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Die Löwin und der Schmetterling Andreas Schulz - Enzian GbR

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<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

<strong>Andreas</strong> <strong>Schulz</strong><br />

Zeitschrift für Psychodrama <strong>und</strong><br />

Soziometrie<br />

ISSN 1619-5507<br />

Z Psychodrama Soziometr<br />

DOI 10.1007/s11620-011-0138-1<br />

1 23


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1 23


Z psychodrama Soziometr<br />

DOi 10.1007/s11620-011-0138-1<br />

Hauptbeiträge<br />

<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

Liebevolle Begegnungen auf <strong>der</strong> psychodramatischen Bühne<br />

<strong>Andreas</strong> <strong>Schulz</strong><br />

Zusammenfassung: Vertrauen in sich selber <strong>und</strong> in den partner sind wesentliche Merkmale für<br />

eine liebevolle beziehung. psychodramatische arrangements zielen darauf ab, partnerinnen neue<br />

erfahrungsräume für eine atmende Liebe zu schaffen.<br />

Schlüsselwörter: psychodrama · psychodramatische arrangements · begegnung ressourcen ·<br />

paarskulpturen · Familienskulpturen · Soziometrie · Zwiegespräche<br />

The lioness and the butterfly – Ten<strong>der</strong> encounter on the psychodramatic stage<br />

Abstract: Confidence towards oneself and towards the own partner seems be a basic of a good<br />

partnership. psychodramatic arrangements encourage partners to dare new encounters for a<br />

breathing love.<br />

Keywords: psychodrama · psychodramatic arrangements · encounter ressources ·<br />

Pair-sculptures · Family sculptures · Sociometry · Confidental talking<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011<br />

a. <strong>Schulz</strong> (�)<br />

enzian psychosoziale <strong>Die</strong>nstleistungen,<br />

eintrachtstr. 23, 40699 erkrath, Deutschland<br />

e-Mail: as@enzian-gbr.de<br />

Author's personal copy


2 a. <strong>Schulz</strong><br />

1 Begegnung<br />

Author's personal copy<br />

psychodrama zielt darauf ab, Menschen eine begegnung mit sich selber <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Menschen zu ermöglichen. begegnung ist einer <strong>der</strong> zentralen Leitgedanken des psychodramas<br />

<strong>und</strong> bedeutet, dass Menschen sich in einem existentiellen Sinn in beziehung zueinan<strong>der</strong><br />

setzen. begegnung kann sich auf einer emotionalen ebene vollziehen, ebenso<br />

gut aber auch auf gegenseitigem geistigen Verstehen <strong>und</strong> Durchdringen beruhen. begegnung<br />

erfolgt im Handeln zwischen Menschen <strong>und</strong> in einem lebendigen Dialog. im Handeln<br />

<strong>und</strong> reden zeigen Menschen wie sie sind, wie sie sich <strong>und</strong> einan<strong>der</strong> sehen, wie sie<br />

wahrgenommen werden möchten, aber auch, was sie zu verbergen gedenken. Je bedeutungsvoller<br />

Handlungen, gedanken <strong>und</strong> einstellungen für einen Menschen sind, desto<br />

höher kann die ambivalenz werden zwischen dem Wunsch nach Offenbarung <strong>und</strong> dem<br />

Wunsch, wahrhaft o<strong>der</strong> vermeintlich Schützenswertes für sich im Verborgenen zu halten.<br />

<strong>Die</strong> ambivalenz kann aufgelöst werden zugunsten eines intensiven austauschs mit dem<br />

an<strong>der</strong>en. eine lebendige begegnung bedeutet auch einan<strong>der</strong> so wahrzunehmen wie man<br />

als Mensch ist <strong>und</strong> einan<strong>der</strong> zu verstehen. Das mag verbindend <strong>und</strong> schön sein, aber bei<br />

unverhofften erkenntnissen <strong>und</strong> belasten<strong>der</strong> problematik auch zeitweilig erschrecken<br />

<strong>und</strong> Verstörung hervorrufen.<br />

Nahe beziehungen benötigen einen raum, in dem die verschiedenen aspekte <strong>und</strong><br />

ebenen von beziehungen zwischen den partnerinnen <strong>und</strong> <strong>der</strong> partnerinnen zu sich selbst<br />

immer wie<strong>der</strong> neu gestaltet werden können. gr<strong>und</strong>voraussetzung für eine nahe beziehung<br />

sind die bereitschaft <strong>und</strong> die Fähigkeit sich in den an<strong>der</strong>en hinein zu denken <strong>und</strong><br />

hinein zu fühlen, ihn in seinem eigen-Sein zu begreifen <strong>und</strong> ihn anzunehmen. <strong>Die</strong> einfühlung<br />

in die wirkliche Situation des an<strong>der</strong>en <strong>und</strong> die emotionale erkenntnis des an<strong>der</strong>en<br />

bezeichnet Moreno als tele. Sie beinhalte neben motivationalen aspekten auch die<br />

liebevolle akzeptanz des an<strong>der</strong>en Menschen <strong>und</strong> kann als gr<strong>und</strong>lage aller ges<strong>und</strong>en zwischenmenschlichen<br />

beziehungen angesehen werden (von ameln et al. 2004, S. 211).<br />

Schmid spricht von <strong>der</strong> atmenden Liebe. „atmen kann sie, wenn die Liebenden sich<br />

nicht nur miteinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n auch mit ihrem eigenen Selbst befassen, <strong>und</strong> wenn sie zwi-<br />

schen mehreren ebenen <strong>der</strong> Liebe hin <strong>und</strong> hergehen können, um sich auf immer an<strong>der</strong>e<br />

