühr (beide Schlagzeug, Percussion und Sampler) allzu oft mit dem Ernst<br />

wirklich anstrengender Unisono-Läufe und der Suche nach neuartigen Quietschgeräuschen beschäftigt. Einzig<br />

Karl Lehermann machte sich bei seinen Ausflügen auf dem Flügelhorn völlig frei von Effekthascherei und<br />

suchte sich seinen eigenen,<br />

ehrlichen und schönen Weg<br />

durch die Materialschlacht.<br />

Wer gekommen war, um<br />

neue Höchstleistungen der<br />

sogenannten Hausband des<br />

Münchner „Nightclubs“ im<br />

Bayerischen Hof zu erleben,<br />

fand´s wahrscheinlich toll.<br />

Wer gekommen war, um<br />

relaxt die „Soul“ im Hirschen<br />

baumeln zu lassen, sang sich<br />

nach so viel kalter Pracht<br />

beim Heimgehen selbst den<br />

Blues. -rk-<br />

„Wenn schon aufwendig, denn auch<br />

laut“ schien sich die Gruppe „Jazz<br />

don´t panic“ im Hirschwirt zu sagen.


73<br />

Fünf Ladies mit Können und Charme<br />

Datum: 21.02.02<br />

Highlight im “Hirschen” mit der A-cappella-Gruppe “Ladies Talk”<br />

Moosburg. Natürlichkeit und<br />

Charme, Musikalität und<br />

Bühnenpräsenz waren am Mittwoch<br />

Trumpf, als die A-cappella-Gruppe<br />

“Ladies Talk” im „Jazz Club Hirsch“<br />

ihr Debüt gab. Fünf ausgebildete<br />

Musikerinnen, die sich im September<br />

2000 zusammengeschlossen haben,<br />

um ihrer gemeinsamen Liebe zum<br />

mehrstimmigen Jazz- und Popgesang<br />

zu frönen, sorgten im gut gefüllten<br />

Hirschen für abwechslungsreiche<br />

Bühnenunterhaltung.<br />

Was sie in kaum anderthalb Jahren auf<br />

die Beine gestellt haben, reicht vom<br />

Broadway-Glamoursound der<br />

Andrew-Sisters bis zu swingenden<br />

Standards à la Lambert Hendricks &<br />

Ross, vom sanften Bossa-Arrangement<br />

bis zur Prince-Parodie und wird mit viel Humor und mitreißender Musikalität dargeboten. Hinter dem Erfolg der<br />

fünf Ladies, die inzwischen häufig auf Galas, Events und bei Clubkonzerten zu hören sind, steckt konsequente<br />

Probenarbeit. Dabei trifft die singende E-Bassistin Christiane Öttl das schwierigste Los, denn sie reist ein mal<br />

pro Woche von Passau nach München, wo die koreanische Bandgründerin, Pianistin und Sängerin Kim Chong,<br />

sowie die Sängerinnen Alexandra Fischer, Anna Hermann und Sofie Wegener beheimatet sind. Letztere nimmt<br />

gerade ihre „Babypause“ und wurde in Moosburg durch Ute Holzapfel ersetzt, die ihre Rolle als Vertreterin mit<br />

Bravour meisterte.<br />

Der musikalischen Präzision schwieriger, oft fünfstimmiger A-capella-Passagen kommt entgegen, dass die fünf<br />

ausgebildeten Sängerinnen sich stimmlich in nichts nachstehen und dennoch jeweils über sehr persönliche<br />

Timbres verfügen, die besonders in Solo- und Improvisations-Teilen gut zur Geltung kommen. In ausgefeilten<br />

Arrangements, die beste amerikanische Schulung verraten, wird jede Choristin abwechselnd zur Frontfrau, lässt<br />

sich von vokalen Schlagzeug-Licks („tz...pusch...zing...a...ling“) und Bass-Imitationen („ba...ba...dum...dum“) zu<br />

freien Scat-Einlagen oder ausdrucksvollen Melodien inspirieren und reiht sich sodann („Schub...schubidu“)<br />

wieder in den Chor der Begleiterinnen ein.<br />

Da dies mit fast perfekter Intonation und viel<br />

Dynamik, sichtbarer Musizierfreude und<br />

charmanter Bühnenausstrahlung geschieht, ist den<br />

Ladies nicht nur die Bewunderung aller<br />

Sangesfreunde, sondern auch der Beifall<br />

weltgewandter Nightclub-Besucher sicher. Auch<br />

die Überleitungen wirken spontan und verraten<br />

speziell im Umgang mit männlichen Besuchern<br />

viel Humor, ohne dabei ätzende Frauen-Power zu<br />

bemühen.<br />

So erlebte das begeisterte Publikum eine<br />

abwechslungsreiche Weltreise, die vom<br />

kalifornischen Prince-Imitat über Gospel-<br />

Anklänge und brasilianische Bossa- und Samba-<br />

Ohrwürmer bis hin zur Verjazzung koreanischer<br />

Folkssongs und deutscher Italo-Schnulzen reichte.<br />

Auch eingefleischte Jazzer kamen voll auf ihre<br />

Kosten. Was die fünf Ladies aus Clifford Browns<br />

geliebtem und gefürchteten „Joy spring“ machten,<br />

rechtfertigte nicht nur den anhaltenden Applaus,<br />

sondern drei Zugaben. -rk-<br />

Fünf Ladies sorgten im Hirschen für beste A-Capella-Unterhaltung


74<br />

„Fractal Gumbo“ jagt Musik spaßeshalber durch den Teilchenbeschleuniger<br />

Trickfilmmusik aus dem Ameisen-Krimi<br />

Datum: 21.03.02<br />

Das Trio „Fractal Gumbo“ geht im „Jazz Club Hirsch“ eigene Wege<br />

Moosburg. Es war die Abteilung „Experimentierfreude“, die am Mittwoch beim Gastspiel der drei Individual-<br />

Avangardisten Marty Cook (Posaune, Komposition), Gunnar Geisse (Massivholz-E-Gitarre, Komposition)<br />

und Geoff Goodman (Halbakustik-E-Gitarre, Komposition) im Jazz Club Hirsch auf ihre Kosten kam. Nicht<br />

Hausmannskost stand auf der Menükarte, sondern eine Nouvelle-Cuisine-Creation namens „Fractal<br />

Gumbo“, die in der Speisekarte als „Chaosteilchen aus der kreolischen Küche“, von Kennern gar als<br />

„Freejazz mit entspannender Wirkung“ angepriesen wurde.<br />

Das Publikum stellte sich nur zögerlich ein. Nachzüglern zu erklären, was sie bis dahin verpasst hatten, fiel<br />

schwer, war man doch gerade selber noch am Grübeln, was hängen geblieben war aus einer Programmfolge, die<br />

mehr an eine öffentliche Probe als an ein Konzert erinnerte. Relaxt bis unter die Haarwurzeln saßen da drei<br />

musikalische Globetrotter der Extraklasse auf der Bühne, tauschten leise handwerkliche oder humorvolle<br />

Bemerkungen aus und unterbrachen ihr geselliges Beisammensein hin und wieder durch Tonfolgen, die sich<br />

entweder zu Stücken aneinander reihten oder ebenso sang und klanglos im allgemeinen Gebrabbel wieder<br />

untergingen, wie sie entstanden waren.<br />

Hätte es sich um drei musikalische Jungspunde gehandelt, wäre man versucht gewesen, aus dem irrwitzig<br />

schnellen Durcheinander von Tönen und Effekten die Versuchsanordnung dreier Anwärter auf den<br />

Musiknobelpreis herauszuhören, die ihre Einfälle spaßeshalber durch die Teilchenschleuder jagten. Doch<br />

angesichts der Hingabe, mit der die gestandenen Avangardisten ihre Instrumente zupften und würgten, ölten und<br />

streichelten, musste es sich um etwas anderes handeln als um musikalische Angeberei.<br />

Bei Stücken wie Geoff Goodmans „Balkan Blues“ oder seinem „Woman locked in a man´s body“ ging die<br />

chaostheoretische Hochrechnung auf. Da wurde es so still im Hirschen, dass schon das Schreibgeräusch eines<br />

Kugelschreibers störte. Da fuhren drei Sound-Astronauten Sensoren aus, die das Universum zur<br />

Kammermusikstube schrumpfen ließen. Da bewährte sich die archaische Klangrezeptur Gitarre-Posaune-Gitarre<br />

durch den warmen Atem, mit dem Marty Cook das metallische Gezirpe eines Gunnar Heisse und die<br />

halbakustischen Vibrations eines Geoff Goodman durchdrang. Wenn dann sogar noch eine bluesige Bassline<br />

ganz von ferne an die irdische Heimat des Jazz erinnerte, kam beifälliges Nicken auf in der Milchstraße.<br />

Wer den drei lockeren Greifvögeln nicht überall hin folgen konnte auf ihrem Trip ins Unerhörte, hatte immerhin<br />

noch die Chance, nach Bildern zu suchen für das, was er hörte. So wurde das Stück „Fractal Gumbo“<br />

unversehens zur Trickfilmmusik für einen Krimi im Ameisenmilieu. An anderer Stelle tauchte zum Quieken und<br />

Pfeifen eines Kurzwellensenders mitten in der Sahara plötzlich die Fata Morgana einer Blueslegende auf.<br />

Schwer zu sagen, was da richtig war oder falsch. Was gut war oder schlecht. Man musste sich entscheiden, ob es<br />

einem gefällt. -rk-


75<br />

Nettigkeit hat ihren Platz in der Musik<br />

Beliebte Hotelbar-Oldies mit dem Kim Chong Trio im Jazz Club<br />

Datum: 04.04.02<br />

Moosburg. Der Jazz Club Hirsch ist immer wieder für Überraschungen gut. Doch er gibt dem<br />

Musikliebhaber auch immer wieder Rätsel auf. Beispielsweise am Mittwoch beim Gastspiel eines Trios, das<br />

der in München lebenden koreanischen Pianistin und Sängerin Kim Chong seinen Namen verdankt. Stand<br />

man schon beim Betreten des Lokals einer dichten Wand parlierender Besucher gegenüber, die zu den<br />

Klängen des Bossa-Ohrwurmes „Wave“ den Smalltalk pflegten, nahm die Frage, welcher Lockstoff hier<br />

gerade seine animierende Wirkung verströmte, im Laufe weiterer Hotelbar-Oldies immer rätselhaftere<br />

Formen an.<br />

War es die geheimnisvolle Rückenansicht der exotischen Schönheit Kim Chong am Klavier, deren schwarze<br />

Haarpracht selbst bei heftigsten Akkordattacken kaum in Wallung geriet? War es der spröde Charme der<br />

singenden Bassistin Christiane Öttl aus Passau, die zwischen Skatgesang, Slap-Bass und Samba-Animationen<br />

alle Register einer hochbegabten, musikalischen Ulknudel zog? Oder war es gar der einzige Mann auf der<br />

Bühne, Mäx Huber, der am Schlagzeug das muntere Miteinander seiner Mitgespielinnen in geradezu<br />

aufreizender Gelassenheit erst richtig zur Geltung brachte?<br />

Musikalische Kriterien konnte man bei genauerem Zuhören bald außer Acht lassen, ging es dem gut gelaunten<br />

Kim-Chong-Trio doch offensichtlich mehr darum, seine Zuhörer so „easy“ wie möglich zu unterhalten, als sie in<br />

Bewunderung zu versetzen. Bodenständiges Bassspiel, gradlinige Pianophrasierungen und ein zuverlässiges<br />

Schlagzeug-Timing ergaben eine eher grob geschnitzte Plattform für gesangliche Darbietungen, in denen<br />

Christiane Öttl durch Musikalität und spontane Improvisierfreude, Kim Chong dagegen eher durch exotischvibrierende<br />

Klangfarben auffielen. Im Duett erreichte diese Mischung mitunter Duschkabinen-Format.<br />

Rechnet man den Mut hinzu, sich nach einem einzigen Debüt-Gig in München als Trio mit einem<br />

Allerweltsprogramm auf die Bühne zu stellen, könnte diese entwaffnende Unbekümmertheit eine weitere<br />

Erklärung dafür bieten, warum im Hirschen pure Freude aufkam bei „Samba di Orfeu“ und „This Maquerade“,<br />

„Sunny“ und „Feel like making<br />

love“, „Hit that Jive Jack“ und<br />

„Gee Baby“. Als dann auch<br />

noch ein „Sing mit“-Samba die<br />

Besucher endgültig aus sich<br />

herausgehen ließ, war die<br />

Animation im koreanischniederbairisch-<br />

brasilianischen<br />

Ferienclub „Zum Hirschen“<br />

perfekt. Der Kommentar einer<br />

erfahrenen Zuhörerin „I find´s<br />

total nett, wie die zwoa Frauen<br />

und der Mäx des macha!“<br />

beantwortete auch die letzte<br />

Frage: auch Nettigkeit hat<br />

ihren Platz in der Musik. -rk-<br />

Das „Kim Chong Trio“ traf mit<br />

Hotelbar-Ohrwürmern den<br />

Nerv des Publikums


76<br />

Kleine Besetzung – große Wirkung<br />

Das Trio „Take 3“ sorgt im Jazz Club Hirsch für gute Laune<br />

Datum: 09.05.02<br />

Moosburg. Vor einer kleinen aber<br />

begeisterten Zuschauerkulisse<br />

traten am Mittwoch die Mitglieder<br />

des Trios „Take 3“, Gela Ahrens,<br />

Gesang, Hans Hartmann,<br />

Kontrabass und Dieter Geitz,<br />

Gitarre, im Jazz Club Hirsch den<br />

Beweis an, dass Musik auch in<br />

kleiner Besetzung große Wirkung<br />

erzielen kann. Ohne Schlagzeug,<br />

dafür aber mit spontanen<br />

Perkussionseinlagen auf dem<br />

Kontrabass oder per Mund mit<br />

dem Mikrofon, wagten sich die<br />

drei Vollblutmusiker an jede<br />

Epoche und jede Stilrichtung<br />

heran und ließen mit ihrer<br />

Filigran-Kunst große Bands<br />

vergessen.<br />

Hans Hartmann und Dieter Geitz kennen sich seit 30 Jahren und musizierten entsprechend lange zusammen, und<br />

zwar zunächst als Duo. Dass daraus ein fast blindes Verständnis zwischen Kontrabass und Gitarre entstanden ist,<br />

kommt der Dritten im Bunde zugute, Gela Ahrens aus Bruckberg, die vor sieben Jahren in Landshut auf die<br />

Zehnmannband „Groove Junction“ stieß und dort die beiden Musikerfreunde kennen lernte. „Wegen ihrer<br />

souligen Stimme war uns sofort klar, dass wir was mit ihr machten müssten“ erinnerte sich Hans Hartmann und<br />

freute sich, dass man nun seit drei Jahren regelmäßig auftritt und immer tiefer in die Geheimnisse des Kammer-<br />

Jazz eindringt.<br />

„Uns schwebt vor, bekannte Stücke völlig neu zu entdecken“,<br />

beschreibt Hans Hartmann das Konzept von „Take 3“.<br />

Nummern, die mit Schlagzeug jeder spielen kann, ganz<br />

bewusst ohne Schlagzeug zu spielen, reizt das Trio besonders.<br />

Davon konnten sich die Hirschbesucher bei Stücken wie<br />

„Long train running“ von den Doobie Brothers, oder bei Cindy<br />

Laupers „Time after Time“ und anderen Funk- oder Soul-<br />

Nummern überzeugen, die auch ohne Schlagzeug mächtig<br />

abgingen.<br />

Auch die spontane Interaktion, Stücke ohne vorgefertigten<br />

Ablauf zu beginnen und das Kommende dem Zufall bzw. dem<br />

guten Gehör zu überlassen, gehört zum Konzept des Trios. Ob<br />

Balladen wie „Summertime“ oder „Stolen Moments“, Bebop-<br />

Nummern wie „Take the A-Train“ oder „Caravan“, Klassiker<br />

wie „Mack the Knife“ oder Ohrwürmer wie „Georgia on my<br />

mind“, im Repertoire von „Take 3“ findet man alles, was<br />

dringend einer musikalischen Frischzellenkur bedarf.<br />

Transparenz und Sparsamkeit, die jedem Stadtrat zur Zier<br />

gereichen würden, sind Pflicht bei „Take 3“.<br />

Gela Ahrens besticht durch großen Stimmumfang,<br />

hinreißendes Temperament und gefühlvolle Musikalität. Hans<br />

Hartmann verkörpert den ruhenden Pol am Bass und wirkt bei<br />

funkigen Grooves ebenso zuverlässig wie bei swingenden<br />

Straight-ahead-Linien oder südamerikanischen Rhythmen. Als Präzision in Person entlockt Dieter Geitz seiner<br />

Gitarre alles, was die großen Vorbilder an Licks und Gimmicks hinterlassen haben und glänzt darüber hinaus<br />

durch geschmackvolle Soli. Die Folge: wie beim Essen der Appetit wächst bei „Take 3“ beim Zuhören das<br />

Verlangen nach mehr. Ein Blick auf die Uhr bewies es. Bei der letzten Zugabe stand der Zeiger ausnahmsweise<br />

wieder einmal jenseits von Mitternacht. -rk-


77<br />

Lyrischer Kammerjazz im konzertanten Stil<br />

Datum: 23.05.02<br />

Das Freisinger Quartett „Tourne la Tete“ debütierte im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Mit einem Gastspiel der Gruppe „Tourne la Tete“ setzte am Mittwoch der Jazz Club Hirsch seine<br />

lockere Reihe mit einheimischen Spezialitäten fort. Die Geigerin Angela Pilz, Kontrabassist Willi Wipfler,<br />

Schlagzeuger Andi Gleixner, sowie Gitarrist, Komponist und Bandleader Andy Meyer sind in der Region<br />

längst keine Unbekannten mehr, haben sich aber in dieser Besetzung erst vor etwa zehn Monaten in Freising<br />

getroffen und mit der Probenarbeit begonnen.<br />

Das Repertoire besteht<br />

überwiegend aus eigenen<br />

Kompositionen, für die meist<br />

Andy Meyer verantwortlich<br />

zeichnet. Mit Stücken wie<br />

„Morning“ „Colorado“ oder<br />

„Telling stories“ pflegt das<br />

Quartett einen bewusst leisen,<br />

konzertanten Stil, der schon<br />

wegen des Zusammenklangs<br />

von Geige und Gitarre oft<br />

kammermusikalische Züge<br />

trägt. Für wirklich befreite<br />

Soli ließen die verzwickten<br />

harmonischen Strukturen der<br />

Stücke oft zu wenig Raum,<br />

was vor allem den noch etwas<br />

zaghaften Improvisationen<br />

der Geigerin Angela Pilz<br />

anzumerken war, die dafür<br />

mit einem warmen und<br />

unaufdringlichen Ton für sich<br />

einnahm. Die Präzision und Geschmackssicherheit, mit der sie selbst raffinierteste Arrangements in Wohlklang<br />

umsetzte, verrieten ihre klassische Schulung. Auch ihre Moderationen zwischen den Stücken zeugten von<br />

humorvoller Bescheidenheit und wirkten nie aufgesetzt.<br />

Am besten kam Komponist Andy Meyer mit seinen Improvisationsvorlagen zurecht und erwies sich auf seiner<br />

elektrisch verstärkten Naturgitarre als versierter Techniker und phantasievoller Solist. Auch Willi Wipfler hatte<br />

am Kontrabass hörbare Fortschritte zu bieten, verrichtete für<br />

seine Mitspielern stets zuverlässige, nie aufdringliche Basisarbeit<br />

und wuchs immer couragierter in die Solisten-Rolle hinein.<br />

Gewohnt sensibel untermalte und stützte Schlagzeuger Andi<br />

Gleixner das Spiel seiner Mitspieler durch rhythmische<br />

Accessoires. Zwar war dem Gastspiel wegen des schönen Wetters<br />

keine große Zuhörerkulisse vergönnt, doch waren sich alle, die<br />

den spannenden Abend bis zur Zugabe erlebten, am Ende einig:<br />

wenn die vier sympathischen Musiker so fleißig weiterüben und<br />

dabei ihrer eigenen Spielfreude noch etwas mehr Freiraum geben,<br />

wird man sich nach „Tourne la Tete“ wahrscheinlich irgendwann<br />

den „Kopf verdrehen“. -rk-


78<br />

Bühne frei für zwei exotische Ballerinas<br />

Gelungener Saisonabschluss im Hirschwirt mit „The Danceability of Jazz“<br />

Datum: 14.06.2002<br />

Moosburg. Mit einem stimmungsvollen und originellen Abend verabschiedete sich am Mittwoch der Jazz<br />

Club Hirsch in die Sommerpause. Vor vollem Haus präsentierten zwei Tänzerinnen und drei Musiker eine<br />

Produktion des „Bohemia After Dark e.V. für die Förderung von Theater, Tanz und Musik“ mit dem Titel<br />

„The Danceability of Jazz“. Sowohl die Choreografien der indischen Tänzerin Aparajuta Koch als auch das<br />

musikalische Konzept des amerikanischen Saxophonisten Geoff Warren hinterließen beim Publikum einen<br />

nachhaltigen Eindruck.<br />

Die Beziehungen zwischen westlicher<br />

Popmusik und indischer Klassik reichen<br />

bekanntlich zurück in die Sechzigerjahre, als<br />

Musiker wie George Harrison die Sitar eines<br />

Ravi Shankar für die Beatles entdeckte oder<br />

Jazzer wie John McLaughlin mit ihrem<br />

Mahavishnu Orchestra Aufsehen erregten.<br />

Dass mit dem Programm „The Danceability<br />

of Jazz“, zu deutsch „Die Tanzbarkeit des<br />

Jazz“ zugleich eine indische Raga-Tänzerin<br />

namens Aparajuta angekündigt wurde, löste<br />

in Moosburgs Szenekreisen folglich<br />

Reminiszenzen an Zeiten aus, in denen Hare<br />

Krishna, Bhagwan und Sanyassins westlichen<br />

Teenies noch wie Vorboten des Nirwanas<br />

erschienen waren.<br />

Zwar sind Besucher, Tänzerinnen und<br />

Musiker dieser musikalisch-ideologischen<br />

Pubertät längst entwachsen, doch verströmte „The Danceability of Jazz“ von Beginn an jenen liebenswürdigen<br />

Hippie-Charme, bei dem sofort Erinnerungen an die würzige Frische von Räucherstäbchen wach werden.<br />

Hauptanteil an der fast seancenhaft entrückten Stimmung des ersten Sets hatte der Saxophonist und Flötist Geoff<br />

Warren. Was er seinen Instrumenten entlockte, weckte Erinnerungen an die Großen des Oriental Jazz wie Yusef<br />

Lateef oder Pharaoh Sanders und brauchte keine Vergleich mit der Virtuosität indischer Instrumental-Gurus zu<br />

scheuen.


79<br />

Der überwiegend in Italien lebende Amerikaner, der dort mit der indischen Tabla-Legende Badal Roy ein Duo<br />

bildet, dessen Konzerte und Worldmusic-Kurse weltweit gefragt sind, war zugleich Hauptsolist des Abends und<br />

Bindeglied zwischen Tänzerinnen und Band, die diesmal vor der Bühne Platz genommen hatte. Von Geoff<br />

Warren und Badal Roy stammten auch die meisten Kompositionen wie „Lonely Dancer“ oder „Brick Lane“,<br />

„Kalkutta Rose“ oder „Kaguzi Lebu“. Andere musikalische Vorlagen für freie Tanzimprovisationen hatten<br />

entweder Perkussionist Manfred Feneberg oder Kontrabassist Bernd Plank, beide aus Freising, beigesteuert.<br />

Beide überzeugten außerdem durch einfühlsame Kreativität, filigrane Technik und rhythmische Vielseitigkeit,<br />

drei Tugenden, die jedes Stück zu einer stimmigen und in sich geschlossenen Einheit machten. Dies war umso<br />

erstaunlicher, als das umfangreiche Programm mangels gemeinsamer Proben durch das Austauschen von<br />

Kassetten hatte einstudiert werden müssen.<br />

Von ausdrucksvoll-klassisch über exotisch-traditionell bis zu introvertiert-modern reichte „The Danceability of Jazz“<br />

Dass die meisten Stücke unverkennbar in der melodischen Gesetzmäßigkeit indischer Ragas verwurzelt waren,<br />

fand auf der Bühne seine Entsprechung, als Aparajuta Koch in wechselnden Kostümen exotische<br />

Tanzimprovisationen zelebrierte, die in ihrer anmutigen, vom Klang stampfender Fußglöckchen unterstützten<br />

Körpersprache an Tempeltanz-Etüden erinnerten. Zusammen mit Tanzpartnerin Barbara Weber wurden die<br />

Choreografien erkennbar freier und weltlicher, behielten aber stets eine gewisse klassische Introvertiertheit bei,<br />

was leider dazu führte, dass sich nach der Pause ein überwiegend weiblicher Plapper-Virus im Zuschauerraum<br />

verbreitete, der den beiden sympathischen Ballerinas vorübergehend die Schau stahl.<br />

Mit einem Pas de Deux à la Christo wie<br />

„Sculpting in White“, bei dem die<br />

Tänzerinnen unter einer weißen Seidenhülle<br />

zur lebenden Plastik wurden, oder dem Stück<br />

„Hair“, einer getanzten Hommage an die<br />

Pracht fliegender Mähnen, zogen die<br />

Tänzerinnen das Publikum jedoch schnell<br />

wieder in ihren Bann. Die CD-Einspielung<br />

„Full Nelson“, bei der Aparajuta Koch die<br />

„Danceability“ eines Miles Davis etwas<br />

unterschätzte, wurde von manchen sogar als<br />

Stilbruch empfunden, wogegen vier weitere<br />

CD-Einspielungen durchaus als musikalische<br />

Bereicherung begrüßt wurden. Am Ende einer<br />

abwechslungsreichen und vielfarbigen<br />

Performance wurden zwei Tänzerinnen, drei<br />

Musiker und ein Soundmixer namens „Gregor<br />

Gravity“ mit langem Beifall belohnt. -rk-


80<br />

Beim gemeinsamen Finale auf der Hirsch-Bühne: „Trio Fertigbeton“ und „OBK“<br />

Musikalische und finanzielle Wohltat<br />

Datum: 15.09.02<br />

Jubel im „Jazz Club Hirsch e.V.“ für Orchester Bürger Kreitmeier<br />

Moosburg. Benefizveranstaltung sind ja bekanntlich dazu da, um anderen etwas gutes zu tun. Der kostenlose<br />

Auftritt der beiden langjährigen Programmverantwortlichen des „Jazz Club Hirsch e.V.“, Karl Musikini und<br />

Norbert Bürger mit ihren Formationen „Trio Fertigbeton“ und „Orchester Bürger Kreitmeier“ sorgte am<br />

Freitagabend gleich im doppelten Sinn für Wohltaten, nämlich musikalisch und finanziell. Das brechend<br />

volle Clublokal erlebte ein musikalisches Heimspiel der Superlative, mit dessen Erlös der Verein nun wieder<br />

etwas gelassener in die Zukunft blicken kann.<br />

Es gab aber noch andere Nebeneffekte, die den Abend zu einem herausragenden Ereignis machten: Menschen,<br />

die sich teilweise jahrelang nicht gesehen hatten, begegneten sich anlässlich der spektakulären Heimkehr zweier<br />

Jazz-Club-Urväter plötzlich wieder und demonstrierten durch ihr Kommen gemeinsam für den Fortbestand eines<br />

Vereins, der seit seiner Gründung immer hart zu kämpfen hatte. Umso ausgelassener daher auch die Stimmung,<br />

als bei schweißtreibenden Temperaturen gegen 21.30 Uhr die ersten Töne des „Trio Fertigbeton“ erklangen, das<br />

in der Besetzung Karl Muskini (Posaune und Mundwerk), Willi Wipfler (Kontrabaß) und Andi Gleixner<br />

(Schlagzeug) den Anfang machte.<br />

Die drei langjährigen Freunde aus Freising haben nach ersten gemeinsamen musikalischen Gehversuchen<br />

inzwischen auch Erfahrungen in anderen Formationen gesammelt, was nun dem „Trio Fertigbeton“ hörbar<br />

zugute kommt. Karl Muskini, der in Linz Musik studiert, profiliert sich zunehmend auch als Elektroniker, der<br />

seiner Posaune mehrstimmige Sounds und Echoeffekte entlockt. Willi Wipfler setzt mit seinem kraftvoll<br />

zupackenden Bassspiel immer deutlichere rhythmische und harmonische Akzente und ergänzt sich mit dem<br />

sensiblen und unaufdringlichen Andi Gleixner am Schlagzeug zu einer guten Rhythmusgruppe.<br />

Nach acht humorvoll verpackten Stücken und einer Zugabe war zunächst eine Lüftungspause angesagt, bevor<br />

„Präsi“ Günter Janovsky gegen 23 Uhr die heiß ersehnte Heimkehr des Ausnahmegitarristen und langjährigen<br />

Jazz-Club-Programmdirektors Norbert Bürger mit seiner Partnerin Conny Kreitmeier auf die Hirsch-Bühne<br />

ankündigte. Dank des fast legendären Kultcharakters, dessen sich das (Zwei-Personen)-„Orchester Bürger<br />

Kreitmeier“ (OBK) inzwischen bundesweit erfreut, fielen die Reaktionen entsprechend patriotisch-triumphal<br />

aus. Kein Wunder, denn was „unser Norbert von nebenan“, den seine „Lady Kreitmeier“ nur hochnäsig als „Typ<br />

namens Bürger“ bezeichnet, inzwischen an Mimik, Gestik und Akustik aus sich herausholt, treibt einem die<br />

Tränen in die Augen. Auf seiner E-Gitarre, einer Loop-Maschine für spontane Tonschleifen, sowie einer<br />

Plastikflasche für rhythmische oder stöhnende Vokalausbrüche, setzt „Bürger“ das Motto der neuesten CD „My


81<br />

brain is empty“ in die Tat um, „tabulose und gänzlich handgemachte Musik mit Anspruch und strikt gegen die<br />

Hörgewohnheit“ zu machen.<br />

Ganz zu schweigen von den körperlichen und stimmlichen Qualitäten seiner Partnerin. Absolut intonationssicher<br />

in allen Lagen, mit einem Stimmvolumen zwischen Walküre und Elfe, Motorsäge und Alpenecho, mit der<br />

Komik und dem Sexappeal einer Bette Middler, gepaart mit der Präzision eines Metronoms, erfüllt Conny<br />

Kreitmeier die Bühne mit so viel Wandlungsfähigkeit und Liebenswürdigkeit, dass einem bei offenem Mund der<br />

Atem stockt. Parodien wie „Los dos Gardenias“ oder „Sex Bomb“ oder „Had me a Boy“, aber auch eigene<br />

Stücke wie „Zick ich ein bisschen rum“ oder „Im Bett bleib ich“ oder „Partysong“ passen weder in eine<br />

Schublade, noch gibt es erkennbare Vorbilder,<br />

denen OBK nacheifert.<br />

Genau diese Originalität, gepaart mit<br />

technischer Perfektion und feinem Humor, ist<br />

das Geheimnis eines Erfolges, hinter dem viel<br />

harte Arbeit steckt. Wenn man dann am Ende<br />

noch erfährt, dass derzeit noch alle<br />

Einnahmen aus bis zu 40 Tourneeauftritten<br />

am Stück wieder in Studioaufnahmen,<br />

Bühnentechnik und Werbung gesteckt<br />

werden, so dass beide Künstler ihren<br />

Lebensunterhalt weiterhin mit Studioarbeit,<br />

Theatermusik oder Lehraufträgen verdienen<br />

müssen, kann man nur den Hut ziehen vor so<br />

viel „Wohltätigkeit“, die im Jazz Club Hirsch<br />

nach eine hinreißenden Scat-Gesang Zugabe<br />

„We got new friends“ mit stehenden<br />

Ovationen gefeiert wurde. -rk-<br />

Das „Trio Fertigbeton“ beim Benefizkonzert in eigener Sache


82<br />

Gefühl bei der Herstellung von Musik<br />

Das Busch-Greiner Quintett überzeugte im „Jazz Club Hirsch“<br />

Datum: 10.10.02<br />

Moosburg. Nicht, wer zu spät kam, sondern wer zu früh ging, hatte gegen Mitternacht etwas versäumt, als das<br />

Busch-Greiner Quintett am Mittwoch im Jazz Club Hirsch seine verdiente Zugabe gab. Mochte der eine oder<br />

andere mit Blick auf den nächsten Arbeitstag schon in der Pause das Weite gesucht haben, in der Meinung,<br />

eine vielleicht gute, aber doch etwas gewöhnungsbedürftige Band gehört zu haben, spätestens bei<br />

Eigenkompositionen wie „Tempo“, „Weird“ oder „African Beauty“ im zweiten Set stellte sich heraus: das<br />

Busch-Greiner Quintett gleicht einem Rohedelstein, dessen Ecken und Kanten erst nach längerem Zuhören<br />

zu funkeln beginnen.<br />

Bestehend aus Bandgründer und<br />

Saxophonist an Tenor-, Alt- und<br />

Sopransaxophon Florian Busch,<br />

seinem Co-Leader Reinhard<br />

Greiner an Trompete und<br />

Flügelhorn, Neuzugang Adrian<br />

Reiter an der Gitarre, Jerker Kluge<br />

am Kontrabass und Thomas<br />

Elvenspoek am Schlagzeug, stellt<br />

das Quintett ein Ensemble dar, in<br />

dem fünf Einzelkönner das Gefühl<br />

auszukosten scheinen, an der<br />

Herstellung eigener Musik beteiligt<br />

zu sein.<br />

Die Vorgaben stammen dabei<br />

überwiegend von Florian Busch,<br />

der als bekennender Autodidakt<br />

keine Probleme damit hat, dass<br />

seine Arrangements „etwas<br />

unkonventionell“ klingen. Viel<br />

wichtiger ist ihm, die Gefühlswerte seiner „contemporary genuine music“ – zu deutsch – seiner „echt<br />

zeitgemäßen Musik“ so rüberzubringen, wie er sie selbst empfindet.<br />

Überhaupt spielen Empfindungen für Florian Busch eine große Rolle, wie etwa in „Listening from within“ oder<br />

„Twins“, zwei Stücken, die er seinem Lehrer Martin Seliger gewidmet hat, oder der Hommage „Dear Wayne“<br />

für Wayne Shorter, der zweifellos bei vielen Kompositionen, aber auch beim Improvisieren musikalisch Pate<br />

gestanden hat. Zweiter Bläser im Bund ist Reinhard Greiner, der seiner Trompete wahlweise schmetternde oder<br />

glasklare Töne entlockt, um wenig später auf dem Flügelhorn samtweiche Melancholie zu erzeugen. Im<br />

kongenialen Zusammenspiel zwischen Trompete und Flügelhorn auf der einen, Tenor-, Alt- oder<br />

Sopransaxophon auf der anderen Seite liegt ein Großteil des Reizes, der das Quintett streckenweise in die Nähe<br />

so großer Bebop- und Hardbop-„Brothers“ wie Benny Golson /Clifford Brown oder Eric Dolphy/Booker Little<br />

rückt.<br />

Aber auch im „Hintergrund“ zwischen Gitarre,<br />

Kontrabass und Schlagzeug werden präzises<br />

Zusammenspiel und lässig-abgeklärte Grooves groß<br />

geschrieben. Egal, ob im Sieben-Viertel-Takt oder<br />

in orientalischen Sechs-Achtel-Bögen, Rockjazz-<br />

Rhythmen oder Latin-Grooves, Gitarre, Bass und<br />

Schlagzeug sind meist gut aufeinander abgestimmt,<br />

übernehmen mal solistische, mal begleitende<br />

Funktion und machen sich gegenseitig das Leben<br />

leicht.<br />

Wer dem harten Kern von etwa 20 Zuhörern<br />

angehörte, die sich ohne Rücksicht auf Vorzügler<br />

auf die Klangwelt des Quintetts einließen, wurde<br />

mit schönen Momenten voll Gefühl und<br />

Eigenwilligkeit belohnt. Die Frage, warum so<br />

gängige und publikumswirksame Stücke wie<br />

„Tempo“ oder „African Beauty“ erst im letzten Drittel vorkamen, beantworte Florian Busch mit dem „inneren<br />

Zusammenhang“ von Stücken, die einfach zusammengehörten. Danach muss die Gegenfrage erlaubt sein, was<br />

bei öffentlichen Auftritten wichtiger ist: Zusammengehören oder Zuhören. Denn: wo kein Zuhörer, da auch kein<br />

Zusammengehören. Trotzdem: Kompliment für die „echt zeitgemäße Musik“ des Busch-Greiner Quintetts. -rk-


83<br />

Musikalische Prosa für echte Zuhörer<br />

Datum: 31.10.02<br />

Das Quartett „Tales“ gab im Jazz Club Hirsch seine Visitenkarte ab<br />

Moosburg. Es war zum gegenseitigen<br />

Vorteil, dass am Mittwoch viele<br />

„echte“ Jazzfreunde den Weg in den<br />

Jazz-Club Hirsch fanden: die vier<br />

Musiker von „Tales“ empfanden die<br />

aufmerksam lauschende Kulisse als<br />

ungewöhnlich stimulierend und<br />

brachten das auch wiederholt zum<br />

Ausdruck. Das Publikum seinerseits<br />

fand Gefallen an den musikalisch<br />

abwechslungsreichen Erzählungen<br />

und wurde bei manchen Stücken so<br />

still, dass sogar der Ventilator den<br />

Atem anhielt.<br />

Dazu passte eine unauffällig<br />

eingestreute Bemerkung über den<br />

Jazzclub von Dinkelsbühl, die aber<br />

erst auf Nachfrage verständlich<br />

wurde. Dort nämlich hatte die Band<br />

einige Tage zuvor ihre „Geschichten“ einem Publikum vorgetragen, das sich vom ersten bis zum letzten Ton<br />

lautstark unterhalten hatte. Kompliment also für Moosburg und seinen Jazz Club, der seinen Besuchern im<br />

übrigen die Bekanntschaft mit vier Musikern ermöglichte, die ihre Visitenkarte an diesem Abend zum ersten mal<br />

in Moosburg abgaben.<br />

Stephan Schmeußer am Schlagzeug ist unüberhörbar Franke und gilt als Initiator und treibende Kraft der<br />

„Tales“. Seinem präzisen und unaufdringlichen Spiel hört man an, dass er schon viele Jazz- Gospel- und Pop-<br />

Größen begleitet hat. Doch auch bei solistischen Einlagen steht er phantasievoll und abwechslungsreich seinen<br />

Mann. Er ist landsmannschaftlich eng verbunden mit Gert Kaiser, der das Tenor- , Alt- und Sopransaxophonspiel<br />

in Nürnberg und Würzburg erlernt hat, u.a. bei Jürgen Seefelder. Der Kulturförderpreisträger der Stadt Fürth<br />

kann auf zahlreiche klassische Engagements sowie Theater- und Musicalproduktionen verweisen und zählt zu<br />

den gefragten Solisten und Arrangeuren in der Soul- und R&B-Szene. In Moosburg überzeugte er durch seinen<br />

geschmackvollen Ton und ausdrucksstarke Soli, aber auch durch manche originelle Eigenkomposition.<br />

Den beiden Franken im Quartett stehen zwei Wahl-Münchner gegenüber, nämlich der Gitarrist Kurt Härtl,<br />

Schüler von Peter O’Mara und inzwischen Gitarrist an den Stadttheatern Regensburg und Landshut. TV-<br />

Auftritte und Tourneen mit Benny Baily, Adrian Mears oder Tony Lakatos schmücken seine Musiker-Vita. Was<br />

er auf der Hirsch-Bühne an Form und Stil-Gefühl demonstrierte, u.a. bei der solistischen Interpretation seines<br />

Stückes „Marathon“, gehört zum Besten, was Gitarristen in letzter Zeit in Moosburg abgeliefert haben.<br />

Jüngster im Quartett ist E-Bassist Thorsten Soos, der nicht nur auf eine Auszeichnung als „Best Bass player of<br />

the year“ stolz sein kann, sondern auf viele Sessions und Gigs, in denen er alles begleitet hat, was hierzulande in<br />

Rock, Pop und Jazz einen Namen hat. Ihn zeichnete in Moosburg sein sicheres Timing aus, aber auch seine<br />

empfindsame Kunst des Begleitens, die nie vordergründig wird. Schön auch seine hingehauchte Liebeserklärung<br />

an „Luise“, die E-Bass-Poesie vom Feinsten bot.<br />

Allen vier „Tales“ gemeinsam ist, dass sie gerne eigene Geschichten erzählen: das gesamte Programm besteht<br />

aus Eigenkompositionen. Dass dabei nicht jedes Stück gleich gut rüberkommt, gehört zum erhöhten Risiko eines<br />

solchen Konzepts, das dennoch reich an Abwechslung und Höhepunkten ist. Absoluter Favorit in Moosburg war<br />

dem Beifall nach zu schließen „Chicken Shack“, zu deutsch „Hühnerstall“, aus der Feder von Trommler Stephan<br />

Schmeußer: Ein Second-Line-Groove im beschwingten Marsch-Rhythmus, bei dem man sich spielend inmitten<br />

einer Beerdigungs-Prozession in New Orleans wiederfand. Zur nächsten Visite in Moosburg dürfen die „Tales“<br />

ruhig mehr davon mitbringen. -rk-


84<br />

Viel Beifall für die Könner von „Scoop“<br />

Datum: 12.12.02<br />

Fünf Instrumentalisten, Komponisten und Arrangeure von Format<br />

Moosburg. Feinen Beobachtern fiel am Mittwoch im „Hirschen“ auf, dass vier Musikerkollegen auf der<br />

Bühne immer nur dann mitklatschten, wenn vom Fünften, dem Gitarristen Dr. Thomas Wecker, die Rede<br />

war. Folglich scheint er so etwas wie der heimliche Bandleader einer Formation zu sein, die ansonsten vom<br />

Saxophonisten Wolfgang Roth präsentiert und darüber hinaus von allen fünf Mitgliedern mit originellen<br />

Kompositionen und witzigen Zwischenrufen versorgt wird: die Rede ist von „Scoop“, jener Münchner Band,<br />

die aus fünf Könnern besteht, die ihr Repertoire selbst komponieren, arrangieren und spielen.<br />

Schon bei ihrem ersten Gastspiel im Februar letzten Jahres verdiente sich die Band gute Noten für exaktes<br />

Zusammenspiel, zeitgemäße Kompositionen und ansteckende Spielfreude. Fast zwei Jahrespäter kann man<br />

dieser Beurteilung eigentlich nur noch Sternchen hinzufügen, denn das Quintett ist in der Zwischenzeit nicht nur<br />

zusammengeblieben, was allein schon Bewunderung verdient, „Scoop“ hat auch einen Reifeprozess<br />

durchgemacht, der eindeutig den Zuhörern zugute kommt. Weggefallen sind einige „Probier-Stücke“, denen man<br />

damals noch eine gewisse Unfertigkeit anhörte. An ihre Stelle treten moderne Kompositionen, die im Geiste<br />

eines Herbie Hancock oder John Scofield entstanden sind, perfekt einstudiert wurden und zweifellos bei einem<br />

größeren Publikum ankommen sollen.<br />

Rhythmisch ist vor allem<br />

das kongeniale Gespann<br />

Manolo Dias am E-Bass<br />

und Drummer Martin<br />

Kolb auf der Höhe<br />

moderner Grooves und<br />

bewegt sich mit<br />

traumhafter Sicherheit<br />

zwischen Salsa und<br />

Soul, Funk und Fusion,<br />

und marschiert<br />

manchmal schon in<br />

Richtung „Smooth“-<br />

Jazz, wie er derzeit in<br />

USA angesagt ist. Wenn<br />

dann noch Gitarrist<br />

Thomas Wecker oder<br />

Pianist Volker Giesek<br />

ihre zündenden Akzente<br />

in dieses pulsierende<br />

Gemisch abfeuern, ist<br />

für Tanz-Zuckungen im<br />

Zuhörerraum gesorgt.<br />

Humorvoll in der Ansage und makellos im Ton füllt Wolfgang Roth seine Rolle als einziger Bläser souverän aus<br />

und überzeugt durch Präzision und geschmeidige Improvisationslinien.<br />

Je später der Abend wird, desto genüsslicher nähern sich die Fünf den Gefilden kalifornisch-kommerzieller<br />

Harmonik, was keine Schmälerung bedeutet, denn dieses Gemisch aus pinkfarbener Surf & Dance-Music will<br />

erst einmal arrangiert sein. Ganz und gar nicht stromlinienförmig kommen andere Stücke daher wie Wolfgang<br />

Roths „Die Erste“, das eher an eine Drehorgel erinnert, in der gerade die Notenrollen von Leonard Bernstein und<br />

Kurt Weill durcheinander geraten.<br />

Hitverdächtig wurde vor der Pause im 11/8-Takt dem Kometen „Haley“ gehuldigt, aber auch dem Dichter<br />

Thomas Bernhard, dessen Hommage „Not in Austria“ keineswegs mit „Elend in Österreich“ übersetzt werden<br />

soll, wie Wolfgang Roth bemerkte. Tiere wie die Kuh oder ein „Dromedar im August“ standen dann nach der<br />

Pause Pate für weitere originelle Stücke, wobei der elektrisierende Funk-Rhythmus, mit dem die<br />

Rhythmusgruppe dem Dromedar Beine machte, am stärksten überzeugte. Etwas zu dünn, gemessen an der<br />

Verpackung, kam die Querflöte zur Geltung, für die sich Wolfgang Roth dennoch nicht zu schämen brauchte: im<br />

Zusammenspiel mit der Gitarre kam nämlich plötzlich so etwas wie Weihnachtsstimmung auf: Altmodisch eben,<br />

aber zart und wunderschön! -rk-


85<br />

Einmal durch den Orkus und zurück<br />

Datum: 10.01.03<br />

St. Oehl-Trio fährt Schlitten mit den Hörgewohnheiten im Jazz Club<br />

Moosburg. Da war es wieder, das Trio mit dem pfiffigen Namen, das genau so gut altbairische Kirchenmusik<br />

pflegen könnte, obwohl es doch in Wahrheit das Gegenteil davon tut: das St. Öhl Trio aus München, bestehend<br />

aus dem Kontrabassisten Stefan Lanius, dem Saxophonisten Floh Haas und dem Schlagzeuger Günter<br />

Hillenmeyer, das am Mittwoch bereits sein drittes Gastspiel im Hirschen gab. Wohl auch als Folge des<br />

Wintereinbruchs hielt sich der Besucherandrang zwar in Grenzen, doch wer sich um das flackernde Kaminfeuer<br />

versammelte und sich mental öffnete für eine infernalische Hochspannungsoffensive dreier Instrumental-<br />

Ekstatiker, kam durchaus auf seine Kosten.<br />

Stefan Lanius als grimassierender und<br />

hüpfender, klopfender und reißender,<br />

sägender und trommelnder Kobold am<br />

Kontrabass gibt selbst zu, dass das St.<br />

Öhl-Trio, das seinen Namen eigentlich<br />

dem schwedischen Wort für Bier<br />

verdankt, seine Musik „seit mehr als<br />

zehn Jahren mit Bier ölt, was jedoch das<br />

Heilige an unserem Klang, den<br />

Ekstaseschweiß, niemals in irgendeiner<br />

Weise befleckt hat“. In der Tat ist die<br />

pulsierende heißen Free-Jazz-Lava, die<br />

auch am Mittwoch wieder von der<br />

Hirsch-Bühne spritzte, alles dimpfelnde<br />

und schunkelnde fremd, fremder geht’s<br />

nimmer.<br />

Aus welcher galaktischen Ferne die drei<br />

ihre Inspirationen beziehen, wurde an<br />

Titeln deutlich wie „Das analytische Wahnsinnsgehirn“ oder „Bullenschwanzbesen“ oder „Der Metzger von Den<br />

Haag zerstückelt das schimmlige Mondkalb“, Bezeichnungen also, die bewusst provozieren wollen und es auch<br />

tun. Die musikalischen Mittel stehen dem in nichts nach und erfüllen ihren Zweck, Hörgewohnheiten einmal<br />

durch den Orkus und zurück zu jagen, voll und ganz. Dabei kommt den drei Hochenergie-Malochern zugute,<br />

dass ihre Musik heute noch besser zu den Ungereimtheiten, Wirren und Querschlägen der Zeit zu passen scheint<br />

als je zuvor.<br />

Statt süßlicher Harmonie-Drogen werden handgefertigte Platzpatronen unters Volk geworfen. Statt verträumter<br />

Klänge vom ewigen Karibikurlaub dröhnen Verkehrschaos und Schlachtenlärm, Schmerzensschreie und<br />

Zähnegeklapper von der Bühne, als habe man sich zum letzten Stelldichein verabredet. Die Coolness, mit der das<br />

ganze serviert wird, steht nur scheinbar im Gegensatz zum Höllenlärm, denn die Drei wissen genau, was sie tun.<br />

Sie treten gemeinsam den Beweis an, dass man auf einem Instrument nichts falsch machen kann, wenn man es<br />

nur mit genügend Nachdruck und Überzeugung tut. Beim St. Öhl Trio gibt es demnach keine falschen Töne, es<br />

gibt nur faule Ohren.<br />

Zur Ehrenrettung einiger Besucher, die sich in der Pause freundlich verabschiedeten, sei jedoch gesagt, dass<br />

beim Hören längst nicht jeder über Energiereserven verfügt wie Stefan Lanius und Co. beim Spielen. Ohnehin<br />

würde wohl sich niemand im stillen Kämmerlein die Musik von St. Öhl zur Entspannung auflegen. Dafür ist sie<br />

auch gar nicht gemacht. Sie ist für die Bühne gedacht. Als Aufschrei gegen die globale Kommerzialisierung<br />

durch Medien- und Musik-Multis. Es tut gut, manchmal daran erinnert zu werden, dass es auch anders geht. -rk-


86<br />

Viel Beifall für einen „Posaunenengel“<br />

Marion Dimbath gastierte mit „Triorange“ im Jazz Club Hirsch<br />

Datum: 27.01.03<br />

Moosburg. Bei Marion Dimbath, der singenden Posaunistin aus München, kommt man gleich aus mehreren<br />

Gründen in Versuchung, von einem „Posaunenengel“ zu sprechen: sie ist nicht nur groß, gut gewachsen<br />

und blond, sie brachte kürzlich auch wieder jede Menge Talent mit auf die Hirsch-Bühne, als sie<br />

abwechselnd die große Posaune oder die kleine Zugtrompete spielte, dem Glockenspiel feine Töne entlockte<br />

und dazu mit ihrer natürlichen Mädchenstimme französische und englische, spanische und deutsche Lieder<br />

ins Mikro hauchte.<br />

Das Moosburger Publikum, dem Marion Dimbath von Auftritten mit ihrem Duo „Heilig’s Blechle“, ihrem Trio<br />

„Elsa va dor“ oder ihrem Glockenspiel-Duo „Leichtmetall“ bereits als vielseitige Vollblutmusikerin bekannt ist,<br />

konnte auch an diesem Abend wieder eine überraschend neue Seite an der kühlen Blonden aus dem Norden<br />

entdecken. Unter dem Namen „Triorange“, einer offensichtlich fruchtbaren Synthese aus „Trio“ und „Orange“,<br />

trat sie diesmal mit ihrem Lebensgefährten Robert Klinger am Kontrabass sowie dem Gitarristen Alex Czinke<br />

auf, zwei Allround-Könnern also, die keineswegs auf Jazz abonniert sind, sondern alles spielen, was Spaß macht.<br />

In diesem Fall reichte der Spaß, der sich vom ersten Ton an auf das Publikum übertrug, von bekannten Billy<br />

Holliday-Standards wie „Them there eyes“ oder Marilyn Monroes Wisper-Ballade „My heart belongs to dady“<br />

über deutschen Pop-Tiefsinn wie „Die Regenzeit“ oder den kubanischen Ohrwurm „El Cafetal“ bis hin zur<br />

französischen Eigenkomposition „Ne vous en faites pas“ oder Robert Klingers „Hirsch-Polka“, einer<br />

musikalischen Liebeserklärung an den Jazz Club, bei der sich das Moosburger Publikum zu Recht besonders<br />

geschmeichelt fühlen durfte.<br />

Über welche instrumentalen und solistischen Fähigkeiten Marion Dimbath und ihre beiden Begleiter verfügen,<br />

kam schon wegen der Trio-Besetzung, die jedem Mitspieler ständig ein hohes Maß an Einsatz, Dynamik und<br />

Spielfreude abverlangt, besonders gut zum Ausdruck. Für Abwechslung sorgte die Instrumentierung, die ständig<br />

zwischen E-Gitarre und Naturgitarre, Posaune und Zug-Trompete, Kontrabass und Glockenspiel wechselte.<br />

