Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1<br />
<strong>Im</strong> <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong><br />
- bearbeitete Fassung -<br />
ERSTER AKT<br />
1. BILD. Der Platz vor dem<br />
..<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>"<br />
(Ein Wegweiser zeigt zum „ <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>". Rechts und links Hotelgebäude von St. Wolfgang. Ein starkes<br />
Frühsommerlicht liegt auf dem ganzen Bild. Die Morgensonne strahlt. Kathi, die Briefträgerin, kommt in<br />
voller Amtstracht von links und kündigt mit ihrem frischen ländlichen Lied das Eintreffen der Post an. Am<br />
Ende dieses Liedes stürzt aus der Dependance des „ <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>" der Piccolo. Er ist ein adretter<br />
altkluger Junge im Kennerfrack.)<br />
Kathi:<br />
HOLDRIAH!<br />
HOLDIRAH!<br />
(Jodler)<br />
Musik Nr. l Jodler<br />
Piccolo:<br />
Aber Kathi, was machens denn für einen Krach? Unsere Gäste liegen ja alle noch im Bett!<br />
Kathi:<br />
Hier ist die Post fürs Weiße <strong>Rössl</strong>.<br />
(Sie gibt ihm einen Briefpack, den er neugierig durchstöbert.)<br />
Piccolo:<br />
Nix für mich dabei? Mein Verhältnis lasst wieder nix von sich hören ~ das Luder!<br />
Kathi:<br />
Vielleicht hat sie einen Jüngeren gefunden?<br />
Piccolo:<br />
Treuloses Weib! Warum lässt du mich denn so allein - in den <strong>So</strong>mmernächten!<br />
Kathi: (im abgehen)<br />
O, HEILIGER FRIEDEN;<br />
GESEGNET SEIST DU, EIN<br />
GLÜCK NUR HINIEDEN: DIE<br />
LÄNDLICHE RUH!
2<br />
Musik Nr. 2 Ankunft der Gäste („Aber meine Herrschaften")<br />
(In das Lob des ländlichen Friedens, bricht mit Ohren zerreißendem Geknatter ein<br />
altertümlicher Autobus ein. Wo dieser nicht auf die Bühne kommen kann, genügt das<br />
Knattern und Hupen hinter der Bühne.)<br />
Reiseführer<br />
Aussteigen! St. Wolfgang, 10 Minuten Aufenthalt. Bitte sehr, take you're breakfast,<br />
Frühstück. Hurry up, hurry up!<br />
Piccolo<br />
Unsere Vergnügungsreisenden sind angekommen. Vorwärts! Herr Leopold! Wo ist denn<br />
der Leopold?<br />
Chor:<br />
HALLO, WIRTSCHAFT, FRÜHSTÜCK, FRÜHSTÜCK!<br />
Reiseführer<br />
Ladies and Gentleman, sie befinden sich hier im Hotel „Zum weißen <strong>Rössl</strong>", little<br />
white horse, berühmt als Erholungsplatz für angegriffene Nerven!<br />
Chor: KAFFEE, KAFFEE!<br />
Reiseführer<br />
Wohin ihr betrachtendes Auge sich spiegelt, das ist der Wolfgangsee, die Perle<br />
des Salzkammergutes. The pearl of Austria, fünfhundert Meter tief, enthält<br />
Forellen, ein Familienbad, eine Temperatur von 19 Grad und Radium.<br />
Chor:<br />
BUTTER! BUTTER!<br />
Reiseführer<br />
Zu ihrer Rechten, on you're right, der Schafberg, zu ihrer Linken, on you're left, der<br />
Geißberg, vor ihnen der Ziegenberg und hinter ihnen der Kalbskogel.<br />
Chor:<br />
MILCH! MARMELADE, MILCH, MARMELADE!<br />
Reiseführer<br />
Sie haben jetzt alles gesehen, sie haben die würzige Luft geatmet. Wir brechen<br />
nunmehr nach Ischl auf, nach der berühmten <strong>So</strong>mmerresidenz seiner Majestät Franz<br />
Josephs. Einsteigen!<br />
Chor:<br />
ZAHLEN, HERR OBERKELLNER, ZAHLEN BITTE, ZAHLEN BITTE, ZAHLEN BITTE,<br />
ZAHLEN, ZAHLEN!<br />
Leopold:<br />
ABER MEINE HERRSCHAFTEN, NUR HÜBSCH<br />
GEMÜTLICH. MIT DER RUHE KOMMT MAN NOCH<br />
EINMAL SO WEIT!<br />
Chor:<br />
BITTE ZAHLEN! ZAHLEN!
3<br />
Leopold:<br />
ABER MEINE HERRSCHAFTEN, NUR IMMER FRIEDLICH!<br />
WOZU DENN HETZEN, BITTE. SEHR, WIR HABEN DOCH<br />
ZEIT. SCHAUN'S AN, DEN SONNENSCHEIN, DER LEUCHT<br />
INS HERZ HINEIN.<br />
SO WIE DIE LIEBE, DIE EIN JEDER SO SEHR SCHÄTZT<br />
-UND GLÜCKLICH UND ZUFRIEDEN SEIN, KANN MAN<br />
NUR MIT LIEB' ALLEIN. NA, ALSDANN MEINE<br />
HERRSCHAFTEN, WARUM GEHT'S JETZT?<br />
(Während des folgenden geht er kassierend von Tisch zu Tisch und später zwischen den<br />
Tischen.) EINMAL KAFFEE, EIN WEICHES EI, EIN BISSERL LIEB', VIER<br />
KRONEN ZWEI! EIN TEE, ZWEI SEMRNERLN, KNUSPRIG, WÜRZIG, EIN<br />
SÜSSER BLICK, ZWEI KRONEN VIERZIG! EIN TEE KOMPLETT, EIN G'SICHT<br />
SO NETT, EIN KLEINES BIER, DREI KRONEN VIER! EIN KLEINES GULLASCH<br />
UND EIN BROT -<br />
Einige:<br />
Leopold!<br />
Leopold:<br />
BITTE SEHR, BITTE GLEICH, KOMME SCHON.<br />
Mehrere:<br />
Leopold!<br />
Leopold:<br />
ABER, ABER - ABER, ABER MEINE HERRSCHAFTEN!<br />
WAS HABEN'S SCHON WIEDER?<br />
MEINER SEEL', MIT IHNEN HAT MAN SCHON SEIN G'FRETT!<br />
Chor:<br />
BITTE, ZAHLEN, ZAHLEN!<br />
Leopold:<br />
ABER, MEINE HERRSCHAFTEN! SETZEN'S SICH DOCH NIEDER,<br />
SO SEHN'S DOCH EIN:<br />
ZERREISSEN KANN ICH MICH DOCH NET!<br />
SCHAUN'S AN DEN SONNENSCHEIN -<br />
DER LEUCHT' INS HERZ HINEIN.<br />
DOCH IMMER DIESE HETZEREI'N,<br />
DAS „TEMPO" SCHREI'N!<br />
JESSAS NEIN! (Zwei Gäste stehen dicht<br />
bei ihm. Er brüllt sie an.)<br />
Setzten! (Die Gäste<br />
fallen auf die Stühle.)<br />
NA, ALSDANN, MEINE HERRSCHAFTEN, DAS MUSS NICHT SEIN!<br />
(Er tritt nach vorne an die Rampe. Während er gefühlvoll lyrisch weiter singt, machen sich in<br />
seinem Rücken die Gäste auf den Zehenspitzen und lautlos aus dem Staub, nach links, wo das<br />
Auto auf sie wartet.)
3<br />
(Leopold)<br />
SCHAUN'S AN DEN SONNENSCHEIN,<br />
DER LEUCHT' INS HERZ HINEIN,<br />
SO WIE DAS TRINKGELD -<br />
DAS HAT UNSEREINER GERN.<br />
DOCH MEISTENS KRIEG' STATT 10 PROZENT<br />
ICH NUR DIE HAND' -<br />
SAPPERMENT!<br />
NA, ALSDANN, MEINE HERRSCHAFTEN ... (Jetzt<br />
erst bemerkt er, dass die Gäste schon abfahren. Beschwörend.)<br />
Aber, aber - meine Damen, meine Herr'n<br />
-(Halb wütend, halb lachend.)<br />
HAßT'S MICH GERN!<br />
Leopold:<br />
Very nice people.<br />
Piccolo:<br />
Was heißt denn das?<br />
Leopold:<br />
Eine geizige Bagage! Eh' die ein Trinkgeld auslassen. Wovon soll denn unsereiner<br />
seine Schulden bezahlen?! Wie viel bin ich dir schuldig, 'Gustl?<br />
Piccolo:<br />
34 Kronen 80, Herr Vorgesetzter.<br />
Leopold:<br />
34 Kronen 80. (Seufzend) Alles für sie!<br />
Piccolo:<br />
Lassen Sie sich von einem Kenner warnen! Täglich anonyme Rosen für die Frau Wirtin!<br />
Diese Weiber sind unser Ruin!<br />
Leopold:<br />
Ach, was verstehst denn du, Gustl. (Schwärmerisch) Wenn diese Frau mich nur<br />
anschaut mit ihren Glutaugen, dann bleibt mir der Verstand weg.<br />
(Man hört aus dem Hotel den Lärm von fallendem Geschirr. Josepha, die <strong>Rössl</strong>-Wirtin, tritt,<br />
lebhaft ins Haus zurück kommandierend) auf. Sie trägt ein paar Rosen im<br />
Miederausschnitt.)<br />
Josepha:<br />
Zum Kreuzdonnerwetter, wer mir noch einmal dazwischen spricht, der kriegt ein paar<br />
Watschen, dass das Haus kracht!<br />
Leopold:<br />
Wie lieb sie wieder ist!<br />
Josepha:<br />
Sie, Leopold - wie teuer haben wir denn das letzte Mal die Backhändl berechnet?<br />
Leopold (steht da und starrt sie an, verloren):<br />
Wenn Sie mich was fragen, gnädige Frau — dann weiß ich gar nix.
4<br />
Josepha :<br />
Natürlich nicht — er weiß nichts.<br />
Piccolo (sachlich):<br />
Zwei Kronen vierzig. (Stößt ihn in die Seite.) Sei ein Mann! (Er geht kopfschüttelnd und<br />
mit einem kräftigen Fluch ab.)<br />
Josepha:<br />
Was geben wir denn heut als Vorspeis'?<br />
Leopold (schwärmerisch):<br />
Oeufs ä Cocotte, Madame.<br />
Josepha (notiert):<br />
Eier im Töpfchen, -<br />
Leopold: (leidenschaftlich)<br />
Herz am Spieß.<br />
Josepha (notiert):<br />
... Herz am Spieß. Und als Mehlspeis'?<br />
Leopold (anbetend):<br />
Liebesknochen mit Himbeersaft!<br />
Josepha:<br />
Liebeskno ...? Wie schaun's mich denn an, Leopold - das fällt mir schon die ganze Zeit auf.<br />
<strong>So</strong>lche verdrehten Augen hab' ich bei einem Kalberl gern, aber bei meinem Zahlkellner<br />
sind's mir zuwider. (Will weg.)<br />
Leopold (ihr nach):<br />
Gnädige Frau, ich muss Ihnen was sagen.<br />
Josepha:<br />
Sehr richtig! Die gestrige Abendeinnahme haben Sie mir noch nicht gesagt!<br />
Leopold :<br />
280 Kronen 50. Frau Josepha, hören Sie mich an, Frau Pepi...<br />
(leidenschaftlich) Peperl, Pepitschkerl -<br />
Josepha:<br />
Halt, halt! Für Sie bin ich immer noch die Frau Maria Gabriela Josepha Vogelhuber,<br />
gebürtige Steinlechner - die Wirtin vom „<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>". Und da wir gerad beim Plauschen<br />
sind, Leopold, merken Sie sich: In den drei Jahren, seit mein seliger Mann tot ist, hab' ich<br />
fünf Zahlkellner gehabt. Anfangs waren sie alle brav und tüchtig; aber wie sie angefangen<br />
haben, solche Kalbsaugen zu machen, so wie Sie, wissen Sie, was ich da gemacht hab'?<br />
(Temperamentvoll) Aussigschmissen hab' ich sie, alle fünf. (Sie nimmt ihn am<br />
Ohrläppchen, lächelnd.) Gebens Acht, Leopold, dass Sie das halbe Dutzend nicht voll<br />
machen!<br />
Leopold:<br />
Frau Josepha —ich hab' Sie j a so -<br />
Josepha:<br />
Ruhig !
5<br />
Leopold:<br />
Einmal muss es heraus.<br />
Josepha:<br />
Gar nix muss heraus!!<br />
Leopold:<br />
Frau Pepi<br />
Josephä(drohend):<br />
Leopold!<br />
Leopold:<br />
Sie können drohen, so viel Sie wollen, ich sag's Ihnen -<br />
Josepha:<br />
Gar nix sagen Sie mir. Ich verbiet' es Ihnen -<br />
Leopold:<br />
Gar nix verbieten Sie mir. Jetzt erst recht! Jetzt sag' ich's Ihnen.<br />
Musik Nr. 3 Duett Leopold - Josepha („Es muss was wunderbares<br />
sein")<br />
Leopold (nimmt und hält sie):<br />
EINMAL NUR, ACH BITT SCHÖN, EINMAL<br />
NUR MÖCHT ICH ES WAGEN, DIR ZU SAGEN,<br />
WAS DISKRET IN MEINEM TAGEBUCH<br />
GLEICH AUF DER ERSTEN SEITE STEHT:<br />
ES MUSS WAS WUNDERBARES SEIN,<br />
VON DIR GELIEBT ZU WERDEN -<br />
DENN MEINE LIEBE, DIE IST DEIN,<br />
SO LANG ICH LEB' AUF ERDEN!<br />
ICH KANN NICHTS SCHÖNERES MIR DENKEN,<br />
ALS DIR MEIN HERZ ZU SCHENKEN,<br />
WENN DU MIR DEINS DAFÜR GIBST<br />
UND MIR SAGST, DASS AUCH DU MICH LIEBST!<br />
Josepha (hat sich vergeblich gewehrt, jetzt reißt sie sich<br />
los): BITTE SEHR! ICH WILL NICHT HÖREN<br />
MEHR, WAS SIE DA TRÄUMEN IM<br />
GEHEIMEN. SIE SIND BEI MIR DOCH NUR<br />
ALS OBER HIER UND NICHT ALS<br />
HERZENSKAVALIER!<br />
Leopold:<br />
ES MUSS WAS WUNDERBARES SEIN,<br />
VON DIR GELIEBT ZU WERDEN.<br />
Josepha:<br />
LEOPOLD, SIND'S DOCH VERNÜNFTIG!<br />
Leopold:<br />
DENN MEINE LIEBE, DIE IST DEIN,<br />
SO LANG ICH LEB' AUF ERDEN.
6<br />
Josepha:<br />
LEOPOLD, WAS SOLL DAS WERDEN KÜNFTIG?<br />
Leopold :<br />
ICH KANN NICHT SCHÖNERES MIR DENKEN ...<br />
Josepha:<br />
NA, DENKEN'S NIX!<br />
Leopold:<br />
ALS DIR MEIN HERZ ZU SCHENKEN.<br />
Josepha:<br />
JA, KRUZIFIX!<br />
IHR HERZ, DAS IST MIR GANZ WURSCHT,<br />
ABER DRINNEN DIE GAST' HAB'N DURSCHTÜ<br />
(Sie rennt ins Haus.)<br />
Leopold (allein, jetzt erst recht auftrumpfend):<br />
ES MUSS HALT DOCH WAS WUNDERBARES SEIN,<br />
VON DIR GELIEBT ZU WERDEN,<br />
DENN DEINE LIEBE, DIE IST MEIN,<br />
SO LANG ICH LEB' AUF ERDEN!<br />
ICH KANN NICHTS SCHÖNERES MIR DENKEN,<br />
ALS DIR MEIN HERZ ZU SCHENKEN,<br />
WENN DU MIR DEINS DAFÜR GIBST<br />
UND MIR SAGST, DASS AUCH DU MICH LIEBST!<br />
Josepha:<br />
Stubenmadel, alles in Ordnung? Wenn das Stubenmadel riet zum anbeißen ist, dann<br />
taugt das ganze Hotel nichts. Na Kellnerinnen, vorwärts, vorwärts, vorwärts, die<br />
Speisekarten sind noch nicht geschrieben und der Dampfer muss jeden Augenblick da<br />
sein. Vor allem, Leopold, schaun's dass Nummer vier in Ordnung kommt, das<br />
Balkonzimmer. Neue Gardinen ans Fenster, Blumen auf den Schreibtisch.<br />
Leopold (eifersüchtig):<br />
Aha, ist das vielleicht der gewisse Rechtsanwalt, von dem mir meine Vorgänger schon<br />
so viel erzählt haben? Der Herr Doktor Siedler aus Berlin? Den soll die gnädige Frau ja<br />
ganz besonders ins Herz geschlossen haben?<br />
Josepha:<br />
Hab' ich auch. Das ist der netteste Stammgast von allen — der bringt Leben ins Haus,<br />
(Glücklich lächelnd.) Morgen fängt das Schützenfest an, das lasst er kein Jahr aus! (Sie<br />
nimmt die angesteckten Rosen vom Kleid, mit leiser Zärtlichkeit.) Und angesagt hat er sich<br />
auch schon - wenn auch anonym!<br />
Leopold (blass):<br />
<strong>So</strong>! Anonym hat er sich angesagt? (Mit wachsender Erregung.) Gnädige Frau, Frau Maria<br />
Gabriela Josepha Vogelhuber, gebürtige Steinlechner: bis in den Tod hält' kein Wort davon<br />
über meine Lippen kommen sollen! Aber wenn die gnädige Frau meine Rosen trägt, nur<br />
weil sie meint, dass der Herr Doktor Siedler sie geschickt hat - dann freut mich das ganze<br />
Familienleben nicht! Dann pfeif ich drauf!<br />
(Vom See her Pfiff des nahenden Dampfers.)
7<br />
Stubenmadel<br />
(erregt): Der<br />
Dampfer<br />
Leopold (ärgerlich):<br />
Der Dampfer!<br />
Josepha (sprachlos):<br />
Sie, Leopold? Sie schicken mir jeden Tag Rosen und unterschreiben sich „Dein<br />
Schnucki"?<br />
Leopold (tief gekränkt):<br />
Jawohl, das Schnucki bin ich !<br />
Stubenmadel:<br />
Der Dampfer!<br />
Leopold:<br />
Der Dampfer, der Dampfer, Frau Josepha, Pepperl.<br />
Josepha:<br />
Pssst, Schluss mit dem Getratsche. (Dampfer tutet)<br />
Stubenmadel:<br />
Der Dampfer!<br />
Leopold:<br />
Ja, immer wenn ich was sagen will, kommt der Dampfer.<br />
Josepha:<br />
Ja, wo ist denn der Piccolo? Piccolo?<br />
Piccolo:<br />
Bitte sehr, bitte gleich.<br />
Josepha:<br />
Von gestern sind noch sechs Portionen Paprikahuhn übrig, die müssen weg, haha, im<br />
ersten Hunger frisst die Bagage sowieso alles zusammen<br />
Alle:<br />
Musik Nr. 4 Ensemble „Zauber der Saison"<br />
DAS IST DER ZAUBER DER SAISON!<br />
DA TRÄGT DIE LANDSCHAFT ZINSEN -<br />
DA ROLLT DAS GELD IN JEDER FASSON<br />
WIE ERBSEN ODER LINSEN!<br />
IM DEZEMBER HAM M'R NIX WIE SCHNEE,<br />
DOCH IM JULI SAN M'R DULI - DULI -- ÖH!<br />
DER FREMDE ZAHLT — DANN ZIEHT ER<br />
DAVON -<br />
DAS IST DER ZAUBER, DAS IST DER ZAUBER,<br />
DAS IST DER ZAUBER DER SAISON!<br />
(Der Dampfer kommt längs des Stegs hereingefahren. Gesteigertes Treiben,<br />
Durcheinanderrufen, Winken und Hüpfen auf der Bühne. Die Passagiere auf dem Dampfer zeigen<br />
sich interessier,' die Gegend, sprechen durcheinander, lachen, winken. Während die Reisenden<br />
vom Dampfer steigen, drängen die Eingeborenen ihnen entgegen.)
