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Im Weißen Rössl - Quasi So

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1<br />

<strong>Im</strong> <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong><br />

- bearbeitete Fassung -<br />

ERSTER AKT<br />

1. BILD. Der Platz vor dem<br />

..<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>"<br />

(Ein Wegweiser zeigt zum „ <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>". Rechts und links Hotelgebäude von St. Wolfgang. Ein starkes<br />

Frühsommerlicht liegt auf dem ganzen Bild. Die Morgensonne strahlt. Kathi, die Briefträgerin, kommt in<br />

voller Amtstracht von links und kündigt mit ihrem frischen ländlichen Lied das Eintreffen der Post an. Am<br />

Ende dieses Liedes stürzt aus der Dependance des „ <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>" der Piccolo. Er ist ein adretter<br />

altkluger Junge im Kennerfrack.)<br />

Kathi:<br />

HOLDRIAH!<br />

HOLDIRAH!<br />

(Jodler)<br />

Musik Nr. l Jodler<br />

Piccolo:<br />

Aber Kathi, was machens denn für einen Krach? Unsere Gäste liegen ja alle noch im Bett!<br />

Kathi:<br />

Hier ist die Post fürs Weiße <strong>Rössl</strong>.<br />

(Sie gibt ihm einen Briefpack, den er neugierig durchstöbert.)<br />

Piccolo:<br />

Nix für mich dabei? Mein Verhältnis lasst wieder nix von sich hören ~ das Luder!<br />

Kathi:<br />

Vielleicht hat sie einen Jüngeren gefunden?<br />

Piccolo:<br />

Treuloses Weib! Warum lässt du mich denn so allein - in den <strong>So</strong>mmernächten!<br />

Kathi: (im abgehen)<br />

O, HEILIGER FRIEDEN;<br />

GESEGNET SEIST DU, EIN<br />

GLÜCK NUR HINIEDEN: DIE<br />

LÄNDLICHE RUH!


2<br />

Musik Nr. 2 Ankunft der Gäste („Aber meine Herrschaften")<br />

(In das Lob des ländlichen Friedens, bricht mit Ohren zerreißendem Geknatter ein<br />

altertümlicher Autobus ein. Wo dieser nicht auf die Bühne kommen kann, genügt das<br />

Knattern und Hupen hinter der Bühne.)<br />

Reiseführer<br />

Aussteigen! St. Wolfgang, 10 Minuten Aufenthalt. Bitte sehr, take you're breakfast,<br />

Frühstück. Hurry up, hurry up!<br />

Piccolo<br />

Unsere Vergnügungsreisenden sind angekommen. Vorwärts! Herr Leopold! Wo ist denn<br />

der Leopold?<br />

Chor:<br />

HALLO, WIRTSCHAFT, FRÜHSTÜCK, FRÜHSTÜCK!<br />

Reiseführer<br />

Ladies and Gentleman, sie befinden sich hier im Hotel „Zum weißen <strong>Rössl</strong>", little<br />

white horse, berühmt als Erholungsplatz für angegriffene Nerven!<br />

Chor: KAFFEE, KAFFEE!<br />

Reiseführer<br />

Wohin ihr betrachtendes Auge sich spiegelt, das ist der Wolfgangsee, die Perle<br />

des Salzkammergutes. The pearl of Austria, fünfhundert Meter tief, enthält<br />

Forellen, ein Familienbad, eine Temperatur von 19 Grad und Radium.<br />

Chor:<br />

BUTTER! BUTTER!<br />

Reiseführer<br />

Zu ihrer Rechten, on you're right, der Schafberg, zu ihrer Linken, on you're left, der<br />

Geißberg, vor ihnen der Ziegenberg und hinter ihnen der Kalbskogel.<br />

Chor:<br />

MILCH! MARMELADE, MILCH, MARMELADE!<br />

Reiseführer<br />

Sie haben jetzt alles gesehen, sie haben die würzige Luft geatmet. Wir brechen<br />

nunmehr nach Ischl auf, nach der berühmten <strong>So</strong>mmerresidenz seiner Majestät Franz<br />

Josephs. Einsteigen!<br />

Chor:<br />

ZAHLEN, HERR OBERKELLNER, ZAHLEN BITTE, ZAHLEN BITTE, ZAHLEN BITTE,<br />

ZAHLEN, ZAHLEN!<br />

Leopold:<br />

ABER MEINE HERRSCHAFTEN, NUR HÜBSCH<br />

GEMÜTLICH. MIT DER RUHE KOMMT MAN NOCH<br />

EINMAL SO WEIT!<br />

Chor:<br />

BITTE ZAHLEN! ZAHLEN!


3<br />

Leopold:<br />

ABER MEINE HERRSCHAFTEN, NUR IMMER FRIEDLICH!<br />

WOZU DENN HETZEN, BITTE. SEHR, WIR HABEN DOCH<br />

ZEIT. SCHAUN'S AN, DEN SONNENSCHEIN, DER LEUCHT<br />

INS HERZ HINEIN.<br />

SO WIE DIE LIEBE, DIE EIN JEDER SO SEHR SCHÄTZT<br />

-UND GLÜCKLICH UND ZUFRIEDEN SEIN, KANN MAN<br />

NUR MIT LIEB' ALLEIN. NA, ALSDANN MEINE<br />

HERRSCHAFTEN, WARUM GEHT'S JETZT?<br />

(Während des folgenden geht er kassierend von Tisch zu Tisch und später zwischen den<br />

Tischen.) EINMAL KAFFEE, EIN WEICHES EI, EIN BISSERL LIEB', VIER<br />

KRONEN ZWEI! EIN TEE, ZWEI SEMRNERLN, KNUSPRIG, WÜRZIG, EIN<br />

SÜSSER BLICK, ZWEI KRONEN VIERZIG! EIN TEE KOMPLETT, EIN G'SICHT<br />

SO NETT, EIN KLEINES BIER, DREI KRONEN VIER! EIN KLEINES GULLASCH<br />

UND EIN BROT -<br />

Einige:<br />

Leopold!<br />

Leopold:<br />

BITTE SEHR, BITTE GLEICH, KOMME SCHON.<br />

Mehrere:<br />

Leopold!<br />

Leopold:<br />

ABER, ABER - ABER, ABER MEINE HERRSCHAFTEN!<br />

WAS HABEN'S SCHON WIEDER?<br />

MEINER SEEL', MIT IHNEN HAT MAN SCHON SEIN G'FRETT!<br />

Chor:<br />

BITTE, ZAHLEN, ZAHLEN!<br />

Leopold:<br />

ABER, MEINE HERRSCHAFTEN! SETZEN'S SICH DOCH NIEDER,<br />

SO SEHN'S DOCH EIN:<br />

ZERREISSEN KANN ICH MICH DOCH NET!<br />

SCHAUN'S AN DEN SONNENSCHEIN -<br />

DER LEUCHT' INS HERZ HINEIN.<br />

DOCH IMMER DIESE HETZEREI'N,<br />

DAS „TEMPO" SCHREI'N!<br />

JESSAS NEIN! (Zwei Gäste stehen dicht<br />

bei ihm. Er brüllt sie an.)<br />

Setzten! (Die Gäste<br />

fallen auf die Stühle.)<br />

NA, ALSDANN, MEINE HERRSCHAFTEN, DAS MUSS NICHT SEIN!<br />

(Er tritt nach vorne an die Rampe. Während er gefühlvoll lyrisch weiter singt, machen sich in<br />

seinem Rücken die Gäste auf den Zehenspitzen und lautlos aus dem Staub, nach links, wo das<br />

Auto auf sie wartet.)


3<br />

(Leopold)<br />

SCHAUN'S AN DEN SONNENSCHEIN,<br />

DER LEUCHT' INS HERZ HINEIN,<br />

SO WIE DAS TRINKGELD -<br />

DAS HAT UNSEREINER GERN.<br />

DOCH MEISTENS KRIEG' STATT 10 PROZENT<br />

ICH NUR DIE HAND' -<br />

SAPPERMENT!<br />

NA, ALSDANN, MEINE HERRSCHAFTEN ... (Jetzt<br />

erst bemerkt er, dass die Gäste schon abfahren. Beschwörend.)<br />

Aber, aber - meine Damen, meine Herr'n<br />

-(Halb wütend, halb lachend.)<br />

HAßT'S MICH GERN!<br />

Leopold:<br />

Very nice people.<br />

Piccolo:<br />

Was heißt denn das?<br />

Leopold:<br />

Eine geizige Bagage! Eh' die ein Trinkgeld auslassen. Wovon soll denn unsereiner<br />

seine Schulden bezahlen?! Wie viel bin ich dir schuldig, 'Gustl?<br />

Piccolo:<br />

34 Kronen 80, Herr Vorgesetzter.<br />

Leopold:<br />

34 Kronen 80. (Seufzend) Alles für sie!<br />

Piccolo:<br />

Lassen Sie sich von einem Kenner warnen! Täglich anonyme Rosen für die Frau Wirtin!<br />

Diese Weiber sind unser Ruin!<br />

Leopold:<br />

Ach, was verstehst denn du, Gustl. (Schwärmerisch) Wenn diese Frau mich nur<br />

anschaut mit ihren Glutaugen, dann bleibt mir der Verstand weg.<br />

(Man hört aus dem Hotel den Lärm von fallendem Geschirr. Josepha, die <strong>Rössl</strong>-Wirtin, tritt,<br />

lebhaft ins Haus zurück kommandierend) auf. Sie trägt ein paar Rosen im<br />

Miederausschnitt.)<br />

Josepha:<br />

Zum Kreuzdonnerwetter, wer mir noch einmal dazwischen spricht, der kriegt ein paar<br />

Watschen, dass das Haus kracht!<br />

Leopold:<br />

Wie lieb sie wieder ist!<br />

Josepha:<br />

Sie, Leopold - wie teuer haben wir denn das letzte Mal die Backhändl berechnet?<br />

Leopold (steht da und starrt sie an, verloren):<br />

Wenn Sie mich was fragen, gnädige Frau — dann weiß ich gar nix.


4<br />

Josepha :<br />

Natürlich nicht — er weiß nichts.<br />

Piccolo (sachlich):<br />

Zwei Kronen vierzig. (Stößt ihn in die Seite.) Sei ein Mann! (Er geht kopfschüttelnd und<br />

mit einem kräftigen Fluch ab.)<br />

Josepha:<br />

Was geben wir denn heut als Vorspeis'?<br />

Leopold (schwärmerisch):<br />

Oeufs ä Cocotte, Madame.<br />

Josepha (notiert):<br />

Eier im Töpfchen, -<br />

Leopold: (leidenschaftlich)<br />

Herz am Spieß.<br />

Josepha (notiert):<br />

... Herz am Spieß. Und als Mehlspeis'?<br />

Leopold (anbetend):<br />

Liebesknochen mit Himbeersaft!<br />

Josepha:<br />

Liebeskno ...? Wie schaun's mich denn an, Leopold - das fällt mir schon die ganze Zeit auf.<br />

<strong>So</strong>lche verdrehten Augen hab' ich bei einem Kalberl gern, aber bei meinem Zahlkellner<br />

sind's mir zuwider. (Will weg.)<br />

Leopold (ihr nach):<br />

Gnädige Frau, ich muss Ihnen was sagen.<br />

Josepha:<br />

Sehr richtig! Die gestrige Abendeinnahme haben Sie mir noch nicht gesagt!<br />

Leopold :<br />

280 Kronen 50. Frau Josepha, hören Sie mich an, Frau Pepi...<br />

(leidenschaftlich) Peperl, Pepitschkerl -<br />

Josepha:<br />

Halt, halt! Für Sie bin ich immer noch die Frau Maria Gabriela Josepha Vogelhuber,<br />

gebürtige Steinlechner - die Wirtin vom „<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>". Und da wir gerad beim Plauschen<br />

sind, Leopold, merken Sie sich: In den drei Jahren, seit mein seliger Mann tot ist, hab' ich<br />

fünf Zahlkellner gehabt. Anfangs waren sie alle brav und tüchtig; aber wie sie angefangen<br />

haben, solche Kalbsaugen zu machen, so wie Sie, wissen Sie, was ich da gemacht hab'?<br />

(Temperamentvoll) Aussigschmissen hab' ich sie, alle fünf. (Sie nimmt ihn am<br />

Ohrläppchen, lächelnd.) Gebens Acht, Leopold, dass Sie das halbe Dutzend nicht voll<br />

machen!<br />

Leopold:<br />

Frau Josepha —ich hab' Sie j a so -<br />

Josepha:<br />

Ruhig !


5<br />

Leopold:<br />

Einmal muss es heraus.<br />

Josepha:<br />

Gar nix muss heraus!!<br />

Leopold:<br />

Frau Pepi<br />

Josephä(drohend):<br />

Leopold!<br />

Leopold:<br />

Sie können drohen, so viel Sie wollen, ich sag's Ihnen -<br />

Josepha:<br />

Gar nix sagen Sie mir. Ich verbiet' es Ihnen -<br />

Leopold:<br />

Gar nix verbieten Sie mir. Jetzt erst recht! Jetzt sag' ich's Ihnen.<br />

Musik Nr. 3 Duett Leopold - Josepha („Es muss was wunderbares<br />

sein")<br />

Leopold (nimmt und hält sie):<br />

EINMAL NUR, ACH BITT SCHÖN, EINMAL<br />

NUR MÖCHT ICH ES WAGEN, DIR ZU SAGEN,<br />

WAS DISKRET IN MEINEM TAGEBUCH<br />

GLEICH AUF DER ERSTEN SEITE STEHT:<br />

ES MUSS WAS WUNDERBARES SEIN,<br />

VON DIR GELIEBT ZU WERDEN -<br />

DENN MEINE LIEBE, DIE IST DEIN,<br />

SO LANG ICH LEB' AUF ERDEN!<br />

ICH KANN NICHTS SCHÖNERES MIR DENKEN,<br />

ALS DIR MEIN HERZ ZU SCHENKEN,<br />

WENN DU MIR DEINS DAFÜR GIBST<br />

UND MIR SAGST, DASS AUCH DU MICH LIEBST!<br />

Josepha (hat sich vergeblich gewehrt, jetzt reißt sie sich<br />

los): BITTE SEHR! ICH WILL NICHT HÖREN<br />

MEHR, WAS SIE DA TRÄUMEN IM<br />

GEHEIMEN. SIE SIND BEI MIR DOCH NUR<br />

ALS OBER HIER UND NICHT ALS<br />

HERZENSKAVALIER!<br />

Leopold:<br />

ES MUSS WAS WUNDERBARES SEIN,<br />

VON DIR GELIEBT ZU WERDEN.<br />

Josepha:<br />

LEOPOLD, SIND'S DOCH VERNÜNFTIG!<br />

Leopold:<br />

DENN MEINE LIEBE, DIE IST DEIN,<br />

SO LANG ICH LEB' AUF ERDEN.


6<br />

Josepha:<br />

LEOPOLD, WAS SOLL DAS WERDEN KÜNFTIG?<br />

Leopold :<br />

ICH KANN NICHT SCHÖNERES MIR DENKEN ...<br />

Josepha:<br />

NA, DENKEN'S NIX!<br />

Leopold:<br />

ALS DIR MEIN HERZ ZU SCHENKEN.<br />

Josepha:<br />

JA, KRUZIFIX!<br />

IHR HERZ, DAS IST MIR GANZ WURSCHT,<br />

ABER DRINNEN DIE GAST' HAB'N DURSCHTÜ<br />

(Sie rennt ins Haus.)<br />

Leopold (allein, jetzt erst recht auftrumpfend):<br />

ES MUSS HALT DOCH WAS WUNDERBARES SEIN,<br />

VON DIR GELIEBT ZU WERDEN,<br />

DENN DEINE LIEBE, DIE IST MEIN,<br />

SO LANG ICH LEB' AUF ERDEN!<br />

ICH KANN NICHTS SCHÖNERES MIR DENKEN,<br />

ALS DIR MEIN HERZ ZU SCHENKEN,<br />

WENN DU MIR DEINS DAFÜR GIBST<br />

UND MIR SAGST, DASS AUCH DU MICH LIEBST!<br />

Josepha:<br />

Stubenmadel, alles in Ordnung? Wenn das Stubenmadel riet zum anbeißen ist, dann<br />

taugt das ganze Hotel nichts. Na Kellnerinnen, vorwärts, vorwärts, vorwärts, die<br />

Speisekarten sind noch nicht geschrieben und der Dampfer muss jeden Augenblick da<br />

sein. Vor allem, Leopold, schaun's dass Nummer vier in Ordnung kommt, das<br />

Balkonzimmer. Neue Gardinen ans Fenster, Blumen auf den Schreibtisch.<br />

Leopold (eifersüchtig):<br />

Aha, ist das vielleicht der gewisse Rechtsanwalt, von dem mir meine Vorgänger schon<br />

so viel erzählt haben? Der Herr Doktor Siedler aus Berlin? Den soll die gnädige Frau ja<br />

ganz besonders ins Herz geschlossen haben?<br />

Josepha:<br />

Hab' ich auch. Das ist der netteste Stammgast von allen — der bringt Leben ins Haus,<br />

(Glücklich lächelnd.) Morgen fängt das Schützenfest an, das lasst er kein Jahr aus! (Sie<br />

nimmt die angesteckten Rosen vom Kleid, mit leiser Zärtlichkeit.) Und angesagt hat er sich<br />

auch schon - wenn auch anonym!<br />

Leopold (blass):<br />

<strong>So</strong>! Anonym hat er sich angesagt? (Mit wachsender Erregung.) Gnädige Frau, Frau Maria<br />

Gabriela Josepha Vogelhuber, gebürtige Steinlechner: bis in den Tod hält' kein Wort davon<br />

über meine Lippen kommen sollen! Aber wenn die gnädige Frau meine Rosen trägt, nur<br />

weil sie meint, dass der Herr Doktor Siedler sie geschickt hat - dann freut mich das ganze<br />

Familienleben nicht! Dann pfeif ich drauf!<br />

(Vom See her Pfiff des nahenden Dampfers.)


7<br />

Stubenmadel<br />

(erregt): Der<br />

Dampfer<br />

Leopold (ärgerlich):<br />

Der Dampfer!<br />

Josepha (sprachlos):<br />

Sie, Leopold? Sie schicken mir jeden Tag Rosen und unterschreiben sich „Dein<br />

Schnucki"?<br />

Leopold (tief gekränkt):<br />

Jawohl, das Schnucki bin ich !<br />

Stubenmadel:<br />

Der Dampfer!<br />

Leopold:<br />

Der Dampfer, der Dampfer, Frau Josepha, Pepperl.<br />

Josepha:<br />

Pssst, Schluss mit dem Getratsche. (Dampfer tutet)<br />

Stubenmadel:<br />

Der Dampfer!<br />

Leopold:<br />

Ja, immer wenn ich was sagen will, kommt der Dampfer.<br />

Josepha:<br />

Ja, wo ist denn der Piccolo? Piccolo?<br />

Piccolo:<br />

Bitte sehr, bitte gleich.<br />

Josepha:<br />

Von gestern sind noch sechs Portionen Paprikahuhn übrig, die müssen weg, haha, im<br />

ersten Hunger frisst die Bagage sowieso alles zusammen<br />

Alle:<br />

Musik Nr. 4 Ensemble „Zauber der Saison"<br />

DAS IST DER ZAUBER DER SAISON!<br />

DA TRÄGT DIE LANDSCHAFT ZINSEN -<br />

DA ROLLT DAS GELD IN JEDER FASSON<br />

WIE ERBSEN ODER LINSEN!<br />

IM DEZEMBER HAM M'R NIX WIE SCHNEE,<br />

DOCH IM JULI SAN M'R DULI - DULI -- ÖH!<br />

DER FREMDE ZAHLT — DANN ZIEHT ER<br />

DAVON -<br />

DAS IST DER ZAUBER, DAS IST DER ZAUBER,<br />

DAS IST DER ZAUBER DER SAISON!<br />

(Der Dampfer kommt längs des Stegs hereingefahren. Gesteigertes Treiben,<br />

Durcheinanderrufen, Winken und Hüpfen auf der Bühne. Die Passagiere auf dem Dampfer zeigen<br />

sich interessier,' die Gegend, sprechen durcheinander, lachen, winken. Während die Reisenden<br />

vom Dampfer steigen, drängen die Eingeborenen ihnen entgegen.)