Besondere Aufmerksamkeit verdiente sich „Triorange“ durch Marion Dimbaths ungekünstelte Stimme, die nicht<br />

nur bei französischen Texten an Francoise Hardy oder an <strong>Jane</strong> Birkin erinnert. Hauchig und manchmal fast<br />

zerbrechlich, dabei stets natürlich und absolut intonationssicher, entwickelte Marion Dimbaths Sopran in allen<br />

Lagen einen mädchenhaft wirkenden Charme, der durch den kühlen Ernst ihres Gesichtsausdrucks noch<br />

faszinierender wirkte. Die Auswahl der Stücke tat ein übriges, um den Zuhörern den Zusammenhang zwischen<br />

Stimme und Seele in Erinnerung zu rufen. Als nach der Ballade „You go to my head“ als Zugabe das gute alte<br />

„When you smile“ erklang, hätte die gute Laune im Hirschen kaum besser sein können, obwohl die Sängerin<br />

selbst erst während des Beifalls zu einem „Smile“ bereit war. -rk-


87<br />

Datum: 20.02.03<br />

Es muss nicht immer Schlagzeug sein<br />

Beim Andreas Mederl Trio entsteht der Rhythmus im Kopf<br />

Moosburg. Die Besetzung aus<br />

Trompete, Kontrabass und Klavier<br />

kündigte am Mittwoch Ungewöhnliches<br />

im Jazz Club an und tatsächlich – der<br />

Andrang hielt sich bis gegen 21.30 Uhr<br />

ziemlich in Grenzen. Doch dann<br />

scharten sich doch ca. 30<br />

Unerschrockene um das prasselnde<br />

Kaminfeuer gegenüber der Bühne und<br />

erlebten dank der hoch entwickelten<br />

Musikalität der drei Gäste einen Abend,<br />

den niemand zu bereuen brauchte.<br />

Das Trio um den Münchner Trompeter<br />

Andreas Mederl mit Harry Scharf am<br />

Kontrabass und Marc Schmolling am<br />

Klavier verdankt seine Entstehung im<br />

Jahr 1998 eigentlich einem Hotel-Gig,<br />

der einerseits nicht zu laut sein durfte<br />

und andererseits den Zuhörern<br />

irgendwie vertraut vorkommen sollte.<br />

Das Ergebnis, ein Programm aus bekannten Jazz-Standards von George Gershwin, Duke Ellington, Miles Davis,<br />

Antonio Carlos Jobim bis hin zu Sting und Stevie Wonder, die damals ohne Schlagzeug aufgeführt wurden, kann<br />

sich bis heute hören lassen.<br />

Dies wiederum liegt an der hoch entwickelten Musikalität und technischen Reife aller drei Musiker, die<br />

interaktives Zusammenspiel und akustische Transparenz zu ihrem Prinzip erhoben haben. Alle drei scheinen um<br />

die Fähigkeit von Zuhörern zu wissen, sich Rhythmen oder Töne, die gar nicht wirklich gespielt werden, selbst<br />

im Kopf dazu zu denken. So dauerte es tatsächlich nicht lange, bis Bass und Klavier die Intensität ihres<br />

Zusammenspiels so weit voran trieben, bis im Geiste plötzlich ein vierter Mann auf der Bühne zu sitzen schien,<br />

der dazu auch noch verdammt gut Schlagzeug spielte.<br />

Aber Spaß beiseite: Die tatsächlich anwesenden<br />

Protagonisten standen dem in nichts nach. Andreas<br />

Mederl überzeugte vor allem auf dem Flügelhorn,<br />

dessen lyrischer Klang auch ohne die große Lunge<br />

eines Lead-Trompeters auskommt. Angeber-Mätzchen<br />

und Bravour- Kantilenen sind seine Sache nicht.<br />

Lieber erzählt er beim Improvisieren von seinen<br />

musikalischen Innenwelten und achtet ansonsten<br />

darauf, dass die Dreiecksbalance immer schön<br />

gewahrt bleibt. Edle Zurückhaltung zeichnet auch den<br />

Hünen Harry Scharf am Kontrabass aus, der als<br />

Garant einer zuverlässigen Begleitung auffiel und nur<br />

einmal zu einem längeren Solo ausholte. Seine<br />

harmonischen Basslinien gaben dem jeweils<br />

improvisierenden Kollegen viel Freiraum und wirkten<br />

nie dominant, sondern unterstützend.<br />

Schon rein äußerlich ist Marc Schmolling am Klavier<br />

zweifellos der Blickfang des Trios. Das rhythmische<br />

Stampfen seiner Füße, sein mitunter aufjaulendes<br />

Mitsingen und sein sich aufbäumender Oberkörper<br />

bieten schon rein optisch jede Menge Anlass zum<br />

Staunen. Erst recht aber sein vitales, immer neuen<br />

Verlockungen nachjagendes Spiel, das vor lauter<br />

Ideenüberschuss und Virtuosität manchmal schon zur<br />

Uferlosigkeit anschwillt, zeichnet ihn als Riesentalent<br />

unter den einheimischen Tastenflitzern aus.<br />

Manchmal freilich scheinen ihm die Tasten nicht mehr<br />

ausreichten. Dann bezieht er sogar Saiten und Filze im<br />

Innern des Klaviers mit ein und hat damit auch noch die letzten Lacher auf seiner Seite. Sein Reifeprozess zum<br />

wirklich großen Durchbruch wird in der Reduzierung auf ein „weniger“ liegen, das ja bekanntlich „mehr“ ist, als<br />

bei jedem Stück „immer alles“ zeigen zu wollen. -rk-


88<br />

Alex Sanguinetti Trio im Jazz Club<br />

Datum: 16.03.03<br />

Moosburg. Unter dem Namen Alex Sanguinetti-Trio gaben Mitte letzter Woche Sava Medan (Kontrabass), Alex<br />

Sanguinetti (Schlagzeug) und Till Martin (Tenorsaxophon) ihr Trio-Debüt im Moosburger Jazz Club Hirsch. Auf<br />

höchstem technischen Niveau reihten die drei in München lebenden Musiker dabei Standard an Standard und<br />

sorgten unter den gut drei Dutzend Besuchern für hohen Wiedererkennungswert. Vor allem der Kroate Sava<br />

Medan riss die Zuhörer mit einem virtuosen Bass-Solo, bei dem bekannte Evergreens gleich dreistimmig gezupft<br />

wurden, zu Beifallsstürmen hin. Auch als Begleiter steuerte Medan viel Souliges und Virtuoses bei. Till Martin<br />

verdiente sich Bewunderung durch seinen geschmeidigen Ton und seine atemberaubende Fingerfertigkeit, mit<br />

der er immer wieder aufs neue phantasievolle Saxophongirlanden über der Bühne aufzuhängen schien.<br />

Der aus Argentinien stammende Bandleader Alex Sanguinetti machte mit seiner trockenen Schlagtechnik auf<br />

einem Sabian-Becken einem Metronom Konkurrenz und überzeugte vor allem durch zuverlässige Trommel-<br />

Präzision, weniger jedoch durch Klangvielfalt und Einfallsreichtum. Zur Überraschung der Zuhörer offenbarte<br />

der Argentinier zu fortgeschrittener Stunde, dass dies der erste und vorerst leider auch letzte gemeinsame Auftritt<br />

des Trios war. Zahlreiche Jazztouristen aus Freising, Moosburg und Umgebung haben somit einem Konzert<br />

beigewohnt, das schon aus diesem Grund als einmalig bezeichnet werden darf. -rk-


89<br />

Datum: 28.03.03<br />

Humor ist, wenn man trotzdem zuhört<br />

Die Duos „Dos Hermanos“ und “Leichtmetall“ im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Immer, wenn im Jazz Club Hirsch Gefahr im Anzug ist, es könnte sich „Mainstream“-<br />

Trägheit breit machen, haben die Programmdirektoren Karl Musikini und Norbert Bürger eine<br />

Gegenmittel parat, das den Besuchern wieder mal zeigt, das nichts so langweilig ist wie die Kunst<br />

von gestern. So auch am vergangenen Mittwoch, als der Auftritt zweier Duos schräge Klänge für<br />

das Publikum von übermorgen bot. Den Anfang im nur mäßig besetzten Lokal machte das Duo<br />

„Los Hermanos“ zweier Münchner namens Andi „Senor G.<br />

Rag“ Stübner (Megaphon, Mülleimer, Mundharmonika,<br />

Schüttelrohr, Gitarre und Gesang) und Jörg „José Black Rider“<br />

Witzigmann (Gitarre, Basstrommel, Kazoo, Snare,<br />

Mundharmonika und Gesang), die sich schon bald als originelle<br />

Vertreter eines naiven aber dafür umso hintersinnigeren<br />

Country-Trash herausstellten. Mit sichtbarer Freude am<br />

gekonnten Geblödel, bei dem unter anderem der Schwabinger<br />

Nonsense-Poet Walter Hofer Pate stand, und frisch-fröhlichem<br />

Gedudel der Marke „Drei-Harmonien-müssen-genügen“ sorgten<br />

die beiden für lachende Gesichter im Raum.<br />

Das Aufeinandertreffen von Megaphon und Mikrophon<br />

erinnerte verblüffend an die Tonlage, die derzeit im<br />

transatlantischen Dialog herrscht: auf kühle Durchsagen von<br />

drüben folgen schmalzige Lieder von hüben. Das Programm<br />

bestand aus rustikalen Songs und Balladen und erinnerte an<br />

amerikanische Songwriter, die schon ganz anderen tiefsinnigen<br />

Träumen vom American way of life nachgehangen haben. Fragt<br />

man unterm Strich, was zwei sympathische Sound-Desperados<br />

mit vier Harmonien, zwei Stimmen, ein paar verrückten<br />

Requisiten und sehr viel Spielwitz auf die Beine stellen können, muss man den Sombrero ziehen.<br />

„Märchenhaften Minimalpop mit Glockenklang und<br />

Stimmenzauber“ kündigte das Duo „Leichtmetall“ an,<br />

bestehend aus Marion Dimbath (Glockenspiel und Gesang)<br />

und Nicola Schüpferling (Glockenspiel, Gesang, Samples und<br />

Electronics). Bereits die Zwillings-Kostümierung in<br />

Blümchenkleid und schwarzer Perücke ließ vermuten, dass<br />

dieser Auftritt nichts zu tun haben sollte mit allem, was<br />

Marion Dimbath bisher in Moosburg bekannt gemacht hat,<br />

nämlich hohe Musikalität, eine unverwechselbare Stimme,<br />

gekonntes Posaunen- und Tubaspiel und eine hinreißende<br />

Bühnenausstrahlung.<br />

Um es vorweg zu nehmen: die Auftritte waren nicht zu<br />

verwechseln. Schon vom Sound der beiden Glockenspiele her,<br />

die ja nicht umsonst nur in Kindergärten und um Weihnachten<br />

herum die Musikszene mit ihrem durchdringenden<br />

Schneeflöckchen- und Schlittenfahr-Zauber überzuckern, ist<br />

„Leichtmetall“ Geschmacksache. Zumal in Form zweier Solo-<br />

Glockenspiele, die ohne Unterbrechung und gleichzeitig und<br />

in gleicher Tonhöhe die Gehörgänge angreifen, begleitet vom<br />

Gebläse einer Tuba, dem Gezirpe eines Drum-Computers und<br />

anderen elektronischen Effekten, die von Bühnenassistent<br />

Bernhard Klinger am Tonband bedient wurden.<br />

Nahm man den Anblick zweier „Heilsarmeeschwestern“ hinzu, die dem Publikum während der Arbeit<br />

schon deswegen kein Lächeln schenken konnten, weil sie sonst garantiert falsche Töne auf ihren<br />

winzigen Metallplättchen getroffen hätten, fehlte einem irgendwie das Erlösende, das diesem Comic<br />

den Ernst genommen hätte. Genau der steckte folglich so tief drin in diesem Gebräu aus Altdeutscher<br />

Welle und Neudeutschem Tiefsinn, konzentriertem Gejodel und Gesample, dass selbst die Blicke der<br />

Zuhörer, die anfangs noch mit einem Zwinkern Kontakt aufgenommen hatten, immer ratloser zu<br />

Boden sanken. Anstelle der sonst üblichen Komplimente und Schulterklopfer herrschte nach einer<br />

Dreiviertelstunde Programm und einem herzlichen Applaus eine Stimmung, die am ehesten mit<br />

Ratlosigkeit zu beschreiben ist. In diesem Augenblick hoch sensibler Kommunikation ein Gespräch<br />

mit der tumben Wortschöpfung „gewöhnungsbedürftig“ zu beginnen, verbot sich schon aus<br />

Freundschaft. Statt dessen war „Neues Deutsches Grübeln“ (NDG) angesagt. Hier das Ergebnis:<br />

Humor ist, wenn man trotzdem zuhört! -rk-


90<br />

Schublade zu, Ohren auf für „The Hub“<br />

Datum: 29.03.03<br />

Das High-Energy-Trio aus New York setzt neue Maßstäbe im JCH<br />

Moosburg. Drei junge<br />

Amerikaner, die Moosburg<br />

von ihrem ersten Gastspiel<br />

in Europa im November<br />

2001 noch in guter<br />

Erinnerung hatten, wurden<br />

am Freitag im Jazz Club<br />

Hirsch mit offenen Armen<br />

empfangen: das Trio „The<br />

Hub“ aus New York,<br />

genauer gesagt aus<br />

Brooklyn, bestehend aus<br />

Dan Magay (Altsaxophon),<br />

Tim Dahl (E-Bass) und<br />

Sean Noonan, (Schlagzeug),<br />

machte auf seiner „Trucker-<br />

Tour 2003“ durch 40<br />

europäische Clubs und<br />

Konzertsäle wieder in der<br />

Dreirosenstadt Station.<br />

Es hatte Mitbringsel der musikalischen Extraklasse im Gepäck. Wer an diesem Abend im gut gefüllten<br />

Hirschen gefälligen „Smooth Jazz“ erwartet hatte, kam nicht auf seine Kosten. Im Gegenteil: manche<br />

Besucher empfanden bereits das musikalische Grollen, mit dem sich der Ausbruch des Kraters „The<br />

Hub“ ankündigte, also so bedrohlich, dass sie lieber rechtzeitig das Weite suchten. Ihnen entging ein<br />

Schauspiel, das im Jazz Club Hirsch neue Maßstäbe in punkto Hochspannung setzte.<br />

Dabei war es diesmal nicht die Lautstärke, die einen förmlich umwarf. Dafür wechselten die drei<br />

Dynamiker viel zu perfekt zwischen Düsentriebwerk und Schneefall, Maschinengewehrfeuer und<br />

Wüstenwind hin und her. Vielmehr war es der High-Energy-Mix aus nie gehörter Virtuosität, mit der<br />

die drei ihre Instrumente<br />

abwechselnd streichelten und<br />

malträtierten, gepaart mit<br />

Arrangements, die<br />

aneinandergereiht den Soundtrack<br />

zu einem infernalischen Road-<br />

Movie durch die aktuelle<br />

Seelenlandschaft Amerikas zu<br />

ergeben schienen, dargeboten mit<br />

einer Präzision und Perfektion,<br />

die einem fast die Sprache<br />

verschlug.<br />

Die spontanen Kommentare der<br />

Besucher hörten sich denn auch<br />

an, als hätten gerade mehrere<br />

Bands gespielt: „die beste Band,<br />

die je im Hirsch gespielt hat“<br />

fand der eine, „ich hab schon<br />

schlimmeres gehört“, der andere.<br />

Weiter ging es mit „Das hat Soul“, oder „endlich mal was Neues“, oder „etwas zu hot für meine<br />

Stimmung“, oder „mathematisch affengeil“, oder „Musik aus einer anderen Welt“ bis hin zur<br />

trockenen Frage „kann man auch mal die Noten sehen?“<br />

Die gibt es in der Tat, denn die heiße Lava, die da so eruptiv von der Bühne kommt, hat System.<br />

„Unsere Einflüsse liegen nicht nur in der Musik unsere Vorbilder, die es natürlich auch gibt, sondern<br />

im Alltag. Uns inspiriert der Lärm von Strassen, Maschinen und Fabriken, aber auch das Fernsehen


91<br />

mit seiner ständig wechselnden Geräuschkulisse“, erklären die drei während der Pause. Geprobt wurde<br />

daheim in Brooklyn, doch wenn auf der zwei Monate dauernden Tour durch Deutschland, Holland,<br />

England, Irland, Frankreich, Tschechei, Polen und<br />

Italien neue Ideen auftauchen, wird eben mangels<br />

Proberaum im Auto geübt. Das funktioniert auch ohne<br />

Instrumente, denn vieles kann auch mit Worten oder<br />

durch Singen verabredet werden. Spätestens beim<br />

nächsten Soundcheck, der nie unter einer Stunde dauert,<br />

können dann neue Ideen getestet und angespielt werden.<br />

Der Rest ist Improvisation, und zwar vom Feinsten,<br />

denn die Drei verstehen sich blind, sind persönlich eng<br />

verbunden und ergänzen sich nahezu perfekt. Sean<br />

Noonan am Schlagzeug bezeichnet sich selbst als<br />

„workaholic“, was sich vorteilhaft auf Organisation und<br />

Management, aber auch auf sein furioses<br />

Schlagzeugspiel auswirkt. Saxophonist Dan Magay<br />

wirkt wie der ruhende Pol im Getümmel und ist im<br />

Gespräch stets für philosophische Überraschungen gut,<br />

am Saxophon dagegen für variationsreiche Bögen und<br />

mehrstimmige Intervalle. Tim Dahl am E-Bass steht<br />

dem Publikum nicht umsonst am nächsten. Ihm bei<br />

seiner schweißtreibenden Schwerstarbeit zuzuschauen<br />

ist mindestens ebenso faszinierend wie lohnend. -rk-


92<br />

Florian Fernbacher-Trio im Jazz Club<br />

Datum: 04.04.03<br />

Meditationen zwischen Liturgie und Jahrmarkt für Orgel, Gitarre und Schlagzeug bot am<br />

Mittwoch das Florian Fernbacher-Trio im Jazz Club Hirsch. Die drei Berliner Musiker spielen in<br />

dieser Besetzung erst seit kurzer Zeit zusammen und mussten sich nach dem Ausscheiden des<br />

Ausnahmetrommlers John Schröder erst neu arrangieren. Apropos arrangieren: der überwiegende Teil<br />

des Abends bestand aus durchkomponierten Titeln, alle aus der Feder von Florian Fernbacher, der vor<br />

acht Jahren vom bayerischen Weissenburg nach Berlin übersiedelte und sich seitdem als Bestandteil<br />

einer typischen Berliner Szene empfindet. Sie zeichnet sich aus durch Innovationsfreude und Berliner<br />

Spielwitz, der auch an diesem Abend zur Geltung kam. Zeitgenössische Stücke wie „Die schnelle<br />

Nummer“, „Der andere Klempner“ oder „Rosenthaler“ wirkten manchmal, als bereite sich ein kleines<br />

Kirchemusikensemble auf der Empore heimlich auf einen Jahrmarkts-Gig vor, so liturgisch und<br />

zugleich fetzig, meditativ und zugleich poppig kamen die Sounds von der Bühne.<br />

Niko Meinhold an der digitalen<br />

Oberheim-Orgel erwies sich als<br />

Alround-Talent, als er<br />

buchstäblich „mit links“ für<br />

swingende und groovende<br />

Bassbegleitung sorgte, seine<br />

Lippen zum kecken Mitpfeifen<br />

schürzte oder einfach nur die<br />

eigenen Tastenläufe mit trällerte.<br />

In Christian Marien hat Gitarrist<br />

Florian Fernbacher einen<br />

ausgezeichneten Nachfolger für<br />

John Schröder gefunden. Vor<br />

allem sein zartes, manchmal fast<br />

unhörbares Beckenspiel<br />

erinnerte an Farnkräuter, die im<br />

sanften Wind rascheln.<br />

Bandleader Fernbacher selbst<br />

beherrscht alle Tricks und<br />

Gimmicks eines erfahrenen Gitarrenfreaks und verfügt außerdem über ein großes kompositorisches<br />

Potenzial. Mit den Jahren werden sicher auch noch ganz andere Nummern hinzukommen, die für noch<br />

mehr Abwechslung sorgen könnten. Eine Beobachtung am Rande bleibt unvergessen. Als mitten in<br />

einem raffinierten Dialog zwischen Orgel und Gitarre plötzlich die Orgelnoten zu Boden flatterten und<br />

Niko Meinhold aus dem Stehgreif weiterspielen musste, blieb dem Gitarristen gar nichts anderes<br />

übrig, als sich nach den Noten zu bücken. Er bereicherte dabei sein eigenes Arrangement um eine<br />

interessante Unterbrechung. -rk-


93<br />

Datum: 17.04.03<br />

Jazzige Werke – ausgereift und frisch serviert<br />

Entdeckung im Jazz Club Hirsch: Das Christian Krischkowsky Quintett<br />

Moosburg. Seitdem der Jazz Club Hirsch nicht nur für die Cracks der<br />

Münchner Musikszene, sondern sogar bis Berlin und New York zu einer<br />

festen Größe im Tourneekalender namhafter Musiker geworden ist, sitzt<br />

das heimische Publikum regelmäßig in der ersten Reihe und hat so über<br />

die Jahre eine fundierte Fachkenntnis erworben. Um so hellwacher spitzen<br />

die versammelten Connaisseure dann die Ohren, wenn – wie am<br />

Mittwoch im gut gefüllten Vereinslokal – wieder einmal eine Formation<br />

in Moosburg hereinschaut, die zurecht als Entdeckung gefeiert und bis<br />

kurz nach Mitternacht zu immer neuen Höchstleistungen animiert wurde:<br />

das Quintett des Ulmer Schlagzeugers, Komponisten und Arrangeurs<br />

Christian Krischkowsky, der mit Steffen Waltenberger (Tenorsaxofon),<br />

Andreas Mederl (Trompete und Flügelhorn), Mark Schmolling (Piano)<br />

und Chris Lachotta (Kontrabass) eine Tourneebesetzung gefunden hat,<br />

mit der er sein in Jahren gesammeltes und gereiftes Material auf einer<br />

14tägige Tournee durch Süddeutschland erstmals einem größeren<br />

Publikum zugänglich machen möchte.<br />

Sämtliche Stücke, die mit fetzigen Zutaten aus der Funk- und Fusion-<br />

Ecke, soliden Rock- und Popelementen und einer kräftigen Portion<br />

Hardbop-Jazz ein ungemein prickelndes und süffiges Gebräu ergeben, stammen aus der Destille des<br />

Bandleaders, der vom Drumset aus dezent Regie führt und seine Mitspieler unüberhörbar zu Höchstleistungen<br />

antreibt. Er selbst schlug zur Begrüßung den Bogen zurück in eine Zeit, als er vor der Gründung des Jazz Clubs<br />

schon einmal auf der Bühne des Hirschwirt stand. Seitdem seien unzählige Kompositionen im stillen<br />

Kämmerlein entstanden, die er nun zum ersten Mal in seiner Wunschbesetzung aufführen könne.<br />

Wie gut gelagert und abgehangen das musikalische Material herangereift ist, wurde an der enormen Spielfreude<br />

deutlich, mit der sich die fünf hochkarätigen Solisten über die anspruchsvoll und abwechslungsreich arrangierten<br />

Stücke hermachten und dabei zu einem Quintett verschmolzen, das sich ganz in den Dienst der Komposition<br />

stellte. Opus-Bezeichnungen wie „Stepping into Blue I und II“ oder „Greetings from Spitzbergen“ oder „TS<br />

Bremen“ deutete dabei an, dass Christian<br />

Krischkowsky beim Schreiben nach mehr<br />

sucht als nur nach Etiketten für flüchtige<br />

musikalische Stimmungen. Wenn er z.B. in<br />

„TS Bremen“ seinen Eltern, die noch vor<br />

seiner Geburt auf einem Schiff zwischen<br />

New York und Bremen gearbeitet haben, ein<br />

musikalisches Denkmal setzt, tut er das mit<br />

einem gestrichenen Basssolo, das plötzlich<br />

den nostalgisch-nasalen Charme eines Salons<br />

aus den Zwanzigerjahren erzeugt.<br />

Für seine Vorstellung, spannende<br />

Geschichten mit den Mitteln der Musik zu<br />

erzählen, findet er in Allroundkönnern wie<br />

Mark Schmolling einen kongenialen<br />

Pianisten, der stilistisch bei Eric Satie oder<br />

Bela Bartok ebenso zu Hause sind wie bei<br />

Horace Silver, Chick Corea oder Fats Waller.<br />

Mindestens ebenso wichtig für die absolute<br />

Stilsicherheit, mit der zwischen Latin-Grooves und Sechzehntel-Funk, ungeraden Taktzahlen und Balladen hin<br />

und her gewechselt wird, ist Chris Lachotta am Kontrabass, der vor Spielfreude und melodischer Inspiration nur<br />

so sprüht. Wie aus einem Guss steht das Bläser-Duo Andreas Mederl und Steffen Waltenberger an der Rampe,<br />

lässt die alte Blutsbrüderschaft zwischen Tenor und Trompete nostalgisch oder modern wieder auferstehen und<br />

bereichert die musikalische Weinkarte je nach Menüfolge um perlende oder vollmundige Soli.<br />

Der Meister selbst kommt am Schlagzeug als einziger ohne Noten aus, da er seine Werke voll im Kopf hat, was<br />

bei Hunderten von Breaks und Tempowechseln, rhythmischen Akzenten und dynamischen Einwürfen im Laufe<br />

eines Abends nicht zu unterschätzen ist. Die Vermutung, er richte seine Augen beim Spielen deshalb immer zur<br />

Decke, weil er dort in einer sehr viel größeren Partitur lese, wollte der Befragte nicht dementieren. Die von ihm<br />

erfundene und in vielen Proben einstudierte Mischung aus arrangierten und frei improvisierten Teilen wirkte in<br />

der Tat so logisch und leicht bekömmlich, dass beim Zuhören das Verlangen nach immer neuen Menügängen<br />

wuchs. Kurz nach Mitternacht meinte der gut gelaunte Bandleader, vor so einem tollen Publikum könne er noch<br />

stundenlang weiterspielen, so viel Stücke habe er dabei. Angesichts der Sperrstunde musste man sich auf eine<br />

andere Alternative einigen, nämlich: Fortsetzung folgt. -rk-


94<br />

Gelungenes Testkonzert im Hirschen vor dem Konservatoriumsabschluss: Michaela Navé und ihr Trio<br />

Datum: 02.05.03<br />

Deutliche Steigerung im zweiten Set<br />

Das Michaela Navé -Trio gab sein Debüt im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Klavier, Kontrabass und Schlagzeug - so lautete am Mittwoch die einfache Formel für<br />

einen Abend, der unauffällig begann und nach einer deutlichen Steigerung im zweiten Set mit<br />

anhaltendem Beifall für das Trio der jungen Münchner Musikstudentin Michaela Navé endete. Als<br />

ebenbürtige Begleiter hatten Willi Wipfler am Kontrabass und Andreas Kutschera am Schlagzeug<br />

entscheidenden Anteil am Gelingen des Abends und ließen die Bandleaderin stets „gut aussehen“, und<br />

das wohl schon im Hinblick auf die nächste gemeinsame Feuerprobe: das im August bevorstehende<br />

Abschlusskonzert der Absolventin des Münchner Konservatoriums.<br />

Um sich für dieses bedeutende Ereignis im musikalischen Leben einer angehenden Berufsmusikerin fit<br />

zu machen, nutzten Michaela Navé und ihre Begleiter die Chance für einen Auftritt vor Publikum,<br />

wobei ihr die berühmte Moosburger Hirsch-Mentalität, Gäste jeglicher Güteklasse zunächst einmal zu<br />

respektieren, insofern entgegen kam, als der Fluss des gemeinsamen Musizierens zunächst nur<br />

zögerlich in Fahrt kam. Mag es an der Auswahl der Stücke gelegen haben oder am insgesamt sehr<br />

verhaltenen Auftreten der drei bescheidenen Gäste, die Geräuschkulisse rund um die Bühne nahm<br />

anfangs stetig zu, so dass Gefahr bestand, das Gastspiel würde in Unbedeutsamkeit versanden.<br />

Doch kaum kehrten die Drei aus der Pause zurück, sprang bei Wayne Shorters Fusion-Stück „Anna<br />

Maria“ der Funke über und kam bis zur zweiten Zugabe nicht mehr zum Erlöschen. Dazu trugen vor<br />

allem auch eigene Kompositionen wie „Still searching You“ oder „Poor Creature“ bei, mit denen<br />

Michaela Navé eine vielversprechende kompositorische Visitenkarte in Moosburg hinterlegte. Auch in<br />

die schnörkellose, von einfachen, melodiösen Linien geprägte Art ihres Improvisierens konnte man<br />

sich von nun an immer besser hineinhören. wobei vor allem die präzise rhythmische Unterstützung<br />

durch die linke Hand Beachtung verdiente.<br />

Ohne Mätzchen und technisches Blendwerk füllten Willi Wipfler und Andreas Kutschera ihre<br />

Funktion als verlässliche Begleiter aus und nutzten erst zu vorgerückter Stunde die eine oder andere<br />

Chance zu einem solistischen Vorstoß. Eine weitere Eigenkomposition der Pianistin war nicht nur als<br />

Hommage an den jüngst verstorbenen Michel Petrucciani gedacht, es beinhaltete gleichzeitig eine<br />

Aufforderung an alle Zuhörer. Tatsächlich sorgte „Smile“ dafür, dass der Abend nicht nur mit<br />

anerkennenden Blicken auf eine attraktive und talentierte Künstlerin, sondern mit lang anhaltendem<br />

Applaus für ihr Trio, sowie mit zwei Zugaben endete. Spätestens beim abschließenden „Black Coffee“<br />

waren alle Hirschbesucher Michaela Navé-Fans. -rk-


95<br />

Originelle Abwechslung: DJ meets Trumpet<br />

Datum: 08.05.03<br />

Mit einem originellen Duo-Auftritt sorgten am Mittwoch der DJ Michi Kaspar und der Trompeter David<br />

Thalmeier aus Freising für eine swingende Überraschung im Jazz Club Hirsch. Von ausgesuchten Venyl-<br />

Kostproben jeglicher Güte und Stilrichtung, die mit akribischer Fingerfertigkeit ineinander "gescracht" wurden,<br />

ließ sich der in Amsterdam studierende Trompeter zu immer neuen melodischen Ideen inspirieren und nutzte den<br />

Auftritt ansonsten zum öffentlichen Üben. Freilich unter Mitwirkung zahlloser Musikerkollegen, die als ideale<br />

Begleiter brav und namenlos in der Schallplatten-Konserve blieben.<br />

Mit Blick auf die flaue Konjunktur kann nach diesem gelungenen Experiment aufgeatmet werden: finanziell<br />

schwächelnde Clubs können Durststrecken künftig mit einem Solisten und einem cleveren DJ überbrücken. Mit<br />

Blick auf Musiker, die nach öffentlichen Auftritten lechzen, erscheint jedoch Skepsis angesagt. Denn wenn das<br />

Schule macht, dass die einen fürs öffentliche Üben zu Play-Along-Musikkonserven belohnt und die anderen fürs<br />

fleißige Üben von Live-Musik bestraft werden, dann kann auch der Jazz Club Hirsch bald dicht machen.<br />

Trotzdem: gegrooved hat's und eine originelle Abwechslung war's auch! Mehr nicht. -rk-


96<br />

Karibische Versuchung für echte „Barflys“<br />

Datum: 15.05.03<br />

Gastspiel von „G. Rag Y Los Hermanos Patchekos“ im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Nicht nur das<br />

Vereinslokal war voll bis auf den<br />

letzten Platz, auch die Bühne des<br />

Jazz Club Hirsch vermochte die<br />

Musiker und Instrumente kaum zu<br />

fassen, die sich am Mittwoch zum<br />

Gastspiel von „G. Rag Y Los<br />

Hermanos Patchekos“ eingefunden<br />

hatten. Acht gestandene Musiker<br />

der sonst bis zu zwölf Personen<br />

großen Kult-Truppe waren nach<br />

Moosburg angereist um ein Jazz-<br />

Club-Publikum kennen zu lernen,<br />

das seine Sympathien für diese Art<br />

von Musik schon vor ein paar<br />

Wochen beim Auftritt des<br />

Spähtrupps „Dos Hermanos“ zum<br />

Ausdruck gebracht hatte.<br />

Und siehe da, da hockten sie nun zu<br />

acht auf und vor der Bühne, die<br />

„Hermanos“ mit „G. Rag“ alias<br />

Andi Staebler, dem singenden Chef<br />

der Truppe an der Gitarre, mit dem alles angefangen hat, „Mr. Zelig“ alias Mikel Jack am Schlagzeug, Bassmann<br />

„Joey Saufenfucker“ alias Wastl Bischoff, Gitarrist und Sänger Joerg Wizigmann, auch bekannt als „José The<br />

Black Rider“, sowie Trompeter Alois Schmelz, den seine Kollegen nur bewundern "Die Sau" nennen, Hias<br />

Eichberg alais „Hoss“ mit dem großen weißen Cowboyhut und der Trompete, sowie „El Doctore“ Sascha<br />

Schwegeler, dem Mann an den Congas, der immer öfter auch die Steeldrums bedient.<br />

Schon aus den genannten Instrumenten können phantasievolle Leser vielleicht auf den Sound schließen, der das<br />

Publikum vom ersten Ton bis zur Zugabe des leider nur etwa 90 Minuten langen, dafür aber um so lohnenderen<br />

Konzerts in seinen Bann zog. Seine musikalischen Quellen müssen irgendwo zwischen Trinidad und Cuba, New<br />

Orleans und Tijuana, Mississippi-Delta und Hudson-River liegen, also überall und immer gerade dort, wo heißer<br />

und trägflüssiger Blues aus dem Boden kommt und sich auf dem Weg zum Meer mit Whisky und Soda,<br />

Kokosmilch und Krokodilstränen zu einer karibischen Versuchung vermischt, die mit einem Schuss Bitter<br />

Lemmon jeden echten Steher irgendwann zur „Barfly“ macht.<br />

Es waren denn auch nicht nur Charles Bukowski und Tom Waits, Jack Kerouac und Bob Dylan, die mitten unter<br />

den Zuhörern stillvergnügt (und manchmal auch grottenfalsch) die guten alten Roadrunner-Songs mitsummten,<br />

es mischten sich sogar echte Bierdimpfi-Woiza und andere Schmoizla-Balladen aus Good Old Bavaria ins<br />

Programm, die allen echten Ureinwohnern direkt auf den Leib geschneidert schienen.<br />

Dass es sich bei so viel Identifikation unter Südstaatlern nicht nur entspannt zuhören ließ, sondern auch das<br />

Musizieren wie von selbst von der Hand ging, soll nicht darüber hinweg täuschen, dass die Hermanos Patchekos<br />

wirklich verdammt gute Musiker sind, „damned good musicians“ also, wie man am Ende der westlichen Welt<br />

zwischen einem Kautabakstrahl und einem Schluck Whisky hervorknurren würde. Die einfachen, aber<br />

wirkungsvollen Arrangements beziehen meist alle Percussionisten mit ein, die zusammen mit Kontrabass und<br />

zwei Gitarren einen dicht geknüpften Rhythmusteppich ausbreiten, auf dem sich Sänger oder Solisten pudelwohl<br />

bewegen können.<br />

Hauptsache, „s’grooved wie’d Sau“, scheint die Devise zu sein, der die Zuhörer mit jedem Beifall mehr recht<br />

geben, so dass gut 90 Minuten lang kein Grund besteht, irgendetwas anders zu machen. Mal sorgt ein Steeldrum-<br />

Solo für Abwechslung, mal eine kleine Tijuana-Brass- Einlage für zwei Trompeten, mal kommt ein Walzer<br />

dreistimmig daher, mal tanzt die Band im Second-Line-Rhythmus hinterm Jazz-Sarg her, mal grüßen über<br />

Bluegrass-Hügel die Rockys rüber, mal wiegt die Lady im Zydeco-Schritt die Hüften. – es ist wirklich viel drin<br />

im Überseekoffer der Hermanos, die an diesem Abend sogar auf ihren Akkordeonisten verzichten mussten, der<br />

sonst immer die melancholischen Mitbringsel auspackt.<br />

Sie haben mit Stücken wie „Rambling Man“ oder „El Capitano“, „Blechernes G'lachter“ oder „Metteur De Mes<br />

Reves“, der „Fischer Polka“ oder dem „Cuban Way“ bereits ihre dritte CD "Cadeau Bizarre“ eingespielt und<br />

sind nach dem Motto „Für Freunde selbst gemachter Unterhaltung“ ständig zwischen Berchtesgaden und Berlin,<br />

Basel und Hamburg in ganz Deutschland unterwegs. Es war ein denkwürdiger Moment, sie im Moosburger Jazz<br />

Club Hirsch erleben zu können. -rk-


97<br />

„Windstärke 4“ überzeugt durch seinen unverwechselbaren Bläsersatz „In der Ruhe“: Mathias Götz<br />

„Windstärke 4“ überzeugt trotz „Übeverbot“<br />

Septett aus München stellt seine erste CD im Jazz Club Hirschen vor<br />

Datum: 30.05.03<br />

Moosburg. Ganz so ernst kann der Titel „Übeverbot am Richard-Strauss-Konservatorium“ doch nicht<br />

gemeint gewesen sei, denn was die musikalischen Gäste von „Windstärke 4“, von denen jeder so seine<br />

Erfahrungen an dieser Lehranstalt gemacht zu haben scheint, an Können und Klasse mit nach<br />

Moosburg brachten, reichte gut und gerne aus für einen unvergesslichen Abend kurz vor dem<br />

demnächst beginnenden Sommerloch 2003. Das lag zu einem Teil sicher am technischen Standard der<br />

sieben Protagonisten, die jeder für sich auf einem sehr hohen Level musizieren und improvisieren.<br />

Hauptgrund für den einhellig positiven Gesamteindruck, den „Windstärke 4“ bei den Zuhörern<br />

hinterließ, war jedoch sicher das musikalische Material, das Komponist, Arrangeur und Bandleader<br />

Mathias Götz in seiner trockenen, humorvollen Art auch noch persönlich präsentierte und<br />

kommentierte.<br />

Der aus Baden Württemberg stammende, gelernte Metallblasinstrumentenmacher, der von 1997 bis<br />

2002 Jazzposaune bei Herrmann Breuer studiert hat, „bevorzugt das alltägliche Leben als<br />

Inspirationsquelle“, wie es im Band-Info heißt. Und tatsächlich: einmal faszinieren ihn „die<br />

Augenbrauen von älteren Herrschaften, die in Kombination mit einem weichen Lächeln einen edlen<br />

Gesichtsausdruck bewirken“, ein andermal ist von einem 17 Jahre alten Dackel die Rede, den eines<br />

Tage an einer Kreuzung der Tod durch Erschrecken ereilt hat. Ihm zu Ehren führen sieben gestandene<br />

Musiker das Werk „17“ auf und man beginnt, diesen Dackel zu lieben, ohne ihn je gekannt zu haben.<br />

Dieses Gefühl, das etwas mit Wärme zu tun hat, die aus dem Herzen kommt, ist eine besondere<br />

Qualität der Musik von „Windstärke 4“, die ihren Namen seit ihrer Entstehung im Dezember 2001 der<br />

Tatsache verdankt, dass neben Mathias Götz (Posaune) noch Axel Schlosser (Trompete), in Moosburg<br />

vertreten durch Reinhard Greiner, Kay Fischer (Sopransax) und Daniel Glatzel (Tenorsax/<br />

Bassklarinette) einen Bläsersatz bilden, der vom satten Blue-Note-Sound der Sechzigerjahre bis hin zu<br />

sanft hingehauchten Klangcollagen alles drauf hat. Unverwechselbare Besonderheit ist dabei die<br />

spröde und tiefe Grundierung des Bläsersatzes durch die Bassklarinette. Sie ergibt zusammen mit den<br />

übrigen Stimmen ein so üppiges Klanggemälde, dass keine Wünsche offen bleiben.<br />

Hinzu kommen mit Mark Schmolling am Klavier, Gabriel Hahn am Schlagzeug und Joe Abentung am<br />

Kontrabass drei Routiniers, denen man den Genuss, von einem vierstimmigen Bläserteppich förmlich<br />

eingehüllt zu werden, deutlich anhört. Grundtenor des Musizierens ist ein gegenseitiges Vertrauen, das<br />

sich sogar optisch überträgt, wenn Kay Fischer im Schneidersitz auf dem Bühnenboden auf seinen<br />

Einsatz wartet, wenn Mathias Götz mit geschlossenen Augen in sich hineinzuhören scheint oder wenn<br />

Daniel Glatzel zum Thema „In der Ruhe“ minutenlang auf seiner Bassklarinette herumschnarren darf,<br />

während alle anderen ihm regungslos zuhören.<br />

Da bekommt dann die Geschichte vom „Übeverbot“ für vergessliche Musikstudenten am ehrwürdigen<br />

Münchner Richard-Strauss-Konservatorium mehr als nur einen humorvollen Beigeschmack. Zum<br />

Glück geht die lähmende Lethargie, mit der das Thema eingeführt wird, über in einen mitreißenden<br />

Mambo-Rhythmus, so dass die Erleichterung, wieder üben zu dürfen, sprich: Musik zu machen,<br />

förmlich auf die Zuhörer überspringt. Und noch etwas überträgt sich auf das Publikum: eine besondere<br />

Form von Konzentration, irgendwann nur noch Töne zu spielen, die einem wichtig sind. Sie bewirkt<br />

einen Ernst, dem jede Traurigkeit fehlt. -rk-


98<br />

Eine heiße, afrikanische Sommernacht<br />

Datum: 30.07.03<br />

Cornelius C. Kreusch bringt den Jazz Club mit seiner Sun Music zum Kochen<br />

Moosburg. Als „Supergastspiel“ war es angekündigt worden und als Supergastspiel erfüllte es die<br />

Erwartungen der Besucher: das Konzert von Cornelius Claudio Kreusch, dem Pianisten und<br />

Komponisten, Produzenten und Bandleader aus New York, der mit seiner afrikanisch gewürzten<br />

„Sun Music“ den Jazz Club Hirsch gleich zweimal zum Kochen brachte.<br />

Nämlich um 20 Uhr und um 22.30 Uhr mit jeweils einem langen Set, wie sie auch in den Clubs von<br />

Manhattan üblich sind, dort allerdings vollklimatisiert und schalldicht gegen geräuschempfindliche<br />

Nachbarn abgeschottet und wohl daher auch um einiges teurer als in Moosburg, wo Clubmitglieder<br />

diesmal für zehn Euro und Nichtmitglieder für 15 Euro jeweils etwa 90 Minuten Musik serviert<br />

bekamen. Etwas mehr Schalldämpfung wäre übrigens auch in diesem Falle ratsam gewesen, doch<br />

zwang die rauch- und dampfgeschwängerte Luft im Lokal dazu, hin und wieder ein Fenster zu öffnen,<br />

sodass auch die draußen Sitzenden in den Genuss der Musik kamen.<br />

Außerdem nahmen die vier dunkelhäutigen Akteure unter Anleitung ihres weißen Maestro das Motto<br />

„Sun music“ so heißblütig beim Wort, dass nicht nur die Trommelfelle der Musiker und Zuhörer<br />

gehörig in Schwingung gerieten, sondern offensichtlich auch die Nerven eines Anliegers, der die<br />

Polizei kurz nach 23 Uhr zu einem kostenlosen Konzertbesuch aufforderte. Was die beiden<br />

freundlichen Beamten im gut gefüllten Hirschen vorfanden, war laut, aber nicht zu laut, so dass die<br />

afrikanisch-deutsche Tanz- und Trommelparty, nachdem die Lautstärkeregler ein wenig zurückgedreht<br />

waren, fröhlich weitergehen konnte.<br />

Typisch für Kreuschs „Sun Music“ ist, dass niemand stillsitzen kann, sobald Sängerin Fanta Diabaté<br />

aus Guinea, Zaf Zapha aus Französisch Guyana am E-Bass, Kaba Kouyaté aus Guinea an Ballafon,<br />

Percussion und Gesang, David Fall aus Senegal am Schlagzeug , sowie Cornelius Claudio Kreusch am<br />

guten alten Fender Rhodes zu musizieren beginnen. Das funktioniert so automatisch und natürlich,<br />

dass die Zuhörer bereits zu Grooven anfangen, sobald die ersten Basstöne eines Riffs anklingen, noch<br />

spielerisch flankiert von Perkussion oder Klavier, bevor die plötzlich ernst machen mit arrangierten<br />

Phrasen, die so lässig und präzise von der Bühne kommen wie tausendmal gespielt. Darüber erklingt<br />

meist das dunkel-kehlige Timbre von Fanta Diabaté oder Kaba Kouyaté im afrikanischen Dialekt,<br />

entweder als Sologesang oder mehrstimmig eingebettet, wobei Harmonik und Melodik an alles<br />

erinnern, nur nicht an europäische oder amerikanische Musikwurzeln.<br />

Allen Stücken ist gemeinsam, dass sie meist ohne großen harmonischen Aufwand von einem<br />

packenden und präzisen Rhythmus leben, der durch kleine Verzierungen unterbrochen und durch<br />

melodische Versatzstücke oder harmonische Soundteppiche angereichert wird. Tanzbar bis zur<br />

Bewusstlosigkeit kommt diese Mischung aus Afro-Beats und Pop, Latin und Funk beim weiblichen<br />

Publikum besonders gut an, aber auch die Herren der Schöpfung ließen sich gerne beim Schlenkern<br />

der Arme und Beine ertappen.<br />

Manche genossen das hochkarätige Sondergastspiel gleich im Doppelpack und blieben einfach sitzen,<br />

andere wieder machten Platz für den zweiten Besucherpulk, doch am Ende waren sich wohl alle einig:<br />

da die Sonne bekanntlich zu den Fixsternen gehört, wird Cornelius C. Kreuschs Sun Music auf jeden<br />

Fall als fixe Sternstunde in die Geschichte des Jazz Club Hirsch eingehen. -rk-


99<br />

Wenn der Bürger zum Meister wird<br />

Datum: 26.09.03<br />

Super-Saisonstart im Jazz Club Hirsch mit “Bürger and the Pretty Boys”<br />

Moosburg. Man hätte es ahnen können,<br />

denn mindestens drei Gründe sprachen<br />

dafür, dass es am Mittwoch zum<br />

Saisonauftakt im Hirschwirt eng werden<br />

würde: seit zwei Jahren waren „Bürger and<br />

the Pretty Boys“ nicht mehr aufgetreten.<br />

Statt dessen hat Bandleader und Hirsch-<br />

Programmdirektor Norbert Bürger mit<br />

seinem „Orchester Bürger Kreitmeier“ die<br />

Kleinkunstbühnen der Republik erobert<br />

und sich im Fernsehen einen Namen<br />

gemacht. Und drittens waren seit Beginn<br />

der Sommerpause fast zwei musiklose<br />

Monate vergangen, so dass der Appetit der<br />

Fans auf einen frischen Hirschburger mit<br />

hübschen Jungs schon Heißhunger war.<br />

Anders als beim letzten Full-House-Event,<br />

als C.C. Kreusch Ende Juli New Yorker<br />

Verhältnisse im Hirschen eingeführt und durch zwei Vorstellungen tatsächlich für genügend Armfreiheit gesorgt<br />

hatte, platzte der Hirschwirt diesmal wirklich aus allen Nähten, was der Stimmung jedoch keinerlei Abbruch tat.<br />

Im Gegenteil: das Bewusstsein, überhaupt ein Stehplätzchen bei diesem Gastspiel einer einmaligen Truppe aus<br />

Könnern, Komikern und Kakophonisten ergattert zu haben, und das in Moosburg, ließ alle Platzängste im Nu<br />

vergessen. Drei Test-Auftritte absolviert die Kultband in diesem Herbst, und zwar in München, Moosburg und<br />

Osterhofen, bevor im Januar eine längere Tournee folgen soll.<br />

Was nach nur einer Probe zur Auffrischung alter bzw. Einstudierung dreier neuer Titel, sowie nach einem<br />

vorausgegangenen Konzert aus Nummern wie „Neues aus Siebenbürgen“ oder „Tango Rabea“, „Schweine ohne<br />

Heimat“ oder „Schmerz“, „Bei Hermann zu Hause“ oder „I and my guitar“ geworden ist, war wie immer von<br />

höchstem humoristischen Unterhaltungswert und voll überschäumender Musikalität, die sich jeglicher<br />

Stilrichtungen zwischen Jazz und Pop, Tango und Mambo, Techno, Hip-Hop oder Polka nur spielerisch bedient.<br />

Durch seine vielen Auftritte mit Duo-Partnerin Conny Kreitmeier, die im übrigen auch an diesem Abend als<br />

Special-Guest die krönende Zugabe beisteuerte, hat Norbert Bürger außerdem eine Bühnenpräsenz als Dirigent<br />

und Komiker, Sänger und Gitarrist erreicht, die ebenso professionell wie lässig wirkt. Äußerlich cool bis in die<br />

Fingerspitzen, entlockt er nicht nur seiner Gitarre die heißesten Eruptionen, auch seine „hübschen Jungs“<br />

reagieren auf jeden fliegenden Tempowechsel und jeden Fingerzeig mit einer Präzision, wie man sie noch von<br />

Frank Zappa und seinen „Mothers of Invention“ in Erinnerung hat. Dabei ist das Pensum an virtuosen<br />

Arrangements, überraschenden Einfällen und witzigen Details, das er seinen Musikern abverlangt, immens und<br />

nur mittels genau festgelegter Notation zu bewältigen. Er selbst hingegen leitet das über zwei Stunden dauernde<br />

Gesamtkunstwerk „Pretty Boys“ komplett aus dem Kopf.<br />

In keinem seiner Werke verleugnet Norbert Bürger seine Affinität zum großen<br />

Musik-Guru und Pop-Artisten Frank Zappa aus Baltimore, der bereits in den<br />

Siebzigern und Achtzigern gehörig für Unordnung sorgte in den Schubladen<br />

der internationalen Musik- Video- und Popkultur, unter anderem auch mit<br />

seinem Werk „Does Humor belong in Music?“ (1985), dessen freie<br />

Übersetzung „Hat Humor etwas mit Musik zu tun?“ bereits der junge Norbert<br />

Bürger in seinem Elternhaus in Hohenkammer mit einem lauten „Yeah“<br />

beantwortet haben dürfte. Seitdem waren Rock und Jazz, Folk und Pop, aber<br />

auch Komposition und Improvisation für ihn lediglich Mittel zum Zweck, um<br />

seine eigene Form von Musik zu erfinden.<br />

Einigen der Musiker, denen er auf diesem Weg begegnet ist, hat er das<br />

Prädikat „hübsch“ verliehen und sie in sein Nonett „Pretty Boys“<br />

aufgenommen, ein Ensemble, das auf Plakaten mit den Worten<br />

„Panikorchester, sanft wie Softeis, exzentrisch, brachial“ nur skizzenhaft<br />

beschrieben ist. In Wahrheit gehören Norbert Bürger (Gitarre, Gesang,<br />

Komposition), Christian Ludwig Mayer (Akkordeon), Harry Saltzmann<br />

(Tenorsaxophon), Robert Alonso (Trompete), Gerhard Gschlößl (Sousaphon),<br />

Reiner Sell (Posaune), Robert Klinger (Kontrabass), Roland Bisswurm (Percussion, Lyrik) und Markus Kron-<br />

Hoffmann (Schlagzeug) zum Besten, was derzeit musikalischen Humor auf deutschen Bühnen verbreitet. Der<br />

Jazz Club Hirsch kann sich glücklich schätzen, diese Ausnahme-Band erlebt zu haben. -rk-


100<br />

Sympathische Performance von „Fingerprints“<br />

Datum: 09.10.03<br />

Soliden, handgemachten Jazz<br />

hinterließ am Mittwoch die<br />

Gruppe „Fingerprints“ um den<br />

Langenbacher Kontrabassisten<br />

Stefan Telser, bestehend aus<br />

Wolfgang Wahl (Tenorsax),<br />

Jörg Walser (Piano) und<br />

Dietmar Hess (Schlagzeug) im<br />

Jazz Club Hirsch. Ohne<br />

übertriebene Zurschaustellung<br />

solistischer Einzelleistungen<br />

überzeugte das Quartett vor<br />

allem durch seine kollektive<br />

Dynamik, die sich im Laufe des<br />

Abends, nachdem sich auch Tastenwusler Jörg Walser etwas abgekühlt hatte, immer besser entfalten konnte.<br />

Wiederholten Extra-Beifall verdiente sich Bassmann Telser durch seine Ansagen, in denen er in fließendem<br />