Weise einan<strong>der</strong> zuzuwenden. atmen können muss die Liebe… zwischen Nähe <strong>und</strong> Distanz,<br />

Freude <strong>und</strong> ärger, Lust <strong>und</strong> Schmerz, ekstase <strong>und</strong> alltag…“ (Schmid 2010, S. 15).<br />

psychodrama bietet die Möglichkeit, diese inneren Welten <strong>und</strong> ihr beziehungsgeflecht<br />

szenisch darzustellen <strong>und</strong> verstehbar zu machen. <strong>Die</strong> Selbstbegegnung geschieht<br />

im psychodramatischen Spiel verwoben in einem beziehungsnetz mit <strong>und</strong> zu an<strong>der</strong>en<br />

Menschen.<br />

im psychodramatischen Spiel wird eine ganz beson<strong>der</strong>e realität erzeugt, in <strong>der</strong> auf den<br />

ebenen des Handelns, des Denkens, des Fühlens <strong>und</strong> <strong>der</strong> zwischenmenschlichen beziehungen<br />

neue erfahrungen gewonnen werden können. Moreno spricht von <strong>der</strong> „Surplusreality“<br />

(von ameln et al. 2004, S. 164). Spontaneität <strong>und</strong> Kreativität ermöglichen die<br />

bisherigen Lebenserfahrungen auf eine neue art zu erleben <strong>und</strong> zu verän<strong>der</strong>n. in manchen<br />

Spielsequenzen flackern Momente <strong>der</strong> Nähe auf, <strong>der</strong>en Bedeutung sich erst in einem verbalen<br />

austausch klären lassen. <strong>Die</strong> reaktion im Spiel hingegen erfolgt spontan, direkt<br />

<strong>und</strong> zuweilen höchst ambivalent. begegnung spielt sich aber auch immer im sozialen<br />

rollengefüge mit an<strong>der</strong>en Menschen ab. <strong>Die</strong>se erscheinen in den rollen von begleiten-


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

den gefährtinnen, guten geistern <strong>und</strong> psychodramatischen Mitspielerinnen, die gefühle<br />

<strong>und</strong> Strebungen, emotionale Zwiespälte <strong>und</strong> Hin<strong>der</strong>nisse aufzeigen, aber auch zur Selbstoffenbarung<br />

ermutigen <strong>und</strong> die bereitschaft zeigen, sich einan<strong>der</strong> liebevoll annehmend<br />

mitzuteilen.<br />

Moreno nennt diese Selbstoffenbarung nach dem protagonistenspiel Sharing. Das psychodramatische<br />

Sharing unterstützt die protagonistinnen, die Mitspielerinnen <strong>und</strong> die<br />

Zuschauer-innen dazu die eigene angst vor einsamkeit aufzulösen. Zeugnisse von ängstigenden<br />

umbrüchen, kummervoller Verzagtheit <strong>und</strong> lähmen<strong>der</strong> Stagnation, <strong>der</strong> Flucht vor<br />

liebevoll einengen<strong>der</strong> Nähe, <strong>der</strong> Sehnsucht nach unerreichbarer Nähe <strong>und</strong> geborgenheit,<br />

aber auch ehrliche Schil<strong>der</strong>ungen spontanen o<strong>der</strong> mühevollen gelingens verhelfen zu<br />

<strong>der</strong> emotionalen erkenntnis sich selber als teil einer existentiellen Lebensgemeinschaft<br />

zu erfahren. Handelnd erzählen die psychodramatischen Spielerinnen ihre geschichten<br />

– ihre Mitspielerinnen gestalten diese Handlungserzählungen mit <strong>und</strong> in jedem Spiel neu.<br />

auch jede noch so minutiös eingestilte re-inszenierung einer früher erlebten Szene zum<br />

beispiel durch Doppeln o<strong>der</strong> rollentausch birgt ihre eigene szenische Authentizität <strong>und</strong><br />

eröffnet dadurch ein direktes erleben von gefühlen, Stimmungen, beziehungsatmosphären<br />

<strong>und</strong> einmaligkeit.<br />

2 Nähe <strong>und</strong> Distanz<br />

Author's personal copy<br />

Nähe <strong>und</strong> Distanz sind in persönlichen beziehungen von zentraler bedeutung. einige<br />

Menschen erleben in einer großen Nähe zu an<strong>der</strong>en Menschen emotionale erfüllung<br />

<strong>und</strong> verspüren dabei auch tiefe emotionen wie glück, Zufriedenheit, Zugehörigkeit <strong>und</strong><br />

geborgenheit. an<strong>der</strong>e Menschen wie<strong>der</strong>um erleben Nähe einhergehend mit einer emotionalen<br />

Verschmelzung, in <strong>der</strong> sie sich selber vollständig verlieren. Der Wunsch nach<br />

„Selbstbewahrung“ <strong>und</strong> ich-abgrenzung steht im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, um eine ganz persönliche<br />

einmaligkeit zu unterstreichen <strong>und</strong> gegen die von ihnen als bedrohung empf<strong>und</strong>ene<br />

angstauslösende emotionale Nähe zu verteidigen (riemann 2002, S. 34). in je<strong>der</strong> liebenden<br />

begegnung sind sein eigen-Sein <strong>und</strong> seine unabhängigkeit gleichsam gefährdet,<br />

umso mehr, wenn er sich in „Selbsthingabe“ einem an<strong>der</strong>en, einem Du öffnet (S. 39). ihm<br />

fehlt eine eigene emotionale Orientierung, ihm stehen keine gefühlsnuancen zur Verfügung<br />