8<br />

Giesecke:<br />

Zwee Julden für die kleene Fahrt! Det Jeschäft ist richtig! Dafür kann ich schon dreimal von<br />

der Jannowitzbrücke nach Treptow fahren und eine Portion jrüne Aale essen! (Zu Leopold, der<br />

Servietten wedelnd sich genähert hat:) Haben Sie jrüne Aale?<br />

Leopold :<br />

Nein, bitte. Aber ein Paprikahuhn wäre da, ganz frisch von gestern.<br />

Giesecke:<br />

Will ick nicht. Wenn ich Dampfer fahre, will ich grüne Aale essen, das gehört dazu. Aber das<br />

kennen die Brüder hier natürlich nicht!<br />

Leopold:<br />

Ah - die Herrschaften kommen aus Berlin?<br />

Giesecke:<br />

Na jewiß doch! Haben Sie schon mal 'ne Gegend ohne Berliner gesehen? Ick nick!<br />

Ottilie:<br />

Papa, sieh doch bloß mal den herrlichen See!<br />

Giesecke :<br />

Der Müggelsee ist mir lieber!<br />

Ottilie:<br />

Was?!<br />

Giesecke:<br />

Er ist mir lieber!<br />

Ottilie(heiter):<br />

Du wirst schon sehen, wie wohl du dich hier fühlen wirst.<br />

Giesecke :<br />

Ich will mir gar nicht wohl fühlen. Es ist mir so lieber! (Zu Leopold.) Geben Sie mir mal<br />

die Speisekarte.<br />

Leopold (ruft):<br />

Eine Speisekarte!<br />

(Piccolo kommt mit der Speisekarte und gibt sie Leopold).<br />

Ottilie klopft ihrem Vater lustig auf den Bauch):<br />

Du sollst mal sehn, Papa, wenn du erst so ein echtes Wiener Schnitzel bekommst<br />

Giesecke:<br />

Eisbein mit Sauerkohl is mir lieber ~ (ohne dass jemand widerspricht, schreiend) Es ist mir<br />

lieber! (Er nimmt mit Ottilie an einem Tisch Platz. Er nimmt die Speisekarte von Leopold und<br />

studiert sie.) Matrosenfleisch? Jungfernbraten? Zigeunergulasch? - Ihr seid wohl hier Menschen<br />

fresser? (Liest weiter.) Fisolen, Karfiol, Risibisü! Ja, habt Ihr keine deutsche Speisekarte?<br />

Leopold:<br />

Deutsche Speisekarte? Bitte sehr bitte gleich(Leopoldgibt die Karte dem. hinter ihm<br />

stehenden Piccolo. Der Piccolo gibt dieselbe Karte Leopold in die andere Hand. Leopold<br />

gibt also dieselbe Karte nur mit der anderen Hand an Giesecke zurück.) Eine deutsche<br />

Speisekarte — bitte sehr!


10<br />

Giesecke:<br />

Na also, warum nicht gleich? Sie hören doch, dass ich aus Berlin bin! „ B e u s c h e l " ^<br />

und u werden einzeln betont) -- Otti, weißt du, was ein Beuschel ist?<br />

Ottilie:<br />

Beuschel? Aber natürlich — was ist denn ein Beuschel?<br />

Leopold: (richtig aussprechend)<br />

Ein Beuschel!<br />

Giesecke: (richtig)<br />

Beuschel.<br />

Leopold:<br />

Ein Beuschel, meine -Herrschaften, bitte sehr, das wird aus dem Innersten gewissermaßen<br />

herausgerissen und dann (Er illustriert alles.) ein bisserl gehackt und ein bisserl gedünstet<br />

und etwas Pfeffer und Salz hinein und ein Stückerl Zitrone dazu und ein Ei drauf - und das<br />

Ganze ist dann (Der Piccolo mit dem Teller steht schon neben ihm.) ein Beuschel!<br />

Giesecke empört) :<br />

Mensch, das ist ja Lungenhaschee! Das einzige, was ich nich esse!<br />

(Er neigt den Teller, das Beuschel mitsamt dem Ei glitscht auf den Fußboden.)<br />

Leopold (nickt):<br />

Hab' ich mir gleich gedacht. Zurück! (Gibt dem Piccolo einen Klaps.)<br />

Paprikahuhn!<br />

(Piccolo ab.)<br />

Giesecke:<br />

Warum sind wir bloß nicht nach Ahlbeck gefahren!<br />

Ottilie:<br />

Aber Papa! Dort hast du doch keine Berggipfel mit ewigem Schnee!<br />

Giesecke:<br />

Na, is denn Schnee vielleicht was Schönes? Zu Hause in Berlin, sind wir froh, wenn er weg<br />

ist, und hier soll ich mich plötzlich freuen, dass er da ist. - Ober ~ (Er sieht sich um.) Sie,<br />

Ober ~ wo stecken Sie denn? Fummeln Sie doch nicht immer hinter meinem Rücken rum.<br />

Macht mich ganz nervös. (Zu Leopold.) Wie steht's nu mit Logis? Ich brauche zwei<br />

Zimmer, eins davon mit Balkon. Ich ärgere mir nämlich viel und wenn ich mir ärgere, dann<br />

muss ich 'nen Balkon haben, damit ich frische Luft kriege.<br />

Leopold (blickt hinauf):<br />

Zimmer mit Balkon haben wir nur eines, Nummer vier — und das ist reserviert; (aus der<br />

Tiefe seines Herzens) leider.<br />

Giesecke (sofort wieder cholerisch):<br />

Nur ein Zimmer .mit Balkon! In Ahlbeck kann ich fünfzig Zimmer mit Balkon kriegen!<br />

Ottilie:<br />

Keine Aufregung Papa, wir werden schon unterkommen. Ich fülle ihnen erstmal<br />

den Meldeschein aus, was soll ich denn schreiben?


Giesecke:<br />

Frag nich so dämlich. In Ahlbeck hast du's immer gewusst. Hier beim ewigen Schnee - ist<br />

dir's Gehirn eingefroren!<br />

Ottilie (schreibt):<br />

Wilhelm Giesecke samt Tochter, Trikotagen, Berlin -<br />

Leopold (eifrig):<br />

Wilhelm Giesecke - für den Herrn von Giesecke ist bereits ein Telegramm da. Ich bringe es<br />

sofort. (Rasch ab.)<br />

Giesecke:<br />

Aha, das ist gewiss von Herrn Sülzheimer, von diesem alten Schei....<br />

Ottilie:<br />

Papa!<br />

Giesecke:<br />

Shylock. Lass mich doch aussprechen! Wenn du wüsstest, wie dieser alte Halunke<br />

mich piesackt. Und erst (hasserfüllt) sein Rechtsanwalt, der Herr Doktor Siedler.<br />

Ottilie:<br />

Sag mal, Papa, worum handelt es sich denn eigentlich in diesem endlosen Prozess?<br />

Giesecke:<br />

Ach Gott, du kommst auch immer aus dem Mustopp! Du kennst doch mein Patent:<br />

Hemdhose „Apollo". Hemdhose in einem Stück, durchbrochen, vorne zu knöpfen! Kaum<br />

bin ich mit meinem Patent raus, kommt das alte Ekel, der Sülzheimer, mit 'nem<br />

Gegenpatent: Hemdhose „Attila", gleichfalls in einem Stück, gleichfalls durchbrochen, aber<br />

hinten zu knöppen. Nun führen wir einen Prozess auf Leben und Tod: Vorne oder hinten!<br />

(Leopold kommt mit dem Telegramm).<br />

Giesecke:<br />

— und der Schweinehund, dieser Doktor Siedler, will von der Hemdhose nicht runter.<br />

Leopold (lebhaft):<br />

Haben Euer Gnaden nicht soeben das Wort Schweinehund in Verbindung mit einem<br />

gewissen Rechtsanwalt Doktor Siedler gebraucht?<br />

Giesecke (empört):<br />

Was geht denn das Sie an? Bringen Sie mir lieber kein Lungenhaschee, wenn ich Beuschel<br />

bestelle. (Liest das Telegramm, erbost.) „Lehne auf Rat Doktor Siedlers jede weitere<br />

Korrespondenz mit Ihnen ab!" (Mit rotem Kopf.) Wenn ich aus diesem Siedler bloß<br />

Hackepeter machen könnte!<br />

Leopold:<br />

Oder Beefsteak Tartar!<br />

Giesecke (plötzlich wütend):<br />

Ach, lassen Sie doch Ihre albernen Witze! (Liest weiter.) „Für Barzahlungen stehe ich Ihnen<br />

in Sangershausen zur Verfügung!" <strong>So</strong> eine Frechheit:<br />

Ottilie:<br />

Das ist eine Unverschämtheit! Dem musst du eine Antwort geben, dass es kracht!<br />

11


12<br />

Leopold:<br />

Telegrammformular gefällig? (Er legt es vor Ottilie hin.)<br />

Giesecke:<br />

Also, Ottilie, telegrafiere mal. (Diktiert) Sülzheimer, Sangershausen. Sie können mich —<br />

Leopold (begeistert):<br />

Bravo! Ausgezeichnet! — Pardon.<br />

Giesecke:<br />

Quasseln Sie nicht dazwischen! „Sie können mich im — im <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>' am<br />

Wolfgangsee besuchen, wenn Sie etwas von mir wünschen. Was Herrn Doktor Siedler<br />

angeht -"<br />

Leopold:<br />

„ ... so kann er uns gleichfalls alle -"<br />

Giesecke:<br />

Nein, nicht mal das. .. „so wünsche ich von diesem Paragraphenverdreher und<br />

Kostenschinder nicht weiter belästigt zu werden. Stopp. Hochachtungslos, Giesecke."<br />

Ottilie:<br />

Sehr gut, Papa!<br />

Leopold (hingerissen):<br />

Sehr gut, Papa! Oh Pardon! Fabelhaft!!<br />

Ottilie:<br />

Ich bring es zur Post und bin gleich wieder hier. (Ab)<br />

Piccolo (aus dem Haus):<br />

Bittschön, das Paprikahuhn!<br />

Leopold :<br />

Zurück! Dieser Herr ist zu schade für ein Paprikahuhn von gestern!<br />

Piccolo:<br />

Warum? Stinkt ja noch net. (Kopfschüttelnd ab.)<br />

Leopold :<br />

Ich bringe Ihnen etwas Knuspriges auf Ihr Zimmer, Herr von Giesecke. Und wissen, Herr<br />

von Giesecke, auf was für ein Zimmer? Auf das Zimmer Nummer vier, mit dem schönen<br />

Balkon. Auf dem Balkon können Sie sich ausärgern nach Herzenslust, da können Herr von<br />

Giesecke lossprudeln -<br />

Giesecke:<br />

Hauptsache, junger Mann ~ ick habe das Zimmer! Nun sagen Sie mal, was kriege ich denn<br />

nun zu essen?<br />

Leopold:<br />

Vielleicht ein Entrecoatscherl?<br />

Giesecke(verständnislos):<br />

Entrecoatscherl nein.


Leopold:<br />

Vielleicht Powidltatschkerln?<br />

Giesecke:<br />

Powidltatschkerln — nein. Haben Sie Buletten?<br />

Leopold:<br />

Nein! Was ist denn das?<br />

Giesecke.<br />

Da nimmt man Gehacktes - Rindfleisch und dann (Er illustriert alles.) kommt etwas<br />

Pfeffer und Salz dran, Petersilie, ein Ei dran und und — (Plötzlich mit tiefster Resignation.)<br />

ach, Sie bringen mir ja doch wieder Lungenhaschee! Haben Sie wenigstens<br />

Kartoffelpuffer?<br />

Leopold:<br />

Was?<br />

Giesecke:<br />

Kartoffelpuffer!<br />

Leopold:<br />

Kartoffelpuffer? Kennen wir nicht.<br />

Giesecke:<br />

Mensch, Sie kennen keine Kartoffelpuffer? — und Sie leben noch<br />

Piccolo (ist aus dem Haus gekommen).<br />

Aber Herr Leopold, was wird denn die Frau Chefin sagen? Das Balkonzimmer vom<br />

Herrn Doktor --<br />

Leopold (hält ihm den Mund zu):<br />

Seht! Ich will diesen verdammten Namen nicht mehr hören. Der Herr Siedler soll sich<br />

ansiedeln, wo er will. Wenn er hier her kommt, mach ich Kartoffelpuffer aus ihm.<br />

(Leopold und Piccolo ab ins Haus.)<br />

13


14<br />

Musik Nr. 5 Auftritt Siedler („<strong>Im</strong> <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>")<br />

(Siedler in strahlender Laune von links, mit dem Fahrrad, das ihm der Piccolo<br />

abnimmt).<br />

Siedler:<br />

WENN DAS BAROMETER WIEDER SOMMER MACHT<br />

UND WENN DER URLAUB LACHT, DANN BIN ICH<br />

FROH -<br />

DANN ZIEH'N MICH DIE NAGELSCHUH VON SELBER<br />

HIN DORT, WO ICH STAMMGAST BIN. WISSEN SIE, WO?<br />

(Aus der Tür tritt Josepha und winkt ihm strahlend zu.) IM<br />

WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE, DA STEHT<br />

DAS GLÜCK VOR DER TÜR UND RUFT DIR ZU:<br />

„GUTEN MORGEN! TRITT EIN - UND VERGISS<br />

DEINE SORGEN. UND MUSST DU DANN EINMAL<br />

FORT VON HIER, SO TUT DER ABSCHIED DIR<br />

WEH, DENN DEIN HERZ, DAS HAST DU<br />

VERLOREN IM „WEISSEN RÖSSL" AM SEE!<br />

Josepha:<br />

HEUTE SCHEINT DIE LIEBE SONNE DOPPELT SCHÖN,<br />

WEIL WIR UNS WIEDERSEHN<br />

IN WOLFGANG HIER.<br />

WENN ICH IHNEN TAUSENDMAL „WILLKOMMEN" SAG,<br />

DANN IST ES FEIERTAG<br />

IMMER BEI MIR!<br />

Josepha und Siedler:<br />

IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE, DA<br />

STEHT DAS GLÜCK VOR DER TÜR UND RUFT DIR<br />

ZU: „GUTEN MORGEN! TRITT EIN - UND<br />

VERGISS DEINE SORGEN." UND MUSST DU<br />

DANN EINMAL FORT VON HIER, SO TUT DER<br />

ABSCHIED DIR WEH, DENN DEIN HERZ, DAS<br />

HAST DU VERLOREN IM „WEISSEN RÖSSL" AM<br />

SEE!<br />

Alle:<br />

IM „WEISSEN RÖSSL" AM WOLFGANGSEE,<br />

DA STEHT DAS GLÜCK VOR DER TÜR<br />

UND RUFT DIR ZU: „GUTEN MORGEN!<br />

TRITT EIN - UND VERGISS DEINE SORGEN!"<br />

UND MUSST DU DANN EINMAL FORT VON HIER,<br />

SO TUT DER ABSCHIED DIR WEH, DENN DEIN HERZ,<br />

DAS HAST DU VERLOREN IM „WEISSEN RÖSSL" AM SEE!<br />

(Leopold kommt aus dem Haus, unmittelbar hinter ihm Siedler).<br />

Siedler (bemerkt ihn):<br />

Nanu, ein ganz neues Gesicht?<br />

Leopold (übelgelaunt):<br />

Nein, das hab' ich schon seit meiner Geburt!


Siedler^'« strahlender Laune):<br />

Also, Sie sind der neue Ober?<br />

Leopold (ingrimmig):<br />

Und Sie sind der alte Doktor Siedler.<br />

Siedler:<br />

Na, hoffentlich werden wir uns gut vertragen.<br />

(Er. klopft Leopold freundschaftlich auf die Schulter.)<br />

Leopold:<br />

Hoffentlich! (Er wischt seine Schulter ab.)<br />

Siedler:<br />

Wie ist denn das Wetter dieses Jahr?<br />

Leopold (Siedler mit tödlichem Hass anblickend):<br />

Regnen tut's, nix als regnen!<br />

Siedler:<br />

Prachtvoll! Ich brauche feuchte Luft! Und das Essen?<br />

Leopold :<br />

... nicht zum Fressen, dieses Jahr! !<br />

Siedler:<br />

Famos! Ich soll nämlich 'n paar Pfund abnehmen!<br />

Leopold (immer leidenschaftlicher):<br />

Und Mücken haben wir! Und Hornissen! Die Betten sind zu kurz! Wir warten auf<br />

ein Erdbeben!<br />

Siedler (hingerissen):<br />

Wunderbar! Da spürt man doch wenigstens gleich, dass man auf dem Lande ist! <strong>So</strong>, und<br />

jetzt auf mein geliebtes Balkonzimmer Nummer vier! (Er wirft seinen Hut hinauf und<br />

trifft damit den soeben auf den Balkon tretenden Giesecke.)<br />

Giesecke:<br />

Na, det Jeschäft is richtig! Was soll ich denn mit dem alten Hut? (Wirft den Hut zurück.)<br />

Siedler:<br />

Was machen Sie denn auf meinem Balkon?<br />

Giesecke:<br />

Erlauben Sie, das ist mein Balkon !<br />

Siedler:<br />

Verzeihung, das Zimmer habe ich gemietet!<br />

Giesecke:<br />

Nee, da irren Sie sich. Das Zimmer habe ich gemietet ~ das seh'n Sie ja!<br />

Josephaf«/ aus dem Haus getreten):<br />

Entschuldigen Sie, gnädiger Herr, wer hat Sie denn da hinaufgeführt?<br />

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16<br />

Giesecke:<br />

Der Ober! Ich werd mir doch nich erst einen Gebirgsführer nehmen, um auf den Balkon zu<br />

steigen!<br />

Josephafnervös):<br />

Leopold, haben Sie Nummer vier weggegeben?<br />

Leopold (trotzig):<br />

Na, selbstverständlich. Der Herr „Stammgast" war ja mit dem Dampfer nicht angekommen<br />

— und ich werde doch nicht einen prominenten Großindustriellen aus Berlin ohne Zimmer<br />

lassen? (Da Josepha mit drohend erhobener Hand auf ihn zugeht, retiriert er schnell ins<br />

Haus.) Zahlen gerufen, bitte? (Ab)<br />

Giesecke (vergnügt) :<br />

Leopold kriegt Haue, det Geschäft is richtig!<br />

Josepha:<br />

Aber ich bitte Sie, der Herr wohnt schon seit 7 Jahren in diesem Zimmer!<br />

Giesecke :<br />

Da kann er ja im achten Jahr mal wo anders wohnen!<br />

Siedler (ein Telegramm hervorziehend):<br />

Ich bin im Besitze der schriftlichen Zusage der Frau Wirtin. Hier liegt ein rechtsgültiger<br />

Mietsvertrag- vor -- und ich ersuche Sie daher als Jurist...<br />

Giesecke:<br />

„Als Jurist!" Wenn ich das bloß höre! Hier bin ich, hier bleibe ich. Und wenn Sie mich<br />

reizen, dann bleib' ich bis Weihnachten!<br />

Josepha:<br />

Nein, der Herr Doktor hat mein Wort, und die <strong>Rössl</strong>wirtin hat ihr Wort noch immer gehalten.<br />

Also bitte schön, machen Sie keine Spompernadeln!<br />

Giesecke:<br />

Was für Nadeln soll ich nicht machen? Ich versteh' Sie nicht.<br />

Josepha (rufend):<br />

Piccolo!<br />

Giesecke:<br />

Was wollen Sie eigentlich von mir, Fräulein?<br />

Josepha:<br />

Schaffen Sie das Gepäck von Nummer vier herunter !<br />

(Der Piccolo geht ins Haus.)<br />

Giesecke (kleinlaut) :<br />

Die Brüder sehen allerdings gefährlich aus. Sehte, sachte - Ich weiche der Gewalt! Otti,<br />

komm gar nicht erst rauf, der feine Herr da hat uns aus unserer Wohnung vertrieben.<br />

(Der Piccolo bringt die Koffer angeschleppt).


