Hotel & Gastro Union - Stefan Wiesner
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Luzern, den 14. September 2011<br />
Lebensart<br />
et<br />
H Gz<br />
«Energetisches Gericht»: Es enthält Energien eines Tiers, der Pflanzen und Mineralien seiner Umgebung. Kuhfleischsuppe mit Steinen von der Weidenbergalp, Windbeutel, gefüllt mit<br />
Mark, bestreut mit Kuhhornsteinsalz und Rotkleeblüten aus Trüffel vom Lindenbaum. Dazu Ochsenmaulsalat mit weissem Essig von Lindenblüten und Lindenholz sowie Fleur de Sel.<br />
<strong>Stefan</strong> WieSner kocht dÜfte nach<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> ist einer, der das Rampenlicht<br />
nicht sucht, ja regelrecht scheut. Auf<br />
der Homepage des Restaurants Rössli in<br />
Escholzmatt, das er mit seiner Frau Monika<br />
und einem jungen Team führt, gibt es keine<br />
Mailadresse, und auf dem Telefonbeantworter<br />
kann man keine Nachricht hinterlassen. Schottet<br />
er sich ab? «Teilweise schon», sagt <strong>Wiesner</strong>.<br />
Aber der Grund sei auch ein praktischer: Wenn<br />
man ein Mail angebe, bedeute das Mehrarbeit<br />
für seine Frau. «Ausserdem ändern die Leute<br />
dann allpott ihre Reservationen. Wir sind halt<br />
ein wenig altmodisch und bevorzugen den persönlichen<br />
Kontakt.» Dank einiger neugieriger<br />
Journalisten und Buchautoren wissen wir<br />
aber inzwischen, was <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> gedank-<br />
lich und faktisch umtreibt auf der Suche nach<br />
aussergewöhnlichen Zutaten für seine alchimistische<br />
Natur- und Saisonküche. Seit seinem<br />
ersten Buch «Gold, Holz, Stein» und einem<br />
nachfolgenden Dokumentarfilm des Schweizer<br />
Fernsehens sind sieben Jahre vergangen. Geblieben<br />
ist in den Köpfen der ein wenig unheimliche<br />
Übername des «Hexers vom Entlebuch».<br />
Angst muss niemand haben vor ihm. Er ist zwar<br />
kein «Smalltalker», aber ein sehr freundlicher<br />
Mensch, ein Künstler, Koch und exzellenter<br />
Handwerker, der dieBodenhaftungnie verloren<br />
hat. Laut seinen Mitarbeitern auch ein vorbildlicher<br />
Chef. Auf der anderen Seite ist er einer, der<br />
sehr viel weiss. Ein Suchender, der einem mit<br />
Begeisterung von seinen Entdeckungen erzählt.<br />
28<br />
Vor drei Jahren hat <strong>Wiesner</strong> angefangen, sich<br />
mit der Parfümerie zu beschäftigen. Er begann,<br />
in der Küche mit Aromen und ihren<br />
Kombinationen zu experimentieren. Die Zeitschrift<br />
«marmite» publizierte 2008 eine Titelgeschichte<br />
darüber und Radio DRS nahm das<br />
Thema auf. <strong>Wiesner</strong> meinte am Ende des Radiobeitrags:<br />
«Ich hätte gerne einmal mein eigenes<br />
Parfum ...». Das hörte Jimmy Studer, ein international<br />
tätiger Parfumeur mit Wurzeln im<br />
Entlebuch. Er nahm Kontakt auf mit dem Spitzenkoch.<br />
Er könne ihm locker ein Parfum machen,<br />
sagte Studer und kreierte drei individuelle<br />
Düfte für den Hexer. Daraus entwickelte sich<br />
eine Zusammenarbeit und später eine Freundschaft,<br />
jetzt ist ein Buchprojekt entstanden.<br />
13<br />
FotograFie © 2011 MichaeLWissing, at VerLag aarau und München.<br />
«Für mich ist mit der Parfümerie damals eine<br />
riesige Welt aufgegangen», sagt <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong>.<br />
«Diese Welt wollte ich nicht für mich behalten.<br />
Jeder andere Koch ist froh, wenn er das weiss.»<br />
Unterstützt beim Schreiben hat ihn Andrin<br />
C. Willi, der Chefredaktor von «marmite». «Ich<br />
habe immer gesagt, ich will nie ein Starkochbuch<br />
schreiben», sagt Willi auf Anfrage, «das ist<br />
Selbstbeweihräucherung. Fasziniert hat mich<br />
aber das neue Thema Parfümerie und Kochen.»<br />
Willi hat sich eingehend mit der Parfümerie beschäftigt,<br />
reiste nach Grasse in Südfrankreich;<br />
die Metropole der Düfte ist dem breiten Publikum<br />
bekannt geworden durch den Film und das<br />
Fortsetzung seite 14
14 Lebensart Luzern, den 14. September 2011<br />
Zum Autor und Koch<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> führt mit seiner<br />