8<br />
Giesecke:<br />
Zwee Julden für die kleene Fahrt! Det Jeschäft ist richtig! Dafür kann ich schon dreimal von<br />
der Jannowitzbrücke nach Treptow fahren und eine Portion jrüne Aale essen! (Zu Leopold, der<br />
Servietten wedelnd sich genähert hat:) Haben Sie jrüne Aale?<br />
Leopold :<br />
Nein, bitte. Aber ein Paprikahuhn wäre da, ganz frisch von gestern.<br />
Giesecke:<br />
Will ick nicht. Wenn ich Dampfer fahre, will ich grüne Aale essen, das gehört dazu. Aber das<br />
kennen die Brüder hier natürlich nicht!<br />
Leopold:<br />
Ah - die Herrschaften kommen aus Berlin?<br />
Giesecke:<br />
Na jewiß doch! Haben Sie schon mal 'ne Gegend ohne Berliner gesehen? Ick nick!<br />
Ottilie:<br />
Papa, sieh doch bloß mal den herrlichen See!<br />
Giesecke :<br />
Der Müggelsee ist mir lieber!<br />
Ottilie:<br />
Was?!<br />
Giesecke:<br />
Er ist mir lieber!<br />
Ottilie(heiter):<br />
Du wirst schon sehen, wie wohl du dich hier fühlen wirst.<br />
Giesecke :<br />
Ich will mir gar nicht wohl fühlen. Es ist mir so lieber! (Zu Leopold.) Geben Sie mir mal<br />
die Speisekarte.<br />
Leopold (ruft):<br />
Eine Speisekarte!<br />
(Piccolo kommt mit der Speisekarte und gibt sie Leopold).<br />
Ottilie klopft ihrem Vater lustig auf den Bauch):<br />
Du sollst mal sehn, Papa, wenn du erst so ein echtes Wiener Schnitzel bekommst<br />
Giesecke:<br />
Eisbein mit Sauerkohl is mir lieber ~ (ohne dass jemand widerspricht, schreiend) Es ist mir<br />
lieber! (Er nimmt mit Ottilie an einem Tisch Platz. Er nimmt die Speisekarte von Leopold und<br />
studiert sie.) Matrosenfleisch? Jungfernbraten? Zigeunergulasch? - Ihr seid wohl hier Menschen<br />
fresser? (Liest weiter.) Fisolen, Karfiol, Risibisü! Ja, habt Ihr keine deutsche Speisekarte?<br />
Leopold:<br />
Deutsche Speisekarte? Bitte sehr bitte gleich(Leopoldgibt die Karte dem. hinter ihm<br />
stehenden Piccolo. Der Piccolo gibt dieselbe Karte Leopold in die andere Hand. Leopold<br />
gibt also dieselbe Karte nur mit der anderen Hand an Giesecke zurück.) Eine deutsche<br />
Speisekarte — bitte sehr!
10<br />
Giesecke:<br />
Na also, warum nicht gleich? Sie hören doch, dass ich aus Berlin bin! „ B e u s c h e l " ^<br />
und u werden einzeln betont) -- Otti, weißt du, was ein Beuschel ist?<br />
Ottilie:<br />
Beuschel? Aber natürlich — was ist denn ein Beuschel?<br />
Leopold: (richtig aussprechend)<br />
Ein Beuschel!<br />
Giesecke: (richtig)<br />
Beuschel.<br />
Leopold:<br />
Ein Beuschel, meine -Herrschaften, bitte sehr, das wird aus dem Innersten gewissermaßen<br />
herausgerissen und dann (Er illustriert alles.) ein bisserl gehackt und ein bisserl gedünstet<br />
und etwas Pfeffer und Salz hinein und ein Stückerl Zitrone dazu und ein Ei drauf - und das<br />
Ganze ist dann (Der Piccolo mit dem Teller steht schon neben ihm.) ein Beuschel!<br />
Giesecke empört) :<br />
Mensch, das ist ja Lungenhaschee! Das einzige, was ich nich esse!<br />
(Er neigt den Teller, das Beuschel mitsamt dem Ei glitscht auf den Fußboden.)<br />
Leopold (nickt):<br />
Hab' ich mir gleich gedacht. Zurück! (Gibt dem Piccolo einen Klaps.)<br />
Paprikahuhn!<br />
(Piccolo ab.)<br />
Giesecke:<br />
Warum sind wir bloß nicht nach Ahlbeck gefahren!<br />
Ottilie:<br />
Aber Papa! Dort hast du doch keine Berggipfel mit ewigem Schnee!<br />
Giesecke:<br />
Na, is denn Schnee vielleicht was Schönes? Zu Hause in Berlin, sind wir froh, wenn er weg<br />
ist, und hier soll ich mich plötzlich freuen, dass er da ist. - Ober ~ (Er sieht sich um.) Sie,<br />
Ober ~ wo stecken Sie denn? Fummeln Sie doch nicht immer hinter meinem Rücken rum.<br />
Macht mich ganz nervös. (Zu Leopold.) Wie steht's nu mit Logis? Ich brauche zwei<br />
Zimmer, eins davon mit Balkon. Ich ärgere mir nämlich viel und wenn ich mir ärgere, dann<br />
muss ich 'nen Balkon haben, damit ich frische Luft kriege.<br />
Leopold (blickt hinauf):<br />
Zimmer mit Balkon haben wir nur eines, Nummer vier — und das ist reserviert; (aus der<br />
Tiefe seines Herzens) leider.<br />
Giesecke (sofort wieder cholerisch):<br />
Nur ein Zimmer .mit Balkon! In Ahlbeck kann ich fünfzig Zimmer mit Balkon kriegen!<br />
Ottilie:<br />
Keine Aufregung Papa, wir werden schon unterkommen. Ich fülle ihnen erstmal<br />
den Meldeschein aus, was soll ich denn schreiben?
Giesecke:<br />
Frag nich so dämlich. In Ahlbeck hast du's immer gewusst. Hier beim ewigen Schnee - ist<br />
dir's Gehirn eingefroren!<br />
Ottilie (schreibt):<br />
Wilhelm Giesecke samt Tochter, Trikotagen, Berlin -<br />
Leopold (eifrig):<br />
Wilhelm Giesecke - für den Herrn von Giesecke ist bereits ein Telegramm da. Ich bringe es<br />
sofort. (Rasch ab.)<br />
Giesecke:<br />
Aha, das ist gewiss von Herrn Sülzheimer, von diesem alten Schei....<br />
Ottilie:<br />
Papa!<br />
Giesecke:<br />
Shylock. Lass mich doch aussprechen! Wenn du wüsstest, wie dieser alte Halunke<br />
mich piesackt. Und erst (hasserfüllt) sein Rechtsanwalt, der Herr Doktor Siedler.<br />
Ottilie:<br />
Sag mal, Papa, worum handelt es sich denn eigentlich in diesem endlosen Prozess?<br />
Giesecke:<br />
Ach Gott, du kommst auch immer aus dem Mustopp! Du kennst doch mein Patent:<br />
Hemdhose „Apollo". Hemdhose in einem Stück, durchbrochen, vorne zu knöpfen! Kaum<br />
bin ich mit meinem Patent raus, kommt das alte Ekel, der Sülzheimer, mit 'nem<br />
Gegenpatent: Hemdhose „Attila", gleichfalls in einem Stück, gleichfalls durchbrochen, aber<br />
hinten zu knöppen. Nun führen wir einen Prozess auf Leben und Tod: Vorne oder hinten!<br />
(Leopold kommt mit dem Telegramm).<br />
Giesecke:<br />
— und der Schweinehund, dieser Doktor Siedler, will von der Hemdhose nicht runter.<br />
Leopold (lebhaft):<br />
Haben Euer Gnaden nicht soeben das Wort Schweinehund in Verbindung mit einem<br />
gewissen Rechtsanwalt Doktor Siedler gebraucht?<br />
Giesecke (empört):<br />
Was geht denn das Sie an? Bringen Sie mir lieber kein Lungenhaschee, wenn ich Beuschel<br />
bestelle. (Liest das Telegramm, erbost.) „Lehne auf Rat Doktor Siedlers jede weitere<br />
Korrespondenz mit Ihnen ab!" (Mit rotem Kopf.) Wenn ich aus diesem Siedler bloß<br />
Hackepeter machen könnte!<br />
Leopold:<br />
Oder Beefsteak Tartar!<br />
Giesecke (plötzlich wütend):<br />
Ach, lassen Sie doch Ihre albernen Witze! (Liest weiter.) „Für Barzahlungen stehe ich Ihnen<br />
in Sangershausen zur Verfügung!" <strong>So</strong> eine Frechheit:<br />
Ottilie:<br />
Das ist eine Unverschämtheit! Dem musst du eine Antwort geben, dass es kracht!<br />
11
12<br />
Leopold:<br />
Telegrammformular gefällig? (Er legt es vor Ottilie hin.)<br />
Giesecke:<br />
Also, Ottilie, telegrafiere mal. (Diktiert) Sülzheimer, Sangershausen. Sie können mich —<br />
Leopold (begeistert):<br />
Bravo! Ausgezeichnet! — Pardon.<br />
Giesecke:<br />
Quasseln Sie nicht dazwischen! „Sie können mich im — im <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>' am<br />
Wolfgangsee besuchen, wenn Sie etwas von mir wünschen. Was Herrn Doktor Siedler<br />
angeht -"<br />
Leopold:<br />
„ ... so kann er uns gleichfalls alle -"<br />
Giesecke:<br />
Nein, nicht mal das. .. „so wünsche ich von diesem Paragraphenverdreher und<br />
Kostenschinder nicht weiter belästigt zu werden. Stopp. Hochachtungslos, Giesecke."<br />
Ottilie:<br />
Sehr gut, Papa!<br />
Leopold (hingerissen):<br />
Sehr gut, Papa! Oh Pardon! Fabelhaft!!<br />
Ottilie:<br />
Ich bring es zur Post und bin gleich wieder hier. (Ab)<br />
Piccolo (aus dem Haus):<br />
Bittschön, das Paprikahuhn!<br />
Leopold :<br />
Zurück! Dieser Herr ist zu schade für ein Paprikahuhn von gestern!<br />
Piccolo:<br />
Warum? Stinkt ja noch net. (Kopfschüttelnd ab.)<br />
Leopold :<br />
Ich bringe Ihnen etwas Knuspriges auf Ihr Zimmer, Herr von Giesecke. Und wissen, Herr<br />
von Giesecke, auf was für ein Zimmer? Auf das Zimmer Nummer vier, mit dem schönen<br />
Balkon. Auf dem Balkon können Sie sich ausärgern nach Herzenslust, da können Herr von<br />
Giesecke lossprudeln -<br />
Giesecke:<br />
Hauptsache, junger Mann ~ ick habe das Zimmer! Nun sagen Sie mal, was kriege ich denn<br />
nun zu essen?<br />
Leopold:<br />
Vielleicht ein Entrecoatscherl?<br />
Giesecke(verständnislos):<br />
Entrecoatscherl nein.
Leopold:<br />
Vielleicht Powidltatschkerln?<br />
Giesecke:<br />
Powidltatschkerln — nein. Haben Sie Buletten?<br />
Leopold:<br />
Nein! Was ist denn das?<br />
Giesecke.<br />
Da nimmt man Gehacktes - Rindfleisch und dann (Er illustriert alles.) kommt etwas<br />
Pfeffer und Salz dran, Petersilie, ein Ei dran und und — (Plötzlich mit tiefster Resignation.)<br />
ach, Sie bringen mir ja doch wieder Lungenhaschee! Haben Sie wenigstens<br />
Kartoffelpuffer?<br />
Leopold:<br />
Was?<br />
Giesecke:<br />
Kartoffelpuffer!<br />
Leopold:<br />
Kartoffelpuffer? Kennen wir nicht.<br />
Giesecke:<br />
Mensch, Sie kennen keine Kartoffelpuffer? — und Sie leben noch<br />
Piccolo (ist aus dem Haus gekommen).<br />
Aber Herr Leopold, was wird denn die Frau Chefin sagen? Das Balkonzimmer vom<br />
Herrn Doktor --<br />
Leopold (hält ihm den Mund zu):<br />
Seht! Ich will diesen verdammten Namen nicht mehr hören. Der Herr Siedler soll sich<br />
ansiedeln, wo er will. Wenn er hier her kommt, mach ich Kartoffelpuffer aus ihm.<br />
(Leopold und Piccolo ab ins Haus.)<br />
13
14<br />
Musik Nr. 5 Auftritt Siedler („<strong>Im</strong> <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>")<br />
(Siedler in strahlender Laune von links, mit dem Fahrrad, das ihm der Piccolo<br />
abnimmt).<br />
Siedler:<br />
WENN DAS BAROMETER WIEDER SOMMER MACHT<br />
UND WENN DER URLAUB LACHT, DANN BIN ICH<br />
FROH -<br />
DANN ZIEH'N MICH DIE NAGELSCHUH VON SELBER<br />
HIN DORT, WO ICH STAMMGAST BIN. WISSEN SIE, WO?<br />
(Aus der Tür tritt Josepha und winkt ihm strahlend zu.) IM<br />
WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE, DA STEHT<br />
DAS GLÜCK VOR DER TÜR UND RUFT DIR ZU:<br />
„GUTEN MORGEN! TRITT EIN - UND VERGISS<br />
DEINE SORGEN. UND MUSST DU DANN EINMAL<br />
FORT VON HIER, SO TUT DER ABSCHIED DIR<br />
WEH, DENN DEIN HERZ, DAS HAST DU<br />
VERLOREN IM „WEISSEN RÖSSL" AM SEE!<br />
Josepha:<br />
HEUTE SCHEINT DIE LIEBE SONNE DOPPELT SCHÖN,<br />
WEIL WIR UNS WIEDERSEHN<br />
IN WOLFGANG HIER.<br />
WENN ICH IHNEN TAUSENDMAL „WILLKOMMEN" SAG,<br />
DANN IST ES FEIERTAG<br />
IMMER BEI MIR!<br />
Josepha und Siedler:<br />
IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE, DA<br />
STEHT DAS GLÜCK VOR DER TÜR UND RUFT DIR<br />
ZU: „GUTEN MORGEN! TRITT EIN - UND<br />
VERGISS DEINE SORGEN." UND MUSST DU<br />
DANN EINMAL FORT VON HIER, SO TUT DER<br />
ABSCHIED DIR WEH, DENN DEIN HERZ, DAS<br />
HAST DU VERLOREN IM „WEISSEN RÖSSL" AM<br />
SEE!<br />
Alle:<br />
IM „WEISSEN RÖSSL" AM WOLFGANGSEE,<br />
DA STEHT DAS GLÜCK VOR DER TÜR<br />
UND RUFT DIR ZU: „GUTEN MORGEN!<br />
TRITT EIN - UND VERGISS DEINE SORGEN!"<br />
UND MUSST DU DANN EINMAL FORT VON HIER,<br />
SO TUT DER ABSCHIED DIR WEH, DENN DEIN HERZ,<br />
DAS HAST DU VERLOREN IM „WEISSEN RÖSSL" AM SEE!<br />
(Leopold kommt aus dem Haus, unmittelbar hinter ihm Siedler).<br />
Siedler (bemerkt ihn):<br />
Nanu, ein ganz neues Gesicht?<br />
Leopold (übelgelaunt):<br />
Nein, das hab' ich schon seit meiner Geburt!
Siedler^'« strahlender Laune):<br />
Also, Sie sind der neue Ober?<br />
Leopold (ingrimmig):<br />
Und Sie sind der alte Doktor Siedler.<br />
Siedler:<br />
Na, hoffentlich werden wir uns gut vertragen.<br />
(Er. klopft Leopold freundschaftlich auf die Schulter.)<br />
Leopold:<br />
Hoffentlich! (Er wischt seine Schulter ab.)<br />
Siedler:<br />
Wie ist denn das Wetter dieses Jahr?<br />
Leopold (Siedler mit tödlichem Hass anblickend):<br />
Regnen tut's, nix als regnen!<br />
Siedler:<br />
Prachtvoll! Ich brauche feuchte Luft! Und das Essen?<br />
Leopold :<br />
... nicht zum Fressen, dieses Jahr! !<br />
Siedler:<br />
Famos! Ich soll nämlich 'n paar Pfund abnehmen!<br />
Leopold (immer leidenschaftlicher):<br />
Und Mücken haben wir! Und Hornissen! Die Betten sind zu kurz! Wir warten auf<br />
ein Erdbeben!<br />
Siedler (hingerissen):<br />
Wunderbar! Da spürt man doch wenigstens gleich, dass man auf dem Lande ist! <strong>So</strong>, und<br />
jetzt auf mein geliebtes Balkonzimmer Nummer vier! (Er wirft seinen Hut hinauf und<br />
trifft damit den soeben auf den Balkon tretenden Giesecke.)<br />
Giesecke:<br />
Na, det Jeschäft is richtig! Was soll ich denn mit dem alten Hut? (Wirft den Hut zurück.)<br />
Siedler:<br />
Was machen Sie denn auf meinem Balkon?<br />
Giesecke:<br />
Erlauben Sie, das ist mein Balkon !<br />
Siedler:<br />
Verzeihung, das Zimmer habe ich gemietet!<br />
Giesecke:<br />
Nee, da irren Sie sich. Das Zimmer habe ich gemietet ~ das seh'n Sie ja!<br />
Josephaf«/ aus dem Haus getreten):<br />
Entschuldigen Sie, gnädiger Herr, wer hat Sie denn da hinaufgeführt?<br />
15
16<br />
Giesecke:<br />
Der Ober! Ich werd mir doch nich erst einen Gebirgsführer nehmen, um auf den Balkon zu<br />
steigen!<br />
Josephafnervös):<br />
Leopold, haben Sie Nummer vier weggegeben?<br />
Leopold (trotzig):<br />
Na, selbstverständlich. Der Herr „Stammgast" war ja mit dem Dampfer nicht angekommen<br />
— und ich werde doch nicht einen prominenten Großindustriellen aus Berlin ohne Zimmer<br />
lassen? (Da Josepha mit drohend erhobener Hand auf ihn zugeht, retiriert er schnell ins<br />
Haus.) Zahlen gerufen, bitte? (Ab)<br />
Giesecke (vergnügt) :<br />
Leopold kriegt Haue, det Geschäft is richtig!<br />
Josepha:<br />
Aber ich bitte Sie, der Herr wohnt schon seit 7 Jahren in diesem Zimmer!<br />
Giesecke :<br />
Da kann er ja im achten Jahr mal wo anders wohnen!<br />
Siedler (ein Telegramm hervorziehend):<br />
Ich bin im Besitze der schriftlichen Zusage der Frau Wirtin. Hier liegt ein rechtsgültiger<br />
Mietsvertrag- vor -- und ich ersuche Sie daher als Jurist...<br />
Giesecke:<br />
„Als Jurist!" Wenn ich das bloß höre! Hier bin ich, hier bleibe ich. Und wenn Sie mich<br />
reizen, dann bleib' ich bis Weihnachten!<br />
Josepha:<br />
Nein, der Herr Doktor hat mein Wort, und die <strong>Rössl</strong>wirtin hat ihr Wort noch immer gehalten.<br />
Also bitte schön, machen Sie keine Spompernadeln!<br />
Giesecke:<br />
Was für Nadeln soll ich nicht machen? Ich versteh' Sie nicht.<br />
Josepha (rufend):<br />
Piccolo!<br />
Giesecke:<br />
Was wollen Sie eigentlich von mir, Fräulein?<br />
Josepha:<br />
Schaffen Sie das Gepäck von Nummer vier herunter !<br />
(Der Piccolo geht ins Haus.)<br />
Giesecke (kleinlaut) :<br />
Die Brüder sehen allerdings gefährlich aus. Sehte, sachte - Ich weiche der Gewalt! Otti,<br />
komm gar nicht erst rauf, der feine Herr da hat uns aus unserer Wohnung vertrieben.<br />
(Der Piccolo bringt die Koffer angeschleppt).