Ottilie:<br />

Was denn für ein Herr?<br />

Siedler (verbeugt sich):<br />

Mein Fräulein!<br />

Ottilie:<br />

Ach, Sie sind der feine Herr? Und Sie sind so ungalant, eine junge Dame aus ihrer<br />

Wohnung zu vertreiben?<br />

Siedler (lächelnd):<br />

Mein Fräulein, ich wusste nicht, dass auch eine junge Dame an dem Balkonzimmer beteiligt<br />

ist - noch dazu eine so charmante. Ich verzichte auf mein Recht. Bringen Sie die Koffer nur<br />

wieder hinauf!<br />

(Der Piccolo schleppt fluchend die Koffer ins Haus).<br />

Josepha ( das Gespräch zwischen Ottilie und Siedler mit beginnendem Unbehagen betrachtet):<br />

Bitte, meine Herrschaften, da habe ich doch auch noch ein Wort dreinzureden! Piccolo!<br />

Einen Augenblick! -<br />

Giesecke: (kommt unten aus der Tür)<br />

Nanu, was soll denn das nu wieder? Otti, was hat das zu bedeuten? Warum kommen die<br />

Koffer wieder rauf?<br />

Ottilie:<br />

Aber Papa, der Herr ist doch so freundlich und verzichtet.<br />

Giesecke:<br />

<strong>So</strong>? Zu dir ist er so freundlich und zu mir war er so unverschämt. Aber ich lasse mir von<br />

so einem Knochen nichts schenken. (Ruft ins Haus.) Bringen Sie die Koffer wieder<br />

runter!<br />

Ottilie:<br />

Aber Papa, so lass doch! (Der<br />

Piccolo schleppt die Koffer heraus).<br />

Wo es uns hier doch so gut gefällt! Und ich will nun mal nicht nach Ahlbeck! (Zum<br />

Piccolo.) Schaffen Sie die Koffer nur wieder hinauf!<br />

(Der Piccolo schafft heftig fluchend die Koffer wieder ins Haus).<br />

Josepha (lächelnd):<br />

Ja, da muss ich Herrn Doktor Siedler also mein eigenes Zimmer zur Verfügung stellen!<br />

Giesecke (sprachlos):<br />

Wie? Habe ich recht gehört! - Wem müssen Sie Ihr Zimmer...<br />

Siedler:<br />

Gestatte, mich vorzustellen, Doktor Otto Siedler, Rechtsanwalt.<br />

Giesecke (brüllend):<br />

Was? Sie sind dieser Schwei .. .<br />

Ottilie:<br />

Papa!<br />

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18<br />

Giesecke:<br />

Schweig! Quabbel nicht immer dazwischen! -(Herrisch) Bringen Sie die Koffer wieder<br />

herunter!<br />

Siedler (perplex):<br />

Wieso? Was hat das mit meinem Namen zu tun?<br />

Giesecke:<br />

Ich heiße nämlich Giesecke. Wilhelm Giesecke, Trikotagen, Leipziger Straße.<br />

Siedler:<br />

Ach -- Sie sind der Mann mit der Hemdhose?<br />

Giesecke:<br />

Jawoll, Hemdhose Apollo, (napoleonisch) vorne zu knöppen! Und da soll ich mit Ihnen in<br />

einem Hause wohnen — mit dem Vertreter der Gegenseite! Ich bin doch nicht verrückt!<br />

Wo bleiben denn die Koffer?<br />

(Der Piccolo greift zu einem abgekürzten Verfahren und wirft das gesamte Reisegepäck vom<br />

Balkon auf die Bühne herunter. Der Krach der fallenden Koffer wird übertönt von dem wütend<br />

ausbrechenden Giesecke).<br />

Giesecke:<br />

Hat man so was schon erlebt? Meine guten Koffer! <strong>So</strong> was ist mir in Ahlbeck nicht passiert!<br />

(Er rennt wütend ab. )<br />

Siedler (will beruhigen und ruft):<br />

Moment mal! Ich bringe die Sache in Ordnung!<br />

Josepha ( ihn auf und schreit gleichzeitig):<br />

Nein! Bleiben Sie doch? Wo ist denn der Leopold?<br />

Leopold:<br />

<strong>So</strong> eine Schweinerei! Und alles wegen diesem verdammten Doktor Siedler. Wenn ich ihr nur<br />

diesen Doktor Siedler abgewöhnen könnte!<br />

Piccolo (rasch und schlau):<br />

Aber Herr Leopold, haben Sie denn nicht gemerkt: Der Herr Rechtsanwalt fliegt doch auf die<br />

kleine Berlinerin!<br />

Leopold (interessiert aufhorchend):<br />

Was? Du meinst, der Doktor Siedler fliegt auf die Tochter vom Giesecke? Ist das möglich?<br />

Piccolo :<br />

Na und ob! Zwischen die Beiden bandelt sich etwas an!<br />

Leopold :<br />

Du meinst wirklich? Zwischen den Beiden bandelt es sich? Das wäre ja großartig! Halt,<br />

Fräulein Ottilie, nicht so schnell, so warten Sie doch, ich habe doch mit Ihnen zu reden, nämlich<br />

der Herr Doktor Siedler -<br />

Ottilie ( auffahrend) :<br />

Lassen Sie mich bloß mit diesem Doktor Siedler in Frieden! Jetzt verdirbt er Papa noch die paar<br />

<strong>So</strong>mmerwochen. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihm diesen Doktor Siedler vom Halse halte.


Leopold :<br />

Ich wüsste ja, wie! Aber dazu braucht man Courage.<br />

Ottilie:<br />

Na, wenn's bloß auf Courage ankäme!<br />

(Siedler tritt aus dem Hintergrund auf. Von Ottilie unbemerkt. Er bleibt hinten beobachtend<br />

stehen und wechselt Blicke des Einverständnisses mit Leopold.)<br />

Leopold :<br />

Nämlich, wenn Sie den Herrn Doktor Siedler ein ganz kleines bisserl in sich verliebt<br />

machen täten, dann würde er die Frau Josepha - ich mein', dann würde er Ihren Herrn Papa<br />

in Ruhe lassen.<br />

Ottilie :<br />

Verliebt machen??<br />

Leopold :<br />

Warum nicht? Er ist .doch ein fescher Kerl.<br />

Ottilie (unwillkürlich):<br />

Er sieht gut aus.<br />

Leopold:<br />

Ja, er hat ganz mein Äußeres. -<br />

Ottilie (besinnt sich plötzlich wieder):<br />

Und solche Hintertreppengeschichten muten Sie mir zu? Einem Mädel aus Berlin? Wenn<br />

dieser Herr mir noch einmal in die Nähe kommt, dann soll er mich kennen lernen!<br />

Siedler (tritt auf ein Zeichen von Leopold hervor):<br />

Mein gnädiges Fräulein ~ Sie kennen zu lernen, ist seit einer Stunde mein sehnlichster<br />

Wunsch.<br />

Leopold.<br />

Sein sehnlichster Wunsch! Hast du das gehört! (Vergnügt und händereibend ab.)<br />

Ottilie:<br />

Ach, der Herr Rechtsanwalt! — Wollen - der Herr Doktor vielleicht jetzt mir den<br />

Prozess machen?<br />

Siedler:<br />

Ja, mein gnädiges Fräulein! Ich möchte Ihnen im mündlichen Verfahren mitteilen, wie<br />

herrlich ich es in Wolfgang finde, seitdem Sie angekommen sind.<br />

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Musik Nr. 7 Duett Ottilie-Siedler („Die ganze Welt ist Himmelblau")<br />

Siedler:<br />

Alles ist so viel schöner geworden, die Berge, der See, der Himmel ...<br />

DIE GANZE WELT IST HIMMELBLAU,<br />

WENN ICH IN DEINE AUGEN SCHAU'!<br />

UND ICH FRAG' DABEI, BIST AUCH DU SO TREU<br />

WIE DAS BLAU, WIE DAS BLAU DEINER AUGEN?<br />

EIN BLICK NUR IN DEIN ANGESICHT<br />

UND RINGSUM BLÜHT VERGISSMEINNICHT -<br />

JA, DIE GANZE WELT<br />

MACHST DU, SÜSSE FRAU, SO BLAU, SO BLAU, SO BLAU!<br />

(Die ganze Bühne ist in blaues Licht getaucht. Während Siedler mit seinem Lied sehr<br />

leidenschaftlich um Ottilie wirbt, bleibt sie noch sehr reserviert und immer ein wenig spöttisch.)<br />

Ottilie:<br />

EIN HÜBSCHES GEDICHT -DOCH<br />

MUSS ICH GESTEH'N: DIE WELT<br />

SOLL MAN NICHT DURCH<br />

ANDERE AUGEN SEH'N!<br />

(Sie will fortgehen, Siedler folgt ihr.)<br />

Siedler:<br />

ICH FIND' ES NUR GUT,<br />

DASS JEDER AM SCHLUSS<br />

FARBE BEKENNEN SOLL UND MUSS.<br />

Ottilie:<br />

DIE GANZE WELT IST HIMMELBLAU,<br />

WENN ICH IN DEINE AUGEN SCHAU' !<br />

Beide:<br />

UND ICH FRAG' DABEI:<br />

BIST AUCH DU SO TREU<br />

WIE DAS BLAU, WIE DAS BLAU DEINER AUGEN?<br />

Siedler:<br />

EIN BLICK NUR IN DEIN ANGESICHT,<br />

UND RINGSUM BLÜHT VERGISSMEINNICHT -<br />

JA, DIE GANZE WELT<br />

MACHST DU, SÜSSE FRAU,<br />

Beide:<br />

SO BLAU, SO BLAU, SO BLAU!<br />

Leopold (kommt vergnügt):<br />

Die ganze Welt ist himmelblau, Wenn ich Dir eins ins Auge hau' -<br />

(Josepha tritt rasch ein.)<br />

Josepha:<br />

Ja, zum Kreuzdonnerwetter, Leopold, wo stecken's denn?


Leopold (übermütig):<br />

Frau Pppi! Frau Peperl! Pepitschkerl!<br />

Josepha (macht sich frei, ärgerlich):<br />

Schafskopf! - Das ganze Haus steht voller Gast' und Sie kümmern sich nicht um die<br />

Wirtschaft!<br />

Leopold:<br />

Frau Pepi, jetzt einen KUSS !<br />

Josepha:<br />

Leopold, sind Sie närrisch geworden?<br />

Leopold (strahlend):<br />

Bitt schön, ein Kellner ist auch ein Mensch! Bleibt denn Ihr Herz ganz stumm?<br />

Josepha:<br />

Kümmern Sie sich net um mein Herz - kümmern Sie sich um die Leber, um die Nierndeln<br />

und um die Kalbshaxen!<br />

Leopold :<br />

Frau Pepi - der Mensch kann nur arbeiten, wenn er hofft!<br />

Josepha:<br />

An Schmarrn! Der Mensch darf nur hoffen, wenn er arbeitet! Marsch, hinaus in den Garten!<br />

Leopold:<br />

Ein einziges Busserl -<br />

Josepha (drohend):<br />

Leopold! Hinaus in den Garten, hab' ich gesagt!<br />

Leopold (bettelnd):<br />

Ein einziges kleines Zeichen, dass Sie mir gut sind! (Will sie küssen.)<br />

Josepha(wehrt sich):<br />

Nehmen Sie sich in Acht, Leopold!<br />

Leopold (hält sie):<br />

Einen einzigen schlagenden Beweis —<br />

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22<br />

Musik Nr. 8/1 Es muss was wunderbares sein<br />

Josepha(gibt ihm eine schrillende Ohrfeige):<br />

Da! Jetzt wissen's wenigstens, wie viel es geschlagen hat! (Rasch abgehend.) dass mich der<br />

Kerl aber auch nie in Frieden lassen kann! (Ab)<br />

Leopold:<br />

ES MUSS WAS WUNDERBARES SEIN,<br />

VON DIR GELIEBT ZU WERDEN.<br />

DENN MEINE LIEBE, DIE IST DEIN,<br />

SO LANG ICH LEB' AUF ERDEN!<br />

ICH KANN NICHTS SCHÖNERES MIR DENKEN,<br />

ALS DIR MEIN HERZ ZU SCHENKEN,<br />

WENN DU MIR DEINS DAFÜR GIBST<br />

UND MIR SAGST,<br />

DASS AUCH DU MICH LIEBST.<br />

(Leopold ab.)<br />

Musik Nr. 8/2 Finale I<br />

(Giesecke kommt aus dem <strong>Rössl</strong> und singt brüllen:)<br />

Giesecke:<br />

IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE<br />

IST NIE EIN KELLNER ZU SEHN!<br />

DA SITZT MAN HUNGRIG IM GARTEN<br />

MUSS WARTEN, MUSS WARTEN, MUSS WARTEN!<br />

Hallo!<br />

(Alle Plätze sind in der Zwischenzeit von Touristen besetzt, die ungeduldig auf Bedienung warten.<br />

Der Himmel sieht gewitterdrohend aus. Jagende Wolken.)<br />

Chor der Gäste:<br />

IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE<br />

IST NIE EIN KELLNER ZU SEHN!<br />

DA SITZT MAN HUNGRIG IM GARTEN<br />

MUSS WARTEN, MUSS WARTEN, MUSS WARTEN!<br />

UND WILL MAN HIER MAL NACH HAUSE GEHN,<br />

DANN IST KEIN MENSCH IN DER NÄH 1<br />

UND MAN WARTET MIT QUALEN AUFS ZAHLEN<br />

IM WEISSEN RÖSSL AM SEE!<br />

./. LEOPOLD, ZAHLEN - LEOPOLD, ZAHLEN .-/.- LEOPOLD!<br />

Leopold:<br />

ABER MEINE HERRSCHAFTEN!<br />

NICHT SO NERVÖS SEIN!<br />

SCHAUN'S, EIN KELLNER IST EIN MENSCH GENAU WIE SIE.<br />

Chor:<br />

BITTE ZAHLEN, ZAHLEN!


Leopold:<br />

ABER MEINE HERRSCHAFTEN!<br />

WER WIRD GLEICH BÖS SEIN?<br />

MAN BRAUCHT ZUM LEBEN DOCH AUCH ETWAS POESIE!<br />

SCHAUN'S AN DEN<br />

SONNENSCHEIN -(Blitz, Donner.)<br />

NICHT JEDER BLITZ SCHLÄGT EIN<br />

-(Blitz, Donner.)<br />

S' WIRD GLEICH VORÜBER SEIN - - -<br />

(Der Donner verstärkt sich und rollt mächtig. Die Gäste, schon beim ersten Wetterleuchten<br />

unruhig geworden, springen auf, verlassen ihre Plätze, und beginnen, durcheinander zu eilen.<br />

Vergeblich trachtet Leopold, die mit der Zeche Wegtaufenden zurückzuhalten. Es beginnt zu<br />

regnen. Das Aktschlussensemble steigert sich zu immer nervöserem und dadurch komischem<br />

Durcheinander: Die Schirme aufgespannt, die Kragen hoch gestellt, fliehend, fluchend,<br />

einander gegenseitig den Weg vertretend, irren alle durcheinander, während der Schnürlregen<br />

erbarmungslos weite klatscht.)<br />

Alle:<br />

DAS IST DER ZAUBER DER SAISON:<br />

ES GIESST IN ALLEN GASSEN.<br />

DAS SCHÖNSTE KLEID VERLIERT DIE FA£ON,<br />

KEIN ANZUG WILL MEHR PASSEN.<br />

PETRUS RUFT VOM HIMMELSBÜHNENTÜRL:<br />

AUFGEPASST, HERR SOMMERGAST<br />

JETZT REGNET'S SCHNÜRE! -<br />

WENN ES HIER MAL RICHTIG REGNET,<br />

JA, DANN REGNET ES SICH EIN,<br />

DENN DIE GEGEND IST GESEGNET<br />

MIT REGEN ALLGEMEIN!<br />

WENN DIE ERSTEN TROPFEN FALLEN,<br />

FALL'N DIE ÄNDERN TROPFEN AUCH,<br />

UND MAN HÖRT SIE FÖRMLICH KNALLEN<br />

AUF DEN KOPF UND AUF DEN BAUCH!<br />

UND MAN SINGT VOLLER WUT:<br />

OH MEIN SALZKAMMERGUT'<br />

NIMMT DAS FLIESSEN UND DAS GIESSEN<br />

ERST MAL RICHTIG SEINEN LAUF -<br />

DANN HÖRT ES, HÖRT ES, HÖRT ES, HÖRT ES,<br />

HÖRT ES NICHT MEHR AUF!<br />

23


24<br />

ZWEITER AKT<br />

Nr. 9 Introduktion<br />

Josepha:<br />

<strong>So</strong>, jetzt nehmen sie dieses Körberl, hier das Herz, und das tragen Sie jetzt hinauf zu dem<br />

Doktor Siedler aufsein Zimmer.<br />

Leopold (sanft, doch zitternd):<br />

Die Aufträge, die mir die Frau Josepha da erteilt hat, meint die Frau Josepha doch<br />

hoffentlich net im Ernst?<br />

Nein. Die Frau Josepha meint alles nur zum Spaß. — (Heftig) Keinen Widerspruch! Tragen<br />

Sie's hinauf!<br />

Leopold:<br />

Pardon, als postillon d'amour bin ich nicht engagiert.<br />

Josepha<br />

Aha, also mein Herr Ober widersetzt sich meinen Wünschen?<br />

Leopold:<br />

Jawohl, denn meine Frau Oberin widersetzt sich meinen Wünschen.<br />

Josepha:<br />

Sie, Leopold, haben Sie sich das reiflich überlegt?<br />

Leopold :<br />

Aufs reiflichste. Wenn der Leopold ja sagt, is ja, wenn er nein sagt, is nein. Dann sind Sie<br />

entlassen.<br />

Leopold (nickt):<br />

Dann machen Sie sich Ihren Dreck alleene! (Er stellt den Korb auf die Erde.)<br />

Josepha (wütend):<br />

<strong>So</strong> frech is noch kein Mannsbild mit mir gewesen! Höchste Zeit, dass wir zwei<br />

auseinander gehen!<br />

Leopold (verzweifelt, doch<br />

heiter): Allerhöchste Zeit!<br />

Josephafge/?/ eilig):<br />

Dann ist's ja gut!<br />

Leopold (rasch zu ihr hin, jetzt mit einem echten Ton):<br />

Haben Sie sich das auch reiflich überlegt, Frau Josepha?<br />

Josepha ( alle ihre Überlegenheit zusammen):<br />

Aufs reiflichste. Wenn die <strong>Rössl</strong>-Wirtin ja sagt, ist ja, und wenn sie nein sagt (plötzlich<br />

ganz anders, indem sie ihn wütend anschreit) dann können Sie gehen ! ! (Ab ins Haus.)