Frau Monika das Restaurant<br />
Rössli in Escholzmatt/LU. 1989<br />
haben sie das Lokal von <strong>Stefan</strong>s Eltern<br />
übernommen, die das «Rössli»<br />
über 30 Jahre als Landgasthof<br />
betrieben. Spezialität war Schnitzel<br />
und Pommes frites. «Ich musste<br />
tonnenweise Kartoffeln schälen»,<br />
erinnert sich <strong>Wiesner</strong>. Ansonsten<br />
hätten seine Eltern viel mit Convenience<br />
gearbeitet. Der Sohn wollte<br />
etwas anderes. «Mein Traum war,<br />
ein Restaurant zu betreiben, in<br />
dem alles hausgemacht ist.» Schon<br />
früh begann er, nach ungewöhnlichen<br />
Produkten in der Natur zu<br />
suchen. Das «Rössli» funktioniert<br />
bis heute als Kompromiss. In der<br />
vorderen Gaststube bietet <strong>Wiesner</strong><br />
selbst gemachte, gute und echte<br />
Hausmannskost an, nachvollziehbar<br />
und nicht zu teuer. In seinem<br />
Stübli gibts die saisonalen Gourmetmenus.<br />
Die Leute aus dem Dorf<br />
haben mittlerweile ein gewisses<br />
Verständnis für die verrückte Seite<br />
ihres berühmten Dorfkochs. Das<br />
Restaurant hat 17 GaultMillau-<br />
Punkte und einen Stern im «Guide<br />
Michelin». (ben)<br />
Buch «Das Parfum» von Patrick Süskind.<br />
Aromen spielen beim Kochen wie in der<br />
Parfümerie eine zentrale Rolle. Dennoch<br />
fragt man sich: Wo liegt die Verbindung?<br />
Das eine schmeckt man ja, das<br />
andere riecht man. «Der Aufbau ist aber<br />
sehr ähnlich», erklärt Andrin C. Willi.<br />
«Im Anhang unseres Buchs gibt es ein<br />
Kapitel Duftfamilien. Dort findet man<br />
die so genannten Modifikateure. Das<br />
sind Stoffe, die einander verstärken.» Trüffel<br />
und Lavendel sind zwei solche Stoffe. Als neutrale<br />
Ausgangsbasis zum Experimentieren eigne<br />
sich zum Beispiel ein Grundprodukt wie Kartoffelstock.<br />
Willi: «Mit ein wenig Trüffel und<br />
Lavendel entsteht etwas geschmacklich völlig<br />
Neues aus dem Stock.»<br />
Es gebe Modifikateure, die man praktisch<br />
immer einsetzen könne, wie Vanille oder Knoblauchpulver.<br />
«Den Knoblauch braucht man viel<br />
in der Lebensmittelindustrie», weiss der Fachjournalist,<br />
«im Kaffee oder in der Vanilleglace<br />
zum Beispiel.» – Man nimmt es erstaunt<br />
und ein wenig unangenehm berührt zur Kenntnis<br />
... Thymian ist ein weiterer Modifikateur.<br />
Eine Prise Thymian in einem Mandarinen-Sorbet<br />
gibt der Mandarine erst den richtigen Kick.<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> bewundert das Know-how<br />
der Parfumeure. «Sie kreieren nicht nur Parfums,<br />
sondern schaffen heutzutage auch Duftanimationen<br />
für Shoppingscenter, bauen zum<br />
Beispiel Tabakgeruch oder den Duft von fri-<br />
et<br />
H Gz<br />
Die Handskizzen des Spitzenkochs zeigen die Entstehungsgeschichte seiner Kreationen.<br />
<strong>Wiesner</strong> präsentiert seinen Gästen jede Saison ein völlig neues, sechsgängiges Gourmetmenü.<br />
schem Brot nach.» Wenn die Köche lernten, mit<br />
diesem Wissen umzugehen, wäre das ein Riesengeschenk,<br />
nicht zuletzt für den Gast. «Die<br />
Köche können viel genauer komponieren und<br />
sind bei der Kreativität auf der richtigen Seite.»<br />
Diesen Monat erscheint im AT-Verlag also<br />
das Buch «Avantgardistische Naturküche», in<br />
dem diese interessante Verbindung zwischen<br />
Parfümerie und Küche erklärt wird. <strong>Stefan</strong><br />
<strong>Wiesner</strong> ist sehr stolz und froh, dass das Werk<br />
endlich vollendet ist. «Es ist wunderbar geworden<br />
und wird die Kochwelt hoffentlich bereichern.<br />
Das Buch ist wie ein Kind für mich, das<br />
jetzt abgenabelt wurde.»<br />
«Avantgardistische Naturküche» ist kein<br />
gewöhnliches Kochbuch, eher ein persönliches,<br />
teilweise recht anspruchsvolles Fachbuch<br />
mit wunderschön fotografierten Rezepten.<br />
Aussergewöhnlich ist auch, dass die<br />
Handskizzen des Küchenchefs für jedes Gericht<br />
abgebildet sind. Porträtiert werden auch<br />
diejenigen Leute, mit denen <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> zu-<br />