Schwäbisch sehr sympathisch um Verständnis für ein Programm warb, das zu 90 Prozent aus neuen Stücken<br />

bestand. Mit Sätzen wie „Des is scho heftig, wemma lauter neue Stücke spielt, aber irgend wie geht’s scho!“<br />

wurden dabei auch Stücke angekündigt, die in ihrer stressfreien Soul-Seligkeit dann absolut überzeugten, wie<br />

etwas die gefühlvolle Ballade „Very Blue“, in der alle vier Protagonisten ihre eigentlichen Stärken<br />

hervorkehrten. Anfängliche Aufgeregtheiten im Zusammenspiel wichen im Laufe des Abends immer mehr einer<br />

relaxten Musizierfreude, die sich wohltuend auf das zuweilen recht anspruchsvoll wirkende Programm aus<br />

Hardbop- Fusion- und Latin Stücken auswirkte. Das Publikum bedankte sich für eine sympathische Performance<br />

und ein interessantes Programm mit herzlichem Beifall. -rk-


101<br />

„Schwer ist out – sauschwer macht Spaß“<br />

Datum: 23.10.03<br />

Das Martin Auer Quintett geht im Jazz Club Hirsch virtuos auf Rekordjagd<br />

Moosburg. Die Jazzfans der Dreirosenstadt sind wahrlich einiges<br />

gewohnt an Können und Talent, seitdem in regelmäßigen<br />

Abständen die Elite der regionalen und überregionalen<br />

Musikszene im Jazz Club Hirsch vorbeischaut. Doch was die<br />

fünf Mitglieder des Martin Auer-Quintetts am Mittwoch auf die<br />

Bühne zauberten, klang mitunter, als wollten fünf amtierende<br />

Großmeister gerade einen Guinnessrekord in Sachen kollektiver<br />

Virtuosität aufstellen. Danach gilt: es gibt nichts, was nicht<br />

spielbar ist. Und wenn doch, spielt es das Martin Auer Quintett<br />

mit Sicherheit mit links.<br />

Der Grund: Der Wahlberliner Martin Auer, Trompeter und<br />

Bandleader, hat in seinem Quintett vier ambitionierte Top-<br />

Musiker aus dem gesamten Bundesgebiet um sich versammelt,<br />

die, jeder für sich und im Dienst des Ensembles, ein ungemein<br />

hohes technisches Können und ein breites musikalisches<br />

Spektrum mit einbringen. Kennen gelernt haben sich die heute<br />

22-28 jährigen Florian Trübsbach (Alt-, Sopransaxophon und<br />

Klarinette), Jan Eschke (Klavier), Andreas Kurz (Kontrabaß),<br />

Bastian Jütte (Schlagzeug) und Martin Auer (Trompete,<br />

Komposition, Arrangement) in ihrer gemeinsamen Studienzeit<br />

und durch das Bundesjazzorchester.<br />

Seitdem gilt das Quintett auf Tourneen durch Clubs und<br />

Festivals, in Rundfunk und Fernsehen, im Inland und europäischen Ausland als Spitzenattraktion. Kürzlich war<br />

das Quintett auf Einladung des Goethe Institutes sogar in Jordanien, Syrien und Libanon zu Gast. Die erste CD<br />

des Ensembles wurde im Rahmen des Festivals Jazz an der Donau 2002 vorgestellt. Ihr waren einige Titel<br />

entnommen, die im Hirschen abwechselnd für atemlose Stille und begeisterten Applaus sorgten, der bei etwas<br />

besserem Besuch sogar noch etwas frenetischer hätte ausfallen können.<br />

Was jenseits der hoch entwickelten Instrumentenbeherrschung jedes einzelnen Solisten am meisten überzeugt, ist<br />

die perfekte Homogenität der Musiker untereinander, mit der selbst schwierigste Arrangements mit scheinbarer<br />

Lässigkeit gemeistert werden. Hinzu kommt die Vielfalt eines Bläserklanges, der je nach Mischung zwischen<br />

Trompete und Flügelhorn, Altsax, Sopransax oder Klarinette poetische oder sakrale, nostalgische oder<br />

futuristische Tönungen annimmt. Gesteigert wird das Hörvergnügen noch durch den makellosen und warmen<br />

Ton, über den beide Bläser auf sämtlichen Instrumenten verfügen. Daneben verhilft die hohe Kunst des<br />

Arrangements dem Quintett zu Momenten voll überwältigender Spielfreude. Nach dem Motto „schwer ist out –<br />

sauschwer macht Spaß!“ reihen die Fünf ein Wunderwerk<br />

kollektiver Spitzentechnologie ans andere, garnieren das ganze mit perlenden und funkelnden Improvisationen<br />

und lachen sich zwischendurch an, als hätten sie noch nie soviel Spaß gehabt wie in Moosburg. Ihr Lohn: offene<br />

Münder im Publikum, wo man sich nach jedem Stück die Augen reibt, ob man vor lauter Ohrenschlackern<br />

gerade richtig gehört hat. Man hat! -rk-


102<br />

Alex Sanguinetti, Martin Scales und Patrick Scales (v.l.n.r.) im Jazz Club Hirsch<br />

Schmeichel-Jazz mit Verwöhn-Aroma<br />

Die Scales-Brüder spielten mit Alex Sanguinetti im Jazz Club Hirsch<br />

Datum: 06.11.03<br />

Moosburg. Jetzt wissen die beiden wohl berühmtesten deutschen Jazz-Brüder Martin und Patrick Scales<br />

endlich, wo der fast ebenso berühmte Jazz Club Hirsch liegt: in Moosburg, wo die beiden gebürtigen Allgäuer<br />

am Mittwoch zum ersten mal vorbeischauten. Mit von der Partie war der aus Argentinien stammende<br />

Schlagzeuger Alex Sanguinetti, der in Moosburg schon öfters seine filigrane Schlagfertigkeit unter Beweis<br />

gestellt hat.<br />

Trio-Jazz vom Feinsten stand schon deshalb auf dem Programm, weil hier drei Ausnahmekönner zusammen<br />

gefunden haben, die nur scheinbar aus verschiedenen Welten stammen. 1965 in Garmisch-Partenkirchen<br />

geboren, spielte Patrick, der ältere der beiden Scales-Brüder, bereits mit 14 Jahren den E-Bass in amerikanischen<br />

Clubs. Nach Abitur und Musikstudium in USA stieß er 1994 zu Klaus Doldingers Passport. Seit 2000<br />

unterrichtet er am Richard-Strauss Konservatorium in München und ist außerdem Dozent bei dem jährlich<br />

stattfindenden "International Jazzworkshop Erlangen". Patrick Scales war bereits in den Bands von Klaus<br />

Doldinger, Chuck Loeb, Wolfgang Haffner, Pee Wee Ellis, in der HR Big Band und vielen anderen namhaften<br />

Formationen zu hören.<br />

Sein um zwei Jahre jüngerer Bruder Martin Scales lebt als Gitarrist und<br />

Komponist seit 1989 in München und hat nach Studienaufenthalten in<br />

New York und Brasilien ebenfalls viele Tourneen, Aufnahmen,<br />

Radiomitschnitte und Fernsehaufzeichnungen in ganz Europa absolviert,<br />

unter anderem mit Berühmtheiten wie Till Brönner, Barbara Dennerlein<br />

und vielen anderen.<br />

Einer der Gründe, warum die Beiden so erfolgreich in die höchste Jazz-<br />

Liga vorgestoßen sind, wurde den Besucher im Hirschen unüberhörbar<br />

vor Ohren geführt: sie verstehen sich blind und spielen so gut zusammen,<br />

als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Kein Wunder, begannen doch<br />

schon die Kindheitstage mit gemeinsamem Gezupfe, gefolgt vom<br />

Auschecken erster eigener Kompositionen und dem Abkupfern von<br />

Stücken, das abends vor amerikanischen GI’s auf der Bühne endete.<br />

Was der Jazz in den vergangenen 40 Jahren an Stilrichtungen<br />

hervorgebracht hat, haben die beiden Brüder in sich aufgesogen und<br />

weiterverarbeitet, so dass sie heute einen musikalischen Bogen spannen<br />

können, der von Charly Parker über Wes Montgomery und Jaco<br />

Pastorius bis hin zu Gilberto Gil und Gal Costa, Richie Beirach und Pat<br />

Metheny reicht. Frappierend ist dabei die Stilsicherheit, mit der sie ihre fulminante Technik jeweils in den Dienst<br />

von Kompositionen stellen, die ihnen allesamt gleich lieb und teuer zu sein scheinen. Denn Kompositionen sind


103<br />

für die Scales-Brothers nur das, was man aus ihnen macht. Da wird ein brasilianischer Bossa ebenso zum<br />

swingenden Jazzstück, wie ein guter alter Ohrwurm wie „All the things you are“ zum Samba umfunktioniert<br />

wird, Hauptsache, die Post geht ab.<br />

Das tat sie an diesem Abend so überzeugend, dass die<br />

Aufmerksamkeit und Bewunderung im gut besuchten Jazz Club von<br />

Stück zu Stück zunahm. Hinzu kam der Reiz, verwandtschaftliche<br />

Studien anzustellen zwischen dem tänzerisch und extrovertiert<br />

agierenden Martin und seinem eher in sich ruhenden, konzentriert<br />

wirkenden älteren Bruder Patrick. Talentvorteile auf der einen oder<br />

anderen Seite auszumachen, schien unmöglich, denn beide sind sich<br />

in punkto Fingerfertigkeit und Musikalität absolut ebenbürtig.<br />

Hervorzuheben bleibt vielleicht Martin Scales schier unerschöpfliches<br />

Griff-Repertoire, mit dem er jedes Stück während seiner solistischen<br />

Eskapaden auf seiner wohlklingenden Ibanez bis in die hintersten<br />

harmonischen Winkel ausleuchtet. Dem stellt Patrick Scales seine<br />

nicht minder profunde Beherrschung rhythmischer Präzision und<br />

harmonischer Vielfalt gegenüber, die ihn in eine Reihe mit den ganz<br />

Großen des Jazz stellt. Erst recht seine melodiösen Fenderbass-Soli<br />

runden den Eindruck ab, dass hier zwei echte Meister angetreten sind,<br />

um Jazz in seiner schmeichelhaftesten Form zu zelebrieren und als<br />

Dreingabe mit einem Hauch Verwöhn-Aroma abzuschmecken.<br />

Befürchtungen, der für seinen knochentrockenen Metronomsound bekannte Schlagzeuger Alex Sanguinetti<br />

könnte den Charme dieser musikalischen Blutbrüderschaft zertrommeln, erwiesen sich schnell als unbegründet.<br />

Im Gegenteil: der Argentinier bot seinen beiden kongenialen Vorderleuten genau den zuverlässigen Halt, den sie<br />

für ihre artistischen Ausflüge brauchten und stellte sich im Verlauf des Abends als aufmerksamer und sensibler<br />

Begleiter heraus, der jedes Tempo und jede Stimmung mitgehen kann. In angenehmer Lautstärke spielten sich<br />

die Drei gegenseitig in Höchstform und hatten am Ende nicht nur fürs Publikum eine Zugabe übrig, sondern<br />

auch für die Moosburger Zeitung ein Kompliment: „Jetzt wissen wir endlich, warum Musiker den Jazz Club<br />

Hirsch so lieben“. -rk-


104<br />

Rosebud bot "etwas zwischen Jazz, Filmmusik und Cowboysong"<br />

Musik ist, was man dabei sieht<br />

Datum: 14.11.03<br />

Geoff Goodman entlockt seinem Banjo Sitarklänge<br />

Geoff Goodman und sein Trio „Rosebud“ im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Der Name ist Programm: wer erinnert sich nicht an das geheimnisvolle Wort „Rosebud“, das Orson<br />

Wells in seinem Kultfilm „Citizen Cain“ unsterblich gemacht hat. Es stand und steht bis heute in aller Welt für<br />

ein Geheimnis, das ein Sterbender, in diesem Fall der Tycoon Charles Foster Kane, mit ins Grab nimmt. Auch<br />

der amerikanische Gitarrist und Komponist Geoff Goodman hat seinem Trio diesen Namen gegeben und dabei<br />

gleichzeitig die Erklärung "Etwas zwischen Jazz, Filmmusik und Cowboysong" abgegeben. Er war am Mittwoch<br />

im Jazz Club Hirsch zu hören, diesmal zusammen mit Till Martin (Tenorsax) und Johannes Herrlich (Posaune)<br />

Den Beweis, dass sie swingen und grooven und improvisieren können wie die Weltmeister, haben alle drei schon<br />

bei verschiedenen Gelegenheiten und in unterschiedlichen Besetzungen erbracht im Hirschen, so dass<br />

diesbezüglich kein Nachholbedarf bestand, weder für die Musiker selbst, noch für die Zuhörer, die sich schnell<br />

anfreundeten mit dem kammermusikalischen und leisen Grundton des Abends, der diesmal ganz im Zeichen<br />

durcharrangierter Kompositionen stand.<br />

Dabei wurde deutlich, dass Geoff Goodman seinen Weg, die Musik als Transportmittel für etwas anderes zu<br />

benutzen, nämlich für Empfindungen und seelische Schwingungen, konsequent weiterverfolgt. Nicht das<br />

akustische Ergebnis selbst zählt als Produkt, vielmehr sollen Bilder und Assoziationen, die beim Musizieren<br />

entstehen, sich auf die Zuhörer übertragen, und zwar so, dass die Musik zum Soundtrack eines Filmes wird, den<br />

sich Musiker und Zuhörer gerade anschauen.<br />

Auf diese Weise kamen die Besucher im Hirschen in den Genuss mehrerer spannender Streifen, die sogar vom<br />

Titel her etwas Voyeuristisches haben. So bedeutet „Happy window seat“ nichts anderes, als das man von einem<br />

bequemen Fensterplatz aus den Nachbarn beim Ratschen zuschauen kann. Durch ihr angeregtes Frage- und<br />

Antwortspiel sorgten die beiden Bläser dafür, dass man sie sogar hören konnte. Perfektioniert wurde die<br />

musikalische Zwiesprache zwischen Posaune und Saxophon später noch bei Thelonius Monks „Of Minor“, oder<br />

auch bei der Kollektiv-Improvisation über „I’ve never been in love bevor“. Cineastische Abwechslung boten<br />

Songs wie Neil Heftis „Girl Talk“, bei dem man den Party-Smalltalk blasierter Ladies förmlich in die Ohren<br />

geträufelt bekam, oder Till Martins „Birthday Song“, der mit seinen schauerlichen Nebelklängen freilich nicht<br />

gerade an einen Freudentag erinnerte, oder die Ballade von der Frau, die ständig auf ihren Seemann wartet.<br />

Selten hat die Gleichförmigkeit des Wartens so beklemmend Gestalt angenommen wie in diesem Song, in dem<br />

die Zeit am Ende still zu stehen scheint.<br />

Höhepunkt des Programms war mit Sicherheit die Geoff Goodman Komposition „Deadline“, die später als<br />

„Deadline revisited“ noch einmal auftauchte und den musikalischen Bogen abschloss. Was Goodman dabei<br />

seinem oft belächelten Banjo entlockte, grenzte an beste indische Sitar-Meditationsmusik, kongenial umspielt<br />

von Tenorsaxophon und Posaune, die alle technischen Zwänge hinter sich zu lassen schienen. Dass die<br />

Stimmung im gut besuchten Lokal trotz ständig wechselnder Stimmungen eher gedämpft, aber dennoch voll<br />

intensiver Schwingungen verlief, mag an einer gewissen distanzierten Grundhaltung des Trios liegen, das in<br />

früheren Jahren sicher das Prädikat „Cool Jazz“ verliehen bekommen hätte.<br />

Und vielleicht noch nicht einmal das. Denn dass es Geoff Goodman nicht unbedingt um Jazz, sondern einfach<br />

nur um Musik als schönstes aller Kommunikationsmittel geht, wurde während der Zugabe offenbar: bei<br />

heruntergedämpftem Licht, weil alles andere nur gestört hätte, zelebrierten die drei ausgewachsenen Männer die<br />

Titelmelodie einer amerikanischen Cowboy-Kinderserie namens „Happy trails“, und zwar mit einer solchen<br />

Inbrunst, dass dem ausgestopften Hirsch über der Bühne doch tatsächlich eine Träne aus dem Auge rann. Grad<br />

schee war’s! -rk-


105<br />

Dem Duofieber erlegen: Harry Saltzmann (l) und Christoph Weiss<br />

Freiraum oder gähnende Leere?<br />

Datum: 11.12.03<br />

Jazzperados Harry Saltzmann und Christoph Weiss im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. „Daphne und Josefine, Saxophon und Kontrabass, Jazz und Romance, Laut und Leise“ – so lauteten<br />

die Attribute, mit denen sich am Mittwoch die beiden selbst ernannten „Jazzperados“ Harry "Josephine"<br />

Saltzman und Christoph "Daphne" Weiss aus München im Jazz Club Hirsch um das Interesse der Fans<br />

bewarben. Die Zugkraft dieser koketten Werbebotschaft hielt sich jedoch so in Grenzen, dass kaum ein Dutzend<br />

Zuhörer den zeitgleich im Fernsehen kickenden Bayern-Champions den Rücken kehrte, um sich vom<br />

Wahrheitsgewalt der restlichen Vorankündigung zu überzeugen.<br />

Dort hatte es nämlich u.a. geheißen: „Daphne und Josefine haben sich für besondere Anlässe zur minimal<br />

Bigband formiert. Durch die Reduktion entsteht Freiraum. Bewusst offene Strukturen lassen jeden Auftritt zu<br />

einem individuellen Abenteuer für Musiker und Zuhörer werden. Die Grenzen zwischen Melodie und<br />

Begleitung, sowie Thema und Solo verwischen. Charme, Spielwitz und musikalische Intensität kennzeichnen das<br />

Repertoire von Jazzballaden, Tango und Bossa Nova bis hin zu Erinnerungen an legendäre Filmmusiken der Ära<br />

von "Some like it hot" und erzeugen intime, aber auch fröhliche Atmosphäre“.<br />

Räumt man so viel tönernes Werbedeutsch erst einmal zur Seite und fragt sich, was man eigentlich gehört hat an<br />

diesem Abend, bleibt übrig: Harry Saltzmann ist ein grandioser, vor Vitalität, Emotion und Spielwitz strotzender<br />

Saxophonist mit einem eigenen, unverwechselbaren Sound, der ihn in eine Reihe mit Saxophon-Revoluzzern wie<br />

Archie Shepp, Pharao Sanders oder Albert Ayler stellt. Das hat man auch schon vorher gewusst. Kontrabassist<br />

Christoph Weiss, bekannt aus Gruppen wie „Fresh Music“ oder „Third floor“, ist ein solider Allrounder mit viel<br />

Einfühlungsvermögen, der jeder experimentierfreudigen Formation als Begleiter gut zu Gesicht steht, als Solist<br />

hingegen nicht zu den Galionsfiguren des atemberaubenden Bassspiels zählt. Auch das war längst bekannt.<br />

Warum nun ausgerechnet diese Beiden dem derzeit grassierenden Duofieber erlegen sind, um in einer<br />

„minimalen Bigband“ das „individuelle Abenteuer der Reduktion“ zu suchen und so „die Grenzen zwischen<br />

Melodie und Begleitung zu verwischen“, blieb unbeantwortet an diesem Abend. Auch der Mut, um nicht zu<br />

sagen, die Tollkühnheit, sich zu zweit auf der Bühne die Arbeit an Stücken wie „Kriminaltango“, „Over the<br />

Rainbow“ oder „My heart belongs to Daddy“ zu teilen, wurde leider nur von der schwächsten Zuschauerkulisse<br />

seit Hirsch-Gedenken gewürdigt. Das sollte zwei Könnern wie Harry Saltzmann und Christoph Weiss vielleicht<br />

doch zu Denken geben. Freiraum auf der Bühne und gähnende Leere im Saal sind auch ein ungleiches Paar. An<br />

den Bayern hat es sicher nicht gelegen. -rk-


106<br />

United Weihnachten im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Bei den einen muß Weihnachten immer gleich ablaufen, nach Ritualen, die von Kindheit an vertraut<br />

sind, andere wiederum wünschen sich nichts sehnlicher herbei als ein Ende jener ewig gleichen<br />

Weihnachtsfeiern, die in zwanghafter Besinnlichkeit und mühsam kaschiertem Konsumterror erstarren. Einen<br />

Weg aus deutsch tümelnder Weihnachtsseligkeit hin zu einer fröhlich verkitschten Blödel-Christmas bietet seit<br />

Jahren die Freisinger Kultband "United Weihnachten" um ihren Erfinder und Chef-Nikolaus Karl Muskini<br />

(Mitte), die auch heuer wieder im Jazz Club Hirsch Station machte und den Fans feuchte Augen bescherte. Zwar<br />

kamen Musikliebhaber wie immer weniger auf ihre Kosten bei dem Krass-daneben-Potpourri aus Schlagern,<br />

Weihnachtsliedern und einem<br />

ultraschräg vor sich hin<br />

dilletierenden Krippen-Hörspiel,<br />

doch dafür wurden alle, die sich<br />

in freudloser Zeit ein kindliches<br />

Gemüt bewahrt haben, mit<br />

herrlichem Blödsinn und<br />

irrwitzigen Ideen entschädigt.<br />

Höhepunkt des ultimativen<br />

Festes der Liebe war wohl die<br />

gehauchte Schmuseschnulze "Je<br />

t'aime" von <strong>Jane</strong> Birkin und<br />

Serge Gainsbourg, die in der<br />

Fassung sich betatschender und<br />

gegenseitig in der Nase<br />

bohrender Balzbrüder kein Auge<br />

trocken ließ. Phantasiekostüme aus Lametta und Watte, Silberfolie und Wurzelwerk taten ein übriges, um<br />

festlichen Schick zu erzeugen. Traditionell ohne Zugabe beendeten das Chaoten-Quintett gegen 23 Uhr seine<br />

Hirsch-Visite und vermerkte mit Erstaunen, daß sich das Lokal erst nach dem Schlußakkord so richtig füllte. Ob<br />

das nach acht Jahren "United Weihnachten" mit Ritualen oder mit Anti-Ritualen zu tun hatte - wer weiß das<br />

schon so genau. -rk-


107


108<br />

Datum: 15.01.04<br />

Das Bergmann-Quartett bei seinem vierten Bühnenauftritt im Jazz Club Hirsch Michael Nagel transportiert sein Trommel-Gestänge<br />

in einem Golf-Bag<br />

Zwischen Proberaum und Bühne<br />

Bergmann-Quartett sammelt Performance-Erfahrung im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Sie heißen Maximilian Braun (Saxophone, Klarinette), Bernhard Bürger (Gitarre), Philipp<br />

Kaufmann (Cello, E-Bass) und Michael Nagel (Schlagzeug) und nennen sich „Bergmann-Quartett“ nach<br />

einem Raum in der Münchner Bergmannstrasse, wo sie seit 2001 einmal pro Woche proben. Dass ihr<br />

Gastspiel am Mittwochabend im Jazz Club Hirsch erst ihr vierter gemeinsamer Bühnenauftritt überhaupt<br />

war, stellte sich zwar erst beim anschließenden Informationsgespräch heraus, doch war aufmerksamen<br />

Zuhörern schon vorher aufgefallen, dass zwischen Proberaum und Bühne mitunter Welten liegen können.<br />

Zumindest war deutlich geworden, dass einigen besonders anspruchsvollen Stücken weitere Probe-Treffs in der<br />

Bergmannstraße durchaus nicht schaden würden. Doch gilt diese kritische Einschränkung lediglich der Fertigkeit<br />

des Zusammenspiels. Speziell Bass und Schlagzeug bildeten viel zu selten jene zwingende Einheit, die das<br />

Publikum zum sorglosen Mitswingen animiert. Primär bedingt durch einen gewissen Hang des Bassisten zur<br />

Eile, die durch das verlockende Überangebot an Tönen auf seinem sechssaitigen E-Bass vielleicht sogar noch<br />

verstärkt wurde, geriet die Rhythmusgruppe des öfteren ins Purzeln und fasste erst unter dem besorgten<br />

Stirnrunzeln des erfahrenen Gitarristen wieder Tritt. Lob und Anerkennung verschaffe sich in diesem<br />

Zusammenhang Schlagzeuger Michael Nagel, der dem Drang, das Heft umso dominierender in die Hand zu<br />

nehmen, mit stoischer Gelassenheit wiederstand und seine polyrhythmische Spielweise auch dann beibehielt,<br />

wenn mal die eine oder andere Viertel- oder Achtelnote zu Boden fiel.<br />

Abgesehen von solchen etwas beängstigenden Momenten, in denen man um die Stabilität des Zusammenspiels<br />

fürchten musste, verdiente das ausschließlich aus Eigenkompositionen bestehende Programm gute bis sehr gute<br />

Noten. Auch kam die Vorliebe des Quartetts, lieber regelmäßig im Proberaum neue Stücke zu erarbeiten als<br />

allabendlich auf der Bühne zu brillieren, im Laufe des Abends immer besser zur Geltung. Der besondere Hang<br />

aller komponierenden Quartettmitglieder zu „krummen“ Sieben-Viertel-, Neun-Achtel- oder Elf-Achtel-Stücke<br />

sorgte dabei für zusätzliche Reize, die sich in großen Spannungsbögen auf- und wieder abbauten und dabei gute<br />

Schwingungen hinterließen.<br />

Hervorzuheben ist außerdem die hohe solistische Qualität des Saxophonisten Maximilian Braun, dessen<br />

geschmeidige Tongestaltung auf der Bassklarinette oder auf Tenor- Alt- oder Sopransaxophon seinem<br />

Phantasiereichtum in nichts nachsteht. In Kombination mit dem universellen und unaufdringlichen<br />

Harmonieverständnis des Gitarristen Bernhard Bürger, den pulsierenden Trommel-Grooves von Michael Nagel<br />

und einigen hörenswerten Cello-Einlagen von Philipp Kaufmann hinterließen Stücke wie „Always late“ oder<br />

„Ping“ oder „Time for Oscar“ oder „Sleepless Night“ einen nachhaltigen Eindruck, der auch auf der ersten CD<br />

des Bergmann-Quartetts seine Bestätigung findet. Langer Beifall und eine Zugabe, die einem Bekenntnis zum<br />

„simple Entertainment“ gleichkam, ebneten den Weg zu einem Wiedersehen. -rk-


109<br />

Datum: 30.01.04<br />

Das Tom Jahn Quintett fühlte sich auch in seiner Begleitfunktion hörbar wohl MC Miquee könnte mit seinem bubenhaften<br />

Charme jeden Superstar-Wettbewerb gewinnen<br />

Dem Reimenden ist alles Reim<br />

MC Miquee begeistert mit dem Tom Jahn Quintett im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Er kommt aus der Gegend von Passau und heißt Michael, wurde in der Schule „Mike“ gerufen,<br />

machte daraus irgendwann „Miquee“, verlieh sich mit 17 den Titel „MC“, was in HipHop-Kreisen so viel wie<br />

„Master of Ceremonies“ oder „Microphone Checker“ bedeutet, und bastelt seither an einer Karriere, die<br />

neben seiner Zivi-Tätigkeit am Bischöflichen Jugendamt Passau steil aufwärts verläuft. Soeben ist seine erste<br />

CD fertig geworden.<br />

Die Rede ist von MC Miquee, einem Deutsch-Rapper aus der niederbayerischen HipHop-Szene, der am<br />

vergangenen Mittwoch mit seinen swingenden und groovenden Reimen und seinem bubenhaften Charme den<br />

Jazz Club Hirsch im Sturm eroberte. Erleichtert wurde ihm sein Moosburger Debüt durch das Tom Jahn<br />

Quintett, eine ungemein hip und smooth und funky eingestellte Formation um den Münchener Keyboarder,<br />

Arrangeur und Komponisten Tom Jahn, der am Fender-Rhodes zusammen mit Gregor Bürger (Saxophone), Jan<br />

Zehrfeld (Gitarre), Flo Schmidt (Bass) und Andi Kaufmann (Schlagzeug) genau den richtigen Soundteppich<br />

ausrollte für den 19jährigen Blondschopf aus Niederbayern.<br />

Es muss so etwas wie Liebe auf den ersten Reim gewesen sein, was diese sechs sympathischen Soundfreaks<br />

zusammengebracht hat, die in Moosburg ihren vierten Gig mit bewundernswerter Professionalität und in<br />

ausgewogener Soundqualität absolvierten und an weiteren gemeinsamen Auftritten arbeiten. Und das, obwohl<br />

das Quintett merklich in den Hintergrund tritt, sobald Miquee die Bühne betritt, der schon vom Aussehen her<br />

mühelos jeden Superstar-Wettbewerb gewinnen könnte, wenn er nur wollte. Doch scheint das Quintett seine<br />

Funktion als sensible Begleitband förmlich zu genießen, während der Jungpoet mit schlenkernden<br />

Armbewegungen und ruhelos hin- und herpendelndem Oberkörper seine Wortschlangen ins Publikum pustet.<br />

MC Miquee ist eigentlich Mitglied von „Jazzafact“, einer seit 2000 bestehenden HipHop-Formation, die sich<br />

einen eigenen Stil angeeignet hat, indem sie die übliche Besetzung aus MCs und DJ durch Schlagzeug, Bass und<br />

Sampler erweitert. Im Vordergrund steht der MC, der den Zuschauern durchdachte Texte und Freestyles<br />

präsentiert. Dabei greift er bewusst positive Dinge heraus, die ihm gefallen, immer mit dem Ziel, dem Publikum<br />

eine gute Show zu bieten.<br />

Dieses Konzept brachte der bekennende Trivialdichter („Ich reime nur um der Reime willen, mit Dichtung hat<br />

das nichts zu tun“) auch in Moosburg mit atemberaubender Rhythmik und bewundernswerter Konzentration zum<br />

Ausdruck, wenn es z.B. hieß: „Mit unserm Sound haben wir noch nie Negatives entfacht. Wir wollen euch nicht<br />

zum Weinen bringen, wir wollen, dass ihr tanzt und lacht. An solchen Tagen spür ich nur positive Vibrationen,<br />

ich bin froh, dass positivity und funk in mir wohnen. Manche Leute sind nur darauf aus, anderen zu schaden. Ich<br />

will nur meine Ruhe, Sonne und am Baggerweiher baden, mit Freunden rumhängen um eine gute Zeit zu haben<br />

und nicht zu Hause sein und sein Gesicht im Kopfkissen vergraben“. Im Refrain heißt es dann: „Was ich auf<br />

jeden Fall zu schätzen weiß, sind positive Vibes. Es gibt keinen Grund sich aufzuregen wegen jedem kleinen<br />

Scheiß! Wir spielen dieses Stück solange, bis es jeder weiß: Öffne den Geist!“<br />

Dass solche Inhalte, die sehr wohl auch aus dem Tagebuch eines Teenagers stammen könnten, durch die<br />

gebetsmühlenhaft rhythmisierte Form ihrer Darbietung und die musikalische Verpackung nicht nur einen<br />

rätselhaften Zuwachs an Bedeutung erfahren, sondern durch die regelmäßige Wiederkehr von Reimen auch eine<br />

Art scheingeistige Aura erzeugen, weiß MC Miquee und stapelt bewusst etwas tiefer. „Es ist einfach nur ein<br />

Spiel, wer die besten Reime rausbringt. Dabei spielt die Kopf-Fitness eine Rolle, aber auch der Sprachfluss. Der<br />

Flow muss einfach stimmen!“, meint er und verrät zum Abschluss: „Wirkliche Dichter haben einen anderen<br />

Kontext und vielleicht sogar eine Botschaft. Wir MC’s müssen nur ehrlich sein und uns treu bleiben.“ Oder, wie<br />

der echte Rapper sagt: „Be real. Stay true!“. -rk-


110<br />

Ganz im Banne des „Tango Nuevo“<br />

Datum: 13.02.04<br />

Gelungene Hommage für Astor Piazzolla mit „Tango sur“ im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Voll war der Jazz Club wie beim Gastspiel einer Gigantentruppe, und doch handelte es sich „nur“<br />

um den ersten öffentlichen Auftritt eines Quintetts, das sich unter dem Namen „Tango sur“, also „Südlicher<br />

Tango“, der Pflege der typischen argentinischen Tanz- und Kultmusik „Tango“ verschrieben hat.<br />

Gleichzeitig entstanden während der knapp 90minütigen Hommage für dessen wohl berühmtesten<br />

Repräsentanten, Astor Piazzolla, Momente, in denen man eine Nadel hätte zu Boden fallen hören können, so<br />

gebannt lauschten die Zuhörer dem spannenden und mitreißenden Spiel auf der Bühne.<br />

Dass der laut Lexikon „aus<br />

Argentinien stammender Tanz im<br />

2/4- oder 4/8-Takt, in synkopiertem<br />

Rhythmus, mit Kreuz- und<br />

Knickschritten und abruptem<br />

Stillstand“ weit mehr ist als eine<br />

Modeerscheinung, die derzeit auf<br />

allen Tanzböden und Bühnen der<br />

Welt eine triumphale Renaissance<br />

erlebt, ist im weltweiten Maßstab<br />

vor allem dem argentinischen<br />

Komponisten und Bandoneon-<br />

Virtuosen Astor Piazzolla (1911-<br />

1992) zu verdanken. Sein „Tango<br />

Nuevo“ erhob die ursprünglich in<br />

den Kneipen und Salons<br />

Argentiniens beheimatete U-Musik<br />

in den „Adelsstand“ klassischer E-<br />

Musik, was in der<br />

Weltmusikgeschichte bis heute<br />

einer Revolution gleichkommt.<br />

Dass Piazzollas umfangreiches Werk dennoch viel zu selten aufgeführt wird, hängt eben mit dem Umstand<br />

zusammen, dass die Interpretation seiner Werke sowohl aus klassischer wie aus tanzmusikalischer Sicht höchste<br />

Ansprüche an die Musiker stellt. Schluss mit dem Durchzählen starrer Rhythmen, denn „Tango Nuevo“, das<br />

bedeutet „Tempo Rubato“, sprich: frei schwankende Rhythmen, das bedeutet „Kadenz ad libitum, sprich: freies<br />

Improvisieren über vorgegebene Akkordfolgen, das bedeutet dynamische Entfaltung nach allen Regeln der<br />

Leidenschaft, die im Tango stets oberstes Gebot ist: „appasionato“ heißt das Zauberwort, das zugleich auf die<br />

italienischen Wurzeln des Tango hinweist.<br />

Angesichts solcher Herausforderungen muss man um so tiefer den Hut ziehen vor dem “Gründer“ der Gruppe<br />

„Tango sur“, dem in Moosburg lebenden Gitarristen Andi Meyer, der in Margit Wörle (Akkordeon), Susanne<br />

Ulbrich (Geige), Balthasar Heckenbichler (Klavier) und Willi Wipfler (Kontrabass) vier engagierte Mitstreiter<br />

fand, die sich in monatelanger Probenarbeit ein gutes Dutzend von Piazzollas Stücken aneigneten, sprich, die<br />

schriftlich überlieferten Arrangements des großen Meisters Ton für Ton einstudierten. Das Ergebnis klingt so<br />

überzeugend, dass es nicht schwer fällt, „Tango sur“ eine vielversprechende Karriere vorauszusagen, zumal die<br />

Zeit reif zu sein scheint für diese Art von Musik: Romantik gepaart mit träumerischer Sehnsucht, Pathos und<br />

Passion, Verspieltheit und tänzerische Ausgelassenheit, rätselhafte Trauer und melancholischer Ernst, all das und<br />

noch vieles mehr verbindet sich im „Tango Nuevo“ zu einer Kunstform, die abseits jeder Halli-Galli-<br />

Stimmungsmusik auch bei jungen Leuten auf offene Ohren und Herzen trifft.<br />

Besonders hervorzuheben ist das ausgereifte Akkordeonspiel von „Frontfrau“ Margit Wörle, für die es keine<br />

technischen Hürden zu geben scheint, wenn sie in solistischen Passagen mit immer neuen Ornamenten<br />

überrascht und den ganzen sinnlichen Schmelz ihres Instrumentes zum Klingen bringt. Ihrer optischen<br />

Führungsrolle zum Trotz hält auch Gitarrist Andi Meyer im Hintergrund die musikalischen und rhythmischen<br />

Fäden straff zusammen und sorgt mit herrlichen Gitarren-Soli für südamerikanisches Flair. Solistisch perfekt und<br />

ensembledienlich zugleich füllt Balthasar Heckenbichler den Klavier-Part aus und lässt hin und wieder sogar<br />

seine Jazz-Herkunft erkennen, indem er bluesige Passagen einstreut.<br />

Die Zuverlässigkeit in Person verkörpert Willi Wipfler am Kontrabass, der mit seiner ausgefeilten Streich- und<br />

Zupftechnik inzwischen alle Voraussetzungen für einen Allround-Bassisten erfüllt. Susanne Ulbrich konnte auf<br />

der Geige vor allem im zweiten Teil überzeugen, nachdem sie ihre anfängliche Nervosität etwas abgelegt hatte.<br />

Noch mehr Tango-Strahl in ihrem Klang und eine einwandfreie Intonation könnten der ansonsten vorzüglichen<br />

Ensembleleistung die Krone aufsetzen. Der Beifall war entsprechend euphorisch und wurde mit drei Zugabe<br />

belohnt. -rk-


111<br />

Sanfte Songs für verträumte Seelen<br />

Datum: 19.02.04<br />

Das Duo Rickie Kinnen und Calle Dürr gastierte im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Es ist schon eine Weile her,<br />

dass jazzige Klänge den Jazz Club Hirsch<br />

erfüllt haben: nach Hip Hop vom Tom<br />

Jahn und „Tango Nuevo“ von Tango sur<br />

waren es am Mittwoch gefühlvolle Songs<br />

zwischen Pop und Country-Rock, die das<br />

Publikum in ihren Bann zogen. Zu Gast<br />

war das Singer-Songwriter-Duo Rickie<br />

Kinnen und Calle Dürr, zwei<br />

sympathische Entertainer aus München,<br />

die sich die professionelle Präsentation<br />

eigener Popsongs zum Ziel gesetzt haben<br />

und damit recht erfolgreich unterwegs<br />

sind.<br />

Nähert man sich dem Duo<br />

unvoreingenommen von der Medienseite<br />

her, fällt zunächst das professionelle<br />

Werbematerial auf, mit dem das filmreif<br />

wirkende Paar bereits im Vorfeld auf Plakaten, Postkarten und Prospekten optische Punkte sammelte. Frei nach<br />

dem Motto „was das Design verspricht, wird das Produkt schon halten“ fielen die Vorankündigungen<br />

dementsprechend euphorisch aus. Dass die Künstlerin Rickie Kinnen dann sogar noch im Liegen vom Plakat<br />

herunter schaute, und zwar so, als träume sie Tag und Nacht nur davon, endlich vor diesem und keinen anderen<br />

Publikum singen zu dürfen, verfehlte auch in Moosburg seine Wirkung nicht.<br />

Nach schwachem Beginn füllte sich der Hirschwirt zusehends, doch legten leider längst nicht alle Zuhörer jene<br />

Aufmerksamkeit an den Tag, die sich das Duo verständlicherweise für seine gefühlvollen Songs und verträumten<br />

Balladen erwartete. Schon am Vorabend hatte es in Schwabing, genauer gesagt, in der „Lach- und<br />

Schießgesellschaft“ offenbar ähnlich unterschiedliche Auffassungen über laut und leise gegeben, so dass das<br />

Moosburger Publikum nun sogar die Chance bekam, es „besser zu machen als die in Schwabing“, so die<br />

Künstlerin, die zwischen eigenen Songs und „Anleihen“ bei Sheryl Crow und den Beatles sehr persönlich aus<br />

dem Nähkästchen ihrer Träume, Erfahrungen und Erlebnisse plauderte.<br />

Der sympathische Pasinger Zungenschlag der Künstlerin erwies sich dabei zugleich als Indiz für ihre hoch<br />

entwickelte Musikalität, denn Ricarda „Rickie“ Kinnen stammt eigentlich aus der Nähe von Hamburg, lebt<br />

jedoch seit ihrem sechsten Lebensjahr in München und bezeichnet Bayerisch als ihre „erste Fremdsprache“.<br />

Zweite Fremdsprache muss demnach ein amerikanisches Englisch sein, das den Hirschen an diesem Abend mit<br />

jener alles- und nichtssagenden Trivialpoesie erfüllte, die so typisch ist für Popmusik. Leider reichten nämlich<br />

weder die Textinhalte der Songs noch ihre Verständlichkeit auch nur im Entferntesten an die humorvollen und<br />

intelligenten Überleitungen heran, mit denen Rickie Kinnen ihr Publikum ansonsten für sich einnahm.<br />

Da halfen auch kurze Einführungen in die jeweilige Thematik nichts: die Texte blieben austauschbares<br />

Artikulationsmaterial für eine schöne und ausdrucksvolle Stimme, mit der Rickie Kinnen ihre Zuhörer stets aufs<br />

neue faszinierte, um sie wenig später ins immer gleiche Traumland rosaroter Popmusik zu entführen. Einzige<br />

Ausnahme: als sich nach der Pause der befreundete Freisinger Perkussionist Roman Seehon mit Cachon, Djembe<br />

und Fußglöckchen zum Duo dazu gesellte, gewann die Musik zusehends an lebendiger Eigenständigkeit und lud<br />

im gleichen Maß, wie sich die Musiker gegenseitig zuhörten, auch das Publikum zum besseren Zuhören ein.<br />

Die Frage, ob sie sich Geschichten wie die vom „Gescheithaferl“ oder vom „Golden Sea“ oder vom „Way to<br />

your heart“ auch auf Deutsch oder Bayerisch vorstellen könnte, beantwortete Rickie Kinnen gegenüber der<br />

Moosburger Zeitung entschieden mit Nein. Zu artverwandt gehörten für sie Sprache und Musik ihrer Songs<br />

zusammen, meinten beide und verwiesen damit zugleich auf ihre musikalische Herkunft – die internationale<br />

Popmusik. Rickie Kinnen war und ist erfolgreich beteiligt an Projekten wie „String of Pearls“ oder „Abba 99“<br />

und verdient sich ihren Lebensunterhalt ansonsten durch Studiojobs, u.a. auch als Backgroundsängerin für Franz<br />

Benton, Dionne Warwick, Frank Duvall oder Gloria Gaynor. Calle Dürr war Gitarrist und Bassist in namhaften<br />

Rockgruppen und hat mit Stars wie Rainhard Fendrich, Hubert v. Goisern und Wolfgang Ambros zusammen<br />

gearbeitet.<br />

Und wo schon Namen eine Rolle spielen, dürfen auch die von Joni Mitchell und Sheryl Crow und Alanis<br />

Morisette, Tori Amos und Barbra Streisand nicht fehlen, denen Rickie Kinnen unüberhörbar nacheifert. Doch<br />

haben diese Künstlerinnen auch erkannt, dass Singen und Spielen das eine ist, Komponieren und Texten das<br />

andere. Rickie Kinnen bringt mit Sicherheit viel Talent, eine schöne Stimme, ein attraktives Äußeres und sehr<br />

viel Disziplin mit, um auf der Bühne als Künstlerin zu überzeugen. Ob sie darüber hinaus aber auch Songs<br />

schreiben kann, die ihrem Niveau als Sängerin entsprechen, muss die Zukunft zeigen. -rk-


112<br />

Bossa Nova vom Feinsten im „Hirschwirt“<br />

Datum: 25.03.04<br />

Das Quintett „Zona sul“ verlegte den Jazz Club Hirsch an die Copa Cabana<br />

Moosburg. Am Mittwoch stand ein Gastspiel der Superlative auf dem Programm des Jazz Club Hirsch und<br />

alle, alle kamen. „Zona sul“ hieß das Zauberwort, das Jazz- und Latinfans aus allen Teilen des Landkreises<br />

in die Dreirosenstadt lockte, um im stimmungsvollen Ambiente des gut gefüllten Hirschwirt einer<br />

hochkarätigen Hommage an den „Bossa Nova“ beizuwohnen. In den Fünfzigerjahren von Musikern wie<br />

João Gilberto und Antonio Carlos Jobim als „Neue Welle“ der brasilianischen Musik kreiert, gilt der Bossa<br />

Nova heute neben dem Samba als die populärste Musik Brasiliens.<br />

Das Quintett „Zona sul“,<br />

bestehend aus Sophie Wegener<br />

(Gesang), Tizian Jost (Klavier),<br />

Pedro Tagliani (Gitarre), Sava<br />

Medan (Kontrabass) und Hajo<br />

von Hadeln (Schlagzeug), hat sich<br />

einer Form des Bossa nova<br />

verschrieben, die sich wohltuend<br />

von der sanften Dauerberieselung<br />

unterscheidet, die in Hotels und<br />

Supermärkten die Gehörgänge bis<br />

zur Überhörbarkeit durchspült. In<br />

Erinnerung an Künstler wie Elis<br />

Regina oder Gilberto Gil, den<br />

heutigen Kulturminister<br />

Brasiliens, legt „Zona sul“ sehr<br />

behutsam und authentisch die<br />

Wurzeln des Jazz und Samba frei,<br />

aus denen der Bossa Nova bis<br />

heute seine ursprüngliche Kraft<br />

bezieht. Bis auf Pedro Tagliani, der den Bossa in seiner Heimat mit der Muttermilch eingesogen hat, haben die<br />

übrigen Bandmitglieder diese Musik eher als eine Art Exportschlager kennen gelernt, den Jazzmusiker wie Stan<br />

Getz, Astrud Gilberto, Ellis Regina, Gilberto Gil, Hermeto Pascoal, Antonio Carlos Jobim, Laurindo Almeida<br />

oder Al Jarreau nun schon seit vielen Jahrzehnten um die Welt tragen.<br />

Der typisch sinnlich-wiegende Rhythmus von Ohrwürmern wie „Girl of Ipanema“ oder „Desafinado“ gehört<br />

daher heute ebenso zum Elementarkönnen von Jazzmusikern wie Swing oder Samba, Bebop oder Funk,<br />

Stilarten, die jedoch an diesem Abend ausgesperrt blieben, denn die Botschaft von „Zona sul“ heißt „Bossa Nova<br />

pur“, egal, ob im 4/4 - oder im ¾-Takt, ob in englischer, portugiesischer oder französischer Sprache. Womit auch<br />

schon die hoch entwickelte Musikalität von Sophie Wegener erwähnt ist, die sowohl durch ihre authentische<br />

Aussprache als auch durch ihre saubere Intonation und die natürliche Schönheit ihrer Stimme das ganze<br />

Gefühlsspektrum zwischen Melancholie und Freude, Vitalität und Lethargie zum Klingen bringen kann. Im<br />

reizvollen Kontrast zu ihrer tänzerisch aufgelockerten Performance und der roten Orchidee im dunkel gewellten<br />

Haar steht die introvertierte Musizierfreude, mit der sich ihre vier männlichen Kollegen der Kunst des Begleitens<br />

hingeben.<br />

Jeder ein Meister seines Fachs, verwandeln sie die Bühne in eine Hochebene des relaxten Miteinanders, auf der<br />

pure Professionalität herrscht. Nicht umsonst sind einige Stücke von „Zoan sul“ bereits in die Airplays der USA<br />

vorgedrungen und auch das Fachorgan „Downbeat“ hat schon Notiz von der Münchner Formation genommen.<br />

Ausgewogen im Sound und nie zu laut, schwingen sich die vier Instrumentalisten abwechseln in solistische<br />

Höhen, die im Publikum höchste Bewunderung auslösen. Highlights wie das Pianosolo von Tizian Jost in<br />

„Madalena“ oder die Berimbau-Imitation von Sava Medan auf dem Kontrabass oder das fulminante Besen-Solovon<br />

Hajo von Hadeln oder Pedro Taglianis Djavan-Adaption von „Sina“ verdienen besondere Erwähnung.<br />

Wie professionell „Zona sul“ das Konzept eines zeitgemäßen „Bossa Nova“- Entertainment betreibt, wurde bei<br />

einigen chart-verdächtigen Smooth-Jazz-Nummern besonders deutlich, als die vier Topjazzer nicht etwa zeigten,<br />

was sie sonst noch alles mit drei Harmonien anstellen können, sondern diszipliniert auf Schmusekurs blieben.<br />

Dass sie zugleich auch die Grenze zum „Ohrschmalz“- Bossa-Nova kennt und fürchtet, bewies Sophie Wegener<br />

mit einer eindringlichen A cappella Version des Hits „Girl from Ipanema“ zum sparsamen Gezirpe von Hajo von<br />

Hadeln. Auch mit der Wahl ihres Schuhwerkes lag die charmante Frontlady am Ende richtig: Farbige<br />

Strandsandaletten im Copa Cabana-Look entsprachen nach vielen heißen Rhythmen und einer Zugabe ganz der<br />

tropisch aufgeheizten Stimmung im winterlich verschneiten Jazz Club Hirsch. -rk-


113<br />

Gepflegte Kommunikation im Dreieck<br />

Datum: 30.04.04<br />

Das Baltazar Trio gab ein sympathisches Bühnendebüt im Jazz Club Hirsch<br />

Das Baltazar Trio pflegt „Schönes Zusammenspiel durch aufeinander hören und miteinander kommunizieren“<br />

Moosburg. Gar zu hoch gespannt waren die Erwartungen nicht, mit denen der Münchner Pianist und Komponist<br />

Balthasar Hechenbichler und seine aus Freising bekannten Begleiter Philipp Wipfler am Kontrabass und Ani<br />

Gleixner am Schlagzeug am Mittwoch im Jazz Club Hirsch empfangen wurden. Zu „klassisch“ und über<br />

Generationen durch Piano-Giganten wie Oscar Peterson, Bill Evans, Keith Jarrett oder Brad Mehldau geprägt ist<br />

das musikalische Genre Klavier-Trio, dem sich die drei im übrigen erst seit November 2003 unter dem Namen<br />

„Baltazar Trio“ verschrieben haben, als das irgend jemand Sensationen von diesem Abend erwartet hätte, der<br />

zudem erst den zweiten öffentlichen Bühnenauftritt für das Trio darstellte.<br />

Bot der anfangs noch überwiegend von Freunden und Bekannten besetzte Jazz Club gegen 21.30 Uhr noch<br />

reichlich Platz für weitere Besucher, füllte sich der Gastraum im Verlauf des Abends zusehends mit<br />

interessierten Stammkunden, die offensichtlich Gefallen fanden an dem unprätentiösen und fast beiläufigen<br />

Musizierstil, mit dem sich das Baltazar-Trio von Beginn an Sympathien erwarb. Nicht atemlose Stille, um auch<br />

ja keinen Ton zu versäumen, prägte die Atmosphäre, sondern eine relaxte Aufnahmebereitschaft, die von<br />

manchen auch zum Plaudern benutzt wurde, ohne damit gleich einen Jazz-Frevel zu begehen.<br />

Bei genauerem Zuhören ließen Kompositionen aufhorchen, die überwiegend von Balthasar Hechenbichler<br />

stammen, der, wie er in seinen Ansagen verriet, an spanischen Stränden anscheinend am fruchtbarsten von der<br />

Muse geküsst wird. Meistens ohne Notenblatt vor der Nase verlässt sich der Klavierspieler Hechenbichler blind<br />

auf die kompositorischen Entwürfe des Komponisten Hechenbichler und überzeugt dabei durch swingendes<br />

Timing, sicheres Stilempfinden und effektvoll eingestreute Fingerfertigkeit. Virtuosität zum bloßen Showdown<br />

ist seine Sache nicht, dazu liegt ihm die Harmonie untereinander zu sehr am Herzen, die laut Band-Info ohnehin<br />

zum Credo des Trio gehört: „Schönes Zusammenspiel durch aufeinander hören und miteinander<br />

kommunizieren“ heißt die Botschaft, die in „leisen, nachdenklichen Stücken, aber auch in schnellen, perkussiven<br />

Rhythmen immer eindringlich und intensiv“ über die Rampe kommen soll.<br />

Sie tut es, und zwar mit Unterstützung der beiden Freisinger Lokalmatadore Philipp Wipfler und Andi Gleixner,<br />

die von der verhältnismäßig kurzen Zusammenarbeit mit Hechenbichler schon jetzt hörbar profitiert haben. Vor<br />

allem Andi Gleixner am Schlagzeug entwickelt sich zu einem präzisen und vielseitigen Partner, der kreativ ins<br />

Geschehen eingreift und Farbe bekennt, ohne sich in den Vordergrund zu trommeln. Ob als Begleiter oder Solist,<br />

Andi Gleixner hat die Rolle eines lediglich mitspielenden Kollegen eingetauscht gegen die eines aktiven<br />

Mitgestalters, der Verantwortung übernimmt für das Gesamtergebnis. Sein Spiel wurde denn auch wiederholt<br />

mit Sonderbeifall quittiert.<br />

Auch Philipp Wipfler am Kontrabass erfüllt seine Funktion als „Harmonizer“ und rhythmischer Herzschlaggeber<br />

mit gefühlvoller Sorgfalt und überrascht dabei mit originellen solistischen Einfällen, wie beispielsweise in „I<br />

believe“, wo er über ein spanisch angehauchtes Ostinato über A im 6/8-Grove zu seltsam anmutenden<br />