25<br />

Leopold:<br />

Bitte sehr, bitte gleich! (Übergang zum Lied.) Ein anständiger Mensch kann alles — der kann<br />

stehlen und Wechselfälschen. Aber das Gspusi mit dem Ändern ansehn Nein!<br />

Musik Nr. 10 Lied Leopold („Zuschau 'n kann i net")<br />

Leopold:<br />

FÜR EIN LÄCHELN VON IHR, FÜR EIN EINZIGES WORT<br />

HÄTT ICH ALLES GETAN SOFORT! DOCH FÜR 'SIE IST'S<br />

EIN SCHERZ, WAS FÜR MICH EIN SCHMERZ -ICH GLAUB',<br />

SIE HAT KEIN HERZ!<br />

FÜR EIN KÖRNCHEN GEMÜT, EINEN HAUCH<br />

SYMPATHIE HÄTT' ICH PFERDE GESTOHLEN FÜR SIE. ICH<br />

WAR' FÜR SIE G'SPRUNGEN INS WASSER HINEIN -DOCH IN<br />

EINEM FALL, DA SAG' ICH NEIN! NEIN! ZUSCHAU'N KANN I<br />

NET, ZUSCHAU'N KANN I NET, WENN ICH NICHT SELBER<br />

BIN DABEI, BRICHT MIR DAS HERZ ENTZWEI! NEIDISCH BIN<br />

I NET! NEIDISCH BIN I NET! ABER ZUSCHAU'N - ICH GESTEH'<br />

ZUSCHAU'N TUT HALT GAR SO WEH! (Leopold ab).<br />

(Josepha kommt aus dem Haus)<br />

Siedler:<br />

Guten Morgen!<br />

Josepha.<br />

Ah, der Herr Doktor Siedler! Gut geschlafen die erste Nacht?<br />

Siedler:<br />

Danke, ganz famos!<br />

(Ottilie tritt auf. Josepha bemerkt sie nicht).<br />

Siedler:<br />

Und gleich in aller Frühe schon eine so entzückende Aussicht - das gibt's nur im<br />

Salzkammergut!<br />

Josepha:<br />

<strong>Im</strong>mer galant!<br />

Siedler(zu Ottilie):<br />

Ich komme gleich hinunter.<br />

Josepha (bezieht alles auf sich):<br />

Aber nein! Ich bringe Ihnen das Frühstück ja selbst hinauf!


26<br />

Siedler (zu Ottilie):<br />

Ich habe nämlich dringend mit Ihnen zu sprechen.<br />

Josepha:<br />

Ah, da freu' ich mich darauf! (Strahlend) Ich mach Ihnen jetzt schnell den Kaffee mit<br />

Schlagobers zurecht - Kaisersemmeln und Honig und zwei Eier im Glas. (Sie geht ins Haus<br />

ab.)<br />

Ottilie:<br />

Ach, so einer sind Sie: <strong>Im</strong>mer zwei Eisen im Feuer!<br />

Siedler:<br />

Sie machen sich ein falsches Bild von mir. Ich bin ein Rechtsanwalt — aber ehrlich.<br />

Jedenfalls in puncto Liebe.<br />

Ottilie:<br />

Liebe?? Wir zwei? Mein Vater kann Sie doch nicht riechen!<br />

Siedler:<br />

Keine Angst. Noch heute wird Ihr Vater mir selbst den Auftrag erteilen, Ihnen nicht mehr<br />

von der Seite zu weichen.<br />

Ottilie (ungläubig, lachend):<br />

Wie wollen Sie denn das anstellen?<br />

Siedler:<br />

Das lassen Sie meine <strong>So</strong>rge sein! Ich habe jemand herbestellt...<br />

Ottilie (nun doch<br />

neugierig): Wen<br />

denn?<br />

Siedler:<br />

Alles zu seiner Zeit. Wenn Sie heute Abend mit mir tanzen, werde ich Ihnen alles<br />

verraten. Aber es muss ein Walzer sein.<br />

Ottilie:<br />

Warum denn gerade ein Walzer?<br />

Siedler:<br />

Ja, beim Walzer, da bin ich hemmungslos!<br />

Musik Nr. 11 Duett Ottilie-Siedler („Mein Liebeslied muss ein Walzer sein")<br />

Siedler :<br />

WAS MEIN HERZ ZU SAGEN HAT, FÜHLST AUCH DU!<br />

Ottilie:<br />

WAS DIE UHR GESCHLAGEN HAT, WEISST AUCH DU!<br />

Siedler :<br />

UND WIE EINST DER ROMEO,<br />

SING' ICH HEUT' EBENSO<br />

MEIN CHANSON VOM<br />

BALKON.


Ottilie:<br />

SAGST DU ES IN PROSA<br />

MIR, KLINGT ES KÜHL -<br />

(Siedler verschwindet vom Balkon und erscheint gleich darauf<br />

unten). DAS IST NICHT DAS RECHTE FÜR MEIN<br />

GEFÜHL.<br />

JEDE SERENADE BRAUCHT DEN REIM<br />

DAZU UND DEN TAKT, DEN WÄHLST DU!<br />

Siedler:<br />

MEIN LIEBESLIED MUSS EIN WALZER SEIN VOLL<br />

BLÜTENDUFT UND VOLL SONNENSCHEIN! WENN<br />

BEIM ERSTEN „DU" ICH MICH AN DICH SCHMIEG',<br />

BRAUCHT MEIN HERZ DAZU SÜSSE WALZERMUSIK.<br />

Beide :<br />

MEIN LIEBESLIED MUSS EIN WALZER SEIN,<br />

DER SÜSS BERAUSCHT WIE<br />

CHAMPAGNERWEIN,<br />

Siedler:<br />

UND DAS LIED, DAS, DIR SAGT:<br />

Beide:<br />

ICH BIN DEIN! KANN DOCH NUR EIN WALZER<br />

SEIN; KANN DOCH NUR EIN WALZER SEIN,<br />

Ottilie:<br />

UND DAS LIED, DAS DIR SAGT: ICH BIN, DEIN -<br />

Beide:<br />

KANN DOCH NUR, EIN WIENER WALZER SEIN!<br />

Ottilie:<br />

WER SICH ERST EIN TEMPO<br />

WÄHLT, DER VERGISST,<br />

DASS MAN NICHT DIE KÜSSE<br />

ZÄHLT, DIE MAN KÜSST!<br />

Siedler:<br />

ABER AUCH BEIM RINGELREIH'N KANN<br />

MAN NICHT TAKTLOS SEIN. DRUM KOMM<br />

MIT SCHRITT FÜR SCHRITT!<br />

Ottilie:<br />

JA, DA GEHT EIN FLUIDUM DURCH DEN RAUM.<br />

UND DA WIRD MAN SELBER ZUM<br />

WALZERTRAUM.<br />

Siedler:<br />

UND LÄDT MICH DIE NACHTIGALL ZU ARIEN EIN,<br />

SAG' ICH NUR: BITTE, NEIN!<br />

Beide:<br />

MEIN LIEBESLIED MUSS EIN WALZER SEIN. (Wie oben.)<br />

27


28<br />

(Leopold kommt traurig von links).<br />

Piccolo (kommt aus dem Haus und stürzt tiefbetrübt auf ihn zu):<br />

Ist das wahr, Herr Leopold, Sie gehen?<br />

Leopold:<br />

Nein, ich werde gegangen. Hör zu, Gustl, jetzt übergeb' ich dir meinen letzten Willen.<br />

<strong>So</strong>zusagen mein Testament.<br />

Piccolo (schon leicht schluchzend):<br />

Herr Leopold -<br />

Leopold:<br />

Das Hochzeitspaar leg' ich dir besonders ans Herz. Du weißt ja, nach dem Anklopfen immer<br />

bis fünf zählen, eh' du hineingehst. An Regentagen bis acht! Ihm gibst du zum Essen etwas<br />

Stärkendes: Kaviar, Sellerie, Spiegeleier! Und ihr etwas Leichtes: Stangenspargel,<br />

Schinkenfleckerl, Hirn mit Ei!<br />

Piccolo (heulend):<br />

Ja!<br />

Leopold :<br />

<strong>So</strong>lchen Gästen wie dem Doktor Siedler beim Servieren immer erst ein bisserl Suppe über die<br />

Krawatte und den Rest hinten hinein gießen.<br />

Piccolo (heulend):<br />

Sie können sich auf mich verlassen!<br />

Leopold :<br />

<strong>Im</strong> allgemeinen: Verlier dein Herz niemals an eine Chefin!<br />

Piccolo (weinend):<br />

Zuschau'n kann i net ~<br />

Leopold (auch schon dem Schluchzen nahe):<br />

Schweig! Du singst ja ganz falsch!<br />

Piccolo :<br />

Ich bin im Stimmbruch!<br />

Leopold (gibt ihm einen freundschaftlichen Klaps):<br />

Hör mich an, Gustl: Sei arrogant gegen die Gast'! Aufs erste Rufen kommst du nie !<br />

Piccolo (weinend):<br />

Nie!<br />

Leopold:<br />

Gäste müssen warten. Wann einer ekelhaft ans Glas klopft, sagst du: „Das ist nicht mein<br />

Revier. Kollege kommt gleich." Beim Rechnen hältst du den Zettel so hoch, dass der Gast nicht<br />

hineinschauen kann, (Die Rührung übermannt ihn.) sonst kannst du nicht falsch addieren!<br />

(Weinend, doch zugleich majestätisch.) Ein Ober, der sich zu seinem Nachteil verrechnet, ist ein<br />

Schandfleck für's ganze Gewerbe!<br />

Piccolo:<br />

Ja.


Leopold :<br />

Über allem aber merk dir eines: Ein Kellner ist auch ein Mensch! (Beide heulen<br />

herzbrechend.)<br />

Piccolo:<br />

Wo werden's denn hingehen, Herr Leopold?<br />

Leopold (mit Fassung):<br />

Ich wander aus. Nach Amerika! ( Kattenvenne / Püsselbüren o.Ä. )<br />

(Piccolo heult herzzerbrechend auf).<br />

Leopold :<br />

Ja, mei Gustl, was heulst denn gar so?<br />

Piccolo:<br />

Sie schulden mir noch 34 Kronen 80!<br />

Leopold (heult ebenso herzzerbrechend):<br />

Gustl, die siehst du niemals wieder! (Beide umarmen sich.)<br />

Leopold (rafft sich plötzlich zusammen und schüttelt den Piccolo ein<br />

wenig): Hör auf, Gustl, reiß dich zusammen! Sei ein Mann!<br />

(Piccolo ab. Giesecke tritt aus dem Haus, als Tiroler angezogen.)<br />

G\esecke (missmutig an sich herunterblickend):<br />

Schön seh' ich aus. Wenn ick mir so in de Leipziger Straße blicken lasse, denken die<br />

Leute, ich bin der Spezi von dem Silbereisen Und das soll „fesch" sein? Die halben<br />

Hosen? Als wenn der Stoff nicht gelangt hätte. Und die Pulswärmer an die Beene? Und die<br />

nackten Knie? Wenn die <strong>So</strong>nne weg ist, friert's einem, und wenn sie da ist, kommen die<br />

Mücken ;und frühstücken. -- A propos Frühstück! (Ruft:) Leopold! (Lauter:) Leopold!<br />

(Leopold kommt aus dem Hause, sich eben ein fesche Steirer Jacke statt des<br />

Kellnerfracks überziehend).<br />

Leopold (sehr höflich):<br />

Tut mir leid, Herr von Giesecke, ich hab Sie ja sehr gern ~ aber es hat sich ausgeleopoldet.<br />

Giesecke:<br />

Nanu, wie sehen Sie denn aus?<br />

Leopold :<br />

Ich bin ein Kurgast geworden. Ein Kurgast genau wie Sie!<br />

Giesecke:<br />

Machen Sie keine Witze! Bringen Sie mir lieber mein Frühstück!<br />

Leopold :<br />

Herr von Giesecke, wollen's nicht lieber mit mir „dudeln" gehen?<br />

Giesecke :<br />

Was heißt das?<br />

Leopold:<br />

Sie wissen nicht, was dudeln heißt ~ und Sie leben noch?<br />

29


30<br />

Giesecke:<br />

Ich hab' in meinem Leben noch nie gedudelt!<br />

(Josepha tritt aus dem Haus.)<br />

Leopold :<br />

Na, einen Rausch wollen wir uns ansaufen! Und ein bis drei hübsche Maderln geh' ich<br />

mir anlachen!<br />

Josepha (lächelnd, halblaut):<br />

Einen Schmarrn! Entlassen ist er!<br />

Leopold :<br />

Ja eben!! Der Leopold wird's schon noch beweisen, dass er einen Sex-Appeal in sich hat! (Ab)<br />

Gieseckefzw Josepha):<br />

Ne, Zustände sind das hier. Der Oberkellner versexäppelt die Gäste und unsereiner, muss<br />

im Billardzimmer übernachten.<br />

Josepha.<br />

Na, haben Sie vielleicht nicht gut geschlafen?<br />

Giesecke:<br />

Kein Auge hab' ich zugemacht. <strong>So</strong> oft ick mich auf mein Billard ausstrecken will, kräht<br />

Ihr Hahn. <strong>So</strong> was von Krähen hab' ich in meinem Leben noch nicht gehört. <strong>So</strong> kräht gar<br />

kein richtiger Hahn!<br />

Josepha:<br />

Aber, Herr Giesecke!<br />

Giesecke:<br />

In Ahlbeck krähen sie anders!<br />

Josepha:<br />

Na, na, na, na, — Sie sind doch nicht da, um sich allerweil zu ärgern! Wenn Sie die Berge<br />

nicht freuen, warum sind Sie denn dann hergekommen?<br />

Giesecke:<br />

Das weeß ick ooch nich.<br />

Josepl\a (charmant):<br />

Sie, Herr von Giesecke (Fasst ihn unter's Kinn.) - wenn Sie nicht immer ein so finsteres<br />

Gesicht machen täten, wären Sie eigentlich ein ganz schöner Mann<br />

Giesecke:<br />

Machen Sie bloß keine Witze! Zum Wochenende finde ich dann die Krabbelei auf<br />

meiner Rechnung!<br />

Josepha:<br />

Aber wer wird denn gleich immer das Schlechteste denken! Noch dazu im Salzkammergut!<br />

Giesecke (meckernd):<br />

Lassen Sie mich mit dem Salzkammergut zufrieden. Der Müggelsee ist mir lieber!


Josepha:<br />

Aber, Herr Giesecke!<br />

Giesecke:<br />

Er ist mir lieber!<br />

Josepha:<br />

Herrgott, so einen alten Schimpflerer und Meckerer, den möcht' ich einmal richtig in die<br />

Kur nehmen.<br />

Musik Nr. 13 „<strong>Im</strong> Salzkammersut"<br />

Josepha (umtanzt und umlacht ihn auf nette, lustig verführerische<br />

Art): SCHÖN IST DIE WELT! SCHÖN IST DIE WELT!<br />

HEUTE HAB'N WIR WIEDER SONNENSCHEIN!<br />

BLÜHENDES FELD! LACHENDES FELD!<br />

WER WIRD. DA NOCH MELANCHOLISCH SEIN!<br />

HÖR DOCH MAL ZU, HÖR DOCH MAL ZU,<br />

JEDER VOGEL PFEIFT SICH WAS! PFEIF DOCH<br />

AUCH DU, SING DOCH AUCH DU ODER<br />

BRUMM DIR WAS IM BASS !<br />

Alle:<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />

WENN DIE MUSIK SPIELT, HOLDRIOH!<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />

SO WIE NIRGENDWO, HOLDRIOH!<br />

ES BLÜHT DER HOLUNDER<br />

DEN GANZEN SOMMER MITUNTER -<br />

UND NUR DIE LIEBE, DIE BLÜHT'S GANZE.JAHR!<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />

JA, HIER SAN MER IMMER SO -HOLDRIOH!<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN.<br />

IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />

WENN DIE MUSIK SPIELT, HOLDRIOH!<br />

IM SALZKAMMERGUT, JA, IM SALZKAMMERGUT,<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />

IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />

SO WIE NIRGENDWO - HOLDRIOH!<br />

IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />

JA, DA IST ES WUNDERBAR!<br />

31


32<br />

(Alle)<br />

ES BLÜHT DER HOLUNDER<br />

DEN GANZEN SOMMER MITUNTER!<br />

UND NUR DIE LIEBE,<br />

DIE BLÜHT'S GANZE JAHR.<br />

IM SALZKAMMERGUT, DA KA' MER GUT LUSTIG<br />

SEIN,<br />

JA, HIER SAN MER IMMER SO, HOLDRIOH!<br />

(Josepha spielt die Tuba)<br />

Giesecke:<br />

ISCHL IST SCHÖN,<br />

GMUNDEN IST SCHÖN,<br />

DOCH MÜSSEN SIE MAL AHLBECK SEH'N!<br />

SAND GIBT ES DA,<br />

KRABBEN GIBT'S DA,<br />

UND DIE FLUNDERN, DIE SIND GANZ „EINS-A"!<br />

BERGE SIND SCHÖN,<br />

TÄLER SIND SCHÖN,<br />

DOCH DA SOLLTEN SIE MAL TREPTOW SEH'N!<br />

WENN DU ERST AM WANNSEE BIST,<br />

WEISST DU ERST, WAS KNORKE IST!<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KANN MAN GUT LUSTIG SEIN,<br />

DOCH IM GRUNEWALD GIBT'S DAS AUCH!<br />

BEI STULLENPAPIER,<br />

WEISSE UND BIER, GÄNSEKLEIN,<br />

HAB' ICH ALLES DANN, WAS ICH BRAUCH'.<br />

UND MÄDCHENS ZUM KÜSSEN,<br />

DIE VON DER LIEBE WAS WISSEN,<br />

DIE GIBT ES MASSENHAFT AM STÖLPCHENSEE!<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KANN MAN GUT LUSTIG SEIN,<br />

ABER WIR SIND OOCH NICH DOOF -<br />

AN DER SPREE!<br />

Alle:<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN.<br />

IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />

WENN DIE MUSIK SPIELT, HOLDRIOH!<br />

IM SALZKAMMERGUT, JA, IM SALZKAMMERGUT,<br />

IM SALZKAMMERGUT,<br />

DA KA' MER GUT LUSTIG SEIN,<br />

IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />

SO WIE NIRGENDWO - HOLDRIOH!<br />

IM SALZKAMMERGUT IST'S FEIN,<br />

JA, DA IST ES WUNDERBAR!<br />

ES BLÜHT DER HOLUNDER<br />

DEN GANZEN SOMMER MITUNTER!<br />

UND NUR DIE LIEBE,<br />

DIE BLÜHT'S GANZE JAHR.<br />

IM SALZKAMMERGUT, DA KA' MER GUT LUSTIG<br />

SEIN,<br />

JA, HIER SAN MER IMMER SO, HOLDRIOH!