(S. 66). Der reiz von neuem, <strong>der</strong> Wunsch ein Wagnis einzugehen <strong>und</strong> unbekanntes<br />

zu erforschen kann sich in einer paarbeziehung zerstörerisch auf beziehungswünsche<br />

von Menschen auswirken, bei denen beständigkeit <strong>und</strong> bewahren im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> steht.<br />

<strong>Die</strong> Sehnsucht eines <strong>der</strong> partnerinnen nach persönlicher <strong>und</strong> grenzenloser Freiheit kann<br />

dabei einem tief verwurzelten Schutzbedürfnis des gegenübers entgegenstehen, dessen<br />

sehnlichster Wunsch es ist, beständig geliebt zu werden <strong>und</strong> <strong>der</strong> psychisch auf Freiheitswünsche<br />

mit einer großen Verlustangst reagiert. begegnung zwischen Menschen wird<br />

möglich, wenn Nähe <strong>und</strong> Distanz auf freier Wahl <strong>der</strong> partnerinnen beruhen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s<br />

ausgedrückt: begegnung ist auch möglich, wenn partnerinnen einan<strong>der</strong> die Freiheit zur<br />

Distanz einräumen <strong>und</strong> sich auf Momente <strong>der</strong> Nähe freuen.<br />

psychodramatische arrangements wie szenische Darstellungen, Skulpturen, Vignetten<br />

in <strong>der</strong> paar- <strong>und</strong> Familienberatung aus <strong>der</strong> Sicht aller beteiligten bieten die Chance die<br />

eigenen Sichtweisen vor den augen <strong>der</strong> nächsten bezugspersonen zu offenbaren, alle<br />

3


4 a. <strong>Schulz</strong><br />

auftauchenden beziehungsstrukturen zu würdigen, <strong>der</strong>en Zusammenspiel zu begreifen<br />

<strong>und</strong> miteinan<strong>der</strong> in einen Dialog über eine wünschenswerte beziehungskultur zu treten.<br />

<strong>Die</strong> szenische Darstellung lässt sich auch als Form des gemeinsamen Sich erinnerns an<br />

die eigene Lebensgeschichte <strong>und</strong> gemeinsame paargeschichte verstehen. Das gemeinsame<br />

Sich erinnern in einer partnerschaft ist unabdingbar verb<strong>und</strong>en mit einer gemeinsamen<br />

identität. begegnung bedeutet, den an<strong>der</strong>en jenseits <strong>der</strong> üblichen rollenkonserven,<br />

die Kommunikation <strong>und</strong> einfühlung erst einmal ermöglichen (Stadler <strong>und</strong> Kern 2010,<br />

S. 146), in seiner einzigartigkeit zu erkennen, emotional zu begreifen <strong>und</strong> auf ihn zu<br />

reagieren.<br />

3 Intimität <strong>und</strong> Treue<br />

Author's personal copy<br />

intimität soll hier als eine beson<strong>der</strong>e Form menschlicher Nähe angesehen werden, mit <strong>der</strong><br />

Menschen die Qualität ihrer beziehung bestimmen. intimität beruht auf tiefem, gegenseitigem<br />

Vertrauen. als basis von nahen beziehungen wie partnerschaften <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaften,<br />

bedarf sie eines beson<strong>der</strong>en Schutzes, insbeson<strong>der</strong>e durch Verletzungen von<br />

außen durch unverständnis, abwertung, Kränkungen o<strong>der</strong> destruktiven beziehungsformen<br />

(Hirigoyen 2006). in Momenten emotionaler begegnung mit sich selber kann man<br />

auch von einer intimität mit sich selber sprechen, auch hier im Sinne eines schutzwürdigen<br />

erlebens (z. b. bei einer neuen erkenntnis über sich selber in statu nascendi). <strong>Die</strong><br />

entscheidung zu vertrauen, das Wagnis <strong>der</strong> Selbstoffenbarung sind erste Schritte, neue<br />

beziehungsgrenzen zu ziehen vom ich zum Du zum Wir. intimität entsteht nur, wenn<br />

die Selbstoffenbarung sich auf erlebnisse <strong>und</strong> erfahrungen bezieht, die für die jeweiligen<br />

personen von tiefer bedeutung sind, mit <strong>der</strong> eigenen identität verb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> die<br />

Selbstoffenbarung <strong>und</strong> die mit ihr verb<strong>und</strong>enen neue Beziehungsdefinition bejahend<br />

angenommen <strong>und</strong> aufgehoben wird. bewusst gelebte Momente <strong>der</strong> Nähe <strong>und</strong> intimität<br />

könnenden beginn einer gemeinsamen geschichte darstellen <strong>und</strong> beziehungsstiftend wirken.<br />

<strong>Die</strong> gemeinsame erinnerung an die erlebnisse in <strong>der</strong> beziehung in ihren von allen<br />

beteiligten beigetragenen Schattierungen betonen die beson<strong>der</strong>heit einer beziehung <strong>und</strong><br />

ermutigen wie<strong>der</strong>um eine ausgewogene <strong>und</strong> für alle tragbare Nähe lebbar zu halten. Das<br />

Zwiegespräch zwischen einan<strong>der</strong> nahe stehenden Menschen hilft ihre beziehung bewusst<br />

zu pflegen <strong>und</strong> miteinan<strong>der</strong> zu reflektieren. Vielleicht ist das die reifste Form <strong>der</strong> Liebe,<br />