Tonmalereien gelangt. Mit einer noch ausgefeilteren Intonation und etwas mehr Mut zu fingerfertigen Ausflügen<br />

über das gesamte Griffbrett könnte Philipp „Willi“ Wipfler seinen Beitrag zum musikalischen Dreikönigstreffen<br />

des Baltazar Trios noch erweitern.<br />

Mit Titeln wie „I Believe“, „Du bist so schön“ oder „You and me“, aber auch mit musikalischen Huldigungen<br />

für Harry Saltzmann („Blues für Harry“) oder Norbert Bürger („Bürger am Strand“) verbreitete das Baltazar<br />

Trio, das nach der Pause zwei mal durch Jazz-Club-Programmdirektor Karl Musikini an der Posaune verstärkt<br />

wurde, eine angenehme, relaxte Club-Atmosphäre. Ohne in Ehrfurcht vor Spitzenleistungen zu erstarren, brachte<br />

das Publikum seine Sympathie durch herzlichen Beifall zum Ausdruck und erklatschte sich drei Zugaben. -rk-


114<br />

Improvisierte, selbst geschriebene Musik<br />

Datum: 06.05.04<br />

Das Quartett „Etna“ überzeugt im Hirschwirt durch Genauigkeit und Gefühl<br />

Moosburg. Es haben schon viele junge Musiker im<br />

Jazz Club Hirsch vorbeigeschaut, doch seit<br />

Mittwoch dieser Woche hat Jungsein auf der<br />

Hirsch-Bühne einen neuen Namen: „Etna“ heißt<br />

die Gruppe, die aus drei Musikstudenten besteht,<br />

nämlich Andrea Hermenau (Klavier, Gesang),<br />

Yvo Fischer (E-Bass, Kontrabass) und Manuel da<br />

Coll (Schlagzeug). Verglichen mit ihnen ist Vlado<br />

Grizelj (Gitarre) schon ein „alter Hase“: er<br />

unterrichtet bereits an einer Musikschule in<br />

Türkenfeld, nachdem er vor kurzem gerade sein<br />

Musikstudium in München abgeschlossen hat.<br />

Dort lief er regelmäßig Andrea Hermanau über<br />

den Weg, die bei Tizian Joost Klavier studiert,<br />

oder Yvo Fischer, dem hochtalentierten Freisinger<br />

Nachwuchsbassisten, der auf Kontrabass und E-<br />

Bass gleichermaßen rasante Fortschritte macht.<br />

Demnächst kommt Manuel da Coll wieder hinzu, den es für sein letztes Studienjahr wieder von Linz zurück<br />

nach München zieht. Sie alle gehören einer neuen Generation von Musikern an, die – um es vereinfacht<br />

auszudrücken – dort weitermachen, wo ihre Vorbilder irgendwann aufhören werden. Und sie tun es mit einer<br />

Unbefangenheit gegenüber Stilfragen und Schubladendenken, die betroffen macht.<br />

Kennen gelernt haben sich die Vier von „Etna“ im Sommer 2002 während des gemeinsamen Jazzstudiums.<br />

Durch ihre unterschiedlichen musikalischen Wurzeln, sprich: Einflüsse aus Bosnien, Deutschland, Ruanda und<br />

Holland, entstand von Anfang an ein sehr individueller Bandsound, an dessen Weiterentwicklung die Vier bis<br />

heute weiterbasteln. Vorrangiges Ziel ist dabei die Umsetzung eigener Erfahrung in facettenreiche<br />

Kompositionen, die mal jazzig angehaucht daher kommen, mal klassisch-melodiös, dabei aber immer enorm<br />

rhythmisch inspiriert und für Improvisationen wie geschaffen. Groovige Arrangements wechseln sich ab mit<br />

improvisierten Teilen und jeder Menge ungerader Takte, die mit einer Präzision gespielt werden, als wären 54/-<br />

Takte und 7/8-Grooves das Selbstverständlichste auf der Welt.<br />

Gespiel werden ausschließlich eigene Kompositionen von Vlado Grizelj oder Andrea Hermenau, die sich<br />

abwechselnd zu einer sehr eigenen musikalischen Sprache des Quartetts ergänzen, die zum Zuhören einlädt.<br />

Solistisch brilliert vor allem Vlado Grizelj, der auf seiner alt-ehrwürdigen Gibson alle Geschmacksregister<br />

zwischen schaurig, schnell und schön zieht. Dass er auch zu Herzen gehende Balladen spielen kann, bewies er<br />

mit seinem „For Mirna“, dessen tiefe Wehmut ergriffenes Staunen im Raum hinterlies. Befragt, wie er seinen<br />

Stil beschreiben würde, beließ er es bei einem bescheidenen „improvisierte, selbst geschriebene Musik“.<br />

Pianistin Andrea Hermenau verfügt nicht nur über eine ausgeprägte Unabhängigkeit zwischen linker und rechter<br />

Hand, sondern auch über einen harmonischen und melodiösen Einfallsreichtum, der keine Langeweile<br />

aufkommen lässt. Im spielerischen Wechsel zwischen Halftime- und Doubletime- Grooves zaubert sie mitunter<br />

Spannungsbögen von atemberaubender Länge auf die Tasten ihres elektronischen Roland RD-700, über deren<br />

Nachhall sie sich anschließend selbst zu freuen scheint. Großen Anklang fanden<br />

auch ihre mit mädchenhaft-reiner Stimme vorgetragenen, eigenen Songs in<br />

englischer Sprache. Ohne Stimmkosmetik oder Halleffekte scheint bei Andrea<br />

Hermenau jeder Ton direkt aus dem Gefühl zu kommen.<br />

Solistisch kaum in Erscheinung tritt Yvo Fischer, der dafür abwechselnd auf<br />

dem E-Bass oder Kontrabass sein ganzes rhythmisches und harmonisches Talent<br />

einbringt. Nie vordergründig oder aufdringlich im Ton, versteht er sich als<br />

Impulsgeber im Hintergrund, der durch seine unauffällige Verlässlichkeit<br />

Präsenz gewinnt. Dabei sind die Töne, die er spielt, bezüglich Intonation und<br />

Timing während des gesamten Programm, das er im übrigen auswendig spielt,<br />

über jeden Zweifel erhaben. Ähnliches gilt für Drummer Manuel da Coll, der<br />

bereits ein Jahr vor Abschluss seines Studiums über ein Schlag-Repertoire<br />

verfügt, das zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Was er darüber hinaus an<br />

rhythmischen Raffinessen und solistischen Glanzlichtern setze, während ihm die<br />

Band im wiegenden 7/8-Groove den Teppich ausrollte, hatte den Sonderbeifall<br />

des Publikums mehr als verdient.<br />

Der Umgang untereinander ist durch konzentrierte Aufmerksamkeit geprägt, die hin und wieder in einem<br />

Lächeln Entspannung findet, dessen Deutung nur die Musiker selbst zu kennen scheinen. Der homogene und<br />

intensive musikalische Ausdruck des Quartetts wurde andernorts schon durch das hervorragende Abschneiden<br />

beim Wettbewerb „Jugend Jazzt 2002“ belohnt. Außerdem gewann „Etna“ den zweiten Platzt bei dem<br />

internationalen Jazznachwuchswettbewerb „The New Generation“ in Straubing. In Moosburg gewann „Etna“ die<br />

Herzen und Hände des Publikums: Zwei Zugaben waren das Mindeste. -rk-


115<br />

Reduzierte Dramaturgie hoch Drei<br />

Datum: 14.05.04<br />

Das Thorsten Soos Trio auf dem Strich zwischen Minimalismus und Bombast<br />

Moosburg. Dass es hin und wieder<br />

Abweichungen gibt zwischen der<br />

Vorankündigung und der Nachbetrachtung<br />

eines Konzertes, ist nicht neu in der<br />

Geschichte des Jazz Club Hirsch. Es<br />

spiegelt außerdem die ganze Spannbreite<br />

wieder, die zwischen Anspruch und<br />

Wirklichkeit, Werbeaufwand und<br />

Bühnenpräsenz bestehen kann. Doch<br />

häufen sich in letzter Zeit Auftritte, deren<br />

Marketing-Bugwelle so gewaltig<br />

daherkommt, das entsprechend hohe<br />

Erwartungen gar nicht ausbleiben. Wenn<br />

dann hinter der Bugwelle eines<br />

Vergnügungsdampfers aber nur ein<br />

Fischkutter dahertuckert, glätten sich die<br />

Wogen der Begeisterung meist schnell<br />

wieder.<br />

Aber es tauchen auch Fragen nach dem Geheimnis des Wellengangs auf. So zuletzt beim Gastspiel des Thorsten<br />

Soos Trios, das relativ kurzfristig ins Hirsch-Programm aufgenommen wurde, nachdem Bassist Thorsten Soos<br />

sich vor wenigen Wochen mit der Gruppe „Tales“ in Moosburg vorgestellt hatte und am vergangenen Mittwoch<br />

mit seinem eigenen Trio gewissermaßen einen ganzen Abend als Zugabe gestalten konnte. An dem Donnerruf,<br />

der ihm als Bass-Talent vorauseilt, gibt es auch nach diesem Abend nichts auszusetzen, doch gibt es sicher noch<br />

viele Spielarten und Farben improvisierter Musik, in denen er sein Können unter Beweis stellen könnte, die an<br />

diesem Abend aber leider nicht zu hören waren. Denn bei aller technischen Raffinesse und Sound-Völlerei, die<br />

das Thorsten Soos Trio in Moosburg zu entfalten wusste, allen voran Piano-Virtuose Martin Kälberer am Roland<br />

S88 Fantom, ein entscheidendes Manko hatte dieses Konzert auch: ein Stück schummerte so blank gewienert<br />

von der Bühne wie das andere, eine Komposition glich der anderen wie eine Achtelnote der nächsten.<br />

Wer freilich schon Wohlgefühle beim Andeuten ewig-rockiger Sechzehntel-Grooves auf dem Schlagzeug<br />

entwickelt, kam bei Tommy Eberhardts gestochen scharfer Studiokunst voll auf seine Kosten. Wer darüber<br />

hinaus auch noch heraushörte, welche Soundnuancen Thorsten Soos dazu bewogen, seine Fingerfertigkeit<br />

abwechselnd auf zwei E-Bässen und einem Right-Up-E-Bass unter Beweis zu stellen, darf sich gesteigerter<br />

Hellhörigkeit rühmen. Eindeutiger Nutznießer dieses soundverliebten Konzepts ist Martin Kälberer, der keine<br />

Chance ungenutzt lässt, sich den Virtuosenpreis zu schnappen, der auf den Gewinner des Abends wartet.<br />

Andere Solisten, die man während der minutenlangen Sound-Elegien, die mitunter an Play-Along-Einspielungen<br />

zum Mitdudeln erinnern, zu hören glaubt und die man im Verlauf des Abends immer schmerzlicher vermisst,<br />

kommen nur mittels gesteigerter Vorstellungskraft vor. Schade eigentlich, denn als Rhythmsection für ein paar<br />

rotzige Bläser wäre das Thorsten Soos Trio tatsächlich der geeignete Treibsatz, um in Neuland vorzustoßen. So<br />

aber verdient sich das Trio den Ruf einer präzisen Studio-Sektion, die mit großer Bugwelle auf einem glatten<br />

Strich zwischen Sound-Bombast und Minimal-Dramaturgie in Richtung Bermuda-Dreieck unterwegs ist. Von<br />

Abenteuer, dem eigentlichen Geheimnis improvisierte Musik, kann bei dieser Vergnügungskreuzfahrt keine<br />

Rede sein. –rk-


Etüden zwischen Orient und Okzident<br />

Datum: 16.09.04<br />

Die Herbstsaison des Jazz Club Hirsch begann so urlauberfreundlich wie nie<br />

Moosburg. Kein Zweifel:<br />

dem Start in die Herbstsaison<br />

des Jazz Club Hirsch haben<br />

viele Fans sehnsüchtig<br />

entgegengefiebert, wie am<br />

guten Besuch des ersten<br />

Konzerts am Mittwoch<br />

deutlich abzulesen war. Ob es<br />

an der langen Sommerpause<br />

lag oder an der Aussicht auf<br />

eine musikalische Begegnung<br />

mit „Digital Orient“, das laut<br />

Vorankündigung eine<br />

Symbiose zwischen abend-<br />

und morgenländischer Musik<br />

anstrebt, sei dahingestellt, auf<br />

jeden Fall war das Clublokal<br />

schon kurz nach 21 Uhr<br />

„rappelvoll“.<br />

116<br />

Wer gekommen war, um die angekündigte persische Sängerin Marzieh Kermani kennen zu lernen, sah sich<br />

enttäuscht. An ihrer Stelle nahm ein reines Männersextett nach orientalischem Brauch im Sitzen auf der Bühne<br />

Platz, bestehend aus dem irakischen Saßspieler und Sänger Sharif Hardy, dem US-Afrikaner Raoul Walton am<br />

E-Bass, sowie den deutschen Musikern Matthias Kaiser (Saxophon, Flöte, Gesang), Achim Lupfer (Gitarre, Oud,<br />

Tart, Rubab), Wolfgang Wallner (Gitarre) und Niklas Olschewsky (Perkussion).<br />

Was die sechs Männer unterschiedlicher nationaler, ethnischer und musikalischer<br />

Herkunft dazu bewogen hat,<br />

sich „Digital Orient“ zu nennen und damit beim Publikum Erwartungen an digitale Klangzaubereien zu wecken,<br />

blieb an diesem Abend ihr Geheimnis, denn musiziert wurde ausschließlich auf akustischen Instrumenten, sieht<br />

man einmal vom E-Bass ab, dem Raoul Walton in seiner bekannt virtuosen Art sämtliche Stilistiken zwischen<br />

Funk, Folk und Fusion entlockte.<br />

Obwohl die angestrebte Symbiose zwischen<br />

orientalischer und europäischer Musiktradition sicher nicht in jedem<br />

Stück in Vollendung gelang, sondern sich häufig schon im Ausrollen orientalischer Soundteppiche erschöpfte,<br />

über die dann bis zur Erschöpfung gezupft und gezirpt, gedudelt und gedengelt wurde, stellte die ungewöhnliche<br />

Harmonik und Rhythmik der zumeist orientalisch angehauchten Kompositionen doch eine sympathische und<br />

spannende Alternative dar zu gängigen Hörklischees, so dass viele Besucher Gefallen fanden an dieser Form der<br />

Einübung in ostwestliches Zusammenspiel.<br />

Manche Stücke erfüllten darüber hinaus auch<br />

das Verlangen eingefleischter Folkfans nach echter Folklore, die<br />

stets als stilvolle Arrangements vorgetragen, dann aber nicht immer mit der dazugehörigen Spielfreude<br />

ausgeschmückt und zu Ende geführt wurden. Gänzlich überflüssig waren dagegen flapsige Überleitungen, die<br />

jegliches Empfinden z.B. für das Schicksal der Kurden vermissen ließen und statt dessen den Verdacht nährten,<br />

dass es mit dem musikalischen Austausch nicht weit her sein kann bei so viel ethnischer Ignoranz.<br />

Jenseits aller musikalischen Maßstäbe, die kritische Zuhörer darüber hinaus an Zusammenspiel<br />

und<br />

Bühnenpräsenz, Intonation und Improvisationstalent von „Digital Orient“ anlegen könnten, bleibt festzuhalten,<br />

dass der Übergang von der gerade zu Ende gehenden Ferienzeit zum beginnenden Herbst in Deutschland wohl<br />

selten so urlauberfreundlich gelungen ist wie an diesem Abend. Wer immer im Hirschwirt noch irgendwelche<br />

exotische Klänge aus Tavernen oder Tempeln, Bistros oder Bazaren im Ohr hatte, konnte weiterträumen von<br />

fernen Stränden und exotischen Kulturen. Der deutsche Alltag aber heißt: Üben. –rk-


117<br />

Hardbop-Revival mit den „Boperators“<br />

Datum: 14.10.04<br />

Jazz-Reminiszenzen im Stil der 60er-Jahre bringen den Hirschwirt zum Grooven<br />

Moosburg. Sie selbst haben<br />

keinen der legendären Bebopund<br />

Hardbop- Messangers<br />

jemals live erlebt. Der Grund: als<br />

Thelonius Monk und Horace<br />

Silver, Art Blakey und Dexter<br />

Gordon gerade im Blue Note in<br />

Paris oder im Birdland in New<br />

York die letzte große Ära des<br />

Straight Jazz einläuteten, bevor<br />

Freejazz, Jazzrock oder Acid-<br />

Fusion den Markt eroberten,<br />

wurden Claus Koch und seine<br />

Mitspieler gerade geboren.<br />

Inzwischen reisen sie selbst als<br />

„Boperators“ durch die Lande<br />

und wecken nostalgische<br />

Erinnerungen an eine Zeit, die<br />

sie nur vom Hörensagen kennen,<br />

die sie aber mit umso größerer Hingabe zu neuem Leben erwecken.<br />

Gegründet wurde das Quintett 1996. Anfangs wurden überwiegend Stücke von Dizzy, Bird, Horace Silver und<br />

anderen Größen als Ausgangspunkt für solistische Höhenflüge benutzt, doch inzwischen besteht das Programm<br />

ausschließlich aus Eigenkompositionen von Bandleader Claus Koch, der ein spezielles Faible für die klassische<br />

Hardbop-Besetzung hat und Arrangements schreibt, als hätten Benny Golson oder Horace Silver ihm persönlich<br />

die Hand geführt. Das führt zwar dazu, dass man ständig überlegen muss, ob und woher man dieses oder jenes<br />

Stück kennt, und sogar Titelbezeichnungen wie „Sister Susi“ (Sister Sadie) erinnern stark an Horace Silver.<br />

Doch sobald endgültig feststeht, dass alle Stücke an diesem Abend neu sind und nur „im alten Stil“ arrangiert<br />

wurden, stellt sich eine wohlige Atmosphäre des Vertrautseins ein, in der man guten alten Zeiten nachhängen<br />

kann, in denen auch der Jazz eine Art Flower-Power-Reifeprozess durchmachte.<br />

Mit Claus Raible (Klavier), Ralf Hesse (Trompete), Michael Keul (Schlagzeug) und Wolfgang Kriener<br />

(Kontrabass) hat Claus Koch (Tenorsaxophon) vier versierte Musiker um sich versammelt, die seine<br />

Leidenschaft für Blue Notes, chromatische Abgänge und tanzbare Grooves hörbar teilen. Besonders<br />

hervorzuheben ist Claus Raible, der am Klavier so etwas wie Herz und Seele der Band in einem darstellt. Egal,<br />

ob er seinen Mitspielern beim Improvisieren als Begleiter den Teppich ausbreitet oder ob er selbst seine<br />

irrwitzige Fingerfertigkeit von der Leine lässt und auf den Tasten immer neue solistischen Perlenketten<br />

aneinander reiht, ihm gehört die ungeteilte Bewunderung des Publikums, das bei der namentlichen Vorstellung<br />

am Ende keinem so zujubelt wie ihm.<br />

Feine Technik und ein ausgeprägtes Stilempfinden kennzeichnen das Trompetenspiel von Ralf Hesse, der in den<br />

Big Bands von Peter Herbolzheimer, Al Porcino und Bob Brookmeyer gespielt hat, aber auch in den Big Bands<br />

des HR, des SWR und des WDR, wo er mit den bedeutendsten Solisten und Arrangeuren der Welt<br />

zusammenarbeitet hat. Ein warmer, kraftvoller Ton und eine große melodische Erfindungsgabe zeichnen das<br />

Saxophonspiel von Claus Koch aus, der Einflüsse von Charlie Parker und Lester Young nicht verleugnet. Im<br />

Gegenteil: Seine Spielweise, vor allem aber sein Kompositionsstil, sind fest im klassischen amerikanischen Jazz<br />

der 40er und 50er Jahre verwurzelt.<br />

Für den stets swingenden, pulsierenden Groove des Quintetts zeichnen Schlagzeuger Michael Keul und Bassist<br />

Wolfgang Kriener verantwortlich. Letzterer erntete Sonderlorbeeren für seine Angewohnheit, beim Basssolo laut<br />

vernehmbar mitzusummen und damit an den großen Slam Steward zu erinnern, der es darin bis zur Perfektion<br />

gebracht hat. Aber auch sein zuverlässig „walkender“ Bass trug sehr zum mitreißenden Groove der Band bei,<br />

zumal Michael Keul in dieser Besetzung seine Vorliebe für klar verständliche und schnörkellose Trommelkunst<br />

unter Beweis stellte. Zwar wünschte man seiner Snare-Trommel hin und wider einige leisere Nuancen, wenn sie<br />

die anderen Instrumente gar zu „krachert“ übertönte, doch war sein Push auf der anderen Seite Garant für das<br />

rhythmische Vergnügen, das die „Boperators“ mit fast jedem Stück verbreiteten.<br />

Fein und zurückhaltend dann die Besenarbeit des Schlagzeugers bei Balladen, in denen Claus Koch die ganze<br />

Gefühlstiefe und Zerrissenheit der Hardbop-Ära festgehalten hat, die er auch solistisch in seinem Saxophonspiel<br />

zum Ausdruck brachte. Insgesamt war der Abend geprägt von einer Atmosphäre des unerschütterlichen<br />

Glaubens an die Stimme des Jazz, pur und individualistisch, expressiv und nonkonformistisch, wie der Jazz der<br />

50er- und 60erjahre eben war, bevor er aus den Kellern in die Konzertsäle gehievt und zur Kommerzialisierung<br />

freigegeben wurde. „Wir finden es toll, in einem Club zu spielen, wo keine akademische Konzertbeflissenheit<br />

herrscht, sondern jeder so zuhört wie es ihm gefällt. Zuhören ist schließlich eine freiwillige Angelegenheit“,<br />

lobte Claus Koch das Hirsch-Publikum. Und tatsächlich: es waren viele Freiwillige da. –rk-


118<br />

Schwäbische Trommelgrüße aus Afrika<br />

Datum: 28.10.04<br />

Die Gruppe „Wakpo“ und der “Homo Percussivo” Uhuru im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Im gut gefüllten Hirschwirt war das weibliche Geschlecht eindeutig in der Überzahl an diesem<br />

Abend, der von insgesamt acht Trommlern gestaltet wurde: sieben davon waren dunkelhäutig, kamen aus<br />

Freising und stellten sich als Trommlergruppe „Wakpo“ des Vereins „Association Togoen de Frisinga e.V.“<br />

(ATF) vor. Sie eröffneten den Abend mit folkloristischen Liedern aus ihrer Heimat und sorgten durch ihren<br />

natürliche und melodische Art des Chorgesangs und ihre exotischen Rhythmen schnell für prächtige<br />

Stimmung im Hirschen.<br />

Den Verein ATF gibt es seit zwei<br />

Jahren. Er wurde gegründet mit dem<br />

Ziel, Integration und kulturellen<br />

Austausch zwischen Afrikanern und<br />

Deutschen in der Region zu fördern.<br />

Erste Früchte dieser Bemühungen waren<br />

beispielsweise beim Afrikafest im<br />

Sommer dieses Jahres in der<br />

Luitpolthalle zu beobachten. Vom<br />

Sprecher der Gruppe, Deo Amados, war<br />

in fließendem Deutsch zu erfahren, dass<br />

der Name „Wakpo“ so viel bedeutet wie<br />

„Komm und schau“, eine Einladung, der<br />

das Publikum im Hirschen mit viel<br />

Beifall folgte.<br />

Trotz seines Namens „Uhuru“, was auf<br />

Kisuaheli „Freiheit“ bedeutet, und seiner<br />

afrikanischen Kopfbedeckung war der<br />

achte Trommler des Abends an seinem<br />

Dialekt unschwer als Schwabe zu erkennen. Er bestritt unter dem Motto „Homo percussivo“ den Hauptteil des<br />

Abends. Inmitten eines sogenannten „Afro-Drumsets“, bestehend aus Djembe, Konga, Bongo und Basstrommel,<br />

die entweder mit Händen oder Füßen bedient werden, sowie diversen kleineren Perkussionsinstrumenten und<br />

einem Mini-Keyboard glich er in seinem exotischen Outfit einem Trommelguru, der es sich zum Ziel gesetzt hat,<br />

ein ganzes Orchester zu ersetzen.<br />

Wie erfolgreich er das tut, offenbart sich bereits von weitem: glaubt man draußen noch, man stehe vor einer<br />

Musikschule, in der gerade eine Trommelklasse übt, traut man seinen Augen und Ohren kaum, als man sich auf<br />

der Bühne plötzlich einem einzigen<br />

Trommler gegenüber sah. Wenn ihm<br />

neben den Rhythmen, die er mit zwei<br />

Händen und zwei Beinen erzeugte,<br />

noch eine zusätzliche Stimme fehlte,<br />

nahm er kurzerhand den Mund zu Hilfe<br />

und schüttelte zwischen den Zähnen<br />

eine Rassel. Zwischendurch unterlegte<br />

er das polyphone Stampfen und<br />

Dröhnen, Trommeln und Dengeln mit<br />

einfachen Melodien, die er einem<br />

kleinen Kinderkeyboard entlockte.<br />

Hinzu kamen schlichte Verse wie<br />

„Alles was in meiner Macht steht, um<br />

euch zu verzaubern, will ich tun“, oder<br />

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs,<br />

sieben, Trommler hab acht“, die<br />

gebetsmühlenartig wiederholt wurden.<br />

Uhurus Afrodrum-set ist seine eigene Kreation. Viel Tüftelei steckt in den Pedalen. Die auf ihnen gespielten<br />

Rhythmen übernehmen wichtige Rollen in diesem Ein-Mann-Trommelensemble. Darüber hinaus ist Homo<br />

Percussivo eine Liebeserklärung an den Rhythmus, ein Zeugnis der in ihm schlummernden Kräfte der<br />

Beständigkeit und der Erneuerung. Als Urgestein der deutschen Afroszene hatte Uhuru seit 30 Jahren<br />

maßgeblichen Anteil an der Verbreitung afrikanischer Rhythmen in Deutschland. Seit mehr als zwei Jahrzehnten<br />

bereist er den afrikanischen Kontinent. Erste Stationen waren Nigeria, Ghana und Togo, wo er Blekete spielen<br />

lernte und in einen Kult iniziiert wurde. Als er 1981 erstmalig eine Djembe hörte, verfiel er ihrer Mystik. Sie<br />

wurde fortan sein Hauptinstrument. –rk-


119<br />

“Tea for Three” im Jazz Club Hirsch<br />

11.11.04<br />

Caroline Roth, Harry Saltzmann, Baltasar Heckenbichler und Willi Wipfler gaben als „Tea for Three“ ihre Visitenkarte ab<br />

Begeisterung über „Maynority Report“<br />

Datum: 25.11.04<br />

Vier Meister ihres Faches bescheren dem Jazz Club Hirsch eine Sternstunde der Musik<br />

Moosburg. Es gibt Auftritte im Jazz Club Hirsch, die noch für Monate und Jahre nachhallen, so<br />

überwältigend führen sie dem Publikum die Möglichkeiten der Musik und die nach oben offene Skala ihrer<br />

Umsetzung vor Ohren und Augen. Das Konzert des „Maynority Reports“ am Mittwoch Abend im gut<br />

besuchten Jazzlokal gehörte dazu. Bandleader Guido May am Schlagzeug, Martin Scales an der Gitarre, sein<br />

Bruder Patrick Scales am E-Bass und Christian Elsässer am Fender Rhodes Piano bescherten dem<br />

Moosburger Publikum durch virtuoses Können und sensible Musikalität eine Sternstunde der Musik.<br />

Stilistisch eindeutig in den Gefilden eines elektrisierenden und groovenden Funk- und Fusionjazz beheimatet<br />

steigerten sich die vier Allrounder von Titel zu Titel in einen wahren Spielrausch hinein, der spürbar auf die<br />

Zuhörer übersprang und den ganzen Raum mit Bewunderung und Begeisterung erfüllte. Nie zu laut und immer<br />

perfekt ausbalanciert im Sound ließ jeder jedem ausreichend Spielraum für solistische Ausflüge, die von den<br />

anderen, egal in welchem Tempo, mit relaxter Leichtigkeit begleitet wurden und in immer neue harmonische und<br />

rhythmische Sphären führten.<br />

Bei aller technischen Virtuosität jedes einzelnen war von Renommiergehabe nie etwas zu spüren. Zu sicher sind<br />

sich die Vier ihrer schier grenzenlosen Ausdrucksmittel, als dass einzelne Tricks besonders zur Schau gestellt<br />

werden müssen. Dabei wirkt alles so leicht und locker, als dürfe es nur so und nicht anders gespielt werden.<br />

Wäre da nicht die Erkenntnis, dass das Leichte oft das Schwerste ist, könnte man meinen, Maynority Report<br />

bringe sein Publikum eher nebenbei und im Spaziergang zum Kochen. Und dass der Hirschwirt nach spätestens<br />

drei Stücken tatsächlich am Kochen war, daran kann kein Zweifel bestehen.<br />

Einzelne Großtaten besonders hervorzuheben fällt schwer bei so viel Homogenität. Deshalb vielleicht nur soviel:<br />

Schlagzeuger Guido May verfügt als Solist über ein enormes technisches Potenzial, das er neuerdings mit<br />

Vorliebe auch als Feuerwerk zur Riff-Begleitung zündet. Darüber hinaus geht er jedes Tempo und jede<br />

Stimmungsschwankung so stilsicher und geschmackvoll mit, dass es für jeden Solisten zum Vergnügen wird,<br />

von ihm begleitet zu werden. Christian Elsässer weckt schon durch den unverkennbaren Sound des legendären<br />

Fender Rhodes Pianos Erinnerungen an Joe Zawinul, George Duke oder Chick Corea. Trotz seines noch<br />

jugendlichen Alters hat er die Kunst, Pausen zu setzen und dadurch Spannung zu erzeugen, schon hoch<br />

entwickelt. und verblüfft darüber hinaus durch seinen enormen rhythmischen und melodischen Einfallsreichtum.


Patrick Scales am E-Bass scheint als personifizierter „Mister Groove“ auf jede Herausforderung die richtige<br />

Antwort zu kennen. Durch sein pulsierendes Rumoren in der Tiefe löst er chronische Verkrampfungen im<br />

Unterbewusstsein und bringt in kürzester Zeit sogar müde Füße zum Wippen. Seine Soli sind gespickt mit<br />

Höchstschwierigkeiten und klingen dennoch wie mit links gespielt. Sein Bruder Martin Scales an der Gitarre<br />

dürfte schon deshalb Publikumsliebling sein, weil er alles, was er spielt, auch innerlich mitzuerleben scheint, und<br />

zwar so leidenschaftlich und phantasievoll, dass Augen und Ohren gleichermaßen Zeugen seines musikalischen<br />

Innenlebens werden. Was er seiner Gitarre mit Hilfe diverser Effektgeräte entlockt, lässt zwischen Bel Canto und<br />

Sprechgesang, Urwaldlauten und Meeresrauschen, Bluesgeheul und Funkfetzen keine Wünsche offen.<br />

Nach herrlichen musikalischen Ausflügen nach New Orleans und Kalifornien bis hin zu den Malediven und<br />

zurück ins pulsierende New York brachten die Zuhörer ihre Begeisterung durch lang anhaltenden Applaus und<br />

Beifallrufe zum Ausdruck. Als Belohnung wurde die Zugabe „You don’t know, what love is“, zu einem letzten<br />

Höhepunkt des Abends. –rk-<br />

v.l.n.r.: Martin Scales (E-Bass) Guido May (Schlagzeug), Patrick Scales (Gitarre) und Christian Elsässer (Fender Rhodes)<br />

bescherten dem Publikum eine Sternstunde der Musik.<br />

„Was Schönes oder was Nettes?“<br />

„The Real Cats“ sorgten im Jazz Club Hirsch auf Zuruf für gute Laune<br />

Moosburg. Nach der Devise<br />

„Darf’s a bisserl mehr sein als<br />

Jazz?“ sorgten am Mittwoch drei<br />

Allroundkönner im gut besuchten<br />

Jazz Club Hirsch für<br />

vorweihnachtliche Stimmung. Als<br />

„The Real Cats“ erfüllten Bastian<br />

Pusch (Gesang, Piano), Tom<br />

Peschel (Bass, Gesang) und<br />

Wolfgang Peyerl (Drums) nicht<br />

nur Hörerwünsche aus dem<br />

Stehgreif, sie swingten und<br />

groovten dabei so fröhlich durch<br />

die Musikgeschichte, dass neben<br />

Jazzfans auch Schnulzen-<br />

Liebhaber, Rockfreaks und<br />

Country-Freunde begeistert<br />

waren.<br />

120<br />

Datum: 09.12.04


121<br />

Wie angekündigt, entpuppte sich das<br />

Programm als Schatzkästchen der Überraschungen: Klassiker von Duke<br />

Ellington, Van Morrison oder Louis Prima wurden ebenso humorvoll hervorgezaubert wie beliebte Film- und<br />

Fernsehmelodien aus "Die Sendung mit der Maus" oder dem „Dschungelbuch“. Auch vor Welthits von Prince,<br />

Queen, Ray Charles, Stevie Wonder oder Joe Cocker machten The Real Cats nicht Halt. Im Gegenteil: indem sie<br />

die Zuhörer um spontane Hörerwünsche baten („Was Schönes oder was Nettes?“), bewiesen sie aufs<br />

überzeugendste, dass sie auch vor ausgefallenen Geschmacksrichtungen nicht zurückschrecken.<br />

Als dann ein Wunsch-Medley aus „Smoke on the water“ von Deep Purple, „You don’t have to be beautiful“ von<br />

Kiss und „Country Road“ von John Denver tatsächlich aus dem Stehgreif und<br />

astrein improvisiert über die Rampe kam, hätte die Begeisterung im Jazz Club<br />

kaum größer sein können. Lachsalven erntete Bastian Pusch auch für seine<br />

Version des Bossa-Ohrwurms „Girl from Ipanema“, das bei ihm zum „Girl vom<br />

Unternehmer“ wird und mit so rauchiger Verführerstimme angehimmelt wird,<br />

dass kein Auge trocken bleibt.<br />

Überhaupt bringt der bekennende<br />

Klimper-Kasper Bastian Pusch mit der<br />

Reibeisenstimme alle Voraussetzungen für einen Musik-Clown der Sonderklasse<br />

mit: kein Schlager ist ihm schnulzig genug, um nicht durch den Kakao gezogen<br />

zu werden, kein Standard zu abgedroschen, um nicht in fröhlicher Vertonung neu<br />

aufzuerstehen, kein Kinderlied zu naiv, um nicht als phantasievolle<br />

Improvisationsvorlage zu dienen. Dabei verstehen sich die drei Akteure auf der<br />

Bühne so blind, dass es ein wahres Vergnügen ist, ihnen zuzuhören und<br />

zuzuschauen. Dass sie außerdem richtig gute Jazzmusiker sind, die buchstäblich<br />

alles zum Swingen und Klingen bringen können, was aus Tönen besteht, habe sie<br />

im Jazz Club Hirsch mit Bravour bewiesen. –rk-


122


123<br />

Geballte Sax-Power im Hirschen<br />

Datum: 27.01.05<br />

Moosburg. Am Mittwoch war das MUNICH SAXOPHONE DEPARTEMENT im gut besuchten Hirschwirt zu<br />

Gast. Auf dem Programm standen Jazz und Filmmusik, dargeboten von den Saxophonisten Elmar Krick<br />

(Sopran- und Altsaxophon), Notker Zikeli (Altsax), Harry Saltzmann (Tenorsax) und Jörg Siemers (Baritonsax).<br />

Für einen Großteil der Arrangements zeichnete der Münchner Schlagzeuger und Arrangeur Rudolf Roth<br />

verantwortlich, andere stammten von Bill Holcomb, dem aufsteigenden Allroundtalent aus New York, zwei Titel<br />

steuerte Harry Salzmann bei, die übrigen Arrangements wurden in der Originalversion gespielt.<br />

Wie angekündigt bestimmten beliebte Ohrwürmer aus Film- und Fernsehen das Programm, bei dem es ein<br />

Wiederhören gab mit James Bond und Miss Marple, aber auch mit der Muppet Show oder Pink Panther, dem<br />

berühmten Säbeltanz von Aram Iljitsch Khatchaturian, einem Potpourri aus George Gershwins „Porgy and<br />

Bess“, Gospel-Klängen und der wunderbaren Mingus-Ballade für Lester Young „Good bye Pork Pie Hat“.<br />

Die vier Könner auf der Bühne verdienten sich den Beifall aber nicht nur für ihre originelle und<br />

abwechslungsreiche Programmauswahl, sondern auch für ihr gut harmonierendes Zusammenspiel und so<br />

manche gelungene Solo-Einlage. Dem Erfinder des Saxophons, Herrn Adolphe Sax, dürfte ein Abend mit so viel<br />

geballter Sax-Power ebenso viel Spaß bereitet haben wie den Zuhörern, die nach drei gelungenen Sets immer<br />

noch nicht genug hatten. –rk-<br />

Die Saxophonisten (v.l.n.r.) Jörg Siemers (Baritonsax), Notker Zikeli (Altsax), Elmar Krick (Sopran- und Altsaxophon) und<br />

Harry Saltzmann (Tenorsax) begeisterten mit Jazz und Filmmusik im Jazz Club Hirsch


124<br />

Kollektives Abhängen im Hirschwirt<br />

Datum: 10.02.05<br />

Das Quintett „Blarz“ bot „schöne Melodien und schöne Wechsel“<br />

Moosburg. Zeitgenössischer Jazz, der sich<br />

mit Funk-Grooves und Latin-, Blues- und<br />

Rockelementen mischt, stand am<br />

Aschermittwoch im Jazz Club Hirsch auf<br />

dem Programm. Das Quintett „Blarz“ aus<br />

München, bestehend aus Andy<br />

Birkenhauer (Gitarre), Jim Foitik (E-<br />

Bass), Gregor Bürger (Tenorsax),<br />

Helmut Sinz (Piano) und Bernd Petruck<br />

(Schlagzeug), war erstmals in Moosburg<br />

zu Gast und stellte sich mit<br />

Kompositionen des Gitarristen Andy<br />

Birkenhauer vor.<br />

Nachdem sich der Hirschwirt mit leichter<br />

Verspätung doch noch recht ansehnlich<br />

füllte, entwickelte sich der Abend nach<br />

überstandenen Faschingsfreuden zu einem kollektiven Abhängen<br />

bei „schönen Melodien und schönen<br />

Wechseln“, Attributen also, die der Band nicht nur werbewirksam vorauseilen, sie stimmen auch. Was Andy<br />

Birkenauer unter Songtiteln wie „Bluesmiles“ oder „Fundance“, „Du gehst mir ab“ oder „Teresa“, „I have to<br />

play“ oder „Bevor it was“ komponiert und arrangiert hat, verrät das Talent eines angehenden Meisters, der sich<br />

täglich mit allen Wassern moderner Popmusik wäscht. Da dem ursprünglich als Sextett gegründeten Ensemble in<br />

Moosburg leider die Stimme des Altsaxophons fehlte, darf vermutet werden, dass die Arrangements im Original-<br />

Sound noch einen Tick raffinierter klingen.<br />

Doch auch so weckte jede Komposition Erinnerungen an große Vorbilder amerikanischer Soundmagie, ohne<br />

freilich in punkto Realisierung immer an die angepeilte Perfektion heranzureichen. Beispielsweise hätte man<br />

sich das Zusammenspiel von Bass und Schlagzeug durchgehend etwas „dichter“ gewünscht, um dem Ideal des<br />

„tight together“ zu entsprechen. Statt dessen eilte Bassmann Jim Foitik dem Rhythmus stets laut und treibend<br />

voraus und überließ so Bernd Petruck am Schlagzeug den undankbaren Part des „Schleppens“, eine<br />

Arbeitsteilung, die andersherum bekanntlich weitaus fetziger funktioniert.<br />

Unter der Dominanz des Basses litt darüber hinaus die Sound-Balance, was dazu führte, dass Helmut Sinz am<br />

Keyboard sein solistisches Können viel zu selten aufblitzen ließ und statt dessen viel harmonisches Füllmaterial<br />

beisteuerte. Dass Andy Birkenhauer auch als Gitarrist seinen Mann steht, bewies er bei einigen wunderschönen<br />

Soli, die viel Gefühl und ein ausgeprägtes Harmonieverständnis verrieten. Mit solistischen Bravourleistungen<br />

glänzte Gregor Bürger auf dem Tenorsaxophon und verdiente sich durch phantasievolle Girlanden und<br />

ausdrucksstarken Ton so manchen Sonderbeifall. Grundsolide behielt Bernd Petruck am Schlagzeug die<br />

rhythmischen Zügel im Griff, doch hätte er gegen seinen treibenden Partner am Bass die Peitsche manchmal<br />

ruhig etwas knackiger einsetzen können. Fazit: Gute Kompositionen, raffiniert und modern arrangiert, deren<br />

Bühnen-Umsetzung an diesem Abend aber nicht ganz die adäquate Perfektion erreichte. Freundlicher Beifall<br />

passte zur Kehraus-Stimmung des Tages. –rk-


125<br />

Rustikal und raffiniert zugleich<br />

Wogen der Begeisterung für das Trio „Klima Kalima“ aus Berlin<br />

Datum: 24.02.05<br />

Moosburg. Es gibt Konzerte<br />

im Jazz Club Hirsch, die<br />

beginnen vor vollem Haus<br />

und enden nach drei<br />

Stunden vor einer mehr oder<br />

weniger ausgedünnten<br />

Kulisse, die als harter Kern<br />

jedoch stets die Fahne der<br />

Begeisterung hochhält. Am<br />

Mittwoch war es umgekehrt:<br />

erklangen die ersten Töne<br />

von Kalle Kalima (Gitarre),<br />

Oliver Potratz (Kontrabass)<br />

und Olli Steidle<br />

(Schlagzeug) noch vor<br />

vereinzelten Zuhörer-<br />

Grüppchen, hatten die drei<br />

Musiker am Ende alle<br />

Mühe, sich ihren Weg durch<br />

die applaudierende Menge<br />

zu bahnen, die erst nach zwei Zugaben ein Einsehen mit den sichtlich ausgelaugten Künstlern hatte.<br />

Grund für die ungeteilte Begeisterung war zum einen das erfrischend junge und sympathisch wirkende Auftreten<br />

der drei Musiker, die aus ihrer unbändigen Musizierfreude und ihrem unüberhörbaren Zusammenhalt kein<br />

Geheimnis machten. „Das ist eine echte Band und kein zusammengewürfelter Haufen für einen Job“ war denn<br />

auch eine Besucher-Meinung, die den Eindruck vieler auf den Punkt brachte. Tatsächlich stellte der Auftritt von<br />

„Klima Kalima“ in punkto Zusammenspiel eine Sternstunde in der Geschichte des Jazz Clubs dar, die am besten<br />

mit „blindem Verständnis“ beschrieben wird.<br />

Inmitten raffiniert aufgebauter Arrangements und ungemein pulsierender Kollektiv-Improvisationen tauchten<br />

immer wieder Atolle friedlicher Gemeinsamkeit auf,<br />

wurden von neuen Brechern überspült und machten wie<br />

aus heiterem Himmel neuen Inseln Platz. Nach<br />

musikalischen Vorbildern für die sowohl melodisch wie<br />

harmonisch unkonventionellen Kompositionen von Kalle<br />

Kalima zu suchen, erwies sich schnell als vergeudete Zeit,<br />

in der man sich besser dem Reiz finnischer Tänze oder<br />

Balkanseliger 7/8- Rhythmen hingab oder sich an dem<br />

kraftvoll zupackenden Kontrabassspiel von Oliver<br />

Potratz, dem scheinbar grenzenlosen Geräusch- und<br />

Groove-Arsenal von Drummer Olli Steidle oder dem<br />

Melodien- und Soundkosmos von Kalle Kalima erfreute.<br />

Vor vier Jahren haben sich der Finne Kalle Kalima, der<br />

Hanseate Oliver Potratz und der Oberfranke Olli Steidle<br />

in Berlin getroffen. Nach zwei CD-Produktionen,<br />

ausgedehnten Tourneen durch ganz Europa und dem<br />

entsprechenden Echo in der Fachpresse erscheint es nicht<br />

übertrieben, ihr Zusammentreffen als Glücksfall zu<br />

bezeichnen, der wohltuend aus dem Einerlei einer immer<br />

alltäglicher werdenden Perfektion herausragt. Eckig und<br />

kantig, voll scheppernder Komik und schroffer Tristesse,<br />

schlagen sich drei Musketiere durch die Wildnis ihrer<br />

eigenen Phantasie und kennen scheinbar keine Grenzen<br />

technischer Machbarkeit. Das Ganze rustikal serviert in<br />

der Atmosphäre einer lausbübischen Zaubershow, die das<br />

Publikum mit offenem Mund, offenen Ohren und offenen<br />

Augen verfolgt. Mucksmäuschenstill wurde es in<br />

manchen Momenten. Und auch der anschließende Sturm<br />

der Begeisterung hatte Seltenheitswert. –rk-


126<br />

Standard-Slalom stilsicher gemeistert<br />

Datum: 10.03.05<br />

Alexandra Fischer alias „Miss Ali Lee“ zu Gast im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Wer wegen Marion Dimbath (Posaune, Gesang) zum Gastspiel von „Triorange“ in den Hirschwirt<br />

gekommen war, sah sich enttäuscht. Anstelle seiner erkrankten Lebensgefährtin brachte Kontrabassist Robert<br />

Klinger die Sängerin Alexandra Fischer alias „Miss Ali Lee“ mit nach Moosburg, sowie Florian Oppenrieder<br />

(Schlagzeug) und Alex Czinke (Gitarre). Auch bezüglich des angekündigten Repertoires, „Klassiker von Billy<br />

Holiday, südamerikanische Standards wie „El cafetal“, Eigenkompositionen mit französischen, spanischen oder<br />

deutschen Texten, Musik von Cole Porter oder Songs von den Beatles“, war Umdenken angesagt: „Miss Ali<br />

Lee“ blieb ihrer Liebe zu Standards der amerikanischen und südamerikanischen „Fifties“ treu.<br />

„Sophisticated“, wie es sich seit jenen Tagen für Jazzsängerinnen in langer Abendgarderobe gehört, ließ sie ihre<br />

entrückten, fast schläfrigen Blicke übers Publikum schweifen, ohne auch nur einen einzigen wirklichen Mann zu<br />

entdecken. Kein Wunder, weckte sie doch ständig Erinnerungen an Schwarzweißfilme, in denen Männer noch<br />

Hüte trugen und Kette rauchten. Texte wie „I got you under my skin“ oder „Lulu’s back in town“ oder „You go<br />

to my head“ gaben nostalgische Einblicke in die Kochtöpfe eines amerikanischen<br />

Showbusiness, aus denen weltweit ganze Generationen von Liebespaaren groß<br />

gezogen wurden. Zeitloser dagegen die Musik, die mit wenigen Handgriffen ins<br />

Hier und Jetzt transportiert und mit sehr viel Geschmack und Musikalität zu Gehör<br />

gebracht wurde.<br />

Das Ganze in ausgewogener Lautstärke und relaxter Atmosphäre dargeboten,<br />

machte die Illusion von einer besseren Welt, in der Liebeserklärungen noch<br />

gesungen, Gefühle noch gereimt und Leidenschaften noch mit einem koketten<br />

Hüftschwung angedeutet werden, fast perfekt. Dass Amerika heute anders ist,<br />

konnte man dabei getrost vergessen. Dass Seichtes nicht seicht ist, sobald es von<br />

ausgezeichneten Jazzmusikern gespielt wird, war eine weitere Erfahrung dieses<br />

Abends. Stilsicher umkurvten die vier Allround-Könner alle Slalomstangen<br />

zwischen Hillbilly und Swing, Bossa, Blues und Ballade und schienen sich selbst<br />

zu wundern, als sie gegen 23.15 Uhr schon am Ziel waren. Zwei Zugaben waren<br />

das Mindeste, was die Zuhörer für diesen überraschenden Abende verlangten. –rk-


127<br />

Nostalgische Reise in die eigene Jugend<br />

Datum: 24.03.05<br />

Cool-Jazz zum Kuscheln mit dem Christoph Hörmann & Bob Rückerl Quintett<br />

Moosburg. Ein Ausflug zu den Quellen des „Cool Jazz“, der in den 50- und 60erjahre an der Westküste der<br />

USA entstand und durch Persönlichkeiten wie Gerry Mulligan, Stan Getz, Miles Davis, Lennie Tristano, Chet<br />

Baker, Dave Brubeck oder Lee Konitz geprägt wurde, stand am Mittwoch vergangener Woche im Jazz Club<br />

Hirsch auf dem Programm. Mit der Idee einer Hommage an den Westcoast Jazz und insbesondere an den<br />

1996 verstorbenen Baritonsaxophonisten, Komponisten und Arrangeur Gerry Mulligan ist das Christoph<br />

Hörmann & Bob Rückerl Quintett schon seit einiger Zeit erfolgreich unterwegs. Auch der gute Besuch im<br />

Hirschwirt deutete auf ein unter Jazzliebhabern durchaus verbreitetes Verlangen hin, diese Epoche aus<br />

ihrem musikgeschichtlichen Dornröschenschlaf zu erwecken.<br />

Zur Erinnerung: Entstanden als eine Art Gegenbewegung zum quirlig-wilden Bebop eines Charly Parker oder<br />

Dizzy Gillespie, entwickelte sich der Cool Jazz vor allem in Kalifornien und Europa zu einer Musik für Zuhörer,<br />

die neben einer gewissen Vorbildung in klassischer Musik auch noch ein Ohr mitbrachten für die Gefühle junge<br />

Musiker, die ihre Resignation am Ende des Zweiten Weltkrieges lieber in melancholisch-unterkühlter als in<br />

himmelhochjauchzender Form zum<br />

Ausdruck brachten.<br />

Dass das Prädikat „cool“ dabei<br />

niemals für Gefühlskälte stand,<br />

sondern ganz im Gegenteil ein<br />

tiefes Verlangen nach Rückkehr zu<br />

einer fast barocken Harmonie und<br />

Humanität wiederspiegelte, war<br />

auch am Mittwoch im Hirschen zu<br />

spüren, als Christoph Hörmann<br />

(Tenorsax, Klarinette) und Bob<br />

Rückerl (Baritonsax, Sopransax,<br />

Klarinette) zusammen mit Helmut<br />

Nieberle (Gitarre), Wolfgang<br />

Kriener (Kontrabass) und Bastian<br />

Jütte (Schlagzeug) einige der<br />

schönsten Exemplare des Cool Jazz<br />

auspackten und mit sicherem<br />

Stilempfinden zu Gehör brachten.<br />

Echte Kaminfeuer-Kuschelstimmung kam auf, als so vertraute Stücke wie „Festive Minor“, „Shady Side“,<br />

„Blues in a Minute“ oder „The Catwalk“ in mehrstimmigen Arrangements erklangen, mit denen Gerry Mulligan<br />

und Stan Getz einst neue Maßstäbe für einen „gepflegten Jazz“ gesetzt und eine ganze Generation von<br />

Klassikfreunden mit dem Bebop-Jazz versöhnt hatten. Als Hüter eines metronomisch korrekten Rhythmus sorgte<br />

Bastian Jütte am Schlagzeug mit viel Besenarbeit für unaufdringlichen Rückhalt und wurde dabei von Wolfgang<br />

Kriener am Kontrabass swingend unterstützt, dessen vokal begleitete Basssoli außerdem Erinnerungen an Slam<br />

Steward weckten. Als harmonischer und rhythmischer Impulsgeber verdiente sich Helmuth Nieberle beste Noten<br />

und glänzte außerdem durch so manches ausgereifte Gitarren-Solo.<br />

Bob Rückerl, der aus seinen notorischen Tieftönern Bassklarinette und Baritonsaxophon mit bewundernswert<br />

langem Atem das Menschenmögliche an Charme herauszuholen versuchte, und Christoph Hörmann, der sich der<br />

Cool-Jazz-Stilistik keineswegs unterordnete, sondern ihr im Gegenteil mit expressivem Ton und modernem<br />

Harmonieverständnis immer wieder um Jahrzehnte vorauseilte, als hätten Stan Getz oder Lee Konitz schon John<br />