2. BILD<br />

(Auftritt Sigismund Sülzheimer. Er ist mit der Eleganz eines Provinz-Beaus gekleidet. Auf dem<br />

Kopf hat er ein Mützchen).<br />

Josepha (tritt aus dem Haus):<br />

Herr Sülzheimer?<br />

Sigismund:<br />

Gestatten, meine Gnädigste: Sigismund Sülzheimer junior, Trikotagen, Sangershausen.<br />

Genannt der schöne Sigismund.<br />

Josepha:<br />

Sehr erfreut, Herr von Sülzheimer. Herr Doktor Siedler hat schon ein Zimmer für Sie<br />

reserviert.<br />

Siedler.<br />

Ja, Sigi, was machen Sie denn hier? Ich habe doch Ihren Vater erwartet.<br />

Sigismund:<br />

Nein, er wollte durchaus, dass ich fahre - Sie kennen doch meinen Vater — wie hat er<br />

gesagt....: Sigi, mein Goldjunge, mit deinem Charme wirst du den bösen, bösen Giesecke<br />

um den Finger wickeln. Aber Mutter hat gesagt: Knall dem alten Ekel eine vor den Latz!<br />

Siedler:<br />

Übrigens ~ gar keine schlechte Idee, dass Sie gekommen sind. Sie passen noch besser<br />

in meinen Plan als der alte Herr. (Schüttelt ihm die Hand.)<br />

(Professor Hinzelmann kommt von links. Er ist der Typ des liebenswürdigen, altvaterischen<br />

Idealisten und trägt eine uralte kleine Reisetasche sowie eine Plaidrolle mit Regenschirm. Hinter<br />

ihm kommt Klärchen, seine Tochter. Sie trägt ein kleines Umhängetäschchen).<br />

Sigismund (freudig):<br />

Ach, da sind Sie ja. Darf ich die Herrschaften bekanntmachen: Herr Professor<br />

Hinzelmann und seine reizende Tochter Klärchen. (Zu Hinzelmann.) Ist. doch Ihre<br />

Tochter?<br />

Hinzelmann:<br />

Wir haben uns nämlich in der Eisenbahn kennengelernt. Der junge Herr Sülzheimer hat uns<br />

hierher gebracht. Aber (mit Blick auf die Hotelgebäude) das kommt für uns doch gar nicht<br />

in Frage.<br />

Josepha:<br />

Ach, ich hätte ja noch was Billiges frei - da oben!<br />

Hinzelmann (zaghaft):<br />

Frau Wirtin -- (Er nimmt Josepha beiseite:) Hätten Sie nicht etwas höher Gelegenes?<br />

Josepha (erstaunt lachend):<br />

O mei, die zwei Zimmer liegen ja sowieso schon unter dem Dach.<br />

Hinzelmann:<br />

Und ist das Frühstück mit inbegriffen?<br />

Josepha:<br />

Nein, nur Bedienung und Licht.<br />

33


34<br />

Hinzelmann:<br />

Ach, Licht brauchen wir keines, das haben wir uns selbst mitgebracht.<br />

(Klärchen entnimmt ihrem Täschchen eine große weiße Stearinkerze und zeigt sie stolz vor).<br />

Hinzelmann:<br />

Ist gut, mein Kind! (Klärchen steckt die Kerze weg.) Und bedienen tun wir uns auch<br />

selbst. Klärchen, Lass mich mal unsere Reisekasse zählen.<br />

Klärchen:<br />

Ja, Papa! (Tritt zu ihm und bastelt eine Tasche hervor, sie zählen.)<br />

Sigismund (rasch unterdessen zu Josepha):<br />

Bitte, sagen Sie für alles den halben Preis — die andere Hälfte begleiche ich.<br />

Josepha (nickt schmunzelnd):<br />

Verstehe. (Laut und frisch:) Der Preis wäre also mit voller Pension ein Gulden 50 pro Tag.<br />

Hinzelmann (aufatmend):<br />

Das geht!<br />

Josepha (durchtrieben):<br />

Das will ich meinen!<br />

Hinzelmann:<br />

Wir bleiben. (Zu Sigismund, scheu lächelnd:) Sie dürfen mich nicht auslachen, Herr<br />

Sülzheimer. Aber ein Privatgelehrter hat es heutzutage nicht leicht. Und da wir nun<br />

mal die Reiseleidenschaft haben, meine Tochter und ich - nicht wahr, Klärchen?<br />

Klärchen:<br />

Ja, Papa.<br />

Hinzelmann (nickt ihr zärtlich zu):<br />

Wir reisen jeden dritten <strong>So</strong>mmer ~ und zwei <strong>So</strong>mmer freuen wir uns immer darauf. Da<br />

heißt es sparen, bis die Reisekasse voll ist. Sehen Sie, wenn ich so im Winter mal Lust auf<br />

eine Zigarre habe, dann steck ich mir statt dessen einen Bleistift in den Mund.<br />

(Klärchen zieht einen dicken Bleistift aus ihrem Täschchen und zeigt ihn vor).<br />

Hinzelmann:<br />

Schon gut, mein Kind! (Klärchen steckt den Bleistift weg.) Und die Reisetasche hat wieder<br />

5Pfennig zugenommen.<br />

Klärchen (verlegen):<br />

Papa!<br />

Hinzelmann (um Fasst sie, strahlend):<br />

Aber, wenn es dann so weit ist und ich sitze mit meinem Klärchen auf der Eisenbahn... und<br />

wir fühlen das Rütteln und Schütteln im ganzen Körper, ah, das ist z u schön, gelt? Deshalb<br />

fahren wir auch immer Bummelzug - da dauert's länger. Und wenn es dann so bergauf geht:<br />

(Er kopiert auf die bekannte Weise das Pusten des bergan klimmenden Zügleins. Die<br />

Anderen machen es mit.) „Det schaff ich nicht! Det schaff ich nicht! Det schaff schaff ich<br />

nicht!" Herrlich! Aber dann geht es plötzlich bergab! (Er illustriert begeistert.) „Det schaff<br />

ich! Det schaff ich! Det schaff ich." Na, Herrgott ~ macht das nicht glücklich?


Klärchen (zupft ihn):<br />

Papa!<br />

Hinzelmann (lächelnd):<br />

Aha, ich rede wohl wieder zu viel? Also gut, jetzt will ich mir mal die Berge von<br />

unseren beiden Dachsalons begucken — und wenn du 'dann heraufkommst, kann ich<br />

dir das ganze Panorama schon geologisch erklären.<br />

3osepha(während sie seinen Handkoffer nimmt):<br />

Vielleicht ein Schluckerl Rotwein aufs Zimmer?<br />

Hinzelmann (erschrocken):<br />

Gott bewahre! Hab ich mir längst abgewöhnt. Statt jedes Schluckes Alkohol tu ich einen<br />

Spargroschen in die Reisekasse — (Klärchen zieht eine Sparbüchse hervor, Hinzelmann<br />

wirft einen Groschen hinein.) und sage mir: das ist wieder l Kilometer! (Lächelnd) Det<br />

schaff ich noch! Det schaff ich noch! (Mit Josepha ab in die Dependance.)<br />

Sigismund (mit einem Blick auf Klärchen):<br />

Det schaff ich noch! (Er nähert sich ihr.) Ein prächtiger alter Reisender, Ihr Herr Papa!<br />

Klärchen:<br />

Ach ja!<br />

Sigismund:<br />

Und erst sein Töchterchen -<br />

Siedler:<br />

Na, da Lass ich Sie wohl lieber allein und wir besprechen das Geschäftliche später. Zwar —<br />

wie sagt Ihr Vater immer?<br />

Sigismund:<br />

Erst das Geschäft und dann das Vergnügen!<br />

Siedler:<br />

Und Mutter?<br />

Sigismund:<br />

<strong>Im</strong>mer ran an den Speck!<br />

(Siedler ah nach links).<br />

Sigismund (mit einem Einfalt):<br />

Also, mein Kind, würden Sie sich mir zu einer kleinen Führung durch den Ort anvertrauen?<br />

Klärchen (begeistert):<br />

Ach ja!<br />

Sigismund:<br />

Vielleicht ins Familienbad?<br />

Klärchen:<br />

Ach nein!<br />

35


36<br />

Sigismund:<br />

O bitte, bitte! Erstens wird mir in Ihrer Nähe ganz heiß ~ und zweitens bin ich<br />

eine ausgesprochene Badeschönheit!<br />

Klärchen (ängstlich):<br />

N ... nein!<br />

Sigismund:<br />

Wie schade, dass Sie so einsilbig sind! Angeborene Schüchternheit?<br />

Klärchen :<br />

J....ja<br />

Sigismund:<br />

Na, das werd ich Ihnen im Wasser schon abgewöhnen. Denn unter Wasser hat ja alles ein<br />

ganz anderes Gesicht.<br />

Musik Nr. 14a Szenenwechsel Familienbad<br />

(Kurz vor Schluss der Musik treten Klärchen und Sigismund im Badekostüm aus zwei Kabinen.<br />

Sie setzen sich vorn. Musik aus.)<br />

Sigismund (trägt ein elegantes Bademützchen):<br />

Na, kleine Schweigerin, ist das Leben nicht doch eine nette Erfindung?<br />

Klärchen:<br />

Ach ja!<br />

Sigismund:<br />

Nun sagen Sie mal, sind Sie immer so einsilbig?<br />

Klärchen : Ach ja!<br />

Sigismund:<br />

Sie haben so sprechende Augen. Ich möchte wetten, dass Sie entzückend plaudern können.<br />

Klärchen:<br />

Ach nein!<br />

Sigismund :<br />

Und gerade eine süße Stimme hat für mich den größten Reiz.<br />

Klärchen (enttäuscht):<br />

Jaaa??<br />

Sigismund:<br />

Da habe ich zum Beispiel in Salzburg neulich einen Spaß gehabt. Da saß mir im Cafe ein<br />

Mädchen gegenüber: Bildhübsch! <strong>So</strong>lange sie stumm war. Aber auf einmal wandte sie sich an<br />

mich und sagte: (Lispelnd) Darf ich Sie um etwas Selterswasser bitten? Aus war's! Vor Lachen<br />

bin ich beinahe vom Stuhl gefallen.<br />

Klärchen (lispelnd und in lebhafter starker Erregung):<br />

Das war aber sehr häßlich von Ihnen. Sie sollten sich schämen, über so etwas zu lachen


37<br />

Sigismund (betroffen):<br />

Aber Fräulein Klärchen -<br />

Klärchen:<br />

Begreifen Sie jetzt, warum ich so schweigsam war? Lieber sollten Sie mich für duslig halten,<br />

als dass Sie mich auslachen!<br />

Sigismund:<br />

Aber Fräulein Klärchen, dieser kleine Sprachfehler steht Ihnen ja ganz entzückend. De- wirkt<br />

direkt sinnlich auf mich.<br />

Klärchen (freudig):<br />

Jaaa?<br />

Sigismund:<br />

Ja!<br />

Klärchen (jetzt befreit lossprudelnd):<br />

Wissen Sie, schließlich haben ja die Herren auch ihre komischen Spezialitäten. Wenn einer zum<br />

Beispiel stolpert - oder so kurzsichtig ist - oder es hat einer in jungen Jahren schon einen ganz<br />

kahlen Kopf, so glatt und rund wie ein Globus. Da lache ich mir immer einen Ast!<br />

Sigismund:<br />

Auf den Ast können Sie sich beruhigt setzen. Mein Fräulein! Wir zwei sind quitt! (Er nimmt<br />

sein Mützchen ab und darunter kommt eine spiegelglatte Glatze zum Vorschein.) Wollen Sie<br />

mal drüber fassen? Ein dolles Ding!<br />

Klärchen:<br />

Ach Herrjeh! Der steht Ihnen aber wunderbar, der Glatzkopf!<br />

Sigismund:<br />

Ja, der ist auch eine meiner stärksten Waffen im Kampf mit den Frauen.<br />

Klärchen:<br />

Sie treiben's wohl ziemlich sinnlich?<br />

Sigismund:<br />

Wieso ziemlich? Man kann schon sagen (unwillkürlich lispelnd): unsagbar sinnlich! Ich bin<br />

sozusagen eine Naturschönheit. Besonders die Wirkung meiner nackten Birne auf das weibliche<br />

Geschlecht ist geradezu haarsträubend. Wollen Sie mal sehen?<br />

Klärchen:<br />

Ach ja!<br />

Sigismund<br />

(promeniert stolz wie ein Hahn mit Klärchen an den Mädchen vorbei. Die Blicke der Badegäste<br />

folgen ihm mehr amüsiert als bewundernd. Die Mädchen kichern): Na sehen sie!


38<br />

Musik Nr. 15 Duett Sigismund-Klärchen („ Was kann der Sigismund dafür")<br />

Sigismund:<br />

ALS SIGI IN DER WIEGE LAG,<br />

DA WAR ES SCHON ZU SEH'N:<br />

DAS KIND WIRD WUNDERSCHÖN -<br />

WIE'N STANDBILD AUS ATHEN!<br />

DIE MÄNNER WURDEN GRÜN VOR WUT,<br />

DIE MÄDCHEN IN DER STADT,<br />

DIE SAGTEN: „NUR KEIN NEID -<br />

WER HAT, DER HAT!"<br />

WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR,<br />

DASS ER SO SCHÖN IST?<br />

WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR,<br />

DASS MAN IHN LIEBT?<br />

DIE LEUTE TUN, ALS OB DIE SCHÖNHEIT EIN VERGEHN IST,<br />

MAN SOLL DOCH FROH SEIN, DASS ES SO WAS SCHÖNES GIBT!<br />

WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR,<br />

DASS ER SO SCHÖN IST?<br />

IST NICHT DER SIGISMUND EIN SÜSSER KAVALIER -<br />

UND DASS ER IMMER BEI DEN DAMEN GERN GESEH'N IST- -<br />

WAS KANN DER SIGISMUND, DER SIGISMUND DAFÜR?<br />

(Beim Ende der Musik schließt sich der Waldprospekt.)<br />

4. Bild. Auf dem Wege zur Alm<br />

(Vordem Waldprospekt. Links eine Bank. Der Wegweiser zeigt „Zur Alm". Nach den ersten<br />

Takten der Musik tritt Giesecke auf, mit Rucksack und Bergstock und mit einer Landkarte in<br />

der Hand.)<br />

Giesecke (singt):<br />

AUF DER ALM,<br />

DA GIBT'S KA SÜND.<br />

(Siedler tritt hinter Giesecke auf, von diesem unbemerkt. Er spielt „Echo" und wiederholt das<br />

letzte Wort jeder Verszeile).<br />

Giesecke (singend):<br />

Das hat sie 'glaubt -<br />

Siedler:<br />

Geglaubt.<br />

Giesecke:<br />

Jetzt kriegt sie 'n Kind.


Siedler (als Echo):<br />

Ein Kind -- ein Kind.<br />

Giesecke (verdutzt):<br />

Das muss ein Zwilling sein!<br />

Siedler:<br />

Jetzt, Frechheit, hilf! (Er setzt sich auf die Bank und zieht eine Zeitung hervor, hinter der er<br />

sich versteckt.)<br />

Giesecke:<br />

Wenn ich bloß wüsste, wo die verdammte Almhütte ist. 5 Stunden laufe ich schon, ich soll<br />

dünner werden — ich will aber gar nicht dünner werden. Ich bin mir so lieber! In Ahlbeck<br />

war's doch schöner. (Er setzt sich auf die Bank.) Wenn ich bloß wüsste, wo es zur Almhütte<br />

geht. (Giesecke studiert seine Landkarte)<br />

Siedler:<br />

Zur Almhütte, Herr Giesecke, (Er zeigt in Gieseckes Landkarte.) den Weg kann ich<br />

Ihnen zeigen.<br />

Giesecke (bemerkt ihn erst jetzt):<br />

Sie? (Wütend) Nehmen Sie gefälligst den Finger aus der Gegend! Mit Ihnen zusammen<br />

auf einer Alm - det Jeschäft war' richtig!<br />

Siedler (durchtrieben): Herr Giesecke - ich habe nämlich über Ihren Prozess mit Ihnen zu<br />

sprechen.<br />

Giesecke:<br />

Prozess? Herr, hier bin ich zu meiner Erholung! Und nicht zu der Ihren! (Schreiend) Also<br />

kein Wort über den Prozess! (Plötzlich doch neugierig.) Wie steht er denn?<br />

Siedler:<br />

Ich habe den für übermorgen, angesetzten Termin telegrafisch gestoppt - damit ein Vergleich<br />

zwischen uns geschlossen werden kann.<br />

Giesecke:<br />

Sie? Ein Vergleich für mich? Nee, danke! Ausgeschlossen! (Wieder plötzlich<br />

neugierig werdend.) Wie viel will er denn zahlen?<br />

Siedler: (schlau):<br />

Ja, das wird ganz von mir abhängen, Herr Giesecke!<br />

Giesecke ( wieder aufbrausend):<br />

Nee! Von ihnen Lass ich mir nicht protegieren! (Er steht auf und geht.)<br />

Siedler:<br />

Aber Herr Giesecke, ich möchte Ihnen doch den Weg zur Alm zeigen. (Er eilt Giesecke<br />

nach.)<br />

Giesecke ( wendet sich im Abgehen noch einmalum):<br />

Sie? ...Nee! Lieber verloof ick mir!<br />

Siedler:<br />

Herr Giesecke, hören Sie mich doch an -<br />

39


40<br />

Giesecke:<br />

Mensch, loofen Sie mir nich nach wie'n Dackel! Und damit unsere Beziehungen ein für alle<br />

Mal geregelt sind: Sie wissen nicht, wer ich bin, ich weiß nicht, wer Sie sind ~ wir haben's<br />

beide total vergessen. Verstanden?<br />

Siedler (achselzuckend):<br />

Wie Sie befehlen! (Heiter:) Dann kennen wir uns also in diesem Leben nicht mehr?<br />

Giesecke (energisch):<br />

Wir kennen uns nicht! Wir haben uns nie gekannt! Mahlzeit!<br />

Siedler<br />

(kopfschüttelnd):<br />

Mahlzeit!<br />

(Giesecke will wütend abgehen, da tritt Kathi auf ihn zu).<br />

Kathi:<br />

Ah, da is ja der Herr von Giesecke! Ich hab' einen eingeschriebenen Brief für den Herrn<br />

von Giesecke.<br />

Giesecke<br />

„Sülzheimer, Sangershausen." Geben Sie her!<br />

Kathi:<br />

Nein, Herr von Giesecke, dazu brauche ich eine Legitimation, dass Sie der Herr von<br />

Giesecke sind.<br />

Giesecke:<br />

Was? Sie sprechen mich doch mit meinem Namen an? Sie kennen mich doch?<br />

Kathi:<br />

Privat kenn ich den Herrn von Giesecke - aber amtlich kenn ich den Herrn von Giesecke<br />

noch net.<br />

Giesecke ( ärgerlich):<br />

Das kann mir in Ahlbeck nicht passieren! Mann - ich geh doch auf die Alm nicht mit 'm Pass!<br />

Kathi (auf Siedler weisend):<br />

Na, vielleicht legitimiert Sie unser Stammgast? - Herr Doktor Siedler, kennen Sie den<br />

Herrn?<br />

Siedler :<br />

Bedaure, habe nich das Vergnügen.<br />

Gieseclie (hochfahrend):<br />

Wie?<br />

Siedler:<br />

Früher kannt ich mal einen Herrn Giesecke wohl, aber den habe ich soeben total vergessen.<br />

Giesecke:<br />

Det Jeschäft is richtig! (Auf Siedler zu.) Sie kennen mich nicht? Sie werden mir gleich<br />

kennen lernen, wenn Sie mir nicht kennen!