<strong>der</strong> Sinn allen Liebens: einan<strong>der</strong> wohl zu tun <strong>und</strong> zu höherer entwicklung zu verhelfen<br />

(riemann 2007, S. 112).<br />

Nähe <strong>und</strong> intimität zielen auf die Stärkung von bindungen in konkreten beziehungen<br />

ab. im Netz <strong>der</strong> beziehungen weisen Nähe <strong>und</strong> intimität in einer Liebesbeziehung<br />

Momente <strong>der</strong> erotischen Lust, <strong>der</strong> Verzauberung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Freiheit, des glücks, <strong>der</strong> hingebungsvollen<br />

Verschmelzung <strong>und</strong> <strong>der</strong> liebenden treue zu sich <strong>und</strong> dem an<strong>der</strong>en Menschen<br />

auf (Jellouschek 2000; Möller 2001; Schmidbauer 2001).<br />

Neben <strong>der</strong> treue in einer nahen beziehung existiert aber immer noch eine treue zu<br />

sich selber, sei es um anstehende notwendige persönliche entwicklungsschritte im eigenen<br />

Leben zu vollziehen, die eigene identität zu wahren <strong>und</strong> zu erweitern, sich selber<br />

lebens- <strong>und</strong> liebesfähig zu erhalten (Jellouschek 2007; Yalom 2005, S. 369 ff.) o<strong>der</strong> gar<br />

sein Leben erst zu finden (Mercier 2006).


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

psychodramatische arrangements, szenische <strong>und</strong> soziometrische Darstellungen bieten<br />

die Möglichkeiten, das eigene beziehungsnetz mit allen bewussten <strong>und</strong> unbewussten Verflechtungen<br />

<strong>und</strong> Strebungen sichtbar zu machen <strong>und</strong> zu verstehen, wie schwierig es sein<br />

kann, immer wie<strong>der</strong> aufs Neue eine lebbare balance für sich selber zu entwickeln <strong>und</strong><br />

rollen mit Leben zu erfüllen. Das psychodramatische Spiel bietet aber auch die Möglichkeit,<br />

Sehnsüchte, Wünsche <strong>und</strong> begebenheiten, die in <strong>der</strong> realität des alltagslebens<br />

keinen Raum finden, auf einer „Seelenbühne“ auferstehen zu lassen <strong>und</strong> ihnen in ihrer<br />

ganzen bandbreite mit all ihren paradoxien anerkennung <strong>und</strong> geltung zu verschaffen<br />

(Kopp 2000).<br />

im Folgenden möchte ich an einigen ausgewählten beispielen zeigen, wie psychodrama<br />

Momente <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> protagonisten zu sich selber, in partnerschaften <strong>und</strong><br />

Lebensgemeinschaften behutsam aufgreift, mitschwingende Lebens- <strong>und</strong> beziehungsthemen<br />

darstellt <strong>und</strong> anregungen zur Weiterentwicklung <strong>der</strong> beziehungsgestaltung gibt.<br />

Das psychodrama selber bietet dabei nicht die bühne für intimität, son<strong>der</strong>n eröffnet die<br />

bühne für mehr intimität im Leben des paares. erotische phantasien <strong>und</strong> rollen lassen<br />

sich im symbolischen erlebensraum des psychodramas inszenieren. <strong>Die</strong> Kehrseite<br />

<strong>der</strong> beziehungsför<strong>der</strong>nden erotik sind Liebesverletzungen, die bei den betroffenen tiefe<br />

ängste <strong>und</strong> Wut hervorrufen können. Hier bietet das psychodrama mit seinem Konzept<br />

<strong>der</strong> surplus-reality die Chance mit symbolischem Handeln auf das „beziehungstrauma“<br />

(Korritko <strong>und</strong> pleyer 2011, S. 171) zu reagieren ohne an<strong>der</strong>e Menschen real zu<br />

schädigen.<br />

<strong>Die</strong> beispiele entstammen verschiedenen psychodramagruppen, paargruppen <strong>und</strong><br />

paarberatungen.<br />

4 Psychodramatische Arrangements<br />

4.1 inszenierte phantasien als anwärmung<br />

Author's personal copy<br />

Das ausschmücken eigener phantasien stellt eine kreative Variante dar, Wünsche nach<br />

liebevoller Nähe zu einem an<strong>der</strong>en Menschen innerlich anzuerkennen <strong>und</strong> ihnen einen<br />

eigenen gestaltungsraum zu geben – nicht als ersatz für eine unlebbare realität, son<strong>der</strong>n<br />

als Spielraum <strong>der</strong> Möglichkeiten. Der reiz mag gerade darin liegen, die phantasien nicht<br />

als ermutigung für eine reale umsetzung anzusehen, son<strong>der</strong>n mit ihnen zu spielen im<br />

dem bewusstsein <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sicherheit, dass die Vorstellungen <strong>und</strong> die mit ihnen verb<strong>und</strong>enen<br />

emotionen nie – aber auch wirklich nie – andeutungsweise in die realität übernommen<br />

werden. Der reiz liegt in <strong>der</strong> Heimlichkeit, in dem Wissen, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

bewusst nichts weiß von den träumen, unbewusst aber vielleicht auf eine sehr eigene<br />

art auf die phantasien reagiert. eine sehr schöne spontane inszenierung konnte ich vor<br />

einigen Jahren während <strong>der</strong> Lindauer psychotherapiewochen erleben: auf Zuruf spielte<br />

eine theatergruppe mehrere Steggreifszenen zum thema „Liebe“. eine <strong>der</strong> Szenen sei an<br />

dieser Stelle näher geschil<strong>der</strong>t: eine Frau sitzt auf einer terrasse an <strong>der</strong> uferpromenade,<br />

trinkt in <strong>der</strong> warmen Nachmittagssonne einen Tee, schaut sich neugierig um. Der höfliche<br />