Coltrane antizipiert, bildeten eine homogene<br />

Bläserfront, denen vor allem die ausgefuchsten<br />

Original-Arrangements hörbares Vergnügen bereiteten.<br />

Ganz zur Freude der Zuhörer, die an diesem Abend in<br />

den Genuss einer perfekt eingespielten und im guten<br />

Sinne „routinierten“ Band kamen, die mit ihrer Cool-<br />

Jazz-Revival offene Ohren und Türen einrannte. Nicht<br />

auszudenken, was das Christoph Hörmann & Bob<br />

Rückerl Quintett auf die Beine stellten könnte, wenn es<br />

– nach eigener Aussage – nicht nur Zeit für<br />

Bühnenauftritte, sondern auch zum Üben hätte. Aber<br />

auch so verdienten sich die fünf Cool-Jazzer zwei<br />

Zugaben und ein Dankeschön für eine nostalgische<br />

Zeitreise in die eigene Jugend. –rk-


128<br />

Abheben ins synthetische Nirgendwo<br />

Anregender Abend mit der Gruppe „Steps of Spirit“ im Jazz Club Hirsch<br />

Datum: 08.04.05<br />

Moosburg. Wer sich am vergangenen Mittwoch lieber den Fußball-Straßenfeger FC Celsea gegen FC Bayern<br />

München im Fernsehen anschauen wollte, als sich ins Moosburger Nachtleben zu stürzen, hat im Jazz Club<br />

Hirsch ein interessantes Gastspiel der Gruppe Steps of Spirit verpasst. Den vier Musikern Charly Leimer<br />

(keys), Martin Kursawe (git), Dietmar Kastowsky (bass) und Csaba Schmitz (drums) wäre jedenfalls ein<br />

volleres Haus zu wünsche gewesen, doch sorgten einige treue Fans aus Ingolstadt und Landshut dann doch<br />

noch für eine ansehnliche Kulisse.<br />

Auf dem Programm stand elektrisch erzeugte Fusion-Jazz-Power, sieht man einmal vom Schlagzeug ab, das,<br />

ausschließlich mit Muskelkraft und Spielwitz betrieben, den aufgetürmten Verstärkern und Synthesizern der drei<br />

übrigen durchaus das Wasser reichen konnte. Mochte so mancher Besucher anfangs noch Bedenken haben, ob er<br />

den angesteuerten, hohen Dezibel-Pegel auf Dauer überhaupt durchhalten würde, stellte sich doch bald heraus,<br />

dass diese Art von Musik ein gewisser Mindestlautstärke einfach erforderlich zu machen scheint, die im Laufe<br />

des Abend denn auch immer erträglicher wurde.<br />

Auch schien das vor Kraft strotzende Equipment den Musikern genau jene Sicherheit zu vermitteln, die dazu<br />

gehört, um auf einer 300 PS starken Harley-Davidson eine lässige Reisegeschwindigkeit von 80 km/h<br />

einzuhalten. Tatsächlich entwickelten die vier Musiker im sicheren Gefühl, den Hirschwirt jederzeit mit<br />

aufheulenden Synthesizern zum Erzittern bringen zu können, eine höchst differenzierte und mitunter sogar<br />

sparsame Kommunikation, die hauptsächlich auf den ausgefeilten und raffinierten Arrangements von Charly<br />

Leimer beruht.<br />

Er scheint alle Tricks moderner amerikanischer Soundmagie zu beherrschen. Akkorde, deren Notation selbst<br />

ausgebuffte „Notenfresser“ vor größere Probleme stellen dürfte, reihten sich zu immer neuen Soundgebilden<br />

aneinander und ließen Fusion-Freunde in Erinnerungen an Weather-Report, Herbie Hancock und John<br />

McLaughlin's Mahavishnu Orchestra schwelgen. In Verbindung mit der hoch entwickelten Präzision des<br />

Zusammenspiels entstand bei Stücken wie „Funk for Miles“, „Eastern in USA“ oder „A Freaker“ hoher<br />

Hörgenuss, der nur ganz selten durch winzige „Ausrutscher“ getrübt wurde, die den Musikern selbst kleine<br />

Gesten des Bedauerns entlockten. Ein Zeichen für die selbst auferlegte, hohe Perfektion, die Steps of Spirit sich<br />

auf die Fahnen geschrieben hat.<br />

Die Erfolgsgeschichte von Steps of Spirit hat mit der Jazzförderpreisverleihung 1999 an Charly Leimer<br />

begonnen. Damals wurde mit Hilfe des Preisgeldes die erste CD aufgenommen, die jetzt vorliegt. Hatte Steps of<br />

Spirit anfangs eher "gecovert", stehen heute fast ausschließlich eigene Titel auf dem Programm. Verbunden<br />

durch ironische kleine Überleitungen, in denen sich die Musiker immer wieder gegenseitig auf die Schippe<br />

nahmen, bot das Programm eine willkommene Wiederbegegnung mit dem Fusion-Jazz, der sich einst wie das<br />

Ende handgemachter Musik vor dem Abheben ins synthetische Nirgendwo angehört hatte und der heute dennoch<br />

nicht mehr und nicht weniger ist als eine von vielen musikalischen Nischen des Jazz. „Steps of Spirit“ hat sich<br />

darin wohnlich eingerichtet und den Besuchern – auch ohne Fußball - einen anregenden und genussreichen<br />

Abend beschert. –rk-


129<br />

Geschlechtsspezifisch prickelnder als sonst<br />

Datum: 18.04.05<br />

Das Katrin Weber Trio aus Wien wurde im Jazz Club Hirsch gefeiert<br />

Moosburg. Katrin Weber stammt aus Tuttlingen in Baden Württemberg. Sie lebt heute in Wien, singt und<br />

spielt Keyboard. Ilse Riedler kommt aus der Nähe von Graz, wo sie Musik studiert hat, und spielt Sopran- und<br />

Tenorsaxophon. Margit Schoberleitner stammt aus Oberösterreich, hat in Linz studiert und spielt Perkussion<br />

und Schlagzeug. Zusammen bilden die drei Frauen das Katrin Weber Trio, das am vergangenen Mittwoch<br />

unter großem Publikumsinteresse im Jazz Club Hirsch zu hören war.<br />

Dass sich die drei Musikerinnen, die in diesen Tagen ihre erste<br />

CD einspielen, menschlich gut verstehen und musikalisch gut<br />

ergänzen, wurde im Verlaufe eines abwechslungsreichen und<br />

amüsanten Programms deutlich. Jazz-Standards und Musical-<br />

Melodien, Blues und Rock-Oldies, Vertonungen klassischer und<br />

eigener Poesie, gesungene „Männergeschichten“ und ein Stück<br />

„Gegen der Terror der Schönheit“, eine Freestyle-Arie mit<br />

Fingerschnippen und ein bisschen Instrumentenkunde aus der<br />

Volkshochschule, das alles ergab eine bekömmliche Mischung,<br />

die in ansprechender Form dargeboten wurde.<br />

Alle drei Musikerinnen haben auf ihren Instrumenten eine<br />

imponierende technische Reife erlangt. Hervorzuheben ist Ilse<br />

Riedlers Improvisationstalent, mit dem sie sowohl dem Tenor- als<br />

auch dem Sopransaxophon Soli von hoher Ausdruckskraft und<br />

Schönheit entlockt. Im Vergleich zu ihren Mitspielerinnen, die<br />

solistisch weniger in Erscheinung treten, liegt bei Ilse Riedler die<br />

für den Jazz typische „Freiheit der Fantasie“ in besten Händen.<br />

Nicht weniger Beachtung verdient die hohe Könnerschaft, mit der<br />

Katrin Weber gleichzeitig singt, Klavier spielt und auf der<br />

Doepfer-Klaviatur mit der linken Hand den Bass mitgrooven läßt,<br />

so, als habe ihr linker Arm ein Eigenleben. Eine sichere<br />

harmonische Basis, auf der sich die anspruchsvollen<br />

Arrangements entfalten können, ist so stets sichergestellt, auch<br />

dank der zuverlässigen Rhythmusarbeit, mit der Margit<br />

Schoberleitner das Ganze am Schlagzeug begleitet und im Laufe des Abends mit zunehmender Sicherheit auch<br />

verziert.<br />

Überhaupt schienen die drei Musikerinnen zunächst einmal viel Wert auf ein sicheres musikalisches Auftretens<br />

zu legen, so dass kaum die Gefahr bestand, dass irgendetwas schief gehen oder etwas Unerhörtes passieren<br />

könnte. Überraschungen wirkten eher wie eingeplant, und zwar<br />

als Teile einer Dramaturgie, die wohl auch auf die<br />

kabarettistische Vergangenheit der Bandleaderin in der<br />

Kabarettgruppe „Die Niederträchtigen“ zurückzuführen sein<br />

dürfte.<br />

„Wenn Pointen – dann perfekt“ könnte man die Machart<br />

charakterisieren, mit der sich die drei Musikerinnen den<br />

Gefahren einer angeblich seit Menschengedenken von Männern<br />

dominierten Musikwelt in die Arme warfen. Zu glauben, dass sie<br />

sich dabei ihrer Besonderheit als Frauen-Trio nicht bewusst<br />

waren, wäre nicht nur uncharmant, es würde auch nicht die<br />

Stimmung im Club wiedergeben, die geschlechtsspezifisch<br />

durchaus prickelnder war als bei vielen Männer-Bands, die im<br />

Jazz Club Hirsch schon den Schaum vom Bier herunter gespielt<br />

haben. Der Schlussbeifall passte sich ganz der<br />

Ausnahmesituation an und lief fast Gefahr, das Zugaben-<br />

Repertoire des Trios zu übersteigen.<br />

Ob hinter der Trio-Besetzung auch ein bisschen Publicity-Kalkül<br />

der Vollblut-Entertainerin Katrin Weber steckt oder tatsächlich<br />

nur eine menschlich-musikalische Frauen-Affinität, war im<br />

anschließenden Gespräch nicht zu ergründen, wollten die Damen<br />

doch lieber nur auf ihre Musik angesprochen werden, „so wie<br />

Männer-Bands eben auch“. Das hat man nun davon, wenn man<br />

sich wirklich für Frauen interessiert. -rk-


130<br />

Die alte Moderne ist quiek-lebendig<br />

Datum: 12.05.05<br />

Zum Energie tanken kam das St. Oehl Trio wieder mal in den Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Der Ruf von „High-Energy-Jazz“ und „Hörsturzgefahr“, der dem St. Oehl Trio seit nunmehr 18<br />

Jahren vorauseilt, führt in vielen Jazz-Gemeinden dazu, dass schnell Türen und Fensterläden verrammelt<br />

werden, so, als sei niemand zu Hause. Wenn die drei Jugendfreunde mit dem ausgeprägten Faible für<br />

revolutionäre Sounds dann weiterziehen und sich fragen, wo es denn noch jemanden geben könnte, der sie<br />

lieb hat, fällt ihnen alle zwei Jahre der Moosburger Jazz Club Hirsch ein, wo sie in der Tat auch am<br />

Mittwoch wieder mit offenen Armen empfangen wurden.<br />

Stefan Lanius (Kontrabass), Günter Hillenmeyer (Schlagzeug) und Floh Haas (Tenorsax, Flöte) betrachten<br />

Moosburg (neben Regensburg) inzwischen selbst als eine der letzten Domänen, wo sie ihrer gemeinsamen<br />

Leidenschaft der musikalischen Raserei noch mit Aussicht auf Applaus nachgehen können. „Als wir uns vor 20<br />

Jahren getroffen<br />

haben, wurde uns<br />

schnell klar, dass<br />

andere Musiker den<br />

schönen Jazz, den<br />

wir damals versucht<br />

haben, viel besser<br />

drauf haben als wir.“<br />

Damit war die<br />

Entscheidung, dem<br />

Schönen den Rücken<br />

zu kehren, und zwar<br />

so radikal wie nur<br />

möglich, zumindest<br />

für Floh Haas und<br />

Günther Hillenmeyer<br />

gefallen.<br />

Stefan Lanius kommt<br />

als Berufs-<br />

Kontrabassist bis<br />

heute mit allem in<br />

Berührung, was in<br />

Kirchen und Konzertsälen an Schönem aufgeführt wird. Für ihn stellen die wöchentlichen<br />

Probe- und Tobe-<br />

Treffs mit seinen alten Kumpels eine Befreiung und „revolutionäre Grenzerfahrung“ dar, die er mit niemandem<br />

so gut teilen kann, wie mit Freunden aus guten alten Free-Jazz-Tagen. Floh Haas dagegen ist Rechtsanwalt und<br />

betreibt Freizeit-Musik, wie andere Kollegen Extremsport betreiben. Günther Hillenmeyer ist Angestellter am<br />

Landratsamt Starnberg und spielt Schlagzeug in erster Linie, „um sich mal wieder so richtig auszudreschen“.<br />

Allen Drei ist bewusst, dass sie mit ihrem „So-laut-und-heftig-wie-möglich-Jazz“ im Grunde genommen wie<br />

trotzige Buben eine Moderne längst vergangenen Jahrzehnte herauf beschwören, die sie jedoch mit noch so<br />

großem Energie- und Dezibelaufwand nicht aus dem ewigen Eis der Musikgeschichte befreien können.<br />

Gleichzeitig können sie jedoch stolz darauf verweisen, dass sie mit ihrem Free-Jazz der späten 70erjahre bis<br />

heute avangardistischer klingen als alles, was sich über die Jahre modernistische Sound-Mäntelchen umgehängt<br />

hat. Denn harmonisch offener, melodisch freier und rhythmisch grenzenloser als zu Zeiten eines Ornette<br />

Coleman, Eric Dolphy oder Alber Ayler hat sich der gesamte Jazz bis heute nicht weiter entwickelt.<br />

Dieses vom Publikum des Jazz Club Hirsch im Abstand von zwei Jahren in Form von frenetischem<br />

Beifall<br />

bestätigt zu bekommen, lohnt nicht nur den Abstecher aufs Land, es zeichnet zugleich die Fachkunde der<br />

Moosburger Jazzfreunde aus, die Augen und Ohren auch dann aufsperren, wenn es weh tut. Und siehe da:<br />

schwankt das Akzeptanz-Barometer während der ersten Stücke noch zwischen „Schock“ und „Flucht“, bewegen<br />

sich die Ausschläge mit Fortdauer des Konzerts in Richtung „Saustark“ oder „Wahnsinn“ und kommen<br />

schließlich beim kollektiven „Zugabe, Zugabe“ zum Stehen.<br />

Ein Grossteil der Faszination gilt dabei dem rein körperlich-sportlichen<br />

Aspekt, der wohl nur in Iron Man<br />

Maßstäben messbar ist. Ein weiterer Aktivposten ist das Archaische, das jenseits aller Musikalität tiefere<br />

Bewusstseinsschichten im Hörer anspricht. Geschlossene Augen und hin- und herpendelnde Oberkörper im<br />

Publikum, die unterschiedlichen Bewegungszyklen zu folgen scheinen, lassen auf tiefergehende Wirkungen<br />

schließen, die mit bloßem Fußwippen nicht mehr zu übersetzen sind. Fazit: die gute alte Moderne ist quieklebendig<br />

und beim Sanct Oehl-Trio bestens aufgehoben, so dass weiteren Gastspielen im Jazz Club Hirsch nichts<br />

im Wege steht. –rk-


131<br />

Datum: 30.05.05<br />

„Rhythm & Mood“ heißt das jugendliche Jazz-Trio aus Freising, bestehend aus Lorenz Eberle (Klavier),<br />

Vincent Eberle (Trompete) und Raphael Seehon (Schlagzeug), das am Mittwoch im Jazz Club Hirsch als<br />

Vorprogramm der Karl Muskini Group mit viel Beifall bedacht wurde. Als Beste in der Sparte „Klassik, Jazz,<br />

Volksmusik (Solo oder Ensemble)“ hatten die drei in der Altersgruppe III (über 16 Jahre) des Kulturalarm-<br />

Musikwettbewerbs 2004 den ersten Preis belegt und neben einem Tag im Farmlandsstudio (inkl. Vorbereitung<br />

zur Aufnahme) die Teilnahme am Konzert der Preisträger am 13. Februar 2005 im Asamsaal gewonnen, sowie<br />

weitere Auftrittsmöglichkeiten im Versus Barbershop und im Jazz Club Hirsch.<br />

Die anfängliche Nervosität war schnell überwunden, zumal Jazz Club Präsident Günter Janovski den drei<br />

Youngsters väterlich den Rücken stärkte und sie wie echte Stargäste auf die Hirschwirt-Bühne schickte. Mit<br />

Standards und Eigenkompositionen ließen die Drei das fachkundige Stammpublikum aufhorchen und<br />

überzeugten vor allem durch stilistische Vielfalt, rhythmische Solidität und harmonische Raffinesse, die<br />

teilweise an den gefälligen Sound routinierter Bar-Pianisten erinnerte. Von „Rhythm & Mood“ wird man mit<br />

Sicherheit noch öfters hören. –rk-<br />

Beifall für Karl Muskinis „Hallo Linz“<br />

Moosburg. Mit einem Gastspiel der Karl<br />

Muskini Group aus Linz ging am<br />

vergangenen Mittwoch das erste<br />

Halbjahresprogramm des Jazz Club<br />

Hirsch zu Ende. Unter dem Motto<br />

„Hallo Linz“ präsentierten der<br />

langjährige Programmdirektor des<br />

Jazzclubs und vier Kommilitonen des<br />

Linzer Jazz-Konservatoriums, was sie in<br />

den vergangenen Semestern gelernt<br />

haben und ernteten dafür nicht nur<br />

begeisterten Applaus, sondern jede<br />

Menge Gelächter. Der Grund: Karl<br />

Muskini ließ bei den Überleitungen<br />

zwischen den Stücken einmal mehr<br />

seinen hintergründigen und bisweilen<br />

auch abgründigen Humor aufblitzen<br />

und befreite so das musikalische<br />

Geschehen aufs angenehmste von jeglichem Leistungsdruck.<br />

Was nicht bedeuten soll, dass die vier zu musikalischen Abenteuern aufgelegten Comic-Helden Karl Muskini<br />

(Posaune), Christoph Roitner (Gitarre), Martin Berauer (E-Bass) und Joseph Hinterhölzl (Schlagzeug) und ihre<br />

nicht mindere humorbegabte Kommilitonin Alexandra Gläser-Haas (Trompete) ihr musikalischen Handwerk<br />

nicht beherrscht hätten. Im Gegenteil: zur bisweilen bizarren Bühnenshow kamen hohes technisches Vermögen<br />

und ausgelassene Spielfreude hinzu, sodass Jazzfans ebenso auf ihre Kosten kamen wie Kalauer-Freunde und


132<br />

Comic-Freaks. Dabei standen nicht atemberaubende Soli im Vordergrund, sondern die hohe Kunst des<br />

Zusammenspiels, dargeboten als Montage vorgefertigter Spielfragmente, die spontan und mit beachtlichem<br />

Formgefühl zu einem spannenden Ganzen zusammengefügt wurden.<br />

Karl Muskini selbst hat sich vom ewigen Posaunen-Eleven zu einem respektablen Bandleader entwickelt, der<br />

seine Mitspieler schon deshalb so sicher durch die oft chaotisch anmutenden Stücke leitet, weil er sie zumeist<br />

selbst arrangiert hat. Vor seinem Spieltrieb ist dabei nichts sicher, weder Cool-Jazz-Reminiszenzen eines Gerry<br />

Mulligan noch Bebop-Geistsblitze eines Charly Parker, weder Zwiefache noch Almjodler, denn für Karl Muskini<br />

ist alles Schon-mal-da-Gewesene nur Spielmaterial für Neuvertonungen. Und auch die klingen bei ihm nie<br />

geprobt und ausgereift, sondern wie zum Platzen geborene Seifenblasen, die noch einmal kurz im Gegenlicht<br />

schimmern.<br />

Über seine Mitspieler lässt sich ausschließlich gutes berichten, angefangen von Alexandra Gläser-Haas, die voll<br />

stoischer Ruhe und Bescheidenheit jede Hürde meistert und das Publikum drei Stunden lang auf ein Lächeln<br />

warten lässt, über Christoph Roithner, der seine Gitarre wie in Trance beherrscht, auch wenn er seine Derwisch-<br />

Tänze mitunter etwas übertreibt, oder Martin Berauer, der auf dem Bass einen sicheren Rückhalt und solide<br />

Grooves garantiert, bis zu Josef Hinterhölzl, der seine vitale Trommelkunst ein paar mal in Extralänge<br />

zelebrieren darf und dafür Sonderapplaus kassiert.<br />

Eine CD gibt es noch nicht von der Karl Muskini Group und ihrem „Hallo Linz“ –Programm, aber vielleicht ist<br />

ja der nun bevorstehende Abschied aus seiner vorübergehenden österreichischen Wahlheimat für Muskini Grund<br />

genug, seine musikalischen Memoiren auf Scheibe zu pressen. Das Material und die originelle Art seiner<br />

Verarbeitung hätten es jedenfalls verdient. –rk-<br />

Kraftstrotzender Dauerbeschuss<br />

Datum: 16.09.05<br />

„Panzerballett“ eröffnete unüberhörbar die Herbstsaison im Jazz Club<br />

Moosburg. Unüberhörbar startete am Mittwoch der Jazz Club Hirsch in die zweite Halbzeit 2005, und zwar<br />

mit dem Fusion-Quartett „Panzerballett, einer Formation, der im wahrsten Sinne des Wortes ein Ruf wie<br />

Donnerhall vorausgeht: „Heavy-Jazz mit Wachbleib-Garantie, virtuos, filigran, präzise und wuchtig wie eine<br />

Abrissbirne“ schrieben dazu die einen, „Das Panzerballett versucht die Geschmeidigkeit des Balletts und das<br />

Krachen eines Panzers in seiner Musik einzufangen“ die anderen, und manche hörten sogar eine „kreative<br />

Verdüsterung des Jazzrock im Geiste des Heavy Metal“ aus den ausschließlich von Gitarrist Jan Zehrfeld<br />

komponierten und arrangierten Stücken heraus.<br />

Zu den Fakten: "Panzerballett" wurde im Frühjahr 2004 gegründet und besteht aus vier hochtalentierten,<br />

technisch versierten Musikern, die sich für diese Art von Bracchial-Musik gesucht und gefunden haben. Gitarrist<br />

Jan Zehrfeld studierte Jazzgitarre in Graz, Helsinki und München, und spielte schon u. a. mit Doldinger's<br />

Passport und beim Bundessjazzorchester. Tenorsaxophonist Gregor Bürger, der schon in jungen Jahren zum<br />

Bundesjazzorchester kam, studierte Jazzsaxophon in Linz und München. Neben zahlreichen Live- und<br />

Studioengagements ist Gregor auch als<br />

Komponist und Arrangeur tätig,<br />

hauptsächlich für seine Funk & Fusion<br />

Bigband "Earforce". E-Bassist Florian<br />

Schmidt erhielt diverse Preise, u. a. den<br />

"Jazz-Förderpreis der Stadt Ingolstadt<br />

2003". Er spielte mit verschiedenen Jazz-<br />

Größen (z. B. Pee Wee Ellis, Peter<br />

O'Mara), aber auch bei bekannten Rock-<br />

Acts wie z. B. „Joachim Deutschland“.<br />

Drummer Max Bucher ist bisher noch ein<br />

relativ unbeschriebenes Blatt, gilt aber als<br />

Geheimtipp am Schlagzeug.<br />

In Jan Zehrfelds Eigenkompositionen<br />

werden Jazz, Funk und Heavy Metal auf<br />

kunstvolle, innovative Weise miteinander<br />

fusioniert. Nach dem Motto "Warum<br />

einfach, wenn es auch schwer geht?"<br />

werden filigran ineinander verzahnte Funk-Grooves mit brachial harten, rhythmisch komplexen Riffs und<br />

Jazzimprovisationen kombiniert, beschreibt die Band ihren eigenen Stil, der auch als „Headbangen mit<br />

Köpfchen“ bezeichnet wird und das Publikum insbesondere in punkto Lautstärke auf eine harte Probe stellt.<br />

Speziell im überschaubaren Club-Ambiente des Hirschen schien die Schmerzgrenze für empfindsame Ohren des<br />

öfteren überschritten, doch versöhnten die hohe Präzision des Zusammenspiels und die kraftstrotzende<br />

Spielfreude mit dem mitunter etwa einseitig wirkenden Dauerbeschuss von der Bühne, dem die Zuhörer lediglich<br />

ihren handgemachten Applaus entgegenzusetzen hatten. Er wurde mit zwei Zugaben belohnt. –rk-


133<br />

Auf den Spuren des Komponisten Johann v.Brossa<br />

Am 28.September 2005 sorgte<br />

ein Auftritt der Gruppe „Brossa“<br />

um den Altsaxophonisten Wanja<br />

Slavin für Rätselraten im Jazz<br />

Club Hirsch. Unter dem Motto<br />

„The Magic of Brossa“<br />

zelebrierte ein Münchner Quintett<br />

Werke eines österreichischen<br />

Komponisten namens Johann von<br />

Brossa, Schöpfer eines angeblich<br />

„gigantischen Oevres“, dessen<br />

bahnbrechende Ideen zu einer<br />

neuen Kompositionstechnik des<br />

freien Fantasierens zu Lebzeiten<br />

(1880-1916) kaum Anerkennung<br />

gefunden hätten, dafür aber heute<br />

umso frischer und wegweisender<br />

wirkten. Im Internet wirbt die<br />

Gruppe unter http://www.brossa.de/ mit einer Biografie und weiteren „Dokumenten“ für die Existenz des<br />

verkannten Meisters. Hier der Wortlaut seiner „Biografie“, eines geheimnisvollen Presse-Features, sowie weitere<br />

Dokumente einer interessanten Recherche.<br />

Johann v. Brossa<br />

Geboren: 1880 in Thann, Österreich-Ungarn (K.u.K.-Monarchie)<br />

Gestorben: 1916 im 1. Weltkrieg während der Großoffensive Russlands<br />

Vater: Adolf v. Brossa, Mutter: Charlotte v. Brossa<br />

Die Familie lebt in Thann in ärmlichen Verhältnissen. Der Vater arbeitet als Kohlenhändler und die Mutter<br />

verdient als Zugehfrau etwas dazu. Woher kommend der Adelstitel stammt, ist ungewiss. Die Mutter ist<br />

musikalisch außerordentlich gebildet und unterweist ihren Sohn Johann bereits im zarten Alter von 5 Jahren in<br />

der Kunst des Spielens auf dem Pianoforte. Mit 10 Jahren entdeckt der örtliche Musiklehrer Arnold Rothauer die<br />

Begabung des Jungen und unterweist diesen fortan unentgeltlich in den Fächern Harmonie- und<br />

Kompositionslehre. Da Johann v. Brossa als Einzelkind aufwächst (seine einzige Schwester stirbt mit 2 Monaten<br />

an den Folgen einer Lungenkrankheit) wird die Musik für ihn zum Mittelpunkt seines noch jungen Daseins.<br />

Hinfort verbringt er Tag und Nacht am Klavier und lebt in seiner eigenen Welt – der Welt der Töne.<br />

Als v. Brossa gerade 16 Jahre alt ist, vermag sein Lehrer und Förderer Rothauer des jungen Knaben Kenntnissen<br />

nichts mehr hinzuzufügen und ihre Wege trennen sich einstweilen. Seine Eltern sparen nun 4 Jahre lang ihr<br />

gesamtes Einkommen, um ihrem Sohn die Reise nach Wien und die dortige Unterbringung ermöglichen zu<br />

können. Hier erwartet den jungen Mann eine völlig neue und köstliche Welt. Sämtliche große Komponisten des<br />

ausgehenden 19. Jahrhunderts tummeln sich zu dieser Zeit in Wien und bald ist auch v. Brossa in dieses<br />

Künstlerleben eingetaucht. Hier in Wien lernt er allerhand Neues kennen und schätzen, welches ihm in der<br />

Provinz bis dahin verborgen blieb. Johann v. Brossa studiert die großen Meister von Bach und Telemann über<br />

Haydn, Mozart und Beethoven bis hin zu Wagner, Brahms und Schumann.<br />

Doch schon bald verliert er das Interesse an den sog. Wiener Meistern und ihrem, in seinen Augen, in die Jahre<br />

gekommenen Kompositionsstil. Johann v. Brossa schwebt etwas neues, noch nie da Gewesenes vor. Er möchte<br />

Musik erschaffen, die sich bei jedem hören völlig anders darstellt. 1905 beginnt Johann v. Brossa die ersten<br />

Kompositionen im neuen Duktus zu verfassen. Er verwendet hierbei nur kurze, ausnotierte Themenfragmente<br />

zwischen denen die Instrumentalisten musikalisch fantasieren. Seine Melodieführung ist weit von der damals<br />

gängigen Ausdrucksweise entfernt und selbst heute noch klingen diese Themen ausnehmend frisch und<br />

zeitgemäß.<br />

Zwischen 1905 und 1907 entstehen ca. 120 Kompositionen dieser Art, bis ein tragischer Unfall diese kreative<br />

Schaffensphase dauerhaft beendet. Seine Eltern kommen bei einem Brand des gemeinsamen Wohnhauses um ihr<br />

Leben und Johann v. Brossa zieht darauf von Wien wieder zurück nach Thann. In dieser schweren Phase seines<br />

Lebens steht ihm Eva Maria Rothauer, die Tochter seines alten Lehrmeisters, zur Seite und beide entdecken Ihre<br />

Leidenschaft zueinander. Jedoch zerbricht dies junge Glück nach nur 6 Monaten und der niedergeschlagene<br />

Johann verlässt Thann für immer. In seiner Verzweiflung meldet er sich freiwillig zum Dienst an der Waffe.<br />

Heute geht die moderne Brossa Forschung davon aus, dass er ca. 1916 im Kampf an der Ostfront sein Leben<br />

ließ. Vollständig geklärt wurde dies allerdings nie! Johann v. Brossa wurde nur 36 Jahre alt, er schenkte der Welt<br />

ein bemerkenswertes, um nicht zu sagen ein gewaltiges Oeuvre. Im Nachhinein betrachtet müssten wohl selbst<br />

Komponisten vom Format eines Arnold Schönberg einen nicht wieder gut zumachenden Fehler einräumen, ihn<br />

für einen Hochstapler und Spinner gehalten zu haben. Anders ist es nicht nachzuvollziehen, inwiefern ein solch<br />

begnadeter Komponist zu ewiger Ruhmlosigkeit verdammt ist. (Quelle: www.brossa.de)


134<br />

„Biografie“ unter http://www.brossa.de/download/bio_deutsch.pdf<br />

„Feuilleton Feature“ unter http://home.arcor.de/martin.kolb/brossa/download/zeitung.jpg


Von: Reinhard <strong>Knieper</strong><br />

An: Österreichische Akademie der Wissenschaften<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

2. Oktober 2005<br />

aufmerksam geworden durch eine Jazz-Quintett namens "Brossa" http://www.brossa.de/, das seine Auftritte im<br />

Raum München derzeit dem angeblich gigantischen Oevre eines viel zu wenig beachteten Komponisten namens<br />

Johann von Brossa widmet, der von 1880-1916 in Wien gelebt haben soll, erlaube ich mir die Anfrage, ob Ihnen<br />

dieser Komponist bekannt ist. Wenn ja, wäre ich für eine kurze Bestätigung und eventuelle Informationen<br />

dankbar.<br />

Ich bin selbst Musiker und Journalist und möchte es vermeiden, Opfer einer Eulenspiegelei zu werden. Als<br />

Anlage füge ich einen Zeitungsartikel und eine Biografie bei, die ebenfalls auf der Website der Band zu finden<br />

sind. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass die Kommission für Musikforschung einen solchen Komponisten<br />

übersehen haben soll.<br />

Mit freundlichen Grüßen und Dank im Voraus<br />

Reinhard <strong>Knieper</strong><br />

Sehr geehrter Herr <strong>Knieper</strong>,<br />

07.10.05<br />

herzlichen Dank für Ihren "Fund" samt Anhängen (vielleicht etwas zu blumig?)! Leider für unser<br />

Österreichisches Musiklexikon zu spät.... Wir arbeiten bereits am 5. und letzten Band (Schwe-Z) - und das ist<br />

kein Scherz. Es gibt zwar auch eine (so gut wie) ständig ergänzte Online-Version, aber da würde Ihr Brossa wohl<br />

nicht so schnell Einzug halten können (und schon gar nicht so einfach in Volltext allgemein zugänglich werden<br />

können, da der Zugriff mit Kosten verbunden ist).<br />

Personen mit längerer Vorgeschichte wie z. B. Otto Jägermeier haben da offenbar mehr Glück gehabt! Schauen<br />

Sie doch einmal ins Google-Net. OJ war immerhin schon im Riemann-Nachtragsband (12. Aufl.) aufgenommen<br />

worden und hat seitdem eine unglaubliche Karriere (samt Institut!) erreicht:<br />

http://www.bertoldhummel.de/pdf-dateien/hummel_jaegermeier.pdf<br />

Er ist sogar als Beispiel in folgendem Net-Lex. erwähnt! http://lexikon.freenet.de/Wissenschaftlicher_Witz<br />

Es gibt noch viel ältere! Auch schon bei Eitner (Biographisch-bibliographisches Quellen-Lexikon der Musiker<br />

und Musikgelehrten christlicher Zeitrechnung bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. 10 Bde. Leipzig<br />

1900*04; Nachtrag Leipzig 1904). Und wenn Sie "mein" Bruckner-Handbuch (1996, leider schon vergriffen)<br />

nicht nur durchblättern, sondern auch lesen, entdecken Sie (sogar über Verweise...) auch eine für Bruckner<br />

"wichtige" Person... Also: solche Einträge sind für Lexika fast schon ein "Muß"!<br />

Sie sollten das Thema ausarbeiten - aber OJ wird wohl ein fast unerreichbares Vorbild bleiben...<br />

Herzliche Grüße aus Wien<br />

Dr. Uwe Harten<br />

Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften<br />

Sehr geehrter Herr Dr. Harten,<br />

13. Oktober 2005<br />

wie Sie Sich vielleicht erinnern, galt meine Recherche ursprünglich der Frage, ob der österreichischen<br />

Musikwissenschaft ein Komponist namens Johann von Brossa bekannt ist. Ihren Ausführungen<br />

entnehme ich dazu keine eindeutige Stellungnahme. Gehe ich also recht in der Annahme, dass Sie<br />

die Existenz dieses Komponisten durchaus für möglich halten, aber selbst über keine konkreten<br />

Hinweise oder andere Quellen verfügen, die seine Existenz belegen?<br />

Ich frage deshalb so hartnäckig, weil es theoretisch auch möglich wäre, einen Komponisten dieses<br />

Namens zu erfinden. Es soll zwar Manuskripte geben, die auf ein immenses Oeuvre schließen lassen,<br />

doch hat diese Manuskripte nie jemand gesehen. Statt dessen verbreitet die Jazzgruppe "Brossa" den<br />

Eindruck, Komponisten wie Bruckner hätten aus Sicht der "modernen Brossa- Forschung" allen<br />

Grund, ihre Ignoranz gegenüber dem genialen Kollegen Johann von Brossa zu revidieren. Geht<br />

das nicht ein bisschen weit?<br />

Mit der Bitte um Verständnis für einen Musikjournalisten, der nicht jedem Promotion-Gag auf den Leim<br />

gehen möchte.<br />

MfG<br />

Reinhard <strong>Knieper</strong><br />

135


Sehr geehrter Herr <strong>Knieper</strong>,<br />

17.Okt.2005<br />

wie Sie ganz richtig vermuten, ist Herr von Brossa ebenso eine Erfindung wie der von mir<br />

erwähnte Herr Jägermeier. Der „Geburtsort“ Thann ist schön gewählt – winzig, aber sicher<br />

idyllisch gelegen. Die Biographie ist etwas zu blümerant… Aber vielleicht kommt ja auch er<br />

einmal ins Riemann-Musiklexikon. Ins Österr. Musiklexikon können wir nicht Existierende<br />

leider nicht aufnehmen.<br />

Nichts für ungut und herzliche Grüße<br />

Uwe Harten<br />

Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften<br />

von Reinhard <strong>Knieper</strong> an: info@brossa.de<br />

20.Oktober 2005<br />

Hallo Leute,<br />

anbei der Schriftwechsel, den ich in Sachen Johann von Brossa geführt habe. Irgendein<br />

Gefühl (kein böses) hat mir gesagt, ich soll der Sache nachgehen. Jetzt sieht es so aus, als<br />

gäbe es den verkannten Trombonisten gar nicht. Was sagt Ihr dazu?<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Reinhard <strong>Knieper</strong><br />

von: info@brossa.de<br />

sehr geehrter herr knieper,<br />

wenn das ouevre johann v. brossas bereits der musikwissenschaft hinlänglich bekannt wäre,<br />

wäre unsere arbeit allzu zweckfrei. ferner werden wir bestimmt die einmalige gelegenheit,<br />

exklusive interpreten dieses in der tat unbekannten werkes zu bleiben nicht leichtfertig aufs<br />

spiel setzen. die ignoranz der österreichischen musikwissenschaft interessiert uns als künstler<br />

hier wenig. doch dies alles nur am rande.<br />

was uns wirklich begeistert ist die beharrlichkeit mit der unser mitteleuropäischer kulturbetrieb<br />

(dem sie ja zweifelsfrei angehören) auf ihm fremdartige phänomene reagiert. es ist<br />

bezeichnend, daß die frage der beurteilung durch anerkannte wissenschaftlich-kulturelle<br />

autoritäten stets bei der "bewertung" unserer arbeit im vordergrund steht. dabei interessiert<br />

uns (und glücklicherweise auch das aufgeschlossene publikum) ja gerade der kulturelle<br />

grenzbereich, das unerforschte, unausgelotete, ungeklärte, die grauzone zwischen<br />

Komposition und improvisation, die ego-freiheit der kunst, die verselbständigung des werkes,<br />

also alles was j.v.brossa bewegte. schade, dass sie soviel energie verschwendet haben in<br />

dieses wunderbare zwielicht der kunst ein klares neonlicht der musikwissenschaft zu leuchten,<br />

und dabei die einmalige gelgenheit für ein grandioses essay über ein vielschichtiges konzert<br />

und eine für manchen möglicherweise merkwürdige aber faszinierende band, oder vielleicht<br />

sogar noch tiefere fragen verpasst haben. ihnen zu beweisen, dass johann von brossa gelebt<br />

hat und wir ihn unter allen umständen weiter am leben erhalten werden halten wir für<br />

zeitverschwendung.<br />

wir verbitten uns ferner unsere musikalische arbeit als "eulenspiegelei" zu bezeichnen...<br />

mit besten grüßen,<br />

the magic of brossa<br />

136<br />

23.Oktober 05


an: info@brossa.de<br />

Wer immer von Brossa auf E-Mails antwortet,<br />

23.Okt.2005<br />

solange Ihr es für Zeitverschwendung haltet, einem Journalisten, mit dessen Zitaten z. B. Marc<br />

Schmolling sich sonst ganz gerne schmückt, die Quellen für das Oeuvre J.v.B. offen zu legen, müsst<br />

Ihr Euch sogar den Vorwurf der "Scharlatanerie" und des versuchten Betruges gefallen lassen. Sorry,<br />

Eulenspiegelei ist wirklich zu hoch gegriffen für diesen pseudo-intellektuellen Schmarrn.<br />

Tatsächlich war Euer Auftritt der klingende Beweis dafür, warum den von Euch ausgebuddelten<br />

Trombonisten zu Recht niemand hören wollte. Besser und zugleich arroganter als Ihr kann man die<br />

Hohlheit von Kunst nicht auf die Bühne stellen. Strafpunkte gibt’s allerdings für Humorlosigkeit, die<br />

absolut Musiker unwürdig ist. Als Kontrabassist mit 50 Jahren Bühnenerfahrung weiß ich, wovon ich<br />

rede. Das sogenannte "aufgeschlossene Publikum" kann einem nur leid tun: ihr macht es zum Opfer<br />

seiner eigenen Naivität.<br />

So viel nur, damit Ihr etwas fürs Presse-Echo auf Eurer Website habt. Ins Japanische übersetzt kann<br />

es weltweit kaum schaden. Für einen grandiosen Essay über die Ego-Freiheit von Brossa hat es nicht<br />

gereicht. Ich behalte mir statt dessen vor, die Welt irgendwann mit dem gesamten Briefwechsel zu<br />

langweilen. Aber erst, wenn Ihr berühmter seid als Euer Patron. Und das kann dauern.<br />

Viel Misserfolg als verkannte Genies und zur Strafe unsterblichen Ruhm,<br />

das wünscht Euch zu Lebzeiten<br />

Euer Reinhard <strong>Knieper</strong><br />

ps: Von weiteren pseudo-intellektuellen Selbst-Beweihräucherungen bitte ich abzusehen<br />

Lieber Herr <strong>Knieper</strong>,<br />

23. 10 2005<br />

hiermit möchte ich auf Ihren vor Humor nur so strotzenden Brief antworten (natürlich mit einer grossen Portion<br />

Pseudo- Intellektualismus). Ich schreibe Ihnen deshalb, weil Sie sich so schön ärgern und aus unerklärlichen<br />

Gründen versuchen, einem Menschen (der übrigens komponierte und Klavier spielte und nicht, wie Sie<br />

behaupten, angeblich Posaunist gewesen sein soll) seine Existenz abzusprechen.<br />

Ich würde gerne erfahren, wie Sie überhaupt auf die Idee kommen, dass Johann von Brossa nicht gelebt haben<br />

soll. Es ist mir durchaus bewusst, dass ein Provinzblatt-Schreiberling wie Sie und noch dazu ein in die Kunst des<br />

Bassgeigenspiels-Eingeweihter, Freude und Genugtuung erfährt, wenn er junge Musiker, die noch nicht wie er<br />

selbst 50 Jahre auf den grossen Bühne der Welt standen, gerne mal durch den Dreck zieht und sich an seinem,<br />

von einem grossen Geist zeugenden Urteil, selbst ergeifert. Ich kann Ihnen versichern, dass uns rein gar nichts<br />

daran liegt, unsere wenigen Zuhörer übers Ohr zu hauen.<br />

Wenn unser Konzert Ihrem feinem Gehör nicht gut bekam, dann tut es mir natürlich sehr leid. Ich habe<br />

allerdings - und ich hoffe Sie nehmen mir das nicht übel, die leise Vermutung, dass Sie gar nicht dem Konzert<br />

gelauscht haben, sondern den ganzen Abend von dem Gedanken gequält wurden, ob Johann von Brossa<br />

vielleicht aus einem anderen Planetensystem stammt. Ich frage mich nun rein hypothetisch, ob es einen<br />

Unterschied machen würde, wenn wir an dem besagtem Abend langweilige Bläsermusik Mozarts verhunzt<br />

hätten? Wäre es dann möglich gewesen, Ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen?<br />

Das Konzert war wohl das schlechteste, welches die Gruppe seit ihrem Bestehen gegeben hat. Das können sie<br />

ruhig in Ihre Kritik schreiben, meinetwegen auch, dass es Johann von Brossa gar nicht gab. Ich kann Ihnen aber<br />

versichern, dass wir deswegen nicht aufhören werden, unsere geliebten Bearbeitungen Brossas weiter zu<br />

verfeinern, um dieser Musik gerecht zu werden, wenn auch vielleicht manchmal stümperhaft.<br />

Johann von Brossa hat es gegeben, und er war und ist für viele Menschen wichtig! Nur weil Sie noch keine<br />

Noten zu Gesicht bekommen haben, heisst dies doch noch lange nicht, dass nicht andere Menschen, z.B. meine<br />

Schüler, gerne einfache Stücke des Meisters spielen. Meinen Schülern liess ich sogar einmal einen kurzen<br />

Einblick in die Originalnoten gewähren. Um Ihnen noch ein Beispiel zu geben: ein guter Freund meinerseits<br />

wird in Kürze das D-Dur Cello-Konzert von Haydn mit einer Brossaschen Kadenz in Bamberg und Bayreuth zu<br />

Aufführung bringen. Wenn es noch Karten gibt, werde ich Ihnen gerne welche zukommen lassen.<br />

Ausserdem hoffe ich, dass ich Sie beruhigen kann, wenn ich Ihnen sage, dass ich mir nach dem Geschehenen<br />

sehr gut vorstellen kann, dass der zu Unrecht mit guten Kritiken bedachte Pianist Marc Schmolling, eben eine<br />

solche, die eines grossen Journalisten - und ich möchte hier bewusst auf einen Namen verzichten - bald von<br />

seiner Webseite nehmen wird. 50 Jahre (wow!) Bühnenerfahrung am Violone, versteckt hinter diesem<br />

wunderschönen grossen und sonoren Instrument, sind eine lange Zeit des Reifens und ein sehr guter, wenn nicht<br />

sogar der beste Humus, auf dem kritisches Bewusstsein gedeihen und gären kann.<br />

Mit freundlichsten Grüssen,<br />

Ihr Wanja Slavin<br />

137


Sehr geehrter Herr Slavin,<br />

24.Okt.2005<br />

1. das mit dem "Trombonist" stammt nicht von mir, sondern aus Eurer PR, wie eine Suche mit Google lehrt.<br />

2. Auf die Idee, nach JvB zu forschen, bin ich gekommen, weil ich ihn nicht kenne. Ist das ein schlimmes<br />

Motiv? Wenn dann auch noch österreichische Musikwissenschaftler mir bestätigen, dass sie nie etwas von JvB<br />

gehört haben, sollte das kein Grund sein, diese Wissenschaftler zu beleidigen, sondern sie eines Besseren zu<br />

belehren, indem man Ihnen entsprechende Nachweise liefert. Daran scheint jedoch kein Interesse zu bestehen.<br />

3. Wie Sie zu Ihren ganzen Herabsetzungen und Beleidigungen meiner Person kommen, nur weil ich Ihnen fair<br />

die Ergebnissen meiner Recherche mitgeteilt und Sie um Stellungnahme gebeten habe, wissen Sie allein. Ich<br />

jedenfalls kann keinerlei Bösartigkeit darin entdecken, wenn ein Journalist eine Spur verfolgt, die niemand außer<br />

Euch gelegt hat. Es spricht im Gegenteil für echtes Interesse und nicht für das Bedürfnis, junge Leute in den<br />

Dreck zu ziehen.<br />

Wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, das Werk eines unbekannten Meisters öffentlich zu preisen und<br />

zu pflegen, ohne auf berechtigte Fragen nach Quellen und Existenznachweisen antworten zu wollen (oder zu<br />

können?), ist mir rätselhaft. Auch kann es mit der Hochachtung für einen Meister, die kein anderer teilen darf,<br />

nicht weit her sein. Das stimmt alles hinten und vorne nicht. Dabei wäre es doch ein Leichtes, Fragen zum<br />

Verstummen zu bringen.<br />

4. Ich bedauere sehr, durch mein Interesse böses Blut in Wallung gebracht zu haben. Weder habe ich Sie<br />

beleidigt, noch habe ich schlecht über Sie geschrieben noch habe ich Ihnen sonst irgendwie geschadet. Statt<br />

dessen habe ich schlicht und einfach meine journalistische Pflicht getan, habe recherchiert und bin meiner<br />

musikalischen Neugierde gefolgt Sie sollten darüber nachdenken, was daran so schlimm ist, daß es ihre<br />

Beleidigungen rechtfertigt. Wegen Ihrer Taubheit gegenüber Mozart werde ich für Sie beten.<br />

Grüße auch an die anderen<br />

Reinhard <strong>Knieper</strong><br />

Anlagen:<br />

138<br />

Angebliche Biografie unter http://www.brossa.de/download/bio_deutsch.pdf<br />

Angeblicher Zeitungsartikel unter http://home.arcor.de/martin.kolb/brossa/download/zeitung.jpg<br />

Ende der Recherche


139<br />

„Guter-Laune-Mix“ von Triorange<br />

Marion Dimbath, Robert Klinger und Alex Czinke im Jazz Club Hirsch<br />

Datum: 06.10.05<br />

Moosburg. Das Publikum hat<br />

lange warten müssen, bis am<br />

Mittwoch nach mehrfacher,<br />

krankheitsbedingter Absage<br />

nun doch noch das Gastspiel<br />

der Gruppe „Triorange“ über<br />

die Bühne des Jazz Club<br />

Hirsch gehen konnte. Multi-<br />

Talent Marion Dimbath an<br />

Posaune, Zugtrompete,<br />

Glockenspiel und Gesang,<br />

sowie Robert Klinger am<br />

Kontrabass und Alex Czinke,<br />

Gitarre, servierten unter dem<br />

Motto „Wir spielen alles, was<br />

Spaß macht“ wieder ihren gut<br />

geschüttelten „Gute-Laune-<br />

Mix“, der seine stimulierende<br />

Wirkung auf die zahlreich<br />

erschienenen Besucher nicht<br />

verfehlte.<br />

Was dem sympathischen Trio aus München alles Spaß macht, hat keineswegs nur mit Jazz zu tun. Das<br />

musikalische Spektrum reicht von bekannten Billy Holliday-Standards wie „Them there eyes“ oder Marilyn<br />

Monroes Wisper-Ballade „My heart belongs to dady“ über deutsche Chansons wie „Die Regenzeit“ oder den<br />

kubanischen Ohrwurm „El Cafetal“ bis hin zur französischen Eigenkomposition „Ne vous en faites pas“ oder<br />

Robert Klingers „Flower Power“ und Alex Czinkes „Very patient“.<br />

Aufgrund der Trio-Besetzung stehen die instrumentalen und solistischen Fähigkeiten der drei Akteure ständig im<br />

Rampenlicht, was von jedem Mitspieler ein hohes Maß an Präsenz und Spielfreude verlangt. Da die sparsame<br />

Instrumentierung außerdem ständig zwischen E-Gitarre und Naturgitarre, Posaune und Zug-Trompete,<br />

Kontrabass und Glockenspiel wechselt, ist stets für Überraschungen gesorgt. Zentrale Attraktion für Auge und<br />

Ohr bleibt jedoch stets Marion Dimbath selbst, deren Vielsprachigkeit und Musikalität das Publikum immer<br />

wieder mit Bewunderung erfüllt. Ohne ihren kühlen Charme und ihre mädchenhafte Ausstrahlung würde so<br />

mancher Song wohl kaum den Weg bis ins Zentrum des Wohlgefallens finden, ist es doch erst Marion Dimbaths<br />

natürliche Art des Vortrags, die einfach alles genießbar zu machen scheint.<br />

Eine auffällige Weiterentwicklung in Sachen Repertoire oder Inspiriertheit des Zusammenspiels war seit dem<br />

letzten Auftritt von Triorange im Januar 2003 nicht festzustellen, doch erfüllte das Programm auch so viele<br />

Wünsche, die man an einen unterhaltsamen Abend haben kann. Dass der Jazz bei Triorange nur eine Spielart<br />

unter vielen ist, passt im übrigen zum bisherigen Verlauf der noch jungen Saison im Jazz Club Hirsch: Nach dem<br />

„Headbangen mit Köpfchen“ der Gruppe „Panzerballett“, der postmodernistischen Kopfgeburtmusik von<br />

„Brossa“ und dem „Gute-Laune-Mix“ von Triorange lassen Soul, Swing und Straight-Ahead-Jazz weiter auf sich<br />

warten. –rk-


140<br />

Eine doppelte Ladung Musikalität<br />

„Kick la Luna“ brachte den Jazz Club Hirsch auch als Duo zum Jubeln<br />

Datum: 21.10.05<br />

Moosburg. „Kick la Luna“, das fetzige Frauen-Quartett aus Frankfurt, trat am Mittwoch im Jazz Club Hirsch vor<br />

vollem Haus zwar nur in Duo-Besetzung auf, doch hielten Elke Voltz (Lead Gesang und Gitarre) und Ulrike<br />

Pfeifer (E-Bass, Gitarre, Perkussion und Gesang) allemal, was die Ankündigungen versprochen hatten. Natürlich<br />

in ihrer Ausstrahlung und trotzdem professionell bis unter die Haarwurzeln nahmen die beiden ungleichen<br />

Künstlerinnen die Bühne in Beschlag, ließen eine doppelte Ladung Musikalität und Temperament auf die<br />

Besucher los und fanden angesichts des begeisterten Echos offensichtlich selbst immer mehr Gefallen an ihrem<br />

„Notprogramm“, das sie in Ermangelung ihrer beiden verhinderten Mitstreiterinnen für Moosburg<br />

zusammengebastelt hatten.<br />

Eine Gitarre oder zwei, ein zart aber präzise gezupfter E-Bass und ein bisschen Getrommel auf dem Tamburin,<br />

dazu ein ausdrucksvoller Mezzosopran von Elke Voltz und ein sonorer Alt von Ulrike Pfeifer, die sich stimmlich<br />

astrein ergänzten, mehr brauchte es nicht, um querbeet durch alle Stilarten und Sprachen die musikalische Welt<br />

von Kick la Luna zu durchstreifen. Von Notprogramm keine Spur, wenn auf das lappländische Jodeln bzw.<br />

„Joiken“ in samischer Sprache eine Ode an die Göttin der Morgenröte aus Neuseeland folgte, oder ein spanischer<br />

Gassenhauer über einen amerikanischen Matrosen in der Hafen-Bar zum Refrain-<br />