Ottilie:<br />
Was denn für ein Herr?<br />
Siedler (verbeugt sich):<br />
Mein Fräulein!<br />
Ottilie:<br />
Ach, Sie sind der feine Herr? Und Sie sind so ungalant, eine junge Dame aus ihrer<br />
Wohnung zu vertreiben?<br />
Siedler (lächelnd):<br />
Mein Fräulein, ich wusste nicht, dass auch eine junge Dame an dem Balkonzimmer beteiligt<br />
ist - noch dazu eine so charmante. Ich verzichte auf mein Recht. Bringen Sie die Koffer nur<br />
wieder hinauf!<br />
(Der Piccolo schleppt fluchend die Koffer ins Haus).<br />
Josepha ( das Gespräch zwischen Ottilie und Siedler mit beginnendem Unbehagen betrachtet):<br />
Bitte, meine Herrschaften, da habe ich doch auch noch ein Wort dreinzureden! Piccolo!<br />
Einen Augenblick! -<br />
Giesecke: (kommt unten aus der Tür)<br />
Nanu, was soll denn das nu wieder? Otti, was hat das zu bedeuten? Warum kommen die<br />
Koffer wieder rauf?<br />
Ottilie:<br />
Aber Papa, der Herr ist doch so freundlich und verzichtet.<br />
Giesecke:<br />
<strong>So</strong>? Zu dir ist er so freundlich und zu mir war er so unverschämt. Aber ich lasse mir von<br />
so einem Knochen nichts schenken. (Ruft ins Haus.) Bringen Sie die Koffer wieder<br />
runter!<br />
Ottilie:<br />
Aber Papa, so lass doch! (Der<br />
Piccolo schleppt die Koffer heraus).<br />
Wo es uns hier doch so gut gefällt! Und ich will nun mal nicht nach Ahlbeck! (Zum<br />
Piccolo.) Schaffen Sie die Koffer nur wieder hinauf!<br />
(Der Piccolo schafft heftig fluchend die Koffer wieder ins Haus).<br />
Josepha (lächelnd):<br />
Ja, da muss ich Herrn Doktor Siedler also mein eigenes Zimmer zur Verfügung stellen!<br />
Giesecke (sprachlos):<br />
Wie? Habe ich recht gehört! - Wem müssen Sie Ihr Zimmer...<br />
Siedler:<br />
Gestatte, mich vorzustellen, Doktor Otto Siedler, Rechtsanwalt.<br />
Giesecke (brüllend):<br />
Was? Sie sind dieser Schwei .. .<br />
Ottilie:<br />
Papa!<br />
17
18<br />
Giesecke:<br />
Schweig! Quabbel nicht immer dazwischen! -(Herrisch) Bringen Sie die Koffer wieder<br />
herunter!<br />
Siedler (perplex):<br />
Wieso? Was hat das mit meinem Namen zu tun?<br />
Giesecke:<br />
Ich heiße nämlich Giesecke. Wilhelm Giesecke, Trikotagen, Leipziger Straße.<br />
Siedler:<br />
Ach -- Sie sind der Mann mit der Hemdhose?<br />
Giesecke:<br />
Jawoll, Hemdhose Apollo, (napoleonisch) vorne zu knöppen! Und da soll ich mit Ihnen in<br />
einem Hause wohnen — mit dem Vertreter der Gegenseite! Ich bin doch nicht verrückt!<br />
Wo bleiben denn die Koffer?<br />
(Der Piccolo greift zu einem abgekürzten Verfahren und wirft das gesamte Reisegepäck vom<br />
Balkon auf die Bühne herunter. Der Krach der fallenden Koffer wird übertönt von dem wütend<br />
ausbrechenden Giesecke).<br />
Giesecke:<br />
Hat man so was schon erlebt? Meine guten Koffer! <strong>So</strong> was ist mir in Ahlbeck nicht passiert!<br />
(Er rennt wütend ab. )<br />
Siedler (will beruhigen und ruft):<br />
Moment mal! Ich bringe die Sache in Ordnung!<br />
Josepha ( ihn auf und schreit gleichzeitig):<br />
Nein! Bleiben Sie doch? Wo ist denn der Leopold?<br />
Leopold:<br />
<strong>So</strong> eine Schweinerei! Und alles wegen diesem verdammten Doktor Siedler. Wenn ich ihr nur<br />
diesen Doktor Siedler abgewöhnen könnte!<br />
Piccolo (rasch und schlau):<br />
Aber Herr Leopold, haben Sie denn nicht gemerkt: Der Herr Rechtsanwalt fliegt doch auf die<br />
kleine Berlinerin!<br />
Leopold (interessiert aufhorchend):<br />
Was? Du meinst, der Doktor Siedler fliegt auf die Tochter vom Giesecke? Ist das möglich?<br />
Piccolo :<br />
Na und ob! Zwischen die Beiden bandelt sich etwas an!<br />
Leopold :<br />
Du meinst wirklich? Zwischen den Beiden bandelt es sich? Das wäre ja großartig! Halt,<br />
Fräulein Ottilie, nicht so schnell, so warten Sie doch, ich habe doch mit Ihnen zu reden, nämlich<br />
der Herr Doktor Siedler -<br />
Ottilie ( auffahrend) :<br />
Lassen Sie mich bloß mit diesem Doktor Siedler in Frieden! Jetzt verdirbt er Papa noch die paar<br />
<strong>So</strong>mmerwochen. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihm diesen Doktor Siedler vom Halse halte.
Leopold :<br />
Ich wüsste ja, wie! Aber dazu braucht man Courage.<br />
Ottilie:<br />
Na, wenn's bloß auf Courage ankäme!<br />
(Siedler tritt aus dem Hintergrund auf. Von Ottilie unbemerkt. Er bleibt hinten beobachtend<br />
stehen und wechselt Blicke des Einverständnisses mit Leopold.)<br />
Leopold :<br />
Nämlich, wenn Sie den Herrn Doktor Siedler ein ganz kleines bisserl in sich verliebt<br />
machen täten, dann würde er die Frau Josepha - ich mein', dann würde er Ihren Herrn Papa<br />
in Ruhe lassen.<br />
Ottilie :<br />
Verliebt machen??<br />
Leopold :<br />
Warum nicht? Er ist .doch ein fescher Kerl.<br />
Ottilie (unwillkürlich):<br />
Er sieht gut aus.<br />
Leopold:<br />
Ja, er hat ganz mein Äußeres. -<br />
Ottilie (besinnt sich plötzlich wieder):<br />
Und solche Hintertreppengeschichten muten Sie mir zu? Einem Mädel aus Berlin? Wenn<br />
dieser Herr mir noch einmal in die Nähe kommt, dann soll er mich kennen lernen!<br />
Siedler (tritt auf ein Zeichen von Leopold hervor):<br />
Mein gnädiges Fräulein ~ Sie kennen zu lernen, ist seit einer Stunde mein sehnlichster<br />
Wunsch.<br />
Leopold.<br />
Sein sehnlichster Wunsch! Hast du das gehört! (Vergnügt und händereibend ab.)<br />
Ottilie:<br />
Ach, der Herr Rechtsanwalt! — Wollen - der Herr Doktor vielleicht jetzt mir den<br />
Prozess machen?<br />
Siedler:<br />
Ja, mein gnädiges Fräulein! Ich möchte Ihnen im mündlichen Verfahren mitteilen, wie<br />
herrlich ich es in Wolfgang finde, seitdem Sie angekommen sind.<br />
19
20<br />
Musik Nr. 7 Duett Ottilie-Siedler („Die ganze Welt ist Himmelblau")<br />
Siedler:<br />
Alles ist so viel schöner geworden, die Berge, der See, der Himmel ...<br />
DIE GANZE WELT IST HIMMELBLAU,<br />
WENN ICH IN DEINE AUGEN SCHAU'!<br />
UND ICH FRAG' DABEI, BIST AUCH DU SO TREU<br />
WIE DAS BLAU, WIE DAS BLAU DEINER AUGEN?<br />
EIN BLICK NUR IN DEIN ANGESICHT<br />
UND RINGSUM BLÜHT VERGISSMEINNICHT -<br />
JA, DIE GANZE WELT<br />
MACHST DU, SÜSSE FRAU, SO BLAU, SO BLAU, SO BLAU!<br />
(Die ganze Bühne ist in blaues Licht getaucht. Während Siedler mit seinem Lied sehr<br />
leidenschaftlich um Ottilie wirbt, bleibt sie noch sehr reserviert und immer ein wenig spöttisch.)<br />
Ottilie:<br />
EIN HÜBSCHES GEDICHT -DOCH<br />
MUSS ICH GESTEH'N: DIE WELT<br />
SOLL MAN NICHT DURCH<br />
ANDERE AUGEN SEH'N!<br />
(Sie will fortgehen, Siedler folgt ihr.)<br />
Siedler:<br />
ICH FIND' ES NUR GUT,<br />
DASS JEDER AM SCHLUSS<br />
FARBE BEKENNEN SOLL UND MUSS.<br />
Ottilie:<br />
DIE GANZE WELT IST HIMMELBLAU,<br />
WENN ICH IN DEINE AUGEN SCHAU' !<br />
Beide:<br />
UND ICH FRAG' DABEI:<br />
BIST AUCH DU SO TREU<br />
WIE DAS BLAU, WIE DAS BLAU DEINER AUGEN?<br />
Siedler:<br />
EIN BLICK NUR IN DEIN ANGESICHT,<br />
UND RINGSUM BLÜHT VERGISSMEINNICHT -<br />
JA, DIE GANZE WELT<br />
MACHST DU, SÜSSE FRAU,<br />
Beide:<br />
SO BLAU, SO BLAU, SO BLAU!<br />
Leopold (kommt vergnügt):<br />
Die ganze Welt ist himmelblau, Wenn ich Dir eins ins Auge hau' -<br />
(Josepha tritt rasch ein.)<br />
Josepha:<br />
Ja, zum Kreuzdonnerwetter, Leopold, wo stecken's denn?
Leopold (übermütig):<br />
Frau Pppi! Frau Peperl! Pepitschkerl!<br />
Josepha (macht sich frei, ärgerlich):<br />
Schafskopf! - Das ganze Haus steht voller Gast' und Sie kümmern sich nicht um die<br />
Wirtschaft!<br />
Leopold:<br />
Frau Pepi, jetzt einen KUSS !<br />
Josepha:<br />
Leopold, sind Sie närrisch geworden?<br />
Leopold (strahlend):<br />
Bitt schön, ein Kellner ist auch ein Mensch! Bleibt denn Ihr Herz ganz stumm?<br />
Josepha:<br />
Kümmern Sie sich net um mein Herz - kümmern Sie sich um die Leber, um die Nierndeln<br />
und um die Kalbshaxen!<br />
Leopold :<br />
Frau Pepi - der Mensch kann nur arbeiten, wenn er hofft!<br />
Josepha:<br />
An Schmarrn! Der Mensch darf nur hoffen, wenn er arbeitet! Marsch, hinaus in den Garten!<br />
Leopold:<br />
Ein einziges Busserl -<br />
Josepha (drohend):<br />
Leopold! Hinaus in den Garten, hab' ich gesagt!<br />
Leopold (bettelnd):<br />
Ein einziges kleines Zeichen, dass Sie mir gut sind! (Will sie küssen.)<br />
Josepha(wehrt sich):<br />
Nehmen Sie sich in Acht, Leopold!<br />
Leopold (hält sie):<br />
Einen einzigen schlagenden Beweis —<br />
21
22<br />
Musik Nr. 8/1 Es muss was wunderbares sein<br />
Josepha(gibt ihm eine schrillende Ohrfeige):<br />
Da! Jetzt wissen's wenigstens, wie viel es geschlagen hat! (Rasch abgehend.) dass mich der<br />
Kerl aber auch nie in Frieden lassen kann! (Ab)<br />
Leopold:<br />
ES MUSS WAS WUNDERBARES SEIN,<br />
VON DIR GELIEBT ZU WERDEN.<br />
DENN MEINE LIEBE, DIE IST DEIN,<br />
SO LANG ICH LEB' AUF ERDEN!<br />
ICH KANN NICHTS SCHÖNERES MIR DENKEN,<br />
ALS DIR MEIN HERZ ZU SCHENKEN,<br />
WENN DU MIR DEINS DAFÜR GIBST<br />
UND MIR SAGST,<br />
DASS AUCH DU MICH LIEBST.<br />
(Leopold ab.)<br />
Musik Nr. 8/2 Finale I<br />
(Giesecke kommt aus dem <strong>Rössl</strong> und singt brüllen:)<br />
Giesecke:<br />
IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE<br />
IST NIE EIN KELLNER ZU SEHN!<br />
DA SITZT MAN HUNGRIG IM GARTEN<br />
MUSS WARTEN, MUSS WARTEN, MUSS WARTEN!<br />
Hallo!<br />
(Alle Plätze sind in der Zwischenzeit von Touristen besetzt, die ungeduldig auf Bedienung warten.<br />
Der Himmel sieht gewitterdrohend aus. Jagende Wolken.)<br />
Chor der Gäste:<br />
IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE<br />
IST NIE EIN KELLNER ZU SEHN!<br />
DA SITZT MAN HUNGRIG IM GARTEN<br />
MUSS WARTEN, MUSS WARTEN, MUSS WARTEN!<br />
UND WILL MAN HIER MAL NACH HAUSE GEHN,<br />
DANN IST KEIN MENSCH IN DER NÄH 1<br />
UND MAN WARTET MIT QUALEN AUFS ZAHLEN<br />
IM WEISSEN RÖSSL AM SEE!<br />
./. LEOPOLD, ZAHLEN - LEOPOLD, ZAHLEN .-/.- LEOPOLD!<br />
Leopold:<br />
ABER MEINE HERRSCHAFTEN!<br />
NICHT SO NERVÖS SEIN!<br />
SCHAUN'S, EIN KELLNER IST EIN MENSCH GENAU WIE SIE.<br />
Chor:<br />
BITTE ZAHLEN, ZAHLEN!
Leopold:<br />
ABER MEINE HERRSCHAFTEN!<br />
WER WIRD GLEICH BÖS SEIN?<br />
MAN BRAUCHT ZUM LEBEN DOCH AUCH ETWAS POESIE!<br />
SCHAUN'S AN DEN<br />
SONNENSCHEIN -(Blitz, Donner.)<br />
NICHT JEDER BLITZ SCHLÄGT EIN<br />
-(Blitz, Donner.)<br />
S' WIRD GLEICH VORÜBER SEIN - - -<br />
(Der Donner verstärkt sich und rollt mächtig. Die Gäste, schon beim ersten Wetterleuchten<br />
unruhig geworden, springen auf, verlassen ihre Plätze, und beginnen, durcheinander zu eilen.<br />
Vergeblich trachtet Leopold, die mit der Zeche Wegtaufenden zurückzuhalten. Es beginnt zu<br />
regnen. Das Aktschlussensemble steigert sich zu immer nervöserem und dadurch komischem<br />
Durcheinander: Die Schirme aufgespannt, die Kragen hoch gestellt, fliehend, fluchend,<br />
einander gegenseitig den Weg vertretend, irren alle durcheinander, während der Schnürlregen<br />
erbarmungslos weite klatscht.)<br />
Alle:<br />
DAS IST DER ZAUBER DER SAISON:<br />
ES GIESST IN ALLEN GASSEN.<br />
DAS SCHÖNSTE KLEID VERLIERT DIE FA£ON,<br />
KEIN ANZUG WILL MEHR PASSEN.<br />
PETRUS RUFT VOM HIMMELSBÜHNENTÜRL:<br />
AUFGEPASST, HERR SOMMERGAST<br />
JETZT REGNET'S SCHNÜRE! -<br />
WENN ES HIER MAL RICHTIG REGNET,<br />
JA, DANN REGNET ES SICH EIN,<br />
DENN DIE GEGEND IST GESEGNET<br />
MIT REGEN ALLGEMEIN!<br />
WENN DIE ERSTEN TROPFEN FALLEN,<br />
FALL'N DIE ÄNDERN TROPFEN AUCH,<br />
UND MAN HÖRT SIE FÖRMLICH KNALLEN<br />
AUF DEN KOPF UND AUF DEN BAUCH!<br />
UND MAN SINGT VOLLER WUT:<br />
OH MEIN SALZKAMMERGUT'<br />
NIMMT DAS FLIESSEN UND DAS GIESSEN<br />
ERST MAL RICHTIG SEINEN LAUF -<br />
DANN HÖRT ES, HÖRT ES, HÖRT ES, HÖRT ES,<br />
HÖRT ES NICHT MEHR AUF!<br />
23
24<br />
ZWEITER AKT<br />
Nr. 9 Introduktion<br />
Josepha:<br />
<strong>So</strong>, jetzt nehmen sie dieses Körberl, hier das Herz, und das tragen Sie jetzt hinauf zu dem<br />
Doktor Siedler aufsein Zimmer.<br />
Leopold (sanft, doch zitternd):<br />
Die Aufträge, die mir die Frau Josepha da erteilt hat, meint die Frau Josepha doch<br />
hoffentlich net im Ernst?<br />
Nein. Die Frau Josepha meint alles nur zum Spaß. — (Heftig) Keinen Widerspruch! Tragen<br />
Sie's hinauf!<br />
Leopold:<br />
Pardon, als postillon d'amour bin ich nicht engagiert.<br />
Josepha<br />
Aha, also mein Herr Ober widersetzt sich meinen Wünschen?<br />
Leopold:<br />
Jawohl, denn meine Frau Oberin widersetzt sich meinen Wünschen.<br />
Josepha:<br />
Sie, Leopold, haben Sie sich das reiflich überlegt?<br />
Leopold :<br />
Aufs reiflichste. Wenn der Leopold ja sagt, is ja, wenn er nein sagt, is nein. Dann sind Sie<br />
entlassen.<br />
Leopold (nickt):<br />
Dann machen Sie sich Ihren Dreck alleene! (Er stellt den Korb auf die Erde.)<br />
Josepha (wütend):<br />
<strong>So</strong> frech is noch kein Mannsbild mit mir gewesen! Höchste Zeit, dass wir zwei<br />
auseinander gehen!<br />
Leopold (verzweifelt, doch<br />
heiter): Allerhöchste Zeit!<br />
Josephafge/?/ eilig):<br />
Dann ist's ja gut!<br />
Leopold (rasch zu ihr hin, jetzt mit einem echten Ton):<br />
Haben Sie sich das auch reiflich überlegt, Frau Josepha?<br />
Josepha ( alle ihre Überlegenheit zusammen):<br />
Aufs reiflichste. Wenn die <strong>Rössl</strong>-Wirtin ja sagt, ist ja, und wenn sie nein sagt (plötzlich<br />
ganz anders, indem sie ihn wütend anschreit) dann können Sie gehen ! ! (Ab ins Haus.)