Kellner gefällt ihr sehr. in blicken <strong>und</strong> Körperhaltungen drückt sie verhalten ihr gefallen<br />

an ihm aus <strong>und</strong> verbirgt es, wenn <strong>der</strong> Kellner sich ihr nähert. er bedient sie weiterhin in<br />

<strong>der</strong> Rolle des höflichen Kellners, <strong>der</strong> ihr ihre Gedanken, Gefühle <strong>und</strong> Phantasien belässt,<br />

5


Author's personal copy<br />

6 a. <strong>Schulz</strong><br />

ohne aus <strong>der</strong> rolle zu fallen <strong>und</strong> näher auf sie einzugehen. Sie genießt dieses Spiel <strong>und</strong><br />

am Schluss verlässt sie das Café in <strong>der</strong> gewissheit, etwas Schönes erlebt zu haben.<br />

gerade weil diese Szene öffentlich dargestellt wurde, barg sie sehr viel intimitätsschutz<br />

in sich. <strong>Die</strong> ideengeberin im publikum teilte nur ein Stichwort („Frau im Café mit<br />

Kellner“) mit. es gab keine näheren auskünfte über sich als person o<strong>der</strong> rückfragen. es<br />

könnte sich bei dem Stichwort um eine Wunschvorstellung <strong>der</strong> ideengeberin gehandelt<br />

haben, um die erinnerung an ein reales erlebnis o<strong>der</strong> eine erinnerte Szene von jemand<br />

an<strong>der</strong>em. auch die im Steggreifspiel dargestellte Szene kann sich erheblich von den nur<br />

ihr bekannten phantasien <strong>der</strong> ideengeberin unterscheiden. <strong>Die</strong> Darstellung als solche<br />

spielte mit eher pantomimischen andeutungen <strong>und</strong> vermied es, dem Spiel eine wie auch<br />

immer geartete beziehungsrealität zwischen <strong>der</strong> Dame <strong>und</strong> dem Kellner zu geben. <strong>Die</strong><br />

idee des Spiels war vielmehr zu zeigen, dass träume <strong>und</strong> phantasien von Momenten<br />

ersehnter erotik zur menschlichen existenz gehören <strong>und</strong> gelebt werden dürfen.<br />

4.2 Soziometrische Fragestellungen <strong>und</strong> spontane paarvignetten<br />

psychodrama lebt vom darstellenden Handeln. Das psychodrama eröffnet den raum,<br />

neue rollen zu gestalten, alte rollenmuster zu durchschauen <strong>und</strong> mit neuen Verhaltensweisen<br />

zu experimentieren. Zerstrittene paare erleben einan<strong>der</strong> oft nicht mehr als aktiv<br />

handelnd, son<strong>der</strong>n als durch lang andauernde Streits mit Worten gelähmt. Hintergr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Streits können gegenseitige seelische Verletzungen sein <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Fähigkeit,<br />

sich in die realität des an<strong>der</strong>en hinein zu fühlen. Der beginn einer paarberatung mit<br />

soziometrischen Darstellungen zu <strong>der</strong> aktuellen <strong>und</strong> erwünschten beziehung <strong>der</strong> partner<br />

kann diese in einem positiven Sinne „verstören“: ein vorbereitetes Handlungsskript wird<br />

unterbrochen.<br />

typischerweise erwarten viele paare, dass sie dieses gemeinsame rollenmuster in<br />

<strong>der</strong> beratung fortführen können („So sind wir. So wollen wir gesehen werden“), <strong>und</strong> so<br />

für die beraterinnen komplementäre rollen festlegen wollen. aus <strong>der</strong> Sicht des paares<br />

dürfen die beraterinnen zunächst lediglich passive Zuschauer einer sattsam bekannten<br />

inszenierung sein. auffor<strong>der</strong>ungen wie „Könnten Sie bitte einmal möglichst ohne Worte<br />

darstellen, wie Sie jetzt zueinan<strong>der</strong> stehen?“ unterbrechen das gewohnte Streitmuster <strong>und</strong><br />

lenken das Denken auf etwas oft als überraschend <strong>und</strong> ungewohnt erlebtes interaktionsmuster,<br />

das neu überdacht werden muss. anstelle einer Re-Inszenierung <strong>der</strong> paardynamik<br />

wird die energie auf eine Neu-Inszenierung auf <strong>der</strong> basis vorhandener ressourcen des<br />

paares gelenkt, an <strong>der</strong> die paare aktiv mitwirken. auch die psychodramatischen paarberaterinnen<br />

können ihre rollen als regisseure <strong>der</strong> Neu-Inszenierung einnehmen. <strong>Die</strong><br />

Darstellung, wie das paar zueinan<strong>der</strong> steht, erfor<strong>der</strong>t eine bewusste abstimmung zwischen<br />

den partnerinnen. Selbst bei einer aufstellung <strong>der</strong> partnerinnen an den enden des<br />