Mitgrölen einlud. Jazzige Töne aus Gershwins „Summertime“ mischten sich schwesterlich mit dem<br />

argentinischen „Gracias a la Vida“ von Mercedes Sosa oder dem in die Jahre gekommenen Stevie Wonder-Hit<br />

„Sunny“, und auch Willy Michls Klampfen-Geraunze vom Tausendjährigen Eskimo fiel kaum aus dem Rahmen,<br />

führte Ulrike Pfeifers „boarischer Scharm“ doch deutlich vor Ohren, wie es wohl für Amerikaner klingen mag,<br />

wenn Bayern Englisch singen.<br />

Grenzenlos auch die musikalischen Querverbindungen zwischen Vaja con Dios und Anastacia, einem<br />

portugiesischen „Mama Africa“ aus Brasilien und der angelsächsisch gereimten Eigenkomposition „Deep<br />

inside“, bei der jedes Mal 13 Jahre „Kick la Luna“- Geschichte an den Musikerinnen vorbeifliegen müssen,<br />

gehörte dieser Song doch seit Gründung zu den Ur-Knallern der Band. Um so interessanter, ihn nun in einer<br />

Trio-Version mit Percussion-Meister Roman Seehon zu erleben, der zum Dank dafür, dass er Kick la Luna nach<br />

Moosburg geholt hatte, zu einem perfekten musikalischen Dreier auf die Bühne gebeten wurde.<br />

Sein rhythmischer Rückhalt setzte bei seinen Mitspielerinnen noch einmal zusätzliche Kräfte frei, sodass man zu<br />

ahnen begann, warum Kick la Luna das Prädikat „Ethno Funk“ im Wappen trägt. Stille Komik und hörbare<br />

Musikalität dann noch einmal in Gloria Gaynors „I am what I am“, das in der Interpretation von Elke Voltz zu<br />

den Highlights des Abends zählte, bevor mit einer ebenfalls urkomisch dargebotenen „Barfly“-Zugabe der<br />

Abschied nahte. Allen im Hirschwirt war plötzlich anzumerken, dass manche Abende viel zu rasch vergehen, um<br />

zu begreifen, wie viel Talent und Können, Charme und Musikalität da gerade mal wieder über die Bühne<br />

gehuscht waren. –rk-


141<br />

Wenn der Hirschwirt zum „Saloon“ wird<br />

Datum: 03.11.05<br />

Hoher Lärmpegel im Jazz Club Hirsch beeinträchtigte das Hörerlebnis bei „Tales“<br />

Moosburg. „Full House“ lautete am Mittwoch die Parole, als im Jazz Club Hirsch das Quartett „Tales“ aus<br />

München seine Aufwartung machte. Vier erfahrene Meisters ihres Fachs, Schlagzeuger Stephan Schmeußer,<br />

Saxophonist Gert Kaiser, Gitarrist Kurt Härtl und Bassist Thorsten Soos, schauten nach ihrem ersten<br />

Moosburger Gastspiel im Frühjahr 2004, bei dem auch einige Stücke ihrer aktuellen Live-CD „VierNullVier“<br />

entstanden waren, zum zweiten mal im Jazz Club Hirsch vorbei und freuten sich über das rege<br />

Publikumsinteresse.<br />

Was sie nicht wissen konnten: in letzter Zeit<br />

hat ein rapide anwachsender Kundenkreis<br />

aus überwiegend jungen Leuten den<br />

Hirschwirt für den neuesten Szene-<br />

Smalltalk entdeckt, und das leider auch am<br />

Mittwoch, der seit Jahren traditionell für<br />

Live-Musik-Auftritte im Jazz Club<br />

reserviert ist. Die „Tales“- Musiker selbst,<br />

aber auch das interessierte Konzertpublikum<br />

konnten sich an diesem Abend nur schwer<br />

Gehör verschaffen gegen den anfangs noch<br />

zurückhaltenden, dann aber immer stärker<br />

anschwellenden Geräuschpegel. Die<br />

Gelassenheit, mit der die Musiker dagegen<br />

anspielten, ohne auch nur eine Miene zu<br />

verziehen, war nicht nur aller Ehren wert,<br />

sie führte leider auch dazu, dass einige<br />

Ober-Ratschn gar nicht merkten, dass andere lieber zugehört hätten.<br />

So wurde das Hörerlebnis zwar in Mitleidenschaft gezogen, doch lohnte sich der Besuch allemal. Nach vier<br />

vorausgegangenen Abenden, an denen entweder experimentelle oder periphere Spielarten des Jazz im<br />

Mittelpunkt gestanden hatten, war dies endlich wieder ein Abend, der auch einfache Jazzerherzen höher schlagen<br />

ließ. Bei „Kill the Comedian“ im Neo-New Orleans Sound durfte endlich wieder einmal der Fuß mitwippen und<br />

sogar der ganze Oberkörper geriet in Bewegung bei Up-Tempo-Stücken wie „Go“ oder der swingenden<br />

Halftime-Polka „Neues Spiel- neues Glück“, einer Widmung an den „Spieler“ in Bassmann Thorsten Joos, der in<br />

Bad Kötzting schon so manche Gage auf den Kopf gehauen hat, wie er selbst berichtete.<br />

Titel wie „39 Grad im Schatten“ oder „Vier zu drei“ erscheinen zwar kompositorisch „einfach gestrickt“ zu sein,<br />

doch erlauben sie erfahrenen Musikern gerade deshalb ein hohes Maß an kreativer Freiheit, von der alle Vier im<br />

Laufe des Abends reichlich Gebrauch machten. Bemerkenswert dabei das blinde Verständnis untereinander, das<br />

sich zu mitreißenden Grooves verdichtet, die ohne spektakulären Aufwand oder technische Kabinettstückchen<br />

sehr solide unter die Haut gingen. Solistisch standen sich die Vier in nichts nach, wobei Gitarre und Tenor- bzw.<br />

Sopransaxophon naturgemäß den Löwenanteil der improvisatorischen Frontarbeit verrichteten.<br />

Gitarrist Kurt Härtl überzeugte gleichermaßen durch geschmackvolle Fills, mit denen er seine Mitspieler zu<br />

immer neuen Kapriolen ermunterte, wie durch eigene solistische Parts, in denen er selbst um Erzähler<br />

spannender „Tales“ (zu deutsch: Geschichten) wurde. Obwohl Saxophonist Gert Kaiser nicht mit dem fetten Ton<br />

großer Coltrane-Epigonen gesegnet ist, sondern sich soundmäßig eher in Gefilden zwischen Paul Desmond und<br />

Stan Getz bewegt, faszinierte er durch Ideenreichtum und Ausdruckskraft, die bei ihm nie routiniert klang,<br />

sondern immer direkt und schnörkellos aus dem Gefühlszentrum zu kommen schien.<br />

Garant für präzise und zugleich klangvoll-raffinierte Trommelarbeit war Stephan Schmeußer, der sowohl als<br />

Begleiter als auch solistisch voller Überraschungen steckte und jedem Stück einen eigenen und möglichst<br />

typischen Groove-Stempel aufdrückte. Bei seinen Soli konnte es vorkommen, dass man unwillkürlich zwei mal<br />

hinschaute, ob inzwischen vielleicht ein zweiter Trommler auf der Bühne Platz genommen hat, so<br />

polyrhythmisch und zugleich polyphon ließ er seine Stöcke durcheinander wirbeln. Souveräne Ruhe und<br />

profunde Musikalität ging von Thorsten Soost auf dem E-Bass aus, auch dann noch, wenn andere im<br />

Durcheinander wechselnder Tempi bereits heimlich nach der „Eins“ zu suchen schienen. Sein Sound und sein<br />

Saiten-Anschlag kommen dem eines Kontrabassisten immer näher, sodass auch traditionellere Swing- oder<br />

Bebop-Basslines bei ihm authentisch klingen. Meisterlich außerdem sein Umgang mit dem E-Bass, dem er in<br />

hohen Lagen gerade noch lyrische Melodien entlockt hat, bevor er sich zu knackigen Slap-Attacken plötzlich in<br />

die Tiefe stürzt.<br />

Bezüglich der Stilistik wird vornehmlich Bekömmliches und Eingängiges zwischen, Swing und Latin, Neo-<br />

Traditional und Smooth-Jazz kredenzt, was mit ein Grund dafür sein könnte, dass die einen im Saal genussvoll<br />

mitgingen, während andere akustisch auf Durchzug stellten und nur dann zuhörten, wenn Ihnen selbst gerade der<br />

Gesprächsstoff ausging. Alles in allem könnte etwas dran sein an dem Schluss, den ein erschöpfter Zuhörer am<br />

Tresen während des Schlussapplauses von sich gab: „Mit ihrem Sound zwischen Country, Swing und Fusion<br />

haben sie den Cowboy in uns geweckt. Kein Wunder, dass der Hirschwirt zum Saloon wurde“. –rk-


142<br />

Kammer-Jazz vom Feinsten<br />

„Flute Flash“ zog selbst eingefleischte Power-Jazz-Fans in seinen Bann<br />

Datum: 10.11.05<br />

Moosburg. Einen genussreichen<br />

Abend erlebten am Mittwoch die<br />

Freunde filigraner und sensibler<br />

Kammer-Jazzmusik beim gut<br />

besuchten Gastspiel des<br />

Münchener Trios „Flute Flash“ mit<br />

Monika Olszak (Querflöte,<br />

Altsaxophon), David Roberts<br />

(Klavier) und Benjamin Schäfer<br />

(Kontrabass) im Jazz Club Hirsch.<br />

Mit einer erlesenen Auswahl von<br />

Stücken, darunter Klassiker von<br />

Thelonius Monk und Charly<br />

Parker, Jim Hall, Mal Waldron und<br />

John Coltrane, aber auch<br />

brasilianische Bossas von Nelson<br />

Ayers oder Egberto Gismonti,<br />

sowie durchaus ebenbürtige<br />

Eigenkompositionen von Monika Olszak, demonstrierten die drei Könner Kammerjazz vom Feinsten und zogen<br />

selbst eingefleischte Power-Jazz-Fans in ihren Bann.<br />

Hauptgrund für die Faszination war mit Sicherheit das blinde musikalische Verständnis, mit dem die drei auch<br />

ohne Rhythmusinstrument jedes Stück zum Grooven oder Swingen brachten, je nach dem, welche Gangart<br />

gerade angesagt war. David Roberts am Klavier und Benjamin Schäfer am Kontrabass bildeten dabei mitunter<br />

eine derart dichte und pulsierende Einheit, dass Monika Olszak förmlich auf S(ch)wingen getragen wurde, was<br />

ihr wiederum die Freiheit zu ungewöhnlich kreativen und nie routiniert wirkenden solistischen Exkursionen gab.<br />

Stets ohne Noten und sogar unter Verzicht auf die sonst gängigen „Cords“, also die Kurz-Notation harmonischer<br />

Akkordfolgen, improvisierte Monika Olszak frei aus dem Gedächtnis und meisterte selbst komplizierte<br />

„Changes“ mit bewundernswerter Leichtigkeit.<br />

Die Vermutung, dass die Querflöte zu Recht ihr Hauptinstrument sein dürfte, soll die guten Ansätze auf dem<br />

Altsaxophon nicht schmälern, die erstens einen willkommenen Kontrast bilden zur Flöte, und die außerdem zu<br />

manchen Stücken aus der Bebop- oder Hardbop-Ära einfach besser passen. Dennoch gehen Monika Olszak die<br />

sanfteren Flötentöne wesentlich flüssiger und natürlicher über die Lippen, wie beispielsweise bei den schnellen<br />

Piano-Unisono-Passagen in Gismontis „Prego“ oder in der wunderschönen Eigenkomposition „Sarah“.<br />

Kontrabass in seiner perkussiveren Ausführung ist eine Spezialität von Benjamin Schäfer, der als „ständiger<br />

Vertreter“ von Sava Medan nach Moosburg kam und sich auf Anhieb viele Freunde machte durch seine<br />

ungemein rhythmische Spielweise, die nicht nur die Hörer, sondern auch seine Mitspieler mitunter ein wenig aus<br />

dem Tritt brachte. Dazu die scheppernden Materialgeräusche beim kraftvollen Zupacken auf der tiefen E-Saite<br />

und das Drum’n Bass Duett war fast perfekt.<br />

Als Garant für ungemein swingende Soli und einfühlsame Begleitung erwies sich einmal mehr Davide Roberts,<br />

der das gute, alte Hirsch-Klavier durch die Präzision seines Anschlages und die Dynamik seiner Phrasierung in<br />

den reinsten Konzertflügel zu verwandeln schien. Ihm zuzuhören, vor allem im Zusammenspiel mit einem<br />

kongenialen Bassisten wie Benjamin Schäfer, war allein schon den Besuch des Jazz Clubs wert.<br />

Durch ihre unprätentiöse und natürliche Art des Auftretens und Musizierens eroberte sich Flute-Flash-Chefin<br />

Monika Olszak Herzen, Augen und Ohren des Publikums und wurde durch anhaltenden Beifall nicht nur zu<br />

einer Zugabe, sondern hoffentlich zu noch weiteren Gastspielen in Moosburg aufgefordert. –rk-


143<br />

„Jazz dont panic“<br />

Datum: 25.11.05<br />

Mit einer kraftstrotzenden Fusion aus Jazz, Funk, Blues und Rock bis zu Free, Etno und sogar<br />

Ska brachte die Band „Jazz dont panic“ am Mittwoch den Jazz Club Hirsch bereits zum dritten Mal zum<br />

Erbeben. Kein Wunder, setzt sich doch der Name der 1989 von Wolfgang Mesch gegründeten Band zusammen<br />

aus dem Zitat von Douglas Adams „don´t panic“ aus “per Anhalter durch die Galaxis“ und eben Jazz als<br />

musikalischem und weit gefassten Oberbegriff.<br />

Von Beginn an schwebte dem Multitalent Wolfgang Mesch ein Gruppenkonzept vor, indem sich eigene<br />

Kompositionen als persönliche Synthese aus unterschiedlichsten Stilen, wie Freejazz, experimentellem Rock,<br />

Freefunk, serieller Musik, Ethno, mit dem improvisatorischen Talent der versierter Mitspieler verbinden. Mit<br />

keineswegs immer freundlichen, dafür aber ungemein kraftvollen und immer sehr lauten „Grüssen aus der<br />

Hasenstrasse“, ihrer neuen CD, haben Wolfgang Mesch (Saxofon; Komposition), Albert Frische (E-Gitarre),<br />

Nick Hogl (E-Bass, Kontrabass) und Karsten Helmbold (Akustische und elektrische Percussion, Sampler) dieses<br />

Konzept auch am Mittwoch im Jazz Club Hirsch wieder sehr überzeugend in die Tat umgesetzt. –rk-


144<br />

Datum: 08.12.05<br />

Auf seiner Wintertournee 2005 machte Bandleader und Trompeter Martin Auer mit seinem Quintett auch in Moosburg Station.<br />

Jedes Stück ein spannendes Erlebnis<br />

Martin Auer Quintett demonstriert musikalischen Fortschritt im Jazz Club Hirsch<br />

Moosburg. Da waren sie wieder, die fünf Globetrotter in Sachen Modern Jazz, die am zehnten Tag ihrer<br />

Wintertour 2005 nach Würzburg und Rosenheim, Stuttgart und Düsseldorf, Abensberg und Regensburg, Erfurt,<br />

Landshut und Mannheim am Mittwoch auch in Moosburg Station machten und den Besuchern des Jazz Club<br />

Hirsch einen Konzertabend der Superlative bescherten. Danach steht fest: das Martin Auer-Quintett wird von<br />

Jahr zu Jahr besser und hat auch bei seinem Gastspiel 2005 neue Maßstäbe gesetzt.<br />

Begünstigt durch die unverkennbare Routine, die im Verlauf einer Tournee entsteht, riss das blinde Verständnis<br />

füreinander und die ansteckende Spielfreude der fünf Protagonisten die Zuhörer derart von den Sitzen, dass<br />

kollektive Begeisterungsstürme nach jedem Solo bald die Regel waren. Unaufdringlich in der Lautstärke und<br />

dennoch ungemein präsent demonstrierten Bandleader Martin Auer (29, Trompete und Flügelhorn), Florian<br />

Trübsbach (29, Alt- und Sopransaxophon), Jan Esche (29, Klavier), Andreas Kurz (26, Kontrabass) und Bastian<br />

Jütte (32, Schlagzeug), dass man auch im Jazz Club Hirsch jene berühmte Stecknadel fallen lassen hören kann,<br />

wenn... ja, wenn die Musik nur spannend genug ist.<br />

Schon Eigenkompositionen wie „Creme Kamel“ mit einem wunderbar gestrichenen Basssolo, oder „Der<br />

englische Teppich“, bei dem sich Piano und Trompete an Virtuosität übertrafen, oder „Der Abrund“ mit seinem<br />

ungemein pulsierenden Groove erfüllten diese Voraussetzung in hohem Maße. Stücke wie „Rückkehr des<br />

Bibers“ mit seinem fulminanten Schlagzeug-Solo, oder „Cassiopeia“ mit seinem bis zur Raserei anschwellenden<br />

Sopransolo, oder weitere Eigenkompositionen wie „Hasenkälte“, „Hotel Ivera“, „Social Art“ oder „Indi Jazz“<br />

machten dann deutlich, dass das Martin-Auer-Quintett jedes, aber auch wirklich jedes Stück zum spannenden<br />

Hörerlebnis machen kann, und zwar kraft einer intelligent und sensibel aufgebauten musikalischen Dramaturgie,<br />

die selbst oberflächlich interessierte Besucher in ihren Bann zieht.<br />

Als Repräsentanten einer neuen „U30“-Jazzer-Generation, die auf dem Erbe einer ungleich wilder und<br />

individueller aufgewachsenen Generation von Nachkriegspionieren aufbauen konnte, profitierten alle fünf<br />

Mitglieder des Martin Auer Quintetts bekanntlich schon während der gemeinsamen Studienzeit in München,<br />

Berlin und Mannheim und später dann im Bundes-Jazzorchester von einer inzwischen öffentlich geförderten<br />

Jazzkultur, deren Früchte nun hörbar werden, und zwar in Form eines deutlich erkennbaren musikalischen<br />

Aufschwungs.<br />

Ein Teil des Hörgenusses im Hirschwirt beruhte denn auch auf der Erkenntnis, dass in einer Musikkultur, deren<br />

positive Errungenschaften manchmal nur noch schwer messbar erscheinen, doch so etwas wie Fortschritt<br />

möglich ist, und zwar ausgerechnet im Jazz, bzw. in der progressiven Beherrschung seines Instrumentariums und<br />

seiner Stilmittel durch die nächste Generation. Auf der Website www.martinauer.de hört sich das so an: „Das in<br />

fünfjähriger Zusammenarbeit gewachsene Vertrauen ermöglicht es uns, auch in ausgefeilten Kompositionen den<br />

emotionalen Fluss zu wahren und uns jederzeit über die Grenzen eines Stückes hinweg zu setzen.“<br />

Sich das musikalische Erbe vorzustellen, das ein in die Jahre kommendes Martin-Auer-Quintett der nächsten<br />

„U30“-Musiker-Generation dereinst hinterlassen wird, lässt schon heute Vorfreude aufkommen. Wem diesmal<br />

im Jazz Club Hirsch das Mitsingen beim einen oder anderen Stück noch schwer gefallen sein mag, sei daran<br />

erinnert: oft geben gute Stücke ihre wahre Schönheit erst beim wiederholten Zuhören preis. -rk-


145<br />

Datum: 26.12.05<br />

Das Original in fröhlichsten Händen<br />

„United Weihnachten“ feierte im Jazz Club Hirsch ein wahres Fest der Liebe<br />

Moosburg. Kultig wie eh und<br />

je ging es am Vorabend von<br />

Heiligabend im Hirschwirt<br />

zu, als der Jazz Club Hirsch<br />

wieder zu seiner traditionell<br />

fröhlichen Weihnachtsfeier<br />

mit „United Weihnachten“<br />

einlud. Auf dem Programm<br />

stand wie seit Jahren jene<br />

hinter- bis unsinnige, ja,<br />

manchmal auch blödsinnige<br />

Mischung aus Anarcho-<br />

Humor und Brauchtums-<br />

Parodie, Kantaten-Karikatur<br />

und Krippenspiel-Klamauk,<br />

mit der Karl Muskini,<br />

(Posaune, Gesang), Niki<br />

Neidinger, (Geige, Gesang),<br />

Andi Gleixner (Rhythmus,<br />

Keyboard, Gesang), Robert Bischoff (Basstuba, Gesang) und „Äxman“ (Gitarre, Gesang) alle Jahre wieder um<br />

die Weihnachtszeit die Gemüter von Menschen erfreuen, deren Kinderglaube ans Christkind irgendwann von der<br />

Weihnachtsindustrie entzaubert wurde.<br />

Schon die Vorgruppe „Christstollen“ mit Karl Musikini und Robert Bischoff als raue Spielgesellen aus dem<br />

Übermorgenland wurde gegen 22 Uhr mit Riesenjubel durchs brechend volle Lokal auf die Bühne geleitet und<br />

stimmte die Fans mit zweistimmigem Blech zur Nonsens-Begleitung auf die berühmt-berüchtigte XMAS-<br />

Besinnlichkeit à la Hirsch ein. Mit drei weiteren Phantasiegestalten aus der großen Raunacht-Familie derer von<br />

Krampus, Hexen & Perchten war das unheilige Quintett dann vollzählig auf der kleinen Hirschbühne versammelt<br />

und zog die deutscheste aller Gemütsbewegungen, die Weihnachtsstimmung, nach allen Regeln der Comedy<br />

durch den Kakao.<br />

Wer Musikinis christlichem Rat „Versetzt euch in eine Schnuppe, die ein Stern ist“ nachkam, konnte nach viel<br />

täuschend echt imitierter Weihnachtsstuben-Amateurmusik („Wer klopfet an? - O, gib uns eine Wurscht“),<br />

Drogen-Parodien („Leise rieselt der Schnee“) oder „Great Pretender“-Hymnen („Vergesst nicht, jeder ist ein<br />

Großer“) zunächst das<br />

Playback- „Krippenspiel<br />

2006“ miterleben, das sich<br />

inmitten der zunehmenden<br />

Quatsch-Kultur im<br />

Hirschwirt zwar als schwer<br />

verständlicher aber doch<br />

genial-komischer Vorgriff<br />

auf das Mozartjahr 2006<br />

entpuppte, bevor sich<br />

Musiker und Besucher bei<br />

<strong>Jane</strong> Birkins Stöhn und<br />

Seufz-Remake „Je t’aime“<br />

endgültig in den Armen<br />

lagen. Fazit: solange das<br />

Fest der Liebe in<br />

Wirklichkeit immer mehr<br />

zur Parodie wird, ist das<br />

Original bei „United<br />

Weihnachten“ in den<br />

fröhlichsten Händen. –rk- „United Weihnachten“ erfreut Menschen, deren Kinderglaube<br />

irgendwann von der Weihnachtsindustrie entzaubert wurde


146


147<br />

Hoch lebe die leise Lounge-Musik<br />

Datum: 30.01.06<br />

Norbert Bürgers „Frankie Boys“ bringen Licht ins Schattendasein von Berufsmusikern<br />

Moosburg. „Unser“ Norbert Bürger hatte sich Mitte letzter Woche im „Jazz Club Hirsch“ angesagt, was<br />

allein schon Grund genug gewesen wäre, dem zur Zeit berühmtesten Jazz- und Comedy- Gitarristen des<br />

Landkreises die Ehre zu geben. Darüber hinaus sorgte die Aussicht, den frisch gebackenen Träger des<br />

Deutschen Kleinkunstpreises zusammen mit Matthias Engelhardt am Bass und Matthias Kaiser am<br />

Altsaxophon als „Frankie Boys“ zu erleben, und zwar mit einer „Hommage für Frank Sinatra“, im<br />

Hirschwirt nicht nur für ein volles Haus, sondern auch für hoch gespannte Erwartungen.<br />

Würde der vorübergehend aus<br />

seinem Pullunder-Dasein<br />

erlöste OBK- Komiker nun<br />

plötzlich als „Stranger in the<br />

Night“ auferstehen und die<br />

Sinne seiner Fans mit Gold in<br />

der Stimme umschmeicheln?<br />

Würde er, Whisky trinkend,<br />

Hut im Genick und Zigarette<br />

im Mundwinkel, seine<br />

Sehnsucht nach irgendeiner<br />

„Laura“ in die Nacht hinaus<br />

schmachten? Alles schien<br />

möglich, und so waren auch<br />

die Lachmuskeln bei Kennern<br />

des Klang-Komikers in<br />

höchster Alarmbereitschaft,<br />

als gegen 21.30 Uhr kaum<br />

hörbar der Evergreen „Night<br />

and Day“ von der Bühne kam.<br />

Fragende Gesichter: War das ein Rekordversuch im „Leiser spielen geht nicht“? Oder einfach nur das, was von<br />

Cole-Porters Welthit nach Kaffee-Aroma-Werbung, jahrzehntelanger Kaufhausberieselung und ultimativer<br />

Chill-out-Verpackung noch übrig geblieben ist?<br />

„Wir spielen Hintergrundmusik! Ihr steht im Vordergrund“ vernahm die anfangs noch atemlos lauschende<br />

Menge, bevor sich die „Frankie-Boys“ immer mutiger in immergrüne Tiefen entfernten, in die seit Tausenden<br />

von Dinnerpartys und Stehempfängen kein Applaus mehr vorgedrungen ist. Was sie im Verlauf von drei<br />

Tauchgängen durch die Tropfsteinhöhlen der Berieselungskultur zu Tage förderten, erinnerte mal an Carson<br />

Parks „Something stupid“ oder Herman Hupfelds „As time goes by“, mal an Carlos Jobims „Desafinado“ oder<br />

Z. Abreus „Tico Tico“, auf jeden Fall aber immer an so Altbekanntes, dass man jeden Ton mitsingen konnte,<br />

und zugleich so Fernes, dass man kaum noch den Songtitel zusammenbrachte.<br />

Das Wundersame daran: als die drei „Frankie Boys“ immer deutlicher zu erkennen gaben, dass sie ganz<br />

nebenbei auch gute Musiker sind, die sogar im Sitzen und mit übereinander geschlagenen Beiden virtuos<br />

musizieren können, entfaltete so mancher Uralt-Standard eine ungewohnte, neue Spritzigkeit. Da außerdem<br />

Stiltreue noch nie zu Norbert Bürgers Schwächen gehört hat, der lieber Kolibri-artig an allem nippt, was klingt,<br />

offenbarten selbst Balladen mitunter ihr hektisches Innenleben, schlugen Blitze ein in schummrige Hawaii-<br />

Romanzen oder galoppierten Cowboy-Horden johlend durch „New York, New York“.<br />

Doch schien das amüsierte Dauergrinsen, das sich in vielen Gesichtern bereits einzunisten begann, trotz mancher<br />

hübschen Überraschungen irgendwann der Frage Platz zu machen, was denn das Ganze eigentlich mit Frank<br />

Sinatra zu tun haben sollte. Eine etwas doppelbödige Antwort lieferten die Musiker in der Pause selbst mit ihrem<br />

kecken Wahlspruch: „Wir wollen mit unserer Musik endlich reich werden“. Ein Blick auf das Heer namenloser<br />

(und oft sehr guter) Berufsmusiker, die Nacht für Nacht in Kongresssälen und Hotels genau die gleichen<br />

Ohrwürmer spielen, und zwar laut Vertrag so leise, das niemand sich an der Musik, geschweige denn am Beifall<br />

stören kann, lässt gewisse Zweifel an diesem Erfolgsrezept aufkommen.<br />

Auch ruft der Gedanke, es bedürfe nur eines frechen Bandnamens, um aus einem normalen Evergreen- und<br />

Standard-Programm eine „Hommage für Frank Sinatra“ zu machen, zumindest unter Musikerkollegen ein<br />

gewisses Unbehagen hervor. Hätte sich im Hirschwirt nicht Norbert Bürger, sondern irgendein anderer guter<br />

Musiker zwei Freunde eingeladen und mit ihnen ein paar in alte Nummern durchgeblättert, der Abend hätte mit<br />

Sicherheit einen anderen und ziemlich unspektakulären Verlauf genommen. Ausgenommen das Ende, denn die<br />

Ankündigung „Wir spielen Hintergrundmusik“ ging auch an diesem Abend in Erfüllung: Das Publikum gefiel<br />

sich unüberhörbar in der Hauptrolle. Fazit: es waren weder Frank Sinatra, noch Norbert Bürger, noch die<br />

„Frankie Boys“, sondern ein paar unverwüstliche, sehr schöne Standards, die ganz nebenbei auch etwas Licht ins<br />

Schattendasein von Berufsmusikern warfen. -rk-


148<br />

Ein Abend der „Hellos and Goodbyes“<br />

Datum: 10.02.06<br />

Die Koreanerin Kim Chong wurde mit ihrem Quintett im Jazz Club Hirsch gefeiert<br />

Moosburg. Großer Andrang herrschte am Mittwoch im Hirschwirt, als die koreanische Sängerin, Pianistin<br />

und Bandleaderin Kim Chong auf Einladung des Jazz Club Hirsch ihre aktuelle CD „Hellos & Goodbyes“ in<br />

Moosburg präsentierte. In Begleitung von Sergei Didorenko (Violine), Stefan Schmid (Klavier), Nikolas<br />

Reichel (Kontrabass) und Stephan Staudt (Schlagzeug) zog die aparte Koreanerin diesmal vor allem als<br />

Sängerin alle Register einer professionellen Entertainerin und riss die Zuhörer mit koreanischen<br />

Volksliedern, gefühlvollen Balladen und swingenden Eigenkompositionen zu Beifallsstürmen hin.<br />

Wer weniger der Musik wegen gekommen war sondern eher einer Neugier<br />

folgend, die in diesem Fall durch eine ungewöhnliche Anzahl von<br />

Vorberichten noch angeheizt worden war, kam mindestens genau so auf<br />

seine Kosten wie einige besonders andächtige Fans, die das Gastspiel<br />

lieber mit geschlossenen Augen verfolgten. Letzteren entging allerdings<br />

ein optischer Genuss, an dem sich Männer und Frauen gleichermaßen<br />

erfreuten, denn Kim Chong ist neben aller Musikalität vor allem eines:<br />

hinreißend attraktiv, und das seit vielen Jahren.<br />

Sie selbst staunte nicht schlecht, als sie beim Nachzählen auf vier Auftritte<br />

kam, die sie in wechselnden Besetzungen bereits in Moosburg absolviert<br />

hat, und zwar immer so erfolgreich, dass sie dem Publikum im Hirschen<br />

zunächst einmal ein warmherziges Dankeschön zur Begrüßung entgegen<br />

hauchte, das sogar das hartnäckigste Rest-Eis vom Januar auf dem Gries<br />

zum Schmelzen brachte.<br />

Überhaupt hat sich Kim Chong zu einer wahren Meisterin der<br />

musikalischen Bühnenpräsenz entwickelt. Lediglich fünf Nummern, die<br />

sie für den ersten Set vorbereitet hatte, wurden derart amüsant in<br />

Anekdoten über Männer und Freunde und Liebhaber und Machos und<br />

Softies und Deutschlehrer und Lover eingepackt, dass so manches Musikstück wie eine Art Soundtrack aus dem<br />

Episoden-Film „Das Leben und Lieben der Kim Chong“ vorüber rauschte. Dazu ihre ständige Suche nach<br />

Dolmetschern in der ersten Reihe, die ihre „Broken Deutsch“- Überleitungen übersetzen könnten, sodass selbst<br />

ein hingelispeltes „Ebbe und Flut – ist das deutsch?“ Lachstürme auslöste.<br />

Ein hoher Unterhaltungswert war die Folge, dem sich selbst hartgesottene Theken-Prediger nicht entziehen<br />

konnten und wenigstens vorübergehend die Luft anhielten. Bedanken müssten sich eigentlich auch Kim Chongs<br />

Mitspieler bei ihrer Chefin für die unnachahmliche Art, mit der sie quasi in die Rolle einer Schau-mal-Zuhörerin<br />

schlüpfte, in deren Minenspiel sich minutiös die Bewunderung für die Kunstfertigkeit ihrer Mitspieler<br />

widerspiegelte. Dank eines dafür in Stellung gebrachten Hinterlicht-Spots konnte man jede Regung im Gesicht<br />

der Schönen mitverfolgen, währen sie scheinbar tief verzückt den virtuosen Höhenflügen ihrer Kollegen<br />

lauschte.


Dass solcher Doppelgenuss mit hörbarem Applaus-Zuschlag für einzelne Soli belohnt wurde, wundert nicht,<br />

zumal auch das musikalische Geschehen tatsächlich einige interessante Aspekte zubieten hatte. Zum Beispiel:<br />

mal koreanisch, mal englisch gesungene Songs, Die koreanische Sängerin, Pianistin und Bandleaderin Kim<br />

Chong passt in keine gängige Schublade wechselnd unterlegt mit brasilianisch angehauchten oder swingenden<br />

Rhythmen, mal unterbrochen durch russisch gedrillte Geigenakrobatik, die sich leider in immer die gleichen<br />

schwindelerregenden Weltmeisterhöhen hoch<br />

fiedelte, mal durch expressive Phantasien am<br />

Klavier, die wie durch eine kurz geöffnete Tür aus<br />

einem Nebenraum zu kommen schienen, in dem<br />

gerade ein klassisches Meisterkonzert stattfand,<br />

das Ganze zusammengehalten durch eine unerhört<br />

swingende Rhythmusgruppe, die den ganzen<br />

Abend über als Garant für solides Timing und<br />

gute Grooves für sich einnahm.<br />

Als Sängerin profitiert Kim Chong weniger vom<br />

Charme einer betörenden Stimme, als vielmehr<br />

von ihrer absolut sauberen Intonation, einer<br />

bewundernswerten Mikrofon-Technik und einem<br />

exotischen Gesamteindruck, der Staunen und<br />

Bewunderung erweckt. Astreine Scat-Einlagen<br />

tun ein übriges, um die hohe Musikalität und Improvisationskunst der Koreanerin zu zeigen, die, soviel steht<br />

fest, in keine gängige Schublade passt: eine Show wie „Hellos and Goodbyes“, mit einem „Fragile“ von Sting<br />

auf Koreanisch, dazu Volksliedern aus Deutschland und Fernostasien, viel Gefiedel aus Russland, einem<br />

Liebeslied an ihre 24 Jahre alte Tochter und dazwischen Love-Storys von griechischen Stränden, ein solches<br />

Bühnenerlebnis macht Kim Chong so schnell keiner nach. -rk-<br />

Latin Projekt im Jazz Club Hirsch<br />

Datum: 12.03.06<br />

Moosburg. Die endgültige Vertreibung des Winters kann aus musikalischer Sicht definitiv auf Mittwoch<br />

vergangener Woche zurückdatiert werden, als die Gruppe "Latin Projekt" um den Ingolstädter Percussionisten<br />

Charly Böck im Jazz Club Hirsch derart einheizte, dass selbst die Eiswürfel in den Gläsern schneller schmolzen<br />

als sonst. In der Besetzung Charly Böck - Congas, Percussion, Christoph Hörmann - Saxophone, Flute, Harald<br />

Kuhn - Flügelhorn,Bass-Tromopete, Matthias Preissinger - Piano, Manolo Diaz - Bass und Tom Diewok -<br />

Drums, boten die Gäste Latin Jazz vom Feinsten und sorgten bei Salsa und Bossa, Samba und Mambo für<br />

karibische Stimmung. Wer an diesem Abend dem Frust-Kick der Bayern in Mailand einen Besuch im Hirschwirt<br />

vorzog, hatte in mehrfacher Hinsicht die bessere Wahl getroffen. -rk-


150<br />

Neues vom Kasper in jedem von uns<br />

Datum: 17.03.06<br />

Im Jazz Club Hirsch sorgte Musikkabarett und Stegreifkunst für Abwechslung<br />

Moosburg. Nicht alles, was der Jazz<br />

Club Hirsch zu bieten hat, muss<br />

unbedingt mit Jazz zu tun haben. Am<br />

vergangenen Mittwoch zum Beispiel<br />

standen drei Protagonisten aus<br />

München auf der Bühne, die zwei<br />

Formen der Bühnenunterhaltung im<br />

Gepäck hatten, die eher untypisch<br />

für ein Jazzlokal sind: musikalisches<br />

Kabarett, sowie Action- und<br />

Improvisationstheater.<br />

Dank der Musikalität und Spielfreude,<br />

mit der Sängerin und Schauspielerin<br />

Rahel Comtesse, Impro-Künstler und<br />

Perkussionist Peter Krempelsetzer und<br />

Pianist Steffen Zander zunächst das<br />

Kabarettstück „Vorsicht Glück“<br />

darboten und dabei von deutschen<br />

Evergreens wie „Wochenend und Sonnenschein“<br />

oder „Eine Frau wird erst schön durch die Liebe“ über<br />

Friedrich Hollaender-Chansons wie „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ und Bert Brecht-Songs wie „Der<br />

Mensch lebt durch den Kopf“ bis hin zu „Theater Interaktiv “- Eigenkompositionen wie „Maximal Verlangen“<br />

oder „Rinnsteinprinzessin“ alle Register der Gesangsparodie zogen, stimmte bereits der erste Teil des Programm<br />

auf einen interessanten und unkonventionellen Abend ein.<br />

Nach der Pause stand das sogenannte<br />

„Freefishing“ auf dem Programm, eine Form des Improvisationstheaters<br />

also, bei der die Akteure beim Betreten der Bühne noch nicht wissen, was geschehen wird. In diesem Fall warfen<br />

Rahel Comtesse und Peter Krempelsetzer ihre Angel aus und sprangen kopfüber in fiktive Situationen, tauchten<br />

ein in skurrile Szenerien und komponierten aus Sprache, Bewegung und musikalischen Elementen ein<br />

Programm, das den Besuchern immer wieder aufmunternde Zwischenrufe, freche Kommentare oder auch<br />

Geräusche entlockte, die sofort ins Stück übernommen und zu immer neuen Gags verarbeitet wurden.<br />

Hochspannung im Publikum, wie von den<br />

Akteuren zuvor angekündigt, mochte so<br />

wegen der absoluten Beliebigkeit des<br />

Geschehens zwar nicht aufkommen, denn<br />

dass es irgendwie schon weitergehen<br />

würde, weiß schließlich jeder aus<br />

Erfahrung. Doch forderte der Mut, mit dem<br />

die Akteure quasi ohne Schirm und Netz<br />

auf dem Hochseil ihrer Phantasie ihr<br />

keineswegs immer komisches Innenleben<br />

preisgaben, dennoch den meisten<br />

Zuschauern Bewunderung ab.<br />

Besonders zündenden Momenten<br />

des<br />

Gelächters standen zuweilen etwas<br />

kopflastige und gewollt originell wirkende<br />

Sequenzen gegenüber, in denen sich<br />

bewahrheitete, dass es dem ImproArt-<br />

Lehrer Peter Krempelsetzer keineswegs nur auf die gute Laune seines<br />

Publikums ankommt, sondern um die<br />

Vermittlung neuer darstellerischer Mittel und experimenteller Erfahrungen. Echtes, von innen heraus<br />

kommendes Komödiantentum, das sich auf den Kasper in jedem von uns verlässt, blieb so dem Zufall<br />

überlassen. Und dem Publikum, dass spontan einige der heitersten Momente selbst beisteuerte.<br />

Mit interaktiven Ansätzen und ewigen Menschheits-Fragen wie „Was versteht ihr unter Glück? “ oder „Was<br />

wünsch ihr Euch“ traten die Akteure schließlich sogar den Beweis an, dass es aus dem Wald immer nur so<br />

herausschallen kann, wie man hineinruft. Auf der Suche nach „Liedern, die man noch nicht kennt“ entstanden so<br />

Stegreiftexte vom „Glücklichen Krokodil“, vom „Körperbau“ oder der „Befreiung vom Glück“, denen auch<br />

ungesungen niemandem eine Krokodilsträne nachgeweint hätte, die aber dennoch amüsierten.<br />

Für die sympathische Art, mit der sich die Protagonisten dem Assoziationsfluss ihrer eigenen Einfälle<br />

anvertrauten und für die Courage, bei deren spontaner Umsetzung auf der Bühne keineswegs immer gut<br />

auszusehen, wurden die beiden Freefisher und ihr musikalischer Steuermann am Ende mit herzlichem Beifall<br />

belohnt. –rk-


151<br />

Das Trio „Time Remembered“ spielte Musik von Bill Evans im Jazz Club Hirsch<br />

So klingt Klaviermusik ohne Klavier<br />

Datum: 27.03.06<br />

Das Trio „Time Remembered“ spielte Musik von Bill Evans im Jazz Club Hirsch.<br />

Moosburg. Ein Abend unter dem Motto „The Music of Bill Evans“ im Jazz Club Hirsch stand kürzlich ganz im<br />

Zeichen des weltberühmten Jazz-Pianisten Bill Evans (1929-1980), der Mitte des letzten Jahrhunderts im Trio<br />

mit Kontrabass-Legende Scott La Faro und Schlagzeuger Paul Motion zum stilbildenden Vorbild für<br />

Generationen von Pianisten wurde und bis heute zu den großen Erneuerern des Klavierspiels im Jazz zählt. Doch<br />

stand an diesem Abend, der von Hermann Martlreiter (Tenorsax), Andi Kurz (Kontrabass) und Matthias Gmelin<br />

(Drums) gestaltet wurde, nicht der Pianist Bill Evans im Mittelpunkt, sondern der Komponist, erstaunlich genug,<br />

sind doch die kompositorischen Leistungen des genialen Klavierspielers bisher eher unbeachtet geblieben im<br />

Vergleich zu seiner Einzigartigkeit als Pianist.<br />

Die durchaus von Bewunderung getragene Idee zu dieser Komponisten-Hommage reicht zurück ins Jahr 2001,<br />

als Hermann Martleiter zusammen mit Sava Medan (Bass) und Bill Elgart (Drums) den ersten Versuch<br />

unternahmen, die komplexe Musik von Bill Evans neu und sehr persönlich zu interpretieren: ganz bewusst ohne<br />

Klavier, frei und mit starkem Akzent auf dem melodischen und rhythmischen Gehalt von Kompositionen, die<br />

selbst von Pianisten wenig gespielt werden und auch ansonsten weitgehend unbekannt geblieben sind.<br />

Das durchaus gemischte Echo auf Martlreiters Projekt „Time remembered“ war von Anfang an geprägt durch die<br />

treue Liebe vieler Fans zu „ihrem“ Bill Evans, den sie als großen Harmoniker und Inbegriff melodiöser Tasten-<br />

Virtuosität kennen- und lieben gelernt hatten und der mit dem, was nun als neue und zusätzliche Seite des<br />

Pianisten entdeckt und durchaus gepriesen werden sollte, nur wenig zu tun hatte. In der Tat liegen musikalische<br />

Welten zwischen Bill Evans’ netten Kompositionen wie „Remembering the Rain“ oder „Interplay“ oder „My<br />

Bells“, die entweder etwas belanglos oder zu kopflastig am Zuhörer vorüberrauschen im Vergleich zu so<br />

unsterblichen Einspielungen wie „Portrait in Jazz“ (1959), „Sunday at the Village Vanguard“ (1961) oder „Walz<br />

for Debby“ (1961), alle mit Scott La Faro und Paul Motion, in denen Bill Evans einst amerikanischen Musical-<br />

Melodien als eine Art „Restaurator“ zu Leibe rückte, Kino-Schnulzen seiner Zeit von jeglichem Kitsch befreite<br />

und so dank seiner klassischen Ausbildung dem Jazz eine goldene Brücke von Manhattan herüber ins gute alte<br />

Europa schlug.<br />

Für Kenner solcher Zusammenhänge bedurfte es an diesem Abend im Jazz Club Hirsch einer gehörigen Portion<br />

musikalischer Geduld, um den Verzicht auf Klaviermusik a la Bill Evans nicht nur zu verschmerzen, sondern<br />

auch noch die Neugierde für ein neues Evans-Bild aufzubringen. Erleichtert wurde dies durch die hohe<br />

Musikalität und Improvisationsgabe aller drei Protagonisten, die von den solistischen Freiheiten, die das Spiel zu<br />

Dritt bietet, ausgiebig Gebrauch machten und sich an Ideenreichtum und Spielfreude gegenseitig übertrumpften.<br />

Dennoch bleibt festzuhalten, dass Bill Evans’ Kompositionen schwerlich geeignet sind, um eine Neubewertung<br />

des Pianisten vorzunehmen. Was Bill Evans einst durch sein Klavierspiel gelang, nämlich die tiefere Schönheit<br />

scheinbar kitschiger Kompositionen wie „Come Rain or come Shine“ oder „When I Fall in Love“ oder „Alice in<br />

Wonderland“ oder „My foolish heart“ in einem völlig neuen Licht erstrahlen zu lassen, erscheint um<br />

umgekehrten Fall kaum Aussicht auf Erfolg zu haben. Die Kompositionen des großen Pianisten blieben wenig<br />

inspirierend. Drei Münchner Musiker zeigten, was sie können und wie Klaviermusik ohne Klavier klingt. Bill<br />

Evans ist und bleibt als Pianist unerreicht. –rk-


152<br />

Datum: 21.04.06<br />

„Fingerprints“ gehört seit vielen Jahren zu den gern gesehenen und gehörten Gästen im Jazz Club Hirsch<br />

Eigene Handschrift wird erkennbar<br />

Das Quartett „Fingerprints“ überzeugt im Jazz Club Hirsch auch ohne Stargast<br />

Moosburg. Auch ohne den verhinderten israelischen Musiker Boris Gammer, einen namhaften<br />

Saxophonisten, der die Jazzgeschichte seines Landes seit vielen Jahren prägt und mit vielen<br />

internationalen Jazzgrößen auf der ganzen Welt zusammenspielt, wurde der Auftritt der Gruppe<br />

„Fingerprints“ am Mittwoch im gut besuchten Jazz Club Hirsch zu einem gelungenen Gastspiel. In der<br />

Stammbesetzung mit Wolfgang Wahl (Saxophon), Jörg Walser (Keyboard), Stefan Telser<br />

(Kontrabass) und Dittmar Hess (Schlagzeug) gehört das Quartett seit vielen Jahren zu den gern<br />

gesehenen und gehörten Gästen des Jazzclubs und wurde auch diesem Abend seinem guten Ruf<br />

vollauf gerecht.<br />

Neben selten aufgeführten, weil zum Teil recht anspruchsvollen und technisch komplizierten<br />

Standards aus dem Real Book des Modern Jazz ließen einige Eigenkompositionen besonders<br />

aufhorchen, bei denen „Fingerprints“, zu deutsch „Fingerabdrücke“, seinen Namen wörtlich nahm und<br />

tatsächlich Ansätze einer eigenen Handschrift hinterließ. Am überzeugendsten kamen dabei Stücke<br />

über die Rampe, in denen sich die hohe Emotionalität der Solisten mit der dynamischen Basisarbeit<br />

der Rhythmusgruppe zu mitreißenden Grooves verdichtete, ohne dabei einer allzu ehrgeizigen<br />

Vorzeige-Virtuosität nachzuhecheln.<br />

Da neue Schnellspielrekorde oder Improvisations-Offenbarungen ohnehin nicht Sache dieses reinen<br />

Liebhaber-Quartetts wären, sieht man einmal von Kontrabass-Profi Stefan Telser aus Langenbach ab,<br />

der zwischen Klassik und Pop, Musical und Jazz allen stilistischen Herausforderungen gewachsen ist,<br />

wurden auch weniger raffinierte Soli mit herzlichem Beifall bedacht.<br />

Nicht zuletzt auch ein Verdienst der sympathischen und bescheidenen Art, mit der Pianist Jörg Walser<br />

durch das Programm führte. In dieser Form ließ „Fingerprints“ die anfängliche Enttäuschung über den<br />

fehlenden Stargast Boris Gammer schnell vergessen und sorgte für prächtige Jazz Club Atmosphäre,<br />

die in langem und herzlichem Beifall und einer Zugabe endete. -rk-


153


154<br />

„Phase der Verkleinerung“ im Jazz Club<br />

Datum: 05.03.00<br />

Schlechte Zahlungsmoral der Mitglieder – Mehr „Specials“ am Samstag<br />

Moosburg Kurz und schmerzlos ging am Freitagabend die Jahreshauptversammlung des Jazz Club Hirsch<br />

e.V. über die Bühne. „Präsident“ Günter Janovsky wurde in seinem Amt als Erster Vorsitzender einstimmig<br />

bestätigt. In seinem Jahresbericht sprach Janovsky im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Freisinger<br />

„Etcetera“ und des Landshuter „Rieblwirt“ aus dem bisherigen Dreierverbund von einer „Phase der<br />

Verkleinerung“, die eine Konzentration auf das Wesentliche im Moosburger Stammhaus „Zum Hirschwirt“<br />

ermögliche.<br />

Dem Verdacht, leidenschaftlicher Vereinsmeierei zu frönen, waren die Jazzaktivisten schon bei früheren<br />

Versammlungen erfolgreich aus dem Weg gegangen, indem sie sich bei den vorgeschrieben<br />

Rechenschaftsberichten und Neuwahlen auf das Nötigste beschränkten. So auch in diesem Jahr, als der<br />

„Präsident“ das vergangene „bewegte Jahr“ vor rund 15 Mitgliedern, darunter eine starke Abordnung aus<br />

Freising, in gerade mal drei Minuten Revue passieren ließ. Mit der Bemerkung „Wo fiel gearbeitet wird, geht<br />

auch mal was schief“ waren die zeitweiligen Irritationen um das Ausscheiden zweier Vereinslokale aus dem<br />

Clubverbund abgehakt und der Weg frei für ein Dankeschön an ein „fleißiges aber zu kleines Team“.<br />

Bei der Programmgestaltung stehe man vor der Tatsache, daß Karl Muskini studienhalber nach Linz verzogen<br />

und Norbert Bürger erfolgsbedingt viel unterwegs sei. Das Auslaufen eines Sponsorenvertrages mit einer<br />

Brauerei sei kein Grund zur Unruhe, denn Gespräche mit einem neuen Sponsor, dessen Name aber nicht<br />

spruchreif sei, stünden kurz vor dem Abschluß. Mit den Worten „Geld ist im Kommen“ lenkte der Präsident die<br />

Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem des Vereins: das nachlassende Engagement bei der Vereinsarbeit.<br />

Eine Liste mit derzeit vakanten Aufgabenbereichen wie Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederbetreuung, Musiker-<br />

und Sponsorenkontakte wurde zum wiederholten mal auf den Tisch gelegt, diesmal mit der unüberhörbaren<br />

Ankündigung, daß sich der Präsident im Fall andauernden Desinteresses mit Jahresfrist zurückziehen werde.<br />

Beim Kassenbericht von Irmi Nagl sorgte die mangelnde Zahlungsmoral der Clubmitglieder für Aufsehen. Fast<br />

die Hälfte der rund 200 eingetragenen Mitglieder seien derzeit mit ihren Beiträgen im Verzug, obwohl man sie<br />

regelmäßig bei den Konzerten sehe und mit Zahlungserinnerungen anschreibe. Das habe einen Fehlbetrag von<br />

rund 4000 DM zur Folge, der dem Verein dringend fehle. Dennoch habe man einen bescheidenen Überschuß aus<br />

Konzerten erwirtschaftet. Dem positiven Urteil der Kassenprüfer Reinhard Dick und Hans Moser folgte die<br />

einstimmige Entlastung des Vorstandes.<br />

Unter Wahlleitung von Rudi Meier wurden anschließend Günter Janovsky (1.Vors.), Norbert Bürger (2.Vors.)<br />

Irmi Nagl (Kasse) und die genannten Kassenprüfer durch Handzeichen im Amt bestätigt. Neu im Amt des<br />

Schriftführers ist Reiner Grichtmeier. Beim anschließenden Beisammensein wurde u.a. die Möglichkeit<br />

diskutiert, den Samstag künftig stärker für Spezialkonzerte zu nutzen. Erwogen wurde auch, die derzeit nur in<br />

Freising angebotene Jamsession auf Moosburg und Freising zu verteilen. Auch ein Special mit einer Art „All<br />

Star Band des Landkreises“ wurde angedacht. -rk-<br />

Datum: 22.02.01<br />

Jazz Club -„Präsident“ macht weiter<br />

Vorstand des Jazz Club Hirsch einstimmig im Amt bestätigt<br />

Moosburg. Bei einer gut besuchten Jahreshauptversammlung des Jazz Club Hirsch e.V. standen am<br />

Mittwoch Neuwahlen an. Ohne Gegenstimmen wurde der bisherige Vorstand im Amt bestätigt. Günter<br />

Janovsky bleibt dem Jazzclub als „Präsident“ für ein weiteres Jahr ebenso erhalten wie sein Stellvertreter<br />