Siedler (vergnügt, frech):<br />

Total unbekannt. (Er tut, als wolle er gehen, Giesecke folgt ihm nach.) Mensch, loofen Sie<br />

mir nicht nach wie'n Dackel!<br />

Giesecke:<br />

Mensch, ich kenne mir nicht! (Überwindet sich, lüftet den Hut.) Gestatten Sie also, dass<br />

ich mich Ihnen vorstelle: Giesecke, Leipziger Straße.<br />

Siedler:<br />

Sehr angenehm. Siedler, Rechtsanwalt. (Zu Kathi.) Ich agnosziere meinen lieben, alten<br />

Freund Giesecke -Trickotagen, Berlin — vorne zu knöppen.<br />

Giesecke(den Brief an sich nehmend):<br />

Na endlich! (Kneift Kathi in die Wange. Besser gelaunt:) Zum ersten Mal, dass ich einen<br />

Briefträger in die Wangen gekniffen habe. (Kathi lachend ab. Er liest:) „Schätze meinen<br />

<strong>So</strong>hn in Ihren werten Händen. Selbiger erfreut sich -in der gesamten Damenwelt<br />

hervorragender Beliebtheit." (Mit einem plötzlichen Aufschrei:) Mensch, da hätte ich ja eine<br />

glänzende Vergleichsidee: Wenn der junge Sülzheimerund meine Ottilie.<br />

Siedler (unterbricht ihn):<br />

Das war doch meine Idee! Darum habe ich Herrn Sülzheimer junior telegrafisch<br />

hierherkommen lassen!<br />

Giesecke (ganz erfüllt):<br />

Das haben Sie getan? Mensch, das ist gar nicht so dumm, wie Sie aussehen! (Kratzt<br />

sich hinterm Ohr.) Wenn das Mädel nur nicht diesen verdammt echt Gieseckeschen<br />

Dickschädel hätte!<br />

Siedler (nickt):<br />

Auch daran habe ich schon gedacht. Ich habe mich Ihrer Tochter genähert, um sie unauffällig<br />

für den Ehegedanken zu präparieren. Ich stelle daher den Antrag ...<br />

Giesecke (vollendel):<br />

... dass Sie, wenn er seinen Antrag macht, ihn annehmen.<br />

Siedler:<br />

Ja, Herr Giesecke, dazu brauche ich aber Ihren Auftrag, mich Ihrem Fräulein Tochter<br />

zu widmen. Ihr gewissermaßen nicht von der Seite zu weichen.<br />

Giesecke:<br />

Weichen Sie ihr von gar nichts. Bearbeiten Sie den kleinen Dickkopf, bis Sie die<br />

Verlobung erreicht haben<br />

Siedler:<br />

Ich werde das kleine Dickköpfchen bearbeiten, Herr Giesecke. (Streckt ihm die Hand hin.)<br />

Sie können sich auf mich verlassen.<br />

Giesecke:<br />

Mensch, jetzt fangen Sie an, mir sympathisch zu werden. (Jovial:) Grüaß di Gott,<br />

Rechtsanwalt!<br />

Siedler:<br />

Grüaß di Gott, Hemdhose!<br />

41


42<br />

6. Bild. Vor dem Waldprospekt<br />

Musik Nr. 16a Ausrufer<br />

Kathi :<br />

IHR LEUTELN, MAN RUFT EUCH INS RATHAUS,<br />

WO GRAD' DER GEMEINDERAT TAGT!<br />

DRUM BITTSCHÖN, GEHT'S GRADAUS INS RATHAUS,<br />

DER HERR BÜRGERMEISTER HAT'S G'SAGT.<br />

UND ICH RUF' ES AUS, BIS ICH HEISER,<br />

IN JEDES VERFÜGBARE OHR -:<br />

ES KOMMT - JA, ES KOMMT UNSER KAISER! -<br />

UND DAS KOMMT NET ALLE TAG' VOR. -<br />

Piccolo:<br />

Ja, Frau Kathi, wen suchen's denn noch?<br />

Kathi:<br />

Na, den Leopold.<br />

Piccolo :<br />

Ja, wissen's denn nicht? Der Leopold ist doch entlassen!<br />

Kathi :<br />

Entlassen? Er soll gleich zu einer wichtigen Sitzung aufs Rathaus kommen!<br />

Piccolo :<br />

Den müssen's jetzt im Wirtshaus suchen. Der dudelt sich einen an. Der will seinen<br />

Kummer versaufen. Grüß Ihnen Gott! (Piccolo ab)<br />

(Leopold tritt auf)<br />

Kathi:<br />

Ah Jesses, Herr Leopold, nehmen's doch Vernunft an.<br />

Leopold:<br />

Frau Kathi.<br />

Kathi:<br />

Der Kaiser kommt.<br />

Leopold:<br />

Der Kaiser? Was denn für ein Kaiser?<br />

Kathi:<br />

Na unser Kaiser.<br />

Leopold:<br />

Unser Kaiser?<br />

Kathi:<br />

Ja, der Kaiser Franz Joseph kommt zu uns.<br />

Leopold:<br />

Der Franzl Joseph kommt daher zu uns? Jesses, Kathi, warum haben's das nicht gleich<br />

gesagt?


Kathi:<br />

Sie hör'n mir ja nicht zu.<br />

Leopold:<br />

Wo wird er denn; nachher wohnen, unser Kaiser? Ah, im <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong> wohnt er natürlich,<br />

bei uns.<br />

Kathi:<br />

Sie, sie, hier ist ein Parlament. Das geht hier so nicht, hier muss man sich<br />

parlamentarisch betragen, verstehend - und sie sind nur ein Kellner!<br />

Leopold (ruft):<br />

Frau Josepha, Frau Josepha!<br />

Josepha<br />

Was gibt's denn?<br />

Leopold:<br />

Haben Sie denn noch nix gehört?<br />

8. Bild. Vor dem „<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>"<br />

Josepha:<br />

Nix. Ich steh in der Küch' und mach Marillenknödel. Was wollen denn Sie noch von mir?<br />

Leopold :<br />

Wir zwei haben zwar nix mehr miteinander zu reden, aber das eine teile ich Ihnen noch mit:<br />

Der Kaiser hat sich zum Schützenfest angesagt - und im <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong> steigt er ab. <strong>So</strong>. Jetzt<br />

können's Ihnen einrichten. Leben's wohl. (Er geht ab.)<br />

Josepha ( ihm entgeistert entgegen):<br />

Was, was sagen's da? Der Kaiser? Der Kaiser hat sich zum <strong>Rössl</strong> angesagt und im<br />

Schützenfest steigt er ab? Ja heilige Muttergottes, ich weiß ja von nichts. Wo soll ich ihn<br />

denn einlogieren? Leopold, was soll ich ihm den kochen?<br />

Leopold :<br />

Das geht mich zwar nix mehr an, weil ich entlassen bin, deshalb müssen's auch die Hand<br />

von meiner Schulter nehmen, aber kochen's ihm halt eine Leberknödelsuppe, ein Wiener<br />

Schnitzel mit Erdäpfelsalat und zum Schluss einen Kaiserschmarm, das ist patriotisch. Und<br />

jetzt Adieu! (Ergeht.)<br />

Josepha<br />

Leopold! <strong>So</strong> hören's doch! Sie kommen ja schon! (Jammernd) Wer wird ihm denn<br />

servieren? Wer soll ihn denn empfangen?<br />

Leopold :<br />

Oh, das macht schon der Herr Doktor Siedler! Das ist ja ein Rechtsanwalt! Der kann ja<br />

alles! Lebens's wohl! (Geht)<br />

Josepha:<br />

Leopold! Haben's denn gar kein bisserl Gefühl mehr für mich?<br />

Leopold:<br />

Gefühl? Nein! Das ist vorbei!<br />

43


44<br />

Josepha (versucht ihn zu hatten,<br />

schmeichelnd): Leopold! Poldi - Polderl -<br />

Leopold :<br />

Nicht das ich wüsste - (Er will weg.)<br />

Josepha ( in einem ganz anderen Ton):<br />

Ja, zum Kreuzdonnerwetter: <strong>So</strong>ll ich denn vor Ihnen auf die Knie fallen?<br />

Leopold (blickt sie an und reckt sich auf):<br />

Jawohl, Madame, das sollen Sie! (Napoleonisch:) Hinunter auf die Knie!<br />

Josepha:<br />

Um Gotteswillen! Leopold, das ist doch nicht Ihr Ernst!<br />

Leopold:<br />

Mein völliger Ernst! Hinunter mit Ihnen!<br />

Josepha:<br />

Aber Leopold!<br />

Leopold:<br />

Sie müssen ja net! Adieu! (Eilig weg.)<br />

Josepha (rasch auf die Knie):<br />

Ich lieg ja schon.<br />

Leopold (schmunzelnd, nähert sich ihr mit Siegesschritten):<br />

Da liegt sie ~ so, und jetzt stell ich meine Bedingungen: Römisch eins A: (Mächtig) Der<br />

Doktor Siedler muss aus dem Haus!<br />

Josepha:<br />

Was?! (Sie erhebt sich halb.)<br />

Leopold:<br />

Runter! (Sie fällt wieder auf die Knie.) Seine Majestät kommt ins Zimmer vom Doktor<br />

Siedler, Balkonzimmer Nummer vier. Denn mit dem Siedler zusammen wird der Kaiser net<br />

im gleichen Zimmer wohnen!<br />

Josepha (zögernd): Ja, wie soll ich denn das machen?<br />

Leopold :<br />

Sie müssen ja net! (Will gehen, Josepha rasch auf die Knie.) Sie liegt schon wieder!<br />

(Blickt sie durchdringend an.) Abgemacht? Eine Frau ein Wort?<br />

Josepha ( Staunen und Lächeln:):<br />

dass Sie so energisch sein können, Leopold, das hab ich ja gar nicht geahnt?<br />

(Sie erhebt sich.)<br />

Leopold (jäh aufstrahlend):<br />

Da werden Sie sich noch wundern. <strong>So</strong>, Frau Pepi. Und jetzt ziehen's Ihnen das Staatskleid<br />

an, das mit den Spitzen, auf das ich so flieg' - und nachher, wenn ich meine Ansprache an<br />

den Kaiser beendet hab', führen Sie den alten Herrn ins Haus! (Er gibt der abgehenden<br />

Josepha einen Klaps auf die vier Buchstaben).


Josepha:<br />

Aber Leopold!<br />

Leopold:<br />

Nur net nervös werden!<br />

(Josepha rechts ab). Piccolo !<br />

Piccolo<br />

Herr Leopold?<br />

Leopold:<br />

Jetzt spring schnell hinauf zum Steinlechner, er soll 20 Böllerschüsse vorbereiten. Am<br />

Schluss von meiner Ansprache, wenn alles schreit „Hoch", dann schießt Ihr los!<br />

Piccolo :<br />

Jessas, da sollen Sie was von einer Schießerei erleben! (Will weg.)<br />

Leopold (hält ihn):<br />

Halt! -- Nach welchem Wort wird geschossen?<br />

Piccolo :<br />

Nach dem Wort „Hoch". - Ich bin doch kein Depp! (Stürztfort.)<br />

Leopold (ihm nachsehend):<br />

Du bist noch jung, du kannst noch einer werden.<br />

Kathi: (kommt mit einer Fahne reingerannt, die sie hissl)<br />

Er kommt, er kommt, er kommt!!!<br />

(Leopold schnell ab - Auftritt des restlichen Ensembles)<br />

Giesecke:<br />

Na sieh mal, wie die Brüder das hier so machen. In Ahlbeck, da hab ich mal ne Flottenparade<br />

gesehen, die war knorke. Aber hier, keine Organisation. Ordnung gibt's ja nur bei uns in<br />

Preußen.<br />

Leopold: (tritt in Kellnerkleidung wieder auf)<br />

Isser schon da?<br />

(Auftritt des Kaisers durchs Publikum)<br />

Alle:<br />

O DU MEIN ÖSTERREICH,<br />

O DU MEIN ÖSTERREICH,<br />

O DU MEIN ÖSTERREICH,<br />

MEIN TEURES<br />

VATERLAND!<br />

O du mein Österreich<br />

Leopold:<br />

Eure Majestät, hoher Herr, Kaiserlicher und Königlicher Adler<br />

Kathi:<br />

Doppeladler<br />

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46<br />

Leopold:<br />

Doppeladler. An der Schwellung, äh Schwelle dieses ehrfürchterlichen Augenblicks,<br />

schlagen unsere Herzen alle hoch. (Ein Böllerschuss. Verwirrt:) Aber was denn , wieso<br />

denn? Ich habe gesagt, unsere Herzen schlagen hoch. (Ununterbrochenes Schießen) Na,<br />

Majestät, jetzt weiß ich gar nichts mehr, dieser blöde Piccolo. Hoher Herr, kaiserlicher und<br />

königlicher Piccolo.<br />

Giesecke:<br />

Was denn?<br />

Kaiser:<br />

Warum sind sie denn so aufgeregt?<br />

Leopold:<br />

Warum, sind sie nicht aufgeregt, wenn sie mit einem Kaiser reden? Als Tolpatsch,<br />

Petsch, Putsch, der Putsch der gestammelten Bevölkerung entbiete ich unseren<br />

pathologischen<br />

Kathi:<br />

Als Dolmetsch der gesammelten Bevölkerung entbiete ich patriotischen Willkommensgruß.<br />

Leopold:<br />

Das war es, was, ich ihnen sagen wollte.<br />

Kaiser:<br />

Ich danke Ihnen.<br />

Leopold :<br />

Nix zu danken, Majestät — ganz auf unsere Seite. (<strong>Im</strong>mer herzlicher:) Redner bin ich ja<br />

keiner, Majestät, aber das eine weiß ich, dass mir mein Herz jetzt vor Freude und Stolz zum<br />

Zerspringen ist! — Gott schütze unsere Majestät! Gott schütze unsere Heimat! Hoch!<br />

Alle:<br />

Hoch! Hoch! Hoch!<br />

(Auf dem Balkon Nummer vier steht Josepha, dicht neben ihr Siedler, er reicht ihr den großen, für<br />

den Kaiser bestimmten Rosenstrauß, sie nimmt das Bukett, zieht eine einzelne Rose heraus und<br />

steckt sie Siedler ins Knopfloch. Diesen Augenblick beobachtet Leopold.)<br />

Leopold (hat einen Schritt vom Kaiser weg getan, starrt zum Balkon hinauf und ruft<br />

unwillkürlich): Frau Josepha! (Die Beiden bemerken es nicht. Leopold wendet sich außer<br />

sich an den Kaiser:) Und noch etwas muss ich Ihnen sagen, Majestät: In dem Haus hier<br />

gehen Schweinereien vor, gehen Sie nicht hinein ins „Weiße <strong>Rössl</strong>", auf die <strong>Rössl</strong>wirtin ist<br />

kein Verlass nicht!<br />

Alle: ( vielleicht auch gesprochen )<br />

LEOPOLD, ACH LEOPOLD,<br />

WAS MACHEN'S DENN DA, LEOPOLD?<br />

UM GOTTES WILLEN -<br />

LEOPOLD, WAS SOLL DENN DAS?<br />

Leopold:<br />

ZUSCHAU'N KANN I NET!<br />

ZUSCHAU'N KANN I NET! WANN I<br />

NET SELBER BIN DABEI, BRICHT<br />

MIR DAS HERZ...<br />

Musik Nr. 18 Finale II


(Der Kaiser hat einen Schritt auf Leopold zu getan. In dieser Sekunde wird dem Verzweifelten<br />

wieder bewusst, vor wem er steht. Er bricht mitten im Satz ab und lässt den Kopf auf die Brust<br />

sinken.)<br />

Kaiser :<br />

Was haben's denn? Fassen Sie sich doch! Sie sind ja vor Aufregung ganz aus dem Konzept<br />

gekommen — das macht aber nix. Das bin ich gewöhnt - von meinen Politikern.<br />

Josepha (auf der anderen Seite mit tiefem Knix, ihre Stimme zittert, während sie spricht):<br />

O, verzeihen Majestät den Zwischenfall ~ und bitte , sei'n Sie mir deshalb nicht bös! (Sie<br />

überreicht ihm den Rosenstrauß.) Darf ich Majestät jetzt auf Ihr Zimmer führen, das Doktor<br />

Siedler Ihnen zur Verfügung stellt? (Siedler verneigt sich tief.)<br />

Kaiser:<br />

Ich freue mich, in Ihrem altberühmten Haus abzusteigen, und ich hoffe, dass das morgige<br />

Schützenfest und meine Anwesenheit ein bisserl Freude unter die Bevölkerung bringt. (Die<br />

Wirtin geleitet ihn ins Haus - er dreht sich nochmals kurz um.) Ja, und was ich noch sagen<br />

wollte, es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut. (Kaiser und Wirtin ab)<br />

Leopold: (stürzt Josepha nach)<br />

Frau Josepha!<br />

(Alle drängen gegen Leopold, er wird gehindert ins Haus zu gehen und nach vorne gedrängt)<br />

Alle:<br />

DAS VERSTEHN WIR NICHT, DAS VERSTEHN WIR<br />

NICHT. VOR DEM KAISER, DAS!<br />

Siedler:<br />

WIE KÖNNEN SIE SO ETWAS TUN? REDEN SIE, SO REDEN SIE!<br />

(Leopold nimmt die Rose aus Siedlers Knopfloch, die Josepha dort hingesteckt hatte.)<br />

Leopold:<br />

ES MUSS WAS WUNDERBARES SEIN,<br />

VON IHR GELIEBT ZU WERDEN.<br />

DENN MEINE LIEBE IST DEIN,<br />

SOLANG ICH LEB AUF ERDEN.<br />

Alle:<br />

ER KANN NICHTS SCHÖNERES SICH<br />

DENKEN, ALS IHR SEIN HERZ ZU<br />

SCHENKEN.<br />

Leopold<br />

WENN DU MIR DEINS DAFÜR GIBST<br />

UND MIR SAGST, DASS AUCH DU ...(bricht ab)<br />

Piccolo:<br />

LASS UNS ABSCHIED NEHMEN MIT LÄCHELNDEM<br />

GESICHT, ABER TROTZDEM SCHÄMEN DER TRÄNEN WIR<br />

UNS NICHT.<br />

(Der Kaiser und Josepha erscheinen auf dem Balkon)<br />

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48<br />

Alle (nach und nach dazu):<br />

DENN ES KANN DOCH KEINER DIE ANTWORT GEBEN PROMPT,<br />

WANN ODER WIE ODER OB ER WIEDERKOMMT.<br />

WANN ODER WIE ODER OB ER JEMALS WIEDERKOMMT.<br />

DRITTER AKT<br />

Musik Nr. 19-Ständchen („Leise, leise")<br />

(<strong>Im</strong> Dämmerlicht des beginnenden Tages ist die sangesfreudige Bevölkerung von St. Wolfgang<br />

und die Gäste unter dem Balkon des Kaisers versammelt. Alte mit hocherhobenen Notenblättern.<br />

Sigismund beginnt, das Morgenständchen zu dirigieren.)<br />

Kaiser (erscheint auf dem Balkon. Seufzend:)<br />

Mir bleibt auch nichts erspart! (Laut:) Ich danke Ihnen für Ihre so zarte Aufmerksamkeit, es<br />

war sehr schön, es hat mich sehr gefreut! (Er verschwindet.)<br />

Sigismund:<br />

Also, wenn er jetzt herauskommt, dann auf mein Zeichen Alle: Hoch! Wie aus einer Kehle!<br />

Er kommt!<br />

Alle:<br />

Hoch! Hoch! Hoch!<br />

(Giesecke ist erschienen und winkt leutselig.)<br />

Giesecke:<br />

Det Jeschäft ins richtig! Alles meinetwegen! Das kann ich ja gar nicht annehmen! (Er<br />

bemerkt Sigismund.) Sie sind also der Ableger vom alten Sülzheimer?<br />

Sigismund (Giesecke begrüßend):<br />

Und Sie sind der alte Giesecke? (Beiseite:) Scheußlich!<br />

Giesecke:<br />

Und so was knöppt hinten! (Er nimmt Sigismund unter den Arm, diskret schmunzelnd.)<br />

Sagen Sie - schon weiter gekommen mit der Herzensangelegenheit?