25<br />
Leopold:<br />
Bitte sehr, bitte gleich! (Übergang zum Lied.) Ein anständiger Mensch kann alles — der kann<br />
stehlen und Wechselfälschen. Aber das Gspusi mit dem Ändern ansehn Nein!<br />
Musik Nr. 10 Lied Leopold („Zuschau 'n kann i net")<br />
Leopold:<br />
FÜR EIN LÄCHELN VON IHR, FÜR EIN EINZIGES WORT<br />
HÄTT ICH ALLES GETAN SOFORT! DOCH FÜR 'SIE IST'S<br />
EIN SCHERZ, WAS FÜR MICH EIN SCHMERZ -ICH GLAUB',<br />
SIE HAT KEIN HERZ!<br />
FÜR EIN KÖRNCHEN GEMÜT, EINEN HAUCH<br />
SYMPATHIE HÄTT' ICH PFERDE GESTOHLEN FÜR SIE. ICH<br />
WAR' FÜR SIE G'SPRUNGEN INS WASSER HINEIN -DOCH IN<br />
EINEM FALL, DA SAG' ICH NEIN! NEIN! ZUSCHAU'N KANN I<br />
NET, ZUSCHAU'N KANN I NET, WENN ICH NICHT SELBER<br />
BIN DABEI, BRICHT MIR DAS HERZ ENTZWEI! NEIDISCH BIN<br />
I NET! NEIDISCH BIN I NET! ABER ZUSCHAU'N - ICH GESTEH'<br />
ZUSCHAU'N TUT HALT GAR SO WEH! (Leopold ab).<br />
(Josepha kommt aus dem Haus)<br />
Siedler:<br />
Guten Morgen!<br />
Josepha.<br />
Ah, der Herr Doktor Siedler! Gut geschlafen die erste Nacht?<br />
Siedler:<br />
Danke, ganz famos!<br />
(Ottilie tritt auf. Josepha bemerkt sie nicht).<br />
Siedler:<br />
Und gleich in aller Frühe schon eine so entzückende Aussicht - das gibt's nur im<br />
Salzkammergut!<br />
Josepha:<br />
<strong>Im</strong>mer galant!<br />
Siedler(zu Ottilie):<br />
Ich komme gleich hinunter.<br />
Josepha (bezieht alles auf sich):<br />
Aber nein! Ich bringe Ihnen das Frühstück ja selbst hinauf!
26<br />
Siedler (zu Ottilie):<br />
Ich habe nämlich dringend mit Ihnen zu sprechen.<br />
Josepha:<br />
Ah, da freu' ich mich darauf! (Strahlend) Ich mach Ihnen jetzt schnell den Kaffee mit<br />
Schlagobers zurecht - Kaisersemmeln und Honig und zwei Eier im Glas. (Sie geht ins Haus<br />
ab.)<br />
Ottilie:<br />
Ach, so einer sind Sie: <strong>Im</strong>mer zwei Eisen im Feuer!<br />
Siedler:<br />
Sie machen sich ein falsches Bild von mir. Ich bin ein Rechtsanwalt — aber ehrlich.<br />
Jedenfalls in puncto Liebe.<br />
Ottilie:<br />
Liebe?? Wir zwei? Mein Vater kann Sie doch nicht riechen!<br />
Siedler:<br />
Keine Angst. Noch heute wird Ihr Vater mir selbst den Auftrag erteilen, Ihnen nicht mehr<br />
von der Seite zu weichen.<br />
Ottilie (ungläubig, lachend):<br />
Wie wollen Sie denn das anstellen?<br />
Siedler:<br />
Das lassen Sie meine <strong>So</strong>rge sein! Ich habe jemand herbestellt...<br />
Ottilie (nun doch<br />
neugierig): Wen<br />
denn?<br />
Siedler:<br />
Alles zu seiner Zeit. Wenn Sie heute Abend mit mir tanzen, werde ich Ihnen alles<br />
verraten. Aber es muss ein Walzer sein.<br />
Ottilie:<br />
Warum denn gerade ein Walzer?<br />
Siedler:<br />
Ja, beim Walzer, da bin ich hemmungslos!<br />
Musik Nr. 11 Duett Ottilie-Siedler („Mein Liebeslied muss ein Walzer sein")<br />
Siedler :<br />
WAS MEIN HERZ ZU SAGEN HAT, FÜHLST AUCH DU!<br />
Ottilie:<br />
WAS DIE UHR GESCHLAGEN HAT, WEISST AUCH DU!<br />
Siedler :<br />
UND WIE EINST DER ROMEO,<br />
SING' ICH HEUT' EBENSO<br />
MEIN CHANSON VOM<br />
BALKON.
Ottilie:<br />
SAGST DU ES IN PROSA<br />
MIR, KLINGT ES KÜHL -<br />
(Siedler verschwindet vom Balkon und erscheint gleich darauf<br />
unten). DAS IST NICHT DAS RECHTE FÜR MEIN<br />
GEFÜHL.<br />
JEDE SERENADE BRAUCHT DEN REIM<br />
DAZU UND DEN TAKT, DEN WÄHLST DU!<br />
Siedler:<br />
MEIN LIEBESLIED MUSS EIN WALZER SEIN VOLL<br />
BLÜTENDUFT UND VOLL SONNENSCHEIN! WENN<br />
BEIM ERSTEN „DU" ICH MICH AN DICH SCHMIEG',<br />
BRAUCHT MEIN HERZ DAZU SÜSSE WALZERMUSIK.<br />
Beide :<br />
MEIN LIEBESLIED MUSS EIN WALZER SEIN,<br />
DER SÜSS BERAUSCHT WIE<br />
CHAMPAGNERWEIN,<br />
Siedler:<br />
UND DAS LIED, DAS, DIR SAGT:<br />
Beide:<br />
ICH BIN DEIN! KANN DOCH NUR EIN WALZER<br />
SEIN; KANN DOCH NUR EIN WALZER SEIN,<br />
Ottilie:<br />
UND DAS LIED, DAS DIR SAGT: ICH BIN, DEIN -<br />
Beide:<br />
KANN DOCH NUR, EIN WIENER WALZER SEIN!<br />
Ottilie:<br />
WER SICH ERST EIN TEMPO<br />
WÄHLT, DER VERGISST,<br />
DASS MAN NICHT DIE KÜSSE<br />
ZÄHLT, DIE MAN KÜSST!<br />
Siedler:<br />
ABER AUCH BEIM RINGELREIH'N KANN<br />
MAN NICHT TAKTLOS SEIN. DRUM KOMM<br />
MIT SCHRITT FÜR SCHRITT!<br />
Ottilie:<br />
JA, DA GEHT EIN FLUIDUM DURCH DEN RAUM.<br />
UND DA WIRD MAN SELBER ZUM<br />
WALZERTRAUM.<br />
Siedler:<br />
UND LÄDT MICH DIE NACHTIGALL ZU ARIEN EIN,<br />
SAG' ICH NUR: BITTE, NEIN!<br />
Beide:<br />
MEIN LIEBESLIED MUSS EIN WALZER SEIN. (Wie oben.)<br />
27
28<br />
(Leopold kommt traurig von links).<br />
Piccolo (kommt aus dem Haus und stürzt tiefbetrübt auf ihn zu):<br />
Ist das wahr, Herr Leopold, Sie gehen?<br />
Leopold:<br />
Nein, ich werde gegangen. Hör zu, Gustl, jetzt übergeb' ich dir meinen letzten Willen.<br />
<strong>So</strong>zusagen mein Testament.<br />
Piccolo (schon leicht schluchzend):<br />
Herr Leopold -<br />
Leopold:<br />
Das Hochzeitspaar leg' ich dir besonders ans Herz. Du weißt ja, nach dem Anklopfen immer<br />
bis fünf zählen, eh' du hineingehst. An Regentagen bis acht! Ihm gibst du zum Essen etwas<br />
Stärkendes: Kaviar, Sellerie, Spiegeleier! Und ihr etwas Leichtes: Stangenspargel,<br />
Schinkenfleckerl, Hirn mit Ei!<br />
Piccolo (heulend):<br />
Ja!<br />
Leopold :<br />
<strong>So</strong>lchen Gästen wie dem Doktor Siedler beim Servieren immer erst ein bisserl Suppe über die<br />
Krawatte und den Rest hinten hinein gießen.<br />
Piccolo (heulend):<br />
Sie können sich auf mich verlassen!<br />
Leopold :<br />
<strong>Im</strong> allgemeinen: Verlier dein Herz niemals an eine Chefin!<br />
Piccolo (weinend):<br />
Zuschau'n kann i net ~<br />
Leopold (auch schon dem Schluchzen nahe):<br />
Schweig! Du singst ja ganz falsch!<br />
Piccolo :<br />
Ich bin im Stimmbruch!<br />
Leopold (gibt ihm einen freundschaftlichen Klaps):<br />
Hör mich an, Gustl: Sei arrogant gegen die Gast'! Aufs erste Rufen kommst du nie !<br />
Piccolo (weinend):<br />
Nie!<br />
Leopold:<br />
Gäste müssen warten. Wann einer ekelhaft ans Glas klopft, sagst du: „Das ist nicht mein<br />
Revier. Kollege kommt gleich." Beim Rechnen hältst du den Zettel so hoch, dass der Gast nicht<br />
hineinschauen kann, (Die Rührung übermannt ihn.) sonst kannst du nicht falsch addieren!<br />
(Weinend, doch zugleich majestätisch.) Ein Ober, der sich zu seinem Nachteil verrechnet, ist ein<br />
Schandfleck für's ganze Gewerbe!<br />
Piccolo:<br />
Ja.
Leopold :<br />
Über allem aber merk dir eines: Ein Kellner ist auch ein Mensch! (Beide heulen<br />
herzbrechend.)<br />
Piccolo:<br />
Wo werden's denn hingehen, Herr Leopold?<br />
Leopold (mit Fassung):<br />
Ich wander aus. Nach Amerika! ( Kattenvenne / Püsselbüren o.Ä. )<br />
(Piccolo heult herzzerbrechend auf).<br />
Leopold :<br />
Ja, mei Gustl, was heulst denn gar so?<br />
Piccolo:<br />
Sie schulden mir noch 34 Kronen 80!<br />
Leopold (heult ebenso herzzerbrechend):<br />
Gustl, die siehst du niemals wieder! (Beide umarmen sich.)<br />
Leopold (rafft sich plötzlich zusammen und schüttelt den Piccolo ein<br />
wenig): Hör auf, Gustl, reiß dich zusammen! Sei ein Mann!<br />
(Piccolo ab. Giesecke tritt aus dem Haus, als Tiroler angezogen.)<br />
G\esecke (missmutig an sich herunterblickend):<br />
Schön seh' ich aus. Wenn ick mir so in de Leipziger Straße blicken lasse, denken die<br />
Leute, ich bin der Spezi von dem Silbereisen Und das soll „fesch" sein? Die halben<br />
Hosen? Als wenn der Stoff nicht gelangt hätte. Und die Pulswärmer an die Beene? Und die<br />
nackten Knie? Wenn die <strong>So</strong>nne weg ist, friert's einem, und wenn sie da ist, kommen die<br />
Mücken ;und frühstücken. -- A propos Frühstück! (Ruft:) Leopold! (Lauter:) Leopold!<br />
(Leopold kommt aus dem Hause, sich eben ein fesche Steirer Jacke statt des<br />
Kellnerfracks überziehend).<br />
Leopold (sehr höflich):<br />
Tut mir leid, Herr von Giesecke, ich hab Sie ja sehr gern ~ aber es hat sich ausgeleopoldet.<br />
Giesecke:<br />
Nanu, wie sehen Sie denn aus?<br />
Leopold :<br />
Ich bin ein Kurgast geworden. Ein Kurgast genau wie Sie!<br />
Giesecke:<br />
Machen Sie keine Witze! Bringen Sie mir lieber mein Frühstück!<br />
Leopold :<br />
Herr von Giesecke, wollen's nicht lieber mit mir „dudeln" gehen?<br />
Giesecke :<br />
Was heißt das?<br />
Leopold:<br />
Sie wissen nicht, was dudeln heißt ~ und Sie leben noch?<br />
29
30<br />
Giesecke:<br />
Ich hab' in meinem Leben noch nie gedudelt!<br />
(Josepha tritt aus dem Haus.)<br />
Leopold :<br />
Na, einen Rausch wollen wir uns ansaufen! Und ein bis drei hübsche Maderln geh' ich<br />
mir anlachen!<br />
Josepha (lächelnd, halblaut):<br />
Einen Schmarrn! Entlassen ist er!<br />
Leopold :<br />
Ja eben!! Der Leopold wird's schon noch beweisen, dass er einen Sex-Appeal in sich hat! (Ab)<br />
Gieseckefzw Josepha):<br />
Ne, Zustände sind das hier. Der Oberkellner versexäppelt die Gäste und unsereiner, muss<br />
im Billardzimmer übernachten.<br />
Josepha.<br />
Na, haben Sie vielleicht nicht gut geschlafen?<br />
Giesecke:<br />
Kein Auge hab' ich zugemacht. <strong>So</strong> oft ick mich auf mein Billard ausstrecken will, kräht<br />
Ihr Hahn. <strong>So</strong> was von Krähen hab' ich in meinem Leben noch nicht gehört. <strong>So</strong> kräht gar<br />
kein richtiger Hahn!<br />
Josepha:<br />
Aber, Herr Giesecke!<br />
Giesecke:<br />
In Ahlbeck krähen sie anders!<br />
Josepha:<br />
Na, na, na, na, — Sie sind doch nicht da, um sich allerweil zu ärgern! Wenn Sie die Berge<br />
nicht freuen, warum sind Sie denn dann hergekommen?<br />
Giesecke:<br />
Das weeß ick ooch nich.<br />
Josepl\a (charmant):<br />
Sie, Herr von Giesecke (Fasst ihn unter's Kinn.) - wenn Sie nicht immer ein so finsteres<br />
Gesicht machen täten, wären Sie eigentlich ein ganz schöner Mann<br />
Giesecke:<br />
Machen Sie bloß keine Witze! Zum Wochenende finde ich dann die Krabbelei auf<br />
meiner Rechnung!<br />
Josepha:<br />
Aber wer wird denn gleich immer das Schlechteste denken! Noch dazu im Salzkammergut!<br />
Giesecke (meckernd):<br />
Lassen Sie mich mit dem Salzkammergut zufrieden. Der Müggelsee ist mir lieber!
Josepha:<br />
Aber, Herr Giesecke!<br />
Giesecke:<br />
Er ist mir lieber!<br />
Josepha:<br />
Herrgott, so einen alten Schimpflerer und Meckerer, den möcht' ich einmal richtig in die<br />
Kur nehmen.<br />
Musik Nr. 13 „<strong>Im</strong> Salzkammersut"<br />
Josepha (umtanzt und umlacht ihn auf nette, lustig verführerische<br />
Art): SCHÖN IST DIE WELT! SCHÖN IST DIE WELT!<br />
HEUTE HAB'N WIR WIEDER SONNENSCHEIN!<br />
BLÜHENDES FELD! LACHENDES FELD!<br />
WER WIRD. DA NOCH MELANCHOLISCH SEIN!<br />
HÖR DOCH MAL ZU, HÖR DOCH MAL ZU,<br />
JEDER VOGEL PFEIFT SICH WAS! PFEIF DOCH<br />
AUCH DU, SING DOCH AUCH DU ODER<br />
BRUMM DIR WAS IM BASS !<br />
Alle:<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />
WENN DIE MUSIK SPIELT, HOLDRIOH!<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />
SO WIE NIRGENDWO, HOLDRIOH!<br />
ES BLÜHT DER HOLUNDER<br />
DEN GANZEN SOMMER MITUNTER -<br />
UND NUR DIE LIEBE, DIE BLÜHT'S GANZE.JAHR!<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />
JA, HIER SAN MER IMMER SO -HOLDRIOH!<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN.<br />
IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />
WENN DIE MUSIK SPIELT, HOLDRIOH!<br />
IM SALZKAMMERGUT, JA, IM SALZKAMMERGUT,<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />
IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />
SO WIE NIRGENDWO - HOLDRIOH!<br />
IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />
JA, DA IST ES WUNDERBAR!<br />
31
32<br />
(Alle)<br />
ES BLÜHT DER HOLUNDER<br />
DEN GANZEN SOMMER MITUNTER!<br />
UND NUR DIE LIEBE,<br />
DIE BLÜHT'S GANZE JAHR.<br />
IM SALZKAMMERGUT, DA KA' MER GUT LUSTIG<br />
SEIN,<br />
JA, HIER SAN MER IMMER SO, HOLDRIOH!<br />
(Josepha spielt die Tuba)<br />
Giesecke:<br />
ISCHL IST SCHÖN,<br />
GMUNDEN IST SCHÖN,<br />
DOCH MÜSSEN SIE MAL AHLBECK SEH'N!<br />
SAND GIBT ES DA,<br />
KRABBEN GIBT'S DA,<br />
UND DIE FLUNDERN, DIE SIND GANZ „EINS-A"!<br />
BERGE SIND SCHÖN,<br />
TÄLER SIND SCHÖN,<br />
DOCH DA SOLLTEN SIE MAL TREPTOW SEH'N!<br />
WENN DU ERST AM WANNSEE BIST,<br />
WEISST DU ERST, WAS KNORKE IST!<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KANN MAN GUT LUSTIG SEIN,<br />
DOCH IM GRUNEWALD GIBT'S DAS AUCH!<br />
BEI STULLENPAPIER,<br />
WEISSE UND BIER, GÄNSEKLEIN,<br />
HAB' ICH ALLES DANN, WAS ICH BRAUCH'.<br />
UND MÄDCHENS ZUM KÜSSEN,<br />
DIE VON DER LIEBE WAS WISSEN,<br />
DIE GIBT ES MASSENHAFT AM STÖLPCHENSEE!<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KANN MAN GUT LUSTIG SEIN,<br />
ABER WIR SIND OOCH NICH DOOF -<br />
AN DER SPREE!<br />
Alle:<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN.<br />
IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />
WENN DIE MUSIK SPIELT, HOLDRIOH!<br />
IM SALZKAMMERGUT, JA, IM SALZKAMMERGUT,<br />
IM SALZKAMMERGUT,<br />
DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />
IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />
SO WIE NIRGENDWO - HOLDRIOH!<br />
IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />
JA, DA IST ES WUNDERBAR!<br />
ES BLÜHT DER HOLUNDER<br />
DEN GANZEN SOMMER MITUNTER!<br />
UND NUR DIE LIEBE,<br />
DIE BLÜHT'S GANZE JAHR.<br />
IM SALZKAMMERGUT, DA KA' MER GUT LUSTIG<br />
SEIN,<br />
JA, HIER SAN MER IMMER SO, HOLDRIOH!