Norbert Bürger, Kassierin Irmi Nagel, die Revisoren Hans Moser und Reinhard Dick und Schriftführer<br />

Rainer Grichtmaier.<br />

In seinem Jahresbericht verwies Janovsky stolz auf das 5jährige Club-Jubiläum, das heuer ansteht. In einem<br />

„ruhigen Jahr“ mit rund 100 Veranstaltungen habe sich die beispielhafte Entwicklung des Jazz Club Hirsch<br />

weiter gefestigt. Beste Bestätigung für die gemeinsame Arbeit sei die große Beliebtheit der Hirschbühne bei<br />

hunderten von namhaften Musikern aus ganz Deutschland, die trotz bescheidener Gagen immer wieder gerne<br />

nach Moosburg kämen. Dadurch sei man in der Lage, ein sehr gemischtes und vielseitiges Programm<br />

anzubieten, das kaum Wünsche offen lasse. Ausdrücklich begrüßt wurde die „Wiederbelebung“ des ehemaligen<br />

Hirschpartners „Rieblwirt“ in Landshut, der jetzt unter eigener Regie weitermache und eine weitere interessante<br />

Auftrittsmöglichkeit für Musiker in der Region darstelle.<br />

Die Zahlen von Kassierin Irmi Nagel bestätigten den Aufwärtstrend des Jazz Clubs, dessen Mitglieder in puncto<br />

Zahlungsmoral dazugelernt hätten. Dankbar wurde die finanzielle Unterstützung durch die Stadt Moosburg<br />

vermerkt. Auch der neue Sponsor „Bosch-Druck“ aus Landshut stelle eine große Erleichterung für den


Fortbestand des Clubs dar. Als Anregung für die<br />

Zukunft war der Wunsch des neuen und alten<br />

Präsidenten zu verstehen, künftig noch mehr junge<br />

Leute für den Jazz Club und seine Arbeit zu<br />

interessieren. Durch die mit viel Engagement<br />

gepflegte Internet-Website „All that Jazz“ von<br />

Wolfgang Seemann verfüge man über eine moderne<br />

Plattform, die von Sponsoren noch stärker für<br />

Werbung genutzt werden könnte.<br />

Reinhard Dick, Günter Janovsky, Rainer Grichtmaier, Irmi Nagel<br />

und Hans Moser (v.l.) bilden den alten und neuen Vorstand.<br />

Norbert Bürger wurde auf dem Gruppenbild durch seinen Vater<br />

(h. r.) vertreten.<br />

Jazz Club-Vorstand im Amt bestätigt<br />

Wiederwahl fand in rekordverdächtigem Tempo im Freien statt<br />

Datum: 22.02.01<br />

Moosburg. Bei echtem Biergartenwetter fand die alljährliche Jahreshauptversammlung des „Jazz Club Hirsch<br />

e.V.“ am Mittwochabend kurzerhand im Freien statt. Nach den Berichten und der Entlastung seiner Mitglieder<br />

wurden der komplette Vorstand per Akklamation im Amt bestätigt. Günter Janovsky bleibt dem Jazzclub als<br />

„Präsident“ für ein weiteres Jahr ebenso erhalten wie Kassier Irmi Nagel, Schriftführer Rainer Grichtmaier und<br />

die Revisoren Hans Moser und Reinhard Dick.<br />

Ein trauerndes Gedenken des Vorsitzenden galt dem Gründungsmitglied, Musiker und<br />

Allround-Bühnentechniker Bernhard „Hardy“ Klutschak, dessen plötzlicher Tod eine<br />

unersetzbare Lücke in die gesamte Musikszene der Region gerissen habe. Durch seinen<br />

langjährigen Einsatz in der ehemaligen Landshuter Hirsch-Dependance „Rieblwirt“, aber<br />

auch durch seine Menschlichkeit und sprichwörtliche Hilfsbereitschaft habe er sich einen<br />

Ehrenplatz in der Geschichte des Jazzclubs verdient.<br />

Um weiterhin eine ausgeglichene Bilanz vorlegen zu können, die anschließend im Bericht<br />

von Irmi Nagel vorgestellt wurde, sei der Jazzclub auf Sonderaktionen angewiesen, so<br />

Günter Janovsky, der für die Saisoneröffnung 2002/2003 am 3.September ein Benefiz-<br />

Konzert mit den Kultgruppen „Bürger Kreitmeier“ und „Trio Fertigbeton“ ankündigte,<br />

sowie eine Konzertreihe im Herbst, bei der „The HUB“ und „Nachgeburt“ zusammen im Freisinger<br />

Lindenkeller, im Münchner „Club 2“ und in der „Künstlerwerkstatt“ Pfaffenhofen auftreten werden.<br />

Eine weitere Sonderaktion in Form von 50 Briefen an Moosburger Firmen und Geschäftsleute mit der Bitte um<br />

Unterstützung des Jazzclubs habe eine Erfolgrate von zehn Prozent erbracht, berichtete Janovsyk weiter. Zwar<br />

fehle dem Verein noch immer ein neuer Hauptsponsor, dessen Engagement bisher etwa 1.500 Mark pro Jahr<br />

entsprochen habe, doch könne man<br />

mehrere Kleinsponsoren bereits<br />

unter www.jazzclubhirsch.de/<br />

nachlesen. Unterstützung für den<br />

Jazzclub, der sich zu einem<br />

namhaften Kulturbotschafter für die<br />

Dreirosenstadt in ganz Deutschland<br />

entwickelt habe, sei auch über die<br />

Kontonummer 111333 bei der<br />

Sparkasse Moosburg möglich.<br />

Abschließend wies der im Amt<br />

bestätigte „Präsident“ auf den<br />

Saisonabschluss am 12.Juni hin, der<br />

unter Mitwirkung der indischen<br />

Tempeltänzerin „Aparajita“ den<br />

Titel „The Danacability of Jazz“<br />

tragen wird. -rk-<br />

Dank des schönen Wetters fand die<br />

Versammlung im Freien statt


156<br />

„Jazz Club Hirsch“-Vorstand macht weiter<br />

Datum: 22.02.03<br />

Positive Vereinsentwicklung - Bankeinzugsverfahren hat sich bewährt<br />

Moosburg. Am Mittwoch standen bei der Jahreshauptversammlung des Jazz Club Hirsch e.V. Neuwahlen an.<br />

Ohne Gegenstimmen wurde der bisherige Vorstand im Amt bestätigt. Günter Janovsky bleibt dem Jazzclub<br />

als „Präsident“ für ein weiteres Jahr erhalten. Auch sein Stellvertreter Norbert Bürger wurde in Abwesenheit<br />

wiedergewählt. Kassier Irmi Nagel, die Kassenprüfer Hans Moser und Reinhard Dick, sowie Schriftführer<br />

Rainer Grichtmaier machen ebenfalls weiter. Als Programmdirektor außerhalb des Vorstandes fungiert wie<br />

bisher Karl Muskini.<br />

Die positive Entwicklung des Jazz Club habe sich im zurückliegenden Jahr weiter fortgesetzt, war dem kurzen<br />

Bericht des alten und neuen Präsidenten zu entnehmen. Alle Vorstandsmitglieder hätten hervorragende Arbeit<br />

geleistet, so dass der Verein gut dastehe und über gute Kontakte zu Musikern, Gönnern und öffentlichen<br />

Einrichtungen verfüge, so Janovsky, der vor allem Irmi Nagel für ihre Arbeit als Kassierin dankte und ihr einen<br />

„Hirsch“-Bierstein aus der neuen Kollektion überreichte.<br />

Ihr Kassenbericht bestätigte den positiven Trend des Jazz Clubs. Bei den Mitgliedsbeiträgen habe sich die<br />

Umstellung auf das Bankeinzugsverfahren bewährt. Das Benefiz-Konzert des Orchester Bürger Kreitmeier habe<br />

dem Verein sogar ein leichtes Plus in der Kasse beschert. Dankbar wurde auch der Zuschuss der Stadt Moosburg<br />

vermerkt, auf den der Verein auch in Zukunft angewiesen ist. Zusätzliche Einnahmen seien durch die<br />

Vermietung einer PA-Anlage möglich, so<br />

Janovsky, der den Nachlass des verstorbenen<br />

Mitgliedes Hardy als einen Segen für den<br />

Jazz Club bezeichnete.<br />

Vorstandsmitglied Reinhard Dick würdigte<br />

unter „Wünsche und Anträge“ die gute<br />

Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Gerade<br />

von jungen Musikern sei immer wieder zu<br />

hören, dass Presseberichte und Fotos für sie<br />

ein ungemein wichtiger Anreiz seien, um im<br />

Moosburger Jazz Club aufzutreten, pflichtete<br />

Programmdirektor Karl Muskini bei. Auf<br />

diese Weise würden aber auch die<br />

Moosburger Presseorgane in alle Welt<br />

hinausgetragen. -rk-<br />

Kassierin Irmi Nagel, Wahlvorstand Rudi Maier,<br />

Präsident Günter Janovsky, Schriftführer Rainer<br />

Grichtmaier, Programmdirektor Karl Muskini und Kassenprüfer Hans Moser (v.l) nach der Wahl. Norbert Bürger wurde in<br />

Abwesenheit als 2.Vorsitzender im Amt bestätigt.<br />

Jazz-Club-Vorstand macht weiter<br />

Datum: 12.02.04<br />

Mitgliederkartei „bereinigt“ – Highlights im April und September<br />

Moosburg. In rekordverdächtigem Tempo fand am Mittwoch die neunte Jahreshauptversammlung des Jazz Club<br />

Hirsch statt, bei der sich der Vorstand komplett wieder zur Wahl stellte und einstimmig im Amt bestätigt wurde.<br />

Zuvor hatte Präsident Günther Janovsky in gewohnt unkonventioneller Kürze ein erfolgreiches Jahr Revue<br />

passieren lassen und dabei sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, dass man sich schweren Herzens von einigen<br />

„Karteileichen“ in der Mitgliederkartei habe trennen müssen, die seit mehreren Jahren trotz wiederholter<br />

Aufforderung keine Beiträge mehr bezahlt hätten. Da dies mit Vergesslichkeit nichts mehr zu tun habe, gehe der<br />

Vorstand davon aus, dass kein Interesse mehr an einer Mitgliedschaft bestehe, so der Club-Präsident.<br />

Nach Bereinigung der Kartei zähle der Jazz Club Hirsch derzeit 115 zahlende Mitglieder, die zusammen mit<br />

anderen Einkünften und Spenden für ein ausgeglichenes Konto sorgten, so Kassierin Irmi Nagel, die außerdem<br />

die Einnahmen aus der Vermietung einer geerbten PA-Beschallungsanlage für die gesunden Finanzen des<br />

Vereins verantwortlich machte. Nach dem positiven Prüfbericht von Revisor Hans Mooser und der Entlastung<br />

des Vorstandes folgten die zwölf stimmberechtigten Mitglieder einem Vorschlag von Wahlleiter Rudi Maier und<br />

sprachen dem amtierenden Vorstand per Akklamation durch einstimmige Wiederwahl das Vertrauen aus. Club-<br />

Präsident bleibt Günter Janovsky, der von Vizepräsident Norbert Bürger vertreten wird. Schriftführer Rainer<br />

Grichtmaier, Kassierin Irmi Nagel und Kassenprüfer Hans Moser wurden ebenfalls im Amt bestätigt. Die


157<br />

bisherigen Programmdirektoren Karl Musikini und Norbert Bürger unterstützen den Vorstand weiterhin bei der<br />

Programmgestaltung.<br />

Ein besonderes Augenmerk richtete Präsident Janovsky nach seiner Wiederwahl auf ein Hirsch Special am<br />

Freitag 16. April 2004 mit Roberto di Gioia's „Marsmobil“ und „Lovely Rita“ im Lindenkeller. Das Live-<br />

Konzept von „Marsmobil“ beinhaltet die Verschmelzung verschiedener musikalischer Richtungen zu einer<br />

homogenen Einheit. Vom japanischen Trash-easy-listening bis zum Club-Pop, indischer Sitarmusik und Chillout-grooves<br />

mit Funk-ass-basslines, bietet Marsmobil eine bunte Live-Show, eingebettet in eine staubige 70er-<br />

Jahre Wohnzimmer-Atmosphäre. Fernseher, auf denen Super-8 Filme laufen, psychedelische Tapeten, bunte<br />

Lampen und ein Sofa schaffen ein privates, intimes und verspieltes Ambiente, das die Zuschauer ins<br />

Bühnengeschehen hineinzieht.<br />

Mit einer schlechten und einer guten Nachricht<br />

beendete Janovsky den offiziellen Teil der<br />

Versammlung. Die New Yorker Band THE<br />

HUB, ein dem Jazz Club Hirsch persönlich eng<br />

verbundenes Trio, musste nach einem schweren<br />

Verkehrsunfall in Italien lange um<br />

Schlagzeuger Sean Noonan bangen, der nach<br />

zwei Monaten zum Glück aus dem Koma<br />

erwacht ist. Inzwischen mache seine<br />

Rekonvaleszenz so gute Fortschritte, dass für<br />

29. September ein Auftritt im Hirschwirt<br />

geplant sei, schloss Janovsky. -rk-<br />

Nach Art des Hauses stellten sich die Vorstandsmitglieder<br />

(v.l.) Rudi Meier, Norbert Bürger, Günter Janovsky,<br />

Rainer Grichtmaier, Hans Moser und Irmi Nagel unter<br />

der Club-Trophäe zum Pressefoto<br />

„Wir haben uns endgültig etabliert“<br />

Beim Jazz Club Hirsch bleibt alles beim alten – Sparsamkeit ist angesagt<br />

Datum: 24.02.05<br />

Moosburg. In der ihm eigenen,<br />

unkonventionellen Art blickte der<br />

Vorstand des Jazz Club Hirsch bei<br />

der Jahreshauptversammlung am<br />

Mittwoch auf ein erfolgreiches<br />

Vereinsjahr zurück und stellte<br />

durch Neuwahlen die Weichen für<br />

eine kontinuierliche Weiterarbeit.<br />

Alter und neuer Präsident ist<br />

Günter Janovsky, der mit seinem<br />

bewährten Team weiterarbeiten<br />

kann. In einer ersten<br />

Stellungnahme setzte er Zeichen<br />

in Richtung „Sparsamkeit“.<br />

Der Grund: trotz inzwischen<br />

intakter Zahlungsmoral der etwa<br />

150 Mitglieder hat der Jazz Club<br />

im vergangenen Jahr mehr<br />

ausgegeben als eingenommen, was im Kassenbericht 2004 der erkrankten Schatzmeisterin Irmi Nagel mit einem<br />

Minus con 1.600 Euro zu Buche schlägt. Besonders bedankte sich Präsident Janovsky bei der Stadt Moosburg,<br />

deren Zuschuss über 500 Euro ein größeres Defizit verhindert habe. Trotzdem hätten sich die Ausgaben für rund<br />

50 Konzerte, die sich auf die vier Jazz-Club-Spielstätten Hirschwirt, Doppelzimmer, Abseits Und Versus<br />

Barbershop verteilten, auf 5.265 Euro summiert. Hinzu kommen 1.328 Euro an Gema-Gebühren, die zusammen<br />

mit Werbungskosten und anderen Unkosten 8.670 Euro auf der Ausgabenseite ergeben.<br />

Jenseits der Club-Finanzen hatte Günter Janovsky überwiegend Grund zur Zufriedenheit. Der Jazz Club habe<br />

sich im neunten Jahr seines Bestehens endgültig etabliert und werde im Kulturleben der Stadt als feste Größe<br />

akzeptiert und unterstützt. Fast alle Konzerte seien sehr gut besucht gewesen, sehe man einmal von Robert di<br />

Gioias Marsmobil-Gastspiel im Lindenkeller ab, das laut Günter Janovsky eine größere Publikumsresonanz<br />

verdient gehabt hätte. Kommende Highlights wie das Katrin Weber Trio am 13. April, das Sandra Weckert-Trio<br />

am 27. April und das St. Öhl Trio am 11. Mai seien Beweis für die attraktive und vorausschauende


158<br />

Programmgestaltung der beiden Programmmacher Karl Muskini und Norbert Bürger, die ihre Arbeit ebenfalls<br />

fortsetzen.<br />

Bei allem Sparzwang dürfe an den Kosten für das regelmäßige Klavierstimmen nicht gespart werden, da dies<br />

sonst zu Lasten der Musik gehen würde. Auch werde man an dem neu ins Leben gerufenen Projekt „Freiraum<br />

Kolumbien“ festhalten. Dabei handelt es sich um die Patenschaft für ein kolumbianisches Kind namens Niki,<br />

dem für monatlich 20 Euro der Besuch einer Schule ermöglicht wird.<br />

Per Akklamation bestätigten die Mitglieder den Präsidenten Günter Janovsky, seinen Stellvertreter Norbert<br />

Bürger, Schatzmeisterin Irmi Nagel, Schriftführer Rainer Grichtmaier, sowie die Revisoren Hans Moser und<br />

Reinhard <strong>Knieper</strong> im Amt. Programmdirektor des Jazz Club Hirsch bleibt Karl Muskini. –rk-<br />

Datum: 16.02.06<br />

Der Jazz Club haut auf die Jubel-Pauke<br />

Das 10jährige soll heuer doppelt gefeiert werden – Vorstand komplett im Amt bestätigt<br />

Moosburg. Nicht nur einmal, gleich zwei mal möchte der Jazz Club Hirsch heuer sein 10jähriges Jubiläum<br />

feiern, und zwar mit einem Party-Highlight am 8. April, bei dem Norbert Bürger und seine „Pretty Boys“<br />

zusammen mit „Hyperactiv Kid“ aus Berlin den Hirschwirt zum Kochen bringen sollen, sowie einem großen<br />

Jazzmusik-Fest, das am Samstag, 15. Juli rund ums Zehentstadel stattfinden soll. Dies beschloss am<br />

Mittwochabend der neue und alte Vorstand des Vereins, der kurz zuvor einstimmig wiedergewählt worden war.<br />

Nach einem ehrenden Gedenken für Vereinsmitglied Dr. Alwin Renoth, den vor vier Monaten verstorbenen<br />

Radiomacher, Wurff-Musiker und langjährigen Freund des Jazz Clubs, rückte Präsident Günter Janovsky<br />

anlässlich des 10jährigen Bestehens des Jazz Clubs die besonderen Verdienste einiger Freunde und Mitglieder<br />

besonders ins Blickfeld. Erwähnung fanden dabei Programmdirektor Karl Muskini, Webmaster Rolf Löwe, Jam-<br />

Session-Organisator „Michi“ vom Freisinger „Abseits“, die Hirsch-Wirte Ingrid und Rainer, Klavierstimmer<br />

Wolfgang Seemann, Programm-Designer Hans „Limo“ Lechner, sowie die Firma Piano Schweisser für die<br />

kostenlose Überlassung des Club-Klaviers. Einen besonderen Dank hatte Janovsky außerdem für die Vielzahl<br />

renommierter und oft weitgereister Musiker übrig, denen es auch ohne große Gagen im Jazz Club Hirsch so gut<br />

gefalle, dass sie immer wider gerne nach Moosburg kämen.<br />

Der Kassenbericht von Schatzmeisterin<br />

Irmi Nagel wies ein kleines finanzielles<br />

Polster aus, das mit Blick auf die<br />

anstehenden Feierlichkeiten allseits<br />

begrüßt wurde. Darüber hinaus<br />

kündigte Günter Janovsky verstärkte<br />

Aktivitäten bei der Sponsorensuche an.<br />

Nach der von den Kassenprüfern<br />

vorgeschlagenen Entlastung des<br />

Vorstandes wurden Präsident Günter<br />

Janovsky und zweiter Vorsitzender<br />

Norbert Bürger, Schatzmeisterin Irmi<br />

Nagel, Schriftführer Rainer<br />

Grichtmaier, sowie die Kassenprüfer<br />

Hans Moser und Reinhard <strong>Knieper</strong><br />

jeweils einstimmig in ihren Ämtern<br />

bestätigt.<br />

Mit seinem Vorschlag, für die anstehenden Feierlichkeiten eine eigene Arbeitsgruppe zu bilden, löste Günter<br />

Janovsky eine erfreuliche hohe Beteiligungs-Bereitschaft aus, die sofort zu einer Vielzahl von Ideen und<br />

Vorschlägen führte. Ersten Überlegungen zufolge soll die erste Jubiläumsstufe als Jazz-Party am 8.April über die<br />

Bühne gehen. Mit dabei sind Norbert Bürgers „Pretty Boys“, aber auch die angesagte Gruppe „Hyperactiv Kid“,<br />

drei Musiker aus Berlin, die Stücke wie ›Rocker Tilo‹ schreiben und dazu ›Badap‹ im Chor schreien, eine Art<br />

Dada-Jazz, bei dem Christian Lillinger am Schlagzeug, Philipp Gropper am Tenorsaxophon und Ronny Graupe<br />

an der siebensaitigen Gitarre Jazz mit Rock; Hip Hop, Drum & Bass und Neue Musik ineinander verschmelzen<br />

lassen.<br />

Beim großen Jazz-Fest am 15. Juli, das eine Woche nach der Fußball-WM und eine Woche vor dem Altstadtfest<br />

stattfindet, soll tagsüber alles, was in und um Moosburg jazzen und swingen, hupen und klimpern, trommeln und<br />

improvisieren kann, jung und alt, schräg und schön, konzertant und tänzerisch, rund ums Zehentstadel für echte<br />

Jazz- und Jubelstimmung sorgen. Gegen 22 Uhr soll dann im Zehentstadel ein hochkarätig besetztes Konzert<br />

zum musikalischen Höhepunkt des Jubiläums werden. Für die Programmgestaltung hat bereits Norbert Bürger<br />

seine Mitwirkung zugesagt. Weitere Mitglieder, die der Arbeitsgruppe mit Rat und Tat zur Seite stehen wollen,<br />

treffen sich am kommenden Mittwoch ab 19 Uhr im Hirschwirt zu einem Gedankenaustausch, bei dem die<br />

Vielzahl bereits vorhandener Ideen gesichtet und vertieft werden soll. –rk-


159<br />

„Jazz for Kids“ im Jugendhaus<br />

Datum: 05.12.98<br />

Aktion des Jazzclub Hirsch für mehr kindlichen Spaß an der Musik<br />

Moosburg. Eine echte Alternative zum überwiegend traditionellen Veranstaltungsangebot am zweiten Adventssamstag<br />

bot der Jazzclub Hirsch e.V. mit seiner Aktion „Jazz for Kids“ im Moosburger Jugendhaus, die<br />

auch heuer wieder auf große Resonanz beim zukünftigen Musikernachwuchs und anderen mutigen Krachmachern<br />

stieß.<br />

Dass viele Kinder Musik als eher langweilige Beschäftigung mit piepsenden Blockflöten, klirrenden Gitarrensaiten<br />

und rätselhaften weißen und schwarzen Tasten in Erinnerung haben, weiß Norbert Bürger, Mitinitiator von<br />

„Jazz for Kids“ und einer der beiden „Programmdirektoren“ des Jazzclub Hirsch, aus eigener leidvoller Erfahrung.<br />

Was da zum Teil in manchen Kindergärten oder später dann in frustrierenden Schulstunden unter Musikerziehung<br />

verstanden würde, fördere viel zu wenig den ursprünglichen Spaß am Musizieren, den aber gerade Kinder<br />

von Natur aus mitbrächten, so Bürger.<br />

„Wir machen das, um bei den Buben und Mädels so früh wie möglich die Erkenntnis zu wecken, daß Musikmachen<br />

echt Spaß machen kann“, meint auch Clubpräsident Günter Janovsky und richtet die Scheinwerfer auf die<br />

Bühne des Jugendhauses, wo sich gerade eine buntgemischte Session aus Kids und anderen jung gebliebenen<br />

Jazzfreunden zur gemeinsamen Performance von „Blue Monk“ formiert, einem Blues des unsterblichen Jazzpianisten<br />

und Komponisten Thelonius Monk.<br />

„Ich deute immer mit der Hand auf den, der dran<br />

kommt, und dann spielt der so lange sein Solo, bis ich<br />

auf den nächsten deute,“ übernimmt Norbert Bürger<br />

dezent die Dozentenrolle im Sessionworkshop für<br />

Früheinsteiger und zählt lässig den Groove ein. „One –<br />

two – one, two, three, for“ – und ab geht die Post in<br />

der Tonart „B Flat“, die natürlich nur den einen oder<br />

anderen Musterschüler am Rande interessiert. Das<br />

Gros des diszipliniert um Tonerzeugung ringenden<br />

Ensembles indessen hält sich nicht lange mit tonalen<br />

Konventionen auf, sondern erhebt sich couragiert und<br />

vielstimmig in die freien Sphären des Unerhörten.<br />

Selbst erfahrenen Zuhörern gelingt es nicht, einzelne<br />

Solisten auf den Spuren berühmter Vorbilder zu ertappen,<br />

so innovativ und unverfälscht zugleich lassen die kindlichen Neutöner ihre musikalischen Eruptionen auf<br />

das Publikum überspringen. Zarte, fast meditative Passagen münden abrupt in ohrenbetäubende Tuttis, in denen<br />

die Brunftsignale posaunender Elefanten fast unterzugehen drohen unter dem Wehklagen eines gerade abstürzenden<br />

Saxophons.<br />

Selbst abgebrühten Musikkritikern blieb bei so viel energiegeladenem Musizieren bald nicht anderes mehr übrig,<br />

als die Kugelschreiber wegzustecken, aber nicht etwa, weil sie ihre Hände zum Verstopfen der Ohren gebraucht<br />

hätten, nein - zum Applaudieren! Wer in diesem Moment zufällig einen Blick durch Fenster warf, konnte plötzlich<br />

durch das einsetzende Schneegestöber das lächelnde Gesicht von Thelonius Monk erblicken, der natürlich<br />

keine Nikolausmütze aufhatte. –rk-


160<br />

Hauptsache: handgemachte Musik!<br />

Datum: 16.12.01<br />

Moosburg. Je größer der Lärm, desto schöner die Musik - das mag als Motto vielleicht weniger in die „stade<br />

Zeit“ passen, doch gab es am Samstag durchaus die Bedürfnisse einiger Kinder und Jugendlicher wieder, die der<br />

Einladung des Jazz Club Hirsch zum traditionellen „Jazz for Kids“ ins Jugendhaus folgten.<br />

Unter ebenso geduldiger wie phantasievoller Anleitung von fünf Jazzern, die vielleicht nicht gerade ihre<br />

wertvollsten Instrumente, dafür aber durchaus vernehmbare Posaunen und Trompeten, Rasseln und Trommeln,<br />

ja, sogar eine echte Bassgeige mitgebracht hatten, liefen die begeisterten Youngsters zu großer Form auf und<br />

spielten ihre Lehrmeister gnadenlos in Grund und Boden. Kleine Demonstrationsetüden der Großen wurden<br />

zwar mit offenem Mund und offenen Ohren verfolgt, doch kaum waren die Kleinen dann wieder selber am<br />

Drücker, gaben die Instrumente endlich preis, was wirklich in ihnen steckt.<br />

Ein Gutes hatte der gegenseitige Lernprozess außerdem: wer je eine Posaune zum Grunzen oder eine Trompete<br />

zum Jaulen gebracht hat, wer je einem Kontrabass sein tiefes Brummen entlockt hat, wer sich je mit allen Vieren<br />

auf einem Schlagzeug ausgetobt hat, der beginnt etwas davon zu erahnen, wie schön Musik wirklich sein kann.<br />

Es muss ja nicht unbedingt Jazz sein. Hauptsache: handgemachte Musik! -rk-


161<br />

“Body and Soul” im Juliane-Maier-Haus<br />

Datum: 15.08.99<br />

Moosburg. Zahlreiche Besucher aus<br />

Behinderten-Wohnheimen in Freising,<br />

Erding und Moosburg genossen am<br />

Sonntagvormittag auf der Terrasse des<br />

Juliane-Maier-Hause bei sommerlich<br />

mildem Wetter die sanften Jazzklänge<br />

des David-Thalmeier-Trios aus<br />

Freising. Der Jazzfrühschoppen war<br />

durch Vermittlung des “Jazzclub<br />

Hirsch” zustande gekommen.<br />

Auf Anregung von Jazzclub-<br />

Programmdirektor Karl Muskini<br />

erwiderten damit zum ersten Mal drei<br />

Jazzmusiker den Besuch einiger<br />

Behinderter, die in der Vergangenheit des<br />

öfteren bei Jazzkonzerten im Hirschen<br />

aufgetaucht waren. Das Freisinger Trio um den Trompeter David Thalmeier mit Georg Alkofer an der Gitarre<br />

und Willi Wipfler am Kontrabass hatte mit Rücksicht auf die Hörgewohnheiten der Mehrheit dennoch leicht<br />

verdauliche Jazz- und Latin-Stücke im Repertoire, wusste man doch, dass bei vielen Heimbewohnern<br />

Volksmusik an erster Stelle rangiert. Angesichts der Reaktionen, die bei Titeln wie “Blue Bossa” oder “Body<br />

and Soul” dann auch vom rhythmischen Kopfnicken bis zum aufgewühlten Schreien reichten, konnten die<br />

Musiker oft nur vermuten, was das zu bedeuten hatte.<br />

Bei Leberkas oder Weißwürstl mit Brezn und<br />

alkoholfreien Getränken lauschten die Bewohner des<br />

Hermann-Altmann-Hauses oder des Wohnheims Gute<br />

Änger in Freising, aber auch Behinderte aus Erding<br />

und den benachbarten Moosburger Einrichtungen auf<br />

der Terrasse gemeinsam den sanften Klängen aus dem<br />

Hausinnern, wo sich das Jazz-Trio zum Schutz vor<br />

Regenwolken aufgebaut hatte. Heimleiter Dieter<br />

Endruteit, der in Gesellschaft von Heimgründerin<br />

Juliane Maier die musikalische Abwechslung genoss,<br />

möchte dem ersten Jazzfrühschoppen ein mal jährlich<br />

weitere Gastspiele folgen lassen. Dann sicher auch im<br />

Dixieland- oder Chicago-Sound, der bei den Zuhörern<br />

im Juliane-Maier-Haus besonders gut ankommen<br />

dürfte. –rk-<br />

Rieblwirt geht eigene Wege<br />

Klaus Neumaier und Alex Kutzner richten „Jour-Fix“ ein<br />

Moosburg/Landshut. Nachdem die Kooperation zwischen<br />

dem Moosburger „Jazz Club Hirsch“ und dem<br />

„Rieblwirt“ vom ehemaligen Pächter des Landshuter<br />

Szenelokals aufgekündigt wurde, reagierten nun die neuen<br />

Pächter, Klaus Neumaier und Alex Kutzner, auf die<br />

Wünsche zahlreicher Gäste, doch endlich wieder einen<br />

musikalischen „Jour-Fix“ in LA einzurichten. Ab morgen,<br />

Dienstag, 26.9., soll wieder an jedem Dienstag Live-<br />

Musik geboten werden. Die musikalische Palette wird<br />

vom World-Folk der Gruppe „Pitù Pati“ über das<br />

Mainstream-Jazz-Entertainment von „Trio Grande“ bis<br />

hin zur Oldtime-Revival der „Storyville-Shakers“ aus<br />

Freising reichen.<br />

Datum: 18.09.00


162<br />

Aber auch an jedem zweiten Samstag sollen Leute, die ihren<br />

Einkaufsbummel gerne mit einem Frühschoppen ausklingen<br />

lassen, Live-Acts wie „Herman the German“ oder einen<br />

Auftritt der türkischen Interpretin Handan Civicic, bekannt<br />

von der Freisinger Ethno-Pop-Formation „Voyage“<br />

miterleben können. Start der „After-Shopping-Musik“-Saison<br />

ist Samstag der 7.10. gegen 13 Uhr bis ca. 16 Uhr. Genauere<br />

Einzelheiten über das Programm sollen demnächst vom<br />

Rieblwirt als Programm-Info vorgelegt werden. Die Gruppe<br />

„Pitù Pati“ eröffnet morgen ab 20.30 Uhr mit<br />

herzerfrischendem World-Folk die neue Musiksaison im<br />

Rieblwirt. –rk-<br />

Benefizkonzert für eine Seele von „Festwirt“<br />

Datum: 13.07.01<br />

Willie le Truc, Trio Grande und Storyville Shakers musizieren für Klaus Neumaier<br />

Freising. Am Mittwoch, 25.7. um 20 Uhr findet im<br />

Lindenkeller-Unterhaus ein Benefizkonzert statt, dessen Erlös<br />

den Hinterbliebenen des Anfang Juni verstorbenen Szene-<br />

Wirtes und Kleintransport-Unternehmers Klaus Neumaier<br />

zugute kommen soll. Mit ihrem Auftritt wollen Willie le Truc,<br />

Trio Grande und Storyville Shakers zugleich einem Mann die<br />

Ehre erweisen, der während der letzten 20 Jahre seine<br />

menschlichen Spuren in der Musik- und Kneipenszene der<br />

Region hinterlassen hat.<br />

Der am 22.6.56 im saarländischen Namborn geborene Klaus<br />

Neumaier kam 1978 als gelernter Schlosser nach Freising, wo er<br />

zunächst eine Stelle als Bierfahrer bei der Staatsbrauerei<br />

Weihenstephan antrat. Sein Debüt als Wirt gab Neumaier im<br />

November 1981, als er das ehemalige HB-Stüberl in Vötting<br />

übernahm, dem er in Anlehnung an ein dort stehendes<br />

Harmonium den Namen „Klimperkasten“ gab. Schnell<br />

entwickelte sich der anfängliche Geheimtipp zu einem beliebten<br />

Studenten- und Szenelokal. Dazu trugen neben der geselligen und<br />

sozialen Art des Wirtes zunehmend auch Livemusik-Sessions bei,<br />

die Stammgäste wie Gerald Pasiziel dort organisierten.<br />

Als ein Wirt, der Arbeiten und Feiern nach dem Motto „Hauptsache, schmecken muss es“ auch gerne<br />

miteinander verband, entdeckte Klaus Neumaier den benachbarten Vöttinger Weiher bald als idealen Platz für<br />

sommerliche Partys, die Mitte der 80iger Jahre dank der Auftritte befreundeter Bands wie Willie le Truc, Wurf<br />

oder Greyhound schnell zu kultigen Open-Airs avancierten. Aus Sicht des eher scheuen Stimmungsmenschen<br />

Klaus Neumaier, der lieber mit Gästen feierte als mit Freunden Geschäfte machte, nahmen die Open-Airs am<br />

Vöttinger Weiher über die Jahre eine kommerzielle und organisatorische Dimension an, die ihn und seine Frau<br />

Elke 1988 zum Rückzug bewog.<br />

Auf den Abschied vom „Klimperkasten“ im November 1992 und die Übernahme des Biergartens „Schloß<br />

Isareck“ bei Wang folgte bis Sommer 1996 eine schwierige Durststrecke, deren finanzielle Folgen Klaus<br />

Neumaier lange zu schaffen machten. Nach Gründung einer Kleintransport-Firma dauerte es bis Juli 2000, um<br />

ihn zur Rückkehr in die Gastronomie zu bewegen.<br />

Diesmal war es das Szene-Musiklokal „Rieblwirt“ in Landshut, das Klaus Neumaier mit seinem Freund und<br />

Partner Alex Kutzner übernahm. Während der Aufbauphase zollte Klaus Neumaier der beruflichen<br />

Mehrfachbelastung als Kleintransport-Unternehmer, Wirt und zuletzt sogar als Koch einen zu hohen Tribut und<br />

verstarb kurz vor Vollendung seines 45.Lebensjahres an Herzversagen. Er hinterlässt neben seiner Frau Elke die<br />

Kinder Angela (19), Jeanette (17) und Louis (6). Eingedenk seines Wahlspruches „Das Leben ist viel zu kurz,<br />

um schlechten Wein zu trinken“, laden Willie le Truc, Trio Grande und die Storyville Shakers am 25.7. ab 20<br />

Uhr zum Benefizkonzert für die Hinterbliebenen in den Lindenkeller ein. –rk-


Datum: 22.11.01<br />

„Hirsch-Bierstein“ als Sammlerstück<br />

Rechtzeitig zu Weihnachten wurde kürzlich<br />

im Jazz Club Hirsch der sogenannte „Hirsch-<br />

Bierstein“ vorgestellt. Dabei handelt es sich um<br />

einen Bierkrug, den der musizierende Grafiker und<br />

Drucker Enno Messerschmidt aus Wimpasing<br />

nicht nur gestaltet, sondern auch „erfunden“ hat.<br />

Seine Idee, Musiker und Gönner des Jazz Club<br />

Hirsch mit einem „Give away“ zu erfreuen, sorgt<br />

nun auch bei Sammlern für Interesse: in einer<br />

limitierten Auflage sind zunächst 50 „Biersteine“<br />

entstanden, die zugunsten der Vereinskasse auch<br />

käuflich erworben werden können. Das Motiv, ein<br />

Saxophonist mit Piano und Schlagzeug, wurde<br />

zunächst in Öl gemalt und dann als Abziehbild<br />

spülmaschinenfest auf Keramik aufgebrannt. Im<br />

nächsten Jahr soll ein anderer Künstler den<br />

„Hirsch-Bierstein 2002“ gestalten. Als erste<br />

Musikerin nahm kürzlich Schlagzeugerin Susanne<br />

L. freudig das Erinnerungsstück von Enno<br />

Messerschmidt in Empfang. -rk-<br />

163<br />

Auch Stefan Telser von „Fingerprints“, das Martin Auer-Quintett und Marion Dimbath von Triorange sind inzwischen stolze<br />

Besitzer eines Hirsch-Biersteins, der besonders treuen Freunden des Jazz Clubs als „Give away“ überreicht wird.


164<br />

Birthday Party im Jazz Club Hirsch<br />

Datum: 22.11.99<br />

Ein Wiedersehen mit den “Legendären” von Wurff und Burschi-Bärli-Band<br />

Moosburg. Eine ausgelassene Geburtstagsparty anlässlich des<br />

14.Gründungstages des Vereinslokals „Zum Hirschwirt“ in Moosburg<br />

feierten am Samstag bis in die frühen Morgenstunden die Freunde und<br />

Mitglieder des Jazz Club Hirsch. Im würdigen Rahmen, für dessen<br />

dekorative Gestaltung „Juice“- Bassistin Nina Krensel mit Freunden<br />

gesorgt hatte, feierte man zu den Live-Klängen der „Burschi-Bärli-Band“<br />

und freute sich über ein Wiedersehen mit den vier ehemaligen „Wurff“-<br />

Mitgliedern Günter Janovsky, Malcolm Turnbull, Alwin Renoth und<br />

Roman Schreiber.<br />

Sie sorgten an diesem Abend mit Thomas Loskarn alias „Doktor Git“, dem<br />

Schlagzeuger „Zapba“ und dem Sänger, Texter, Arrangeur und<br />

Komponisten Burschi Bärli für witzige Unterhaltung. Später kletterten noch<br />

die Vier von „Juice“ auf die Bühne, bevor DJ „Tobine“ den Turntable in<br />

Gang setzte und den Gästen mit erlesenen Sounds den Abflug erschwerte.<br />

Auch im 14. Jahr steuerte Jazzclub-Wirtin Ingrid (rechts) wieder ein Plakat<br />

bei, das sich würdig in die Galerie der Geburtstags-Bilder einreiht. -rk-


165<br />

Modernistisch Soundsuche mit dem „Trio Fertigbeton“ Mit der „Burschi-Bärli-Band“ zog Party-Vergnügen ein<br />

Datum: 28.10.01<br />

Kultige Geburtstagsparty für eine Institution<br />

Musikalisches Non-Stop-Programm versetzt Hirsch-Gemeinde in Begeisterung<br />

Moosburg. Wenn es stimmt, dass man so alt ist, wie man sich fühlt, dürfte das Durchschnittsalter im<br />

Gasthaus „Zum Hirschen“ am Samstag bei den Feierlichkeiten zum 16.Geburtstag des Kultlokals so um die<br />

18 Jahre herum gelegen haben. Bereits eine Stunde vor Konzertbeginn waren Sitzplätze Mangelware. Um so<br />

besser, dass man sich im Stehen näherkommen konnte, denn vom sanften Drängeln bis zum Tanzen war es<br />

kein weiter Weg mehr, vor allem, als sich einige legendäre Garanten für Partystimmung auf der Bühne die<br />

Instrumente buchstäblich aus der Hand rissen.<br />

Wer je im Kerzenschein des urigen Szenetreffs erste zarte Bande geknüpft oder sich zu später Stunde an der Bar<br />

in Träume von einer besseren Welt geflüchtet hat, wer je seinen Fuß auf die kleine Musikbühne gesetzt oder im<br />

Takt jazziger oder rockiger oder experimenteller Klänge mitgewippt hat, wer je in der Atmosphäre eines<br />

altbairischen Gasthauses nach geistigen, gesellschaftlichen oder kulturellen Alternativen zum bürgerlichen<br />

Mainstream Ausschau gehalten und im Hirschen eine Antwort gefunden hat - dieser Abend war wie geschaffen,<br />

um sich und allen Weggefährten aus 16 Jahren zu einer Art „zweiten Heimat“ zu gratulieren.<br />

Der musikalische Teil der Party lag in besten Händen, wenn auch der verträumte Jazzfreund mit Fortdauer des<br />

Programms vor der Frage stand, wie aus dem Hirschen je ein „Jazz Club Hirsch“ hatte werden können und kein<br />

„Rock-House Hirsch“. Die modernistisch-jazzigen Soundsucher vom „Trio Fertigbeton“ mit Karl Musikini,<br />

Willi Wipfler und Andi Gleixner waren jedenfalls kaum verklungen, da zog mit der „Burschi-Bärli-Band“ das<br />

wahre Party-Vergnügen ein. Sieben ewig junge Haudegen aus den Gefilden des post-psychedelischen<br />

Heartbreaker-Rock weckten mit ihren geflüsterten, geheulten oder gebrüllten Botschaften über stampfenden<br />

Riffs Erinnerungen an Trinker- und Träumerzeiten, die mit dem heutigen Alltagserleben sowohl der Akteure als<br />

auch der Zuhörer soviel zu tun haben wie ein Liebesbrief mit einer E-Mail.<br />

Erst recht „Die Eriche“ trafen mit ihren im Müllschlucker recycelten und anschließend durch den Spaßwolf<br />

gedrehten Rock- und Pop-Classics den Amüsiernerv der Geburtstagsgesellschaft aufs frappierendste. Vor<br />

mitwippenden Fans, die ihre Glitzerhelden zu Höchstleistungen anspornten, verwandelten fünf bekennende<br />

Dilettanten getreu dem Motto „Was ihr nicht könnt, können wir schon lange nicht“ Gewimmer in Gesang,<br />

Fehlgriffe in Wohlklang und Herumgehopse in Eleganz.<br />

Einen Hauch von Comeback brachte die letzte Gruppe des Abends mit auf die Bühne. Nach ihrer CD-Release-<br />

Party stand „Wurff“ tatsächlich erstmals wieder live vor Publikum und rockte los, dass es keiner mehr auf<br />

seinem Platz aushielt. Mehrstimmige Refrains, eingepackt in schwelgende Keyboard-Klänge, unterlegt mit<br />

präzisen Rhythmen von Schlagzeug und Perkussion, umspielt von gut dosierten Fill-Ins der Gitarre, sorgten für<br />

den typischen Wurff-<br />

Sound, der gegenüber<br />

frühen Einspielungen<br />

noch reifer und satter<br />

geworden ist. Vor<br />

allem Fetzer wie<br />

„Mehr, mehr, mehr“<br />

fuhren den<br />

Geburtstagsgästen so<br />

in die Beine, dass sie<br />

die Botschaft<br />

wörtlich nahmen und<br />

die verspätete<br />

Sperrstunde bis 3 Uhr<br />

früh in vollen Zügen<br />

auskosteten. -rk-<br />

Seit 16 Jahren „Seele des Lokals“: Die Kultband „Wurff“ wurde ihrem legendären Ruf gerecht<br />

Ingrid Huch-Hallwachs


166<br />

Letzte Session vor dem Sommerloch<br />

Datum: 27.05.99<br />

Moosburg. Als wollten sie die<br />

angekündigte Sommerpause<br />

des Jazzclub Hirsch so lange<br />

wie möglich hinauszögern,<br />

fanden sich am Mittwoch noch<br />

einmal einige einheimische<br />

Musiker zu einer<br />

improvisierten Session auf dem<br />

Podium des Jazzlokals<br />

zusammen und unternahmen<br />

vor den begeistert mitgehenden<br />

Zuhörern den Versuch, das<br />

drohende musikalische<br />

Sommerloch mit Tönen<br />

auszufüllen.<br />

Beim Ausbrüten der Idee, am<br />

letzten Abend vor der großen<br />

musikalischen Sommerflaute<br />

noch einmal der gemeinsamen<br />

Lieblingsbeschäftigung des kollektiven Improvisierens nachzugehen, hatte wohl niemand daran gedacht, daß just<br />

an diesem Abend die „Bayern“ im Fernsehen um de Krone des europäischen Fußballs spielen würden. Da sich<br />

dann kurz vor Konzertbeginn doch noch der eine oder andere Musiker öffentlich als Bayernfan outete, wurde<br />

kurzerhand ein Fernseher zentral über der Bühne installiert, der während der Liveübertragung dann sogar als<br />

multimediales Element lautstark in die Darbietungen mit einbezogen wurde. Sehr inspiriert reagierte zum<br />

Beispiel Norbert Bürger an der Gitarre auf die grölenden Zuschauermassen über sich, in deren bajuwarische<br />

Schlachtgesänge er immer wieder seine wimmernden Hawaii-Glissandi mischte, daß es einem fast die<br />

Lederhosen auszog. Die an eine Open-Air Kulisse erinnernden Originaltöne aus Barcelona gaben auch für das<br />

Bläserduo Harry Salzmann am Tenorsaxophon und Karl Muskini auf der Posaune einen passenden Soundteppich<br />

ab für ihre gewagten Ausflüge in harmonische oder kakophonische Gefilde, je nach dem, welches musikalische<br />

Tor gerade angegriffen wurde. Der TV-Moderator Marcel Reif dürfte seine Live-Reportage wohl selten zuvor im<br />

munteren „Four-Four“-Dialog mit einem Jazzmusiker in den freien Raum gebrabbelt haben, wozu ihm an diesem<br />

Abend Reinhard <strong>Knieper</strong> am Kontrabaß erstmals Gelegenheit gab. Und auch die restliche Rhythmsection mit<br />

Andi Gleixner am Schlagzeug, Willi Wipfler an der Gitarre und einem befreundeten Pianisten aus Mannheim<br />

fügte sich mannhaft in die Soundphalanx des neu gegründeten Fußball-Begleitorchesters ein.<br />

Irgendwann waren es dann die Zuhörer selber, die lieber<br />

pure Musik hören als multimediale Experimente über<br />

sich ergehen lassen wollten, so daß zumindest der<br />

Fernsehton abgeschaltet wurde, was die rein optisch<br />

miterlebte 1:2 Niederlage der Bayern am Ende aber auch<br />

nicht lindern konnte. Schnell ging man dennoch zur<br />

musikalischen Tagesordnung über und fand im<br />

gemeinsamen Repertoire so manches Stück, bei dem sich<br />

jedermann auf der Bühne seine ganz persönlichen<br />

Gefühle nach Herzenslust von der Seele improvisieren<br />

konnte.<br />

Den sechs einheimischen Musikern und ihrem<br />

talentierten Gast am Klavier, den der zweite<br />

Kontrabassist des Abends, Stefan Telser, mitgebracht<br />

hatte, gelang bei dieser Gelegenheit vor „voller Hütte“<br />

der eindrucksvolle Beweis, daß sich auch ein Session-Abend jederzeit messen kann mit den Darbietungen<br />

eingespielter Ensembles, die im Hirschen oft zu Gast sind. An Spontanität, Spielwitz und Virtuosität fehlte es<br />

jedenfalls keineswegs, so daß die Zeit wie im Flug verstrich, bevor „Programmdirektor“ Karl Muskini die<br />

Zuhörer mit einer launigen Ansprache in die musikalischen Sommerferien des Jazzclub Hirsch entließ.<br />

Daß die dann doch nicht so pünktlich wie geplant um Mitternacht begannen, war Schuld der Gruppe<br />

„Triochemie“, die es sich nicht nehmen ließ, den gelungenen Sessionabend doch noch mit einigen leisen Trio-<br />

Standards ausklingen zu lassen. Den vielen Moosburger Jazzfreunden dürfte nach diesem stimmungsvollen<br />

Abschied die Zeit bis zum September, wenn im „Hirschen“ wieder gejazzt werden darf, ziemlich lange und still<br />

vorkommen. –rk-


167<br />

Gelungene Jam-Session im Hirsch<br />

Datum: 08.05.00<br />

Moosburg/Freising. Trotz idealen Biergarten- und Grillwetters wurde die Jam-Session im Jazz-Club Hirsch am<br />

vergangenen Sonntag zu einem Leckerbissen für Jazzfreunde. Dank guter Vorbereitung fanden auch einige<br />

Musiker aus Freising den Weg in die Dreirosenstadt und brachten ihre langjährige Session-Erfahrung aus dem<br />

Freisinger Clublokal “Abseits” mit ein. Vor einem überschaubaren aber um so engagierteren Kreis treuer<br />

Jazzanhänger spielten sich drei Bläser, zwei Gitarristen, zwei Kontrabassisten und ein Schlagzeuger derart in<br />

Spiellaune, daß die Session erst weit nach Mitternacht bei gedämpfter Lautstärke mit einigen wunderschönen<br />

Balladen und Real-Book-Standards zu Ende ging.<br />

Jazzclub-Vorstandsmitglied Reiner Grichtsmaier, der gerne einen regelmäßigen Session-Tag in Moosburg<br />

einrichten würde, bekam an diesem Abend leider keine definitive Auskunft, an welchem Tag mit regelmäßiger<br />

Verstärkung aus Freising zu rechnen wäre, da die dortigen Sessions an jedem ersten und dritten Sonntag eines<br />

Monats auf jeden Fall weiter laufen sollen. Da mit Musikern aus Moosburg allein eine regelmäßige Session rein<br />

zahlenmäßig an ihre Grenzen stoßen würde, soll nun von Fall zu Fall geprüft werden, welche Termine sich<br />

eignen, um “auf Zuruf” Musiker aus der Region zusammenzutrommeln, die an gemeinsamem Musizieren<br />

interessiert sind.<br />

Sämtliche Stilrichtungen improvisierter Musik vom traditionellen Jazz über rockige oder moderne Sounds sollen<br />

dabei nach Möglichkeit unter einen Hut gebracht werden. Auch altersmäßige Beschränkungen gibt es nicht.<br />

Interessenten können sich im Jazz Club Hirsch vormerken lassen und werden dann verständigt. Jazzclub-<br />

Präsident Günter Janovsky (links) griff selbst zum Mikrophon, um auf der Bühne für den guten Ton oder wilde<br />

Scat-Einlagen zu sorgen. Mit ihm standen zeitweise sieben Musiker auf der Bühne, darunter Querflötist “Manu”,<br />

Gitarrist Martin Wessalowski, Altsaxophonist “Andrea”, Tenorsaxophonist Harry Salzmann, die Kontrabassisten<br />

Willi Wipfler und Reinhard <strong>Knieper</strong>, sowie Mäx Huber am Schlagzeug. –rk-


168<br />

Datum: 14.12.99<br />

Drei Highlights im „Jazz Club Hirsch“<br />

Kenny Wheeler - Uraufführungen mit dem „Munich Jazz Orchestra“<br />

Freising. Bevor sich die Crew des „Jazz Club Hirsch“ bis Mitte Januar eine Pause gönnt, finden in Freising noch<br />

einmal drei Konzerte statt, die es in sich haben. So wird am Montag, 20.12.99 im Freisinger "Et Cetera" ab 20.30<br />

Uhr die Gruppe „Der Moment“ zu hören sein Drei junge, mit viel Spielwitz begnadete, deutsche Meister ihres<br />

Instruments haben sich in diesem Trio zusammengefunden, das sich auf schnörkellose und urtümliche<br />

Eigenkompositionen konzentriert. Besonders hervorzuheben ist dabei Gerhard Gschlößl an der Posaune. Er hat<br />

bereits im "Deutsch-französischem Ensemble" mit „Albertus Magnus“ Mangelsdorff zusammen gespielt und<br />

wurde 1997 mit dem Kulturpreis der Stadt München ausgezeichnet. Sein humorvolles und artistisches Spiel<br />

brachte ihm die Bezeichnung eines deutschen Ray Anderson ein. Als gleichberechtigte Partner werden beim<br />

letzten Gratiskonzert der Saison im Freisinger „Et Cetera“ auch Johannes Fink am Kontrabass und Matthias<br />