Sigismund (erstaunt):<br />

Wusste gar nicht, dass Sie wissen. - Beinahe vor dem Abschluss!<br />

Giesecke: Na, den Abschluss feiern wir!<br />

(Sigismund versteht das nicht, aber ehe er etwas fragen kann, tritt der Kaiser aus dem Haus.<br />

Da niemand darauf gefasst ist, erklingt nur eine kläglich missglückte Ovation).<br />

Alle:<br />

Hoch! Hoch! Hoch!<br />

Sigismund (tritt, wenn der Kaiser vorn angelangt ist, auf ihn<br />

zu): Majestät, ein bisserl zu spät!<br />

Kathi:(eilfertig):<br />

Darf ich Eurer Majestät alleruntertänigst Herrn Industriellen Sülzheimer vorstellen, unsern<br />

liebenswürdigen Dirigenten?<br />

Sigismund:<br />

Genannt: der schöne Sigismund.<br />

Kaiser :<br />

Das sieht man.<br />

Sigismund (immer in seiner drollig verbindlichen Form, nie verletzend):<br />

Majestät — klingen Ihnen nicht manchmal die Ohren? Wir sprechen zuhause sehr viel von<br />

Ihnen und Ihrem allerwertesten - - - Familienkreis!<br />

Kaiser :<br />

Das ist sehr freundlich!<br />

(Giesecke tupft Sigismund an, um vorgestellt zu werden. Aber die Kathi schiebt sich<br />

ehrgeizig dazwischen.)<br />

Kathi:<br />

Majestät -<br />

Sigismund (stellt vor):<br />

Die Präsidentin des Jungfrauenvereins, Fräulein Weghalter - Seine Majestät!<br />

(Kathi wirft sich auf die Erde.)<br />

Kaiser:<br />

Kommen Sie nur herauf! (Jetzt sieht er ihr Gesicht, leicht erschrocken.) Nein, nein, bleiben<br />

Sie lieber unten!<br />

Sigismund:<br />

Darf ich weiter bekannt machen? Herr Fabrikant Giesecke aus Berlin samt Tochter ~<br />

Seine Majestät aus Wien!<br />

Kaiser (schmunzelnd):<br />

Na, mich dürften die Leut jetzt schon kennen!<br />

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50<br />

Giesecke (seine cholerische Art zu besonderer Herzlichkeit mildernd):<br />

Bin sehr froh, Majestät, mit ihnen zusammen hier im <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong> abgestiegen zu sein.<br />

(Er streckt dem Kaiser freundschaftlich die Hand hin und zieht sie, da der Kaiser nicht<br />

darauf<br />

reagiert, diskret wieder zurück!)<br />

Kaiser:<br />

Sie sind Kurgast in Sankt Wolfgang?<br />

Giesecke:<br />

Jawoll. Eigentlich gehe ich ja immer nach Ahlbeck. Es ist mir lieber!<br />

(Sigismund schiebt sich, um weitere Taktlosigkeiten zu verhindern, vor Giesecke und drängt<br />

ihn beiseite).<br />

Kaiser (zu Sigismund):<br />

Und Sie sind auch Industrieller?<br />

Sigismund:<br />

Voll und ganz, Majestät.<br />

Kaiser:<br />

Woher beziehen Sie denn Ihre Rohstoffe?<br />

Josepha (tritt aus dem Haus. Ihr folgt eine Kellnerin mit einem Frühstückstablett):<br />

<strong>So</strong>, jetzt lasst den hohen Herrn endlich in Ruhe. Er hat ja noch nicht einmal gefrühstückt.<br />

Kaiser (zur Bevölkerung):<br />

Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.<br />

Sigismund:<br />

Servus, Majestät, Servus!<br />

Giesecke:<br />

Grüß Gott, Majestät, Grüß Gott!<br />

(Giesecke, Sigismund und alle anderen ziehen sich schnell und mit vielen Verbeugungen zurück.<br />

Der Kaiser grüßt.)<br />

Josepha (frisch und lebhaft):<br />

<strong>So</strong>, Majestät, jetzt war's aber höchste Zeit für den Kaffee. (Sie führt ihn zu einem<br />

Tisch.) vielleicht ist es hier gefällig?<br />

Kaiser:<br />

Es ist sehr lieb von ihnen.


Josepha: (Während der Kaiser lächelnd Platz nimmt.)<br />

Darf ich die allerhöchste Buttersemmel<br />

streichen?<br />

Kaiser :<br />

Aber nicht zu dick - ich soll nämlich abnehmen.<br />

Josepha:<br />

Noch so eitel, Majestät?<br />

Kaiser:<br />

Ja was heißt denn hier „noch"?<br />

Josepha (neben dem Kaiser stehend, unbefangen und natürlich)'.<br />

Nicht wahr, Majestät, Sie tragen mir die gestrige dumme Geschichte nicht mehr nach?<br />

Mein Ober, der Leopold hat nämlich allerweil solche verrückte Mucken im Kopf.<br />

Kaiser (blickt sie an, lächelnd):<br />

Eine Herzensaffäre wahrscheinlich (Galant): Ich muss schon sagen, ich könnt's versteh'n.<br />

Joseplia (seufzend):<br />

Na ja — eine Witwe hat's halt.net leicht.<br />

Kaiser (nickt und seufzt ihr nach):<br />

Na ja, ein Witwer auch nicht.<br />

Josepha:<br />

Es ist nämlich, ich wollte nur ... ich...<br />

Kaiser :<br />

Na, was denn? Nur heraus damit! Ich sag's nicht, weiter.<br />

Josepha:<br />

Ja, das ist nämlich so. (Lebhaft lossprudelnd.) Da ist ein Herr aus Berlin, ein Doktor, mit<br />

einer sozialen Position, von dem hab' ich gemeint, dass ich ihn. .. dass er mich..., aber da<br />

gibt's leider noch eine andere ... und da weiß ich net, ob er nicht die ... ob nicht die ihn ... ob<br />

er nicht sie ...<br />

Kaiser:<br />

Ich verstehe alles. Es kommt nur ein bisserl konfus heraus. Ich glaub' fast, ich hör'<br />

einen Vortrag von meinem Ministerpräsidenten.<br />

Josepha (resolut):<br />

Ganz recht, Majestät, was werd' ich Sie noch mit meinen Privatsachen belästigen — Sie<br />

haben genug <strong>So</strong>rgen mit der Politik<br />

Kaiser :<br />

Ja, Politik ... leicht ist das Geschäft ja nicht' Aber was hilft's, man muss schon dabei<br />

aushallen. (Er legt die Hand zart aufJosephas Hand.) Schauen Sie - ich hab' mir auch als<br />

Bub eingebildet, weiß Gott, was aus mir werden wird. Und was ist aus mir geworden? Ein<br />

Kaiser!<br />

Josepha:<br />

Ja, da kann man halt nix machen.<br />

Kaiser:<br />

Da kann man auch nix machen. Der Mensch kann halt nicht weg von sich.<br />

51


52<br />

Josepha (lebhqft) :<br />

Majestät, möchten Sie mir das nicht in mein Stammbuch hineinschreibcn?<br />

Kaiser (lächelnd): Ins Stammbuch?<br />

Josepha:<br />

Ja, damit ich's immer vor Augen hab'.<br />

Kaiser<br />

(nachdenkend):<br />

Na, was<br />

Anderes...<br />

Musik Nr. 20 Lied des Kaisers („S'ist einmal im Leben so")<br />

(Der Kaiser nimmt ihr das kleine Buch aus der Hand und schreibt, während die Musik ihn ganz<br />

leise begleitet, die folgenden Worte hinein, die er sinnend vor sich hinspricht):<br />

S'IST EINMAL IM LEBEN SO,<br />

ALLEN GEHT ES EBENSO:<br />

WAS MAN MÖCHT' SO GERN,<br />

LIEGT SO FERN!<br />

WENN MAN ALLES HABEN KÖNNT'<br />

WENN MAN OHNE MÜHE FAND',<br />

WAS MAN NIE ERREICHT -<br />

DANN WAR'S LEICHT!<br />

DOCH MAN SIEHT ALLMÄHLICH EIN,<br />

MAN MUSS HÜBSCH BESCHEIDEN SEIN.<br />

SCHWEIGE UND BEGNÜGE DICH, LÄCHLE UND FÜGE DICH -<br />

S'IST EINMAL IM LEBEN SO,<br />

ALLEN GEHT ES EBENSO:<br />

GRAD' DER ALLERSCHÖNSTE TRAUM<br />

BLEIBT NUR SCHAUM.<br />

(Der Kaiser klappt das Album zu und reicht es Josepha, die ihm die Hand küsst.)<br />

Kathi(strammstehend):<br />

Majestät, melde untertänigst. Die Jagd ist bereit!<br />

Kaiser:<br />

Jesses, die Jagd - das kann ja heiter werden. Ich danke Ihnen noch einmal für die<br />

freundliche Bewirtung. - Und, Frau Vogelhuber - gescheit sein!<br />

Piccolo (stürzt aus dem Haus):<br />

Zahlen gerufen,<br />

Majestät?<br />

Josepha (erschrocken) :<br />

Aber, so ein dummer Bub!<br />

Piccolo:<br />

Weidmannsheil, Majestät. Schießen's Ihnen gut aus! Hoffentlich lassen sich die Gemsen<br />

nicht bitten! Majestät sind ja so berühmt als Jäger! Haben ja schon so viele Böcke<br />

geschossen. (Der Kaiser lächelt leicht erschrocken.) Wünschen frohe Jagd zu wünschen!<br />

(Hält dem Kaiser die offene Hand hin.)


52<br />

Kaiser (gibt ihm etwas und tätschelt über seinen<br />

Kopf): Sagen Sie, was wollt ich noch sagen?<br />

Kathi:<br />

Es war sehr seh...<br />

Kaiser<br />

Ach ja, es war sehr schön. Es hat mich sehr gefreut.<br />

(Kaiser und Kathi ab)<br />

Piccolo (zeigt das Trinkgeld in der flachen Hand):<br />

Was sagen's, gnädige Frau — zwanzig Heller! Dank vom Hause Habsburg!<br />

Josepha (zornig):<br />

Du frecher Lausbub! Was ist denn das für ein Ton? Ich weiß schon, wer Euch alle hier so<br />

aufgehetzt hat! — Marsch in die Kaffeeküche!<br />

Piccolo (aufgerichtet):<br />

Bitt schön, ein Kellner ist auch ein Mensch.<br />

Josepha:<br />

Das sagt der Leopold immer.<br />

Piccolo :<br />

Und der muss es wissen. (Ab ins Haus.)<br />

Leopold (ist aus dem Haus gekommen, ungewohnt energisch):<br />

Jawohl, ein Kellner ist auch ein Mensch. Und darum komm' ich mich von Ihnen<br />

verabschieden.<br />

Josepha:<br />

Schon wieder einmal? <strong>So</strong>llten Sie sich net eher bei mir entschuldigen?<br />

Leopold :<br />

Wegen gestern? Mir ist nur der Mund mit dem Herzen durchgegangen, das ist kein<br />

Verbrechen! Aber einen wahren Freund verkennen wegen einen falschen Freund - das ist<br />

ein Verbrechen! Leben's wohl, jetzt komm ich bestimmt nicht mehr zurück! (Er geht.)<br />

Josepha(hält ihn halb):<br />

<strong>So</strong> ein närrischer Mensch !<br />

Leopold:<br />

Haben Sie schon einmal einen Verliebten gesehen, der nicht närrisch war? (Stärker:) Und<br />

damit Sie's wissen, dass es jetzt zwischen uns zwei endgültig zu End' ist: ich geh' aufs<br />

Bürgermeisteramt und hol' mir mein Arbeitsbüchl. Zeugnis, Unterschrift, Stempel,<br />

Schluss.<br />

Josephafrasc/z, heftig):<br />

Was ist Ihnen denn heut' wieder über die Leber gelaufen?<br />

Leopold (tiefernst):<br />

Vor einer Viertelstunde hab' ich mich um einen Gulden verrechnet - und zwar zu<br />

meinem Nachteil! Da weiß ein Ober, Wie viel die Glocke geschlagen hat! (Ab)<br />

Josepha (unwillkürlich hinter ihm drein):<br />

Leopold! Leopold! (Sie bleibt stehen.) Ah was! Ich werd' ihm doch net nachlaufen!


54<br />

(Siedler tritt aus dem Haus.)<br />

Siedler:<br />

Na, Frau Josepha -alles gut gegangen? Der Kaiser zufrieden gewesen?<br />

Josepha<br />

Gott sei Dank, ja! Und Sie? (Mit einem Versuch, ihn zärtlich anzulächeln:) Sind Sie<br />

dies Jahr auch zufrieden - mit dem <strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>?<br />

Siedler:<br />

Aber wie können Sie da fragen<br />

Musik Nr. 20b Reminiszenz<br />

(Diese kleine Reminiszenz sollJosepha kurz und deutlich die wahre Situation vor Augen führen.)<br />

Siedler:<br />

IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE -<br />

(Ottilie tritt von der anderen Seite auf. Josepha bemerkt sie erst, wenn sie zu singen<br />

beginnt. Siedler geht rasch auf sie zu).<br />

DA STEHT DAS GLÜCK VOR DER TÜR -<br />

Ottilie:<br />

UND RUFT DIR ZU: GUTEN<br />

MORGEN! TRITT EIN UND VERGISS<br />

DEINE SORGEN!<br />

(Ottilie gibt Siedler einen leisen Wink. Er nimmt und küsst begütigend Josephas Hand,<br />

während er mit Ottilie singt.)<br />

Beide:<br />

UND MUSST DU DANN EINMAL FORT VON HIER -<br />

SO TUT DER ABSCHIED DIR WEH -<br />

(Beide verbeugen sich vor Josepha wie zum Abschied. <strong>Im</strong> Abgehen:)<br />

DENN DEIN HERZ, DAS HAST DU VERLOREN<br />

IM WEISSEN RÖSSL AM SEE!<br />

(beide ab)<br />

Josepha:<br />

'S IST EINMAL IM LEBEN SO,<br />

ALLEN GEHT ES EBENSO:<br />

WAS MAN MÖCHT' SO GERN, LIEGT SO FERN!<br />

WENN MAN ALLES HABEN KÖNNT',<br />

WENN MAN OHNE MÜHE FAND',<br />

WAS MAN NIE ERREICHT -<br />

DANN WAR'S LEICHT!<br />

DOCH MAN SIEHT ALLMÄHLICH EIN,<br />

MAN MUSS HÜBSCH BESCHEIDEN SEIN -<br />

SCHWEIGE UND BEGNÜGE DICH,<br />

LÄCHLE UND FÜGE DICH!<br />

'S IST EINMAL IM LEBEN SO,<br />

ALLEN GEHT ES EBENSO:<br />

GRAD DER ALLERSCHÖNSTE TRAUM<br />

BLEIBT NUR SCHAUM! (Ab)


Alle:<br />

3. Bild. <strong>Im</strong> Heurigengarten<br />

Musik Nr. 21 Heurigenlied<br />

ERST, WANN'S AUS WIRD SEIN<br />

MIT ANER MUSI UND MIT'N WEIN,<br />

DANN PACK' MA DIE SIEB'N ZWETSCHG'N EIN -<br />

EHNDERNET!<br />

WENN DER WEIN VERDIRBT,<br />

UND WENN AMOL DIE MUSI STIRBT,<br />

IN DIE MIR WEANA SO VERLIABT,<br />

IS'S A G'FRETT!<br />

SOLANG IM GLASERL NOCH A TRÖPFERL DRIN IS',<br />

SOLANG A GEIG'N NO VOLL MELODIEN IS',<br />

UND SOLANG, ALS NO<br />

A TULLI G'STELLTES MADERL DA,<br />

DA SAG'N MA IMMER NO „HALT JA!"<br />

UND FAHR'N NET A' !<br />

Hinzelmann:<br />

Ach, ist das nicht entzückend?<br />

Giesecke:<br />

Sie finden wohl alles entzückend?<br />

Hinzelmann:<br />

Auf Reisen schon. Empfinden Sie nicht auch so lebhaft wie ich den Reisezauber?<br />

Giesecke:<br />

Gott, wo da der Zauber liegen soll, wenn ich vier Wochen schlechter wohnen muss<br />

wie zuhause?<br />

Hinzelmann:<br />

Ach, die Welt ist doch so schön - und ich habe schon ein schönes Stück davon gesehn. Den<br />

Spreewald, die Märkische Schweiz, die Sächsische Schweiz, die Vogtländische Schweiz ~<br />

(Mit einem Seufzer:) bloß die wirkliche Schweiz, dazu hat's noch nicht gelangt. Aber mit<br />

dem Salzkammergut, da ging's diesmal.<br />

Giesecke:<br />

Ja, richtig, Sie sind doch mit dem jungen Sülzheimer hierher gereist. Was halten Sie denn<br />

von ihm?<br />

Hinzelmann:<br />

Ein höchst wohlerzogener, feiner, junger Mensch!<br />

Giesecke (nickt):<br />

Freut mich zu hören. (Forschend:) Könnten Sie sich ihn als Ehemann vorstellen?<br />

Hinzelmann (begeistert):<br />

Prächtig! (Besinnt sich:) Aber das kommt ja für so ein armes Mädchen wie mein Klärchen<br />

nicht in Frage.<br />

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56<br />

Giesecke:<br />

Nee, nee, ich meine ja nur so im allgemeinen! (Ruft:) Fräulein, was gibt's denn nu hier<br />

zu trinken?<br />

Kellnerin:<br />

Gumpoldskirchner, Vöslauer, Kälterer See, an G'spritzten -<br />

Giesecke:<br />

Weiße mit Schuss haben Se nich?<br />

(Die Kellnerin schüttelt den Kopf)<br />

Giesecke:<br />

Na, bringen Sie zwee Schorle Morle.<br />

(Kellnerin ab).<br />

Hinzelmann (wehrt ab):<br />

Nein, nicht für mich!<br />

Giesecke:<br />

Doch, mein Lieber! Heute müssen Sie sich ausnahmsweise im Alkohol üben! (Lehnt sich<br />

zu ihm, vertraulich) Es könnte sein, dass wir heute Abend die Verlobung Ihres jungen<br />

Freundes feiern.<br />

(Die Kellnerin bringt Wein).<br />

Hinzelmann:<br />

Des Herrn Sülzheimer? (Verlegen:) Aber ich versichere Ihnen, ich weiß von nichts ... und<br />

mein Klärchen würde doch niemals ohne mich - -<br />

Giesecke:<br />

Nee, nee, abgesehen von Ihrem Klärchen.<br />

Hinzelmann (kostet andächtig:)<br />

Schmeckt ungewöhnlich schön.<br />

(Beide trinken.)<br />

Giesecke:<br />

Was? Det Schorle-Gesöff? Na, Ihnen schmeckt wohl alles ungewöhnlich schön?<br />

Hinzelmann :<br />

Auf Reisen schon. Das ist nämlich der Unterschied zwischen uns beiden. Sie reisen,<br />

um zu schimpfen, und ich reise, um glücklich zu sein!<br />

(Beide trinken.)<br />

Giesecke:<br />

Det Jeschäft is richtig. Den nehme ich nächstes Jahr nach Ahlbeck mit.<br />

Hinzelmann:<br />

Hören Sie zum Beispiel den Hahn im ,.<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>" jeden Morgen?