Zimmers, den blick weit weg gewandt, die arme verschränkt, den blick durchs Fenster<br />

in die Ferne gerichtet <strong>und</strong> die Mimik verschlossen, ergeben sich häufig nach einer kurzen<br />

Zeit bewegungen: <strong>der</strong> eine partner wendet sich zu dem an<strong>der</strong>en, um zu sehen, ob dieser<br />

auch weit genug weg steht o<strong>der</strong> ob die botschaft, die mit <strong>der</strong> aufstellung verb<strong>und</strong>en<br />

ist, auch wahrgenommen wird. <strong>Die</strong> Wahrnehmung, dass beide partnerinnen weit<br />

auseinan<strong>der</strong> stehen, kann mit befriedigung aufgenommen werden, weil beide partnerinnen<br />

merken, dass sie in <strong>der</strong> Lage sind, sich über den zwischen ihnen hergestellten


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

Author's personal copy<br />

abstand zu verständigen. Damit kann die erkenntnis einhergehen, dass die partnerinnen<br />

emotional nicht so weit voneinan<strong>der</strong> entfernt sind, wie sie sich durch ihr festgefahrenes<br />

Streitmuster vermitteln wollten <strong>und</strong> eine wie<strong>der</strong> aufkeimende gegenseitige anerkennung.<br />

<strong>Die</strong>se wird in <strong>der</strong> soziometrischen Darstellung erlebbar: beide partnerinnen sehen vielleicht<br />

zum ersten Mal in dieser Weise das bild, das <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e partner von <strong>der</strong> beziehung<br />

o<strong>der</strong> einem teil <strong>der</strong> beziehung hat <strong>und</strong> kann in dem geschützten raum <strong>der</strong> psychodramatischen<br />

paarberatung darauf reagieren <strong>und</strong> seine eigene persönliche Sichtweise darstellen,<br />

ohne gefahr zu laufen, durch den an<strong>der</strong>en abgewertet, kommentiert <strong>und</strong> durch eigene<br />

Vorstellungen kolonialisiert zu werden. Das bewusstsein, die eigene Sicht <strong>und</strong> das eigene<br />

erleben <strong>der</strong> paarbeziehung offen zeigen zu können <strong>und</strong> die anerkennende reaktion des<br />

partners sind türöffner miteinan<strong>der</strong> mehr Nähe <strong>und</strong> berührungen zu wagen.<br />

Neben einer übereinstimmenden Darstellung bei<strong>der</strong> partnerinnen stellen diese oft auch<br />

unterschiedliche Szenarien auf: während <strong>der</strong> eine partner sich wegdreht, eilt <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

ihm nach <strong>und</strong> sucht den blick, die berührung, den Kontakt. aus <strong>der</strong> ursprünglich angedachten<br />

soziometrischen Darstellung entwickelt sich spontan eine Vignette o<strong>der</strong> eine<br />

paarskulptur, in <strong>der</strong> das paar typische interaktionsmuster darstellt, begleitet von spontanen<br />

reaktionen <strong>und</strong> gefühlen. Zielt die in diesen Momenten gezeigte Spontaneität auf<br />

eine spürbare bejahung <strong>der</strong> partnerin ab, kann dies von beiden partnern als einladende<br />

Nähe wahrgenommen werden. <strong>Die</strong>s sei an einem weiteren beispiel verdeutlicht.<br />

„Das einan<strong>der</strong> umkreisende Paar“: Herr K. stellt sich weit von seiner Frau entfernt<br />

ans Fenster. er schaut aus dem Fenster hinaus, sie bleibt an <strong>der</strong> tür des beratungszimmers<br />

stehen, blickt aber unverwandt mit einem teils abwartenden, teils auffor<strong>der</strong>nden<br />

blick in seine richtung. Nach einer Weile schaut Herr K. zu seiner<br />

Frau zurück, dreht sich um <strong>und</strong> beginnt langsam auf sie zuzugehen. auch Frau K.<br />

löst sich aus ihrer Haltung <strong>und</strong> bewegt sich auf ihren Mann zu, blickt ihn an <strong>und</strong><br />

weicht ihm, als er sich ihr nähert, aus. Frau K. versucht, ihren partner zu umkreisen,<br />

während Herr K. seinerseits ihr ausweicht <strong>und</strong> ebenfalls versucht, seine partnerin<br />

zu umkreisen. So entsteht eine sehr bewegte <strong>und</strong> bewegende Szene, in <strong>der</strong> beide<br />

partner unter ständigem blickkontakt Nähe <strong>und</strong> Distanz auszutarieren: endlos kreisend,<br />

in dichtem wortlosen austausch, <strong>der</strong> für die Konstanz <strong>und</strong> die abstimmung<br />

ihrer bewegungen unabdingbar ist. im spielerischen Handeln erfahren beide partner,<br />

dass seelische berührung <strong>und</strong> spontane Neugier („Du bist mir fremd <strong>und</strong> ich<br />

möchte Dich verstehen“) lebbar <strong>und</strong> erfahrbar sind.<br />

4.3 Momente <strong>der</strong> berührung <strong>und</strong> des Verstehens<br />

<strong>Die</strong> Qualität <strong>der</strong> partnerschaftlichen Kommunikation während <strong>der</strong> soziometrischen o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> sich aus ihr entwickelnden szenischen Darstellung zeigt sich im gegenseitigen blickkontakt,<br />