Rosenbauer am Schlagzeug in Erscheinung treten.<br />

Am Dienstag kommt es dann ab 20 Uhr beim „Hirsch Special“ in Zusammenarbeit mit der Stadtjugendpflege<br />

Freising im Lindenkeller zum voraussichtlichen Höhepunkt der Saison, wenn der aus Kanada stammende und in<br />

London lebende Trompeten- und Flügelhornstar Kenny Wheeler mit dem „Munich Jazz Orchestra“ die<br />

Unterhausbühne betritt. Der Komponist und Dirigent Kenny Wheeler wird in Freising sogar Uraufführungen aus<br />

eigener Feder präsentieren. Unterstützt wird er dabei von Merit Ostermann (Gesang), Franz Weyerer<br />

(Trompete), Johannes Herrlich (Posaune), Johannes Enders, Till Martirl, Thomas Zoller (Saxophon), Peter<br />

0'Mara (Gitarre), Roberto di Gioia (Piano), Thomas Stabenow (Kontrabass) und Falk Willis (Schlagzeug).<br />

Karten gibt es im Abraxas, Jazz Club<br />

Mitglieder erhalten ermäßigte Karten im<br />

Hirsch oder bei Jahu Musik Freising.<br />

Zwischen den Jahren ist dann am 28.12.99<br />

im Abseits noch einmal „Jazz-Club-Party-<br />

Time“ angesagt mit der Gruppe "Contrasts",<br />

einer den Hirschfans bestens bekannten und<br />

im vergangenen Jahr zu hohen Ehren<br />

gekommenen Nachwuchscombo aus dem<br />

Münchner Umland. Sie war eindeutig Sieger<br />

beim diesjährigen Wettbewerb "Jugend<br />

jazzt" und konnte auch beim 99er<br />

Jazzfestival in Montreux Zuhörer und<br />

Veranstalter überzeugen. Der Jazz Club<br />

Hirsch wünscht allen Fans und Lesern der<br />

Moosburger Zeitung angenehme Feiertage<br />

und einen guten Rutsch.. -rk-<br />

Die Gruppe "Contrasts" war Sieger beim diesjährigen Wettbewerb "Jugend jazzt"


169<br />

Datum: 04.01.06<br />

„Jazz geht die Party richtig los“<br />

Das Frühjahrsprogramm des Jazz Club Hirsch e.V. im 10. Jubiläumsjahr 2006<br />

Moosburg. Auch eine Einrichtung wie der Jazz Club Hirsch e.V. feiert die Feste gern, wie sie fallen. Da bietet<br />

sich das Frühjahr 2006 bestens an für eine Jubiläumsparty, wird doch der Verein im April zehn Jahre jung.<br />

Im Frühjahrsprogramm verdient daher die Jazz Party im Zehentstadel am Samstag, 8. April, mit den Pretty<br />

Boys ganz besondere Beachtung. Aber auch die übrigen Termine machen wieder Lust auf ein<br />

abwechslungsreiches und hochkarätiges Programm, wie es weit und breit nur im Moosburger Hirschwirt<br />

geboten wird, und das alle zwei Wochen bei freiem Eintritt.<br />

Aber auch Freising profitiert weiterhin von den Aktivitäten des<br />

Moosburger Jazz Clubs, beispielsweise durch die regelmäßigen Jam<br />

Sessions, die an jedem ersten Sonntag im Monat im „Abseits“ stattfinden.<br />

Auftakt-Session ist heuer ausnahmsweise am kommenden Sonntag, 8.<br />

Januar. Und auch der Freisinger Barber-Shop "Versus" in Lerchenfeld hat<br />

gleich zu Beginn des Jahres ein ganz besonderes Schmankerl zu bieten,<br />

wenn am Samstag, 14. Januar, um 20 Uhr das Harald Rüschenbaum Trio<br />

mit Don Menza (Tenorsaxofon), Walter Lang (Piano), Henning Sieverts<br />

(Bass), und Harald Rüschenbaum (Drums) auftritt.<br />

Die Saison im Moosburger Hauptquartier „Hirschwirt“ wird am<br />

Mittwoch, 25. Januar, um 21 Uhr von keinem Geringeren als Gründungsmitglied Norbert Bürger (Gitarre)<br />

persönlich eröffnet, der zusammen mit Matthias Engelhardt (Bass) und Matthias Kaiser (Sax) als „The Franky<br />

Boys“ eine „Homage an Frank Sinatra“ zum Besten gibt. Zwischen den eher amusischen Schlagzeilen über<br />

Trennungsgerüchte im Orchester Bürger Kreitmeier (OBK) und dem vorläufigen Happy End bei der Verleihung<br />

des Deutschen Kleinkunstpreises im Mainzer „Unterhaus“ am 5. März bietet dieser Termin die Chance, den<br />

Ausnahmegitarristen wieder einmal so zu erleben, wie er sich selbst am wohlsten fühlt: als Musiker.<br />

“Hellos & Goodbyes” heißt das Programm, mit dem die Koreanerin Kim Chong (Piano, Gesang) am Mittwoch,<br />

8. Februar, ab 21 Uhr zusammen mit Sergei Didorenko (Violine), Nilolaus Reichel (Bass) und Stephan Staudt<br />

(Drums) ihre aktuelle CD präsentiert. Auf ihr soll laut Ankündigung des Musikverlages „die musikalische<br />

Moderne des Westens mit der Tradition des Fernen Ostens zu einer Kuriosität in der deutschen Jazzlandschaft<br />

verschmelzen“.<br />

Bei der Jahreshauptversammlung des Jazz Clubs am Mittwoch, 15. Februar, um 20 Uhr im Hirschwirt wird<br />

neben dem traditionell kurzen Jahresrückblick von Präsident Günter Janovsky wohl auch die Vorbereitung der<br />

Jubiläumsparty im Zehentstadel unter dem Motto „10 Jahre Hirsch“ im Mittelpunkt stehen. Neben Live Musik<br />

mit Norbert Bürgers „Pretty Boys“ soll bei der Party auch ein Jazz DJ für Stimmung sorgen.<br />

Am Mittwoch, 22. Februar, steht dann ab 21 Uhr die Band „Hipnosis“ mit Wanja Slavin (Sax) Gerhard Gschlößl<br />

(Posaune), Marc Schmolling (Piano), Jerker Kluge (Bass) und Martin Kolb Drums) auf der Hirschbühne.<br />

„Romantischen Raketenjazz“ verspricht die Programmvorschau für Mittwoch, 8. März, mit dem Quartett<br />

„Giesing Geil“, bestehend aus Florian Blau (Piano, Keyboard), Bernd Huber (Gitarre), Steffen Müller (Bass) und<br />

Andi Kutschera (Drums).<br />

Für Mittwoch, 15. März, hat sich das Münchner ImproArt-Trio<br />

„Freefishing“ mit Rahel Comtesse und Peter Krempelsetzer (beide<br />

Gesang und Schauspiel) und Steffen Zander (Piano) angesagt. Dazu<br />

heißt es unter www.improart.de: „Freefishing heißt, nicht zu wissen<br />

was geschehen wird. Rahel Comtesse und Peter Krempelsetzer aus<br />

München werfen ihre Angel aus: Aus dem Nichts heraus springen die<br />

beiden Spieler in eine Improvisation, die besonders durch starke<br />

Körperlichkeit besticht. Mühelos tauchen sie in skurrile Szenerien,<br />

komponiert aus Sprache, Bewegung und musikalischen Elementen.<br />

Der Fang ist garantiert frisch und einzigartig: Eine schillernde Collage,<br />

die sich gewaschen hat“.<br />

Weltmusik mit einem Hauch von Indien verspricht am Mittwoch, 22.<br />

März, ab 21 Uhr das Shankar Lal Trio mit Shankar Lal (Tablas, Vocals) Marcos Damianos (Sitar und Bansuri)<br />

und Hermann Martlreiter (Sax, Klarinette). Im Mittelpunkt des Abends steht das wohl wichtigste<br />

Perkussionsinstrument der klassischen nordindischen Musik, Tabla, bestehend aus zwei Trommeln, der kleineren<br />

Dayan mit Holzkorpus und der größeren Basstrommel Bayan aus Kupfer oder Messing. Näheres dazu erfahren<br />

Interessenten unter www.tabla-site.de.<br />

Ein Wiederhören und -sehen mit dem Quartett „Fingerprints“ des Kontrabassisten Stefan Telser aus Langenbach<br />

gibt es am Mittwoch, 19. April, mit Boris Gammer (Sax), Jörg Walser (Piano), Stefan Telser (Bass) und Dittmar<br />

Hess (Drums). Zwei Wochen später, am Mittwoch, 3. Mai, verspricht das Adrian Reiter Quartett in der<br />

Besetzung Adrian Reiter (Gitarre), Jan Eschke (Fender Rhodes), Guido May (Drums) und Peter Cudek (Bass)<br />

ein besonderes Highlight, bevor sich der Jazz Club Hirsch am Mittwoch, 17. Mai, mit dem Quartett „Etna“,<br />

bestehend aus Andrea Hermenau (Piano), Vlado Grizelj (Gitarre) Yvo Fischer (Bass) und Manuel da Coll<br />

(Drums) in die Sommerpause verabschiedet. –rk-


170


171<br />

Hirsch-Bühne frei für offenes Allerlei<br />

"Wexlaz"-Turntables drehen sich beim nächsten "Open Mind-Open Stage"- Abend<br />

Datum: 28.07.99<br />

Moosburg. Am kommenden Sonntag lädt die Initiative "Open Mind - Open Stage", die kürzlich von Rainer<br />

Grichtmaier, einem der "Ureinwohner" der Szenekneipe "Zum Hirschwirt", ins Leben gerufen wurde, zu<br />

einer ihrer turnusmäßigen Veranstaltung ein, die in Zukunft an jedem dritten Sonntag stattfinden soll.<br />

Was den Begriff "Open Stage" anbelangt, ist das Motte klar, denn hier soll eine regelmäßige<br />

Auftrittsmöglichkeit geschaffen werden für ein buntes Perfomance-Allerlei aus eigenen Songs oder Gedichten,<br />

politischer Satire, Comedy-Blödelei oder auch Varieté-Darbietungen, kurz, aus allem, was kreative Menschen<br />

heutzutage gerne auf einer Bühne anderen Menschen präsentieren möchten.<br />

Bezüglich des Begriffes "Open Mind" enthält das englische dictionary unter "mind" eine derartige Fülle von<br />

Bedeutungen, das man in der Tat gespannt sein darf, nach wie vielen Richtungen hin die Bühne wirklich offen<br />

sein wird. Da ist zuerst einmal von "Gemüt" und "Herz" die Rede, aber auch von "Verstand" und sogar von<br />

"Geist". Etwas später schleicht sich auch die Bedeutung von "Ansicht" oder "Meinung" dazu, die sich über die<br />

"Neigung" bis hin zur "Lust" steigern kann. Nicht zu vergessen alles, was mit "Gedächtnis" und "Erinnerung" zu<br />

tun hat, so daß man unterm Strich an einem Abend mit<br />

Strippenden Volksmusikanten rechnen kann, die Nietzsche-<br />

Texte jodeln, und am nächsten mit einem realsatirischen<br />

Politik-Musical, in dem Szenen aus dem Moosburger Stadtrat<br />

vertont werden. Fest steht schon, daß es am 19. 9 zu einem<br />

Abend mit vierhändige Klaviermusik kommen soll. Dem<br />

Phantasiereichtum mutiger und kreativer Moosburger scheint<br />

also ab sofort nichts mehr im Wege zu stehen, und<br />

Entschuldigungen, daß im Moos nichts los sei, haben<br />

ausgedient. Sich anmelden oder fragen kann jeder unter<br />

08761-66276 (Rainer) oder 08761-4942 (Hirschwirt)<br />

Am kommenden Sonntag werden sich die Turntables eines DJ-<br />

Teams drehen, das sich "Wexlaz" nennt und hinter dem sich so<br />

vielversprechende Namen wie Ganjaplan, Sensiskillz, Toobee,<br />

Semml, Mushhall und Decay verbergen, die mit "Hip & Trip<br />

Hop oder Trance, Jazz oder Reggae-Elementen die<br />

Wochenendhate und die Angst vorm Montag eliminieren<br />

wollen", wie es in der Ankündigung von Initiator Rainer<br />

Grichtmaier heißt. –rk-<br />

Datum: 24.11.00<br />

Aus dem Gedankentäschchen geplaudert<br />

Kabarett-Solo des Comedy-Debütanten Mäx Huber im Hirschen<br />

Moosburg. Am Sonntag heißt es wieder einmal „Open<br />

Stage“ im Gasthaus „Zum Hirschen“, dessen Bühne nicht<br />

nur Jazzern, sondern auch anderen Kleinkünstlern und<br />

Musikern, Stand-up-Comedians und Kabarettisten offen<br />

steht. Rainer Grichtmeier bemüht sich seit geraumer Zeit,<br />

diesbezüglich Bewegung in die Moosburger Szene zu<br />

bringen und Nachwuchstalente zu ermutigen, doch hielt<br />

sich der Ansturm aufs „Offene Brettl“ bisher noch in<br />

Grenzen.<br />

Um so erfreulicher daher die Programmankündigung des<br />

jungen Moosburger Musikers und Party-Philosophen Mäx<br />

Huber, der am Sonntag unter dem Motto „Gedankentaschen“<br />

zum „bairisch-filosofisch-komischen“ Solo-Abend in den<br />

Hirschen einlädt. Musikfreunde kennen den „Mäx“ bereits als Drummer von „Jazz-Attacks“ oder „Chief<br />

Joseph“. Mit seinem mutigen Sprung aufs Kabarett-Brettl erfüllt sich der gebürtige Landshuter, der seit einigen<br />

Jahren in Moosburg lebt, erstmals einen Jugendtraum. Sein Programm aus eigenen Texten, kleinen Songs und<br />

abstrakten Wortspielereien, das er so spontan wie möglich und ohne schriftliches Korsett „vorplaudern“ möchte,<br />

entstand in den vergangenen drei Monaten beim genauen Zuhören und Hinschauen in Szene-Kreisen, in denen<br />

zu vorgerückter Stunde regelmäßig der Philosoph im Musiker Mäx Huber erwacht. „Im Prinzip ist es reiner<br />

Blödsinn, was ich mache“, faßt der eher nachdenklich wirkende Comedy-Debütant sein Vorhaben zusammen.<br />

Man darf ab 20.30 Uhr gespannt sein, was er aus seinen „Gedankentaschen“ so alles herausplaudert. –rk-


172<br />

Moosburg hat einen Kabarettisten<br />

Datum: 27.11.00<br />

Begeisterung im Hirschen über Mäx Hubers Debüt „Gedankentaschen“<br />

Moosburg. Das der Huber-Mäx ein pfiffiges Kerlchen<br />

ist, das zu vorgerückter Stunde schon so manche Party<br />

mit seinen trockenen Jokes und hintersinnigen<br />

Gedanken zur feucht-fröhlichen One-Man-Show<br />

umfunktioniert hat, wußten viele seiner Freunde, die<br />

am Sonntag zu den ersten gehörten, die sich die Plätze<br />

direkt vor der „Open Stage“ sicherten. Dass der seit<br />

zwei Jahren in Moosburg lebende Landshuter darüber<br />

hinaus ein erfolgreicher Schlagzeuger ist, der nicht nur<br />

auf deutschen Rock- und Jazzbühnen seit Jahren für<br />

erdige Grooves sorgt, wußten auch die Stammgäste des<br />

Hauses, die bereits um 20.30 Uhr nur noch wenige freie<br />

Stühle vorfanden.<br />

Wer weder das eine noch das andere wußte und erst zur<br />

gewohnten Anfangszeit in Erwartung leerer Tische<br />

hereinschneite, mußte sich Klappstühle besorgen. Denn<br />

es war etwas eingetreten, was keiner für möglich gehalten hatte: Die Neugier auf Mäx Hubers Kabarett-Debüt<br />

„Gedankentaschen“ war so groß, daß er sämtliche Besucherrekorde gebrochen hatte, bevor er auf die Bühne kletterte.<br />

Mit entwaffnender Offenheit machte er seine Nervosität vom ersten „So! – Fang ma o!“ zum Programm. Daß er sich dabei an<br />

sein Weißbierglas klammerte und eigentlich drei Hände gebraucht hätte, um Aschenbecher, Glas und Mikrofon gleichzeitig<br />

festzuhalten, konnte jeder verstehen, der von einem ähnlich kühnen Sprung auf die Bühne bisher nur geträumt hat. Der Huber<br />

Mäx aber, dieser Hundling mit dem Lausbubenlachen, dieses stille Wasser mit dem großen Durst, dieser ehrliche Kumpel<br />

vom Nebentisch, der hatte es doch tatsächlich geschafft. Nach einem Vierteljahr Vorbereitung stand er leibhaftig 50<br />

Zentimeter über allen anderen, in seinem feinen, neuen Zwirn, und machte sich ganz gemächlich daran, sein Herz und sein<br />

Hirn aufzuknöpfen, um zu schauen, was denn so drin war in den „Gedankentaschen“, die jeder Mensch so mit sich<br />

herumschleppt.<br />

Um es vorwegzunehmen. Es war wesentlich mehr drin, als die meisten erwartet hatten. Kein Wunder, standen doch von<br />

Anfang an eigentlich zwei Personen auf der Bühne, nämlich „Der, der i bin, und der, der i sei mog“. Es klang stellenweise<br />

wie die Entpuppungsgeschichte des Kabarettisten selbst, was sich die beiden verfeindeten Huber-Egos in ihrem Dauerclinch<br />

an Gemeinheiten an den Kopf warfen. Wäre da nicht doch hin und wieder ein gemeinsames Ziel aufgetaucht, wie zum<br />

Beispiel das achte nach dem sechsten Bier, man wäre wohl nie in den Genuß von Hubers Innenleben gekommen. So aber<br />

erfuhrt man endlich, wie das ist, wenn die Leber zu faul und das Ohrwatschl zu hellhörig und die Nase zu läufig ist, und<br />

wenn das Dings da, das Hippie-Pipperl, zu empfindlich auf Druck von oben reagiert. Erst recht der Blick ins Hirnkastl, wo<br />

bei Mäx Huber gleich eine ganze Familie namens Alzheimer zur Miete wohnt, ließ einen erleichtert aufatmen, als „der, der i<br />

sei mog und der, der i bin“ endlich beschlossen, gemeinsame Sache zu machen und den Song „I bin i“ nicht nur zu schreiben,<br />

sondern ihn mittels aufmüpfiger Finger auf weißen Tasten sogar zu Gehör zu bringen.<br />

Da saß er nun auf seinem Barhocker, der Mäx, dessen Zeigefinger sich so gut mit seinem Nasenloch versteht, der sich unter<br />

einem Vorstellungsgespräch alles vorstellen kann, was man sich unter Gesprächen vorstellen kann, der Leute mit<br />

Gedankentaschen, Gedankennetzen, Gedankenkoffern, ja, ganzen Gedankensafes kennt, in denen endlich mal aufgeräumt<br />

gehört, wenn man nur nicht den Safecode im Gedankentascherl im Gedankensafe hätte liegen lassen. Man sah ihm an, daß er<br />

sich in seiner neuen Haut wohl fühlte, auch dann, wenn es einmal nicht zu lachen gab. „Sag Grüß Gott und gib die Hand“<br />

gehörte zu den Anstandsregeln beim Besuch des Todes, der aus der Sicht von Mäx Huber sämtliche Schrecken verlor.<br />

Auch im Tierreich hat der Mäx sich umgesehen und den Hund „Wacki“ kennengelernt, der so gern Schuhe verzehrt, oder den<br />

Bär, der nimmer Bär sein wollte. Am Strand hat er gesessen, der Mäx, und hat beim Meeresrauschen die Qualen des Urlaubs<br />

erfahren. Im Hotel in London hat er die Unterbauer Lotti kennengelernt, die damals mit dem Frauenbund rüber ist und ihm<br />

die Liebe bis morgens früh um fünf beigebracht hat. Und in die Zukunft hat er geschaut, wo bereits Gefühle geklont werden,<br />

so daß man sich an der Frischetheke 200 Gramm Liebe und Zufriedenheit im Sonderangebot kaufen kann. Den Papst hat er<br />

beim Liebes-Deal erwischt und beim fiktiven Schlagzeug-Solo „Buck di hi“ hat er sich doch tatsächlich das Mikrofon so blöd<br />

an den Mund gehauen, daß ein Stück vom Schneidezahn weggeflogen ist. Das liegt jetzt immer noch irgendwo auf der<br />

Hirsch-Bühne, weil keiner es aufgehoben hat für den Fall, daß der Mäx mal ein Berühmter wird.<br />

Das kommt halt davon, wenn man im zweiten Teil des Programm so heftig und deftig wird, daß so mancher Zartbesaitete<br />

echte Probleme bekam mit den „Mädels, die alle für die Katz san“, der Kriecherballade „Buck di hi“ oder dem Obermaier<br />

Lucky und seiner Geschichte vom Kotzen. Dabei hatte der Mäx doch ganz nüchtern erklärt, wie es in den Amtsstuben des<br />

Körpers so zugeht, wo keiner sich für das zehnt Bier zuständig fühlt, die Hand nicht, Mund und Gurgel nicht, der Bauch<br />

schon gar nicht, und was dann oben raus kommt, wenn alles zurückgeschickt wird. Ein kräftiger Schluck Kneipenpoesie<br />

steckte auch im Song „Beim Schnapperwirt“, der nicht von ungefähr einige Ähnlichkeit mit dem Hirschwirt aufwies.<br />

Angereichert mit zahllosen kleinen Gags an Gitarre oder Klavier, gut vorbereiteten Pointen und einem natürlichen Gefühl für<br />

Timing riß der selbsternannte Independent-Kabarettist Mäx Huber sein Premierenpublikum zu Beifallsstürmen hin, die erst<br />

nachließen, als er nach der dritten Zugabe glaubhaft machen konnte, daß seine Gedankentaschen endgültig leer waren. Wer<br />

am 26.11.2000 mit dabei war, als sich ein Moosburger Schlagzeuger zum Entertainer entpuppte, war sich einig, daß man<br />

diesem Naturtalent bald auf anderen und größeren Bühnen wieder begegnen wird. –rk-


173<br />

Spielfilmdebüt: „Die Anatomie der Dinge“<br />

Datum: 17.01.01<br />

Premiere eines „No-Budget“-Spielfilms von Dennis Schmidt im „Hirschwirt“<br />

Moosburg. Am Samstag, 20.1.2001, findet auf der Open-Stage des Moosburger „Hirschen“ ab 20 Uhr die<br />

Premiere des Spielfilms „Die Anatomie der Dinge“ von Dennis Schmidt statt. Für den 23-jährigen Studenten<br />

der Druck- und Medientechnik an der FH München beginnt damit die Erfüllung eines Traumes, der vor vier<br />

Jahren während der Herstellung seines ersten Stummfilmvideos in einem „Leistungskurs Kunst“ des<br />

Moosburger Gymnasiums entstand.<br />

Im Verlauf weiterer „Fingerübungen“ verfeinerte der Jungfilmer seine Technik, aus prägnanten Bildern mittels<br />

einer Hi8-Kamera zunächst kleine Bildergeschichten und dann ganze Spielhandlungen zu entwickeln. So<br />

entstand 1998 sein erster „größerer“ Film „Nosebleed“ („Nasenbluten“) nach dem gleichnamigen Song der<br />

„Deftones“, für den er bei einem Video-Wettbewerb in Landshut den ersten Preis in der Kategorie „Filmschnitt“<br />

bekam.<br />

Während der Arbeit an einer 3teiligen Dokumentation über die Moosburger Behindertenwohnheime, in denen<br />

Dennis Schmidt seinen Zivildienst absolviert hat, entstand Ende 99 die Idee zur „Anatomie der Dinge“.<br />

Entsprechend seiner Vorstellung, mit einem „Team aus Kreativen der Region alles unter einen Hut zu bringen“,<br />

schrieb „DennisDust“, wie er sich inzwischen selbst nennt, zusammen mit dem Landshuter Autorentalent<br />

Markus Linner zunächst das Drehbuch und nahm dann wegen des Soundtracks Kontakt zu den Musikern von<br />

„Homeslice“, und „Tide“ sowie zu Andreas Paar aus Freising und Robert Felsl aus Nandlstadt auf.<br />

Als auf einen Aushang in der Falckenbergschule vier ausgebildete Schauspieler antworteten, sie würden<br />

unentgeltlich mitwirken, konnten im September 2000 die Dreharbeiten beginnen. Dank der Unterstützung durch<br />

Betriebe und das Moosburger Kulturamt bei den Drehgenehmigungen wurden bei der Südchemie AG und in den<br />

Hallen von Steinbock geeignete „Locations“ gefunden, aber auch im Landshuter Klinikum, im Englischen<br />

Garten und in Moosburger Szenelokalen und Wohnungen. 20 Tage lang wurde die Geschichte von einem jungen<br />

Mann, der die Welt zwischen Gegenwart und Rückblenden, Wirklichkeit und Wahn als bedrohliche Obsession<br />

erlebt, durch ein bis zu 20 Mitarbeiter großes Team in Szene gesetzt. Herausgekommen ist laut „DennisDust“ ein<br />

„düsterer Film zwischen Psychodrama<br />

und Thriller“ von 55 Minuten Länge.<br />

Das anfängliche „No-Budget“-Projekt<br />

hat nach neunmonatiger Produktionszeit<br />

inklusive Schnitt und Tonbearbeitung<br />

dann doch 5000 Mark gekostet. Mit<br />

2000 Mark wurde „DennisDust“ durch<br />

eine Erdinger Brauerei unterstützt, für<br />

die er im Gegenzug einen Werbespot<br />

drehte, sowie durch technische<br />

Beistellungen einiger Firmen und<br />

Freunde. Den Löwenanteil der Kosten<br />

muß der Jungfilmer jedoch selbst tragen.<br />

Bei Vorführungen in geeigneten<br />

Szenekneipen, die nach der Premiere im<br />

Hirschen geplant sind, wird die „Die<br />

Anatomie der Dinge“ als Video und als<br />

CD erhältlich sein. –rk-<br />

„Die Anatomie der Dinge“, ein düsterer Thriller zwischen Wahn und Wirklichkeit,<br />

hat am Samstag im „Hirschwirt“ Premiere


174<br />

Filmische Etüde über Paranoia<br />

Datum: 22.01.01<br />

„Die Anatomie der Dinge“ wird im Hirschwirt zum lokalen Ereignis<br />

Moosburg. Selbst eingefleischte<br />

Besucher konnten sich nicht erinnern,<br />

wann der Hirschwirt jemals so voll war<br />

wie am Samstag bei der Premiere des<br />

Films „Die Anatomie der Dinge“.<br />

Wegen des unerwarteten Andrangs<br />

setzten die Macher gleich eine zweite<br />

Vorführung an, die ab 22.30 für eine<br />

ebenso gut besuchte Spätvorstellung<br />

sorgte.<br />

Das Erstaunliche daran: obwohl der Film<br />

des Regie-Gespanns Dennis Schmidt/<br />

Markus Linner deutlich als Erstlingswerk<br />

zu erkennen ist und auch inhaltlich ein<br />

düsteres Rätsel bleibt, feierten die<br />

Besucher die Premiere als Filmereignis.<br />

Das Kritische vorweg: Nicht nur unter<br />

Cineasten mag der Titel „Die Anatomie<br />

der Dinge“ Assoziationen an Wim<br />

Wenders preisgekröntes Frühwerk „Der Stand der Dinge“ (Goldener Löwe 1982) geweckt haben. Wer bei der<br />

Titelwahl so hoch-(trabend) oder naiv ins Filmfach greift, muss damit leben, dass auch die Erwartungen hoch<br />

sind. Um so größer daher die Überraschung, 55 Minuten lang Zeuge einer durchaus spannend erzählten<br />

Geschichte zu werden, die aber ehrlicherweise eher einen Titel wie „Erster Versuch über Paranoia“ verdient<br />

gehabt hätte als das etwas manierierte „Die Anatomie der Dinge“<br />

Nun müssen sich aufstrebende Jungfilmer ja nicht durch ein Übermaß an Redlichkeit hervortun, sondern eher<br />

durch ihre Macherqualitäten, was Dennis Schmidt und seinem Team durchaus gelungen ist. Die Tatsache allein,<br />

dass eine in Moosburg geborene Idee mit Hilfe kreativer Kumpel aus der Region und der tatkräftigen<br />

Unterstützung durch einheimische Gönner und Firmen an Moosburger Drehorten zu einem vorzeigbaren Produkt<br />

wurde, das bei seiner öffentlichen Premiere gleich eine ganze Generation von gleichgesinnten Jugendlichen und<br />

neugierigen Erwachsenen auf die Beine brachte, verdient respektvolle Sympathie.<br />

Dennis Schmidt selbst hat seine zwölf vorausgegangnen Filmarbeiten als „Fingerübungen“ bezeichnet. Um im<br />

Bild zu bleiben, ist ihm und dem Landshuter Autor Markus Linner nun eine „Finstere Etüde“ gelungen, die vor<br />

allem aufhorchen lässt. Deutlich inspiriert durch den Rhythmus und die Horroreffekte des Soundtracks verraten<br />

vor allem die clip-artig geschnittenen Sequenzen zur Musik der Moosburger Band „Homeslice“ eine eigene<br />

Handschrift. Streckenweise erreicht der Film die Qualität avantgardistischer Video-Clips, was mit ein Grund für<br />

die gute Aufnahme im Hirschen gewesen sein dürfte.<br />

Die Geschichte selbst, in der ein gewisser Richard Seiden zwischen Illustrierten-Lektüre, Schicht-Maloche,<br />

einsamen Video-Nächten und einer seltsam seelenlosen Liebesbeziehung zum Opfer gewalttätiger<br />

Halluzinationen wird, in denen drei anonyme Finsterlinge selbst so vertraute Spots wie das Wochenblatt-<br />

Straßencafe in Moosburg unsicher machen, wird dagegen mit eher konventionellen Stilmittel erzählt. Sieht man<br />

einmal von den interessanten Video-Trick-Sequenzen vor dem Spiegel und anderen psychedelischen Überblend-<br />

und Gegenlicht-Techniken ab, kann der Film<br />

seine Hi8-Entstehungsgeschichte nur selten<br />

verleugnen.<br />

Dennoch bleibt festzuhalten, dass bei dem<br />

Erstling eines jungen Moosburgers nicht die<br />

Machart zählt, sondern die Tatsache, dass er<br />

überhaupt einen Film gemacht hat. Dennis<br />

Schmidt ist nicht der erste, der auf dem<br />

beschwerlichen Weg über die Idee, die<br />

Buchentwicklung, die Finanzierung, das Casting,<br />

die Produktion, die Nachbearbeitung und die<br />

Vermarktung eines Filmes gelernt hat, aus<br />

Etüden Symphonien zu machen. Man wird<br />

Dennis Schmidt alias „DennisDust“ wieder<br />

begegnen. –rk-<br />

Die Macher und Darsteller Long Harzheim, Sabine Klein, Markus Linner, Dennis Schmidt<br />

und Christian Heiner-Wolf (v.l.n.r.) genossen die Premierenstimmung im Hirschwirt.


175<br />

Vorsicht „Hirscheriche“!<br />

Datum: 22.02.01<br />

Moosburg. „Unterhaltung pur, knackigen Rock und überraschende musikalische Perspektiven“ - nicht mehr und<br />

nicht weniger kündigen die „Hirscheriche“ für den „Ope-Stage“-Abend am Sonntag, 25.2. 21 Uhr im Hirschwirt<br />

an. Fünf „dilettantische Autodidakten mit hohem Show-Potential“, wie sie sich nennen, haben sich „Jahrzehnte<br />

lang auf diesen Auftritt vorbereitet“. Bluesige Balladen, Selbstkomponiertes und „versteckte Hits in<br />

eigenwilligen Interpretationen mit Kultcharakter“ stehen auf dem Programm. Unter dem Pseudonym<br />

„Banalbertie´s Hammerthal Boyz“ konnten Eingeweihte das Quintett schon einmal beim politischen<br />

Aschermittwoch 2000 der Bündnis90/Grünen im Freisinger „Abseits“ erleben. Die fünfte Jahreszeit ist eben die<br />

Brunftzeit der „Hirscheriche“. -rk-<br />

Vom Blues zum psychedelischen Inferno<br />

Vergnügliches Debüt der „Hirscheriche“ auf der „Open Stage“<br />

Datum: 01.03.01<br />

Moosburg. Für ausgelassene Stimmung<br />

sorgten die „Hirscheriche“ bei Ihrem ersten<br />

öffentlichen Auftritt am vergangenen<br />

Sonntag auf der „Open Stage“ des<br />

„Hirschwirt“ in Moosburg. Dazu trugen<br />

nicht unerheblich Künstler-Pseudonyme wie<br />

„Fischerich“, „Alberterich“ oder<br />

„Hirschreiterich“ bei, die, wie bei<br />

„Hirscherichen“ nicht anders zu erwarten,<br />

allesamt auf „Erich“ endeten<br />

Bei der skurrilen Show der Rockband<br />

gesetzteren Alters amüsierten sich annähernd<br />

90 Besucher. Für Heiterkeit sorgten zunächst<br />

originelle Hirschkopfanstecker, die im<br />

Publikum verteilt wurden. Sie blinkten zwar<br />

nicht immer im Takt der Musik, dafür aber im<br />

Rhythmus der Herzen. Outfit und Ambiente<br />

waren im Stile einer Glitter-Rock-Band<br />

aufeinander abgestimmt. Angekündigt vom Freisinger Original und DJ Robbie Dubbing-Man bot das über<br />

zweistündige Programm ein originelles Kaleidoskop von Hits der 60er bis 80er. Nach anfänglicher Verwirrung,<br />

die Ali Schindlbeck durch ein Ethnostück auslöste, bei dem er als Virtuose auf der Saz brillierte, schwor<br />

Trommler P. Fischerich seine Mitspieler auf den Pfad des „good old Rock´n-Roll“ ein.<br />

Mancher Versuch des Alberterich, in die Welt der Gitarrenheroen auszubrechen, verriet entwicklungsfähiges<br />

Potential, das vom Bassmann stets zuverlässig auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde. Gemeinsam<br />

mit Enno Messerschmitterich an der Rhythmusgitarre, dem gelegentlich aberwitzige Soli gelangen, bereitete er<br />

die Basis für die stimmlichen und tänzerischen Eskapaden von Sänger und Perkussionist Mane Hirschreiterich,<br />

einen Star zum Anfassen, der in seiner silbernen Glitzerhose nicht nur beim weiblichen Publikum Punkte<br />

sammelte. Höhepunkt war zweifelsohne der<br />

„Countryframe“ vor der Pause: ein Beweis für<br />

die Dehnbarkeit musikalischer Interpretations-<br />

Möglichkeiten.<br />

Der zweite Set begann mit Bluesnummern, die<br />

sich nach und nach zu psychedelischen Infernos<br />

steigerten. Obwohl die fünf Hirscheriche nicht<br />

immer einen gemeinsamen Schluss fanden und<br />

manchen Song abrupt beendeten, gelang ihnen<br />

mit „La Paloma“ doch ein umjubelter Abschluss<br />

nach einem vergnüglichen und kurzweiligen<br />

Abend. -rk-<br />

Die „Hirscheriche“ steigerten Bluesnummern bis zum<br />

psychedelischen Inferno


176<br />

„So ein Typ stirbt nicht!“<br />

Hommage im „Hirschwirt“ zum 10.Todestag von John Cage<br />

Datum: 02.09.02<br />

Moosburg. „John Cage hat Geburtstag! oder: So ein Typ stirbt nicht“, heißt eine Hommage, die am<br />

Mittwoch, 4. September, um 21 Uhr im Moosburger „Hirschwirt“ stattfindet, Auf dem Programm steht eine<br />

Version des John Cage-Stückes „4' 33'' von Hans Pfitzinger (Gesang und Gitarre) für 12-Saiten-Gitarre.<br />

Hinzu kommt eine Lesung unter dem Motto „Jedem seine eigene<br />

Welt - Happy Birthday, John Cage!“<br />

Am 5. September wäre er 90 Jahre alt geworden: John Cage,<br />

radikales Musikgenie aus den USA, hat nicht nur die sogenannte<br />

Kunstmusik verändert. Sein Einfluss auf Frank Zappa und Pink<br />

Floyd hat der Pop-Musik neue Dimensionen eröffnet. Hans<br />

Pfitzinger, Münchner Autor, der letztes Jahr schon im Hirschen<br />

gelesen hat (aus seinem Buch "The Doors - Tanz im Feuer"), stellt<br />

John Cage in einer kurzen Einführung vor. Dabei erfahren wir, was<br />

der Weiler Rehbach bei Moosburg mit John Cage zu tun hat,<br />

weshalb nicht alle Presseerzeugnisse die Kunst entehren und das<br />

Volk verblöden, und welche Idee hinter dem John-Cage-Stück „4'<br />

33'' steckt. Am 29. August 1952, vor 50 Jahren also, wurde „4' 33''<br />

in Woodstock im US-Staat New York erstmals aufgeführt. Obwohl<br />

es für Konzertflügel geschrieben wurde, hatte Cage nichts dagegen,<br />

wenn es mit anderen Instrumenten gespielt wurde. Frank Zappa<br />

benutzte bei seiner Aufführung eine E-Gitarre. John Cage starb am<br />

12. August 1992, vor zehn Jahren also. Wir halten es mit Mickey<br />

Hart, dem Drummer der „Grateful Dead: "Ich glaube nicht, dass<br />

John Cage tot ist. So ein Typ stirbt nicht." -rk-<br />

„So ein Typ wie John Cage stirbt nicht !“<br />

Annäherung an einen rebellischen Neutöner<br />

Der amerikanische Komponist John Cage wäre gestern 90 Jahre alt geworden<br />

Moosburg. Vor zehn Jahren, am 12. August 1992, starb der US-amerikanische Komponist und Autor John<br />

Cage. Schon zu Lebzeiten hatte der als Erfinder des präparierten Klaviers geltende Komponist großen Einfluss<br />

auf die neue und avantgardistische Musik. Gestern, am 5. September, wäre er 90 Jahre alt geworden. Der<br />

Journalist und selbst ernannte „Liederpfleger“ Hans Pfitzinger aus München versuchte aus diesem Anlass auf der<br />

Bühne des „Jazz Club Hirsch“ eine musikalisch-literarische Annäherung.<br />

Zur Person des Protagonisten Hans Pfitzinger (57), den<br />

zahlreiche Jazz-Club-Besucher noch von einer Lesung aus<br />

seinem Buch „Tanz im Feuer“ über Jim Morrison von den<br />

„Doors“ in Erinnerung hatten: Der studierte<br />

Politikwissenschaftler lebte in den siebziger Jahren in San<br />

Francisco und Umgebung, von wo aus er die Hamburger<br />

Rockmusik-Zeitschrift „Sounds“ als freier Korrespondent mit<br />

Nachrichten aus der amerikanischen Musikszene belieferte.<br />

Später war er Zeitschriftenredakteur in München und schieb unter<br />

anderem für den „Playboy“, für „Lui“ und „TransAtlantik“.<br />

Heute arbeitet er als Autor, Übersetzer und „Liederpfleger“.<br />

An den Beginn seiner von spürbarer Bewunderung und<br />

Sympathie für den bedeutendsten Vertreter der amerikanischen<br />

Avantgarde getragenen Hommage stellte Hans Pfitzinger ein<br />

typisches Beispiel für die unkonventionelle Denkungsart des<br />

Neutöners John Cage, nämlich ein Stück mit dem Titel „4’33’’“<br />

Es besteht aus nichts anderem als der Längenangabe vier Minuten<br />

und 33 Sekunden. Den Rest steuert das Publikum selbst bei, in<br />

dem es die Zeit bis zum Klingeln eines Weckers zunächst mit<br />

Schweigen oder Flüstern, später dann mit Gelächter und teilweise<br />

auch mit Zwischenrufen ausfüllt.<br />

Hans Pfitzinger erinnerte liebevoll und kenntnisreich<br />

an den Avantgarde-Komponisten John Cage


„Je nach dem, welches Instrument währenddessen auf der Bühne steht, wird „4’33’’“ als Klavier- , als Gitarren-<br />

oder als Trompetenstück aufgeführt“, erklärte der sichtlich amüsierte Protagonist dem verdutzten Publikum, als<br />

es sich nach genau vier Minuten und 33 Sekunden selbst Beifall spendete. In der anschließenden Lesung, die<br />

unter dem Motto „Jedem eine eigene Welt“ stand, erfuhr man viel Neues über den kauzigen, rebellischen und<br />

verspielten John Cage, den sein Lehrer Arnold Schönberg nach zwei Jahren Kompositionsunterricht mit der<br />

Begründung, er werde niemals lernen, Musik zu schreiben, hinausgeschmissen hatte.<br />

Angefangen von ersten Versuchen mit präparierten Klaviersaiten über sein Stück „HPSCHD“ für sieben<br />

Cembali, 51 Tonbandgeräte, sieben Film- und 80 Diaprojektoren bis hin zur Verleihung des Guggenheim Award<br />

1949, seinem Studium des Zen-Buddhismus oder seiner aus Zeichnungen bestehenden Partitur zum Stück<br />

„Renga", das die Musiker nach eigenem Gutdünken interpretieren konnten, lernten die Zuhörer Stationen eines<br />

Lebensweges kennen, wie er spannender und unkonventioneller kaum hätte sein können. Mit einem Ausschnitt<br />

aus der CD „Mystery Box" von Mickey Hart, dem Drummer der Grateful Dead, ließ Hans Pfitzinger seine<br />

Hommage ausklingen. Darin hieß es sinngemäß: “Ich glaube nicht, dass John Cage tot ist. Er ist einfach nicht der<br />

Typ zum Sterben!“ -rk-<br />

Moosburg. „Kennen Sie Hip<br />

Hop? - Na klar! Kennen Sie auch<br />

Trip Hop? - Wie bitte?“ - So oder<br />

so ähnlich könnte eine Umfrage<br />

unter Musikfreunden lauten, die<br />

in den letzten Jahren vor lauter<br />

„Jungle“ und „Rap“, „Dub“ und<br />

„Drum ‚n’ Bass“ eine<br />

Musikrichtung verpasst haben, die<br />

um 1990 im englischen Bristol<br />

entstand und von Szene-Kennern<br />

so beschrieben wird: dem „Trip<br />

Hop“ fehlt im Gegensatz zum<br />

„Hip Hop“ der „Rap“, im<br />

Gegensatz zum „Dub“ der<br />

„Reggae“. Alles klar? Wem nicht,<br />

dem bietet das Moosburger<br />

„Walter Beck-Duo“ am 20.April<br />

im „Hirschen“ Gelegenheit zu<br />

einem geselligen Update in<br />

Sachen DJ-Musik.<br />

177<br />

“Trip Hop”- Party im Hirschen<br />

Johannes Walter (links) und<br />

Sebastian Beck laden zur „Trip<br />

Hop“-Party in den Hirschen<br />

Datum: 15.04.02<br />

Auch Tanzfreunde kommen auf<br />

ihre Kosten, denn zum „Trip<br />

Hop“ gehört ein tanzbares Tempo<br />

(„Big Beats“), sowie harmonische<br />

und melodische Elemente aus der<br />

Popmusik. Viel Wert wird auf die<br />

Unterstützung durch Computer<br />

und Sampler gelegt. Sogenannte<br />

„LoFi“-Effekte (Low Fidelity)<br />

wie Vinylknistern, Netzbrummen<br />

und sonstiger Akustik-Schmutz<br />

sind willkommen, denn die Musik<br />

lässt bewußt Freiraum, um solche<br />

Spielereien auszukosten. Erste<br />

Auftritte des „Walter Beck-Duos“<br />

an Silvester und im Februar<br />

ließen bereits aufhorchen. Und<br />

„gemütlich“ soll es obendrein<br />

gewesen sein. Warum also nicht?<br />

-rk-


178<br />

Datum: 05.04.04<br />

Sein Publikum mit Blödsinn verzaubern wollte Clemens Lanzinger (25) am Sonntag bei<br />

einer spontanen Open-Stage-Veranstaltung, die tatsächlich etwa drei Dutzend Freunde und Bekannte des<br />

Moosburger Trash-Zauberers in den Hirschwirt lockte. Ohne Konzept, dafür aber mit dem festen Vorsatz, beim<br />

munteren Improvisieren mit einem Kinderzauberkasten<br />

als Nebenprodukt möglichst viel Humor zu erzeugen,<br />

machte sich der Amateur-Entertainer ans Werk. Nach vier<br />

vorausgegangenen Vorstellungen, davon eine bei einer<br />

Geburtstagsparty des Moosburger Schlagzeugers und<br />

Kabarettisten Mäx Huber in Wien, hatte sich nicht etwa<br />

Routine eingeschlichen, sondern eher das Gegenteil.<br />

Nichts war geprobt, nichts gelang aus dem Stand, alles<br />

ging herrlich schief und wer sich im Publikum ein<br />

kindliches Gemüt bewahrt hatte, kam bei so viel<br />

gekonntem Dilettantismus voll auf seine Kosten. Ob<br />

daraus freilich irgendwann mehr werden kann als eine<br />

öffentlich abgehaltene Privatshow für waschechte<br />

Freunde, darf ernsthaft bezweifelt werden. Aber warum<br />

denn auch: sogar Mama und Papa und Gattin und sonstige<br />

Angehörige hatten ihre Freude an der familiären<br />

Sonntagabendgaudi, und wenn dann erst der Nachwuchs irgendwann durch den Hirschwirt krabbelt, dann wird<br />

Clemens Lanzinger mit Sicherheit der tollste Zauber-Papa, den es gibt. Nur mit Messer, Gabel, Schere und Licht<br />

sollte er in Zukunft mindestens ebenso vorsichtig sein wie mit der Kettensäge. -rk-<br />

Open Stage: Schaukampf der Trash-Magier<br />

Datum: 13.12.04<br />

Ein „Zauber-Battle-Finale“ lieferten sich am Sonntag ein „Profizauberer Collin“ (links) aus Eching und der<br />

selbst ernannte Amateur-Trash-Magier „Der große Lanzini“ aus Moosburg auf der Open-Stage-Bühne des<br />

Gasthauses „Zum Hirschen“. Die Plakat-Ankündigung „60 Minuten geballter Humor, verblüffende Zauberei und<br />

gekonnte Freakshow, von Endrundenteilnehmern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten“, versprach viel.<br />

Hellhörigen Zeitgenossen sogar zu viel. Diese Form der irreführenden Ironie lockte nämlich weniger Besucher<br />

an als bei früheren Gelegenheiten, als sich der „Große Lanzini“ mit seiner alternativen Kindergeburtstags-Backe-<br />

Backe-Kuchen-Show noch solo und per Handzettel vorgestellt hatte. Dank vieler treuer Freunde aus der<br />

Sandkasten-Szene löste dennoch wieder fast jedes zweite Wort Kicherkrämpfe aus, geriet jede Tollpatschigkeit<br />

zum Kaputtlacher und jedes zufällig funktionierende Feuerzeug zum bejubelten Weltwunder.<br />

Dass ein angehender Profizauberer mit dem Bühnencharme und dem handwerklichen Können eines Collin sich<br />

dennoch mehrfach fragen musste, warum einige Besucher schon während der Vorstellung das Weite suchten,<br />

hätte eigentlich für einen Punktsieg des Amateurs sprechen müssen, der seinem Gegner auf dem Weg zur<br />

Infantilisierung des Publikums ein gutes Stück voraus zu sein scheint. Doch endete der ungleiche Kampf<br />

zwischen einem Zauberer, der charmant sein wollte und einem Charmeur, der gar nicht zaubern wollte, mit<br />

einem abgekarteten, langweiligen und irgendwie entzauberten Unentschieden. -rk-


179<br />

Ungewohnte Klänge im Hirschwirt<br />

Datum: 28.02.05<br />

Die Volksmusikanten „Erlbach Halodri“ wurden mit freundlichem Beifall empfangen<br />

Moosburg. Von Zeit zu Zeit versucht Barkeeper Reiner Grichtmaier, Schriftführer des Jazz Club Hirsch, auf<br />

der „Open Stage“-Bühne am Sonntag im Hirschwirt alternative und neuartige Darbietungen auf die Beine zu<br />

stellen. Am vergangenen Sonntag kam es zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen drei Volksmusikanten<br />

namens „Erlbach Halodri“ aus Buch a. Erlbach und dem sonntäglichen Stammpublikum der Szenekneipe.<br />

In weiser Voraussicht hatten die Musiker fast zwei Dutzend Fans aus dem Holzland mitgebracht, die sofort in<br />

der Überzahl waren und eventuell vorhandene Schwellenängste schnell ablegten. Was Robert Häusler (Gitarre,<br />

Mandoline, Blockflöte und Gesang) und Franz Molnar (Gitarre, Gesang und Witze) unter „echter bayerischer<br />

Volksmusik“ verstehen und mit charmanter Unterstützung von Anke Lößner (Mandoline, Flöte und Gesang)<br />

zum Vortrag bringen, nämlich lustige und garantiert Gema-freie Stücke aus dem bayerischen Volkmusikarchiv,<br />

sowie eigene, teilweise politische Gstanzln, brachte die mitgereisten Schlachtenbummler um so mehr in<br />

Hochstimmung, als der Beifall der übrigen Zuhörer mehr und mehr in Richtung Freundlichkeit tendierte. So<br />

betrachtet war das ungewohnte Volksmusik-Experiment auch eine Übung in kulturelle Toleranz, die beide Seiten<br />

problemlos und mit viel Anstand meisterten.<br />

Entgegen der üblichen Anfangszeit gegen 21.15 Uhr gaben die Schlachtenbummler aus dem Erlbachtal mit<br />

ihrem Hinweis, sie müssten am nächsten Morgen früh aufstehen, ihren Helden bereits um 20.30 Uhr das Zeichen<br />

zum Start. Ein Loblied auf „gutes, echtes, gsüffiges, gschmackiges, boarisches Bier“ machte den Anfang, gefolgt<br />

vom „Häusler-Bua“ und einer Griesbacher Flötenweise, bevor Franz Molnar zum ersten mal in seine gut<br />

sortierte Witzkiste griff. Ein Gitarren-Solo des Musiklehrers Robert Häusler folgte, sowie mutige Gstanzln über<br />

George W. Bush, die in freistaatstragenden Kreisen längst nicht alle mehrheitsfähig sein dürften. Schön auch<br />

das griechisch angehauchte „Felina“, eine Komposition des Moosburgers Sepp Winter, sowie später das<br />

Kärntnerlied „Wie verlassen i bin“ von Thomas Koschart.<br />

Eine Perle bayerischer Volksmusik wie „De Pinzgerin“ verdient schon wegen ihres Refrains besondere<br />

Beachtung: der Text „Zwegst’n Harax Dax, pax beim Zeh, schmeiß auf d’Höh, Schmoiz in da Butt’n, Loam in<br />

der Gruam, furt auf d’Nacht, hoam in da Frua, lustig sama mia Holzhacka-Buam, Schwiegermutter streck’n<br />

Oarsch auf d’Höh, holari holarei holerö“ wird in atemberaubenden Tempo gemeinsam gesungen und schafft<br />

eben jenes griabige Miteinander, das für echte bayerische Volksmusik so typisch ist.<br />

Weitere Kostproben wie das Lied vom Gastanstaltsdirektor oder der Zwiefache „Hinter meim Vodda seim Stadl“<br />

oder das uralte Wirtshauslied<br />

„I aber ned – Du aber scho“<br />

boten den Zuhörern Dialekt-<br />

Training und bajuwarisches<br />

Lebensgefühl in einem,<br />

wobei bis zur freiwilligen<br />

Zugabe offen blieb, ob der<br />

Funke echter bayerischer<br />

Volksmusik nun auf das<br />

Stammpublikum übersprang<br />

oder nicht. Mit ein Grund für<br />

die zögerliche Begeisterung<br />

mag auch die mitunter etwas<br />

unfertige Art des Vortrages<br />

gewesen sein, die bei einem<br />

„Hoagarten“ an Tischen<br />

jederzeit durchgehen mag,<br />

auf einer Musikbühne wie der<br />

des Jazz Club Hirsch aber<br />

nicht.<br />

Eines muss trotzdem als voller Erfolg der Begegnung dick unterstrichen werden: Auf der Suche nach einem<br />

Publikum, das zuhören kann, sind die „Erlbach-Halodri“ im Hirschwirt fündig geworden, wie sie selbst am Ende<br />

ihres Auftritts voll des Lobes verkündeten. Welche Teile ihres Programms in den Ohren verwöhnter Live-<br />

Musikliebhaber Bestand haben und den Ruhm echt-bayerischer Volksmusik weiter verbreiten werden, steht wohl<br />

trotzdem auf einem anderen Blatt als einem Notenblatt aus dem Bayerischen Volkmusikarchiv. -rk-

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