Giesecke:<br />

Ja, wer den nicht hören sollte!<br />

Hinzeimann:<br />

Wenn der sein Kikeriki hinausschmettert, das ist so melodisch, so herzerquickend -<br />

Giesecke:<br />

Det muss ein ganz anderer Hahn gewesen sein.<br />

Hinzeimann :<br />

-und dann treibt's mich hinauf in die Berge, in den flüsternden Wald hinein, und wenn ich<br />

dann so durch den stillen Morgen gehe und das Auge so offen wird für all das Schöne,<br />

dann fühle ich ihn - den Reisezauber!<br />

Siedler(kommt zu Gieseckes Tisch):<br />

Na, meine Herren, wie schmeckt der Wein?<br />

Giesecke:<br />

Weiße mit Schuss ist mir lieber.<br />

Siedler (inzwischen zu Giesecke):<br />

Ich habe ein Telegramm vom alten Sülzheimer - (Liest:) mit Verlobung meines<br />

<strong>So</strong>hnes einverstanden. Herzliche Grüße an die Braut.<br />

Giesecke:<br />

Ich muss sagen, das haben Sie großartig gemacht.<br />

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Siedler:<br />

Ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand.<br />

Giesecke:<br />

Dafür ist das Kind auch wie verwandelt. Ich kann Ihnen sogar noch mehr sagen: Das Mädchen ist<br />

verliebt!<br />

Siedler :<br />

Wirklich?<br />

Giesecke:<br />

Verlassen Sie sich darauf, sie i s t verliebt. Und ich habe auch schon für heute Abend das<br />

Verlobungsessen bestellt.<br />

Siedler:<br />

Hoffentlich mit viel Sekt.<br />

Giesecke:<br />

Na wat denn: Wilhelm Giesecke, Berlin, ja! (Er prostet zu Ottilie hinüber:) Prost Otti, des<br />

Jeschäft ist richtig!<br />

4. Bild. Auf dem Weg zum Schafberg<br />

Sigismund (grandios):<br />

Sehen Sie, Klärchen, zweitausend Meter über dem Meer und mitten unter Eisbären - da fühle ich mich in<br />

meinem Element.<br />

Klärchen (erstaunt lispelnd):<br />

Eisbären? Auf dem Schafberg?<br />

Sigismund (lacht):<br />

Na, Liebling, seien Sie nicht so streng mit mir - (Er setzt sie nieder.) ich muss doch meiner<br />

Kundschaft in Sangershausen ein paar nette Eisbären aufbinden!<br />

(Setzt sich dicht neben sie.)


Klärchen:<br />

Schade, dass Sie immer in Sangershausen tätig sind!<br />

Sigismund:<br />

Warum? Wäre ein anderer Ort für Trikotagen günstiger?<br />

Klärchen: Nein. (Leise:) Aber es kommen wieder drei S darin vor.<br />

Sigismund (entzückt):<br />

Ach Klärchen! Sie haben bloß nie den richtigen Sprachlehrer gehabt. Bei mir werden Sie<br />

nicht lispeln! Sprechen Sie einmal mir nach: „Ich — bin — Ihnen ~ gut!"<br />

Klärchen:<br />

Ich bin ... (Verschämt:) nein.<br />

Sigismund :<br />

Der Satz ist doch ganz ungefährlich. Ganz ohne S, Ich bin Ihnen ... Na?<br />

Klärchen:<br />

Ich bin- Ihnen gut.<br />

Sigismund (begeistert):<br />

Sehen Sie, d a s ist Sprechkunst! -Zweite Lektion: Ich hab' dich gern.<br />

Klärchen :<br />

Ich hab'... nein.<br />

Sigismund:<br />

Wieder ganz ungefährlich! Wieder ganz ohne S. Ich hab'... (Bittend:) Na?<br />

Klärchen:<br />

Ich hab' dich gern.<br />

Sigismund:<br />

Und ich dich noch viel, viel gerner!<br />

Klärchen:<br />

Sie nehmen doch keinen Sprachunterricht!<br />

Sigismund:<br />

Das ist mir bloß so im Eifer rausgerutscht! Letzte Lektion ... schönste Lektion von allen: ich<br />

liebe dich!<br />

Klärchen:<br />

Nein, nein!<br />

Sigismund:<br />

Ach bitte, bitte, bitte, Klärchen! Sie brauchen mir ja nur nachzusprechen, ganz ohne S. Ich<br />

liebe dich.<br />

Klärchen (an seine Brust sinkend):<br />

Ich dich auch. (Sie springt auf und lispelt hingerissen:) Süßer Sigismund Sülzheimer<br />

aus Sangershausen! (Sie umhalst undküsst ihn stürmisch.)<br />

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60<br />

Musik Nr. 22 Duett Sisismund-Klärchen („ Und als der Herrsott Mai gemacht")<br />

Klärchen:<br />

FRÜHER WAR ICH SCHÜCHTERN WIE EIN VEILCHEN IM<br />

MÄRZ. HEUT' HÄMMERT MEIN HERZ EXPRESS! DASS ICH<br />

BEINAH' VOR GLÜCK VERGESS: KÜSSEN SCHREIBT MAN MIT<br />

DOPPEL-S!<br />

Sigismund:<br />

SPÄTER SAG' ICH'S, WENN WIR BEI DER HOCHZEIT UNS KÜSSEN,<br />

JEDEM, DER'S WISSEN WILL:<br />

BEI DEM ERSTEN IDYLL<br />

WAR DIE SÜSSE SO STILL<br />

WIE EIN REGENWURM IM APRIL! -<br />

UND ALS DER HERRGOTT MAI GEMACHT,<br />

DA HAB' ICH ES IHR BEIGEBRACHT EIN<br />

VÖGLEIN HAT GEPFIFFEN --DA HAT SIE'S<br />

GLEICH BEGRIFFEN! -DER FRÜHLING HAT<br />

IHR MUT GEMACHT, UND DESHALB HAT<br />

SIE'S GUT GEMACHT -UND HEUTE, - JA,<br />

MAN WUNDERT SICH, -KANN SIE'S BESSER<br />

NOCH ALS ICH!<br />

Klärchen:<br />

LASS UNS UNTER MISPELN LISPELN, DENN WIE<br />

KONFEKT, O SIGISMUND, SCHMECKT DEIN MUND!<br />

Sigismund:<br />

ACH, WARUM IMMER NUR DER MUND?<br />

AUCH DIE GLATZE IST SCHÖN UND RUND!<br />

Klärchen:<br />

HERRLICH, DASS ICH DIR NICHT ERST DAS HAAR KÄMMEN MUSS —<br />

BEI DIR HAT MEIN KUSS GLEICH PLATZ!<br />

UND SITZT OBEN, MEIN SCHATZ,<br />

VOLLER NEUGIER EIN SPATZ,<br />

JA, DANN SAG' ICH NUR EINEN SATZ:<br />

UND ALS DER HERRGOTT MAI GEMACHT,<br />

DA HAT ER ES MIR BEIGEBRACHT!<br />

EIN VÖGLEIN HAT GEPFIFFEN -<br />

Sigismund:<br />

DA HAT SIE'S GLEICH BEGRIFFEN!<br />

Klärchen:<br />

DER FRÜHLING HAT IHR MUT GEMACHT,<br />

Sigismund<br />

UND DESHALB HAT SIE'S GUT GEMACHT -<br />

Beide:<br />

UND HEUTE, DA, DA STAUNT MAN SEHR,


Klärchen:<br />

KANN ICH'S BESSER NOCH ALS ER! -<br />

Sigismund (im KUSS lachend):<br />

O Gott... nicht so wild .. (Sein Berghut fällt herunter.) Du bringst ja meinen ganzen Scheitel<br />

durcheinander!<br />

Klärchen (selig):<br />

Du hast ja gar keinen Scheitel! Du süße Schönheit!<br />

Sigismund:<br />

Ach Gott, ich bin ja so glücklich!<br />

Musik Nr. 22a Absang (Reprise.. Was kann der Sisismund dafür")<br />

Beide:<br />

WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR, DASS ER SO SCHÖN IST?<br />

WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR, DASS MAN IHN LIEBT?<br />

DIE LEUTE TUN, ALS OB DIE SCHÖNHEIT EIN VERGEH'N IST,<br />

MAN SOLL DOCH FROH SEIN, DASS ES SO WAS SCHÖNES GIBT!<br />

WAS KANN DER SIGISMUND DAFÜR, DASS ER SO SCHÖN IST?<br />

IST NICHT DER SIGISMUND EIN SÜSSER KAVALIER? UND DASS<br />

ER IMMER BEI DEN DAMEN GERN GESEH'N IST, WAS KANN<br />

DER SIGISMUND, DER SIGISMUND DAFÜR?<br />

(Beide gehen mit dem Ende der Musik ab.)<br />

5. Bild. Vor dem „<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>"<br />

(Josepha kommt aus dem Haus und macht Ordnung. Etwa gleichzeitig tritt von links Leopold auf,<br />

mit einem Strohköfferchen und einem Vogelkäfig.)<br />

Leopold :<br />

<strong>So</strong>, da sind wir! Abgerechnet hab' ich. 'n Vogel hab' ich auch. (Stellt das Gepäck auf den<br />

Boden.) Jetzt setzen's Ihnen hin und schreibend mir mein Zeugnis! (Legt sein Arbeitsbuch<br />

auf den Tisch.)<br />

Josepha:<br />

Haben Sie's aber eilig! (Setzt sich an den Tisch.) Sie - gar so gut wird das Zeugnis net<br />

ausfallen!<br />

Leopold:<br />

Das kann ich mir schon denken. (Zieht Tintenfass und Federstiel aus der Manteltasche. Mit<br />

zitternder Stimme:) Da haben's eine Tinte, damit's net sagen können, Sie haben Spesen<br />

gehabt. (Er stellt sich dicht hinter die sitzende Josepha. Erregt:) Ich hab' der Frau Pepi treu<br />

und ehrlich dienen wollen ... schreibend hinein: wollte treu und ehrlich dienen — ein Leben<br />

lang ~ schreibend hinein: ein Leben lang - aber da ist ein anderer gekommen, der hat der<br />

Frau Pepi den Kopf verdreht. (<strong>Im</strong>mer erregter:) Schreibend das auch hinein: Grund des<br />

freiwilligen Dienstaustrittes der Herr Doktor Siedler! (Die Lippen zittern ihm.) Und wie der<br />

erst da war, da hab' ich's nimmer ausgehalten im „<strong>Weißen</strong> <strong>Rössl</strong>" ... Das Gspusi mit dem<br />

anderen hab' ich net mitanschauen können — schreibend wörtlich hinein, was ich Ihnen jetzt<br />

sag:<br />

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62<br />

Musik Nr. 22b Reminiszenz — Leopold<br />

ZUSCHAU'N KANN I NET! ZUSCHAU'N KANN I NET!<br />

WENN ICH NICHT SELBER BIN DABEI,<br />

BRICHT MIR DAS HERZ ENTZWEI!<br />

NEIDISCH BIN I NET!<br />

MEINER SEEL', I NET!<br />

ABER ZUSCHAU'N - ICH GESTEH' -<br />

ZUSCHAU'N TUT HALT GAR SO WEH!<br />

Leopold :<br />

Haben Sie's?<br />

(Josepha hat erst lächelnd, dann immer ernster zugehört. Jetzt nimmt Leopold eine Löschwiege aus dem<br />

Mantel und löscht die Tinte ab. Josepha nickt, klappt das Buch zu und gibt es ihm. Leopold steckt das Buch<br />

und alles Schreibgerät in die Tasche, nimmt den Hut ab und gibt Josepha die Hand.)<br />

Leopold:<br />

Behuf Ihnen Gott.<br />

(Er möchte ihre Hand küssen, besinnt sich aber im letzten Augenblick. Er setzt den Hut auf und wendet<br />

sich zum Gehen. Nach einem Schritt bleibt er stehen. Leise:)<br />

Haben's was gesagt? (Nach einem neuerlichen Schritt:) Sind's mir böse?<br />

Josepha:<br />

Ja, wissen's, Leopold, jetzt, wo sie nimmer bei mir im Dienst stehen - aufrichtig gesagt -ja, ich bin<br />

ihnen bös. Weil sie der <strong>Rössl</strong>-Wirtin so wenig Verstand zutrauen, dass sie von selber darauf kommt,<br />

wo ihr Platz ist.<br />

Leopold:<br />

Ah, Frau Chefin...<br />

Josepha:<br />

Nein, ihre Chefin bin ich gewesen. Lesen's das Zeugnis.<br />

Leopold:<br />

Das kann ich mir schon denken. (Er schlägt die Seite auf) Ui, und das ganze Buch haben sie mir voll<br />

gekritzelt. Und einen Klecks haben's auch hinein gemacht. (Er fährt mit der Zunge drüber und liest<br />

dann, wobei er die Worte mit allen Vokalen durchbuchstabiert:) „Entlassen als Zahlkellner wegen<br />

Einmischung in meine Privatangelegenheiten -" (Dazwischen sprechend:) Ist gar net wahr!<br />

Josepha:<br />

Lesen's weiter !<br />

Leopold:<br />

Ich hab' nur gesagt - Wegen dem Siedler....<br />

Josepha(energisch): Lesen's<br />

weiter!


Leopold (Wieder lesend):<br />

— -angelegenheiten. Aber engagiert. (Er spricht dieses Wort deutsch buchstabierend aus.)<br />

aber engagiert auf Lebensdauer als. Ehemann. (Eine Sekunde steht er starr und reibt sich<br />

die Augen.) Was ist das? (Liest noch einmal:) Aber engagiert auf Le... aber engagiert... ist<br />

das Ihr ... les' ich recht? Das haben Sie da hinein... engagiert als Lebemann auf Ehedauer?<br />

Frau Josepha, das haben Sie alles da hineingeschrieben, so eigenhändig, so ganz von allein,<br />

ja ja ja, Frau Josepha, da bin ich ja kein Zahlmann mehr, da bin ja ein Ehekellner? (In heiter<br />

Aufregung stößt er mit dem Fuß gegen seinen Vogelkäfig.) Der Vogel macht mich noch<br />

närrisch. Ja, Peperl, da bin ich ja ein Oberehezahlmann-Kellner? Pepi, Peperl — (Er reißt<br />

sie an sich.)<br />

Josepha(lacht):<br />

Um Gotteswillen, schrein's doch net so!<br />

Leopold (hebt den Vogelkäfig auf und spricht Zum Vogel):<br />

Schau, Hansl, da ist dein neues Frauerl. (Er stellt den Käfig wieder hin.) Jetzt sollst mich<br />

kennen lernen! Herunter mit dem Futteral! (Er reißt den Überzieher vom Leib.) Wirtschaft<br />

heraus! Wo ist der Piccolo? Schlamperei! Der Herr von Giesecke hat ein Verlobungssouper<br />

bestellt! (Brüllt:) Piccolo! Wo ist der Piccolo?<br />

Piccolo (läuft aus dem Haus):<br />

Na, na, na, na! Nur net so gnädig! Ein Kellner ist auch ein Mensch!<br />

Leopold:<br />

Was? Mir scheint, der hat heut noch keine Watsehen<br />

gekriegt? (Haut ihm eine Maulschelle ins Gesicht.)<br />

Piccolo (sprachlos):<br />

Herr Leopold, Sie haben doch selber immer gesagt -<br />

Leopold:<br />

Ja, da war ich ja noch ein Kellner! Aber jetzt, jetzt bin ich der Herr. Jetzt bin ich das<br />

<strong>Rössl</strong>! (Er umhalst Josepha.)<br />

Piccolo (im Ablaufen, jubelnd):<br />

Jetzt hat er sie doch noch herumgekriegt! Juhu!<br />

Josepha (lachend):<br />

O Gott, Leopold, da muss man ja förmlich selber Angst kriegen!<br />

Leopold:<br />

Du net, Pepi, D u sollst es gut bei mir haben! (Innig:) Und wann ich Dir in 25 Jahren, zu<br />

unserer Silbernen Hochzeit, mein Dienstbücherl wiedergeb', da wirst mir gewiss<br />

hineinschreiben können: „Ehrlich und treu." (Er hält sie umschlungen.)<br />

(Giesecke und Hinzelmann kommen von links.)<br />

Giesecke:<br />

Was ist denn das?<br />

Hinzelmann :<br />

Ich halte es für ein so genanntes Busserl.<br />

63


64<br />

Giesecke:<br />

Ich halte es für eine ausgesprochene Knutscherei. (Geht schmunzelnd auf Leopold und<br />

Josepha zu und klopft Leopold auf die Schulter.) Entschuldigen Sie, wenn ich störe, meine<br />

Verehrten — ich möchte nur an meine Bestellung erinnern!<br />

(Die Beiden lösen sich voneinander. Josepha ist etwas verlegen.)<br />

Leopold (glühend vor Eifer):<br />

Ganz recht, Herr von Giesecke - das wird ein Verlobungssouper werden, von dem noch<br />

unsere Kinder und Kindeskinder träumen werden!<br />

Josepha:<br />

Aber Leopold! (Lächelnd) Das hat doch Zeit!<br />

(Leopold gibt ihr einen Klaps hintenauß<br />

Josepha:<br />

Poldi<br />

Leopold :<br />

Nur net nervös werden! Wenn der Herr von Giesecke gestattet, dann nehmen wir zwei<br />

am Verlobungssouper gleich teil?<br />

Giesecke:<br />

Freut mich sehr.<br />

Leopold:<br />

Mich auch. Aber wo sind denn die anderen Brautleute?<br />

Siedler (tritt in diesem Augenblick von links auf):<br />

Bitte sehr, bitte gleich?! Papa Hinzelmann, darf ich Ihnen ein frisch gebackenes<br />

glückliches Brautpaar präsentieren?<br />

(Er führt Sigismund und Klärchen vor.)<br />

Hinzelmann (zitternd):<br />

Ja, Kinder, Klärchen... Sigismund...<br />

Sigismund (mit der Glatze an Hinzelmanns Brust<br />

sinkend): Vater!<br />

Hinzelmann:<br />

Das nenn ich den wahren Reisezauber!<br />

Giesecke:<br />

Erlauben sie mal, Mensch, sie sind ja schon blau vor dem Sekt. Was hat das zu bedeuten?<br />

Sie haben doch versprochen, meine Tochter zu verloben<br />

Siedler (verneigt sich):<br />

Das hab' ich auch getan, Herr Giesecke.<br />

(Ottilie tritt rasch hinzu. Siedler nimmt sie bei der Hand und führt sie zu Giesecke).<br />

Siedler:<br />

Herr Giesecke, ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter.


Giesecke (sprachlos):<br />

Det Jeschäft ist richtig!<br />

Ottilie (bittend):<br />

Lieber, guter, alter, dicker, einziger Papa, nun meckere mal ausnahmsweise nicht und<br />

sag'ja!<br />

Giesecke :<br />

Na, meinetwegen! Halt, halt! Und was wird aus unserem Prozess?<br />

Sigismund:<br />

Mein Papa gibt seinen Anspruch auf. Wir haben ein neues Patent: Nachthemd<br />

mit Reißverschluss.<br />

Giesecke(7zöc//s/ befriedigt):<br />

Na, da gibt's ja nichts mehr zu knöppen!<br />

Leopold:<br />

Zu. Tisch, meine Herrschaften, zu Tisch!<br />

Alle:<br />

Musik Nr. 23 Finale III<br />

LASST UNS SCHAMPUS TRINKEN MIT LÄCHELNDEM GESICHT,<br />

DENN DIE FREUDENTRÄNEN, DIE FÜLL'N DIE GLÄSER NICHT.<br />

UND AM SCHLUSS BEIM KUSS<br />

NUR DIE EINE FRAGE FROMMT,<br />

WANN ODER WIE ODER WO DIE HOCHZEIT KOMMT -<br />

WANN ODER WIE ODER WO DIE HOCHZEIT ENDLICH KOMMT.<br />

IM „WEISSEN RÖSSL" AM WOLFGANGSEE -<br />

DA STEHT DAS GLÜCK VOR DER TÜR<br />

UND RUFT DIR ZU: „GUTEN MORGEN!<br />

TRITT EIN UND VERGISS DEINE SORGEN!"<br />

UND MUSST DU DANN EINMAL FORT VON HIER,<br />

DANN TUT DER ABSCHIED DIR WEH.<br />

DENN DEIN HERZ, DAS HAST DU VERLOREN<br />

IM „WEISSEN RÖSSL" AM SEE! AM WOLFGANGSEE!<br />

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