<strong>der</strong> anerkennung <strong>der</strong> Sichtweisen des an<strong>der</strong>en partners, <strong>der</strong> bereitschaft zu<br />

rückmeldungen, einer liebevollen achtsamkeit gegenüber dem partner <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fähigkeit<br />

zur Selbstreflexion (<strong>Schulz</strong> von Thun 2008).<br />

Das spürbare Vorhandensein einer guten partnerschaftlichen Kommunikation kann ein<br />

prognostisches Kriterium für das gelingen <strong>der</strong> paarberatung darstellen. es kann aber auch<br />

sein, dass die Fähigkeit zu einer guten partnerschaftlichen Kommunikation nicht mehr<br />

7


Author's personal copy<br />

8 a. <strong>Schulz</strong><br />

mit dem jetzigen Zustand <strong>der</strong> beziehung verknüpft ist, son<strong>der</strong>n verborgen in erinnerungen<br />

an früher o<strong>der</strong> Wunschvorstellungen über die Zukunft <strong>der</strong> beziehung schlummern.<br />

Hier gilt es gemeinsam mit dem paar Szenen <strong>und</strong> erlebnisse zu explorieren, in denen sich<br />

das paar besser verstand <strong>und</strong> mehr Nähe leben konnte.<br />

eine weitere Möglichkeit ist dabei nach <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> beziehung zu beginn <strong>der</strong><br />

Beziehung o<strong>der</strong> während <strong>der</strong> Beziehungsfindung zu fragen, jeweils wie<strong>der</strong>um aus <strong>der</strong><br />

Sicht bei<strong>der</strong> partner. <strong>Die</strong>s kann verbal geschehen („Was mag ihre partnerin aus ihrer<br />

Sicht bewogen haben mit ihnen eine Liebesbeziehung einzugehen?“) o<strong>der</strong> die partnerinnen<br />

werden gebeten aus ihrer bei<strong>der</strong> Sicht Szenen zu schil<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zu spielen aus<br />

<strong>der</strong> Zeit des Kennenlernens. allein die verbale erinnerung an den beginn <strong>der</strong> beziehung<br />

kann beide partnerinnen an Momente <strong>der</strong> Verliebtheit, <strong>der</strong> Sehnsucht nach dem an<strong>der</strong>en<br />

<strong>und</strong> das Wie<strong>der</strong>erleben, wie es kam, dass dieser Mensch so wichtig für das eigene<br />

Leben wurde, erinnern. <strong>Die</strong> erinnerung kann aber auch Schmerz hervorrufen, weil aus<br />

<strong>der</strong> momentanen Sicht des paares o<strong>der</strong> eines partners Vergangenes <strong>und</strong> verloren geglaubtes<br />

szenisch wie<strong>der</strong>belebt wird. <strong>Die</strong> erinnerung an den beginn <strong>der</strong> beziehung kann bei<br />

einem paar während <strong>der</strong> beratung spontane Nähe <strong>und</strong> emotionen (blickkontakt, Lächeln,<br />

Verlegenheit, Zärtlichkeit, sanfte berührungen) hervorrufen. in <strong>der</strong> paarberatung setzen<br />

sich paare in diesen Momenten oft liebevoll nebeneinan<strong>der</strong>, umarmen sich vielleicht. <strong>Die</strong><br />

szenische Darstellung <strong>der</strong> paarszenen, insbeson<strong>der</strong>e, wenn sie spontan auftreten, zielt<br />

immer darauf ab verborgene <strong>und</strong> verschüttete ressourcen zu wecken, emotionen wie<strong>der</strong><br />

spürbar zu machen zwischen den partnern <strong>und</strong> einen lebendigen Dialog über sich <strong>und</strong> ihre<br />

beziehung zu initiieren, sei es während <strong>der</strong> paarberatung o<strong>der</strong> in einem Zwiegespräch<br />

zuhause.<br />

Das folgende beispiel entstammt einer paargruppe mit dem titel „Herbstseminar für<br />

paare“, bei dem die teilnehmerinnen explizit dazu eingeladen waren, über ihre beziehungsgeschichte<br />

zu sprechen <strong>und</strong> diese anhand exemplarischer Szenen darzustellen. <strong>Die</strong><br />

ausschreibung wies auf drei gr<strong>und</strong>fragen: 1) Mittendrin: Wohin haben wir uns geführt?<br />

Wo stehen wir jetzt? bil<strong>der</strong> unserer beziehung; 2) Woher: Was haben wir miteinan<strong>der</strong><br />

erlebt? Wan<strong>der</strong>n durch die beziehungsgeschichte; 3) Wohin: Wohin wollen wir einan<strong>der</strong><br />

gemeinsam geleiten? Visionen <strong>und</strong> phantasien. Zu beginn des paarseminars stellten<br />

die paare in kurzen Szenen typische interaktionsbil<strong>der</strong> dar. <strong>Die</strong> Verwendung von Symbolfiguren<br />

verdeutlichte für das Paar wichtige Aspekte <strong>der</strong> Selbstwahrnehmung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

gegenseitigen Wahrnehmung. Der Rollentausch zwischen den Symbolfiguren/Partnern<br />

verdeutlichte, dass beide einan<strong>der</strong> in ihrer Darstellungsart annahmen, sich in den an<strong>der</strong>en<br />

hinein zu fühlen <strong>und</strong> sein erleben nachzuvollziehen <strong>und</strong> die interaktion zwischen den<br />

Symbolfiguren weiter zu entwickeln.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong>: Herr t. <strong>und</strong> Frau i. stellten ein für ihre beziehung<br />

typisches interaktionsverhalten in den Mittelpunkt. Herr t. sieht seine partnerin als<br />

raupe, die sich zu einem <strong>Schmetterling</strong> entfaltet, worauf er sehnsuchtsvoll wartet.<br />

als raupe sieht sie ihn als Löwen, als starken Mann, auf den sie stolz sein kann.<br />