2. BILD<br />
(Auftritt Sigismund Sülzheimer. Er ist mit der Eleganz eines Provinz-Beaus gekleidet. Auf dem<br />
Kopf hat er ein Mützchen).<br />
Josepha (tritt aus dem Haus):<br />
Herr Sülzheimer?<br />
Sigismund:<br />
Gestatten, meine Gnädigste: Sigismund Sülzheimer junior, Trikotagen, Sangershausen.<br />
Genannt der schöne Sigismund.<br />
Josepha:<br />
Sehr erfreut, Herr von Sülzheimer. Herr Doktor Siedler hat schon ein Zimmer für Sie<br />
reserviert.<br />
Siedler.<br />
Ja, Sigi, was machen Sie denn hier? Ich habe doch Ihren Vater erwartet.<br />
Sigismund:<br />
Nein, er wollte durchaus, dass ich fahre - Sie kennen doch meinen Vater — wie hat er<br />
gesagt....: Sigi, mein Goldjunge, mit deinem Charme wirst du den bösen, bösen Giesecke<br />
um den Finger wickeln. Aber Mutter hat gesagt: Knall dem alten Ekel eine vor den Latz!<br />
Siedler:<br />
Übrigens ~ gar keine schlechte Idee, dass Sie gekommen sind. Sie passen noch besser<br />
in meinen Plan als der alte Herr. (Schüttelt ihm die Hand.)<br />
(Professor Hinzelmann kommt von links. Er ist der Typ des liebenswürdigen, altvaterischen<br />
Idealisten und trägt eine uralte kleine Reisetasche sowie eine Plaidrolle mit Regenschirm. Hinter<br />
ihm kommt Klärchen, seine Tochter. Sie trägt ein kleines Umhängetäschchen).<br />
Sigismund (freudig):<br />
Ach, da sind Sie ja. Darf ich die Herrschaften bekanntmachen: Herr Professor<br />
Hinzelmann und seine reizende Tochter Klärchen. (Zu Hinzelmann.) Ist. doch Ihre<br />
Tochter?<br />
Hinzelmann:<br />
Wir haben uns nämlich in der Eisenbahn kennengelernt. Der junge Herr Sülzheimer hat uns<br />
hierher gebracht. Aber (mit Blick auf die Hotelgebäude) das kommt für uns doch gar nicht<br />
in Frage.<br />
Josepha:<br />
Ach, ich hätte ja noch was Billiges frei - da oben!<br />
Hinzelmann (zaghaft):<br />
Frau Wirtin -- (Er nimmt Josepha beiseite:) Hätten Sie nicht etwas höher Gelegenes?<br />
Josepha (erstaunt lachend):<br />
O mei, die zwei Zimmer liegen ja sowieso schon unter dem Dach.<br />
Hinzelmann:<br />
Und ist das Frühstück mit inbegriffen?<br />
Josepha:<br />
Nein, nur Bedienung und Licht.<br />
33
34<br />
Hinzelmann:<br />
Ach, Licht brauchen wir keines, das haben wir uns selbst mitgebracht.<br />
(Klärchen entnimmt ihrem Täschchen eine große weiße Stearinkerze und zeigt sie stolz vor).<br />
Hinzelmann:<br />
Ist gut, mein Kind! (Klärchen steckt die Kerze weg.) Und bedienen tun wir uns auch<br />
selbst. Klärchen, Lass mich mal unsere Reisekasse zählen.<br />
Klärchen:<br />
Ja, Papa! (Tritt zu ihm und bastelt eine Tasche hervor, sie zählen.)<br />
Sigismund (rasch unterdessen zu Josepha):<br />
Bitte, sagen Sie für alles den halben Preis — die andere Hälfte begleiche ich.<br />
Josepha (nickt schmunzelnd):<br />
Verstehe. (Laut und frisch:) Der Preis wäre also mit voller Pension ein Gulden 50 pro Tag.<br />
Hinzelmann (aufatmend):<br />
Das geht!<br />
Josepha (durchtrieben):<br />
Das will ich meinen!<br />
Hinzelmann:<br />
Wir bleiben. (Zu Sigismund, scheu lächelnd:) Sie dürfen mich nicht auslachen, Herr<br />
Sülzheimer. Aber ein Privatgelehrter hat es heutzutage nicht leicht. Und da wir nun<br />
mal die Reiseleidenschaft haben, meine Tochter und ich - nicht wahr, Klärchen?<br />
Klärchen:<br />
Ja, Papa.<br />
Hinzelmann (nickt ihr zärtlich zu):<br />
Wir reisen jeden dritten <strong>So</strong>mmer ~ und zwei <strong>So</strong>mmer freuen wir uns immer darauf. Da<br />
heißt es sparen, bis die Reisekasse voll ist. Sehen Sie, wenn ich so im Winter mal Lust auf<br />
eine Zigarre habe, dann steck ich mir statt dessen einen Bleistift in den Mund.<br />
(Klärchen zieht einen dicken Bleistift aus ihrem Täschchen und zeigt ihn vor).<br />
Hinzelmann:<br />
Schon gut, mein Kind! (Klärchen steckt den Bleistift weg.) Und die Reisetasche hat wieder<br />
5Pfennig zugenommen.<br />
Klärchen (verlegen):<br />
Papa!<br />
Hinzelmann (um Fasst sie, strahlend):<br />
Aber, wenn es dann so weit ist und ich sitze mit meinem Klärchen auf der Eisenbahn... und<br />
wir fühlen das Rütteln und Schütteln im ganzen Körper, ah, das ist z u schön, gelt? Deshalb<br />
fahren wir auch immer Bummelzug - da dauert's länger. Und wenn es dann so bergauf geht:<br />
(Er kopiert auf die bekannte Weise das Pusten des bergan klimmenden Zügleins. Die<br />
Anderen machen es mit.) „Det schaff ich nicht! Det schaff ich nicht! Det schaff schaff ich<br />
nicht!" Herrlich! Aber dann geht es plötzlich bergab! (Er illustriert begeistert.) „Det schaff<br />
ich! Det schaff ich! Det schaff ich." Na, Herrgott ~ macht das nicht glücklich?
Klärchen (zupft ihn):<br />
Papa!<br />
Hinzelmann (lächelnd):<br />
Aha, ich rede wohl wieder zu viel? Also gut, jetzt will ich mir mal die Berge von<br />
unseren beiden Dachsalons begucken — und wenn du 'dann heraufkommst, kann ich<br />
dir das ganze Panorama schon geologisch erklären.<br />
3osepha(während sie seinen Handkoffer nimmt):<br />
Vielleicht ein Schluckerl Rotwein aufs Zimmer?<br />
Hinzelmann (erschrocken):<br />
Gott bewahre! Hab ich mir längst abgewöhnt. Statt jedes Schluckes Alkohol tu ich einen<br />
Spargroschen in die Reisekasse — (Klärchen zieht eine Sparbüchse hervor, Hinzelmann<br />
wirft einen Groschen hinein.) und sage mir: das ist wieder l Kilometer! (Lächelnd) Det<br />
schaff ich noch! Det schaff ich noch! (Mit Josepha ab in die Dependance.)<br />
Sigismund (mit einem Blick auf Klärchen):<br />
Det schaff ich noch! (Er nähert sich ihr.) Ein prächtiger alter Reisender, Ihr Herr Papa!<br />
Klärchen:<br />
Ach ja!<br />
Sigismund:<br />
Und erst sein Töchterchen -<br />
Siedler:<br />
Na, da Lass ich Sie wohl lieber allein und wir besprechen das Geschäftliche später. Zwar —<br />
wie sagt Ihr Vater immer?<br />
Sigismund:<br />
Erst das Geschäft und dann das Vergnügen!<br />
Siedler:<br />
Und Mutter?<br />
Sigismund:<br />
<strong>Im</strong>mer ran an den Speck!<br />
(Siedler ah nach links).<br />
Sigismund (mit einem Einfalt):<br />
Also, mein Kind, würden Sie sich mir zu einer kleinen Führung durch den Ort anvertrauen?<br />
Klärchen (begeistert):<br />
Ach ja!<br />
Sigismund:<br />
Vielleicht ins Familienbad?<br />
Klärchen:<br />
Ach nein!<br />
35
36<br />
Sigismund:<br />
O bitte, bitte! Erstens wird mir in Ihrer Nähe ganz heiß ~ und zweitens bin ich<br />
eine ausgesprochene Badeschönheit!<br />
Klärchen (ängstlich):<br />
N ... nein!<br />
Sigismund:<br />
Wie schade, dass Sie so einsilbig sind! Angeborene Schüchternheit?<br />
Klärchen :<br />
J....ja<br />
Sigismund:<br />
Na, das werd ich Ihnen im Wasser schon abgewöhnen. Denn unter Wasser hat ja alles ein<br />
ganz anderes Gesicht.<br />
Musik Nr. 14a Szenenwechsel Familienbad<br />
(Kurz vor Schluss der Musik treten Klärchen und Sigismund im Badekostüm aus zwei Kabinen.<br />
Sie setzen sich vorn. Musik aus.)<br />
Sigismund (trägt ein elegantes Bademützchen):<br />
Na, kleine Schweigerin, ist das Leben nicht doch eine nette Erfindung?<br />
Klärchen:<br />
Ach ja!<br />
Sigismund:<br />
Nun sagen Sie mal, sind Sie immer so einsilbig?<br />
Klärchen : Ach ja!<br />
Sigismund:<br />
Sie haben so sprechende Augen. Ich möchte wetten, dass Sie entzückend plaudern können.<br />
Klärchen:<br />
Ach nein!<br />
Sigismund :<br />
Und gerade eine süße Stimme hat für mich den größten Reiz.<br />
Klärchen (enttäuscht):<br />
Jaaa??<br />
Sigismund:<br />
Da habe ich zum Beispiel in Salzburg neulich einen Spaß gehabt. Da saß mir im Cafe ein<br />
Mädchen gegenüber: Bildhübsch! <strong>So</strong>lange sie stumm war. Aber auf einmal wandte sie sich an<br />
mich und sagte: (Lispelnd) Darf ich Sie um etwas Selterswasser bitten? Aus war's! Vor Lachen<br />
bin ich beinahe vom Stuhl gefallen.<br />
Klärchen (lispelnd und in lebhafter starker Erregung):<br />
Das war aber sehr häßlich von Ihnen. Sie sollten sich schämen, über so etwas zu lachen
37<br />
Sigismund (betroffen):<br />
Aber Fräulein Klärchen -<br />
Klärchen:<br />
Begreifen Sie jetzt, warum ich so schweigsam war? Lieber sollten Sie mich für duslig halten,<br />
als dass Sie mich auslachen!<br />
Sigismund:<br />
Aber Fräulein Klärchen, dieser kleine Sprachfehler steht Ihnen ja ganz entzückend. De- wirkt<br />
direkt sinnlich auf mich.<br />
Klärchen (freudig):<br />
Jaaa?<br />
Sigismund:<br />
Ja!<br />
Klärchen (jetzt befreit lossprudelnd):<br />
Wissen Sie, schließlich haben ja die Herren auch ihre komischen Spezialitäten. Wenn einer zum<br />
Beispiel stolpert - oder so kurzsichtig ist - oder es hat einer in jungen Jahren schon einen ganz<br />
kahlen Kopf, so glatt und rund wie ein Globus. Da lache ich mir immer einen Ast!<br />
Sigismund:<br />
Auf den Ast können Sie sich beruhigt setzen. Mein Fräulein! Wir zwei sind quitt! (Er nimmt<br />
sein Mützchen ab und darunter kommt eine spiegelglatte Glatze zum Vorschein.) Wollen Sie<br />
mal drüber fassen? Ein dolles Ding!<br />
Klärchen:<br />
Ach Herrjeh! Der steht Ihnen aber wunderbar, der Glatzkopf!<br />
Sigismund:<br />
Ja, der ist auch eine meiner stärksten Waffen im Kampf mit den Frauen.<br />
Klärchen:<br />
Sie treiben's wohl ziemlich sinnlich?<br />
Sigismund:<br />
Wieso ziemlich? Man kann schon sagen (unwillkürlich lispelnd): unsagbar sinnlich! Ich bin<br />
sozusagen eine Naturschönheit. Besonders die Wirkung meiner nackten Birne auf das weibliche<br />
Geschlecht ist geradezu haarsträubend. Wollen Sie mal sehen?<br />
Klärchen:<br />
Ach ja!<br />
Sigismund<br />
(promeniert stolz wie ein Hahn mit Klärchen an den Mädchen vorbei. Die Blicke der Badegäste<br />
folgen ihm mehr amüsiert als bewundernd. Die Mädchen kichern): Na sehen sie!
38<br />
Musik Nr. 15 Duett Sigismund-Klärchen („ Was kann der Sigismund dafür")<br />
Sigismund:<br />
ALS SIGI IN DER WIEGE LAG,<br />
DA WAR ES SCHON ZU SEH'N:<br />
DAS KIND WIRD WUNDERSCHÖN -<br />
WIE'N STANDBILD AUS ATHEN!<br />
DIE MÄNNER WURDEN GRÜN VOR WUT,<br />
DIE MÄDCHEN IN DER STADT,<br />
DIE SAGTEN: „NUR KEIN NEID -<br />
WER HAT, DER HAT!"<br />
WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR,<br />
DASS ER SO SCHÖN IST?<br />
WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR,<br />
DASS MAN IHN LIEBT?<br />
DIE LEUTE TUN, ALS OB DIE SCHÖNHEIT EIN VERGEHN IST,<br />
MAN SOLL DOCH FROH SEIN, DASS ES SO WAS SCHÖNES GIBT!<br />
WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR,<br />
DASS ER SO SCHÖN IST?<br />
IST NICHT DER SIGISMUND EIN SÜSSER KAVALIER -<br />
UND DASS ER IMMER BEI DEN DAMEN GERN GESEH'N IST- -<br />
WAS KANN DER SIGISMUND, DER SIGISMUND DAFÜR?<br />
(Beim Ende der Musik schließt sich der Waldprospekt.)<br />
4. Bild. Auf dem Wege zur Alm<br />
(Vordem Waldprospekt. Links eine Bank. Der Wegweiser zeigt „Zur Alm". Nach den ersten<br />
Takten der Musik tritt Giesecke auf, mit Rucksack und Bergstock und mit einer Landkarte in<br />
der Hand.)<br />
Giesecke (singt):<br />
AUF DER ALM,<br />
DA GIBT'S KA SÜND.<br />
(Siedler tritt hinter Giesecke auf, von diesem unbemerkt. Er spielt „Echo" und wiederholt das<br />
letzte Wort jeder Verszeile).<br />
Giesecke (singend):<br />
Das hat sie 'glaubt -<br />
Siedler:<br />
Geglaubt.<br />
Giesecke:<br />
Jetzt kriegt sie 'n Kind.
Siedler (als Echo):<br />
Ein Kind -- ein Kind.<br />
Giesecke (verdutzt):<br />
Das muss ein Zwilling sein!<br />
Siedler:<br />
Jetzt, Frechheit, hilf! (Er setzt sich auf die Bank und zieht eine Zeitung hervor, hinter der er<br />
sich versteckt.)<br />
Giesecke:<br />
Wenn ich bloß wüsste, wo die verdammte Almhütte ist. 5 Stunden laufe ich schon, ich soll<br />
dünner werden — ich will aber gar nicht dünner werden. Ich bin mir so lieber! In Ahlbeck<br />
war's doch schöner. (Er setzt sich auf die Bank.) Wenn ich bloß wüsste, wo es zur Almhütte<br />
geht. (Giesecke studiert seine Landkarte)<br />
Siedler:<br />
Zur Almhütte, Herr Giesecke, (Er zeigt in Gieseckes Landkarte.) den Weg kann ich<br />
Ihnen zeigen.<br />
Giesecke (bemerkt ihn erst jetzt):<br />
Sie? (Wütend) Nehmen Sie gefälligst den Finger aus der Gegend! Mit Ihnen zusammen<br />
auf einer Alm - det Jeschäft war' richtig!<br />
Siedler (durchtrieben): Herr Giesecke - ich habe nämlich über Ihren Prozess mit Ihnen zu<br />
sprechen.<br />
Giesecke:<br />
Prozess? Herr, hier bin ich zu meiner Erholung! Und nicht zu der Ihren! (Schreiend) Also<br />
kein Wort über den Prozess! (Plötzlich doch neugierig.) Wie steht er denn?<br />
Siedler:<br />
Ich habe den für übermorgen, angesetzten Termin telegrafisch gestoppt - damit ein Vergleich<br />
zwischen uns geschlossen werden kann.<br />
Giesecke:<br />
Sie? Ein Vergleich für mich? Nee, danke! Ausgeschlossen! (Wieder plötzlich<br />
neugierig werdend.) Wie viel will er denn zahlen?<br />
Siedler: (schlau):<br />
Ja, das wird ganz von mir abhängen, Herr Giesecke!<br />
Giesecke ( wieder aufbrausend):<br />
Nee! Von ihnen Lass ich mir nicht protegieren! (Er steht auf und geht.)<br />
Siedler:<br />
Aber Herr Giesecke, ich möchte Ihnen doch den Weg zur Alm zeigen. (Er eilt Giesecke<br />
nach.)<br />
Giesecke ( wendet sich im Abgehen noch einmalum):<br />
Sie? ...Nee! Lieber verloof ick mir!<br />
Siedler:<br />
Herr Giesecke, hören Sie mich doch an -<br />
39
40<br />
Giesecke:<br />
Mensch, loofen Sie mir nich nach wie'n Dackel! Und damit unsere Beziehungen ein für alle<br />
Mal geregelt sind: Sie wissen nicht, wer ich bin, ich weiß nicht, wer Sie sind ~ wir haben's<br />
beide total vergessen. Verstanden?<br />
Siedler (achselzuckend):<br />
Wie Sie befehlen! (Heiter:) Dann kennen wir uns also in diesem Leben nicht mehr?<br />
Giesecke (energisch):<br />
Wir kennen uns nicht! Wir haben uns nie gekannt! Mahlzeit!<br />
Siedler<br />
(kopfschüttelnd):<br />
Mahlzeit!<br />
(Giesecke will wütend abgehen, da tritt Kathi auf ihn zu).<br />
Kathi:<br />
Ah, da is ja der Herr von Giesecke! Ich hab' einen eingeschriebenen Brief für den Herrn<br />
von Giesecke.<br />
Giesecke<br />
„Sülzheimer, Sangershausen." Geben Sie her!<br />
Kathi:<br />
Nein, Herr von Giesecke, dazu brauche ich eine Legitimation, dass Sie der Herr von<br />
Giesecke sind.<br />
Giesecke:<br />
Was? Sie sprechen mich doch mit meinem Namen an? Sie kennen mich doch?<br />
Kathi:<br />
Privat kenn ich den Herrn von Giesecke - aber amtlich kenn ich den Herrn von Giesecke<br />
noch net.<br />
Giesecke ( ärgerlich):<br />
Das kann mir in Ahlbeck nicht passieren! Mann - ich geh doch auf die Alm nicht mit 'm Pass!<br />
Kathi (auf Siedler weisend):<br />
Na, vielleicht legitimiert Sie unser Stammgast? - Herr Doktor Siedler, kennen Sie den<br />
Herrn?<br />
Siedler :<br />
Bedaure, habe nich das Vergnügen.<br />
Gieseclie (hochfahrend):<br />
Wie?<br />
Siedler:<br />
Früher kannt ich mal einen Herrn Giesecke wohl, aber den habe ich soeben total vergessen.<br />
Giesecke:<br />
Det Jeschäft is richtig! (Auf Siedler zu.) Sie kennen mich nicht? Sie werden mir gleich<br />
kennen lernen, wenn Sie mir nicht kennen!
