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Ich habe meinen Sarg gezimmert« - Asphalt Magazin

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22<br />

TITELTHEMA<br />

»<strong>Ich</strong> <strong>habe</strong> <strong>meinen</strong><br />

<strong>Sarg</strong> <strong>gezimmert«</strong><br />

Eine Frau, für die Sterben und Tod keine Tabu-Thema sind, kämpft dafür, dass auch Arme das Recht auf<br />

eine selbstbestimmte und würdige Beerdigung <strong>habe</strong>n. (Teil I)<br />

Tina Huyghe ist 52 Jahre<br />

alt, von zarter Gestalt, ihre leuchtend<br />

roten Haare umrahmen ein<br />

Gesicht, das viel Schönes und<br />

viele Abgründe im Leben gesehen<br />

hat. Tina Huyghe ist heute arm<br />

und verschuldet. Das war nicht<br />

immer so; nach ihrem Studium<br />

war sie als Fotografi n überall in<br />

der Welt unterwegs: »<strong>Ich</strong> kann sagen,<br />

ich <strong>habe</strong> wirklich gut gelebt.«<br />

Über den Tod, eine ganzheitliche<br />

Sterbebegleitung und eine menschenwürdige<br />

Beerdigung in unserer<br />

Gesellschaft, die den Tod<br />

häufi g verdrängt, macht sie sich<br />

schon lange Gedanken. Seit elf<br />

Jahren ist sie ambulante Sterbebegleiterin.<br />

Aber in letzter Zeit ist<br />

ihr selbst soviel Schmerzliches widerfahren,<br />

dass sie nun sagt: »<strong>Ich</strong><br />

möchte erreichen, dass auch arme<br />

Menschen zu Lebzeiten ihre<br />

Beerdigung würdig regeln können.<br />

Auch wir Arme sollten doch<br />

in der Gewissheit sterben dürfen,<br />

dass die Beerdigung unserem<br />

letzten, tiefempfundenen Willen<br />

entspricht.«<br />

Dabei geht es Tina Huyghe nicht<br />

etwa um das Recht auf einen<br />

teuren Eichenholzsarg, ein klassisches<br />

Requiem oder dergleichen<br />

mehr. Konstanze Kalmus, Sprecherin<br />

der Stadt Hannover sagt: »Die<br />

Öffentliche Hand spricht bewusst<br />

nicht von ›Armenbegräbnissen‹.<br />

Das klingt nach klappriger Holzkiste.<br />

Keiner wird bei uns einfach<br />

in die Kuhle geschmissen und Kalk<br />

drauf. Es soll schon würdig sein.<br />

Nach dem niedersächsischen Bestattungsgesetz<br />

ist genau geregelt,<br />

in welcher Reihenfolge Verwandte<br />

und Ehegatten für die Bestattung<br />

armer Menschen zuständig sind.«<br />

Aber genau da, sagt Tina Huyghe,<br />

fi ngen die Probleme an.<br />

Das Verhältnis vieler verarmter<br />

Menschen zu ihren engsten Blutsverwandten<br />

ist nicht automatisch<br />

so, dass diese Verwandten am<br />

besten wüssten, wie und wo der<br />

Verstorbene seine letzte Ruhe<br />

fi nden möchte: »Lebensläufe mit<br />

Brüchen, Abstürzen, Ortswechseln,<br />

schweren Erkrankungen oder<br />

einer Suchtproblematik können zu<br />

starker Entfremdung von der Herkunftsfamilie<br />

führen und manchmal<br />

leider auch von den eigenen<br />

Kindern. Intensive neue Freundschaften<br />

bilden sich oft gerade aus<br />

der Erfahrung gemeinsamer Not<br />

heraus, entstehen im Krankenhaus,<br />

in einer Selbsthilfegruppe,<br />

bei Begegnungen in der Kirche.«<br />

Zum Zeitpunkt des Sterbens, des<br />

Todes und der Beerdigung wird<br />

dieser Bruch mit den Verwandten<br />

dann offenbar.<br />

Ehegatten und Blutsverwandte<br />

dürfen – und müssen – von Gesetzes<br />

wegen alles rund um die<br />

<strong>Asphalt</strong> März 2011<br />

letzte Ruhestätte regeln. Dieses<br />

Recht ist Lebensgefährten ohne<br />

Trauschein oder besten Freunden<br />

und Weggefährten nicht gegeben.<br />

Nicht einmal, wenn sie den Sterbenden<br />

wochenlang aufopfernd<br />

begleitet <strong>habe</strong>n und um alle seine<br />

letzten Wünsche und Absichten<br />

wissen. Es sei denn, der Verstorbene<br />

hat seinen Willen ausdrücklich<br />

schriftlich niedergelegt, am<br />

besten notariell beglaubigt. Viele<br />

Menschen aber, die seit Jahren<br />

in seelischer und materieller Not<br />

leben, unterlassen diesen formaljuristischen<br />