n o<br />
28<br />
sammenarbeitet und denen er Anregungen für<br />
seine Gerichte verdankt. Zum Beispiel der bereits<br />
erwähnte Jimmy Studer oder der Drogist<br />
Markus Zehnder, der Förster Peter Friedli<br />
oder die «Wicca-Hexe» Willie Haas (im<br />
Buch erfährt man, warum er eine Hexe<br />
und kein Hexer ist). Besonders dankbar<br />
ist <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> auch seiner Frau und<br />
seinen beiden «rechten Händen» in der Küche,<br />
Sebastian Titz und Rebecca Clopath (ehemals<br />
Koch-Jugendnationalmannschaft). «Sie haben<br />
mich unterstützt beim Projekt und ich bin stolz,<br />
solche guten Mitarbeiter zu haben.»<br />
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken,<br />
wird das Wort Parfum im Titel des Buchs nicht<br />
erwähnt. «Man kocht nicht mit Essenzen oder<br />
Parfums», stellt Jimmy Studer klar. Es gehe<br />
vielmehr darum, wie ein Parfumeur denken zu<br />
lernen. «Das Spannende ist, einzelne Zutaten zu<br />
kombinieren und Brücken zu schlagen. Dadurch<br />
erziele man einen angenehmen neuen Effekt,<br />
den der Esser zwar spüre, aber dessen einzelne<br />
«AvAntgArdistischenAturküche»<br />
von<br />
<strong>Stefan</strong><strong>Wiesner</strong><br />
AT-Verlag Aarau<br />
und München<br />
2011.<br />
Bestandteile er nicht kenne.» Den Indern<br />
beispielsweise müsse man das<br />
nicht beibringen, sagt Studer. Die indische<br />
Gewürzküche sprüht förmlich<br />
vor solchen filigranen Kombinationen.<br />
Ein Parfumeur organisiert sein Wissen<br />
strukturierter als ein Koch und benützt<br />
Tabellen für die verschiedenen Aromen<br />
und ihre Wirkung. «Das funktioniert<br />
auch hervorragend in der Küche», sagt<br />
der Parfumeur. Und genau das tut <strong>Stefan</strong><br />
<strong>Wiesner</strong>. Er setzt dieses Wissen in<br />
seinen Gerichten um. Im Buch, das sich<br />
an Profiköche und ambitionierte Hobbyköche<br />
richtet, findet man 48 einzigartige<br />
Gerichte, die in den letzten zwei<br />
Jahren entstanden sind. Jede Saison<br />
kreiert <strong>Wiesner</strong> für den Gourmetbereich<br />
seines Restaurants ein Menü mit<br />
sechs Gängen, das sich nie wiederholt.<br />
Im Menü «Catwalk» machte<br />
<strong>Wiesner</strong> erste Gehversuche auf dem<br />
Laufsteg der Parfümerie. Dann wurde<br />
<strong>Wiesner</strong> immer mutiger. «Wenn ich verstehe,<br />
wie gewisse Aromen funktionieren<br />
und was zusammengehört, kann<br />
ich auch den Duft eines Weines imitieren»,<br />
sagt <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong>. So hat er<br />
einen Südtiroler Wein «nachgebaut».<br />
Inklusive dem Geschmack des Barriquefasses<br />
oder der Mineralität der<br />
Steine im Weinberg.<br />
Im Zentrum jedes Gerichts von<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> steht immer ein<br />
Thema, ein Grundgedanke, der sich<br />
durchs ganze Menü und jedes Rezept<br />
zieht. «Zuerst formuliere ich das<br />
Thema, dann kombiniere ich es mit<br />
der eigenen Kochphilosophie und bestimme<br />
das handwerkliche Vorgehen», erklärt er. In<br />
seiner neuen «Duftküche» gibt es vier Arten,<br />
wie er ein Gericht respektive einen Duft komponiert.<br />
«Entweder ich baue ein Parfum nach.<br />
Zum Beispiel Pour Homme von Nino Cerruti.<br />
Dafür kombinierte ich im Wurstgang die<br />
Elemente Bergamotte, Anis, Basilikum, Fenchelsamen,<br />
Koriandersamen und Zeder.»<br />
Die zweite Variante sei, nach Duft- und Geschmacksfamilien<br />
zu kochen. Die dritte ist das<br />
Kochen nach Modifikateuren und die vierte die<br />
freie Komposition, der «Freestyle». «Diesen Stil<br />
muss sich jeder Koch selbst erarbeiten», sagt<br />
<strong>Wiesner</strong>, «das ist die hohe Kunst in der Küche<br />
wie in der Parfümerie.»<br />
Am Mittwoch, 26. Oktober, findet ab 18 Uhr<br />
eine öffentliche Buchvernissage im Restaurant<br />
Schiff in Luzern statt, das <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong>s Bruder<br />
Peter führt. Marc Benedetti<br />
www.stefanwiesner.ch