Siedler (vergnügt, frech):<br />
Total unbekannt. (Er tut, als wolle er gehen, Giesecke folgt ihm nach.) Mensch, loofen Sie<br />
mir nicht nach wie'n Dackel!<br />
Giesecke:<br />
Mensch, ich kenne mir nicht! (Überwindet sich, lüftet den Hut.) Gestatten Sie also, dass<br />
ich mich Ihnen vorstelle: Giesecke, Leipziger Straße.<br />
Siedler:<br />
Sehr angenehm. Siedler, Rechtsanwalt. (Zu Kathi.) Ich agnosziere meinen lieben, alten<br />
Freund Giesecke -Trickotagen, Berlin — vorne zu knöppen.<br />
Giesecke(den Brief an sich nehmend):<br />
Na endlich! (Kneift Kathi in die Wange. Besser gelaunt:) Zum ersten Mal, dass ich einen<br />
Briefträger in die Wangen gekniffen habe. (Kathi lachend ab. Er liest:) „Schätze meinen<br />
<strong>So</strong>hn in Ihren werten Händen. Selbiger erfreut sich -in der gesamten Damenwelt<br />
hervorragender Beliebtheit." (Mit einem plötzlichen Aufschrei:) Mensch, da hätte ich ja eine<br />
glänzende Vergleichsidee: Wenn der junge Sülzheimerund meine Ottilie.<br />
Siedler (unterbricht ihn):<br />
Das war doch meine Idee! Darum habe ich Herrn Sülzheimer junior telegrafisch<br />
hierherkommen lassen!<br />
Giesecke (ganz erfüllt):<br />
Das haben Sie getan? Mensch, das ist gar nicht so dumm, wie Sie aussehen! (Kratzt<br />
sich hinterm Ohr.) Wenn das Mädel nur nicht diesen verdammt echt Gieseckeschen<br />
Dickschädel hätte!<br />
Siedler (nickt):<br />
Auch daran habe ich schon gedacht. Ich habe mich Ihrer Tochter genähert, um sie unauffällig<br />
für den Ehegedanken zu präparieren. Ich stelle daher den Antrag ...<br />
Giesecke (vollendel):<br />
... dass Sie, wenn er seinen Antrag macht, ihn annehmen.<br />
Siedler:<br />
Ja, Herr Giesecke, dazu brauche ich aber Ihren Auftrag, mich Ihrem Fräulein Tochter<br />
zu widmen. Ihr gewissermaßen nicht von der Seite zu weichen.<br />
Giesecke:<br />
Weichen Sie ihr von gar nichts. Bearbeiten Sie den kleinen Dickkopf, bis Sie die<br />
Verlobung erreicht haben<br />
Siedler:<br />
Ich werde das kleine Dickköpfchen bearbeiten, Herr Giesecke. (Streckt ihm die Hand hin.)<br />
Sie können sich auf mich verlassen.<br />
Giesecke:<br />
Mensch, jetzt fangen Sie an, mir sympathisch zu werden. (Jovial:) Grüaß di Gott,<br />
Rechtsanwalt!<br />
Siedler:<br />
Grüaß di Gott, Hemdhose!<br />
41
42<br />
6. Bild. Vor dem Waldprospekt<br />
Musik Nr. 16a Ausrufer<br />
Kathi :<br />
IHR LEUTELN, MAN RUFT EUCH INS RATHAUS,<br />
WO GRAD' DER GEMEINDERAT TAGT!<br />
DRUM BITTSCHÖN, GEHT'S GRADAUS INS RATHAUS,<br />
DER HERR BÜRGERMEISTER HAT'S G'SAGT.<br />
UND ICH RUF' ES AUS, BIS ICH HEISER,<br />
IN JEDES VERFÜGBARE OHR -:<br />
ES KOMMT - JA, ES KOMMT UNSER KAISER! -<br />
UND DAS KOMMT NET ALLE TAG' VOR. -<br />
Piccolo:<br />
Ja, Frau Kathi, wen suchen's denn noch?<br />
Kathi:<br />
Na, den Leopold.<br />
Piccolo :<br />
Ja, wissen's denn nicht? Der Leopold ist doch entlassen!<br />
Kathi :<br />
Entlassen? Er soll gleich zu einer wichtigen Sitzung aufs Rathaus kommen!<br />
Piccolo :<br />
Den müssen's jetzt im Wirtshaus suchen. Der dudelt sich einen an. Der will seinen<br />
Kummer versaufen. Grüß Ihnen Gott! (Piccolo ab)<br />
(Leopold tritt auf)<br />
Kathi:<br />
Ah Jesses, Herr Leopold, nehmen's doch Vernunft an.<br />
Leopold:<br />
Frau Kathi.<br />
Kathi:<br />
Der Kaiser kommt.<br />
Leopold:<br />
Der Kaiser? Was denn für ein Kaiser?<br />
Kathi:<br />
Na unser Kaiser.<br />
Leopold:<br />
Unser Kaiser?<br />
Kathi:<br />
Ja, der Kaiser Franz Joseph kommt zu uns.<br />
Leopold:<br />
Der Franzl Joseph kommt daher zu uns? Jesses, Kathi, warum haben's das nicht gleich<br />
gesagt?
Kathi:<br />
Sie hör'n mir ja nicht zu.<br />
Leopold:<br />
Wo wird er denn; nachher wohnen, unser Kaiser? Ah, im <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong> wohnt er natürlich,<br />
bei uns.<br />
Kathi:<br />
Sie, sie, hier ist ein Parlament. Das geht hier so nicht, hier muss man sich<br />
parlamentarisch betragen, verstehend - und sie sind nur ein Kellner!<br />
Leopold (ruft):<br />
Frau Josepha, Frau Josepha!<br />
Josepha<br />
Was gibt's denn?<br />
Leopold:<br />
Haben Sie denn noch nix gehört?<br />
8. Bild. Vor dem „<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>"<br />
Josepha:<br />
Nix. Ich steh in der Küch' und mach Marillenknödel. Was wollen denn Sie noch von mir?<br />
Leopold :<br />
Wir zwei haben zwar nix mehr miteinander zu reden, aber das eine teile ich Ihnen noch mit:<br />
Der Kaiser hat sich zum Schützenfest angesagt - und im <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong> steigt er ab. <strong>So</strong>. Jetzt<br />
können's Ihnen einrichten. Leben's wohl. (Er geht ab.)<br />
Josepha ( ihm entgeistert entgegen):<br />
Was, was sagen's da? Der Kaiser? Der Kaiser hat sich zum <strong>Rössl</strong> angesagt und im<br />
Schützenfest steigt er ab? Ja heilige Muttergottes, ich weiß ja von nichts. Wo soll ich ihn<br />
denn einlogieren? Leopold, was soll ich ihm den kochen?<br />
Leopold :<br />
Das geht mich zwar nix mehr an, weil ich entlassen bin, deshalb müssen's auch die Hand<br />
von meiner Schulter nehmen, aber kochen's ihm halt eine Leberknödelsuppe, ein Wiener<br />
Schnitzel mit Erdäpfelsalat und zum Schluss einen Kaiserschmarm, das ist patriotisch. Und<br />
jetzt Adieu! (Ergeht.)<br />
Josepha<br />
Leopold! <strong>So</strong> hören's doch! Sie kommen ja schon! (Jammernd) Wer wird ihm denn<br />
servieren? Wer soll ihn denn empfangen?<br />
Leopold :<br />
Oh, das macht schon der Herr Doktor Siedler! Das ist ja ein Rechtsanwalt! Der kann ja<br />
alles! Lebens's wohl! (Geht)<br />
Josepha:<br />
Leopold! Haben's denn gar kein bisserl Gefühl mehr für mich?<br />
Leopold:<br />
Gefühl? Nein! Das ist vorbei!<br />
43
44<br />
Josepha (versucht ihn zu hatten,<br />
schmeichelnd): Leopold! Poldi - Polderl -<br />
Leopold :<br />
Nicht das ich wüsste - (Er will weg.)<br />
Josepha ( in einem ganz anderen Ton):<br />
Ja, zum Kreuzdonnerwetter: <strong>So</strong>ll ich denn vor Ihnen auf die Knie fallen?<br />
Leopold (blickt sie an und reckt sich auf):<br />
Jawohl, Madame, das sollen Sie! (Napoleonisch:) Hinunter auf die Knie!<br />
Josepha:<br />
Um Gotteswillen! Leopold, das ist doch nicht Ihr Ernst!<br />
Leopold:<br />
Mein völliger Ernst! Hinunter mit Ihnen!<br />
Josepha:<br />
Aber Leopold!<br />
Leopold:<br />
Sie müssen ja net! Adieu! (Eilig weg.)<br />
Josepha (rasch auf die Knie):<br />
Ich lieg ja schon.<br />
Leopold (schmunzelnd, nähert sich ihr mit Siegesschritten):<br />
Da liegt sie ~ so, und jetzt stell ich meine Bedingungen: Römisch eins A: (Mächtig) Der<br />
Doktor Siedler muss aus dem Haus!<br />
Josepha:<br />
Was?! (Sie erhebt sich halb.)<br />
Leopold:<br />
Runter! (Sie fällt wieder auf die Knie.) Seine Majestät kommt ins Zimmer vom Doktor<br />
Siedler, Balkonzimmer Nummer vier. Denn mit dem Siedler zusammen wird der Kaiser net<br />
im gleichen Zimmer wohnen!<br />
Josepha (zögernd): Ja, wie soll ich denn das machen?<br />
Leopold :<br />
Sie müssen ja net! (Will gehen, Josepha rasch auf die Knie.) Sie liegt schon wieder!<br />
(Blickt sie durchdringend an.) Abgemacht? Eine Frau ein Wort?<br />
Josepha ( Staunen und Lächeln:):<br />
dass Sie so energisch sein können, Leopold, das hab ich ja gar nicht geahnt?<br />
(Sie erhebt sich.)<br />
Leopold (jäh aufstrahlend):<br />
Da werden Sie sich noch wundern. <strong>So</strong>, Frau Pepi. Und jetzt ziehen's Ihnen das Staatskleid<br />
an, das mit den Spitzen, auf das ich so flieg' - und nachher, wenn ich meine Ansprache an<br />
den Kaiser beendet hab', führen Sie den alten Herrn ins Haus! (Er gibt der abgehenden<br />
Josepha einen Klaps auf die vier Buchstaben).
Josepha:<br />
Aber Leopold!<br />
Leopold:<br />
Nur net nervös werden!<br />
(Josepha rechts ab). Piccolo !<br />
Piccolo<br />
Herr Leopold?<br />
Leopold:<br />
Jetzt spring schnell hinauf zum Steinlechner, er soll 20 Böllerschüsse vorbereiten. Am<br />
Schluss von meiner Ansprache, wenn alles schreit „Hoch", dann schießt Ihr los!<br />
Piccolo :<br />
Jessas, da sollen Sie was von einer Schießerei erleben! (Will weg.)<br />
Leopold (hält ihn):<br />
Halt! -- Nach welchem Wort wird geschossen?<br />
Piccolo :<br />
Nach dem Wort „Hoch". - Ich bin doch kein Depp! (Stürztfort.)<br />
Leopold (ihm nachsehend):<br />
Du bist noch jung, du kannst noch einer werden.<br />
Kathi: (kommt mit einer Fahne reingerannt, die sie hissl)<br />
Er kommt, er kommt, er kommt!!!<br />
(Leopold schnell ab - Auftritt des restlichen Ensembles)<br />
Giesecke:<br />
Na sieh mal, wie die Brüder das hier so machen. In Ahlbeck, da hab ich mal ne Flottenparade<br />
gesehen, die war knorke. Aber hier, keine Organisation. Ordnung gibt's ja nur bei uns in<br />
Preußen.<br />
Leopold: (tritt in Kellnerkleidung wieder auf)<br />
Isser schon da?<br />
(Auftritt des Kaisers durchs Publikum)<br />
Alle:<br />
O DU MEIN ÖSTERREICH,<br />
O DU MEIN ÖSTERREICH,<br />
O DU MEIN ÖSTERREICH,<br />
MEIN TEURES<br />
VATERLAND!<br />
O du mein Österreich<br />
Leopold:<br />
Eure Majestät, hoher Herr, Kaiserlicher und Königlicher Adler<br />
Kathi:<br />
Doppeladler<br />
45
46<br />
Leopold:<br />
Doppeladler. An der Schwellung, äh Schwelle dieses ehrfürchterlichen Augenblicks,<br />
schlagen unsere Herzen alle hoch. (Ein Böllerschuss. Verwirrt:) Aber was denn , wieso<br />
denn? Ich habe gesagt, unsere Herzen schlagen hoch. (Ununterbrochenes Schießen) Na,<br />
Majestät, jetzt weiß ich gar nichts mehr, dieser blöde Piccolo. Hoher Herr, kaiserlicher und<br />
königlicher Piccolo.<br />
Giesecke:<br />
Was denn?<br />
Kaiser:<br />
Warum sind sie denn so aufgeregt?<br />
Leopold:<br />
Warum, sind sie nicht aufgeregt, wenn sie mit einem Kaiser reden? Als Tolpatsch,<br />
Petsch, Putsch, der Putsch der gestammelten Bevölkerung entbiete ich unseren<br />
pathologischen<br />
Kathi:<br />
Als Dolmetsch der gesammelten Bevölkerung entbiete ich patriotischen Willkommensgruß.<br />
Leopold:<br />
Das war es, was, ich ihnen sagen wollte.<br />
Kaiser:<br />
Ich danke Ihnen.<br />
Leopold :<br />
Nix zu danken, Majestät — ganz auf unsere Seite. (<strong>Im</strong>mer herzlicher:) Redner bin ich ja<br />
keiner, Majestät, aber das eine weiß ich, dass mir mein Herz jetzt vor Freude und Stolz zum<br />
Zerspringen ist! — Gott schütze unsere Majestät! Gott schütze unsere Heimat! Hoch!<br />
Alle:<br />
Hoch! Hoch! Hoch!<br />
(Auf dem Balkon Nummer vier steht Josepha, dicht neben ihr Siedler, er reicht ihr den großen, für<br />
den Kaiser bestimmten Rosenstrauß, sie nimmt das Bukett, zieht eine einzelne Rose heraus und<br />
steckt sie Siedler ins Knopfloch. Diesen Augenblick beobachtet Leopold.)<br />
Leopold (hat einen Schritt vom Kaiser weg getan, starrt zum Balkon hinauf und ruft<br />
unwillkürlich): Frau Josepha! (Die Beiden bemerken es nicht. Leopold wendet sich außer<br />
sich an den Kaiser:) Und noch etwas muss ich Ihnen sagen, Majestät: In dem Haus hier<br />
gehen Schweinereien vor, gehen Sie nicht hinein ins „Weiße <strong>Rössl</strong>", auf die <strong>Rössl</strong>wirtin ist<br />
kein Verlass nicht!<br />
Alle: ( vielleicht auch gesprochen )<br />
LEOPOLD, ACH LEOPOLD,<br />
WAS MACHEN'S DENN DA, LEOPOLD?<br />
UM GOTTES WILLEN -<br />
LEOPOLD, WAS SOLL DENN DAS?<br />
Leopold:<br />
ZUSCHAU'N KANN I NET!<br />
ZUSCHAU'N KANN I NET! WANN I<br />
NET SELBER BIN DABEI, BRICHT<br />
MIR DAS HERZ...<br />
Musik Nr. 18 Finale II
(Der Kaiser hat einen Schritt auf Leopold zu getan. In dieser Sekunde wird dem Verzweifelten<br />
wieder bewusst, vor wem er steht. Er bricht mitten im Satz ab und lässt den Kopf auf die Brust<br />
sinken.)<br />
Kaiser :<br />
Was haben's denn? Fassen Sie sich doch! Sie sind ja vor Aufregung ganz aus dem Konzept<br />
gekommen — das macht aber nix. Das bin ich gewöhnt - von meinen Politikern.<br />
Josepha (auf der anderen Seite mit tiefem Knix, ihre Stimme zittert, während sie spricht):<br />
O, verzeihen Majestät den Zwischenfall ~ und bitte , sei'n Sie mir deshalb nicht bös! (Sie<br />
überreicht ihm den Rosenstrauß.) Darf ich Majestät jetzt auf Ihr Zimmer führen, das Doktor<br />
Siedler Ihnen zur Verfügung stellt? (Siedler verneigt sich tief.)<br />
Kaiser:<br />
Ich freue mich, in Ihrem altberühmten Haus abzusteigen, und ich hoffe, dass das morgige<br />
Schützenfest und meine Anwesenheit ein bisserl Freude unter die Bevölkerung bringt. (Die<br />
Wirtin geleitet ihn ins Haus - er dreht sich nochmals kurz um.) Ja, und was ich noch sagen<br />
wollte, es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut. (Kaiser und Wirtin ab)<br />
Leopold: (stürzt Josepha nach)<br />
Frau Josepha!<br />
(Alle drängen gegen Leopold, er wird gehindert ins Haus zu gehen und nach vorne gedrängt)<br />
Alle:<br />
DAS VERSTEHN WIR NICHT, DAS VERSTEHN WIR<br />
NICHT. VOR DEM KAISER, DAS!<br />
Siedler:<br />
WIE KÖNNEN SIE SO ETWAS TUN? REDEN SIE, SO REDEN SIE!<br />
(Leopold nimmt die Rose aus Siedlers Knopfloch, die Josepha dort hingesteckt hatte.)<br />
Leopold:<br />
ES MUSS WAS WUNDERBARES SEIN,<br />
VON IHR GELIEBT ZU WERDEN.<br />
DENN MEINE LIEBE IST DEIN,<br />
SOLANG ICH LEB AUF ERDEN.<br />
Alle:<br />
ER KANN NICHTS SCHÖNERES SICH<br />
DENKEN, ALS IHR SEIN HERZ ZU<br />
SCHENKEN.<br />
Leopold<br />
WENN DU MIR DEINS DAFÜR GIBST<br />
UND MIR SAGST, DASS AUCH DU ...(bricht ab)<br />
Piccolo:<br />
LASS UNS ABSCHIED NEHMEN MIT LÄCHELNDEM<br />
GESICHT, ABER TROTZDEM SCHÄMEN DER TRÄNEN WIR<br />
UNS NICHT.<br />
(Der Kaiser und Josepha erscheinen auf dem Balkon)<br />
47
48<br />
Alle (nach und nach dazu):<br />
DENN ES KANN DOCH KEINER DIE ANTWORT GEBEN PROMPT,<br />
WANN ODER WIE ODER OB ER WIEDERKOMMT.<br />
WANN ODER WIE ODER OB ER JEMALS WIEDERKOMMT.<br />
DRITTER AKT<br />
Musik Nr. 19-Ständchen („Leise, leise")<br />
(<strong>Im</strong> Dämmerlicht des beginnenden Tages ist die sangesfreudige Bevölkerung von St. Wolfgang<br />
und die Gäste unter dem Balkon des Kaisers versammelt. Alte mit hocherhobenen Notenblättern.<br />
Sigismund beginnt, das Morgenständchen zu dirigieren.)<br />
Kaiser (erscheint auf dem Balkon. Seufzend:)<br />
Mir bleibt auch nichts erspart! (Laut:) Ich danke Ihnen für Ihre so zarte Aufmerksamkeit, es<br />
war sehr schön, es hat mich sehr gefreut! (Er verschwindet.)<br />
Sigismund:<br />
Also, wenn er jetzt herauskommt, dann auf mein Zeichen Alle: Hoch! Wie aus einer Kehle!<br />
Er kommt!<br />
Alle:<br />
Hoch! Hoch! Hoch!<br />
(Giesecke ist erschienen und winkt leutselig.)<br />
Giesecke:<br />
Det Jeschäft ins richtig! Alles meinetwegen! Das kann ich ja gar nicht annehmen! (Er<br />
bemerkt Sigismund.) Sie sind also der Ableger vom alten Sülzheimer?<br />
Sigismund (Giesecke begrüßend):<br />
Und Sie sind der alte Giesecke? (Beiseite:) Scheußlich!<br />
Giesecke:<br />
Und so was knöppt hinten! (Er nimmt Sigismund unter den Arm, diskret schmunzelnd.)<br />
Sagen Sie - schon weiter gekommen mit der Herzensangelegenheit?