Schritt der Willensbekundung.<br />

Zu überwältigend sind<br />

beim Abschiednehmen von dieser<br />

Welt alle anderen Sorgen und Gedanken.<br />

Bernd Seidensticker, Bestatter in<br />

Hannover-Linden, betont die positiven<br />

Auswirkungen der strengen<br />

gesetzlichen Regelung: »Das ist<br />

gut so. Sonst käme es regelmäßig<br />

zu dem gefürchteten Fall, dass sich<br />

Menschen an einen Sterbenden<br />

heranmachen in der Absicht, ihn<br />

zu beerben. Es ist vom Gesetz<br />

sinnvoll geregelt, dass wir Bestatter<br />

und auch das Sozial- und Ordnungsamt<br />

verpfl ichtet sind, nach<br />

den Blutsverwandten zu suchen<br />

und in Absprache mit ihnen die<br />

Bestattung durchzuführen.«<br />

Die Lebenserfahrung von Tina<br />

Huyghe geht aber gerade in die<br />

Fotos: K. Fleige<br />

Tina Huyghe: »Unsere Trauer<br />

braucht einen festen Ort.«<br />

entgegengesetzte Richtung. Im<br />

August 2009 verstarb ihr Lebensgefährte<br />

Peter. Von Beruf Ingenieur,<br />

hatte er lange Zeit gut gelebt,<br />

besaß ein Auto und ein Haus in<br />

Südfrankreich. Mit 53 Jahren wurde<br />

er arbeitslos, Hartz IV zeigte<br />

ihm, was eine Existenz in Armut<br />

heißt. In dieser Zeit lernte er<br />

Tina Huyghe kennen. Die beiden<br />

verliebten sich, wurden ein Paar,<br />

besprachen vieles miteinander.<br />

Da Peter auch als Sterbebegleiter<br />

tätig war, bildeten der Tod und<br />

die gemeinsame Grabstätte ein<br />

wiederkehrendes Thema in ihren<br />

Gesprächen. Tina Huyghe: »<strong>Ich</strong><br />

war seine engste Vertraute. Nachdem<br />

er aber während eines Krankenhausaufenthaltes<br />

in <strong>meinen</strong><br />

Armen starb, lag das Recht, die<br />

Beerdigung zu bestimmen, in den


Händen seines Bruders, der nicht<br />

in Deutschland lebt. Peter und sein<br />

Bruder hatten in den vergangenen<br />

Jahren kaum noch Kontakt, doch<br />

war das Krankenhaus gesetzlich<br />

gezwungen, diesen Verwandten<br />

zu benachrichtigen und ihn an seine<br />

Pfl ichten zu erinnern. Von da an<br />

zählte ich nicht mehr. Alles, was<br />

ich in den intensiven Gesprächen<br />

mit Peter besprochen hatte, war<br />

hinfällig. Eine fürchterliche Erfahrung.«<br />

Auf eigene Kosten hatte Tina<br />

Huyghe bereits eine Grabstätte<br />

für Peter gekauft, in der auch sie<br />

selbst später bestattet werden<br />

wollte. Und in diesem Urnengrab<br />

liegt Peters Asche derzeit auch<br />

begraben. Aber nicht mehr lange.<br />

Peters Bruder hat gerichtlich erwirkt,<br />

dass er die Urne nach Frankreich<br />

umbetten lassen kann. Diese<br />

Vorstellung ist für Tina unerträglich,<br />

sie will eine Stelle <strong>habe</strong>n, an<br />

der sie um ihren Liebsten trauern<br />

kann. Bereits im Januar 2011 sollten<br />

Peters sterbliche Überreste außer<br />

Landes gebracht werden, doch<br />

wurde dies vom Gesundheitsamt<br />

verboten, da der Boden zu dieser<br />

Zeit gefroren war. Tina Huyghe:<br />

»Nun soll Peters Asche im April<br />

überführt werden, danach wird<br />

die Grabstätte leer sein. <strong>Ich</strong> hatte<br />

für mein letztes Geld dieses Gemeinschaftsgrab<br />

für uns beide gekauft,<br />

einen Grabstein nach seinen<br />

Vorstellungen schaffen lassen und<br />

mit unseren gemeinsamen Freunden<br />

eine innige Trauerfeier am<br />

Grab gestaltet. Jetzt bin ich hoch<br />

verschuldet, aber das Gedenken<br />

an Peter war mir das wert. Aber<br />

wir werden niemals gemeinsam<br />

in diesem Grab ruhen! <strong>Ich</strong> bin verzweifelt,<br />

Peter hätte dies niemals<br />

so gewollt.«<br />

Da Tina Huyghe zwar gläubig ist,<br />

aber schon lange nicht mehr auf<br />

Wunder hofft, hat sie die Grabstätte<br />

jetzt gekündigt: »<strong>Ich</strong> <strong>habe</strong><br />

TITELTHEMA<br />

Noch ruht die Urne mit der Asche des Hartz-IV-Empfängers Peter R. unter diesem Grabstein, den seine Partnerin<br />

und die gemeinsamen Freunde für ihn fertigen ließen. Doch den sterblichen Überresten von Peter R. ist keine<br />

Ruhe beschieden: Die Urne soll ins Ausland umgebettet werden. Sein letzter Wille zählt nicht, da er ihn nicht<br />

juristisch exakt hinterlegt hat.<br />

mir bereits <strong>meinen</strong> eigenen <strong>Sarg</strong><br />

gezimmert und meine Urne gefertigt,<br />

ein schönes Leichenhemd<br />

aus Seide liegt bereit. Pastor Kampermann<br />

von der Nikolai Kirchengemeinde<br />

in Limmer wird in der<br />

Nikolai-Kapelle eine Trauerfeier<br />

für mich halten. Was danach mit<br />

meiner Asche geschieht, weiß ich<br />

nicht, ich bin zu arm, um hier noch<br />

irgendetwas bestimmen zu können.«<br />

Rechtlich zuständig sind ihre<br />

beiden volljährigen Töchter. Doch<br />

das Verhältnis zu ihnen ist nicht<br />

sehr eng: »Auch bei mir sind die<br />

Blutsverwandten nicht diejenigen<br />

Personen, denen ich rückhaltlos<br />

vertraue.«<br />

Besonders bitter: Ein Jahr nach<br />

dem Tod ihres Lebensgefährten<br />

Peter starb dessen langjähriger<br />

Freund Uwe einen jämmerlichen<br />

Tod. Uwe war Alkoholiker, gehörte<br />

der Lindener Trinkerszene an. Nach<br />

einer schweren Bauchspeicheldrüsenerkrankung<br />

wurde er aus dem<br />

Krankenhaus entlassen, kümmerte<br />

sich aber nicht um die häusliche<br />

Pfl ege, die ihm zugestanden hätte.<br />

Er wollte niemandem zur Last<br />

fallen. Tina Huyghe: »<strong>Ich</strong> besuchte<br />

ihn und fand ihn im Sterben. Er<br />

hatte alle Hoffnung aufgegeben,<br />

sich noch einmal zu erholen. <strong>Ich</strong><br />

organisierte alle notwendige Hilfe<br />

für ihn und versprach ihm auf seinen<br />

Wunsch, mich um seine Beerdigung<br />

zu kümmern. Auf seinen<br />

Grabstein wollte er geschrieben<br />

<strong>habe</strong>n: ›Komme gleich wieder‹.«<br />

Doch auch in diesem Fall: Der hinzugezogene<br />

Bestatter musste die<br />

Blutsverwandten informieren. Er<br />

beruft sich auf seine Schweigepfl<br />

icht, dass er Tina Huyghe weder<br />

das Datum der Verbrennung<br />

noch Ort und Zeit der anonymen<br />

Beisetzung mitgeteilt hatte. Die<br />

Totenfeier, die ihr und Uwes letzten<br />

Weggefährten so wichtig<br />

gewesen wäre, konnte nie stattfi<br />

nden. Die Urne, die die Freunde<br />

für seine Asche geschaffen hatten,<br />

steht unbenutzt in einer Ecke. Und<br />

wieder ging die Trauer um einen<br />

Menschen aus der Armutsbevölkerung<br />

ins Leere.<br />

Teil II, in unserer nächsten Ausgabe:<br />

Wie sind die Beerdigungen armer<br />

Menschen gesetzlich geregelt? Wie<br />

können auch Menschen in prekären<br />

Lebensverhältnissen selbstbestimmt<br />

Anordnungen für ihre Bestattung<br />

hinterlassen? Warum wählen immer<br />

mehr Menschen, besonders aus der<br />

städtischen Bevölkerung, den Weg<br />

der Verbrennung ihres Leichnams?<br />

Stimmen aus Kirche, Stadtverwaltung<br />

und Sozialarbeit zu einem<br />

heiklen Thema.<br />

Renate Schwarzbauer<br />

<strong>Asphalt</strong> März 2011 23

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