Sigismund (erstaunt):<br />
Wusste gar nicht, dass Sie wissen. - Beinahe vor dem Abschluss!<br />
Giesecke: Na, den Abschluss feiern wir!<br />
(Sigismund versteht das nicht, aber ehe er etwas fragen kann, tritt der Kaiser aus dem Haus.<br />
Da niemand darauf gefasst ist, erklingt nur eine kläglich missglückte Ovation).<br />
Alle:<br />
Hoch! Hoch! Hoch!<br />
Sigismund (tritt, wenn der Kaiser vorn angelangt ist, auf ihn<br />
zu): Majestät, ein bisserl zu spät!<br />
Kathi:(eilfertig):<br />
Darf ich Eurer Majestät alleruntertänigst Herrn Industriellen Sülzheimer vorstellen, unsern<br />
liebenswürdigen Dirigenten?<br />
Sigismund:<br />
Genannt: der schöne Sigismund.<br />
Kaiser :<br />
Das sieht man.<br />
Sigismund (immer in seiner drollig verbindlichen Form, nie verletzend):<br />
Majestät — klingen Ihnen nicht manchmal die Ohren? Wir sprechen zuhause sehr viel von<br />
Ihnen und Ihrem allerwertesten - - - Familienkreis!<br />
Kaiser :<br />
Das ist sehr freundlich!<br />
(Giesecke tupft Sigismund an, um vorgestellt zu werden. Aber die Kathi schiebt sich<br />
ehrgeizig dazwischen.)<br />
Kathi:<br />
Majestät -<br />
Sigismund (stellt vor):<br />
Die Präsidentin des Jungfrauenvereins, Fräulein Weghalter - Seine Majestät!<br />
(Kathi wirft sich auf die Erde.)<br />
Kaiser:<br />
Kommen Sie nur herauf! (Jetzt sieht er ihr Gesicht, leicht erschrocken.) Nein, nein, bleiben<br />
Sie lieber unten!<br />
Sigismund:<br />
Darf ich weiter bekannt machen? Herr Fabrikant Giesecke aus Berlin samt Tochter ~<br />
Seine Majestät aus Wien!<br />
Kaiser (schmunzelnd):<br />
Na, mich dürften die Leut jetzt schon kennen!<br />
49
50<br />
Giesecke (seine cholerische Art zu besonderer Herzlichkeit mildernd):<br />
Bin sehr froh, Majestät, mit ihnen zusammen hier im <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong> abgestiegen zu sein.<br />
(Er streckt dem Kaiser freundschaftlich die Hand hin und zieht sie, da der Kaiser nicht<br />
darauf<br />
reagiert, diskret wieder zurück!)<br />
Kaiser:<br />
Sie sind Kurgast in Sankt Wolfgang?<br />
Giesecke:<br />
Jawoll. Eigentlich gehe ich ja immer nach Ahlbeck. Es ist mir lieber!<br />
(Sigismund schiebt sich, um weitere Taktlosigkeiten zu verhindern, vor Giesecke und drängt<br />
ihn beiseite).<br />
Kaiser (zu Sigismund):<br />
Und Sie sind auch Industrieller?<br />
Sigismund:<br />
Voll und ganz, Majestät.<br />
Kaiser:<br />
Woher beziehen Sie denn Ihre Rohstoffe?<br />
Josepha (tritt aus dem Haus. Ihr folgt eine Kellnerin mit einem Frühstückstablett):<br />
<strong>So</strong>, jetzt lasst den hohen Herrn endlich in Ruhe. Er hat ja noch nicht einmal gefrühstückt.<br />
Kaiser (zur Bevölkerung):<br />
Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.<br />
Sigismund:<br />
Servus, Majestät, Servus!<br />
Giesecke:<br />
Grüß Gott, Majestät, Grüß Gott!<br />
(Giesecke, Sigismund und alle anderen ziehen sich schnell und mit vielen Verbeugungen zurück.<br />
Der Kaiser grüßt.)<br />
Josepha (frisch und lebhaft):<br />
<strong>So</strong>, Majestät, jetzt war's aber höchste Zeit für den Kaffee. (Sie führt ihn zu einem<br />
Tisch.) vielleicht ist es hier gefällig?<br />
Kaiser:<br />
Es ist sehr lieb von ihnen.
Josepha: (Während der Kaiser lächelnd Platz nimmt.)<br />
Darf ich die allerhöchste Buttersemmel<br />
streichen?<br />
Kaiser :<br />
Aber nicht zu dick - ich soll nämlich abnehmen.<br />
Josepha:<br />
Noch so eitel, Majestät?<br />
Kaiser:<br />
Ja was heißt denn hier „noch"?<br />
Josepha (neben dem Kaiser stehend, unbefangen und natürlich)'.<br />
Nicht wahr, Majestät, Sie tragen mir die gestrige dumme Geschichte nicht mehr nach?<br />
Mein Ober, der Leopold hat nämlich allerweil solche verrückte Mucken im Kopf.<br />
Kaiser (blickt sie an, lächelnd):<br />
Eine Herzensaffäre wahrscheinlich (Galant): Ich muss schon sagen, ich könnt's versteh'n.<br />
Joseplia (seufzend):<br />
Na ja — eine Witwe hat's halt.net leicht.<br />
Kaiser (nickt und seufzt ihr nach):<br />
Na ja, ein Witwer auch nicht.<br />
Josepha:<br />
Es ist nämlich, ich wollte nur ... ich...<br />
Kaiser :<br />
Na, was denn? Nur heraus damit! Ich sag's nicht, weiter.<br />
Josepha:<br />
Ja, das ist nämlich so. (Lebhaft lossprudelnd.) Da ist ein Herr aus Berlin, ein Doktor, mit<br />
einer sozialen Position, von dem hab' ich gemeint, dass ich ihn. .. dass er mich..., aber da<br />
gibt's leider noch eine andere ... und da weiß ich net, ob er nicht die ... ob nicht die ihn ... ob<br />
er nicht sie ...<br />
Kaiser:<br />
Ich verstehe alles. Es kommt nur ein bisserl konfus heraus. Ich glaub' fast, ich hör'<br />
einen Vortrag von meinem Ministerpräsidenten.<br />
Josepha (resolut):<br />
Ganz recht, Majestät, was werd' ich Sie noch mit meinen Privatsachen belästigen — Sie<br />
haben genug <strong>So</strong>rgen mit der Politik<br />
Kaiser :<br />
Ja, Politik ... leicht ist das Geschäft ja nicht' Aber was hilft's, man muss schon dabei<br />
aushallen. (Er legt die Hand zart aufJosephas Hand.) Schauen Sie - ich hab' mir auch als<br />
Bub eingebildet, weiß Gott, was aus mir werden wird. Und was ist aus mir geworden? Ein<br />
Kaiser!<br />
Josepha:<br />
Ja, da kann man halt nix machen.<br />
Kaiser:<br />
Da kann man auch nix machen. Der Mensch kann halt nicht weg von sich.<br />
51
52<br />
Josepha (lebhqft) :<br />
Majestät, möchten Sie mir das nicht in mein Stammbuch hineinschreibcn?<br />
Kaiser (lächelnd): Ins Stammbuch?<br />
Josepha:<br />
Ja, damit ich's immer vor Augen hab'.<br />
Kaiser<br />
(nachdenkend):<br />
Na, was<br />
Anderes...<br />
Musik Nr. 20 Lied des Kaisers („S'ist einmal im Leben so")<br />
(Der Kaiser nimmt ihr das kleine Buch aus der Hand und schreibt, während die Musik ihn ganz<br />
leise begleitet, die folgenden Worte hinein, die er sinnend vor sich hinspricht):<br />
S'IST EINMAL IM LEBEN SO,<br />
ALLEN GEHT ES EBENSO:<br />
WAS MAN MÖCHT' SO GERN,<br />
LIEGT SO FERN!<br />
WENN MAN ALLES HABEN KÖNNT'<br />
WENN MAN OHNE MÜHE FAND',<br />
WAS MAN NIE ERREICHT -<br />
DANN WAR'S LEICHT!<br />
DOCH MAN SIEHT ALLMÄHLICH EIN,<br />
MAN MUSS HÜBSCH BESCHEIDEN SEIN.<br />
SCHWEIGE UND BEGNÜGE DICH, LÄCHLE UND FÜGE DICH -<br />
S'IST EINMAL IM LEBEN SO,<br />
ALLEN GEHT ES EBENSO:<br />
GRAD' DER ALLERSCHÖNSTE TRAUM<br />
BLEIBT NUR SCHAUM.<br />
(Der Kaiser klappt das Album zu und reicht es Josepha, die ihm die Hand küsst.)<br />
Kathi(strammstehend):<br />
Majestät, melde untertänigst. Die Jagd ist bereit!<br />
Kaiser:<br />
Jesses, die Jagd - das kann ja heiter werden. Ich danke Ihnen noch einmal für die<br />
freundliche Bewirtung. - Und, Frau Vogelhuber - gescheit sein!<br />
Piccolo (stürzt aus dem Haus):<br />
Zahlen gerufen,<br />
Majestät?<br />
Josepha (erschrocken) :<br />
Aber, so ein dummer Bub!<br />
Piccolo:<br />
Weidmannsheil, Majestät. Schießen's Ihnen gut aus! Hoffentlich lassen sich die Gemsen<br />
nicht bitten! Majestät sind ja so berühmt als Jäger! Haben ja schon so viele Böcke<br />
geschossen. (Der Kaiser lächelt leicht erschrocken.) Wünschen frohe Jagd zu wünschen!<br />
(Hält dem Kaiser die offene Hand hin.)
52<br />
Kaiser (gibt ihm etwas und tätschelt über seinen<br />
Kopf): Sagen Sie, was wollt ich noch sagen?<br />
Kathi:<br />
Es war sehr seh...<br />
Kaiser<br />
Ach ja, es war sehr schön. Es hat mich sehr gefreut.<br />
(Kaiser und Kathi ab)<br />
Piccolo (zeigt das Trinkgeld in der flachen Hand):<br />
Was sagen's, gnädige Frau — zwanzig Heller! Dank vom Hause Habsburg!<br />
Josepha (zornig):<br />
Du frecher Lausbub! Was ist denn das für ein Ton? Ich weiß schon, wer Euch alle hier so<br />
aufgehetzt hat! — Marsch in die Kaffeeküche!<br />
Piccolo (aufgerichtet):<br />
Bitt schön, ein Kellner ist auch ein Mensch.<br />
Josepha:<br />
Das sagt der Leopold immer.<br />
Piccolo :<br />
Und der muss es wissen. (Ab ins Haus.)<br />
Leopold (ist aus dem Haus gekommen, ungewohnt energisch):<br />
Jawohl, ein Kellner ist auch ein Mensch. Und darum komm' ich mich von Ihnen<br />
verabschieden.<br />
Josepha:<br />
Schon wieder einmal? <strong>So</strong>llten Sie sich net eher bei mir entschuldigen?<br />
Leopold :<br />
Wegen gestern? Mir ist nur der Mund mit dem Herzen durchgegangen, das ist kein<br />
Verbrechen! Aber einen wahren Freund verkennen wegen einen falschen Freund - das ist<br />
ein Verbrechen! Leben's wohl, jetzt komm ich bestimmt nicht mehr zurück! (Er geht.)<br />
Josepha(hält ihn halb):<br />
<strong>So</strong> ein närrischer Mensch !<br />
Leopold:<br />
Haben Sie schon einmal einen Verliebten gesehen, der nicht närrisch war? (Stärker:) Und<br />
damit Sie's wissen, dass es jetzt zwischen uns zwei endgültig zu End' ist: ich geh' aufs<br />
Bürgermeisteramt und hol' mir mein Arbeitsbüchl. Zeugnis, Unterschrift, Stempel,<br />
Schluss.<br />
Josephafrasc/z, heftig):<br />
Was ist Ihnen denn heut' wieder über die Leber gelaufen?<br />
Leopold (tiefernst):<br />
Vor einer Viertelstunde hab' ich mich um einen Gulden verrechnet - und zwar zu<br />
meinem Nachteil! Da weiß ein Ober, Wie viel die Glocke geschlagen hat! (Ab)<br />
Josepha (unwillkürlich hinter ihm drein):<br />
Leopold! Leopold! (Sie bleibt stehen.) Ah was! Ich werd' ihm doch net nachlaufen!
54<br />
(Siedler tritt aus dem Haus.)<br />
Siedler:<br />
Na, Frau Josepha -alles gut gegangen? Der Kaiser zufrieden gewesen?<br />
Josepha<br />
Gott sei Dank, ja! Und Sie? (Mit einem Versuch, ihn zärtlich anzulächeln:) Sind Sie<br />
dies Jahr auch zufrieden - mit dem <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>?<br />
Siedler:<br />
Aber wie können Sie da fragen<br />
Musik Nr. 20b Reminiszenz<br />
(Diese kleine Reminiszenz sollJosepha kurz und deutlich die wahre Situation vor Augen führen.)<br />
Siedler:<br />
IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE -<br />
(Ottilie tritt von der anderen Seite auf. Josepha bemerkt sie erst, wenn sie zu singen<br />
beginnt. Siedler geht rasch auf sie zu).<br />
DA STEHT DAS GLÜCK VOR DER TÜR -<br />
Ottilie:<br />
UND RUFT DIR ZU: GUTEN<br />
MORGEN! TRITT EIN UND VERGISS<br />
DEINE SORGEN!<br />
(Ottilie gibt Siedler einen leisen Wink. Er nimmt und küsst begütigend Josephas Hand,<br />
während er mit Ottilie singt.)<br />
Beide:<br />
UND MUSST DU DANN EINMAL FORT VON HIER -<br />
SO TUT DER ABSCHIED DIR WEH -<br />
(Beide verbeugen sich vor Josepha wie zum Abschied. <strong>Im</strong> Abgehen:)<br />
DENN DEIN HERZ, DAS HAST DU VERLOREN<br />
IM WEISSEN RÖSSL AM SEE!<br />
(beide ab)<br />
Josepha:<br />
'S IST EINMAL IM LEBEN SO,<br />
ALLEN GEHT ES EBENSO:<br />
WAS MAN MÖCHT' SO GERN, LIEGT SO FERN!<br />
WENN MAN ALLES HABEN KÖNNT',<br />
WENN MAN OHNE MÜHE FAND',<br />
WAS MAN NIE ERREICHT -<br />
DANN WAR'S LEICHT!<br />
DOCH MAN SIEHT ALLMÄHLICH EIN,<br />
MAN MUSS HÜBSCH BESCHEIDEN SEIN -<br />
SCHWEIGE UND BEGNÜGE DICH,<br />
LÄCHLE UND FÜGE DICH!<br />
'S IST EINMAL IM LEBEN SO,<br />
ALLEN GEHT ES EBENSO:<br />
GRAD DER ALLERSCHÖNSTE TRAUM<br />
BLEIBT NUR SCHAUM! (Ab)
Alle:<br />
3. Bild. <strong>Im</strong> Heurigengarten<br />
Musik Nr. 21 Heurigenlied<br />
ERST, WANN'S AUS WIRD SEIN<br />
MIT ANER MUSI UND MIT'N WEIN,<br />
DANN PACK' MA DIE SIEB'N ZWETSCHG'N EIN -<br />
EHNDERNET!<br />
WENN DER WEIN VERDIRBT,<br />
UND WENN AMOL DIE MUSI STIRBT,<br />
IN DIE MIR WEANA SO VERLIABT,<br />
IS'S A G'FRETT!<br />
SOLANG IM GLASERL NOCH A TRÖPFERL DRIN IS',<br />
SOLANG A GEIG'N NO VOLL MELODIEN IS',<br />
UND SOLANG, ALS NO<br />
A TULLI G'STELLTES MADERL DA,<br />
DA SAG'N MA IMMER NO „HALT JA!"<br />
UND FAHR'N NET A' !<br />
Hinzelmann:<br />
Ach, ist das nicht entzückend?<br />
Giesecke:<br />
Sie finden wohl alles entzückend?<br />
Hinzelmann:<br />
Auf Reisen schon. Empfinden Sie nicht auch so lebhaft wie ich den Reisezauber?<br />
Giesecke:<br />
Gott, wo da der Zauber liegen soll, wenn ich vier Wochen schlechter wohnen muss<br />
wie zuhause?<br />
Hinzelmann:<br />
Ach, die Welt ist doch so schön - und ich habe schon ein schönes Stück davon gesehn. Den<br />
Spreewald, die Märkische Schweiz, die Sächsische Schweiz, die Vogtländische Schweiz ~<br />
(Mit einem Seufzer:) bloß die wirkliche Schweiz, dazu hat's noch nicht gelangt. Aber mit<br />
dem Salzkammergut, da ging's diesmal.<br />
Giesecke:<br />
Ja, richtig, Sie sind doch mit dem jungen Sülzheimer hierher gereist. Was halten Sie denn<br />
von ihm?<br />
Hinzelmann:<br />
Ein höchst wohlerzogener, feiner, junger Mensch!<br />
Giesecke (nickt):<br />
Freut mich zu hören. (Forschend:) Könnten Sie sich ihn als Ehemann vorstellen?<br />
Hinzelmann (begeistert):<br />
Prächtig! (Besinnt sich:) Aber das kommt ja für so ein armes Mädchen wie mein Klärchen<br />
nicht in Frage.<br />
55
56<br />
Giesecke:<br />
Nee, nee, ich meine ja nur so im allgemeinen! (Ruft:) Fräulein, was gibt's denn nu hier<br />
zu trinken?<br />
Kellnerin:<br />
Gumpoldskirchner, Vöslauer, Kälterer See, an G'spritzten -<br />
Giesecke:<br />
Weiße mit Schuss haben Se nich?<br />
(Die Kellnerin schüttelt den Kopf)<br />
Giesecke:<br />
Na, bringen Sie zwee Schorle Morle.<br />
(Kellnerin ab).<br />
Hinzelmann (wehrt ab):<br />
Nein, nicht für mich!<br />
Giesecke:<br />
Doch, mein Lieber! Heute müssen Sie sich ausnahmsweise im Alkohol üben! (Lehnt sich<br />
zu ihm, vertraulich) Es könnte sein, dass wir heute Abend die Verlobung Ihres jungen<br />
Freundes feiern.<br />
(Die Kellnerin bringt Wein).<br />
Hinzelmann:<br />
Des Herrn Sülzheimer? (Verlegen:) Aber ich versichere Ihnen, ich weiß von nichts ... und<br />
mein Klärchen würde doch niemals ohne mich - -<br />
Giesecke:<br />
Nee, nee, abgesehen von Ihrem Klärchen.<br />
Hinzelmann (kostet andächtig:)<br />
Schmeckt ungewöhnlich schön.<br />
(Beide trinken.)<br />
Giesecke:<br />
Was? Det Schorle-Gesöff? Na, Ihnen schmeckt wohl alles ungewöhnlich schön?<br />
Hinzelmann :<br />
Auf Reisen schon. Das ist nämlich der Unterschied zwischen uns beiden. Sie reisen,<br />
um zu schimpfen, und ich reise, um glücklich zu sein!<br />
(Beide trinken.)<br />
Giesecke:<br />
Det Jeschäft is richtig. Den nehme ich nächstes Jahr nach Ahlbeck mit.<br />
Hinzelmann:<br />
Hören Sie zum Beispiel den Hahn im ,.<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>" jeden Morgen?
Giesecke:<br />
Ja, wer den nicht hören sollte!<br />
Hinzeimann:<br />
Wenn der sein Kikeriki hinausschmettert, das ist so melodisch, so herzerquickend -<br />
Giesecke:<br />
Det muss ein ganz anderer Hahn gewesen sein.<br />
Hinzeimann :<br />
-und dann treibt's mich hinauf in die Berge, in den flüsternden Wald hinein, und wenn ich<br />
dann so durch den stillen Morgen gehe und das Auge so offen wird für all das Schöne,<br />
dann fühle ich ihn - den Reisezauber!<br />
Siedler(kommt zu Gieseckes Tisch):<br />
Na, meine Herren, wie schmeckt der Wein?<br />
Giesecke:<br />
Weiße mit Schuss ist mir lieber.<br />
Siedler (inzwischen zu Giesecke):<br />
Ich habe ein Telegramm vom alten Sülzheimer - (Liest:) mit Verlobung meines<br />
<strong>So</strong>hnes einverstanden. Herzliche Grüße an die Braut.<br />
Giesecke:<br />
Ich muss sagen, das haben Sie großartig gemacht.<br />
57
58<br />
Siedler:<br />
Ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand.<br />
Giesecke:<br />
Dafür ist das Kind auch wie verwandelt. Ich kann Ihnen sogar noch mehr sagen: Das Mädchen ist<br />
verliebt!<br />
Siedler :<br />
Wirklich?<br />
Giesecke:<br />
Verlassen Sie sich darauf, sie i s t verliebt. Und ich habe auch schon für heute Abend das<br />
Verlobungsessen bestellt.<br />
Siedler:<br />
Hoffentlich mit viel Sekt.<br />
Giesecke:<br />
Na wat denn: Wilhelm Giesecke, Berlin, ja! (Er prostet zu Ottilie hinüber:) Prost Otti, des<br />
Jeschäft ist richtig!<br />
4. Bild. Auf dem Weg zum Schafberg<br />
Sigismund (grandios):<br />
Sehen Sie, Klärchen, zweitausend Meter über dem Meer und mitten unter Eisbären - da fühle ich mich in<br />
meinem Element.<br />
Klärchen (erstaunt lispelnd):<br />
Eisbären? Auf dem Schafberg?<br />
Sigismund (lacht):<br />
Na, Liebling, seien Sie nicht so streng mit mir - (Er setzt sie nieder.) ich muss doch meiner<br />
Kundschaft in Sangershausen ein paar nette Eisbären aufbinden!<br />
(Setzt sich dicht neben sie.)
Klärchen:<br />
Schade, dass Sie immer in Sangershausen tätig sind!<br />
Sigismund:<br />
Warum? Wäre ein anderer Ort für Trikotagen günstiger?<br />
Klärchen: Nein. (Leise:) Aber es kommen wieder drei S darin vor.<br />
Sigismund (entzückt):<br />
Ach Klärchen! Sie haben bloß nie den richtigen Sprachlehrer gehabt. Bei mir werden Sie<br />
nicht lispeln! Sprechen Sie einmal mir nach: „Ich — bin — Ihnen ~ gut!"<br />
Klärchen:<br />
Ich bin ... (Verschämt:) nein.<br />
Sigismund :<br />
Der Satz ist doch ganz ungefährlich. Ganz ohne S, Ich bin Ihnen ... Na?<br />
Klärchen:<br />
Ich bin- Ihnen gut.<br />
Sigismund (begeistert):<br />
Sehen Sie, d a s ist Sprechkunst! -Zweite Lektion: Ich hab' dich gern.<br />
Klärchen :<br />
Ich hab'... nein.<br />
Sigismund:<br />
Wieder ganz ungefährlich! Wieder ganz ohne S. Ich hab'... (Bittend:) Na?<br />
Klärchen:<br />
Ich hab' dich gern.<br />
Sigismund:<br />
Und ich dich noch viel, viel gerner!<br />
Klärchen:<br />
Sie nehmen doch keinen Sprachunterricht!<br />
Sigismund:<br />
Das ist mir bloß so im Eifer rausgerutscht! Letzte Lektion ... schönste Lektion von allen: ich<br />
liebe dich!<br />
Klärchen:<br />
Nein, nein!<br />
Sigismund:<br />
Ach bitte, bitte, bitte, Klärchen! Sie brauchen mir ja nur nachzusprechen, ganz ohne S. Ich<br />
liebe dich.<br />
Klärchen (an seine Brust sinkend):<br />
Ich dich auch. (Sie springt auf und lispelt hingerissen:) Süßer Sigismund Sülzheimer<br />
aus Sangershausen! (Sie umhalst undküsst ihn stürmisch.)<br />
59
60<br />
Musik Nr. 22 Duett Sisismund-Klärchen („ Und als der Herrsott Mai gemacht")<br />
Klärchen:<br />
FRÜHER WAR ICH SCHÜCHTERN WIE EIN VEILCHEN IM<br />
MÄRZ. HEUT' HÄMMERT MEIN HERZ EXPRESS! DASS ICH<br />
BEINAH' VOR GLÜCK VERGESS: KÜSSEN SCHREIBT MAN MIT<br />
DOPPEL-S!<br />
Sigismund:<br />
SPÄTER SAG' ICH'S, WENN WIR BEI DER HOCHZEIT UNS KÜSSEN,<br />
JEDEM, DER'S WISSEN WILL:<br />
BEI DEM ERSTEN IDYLL<br />
WAR DIE SÜSSE SO STILL<br />
WIE EIN REGENWURM IM APRIL! -<br />
UND ALS DER HERRGOTT MAI GEMACHT,<br />
DA HAB' ICH ES IHR BEIGEBRACHT EIN<br />
VÖGLEIN HAT GEPFIFFEN --DA HAT SIE'S<br />
GLEICH BEGRIFFEN! -DER FRÜHLING HAT<br />
IHR MUT GEMACHT, UND DESHALB HAT<br />
SIE'S GUT GEMACHT -UND HEUTE, - JA,<br />
MAN WUNDERT SICH, -KANN SIE'S BESSER<br />
NOCH ALS ICH!<br />
Klärchen:<br />
LASS UNS UNTER MISPELN LISPELN, DENN WIE<br />
KONFEKT, O SIGISMUND, SCHMECKT DEIN MUND!<br />
Sigismund:<br />
ACH, WARUM IMMER NUR DER MUND?<br />
AUCH DIE GLATZE IST SCHÖN UND RUND!<br />
Klärchen:<br />
HERRLICH, DASS ICH DIR NICHT ERST DAS HAAR KÄMMEN MUSS —<br />
BEI DIR HAT MEIN KUSS GLEICH PLATZ!<br />
UND SITZT OBEN, MEIN SCHATZ,<br />
VOLLER NEUGIER EIN SPATZ,<br />
JA, DANN SAG' ICH NUR EINEN SATZ:<br />
UND ALS DER HERRGOTT MAI GEMACHT,<br />
DA HAT ER ES MIR BEIGEBRACHT!<br />
EIN VÖGLEIN HAT GEPFIFFEN -<br />
Sigismund:<br />
DA HAT SIE'S GLEICH BEGRIFFEN!<br />
Klärchen:<br />
DER FRÜHLING HAT IHR MUT GEMACHT,<br />
Sigismund<br />
UND DESHALB HAT SIE'S GUT GEMACHT -<br />
Beide:<br />
UND HEUTE, DA, DA STAUNT MAN SEHR,
Klärchen:<br />
KANN ICH'S BESSER NOCH ALS ER! -<br />
Sigismund (im KUSS lachend):<br />
O Gott... nicht so wild .. (Sein Berghut fällt herunter.) Du bringst ja meinen ganzen Scheitel<br />
durcheinander!<br />
Klärchen (selig):<br />
Du hast ja gar keinen Scheitel! Du süße Schönheit!<br />
Sigismund:<br />
Ach Gott, ich bin ja so glücklich!<br />
Musik Nr. 22a Absang (Reprise.. Was kann der Sisismund dafür")<br />
Beide:<br />
WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR, DASS ER SO SCHÖN IST?<br />
WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR, DASS MAN IHN LIEBT?<br />
DIE LEUTE TUN, ALS OB DIE SCHÖNHEIT EIN VERGEH'N IST,<br />
MAN SOLL DOCH FROH SEIN, DASS ES SO WAS SCHÖNES GIBT!<br />
WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR, DASS ER SO SCHÖN IST?<br />
IST NICHT DER SIGISMUND EIN SÜSSER KAVALIER? UND DASS<br />
ER IMMER BEI DEN DAMEN GERN GESEH'N IST, WAS KANN<br />
DER SIGISMUND, DER SIGISMUND DAFÜR?<br />
(Beide gehen mit dem Ende der Musik ab.)<br />
5. Bild. Vor dem „<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>"<br />
(Josepha kommt aus dem Haus und macht Ordnung. Etwa gleichzeitig tritt von links Leopold auf,<br />
mit einem Strohköfferchen und einem Vogelkäfig.)<br />
Leopold :<br />
<strong>So</strong>, da sind wir! Abgerechnet hab' ich. 'n Vogel hab' ich auch. (Stellt das Gepäck auf den<br />
Boden.) Jetzt setzen's Ihnen hin und schreibend mir mein Zeugnis! (Legt sein Arbeitsbuch<br />
auf den Tisch.)<br />
Josepha:<br />
Haben Sie's aber eilig! (Setzt sich an den Tisch.) Sie - gar so gut wird das Zeugnis net<br />
ausfallen!<br />
Leopold:<br />
Das kann ich mir schon denken. (Zieht Tintenfass und Federstiel aus der Manteltasche. Mit<br />
zitternder Stimme:) Da haben's eine Tinte, damit's net sagen können, Sie haben Spesen<br />
gehabt. (Er stellt sich dicht hinter die sitzende Josepha. Erregt:) Ich hab' der Frau Pepi treu<br />
und ehrlich dienen wollen ... schreibend hinein: wollte treu und ehrlich dienen — ein Leben<br />
lang ~ schreibend hinein: ein Leben lang - aber da ist ein anderer gekommen, der hat der<br />
Frau Pepi den Kopf verdreht. (<strong>Im</strong>mer erregter:) Schreibend das auch hinein: Grund des<br />
freiwilligen Dienstaustrittes der Herr Doktor Siedler! (Die Lippen zittern ihm.) Und wie der<br />
erst da war, da hab' ich's nimmer ausgehalten im „<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>" ... Das Gspusi mit dem<br />
anderen hab' ich net mitanschauen können — schreibend wörtlich hinein, was ich Ihnen jetzt<br />
sag:<br />
61
62<br />
Musik Nr. 22b Reminiszenz — Leopold<br />
ZUSCHAU'N KANN I NET! ZUSCHAU'N KANN I NET!<br />
WENN ICH NICHT SELBER BIN DABEI,<br />
BRICHT MIR DAS HERZ ENTZWEI!<br />
NEIDISCH BIN I NET!<br />
MEINER SEEL', I NET!<br />
ABER ZUSCHAU'N - ICH GESTEH' -<br />
ZUSCHAU'N TUT HALT GAR SO WEH!<br />
Leopold :<br />
Haben Sie's?<br />
(Josepha hat erst lächelnd, dann immer ernster zugehört. Jetzt nimmt Leopold eine Löschwiege aus dem<br />
Mantel und löscht die Tinte ab. Josepha nickt, klappt das Buch zu und gibt es ihm. Leopold steckt das Buch<br />
und alles Schreibgerät in die Tasche, nimmt den Hut ab und gibt Josepha die Hand.)<br />
Leopold:<br />
Behuf Ihnen Gott.<br />
(Er möchte ihre Hand küssen, besinnt sich aber im letzten Augenblick. Er setzt den Hut auf und wendet<br />
sich zum Gehen. Nach einem Schritt bleibt er stehen. Leise:)<br />
Haben's was gesagt? (Nach einem neuerlichen Schritt:) Sind's mir böse?<br />
Josepha:<br />
Ja, wissen's, Leopold, jetzt, wo sie nimmer bei mir im Dienst stehen - aufrichtig gesagt -ja, ich bin<br />
ihnen bös. Weil sie der <strong>Rössl</strong>-Wirtin so wenig Verstand zutrauen, dass sie von selber darauf kommt,<br />
wo ihr Platz ist.<br />
Leopold:<br />
Ah, Frau Chefin...<br />
Josepha:<br />
Nein, ihre Chefin bin ich gewesen. Lesen's das Zeugnis.<br />
Leopold:<br />
Das kann ich mir schon denken. (Er schlägt die Seite auf) Ui, und das ganze Buch haben sie mir voll<br />
gekritzelt. Und einen Klecks haben's auch hinein gemacht. (Er fährt mit der Zunge drüber und liest<br />
dann, wobei er die Worte mit allen Vokalen durchbuchstabiert:) „Entlassen als Zahlkellner wegen<br />
Einmischung in meine Privatangelegenheiten -" (Dazwischen sprechend:) Ist gar net wahr!<br />
Josepha:<br />
Lesen's weiter !<br />
Leopold:<br />
Ich hab' nur gesagt - Wegen dem Siedler....<br />
Josepha(energisch): Lesen's<br />
weiter!
Leopold (Wieder lesend):<br />
— -angelegenheiten. Aber engagiert. (Er spricht dieses Wort deutsch buchstabierend aus.)<br />
aber engagiert auf Lebensdauer als. Ehemann. (Eine Sekunde steht er starr und reibt sich<br />
die Augen.) Was ist das? (Liest noch einmal:) Aber engagiert auf Le... aber engagiert... ist<br />
das Ihr ... les' ich recht? Das haben Sie da hinein... engagiert als Lebemann auf Ehedauer?<br />
Frau Josepha, das haben Sie alles da hineingeschrieben, so eigenhändig, so ganz von allein,<br />
ja ja ja, Frau Josepha, da bin ich ja kein Zahlmann mehr, da bin ja ein Ehekellner? (In heiter<br />
Aufregung stößt er mit dem Fuß gegen seinen Vogelkäfig.) Der Vogel macht mich noch<br />
närrisch. Ja, Peperl, da bin ich ja ein Oberehezahlmann-Kellner? Pepi, Peperl — (Er reißt<br />
sie an sich.)<br />
Josepha(lacht):<br />
Um Gotteswillen, schrein's doch net so!<br />
Leopold (hebt den Vogelkäfig auf und spricht Zum Vogel):<br />
Schau, Hansl, da ist dein neues Frauerl. (Er stellt den Käfig wieder hin.) Jetzt sollst mich<br />
kennen lernen! Herunter mit dem Futteral! (Er reißt den Überzieher vom Leib.) Wirtschaft<br />
heraus! Wo ist der Piccolo? Schlamperei! Der Herr von Giesecke hat ein Verlobungssouper<br />
bestellt! (Brüllt:) Piccolo! Wo ist der Piccolo?<br />
Piccolo (läuft aus dem Haus):<br />
Na, na, na, na! Nur net so gnädig! Ein Kellner ist auch ein Mensch!<br />
Leopold:<br />
Was? Mir scheint, der hat heut noch keine Watsehen<br />
gekriegt? (Haut ihm eine Maulschelle ins Gesicht.)<br />
Piccolo (sprachlos):<br />
Herr Leopold, Sie haben doch selber immer gesagt -<br />
Leopold:<br />
Ja, da war ich ja noch ein Kellner! Aber jetzt, jetzt bin ich der Herr. Jetzt bin ich das<br />
<strong>Rössl</strong>! (Er umhalst Josepha.)<br />
Piccolo (im Ablaufen, jubelnd):<br />
Jetzt hat er sie doch noch herumgekriegt! Juhu!<br />
Josepha (lachend):<br />
O Gott, Leopold, da muss man ja förmlich selber Angst kriegen!<br />
Leopold:<br />
Du net, Pepi, D u sollst es gut bei mir haben! (Innig:) Und wann ich Dir in 25 Jahren, zu<br />
unserer Silbernen Hochzeit, mein Dienstbücherl wiedergeb', da wirst mir gewiss<br />
hineinschreiben können: „Ehrlich und treu." (Er hält sie umschlungen.)<br />
(Giesecke und Hinzelmann kommen von links.)<br />
Giesecke:<br />
Was ist denn das?<br />
Hinzelmann :<br />
Ich halte es für ein so genanntes Busserl.<br />
63
64<br />
Giesecke:<br />
Ich halte es für eine ausgesprochene Knutscherei. (Geht schmunzelnd auf Leopold und<br />
Josepha zu und klopft Leopold auf die Schulter.) Entschuldigen Sie, wenn ich störe, meine<br />
Verehrten — ich möchte nur an meine Bestellung erinnern!<br />
(Die Beiden lösen sich voneinander. Josepha ist etwas verlegen.)<br />
Leopold (glühend vor Eifer):<br />
Ganz recht, Herr von Giesecke - das wird ein Verlobungssouper werden, von dem noch<br />
unsere Kinder und Kindeskinder träumen werden!<br />
Josepha:<br />
Aber Leopold! (Lächelnd) Das hat doch Zeit!<br />
(Leopold gibt ihr einen Klaps hintenauß<br />
Josepha:<br />
Poldi<br />
Leopold :<br />
Nur net nervös werden! Wenn der Herr von Giesecke gestattet, dann nehmen wir zwei<br />
am Verlobungssouper gleich teil?<br />
Giesecke:<br />
Freut mich sehr.<br />
Leopold:<br />
Mich auch. Aber wo sind denn die anderen Brautleute?<br />
Siedler (tritt in diesem Augenblick von links auf):<br />
Bitte sehr, bitte gleich?! Papa Hinzelmann, darf ich Ihnen ein frisch gebackenes<br />
glückliches Brautpaar präsentieren?<br />
(Er führt Sigismund und Klärchen vor.)<br />
Hinzelmann (zitternd):<br />
Ja, Kinder, Klärchen... Sigismund...<br />
Sigismund (mit der Glatze an Hinzelmanns Brust<br />
sinkend): Vater!<br />
Hinzelmann:<br />
Das nenn ich den wahren Reisezauber!<br />
Giesecke:<br />
Erlauben sie mal, Mensch, sie sind ja schon blau vor dem Sekt. Was hat das zu bedeuten?<br />
Sie haben doch versprochen, meine Tochter zu verloben<br />
Siedler (verneigt sich):<br />
Das hab' ich auch getan, Herr Giesecke.<br />
(Ottilie tritt rasch hinzu. Siedler nimmt sie bei der Hand und führt sie zu Giesecke).<br />
Siedler:<br />
Herr Giesecke, ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter.
Giesecke (sprachlos):<br />
Det Jeschäft ist richtig!<br />
Ottilie (bittend):<br />
Lieber, guter, alter, dicker, einziger Papa, nun meckere mal ausnahmsweise nicht und<br />
sag'ja!<br />
Giesecke :<br />
Na, meinetwegen! Halt, halt! Und was wird aus unserem Prozess?<br />
Sigismund:<br />
Mein Papa gibt seinen Anspruch auf. Wir haben ein neues Patent: Nachthemd<br />
mit Reißverschluss.<br />
Giesecke(7zöc//s/ befriedigt):<br />
Na, da gibt's ja nichts mehr zu knöppen!<br />
Leopold:<br />
Zu. Tisch, meine Herrschaften, zu Tisch!<br />
Alle:<br />
Musik Nr. 23 Finale III<br />
LASST UNS SCHAMPUS TRINKEN MIT LÄCHELNDEM GESICHT,<br />
DENN DIE FREUDENTRÄNEN, DIE FÜLL'N DIE GLÄSER NICHT.<br />
UND AM SCHLUSS BEIM KUSS<br />
NUR DIE EINE FRAGE FROMMT,<br />
WANN ODER WIE ODER WO DIE HOCHZEIT KOMMT -<br />
WANN ODER WIE ODER WO DIE HOCHZEIT ENDLICH KOMMT.<br />
IM „WEISSEN RÖSSL" AM WOLFGANGSEE -<br />
DA STEHT DAS GLÜCK VOR DER TÜR<br />
UND RUFT DIR ZU: „GUTEN MORGEN!<br />
TRITT EIN UND VERGISS DEINE SORGEN!"<br />
UND MUSST DU DANN EINMAL FORT VON HIER,<br />
DANN TUT DER ABSCHIED DIR WEH.<br />
DENN DEIN HERZ, DAS HAST DU VERLOREN<br />
IM „WEISSEN RÖSSL" AM SEE! AM WOLFGANGSEE!<br />
65