Der Löwe wartet auf die Verwandlung <strong>der</strong> raupe in einen <strong>Schmetterling</strong>. <strong>Die</strong>se<br />

lässt immer wie<strong>der</strong> lange auf sich warten. in einem Symboltausch übernimmt Frau<br />

i. den Löwen, <strong>der</strong> zur <strong>Löwin</strong> wird – im rollentausch verän<strong>der</strong>t sich das geschlecht<br />

-, sie hält den <strong>Schmetterling</strong> liebevoll auf ihrem Schoß. <strong>Die</strong> Zärtlichkeit <strong>und</strong> Liebe


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

zwischen ihnen ist spürbar. Zwischendurch nimmt Herr t. seine partnerin in den<br />

arm, die ihn vor aller augen küsst. es wirkt spontan <strong>und</strong> aufrichtig, nicht grenzverletzend<br />

vor <strong>der</strong> gruppe.<br />

Was passiert mit dem Löwen, wenn die raupe sich zum <strong>Schmetterling</strong> verwandelt? Fliegt<br />

er davon? umschwirrt sie als <strong>Schmetterling</strong> den Löwen, pirscht <strong>der</strong> Löwe dem <strong>Schmetterling</strong><br />

nach o<strong>der</strong> welch an<strong>der</strong>e Spielart des Lebens können beide partner entwickeln,<br />

wenn die persönliche entwicklung fortgeführt wird? bietet sie als <strong>Löwin</strong> ihrem partner<br />

liebevollen Schutz? <strong>Die</strong> Verwendung von Symbolen o<strong>der</strong> Symbolfiguren hilft einerseits,<br />

bestimmte aspekte <strong>und</strong> ressourcen <strong>der</strong> partner <strong>und</strong> <strong>der</strong> partnerschaft zu verdeutlichen<br />

(Schönheit, beweglichkeit, Verspieltheit; Kraft, Stärke, ausdauer). <strong>Die</strong> intimität wurde<br />

nicht nur in einer liebevollen atmosphärischen Dichte zwischen den protagonisten spürbar,<br />

son<strong>der</strong>n offen-barte sich auch durch das erleben bei<strong>der</strong> partnerinnen, sich im Spiel <strong>der</strong><br />

Symbolfiguren als Paar emotional verständigen <strong>und</strong> verstehen zu können. <strong>Die</strong> Intimität<br />

liegt aber auch für beide partnerinnen in <strong>der</strong> sichtbaren gegenseitigen liebevollen<br />

annahme <strong>und</strong> <strong>der</strong> erwartung weiterer persönlicher Verän<strong>der</strong>ungen.<br />

Wie reagierten nun die an<strong>der</strong>en paare auf die plötzliche umarmung <strong>und</strong> den Kuss<br />

vor den augen <strong>der</strong> gruppe? einige waren verlegen <strong>und</strong> lachten fre<strong>und</strong>lich, einige paare<br />

schauten sich an – die Frauen eher als die Männer – niemand jedoch schaute beschämt<br />

weg.<br />

4.4 Schutzräume<br />

Author's personal copy<br />

Der Wunsch nach Schutz bei einem paar o<strong>der</strong> einem <strong>der</strong> partner kann so groß sein, dass<br />

zunächst auf jegliche szenische Darstellung verzichtet wird. Wurmser bezeichnet in<br />

diesem Zusammenhang die Scham als „Wächterin, die den Kern <strong>der</strong> integrität schützt“<br />

(1994, S. 70), vor allem auch vorbeugend: „Damit ich mich nicht schämen muss, verberge<br />

ich, was mir am teuersten ist“ (S. 71). Der Wunsch nach Schutz kann auf verschiedene<br />

art respektiert werden: einmal durch Verzicht auf das psychodramatische Spiel<br />

zugunsten eines längeren persönlichen Zwiegespräches, für das dem paar während <strong>der</strong><br />

Zeit <strong>der</strong> Paargruppe ein eigener Raum angeboten wurde. Häufig kommt es auch vor, dass<br />

<strong>der</strong> mutigere <strong>der</strong> beiden partnerinnen diesen Wunsch in <strong>der</strong> gruppe vorträgt. in diesem<br />

Fall wohnt dieser Handlung respekt gegenüber <strong>der</strong> partnerin inne. Der Wunsch nach<br />

abgrenzung wird akzeptiert <strong>und</strong> loyal unterstützt. an die Stelle eines „rollenspieles“<br />

tritt ein Zwiegespräch. in einem Nebenraum. Das Zwiegespräch im rahmen <strong>der</strong> paargruppe<br />

zielt darauf ab, themen anzusprechen, die bislang verschwiegen wurden. <strong>Die</strong><br />

Verwendung von Symbolen beim Zwiegespräch können wichtige aspekte verdeutlichen<br />

<strong>und</strong> das gespräch hierüber erleichtern. Für eine Zeitlang ist die gruppe nicht vollständig<br />

<strong>und</strong> das paar muss nach <strong>der</strong> rückkehr wie<strong>der</strong> über den Fortgang <strong>der</strong> gruppe informiert<br />

werden <strong>und</strong> Anschluss finden. <strong>Die</strong>ses Paar wirkt aber auch als Modell für die Gruppe o<strong>der</strong><br />

auch für das Verhalten des paares im jeweiligen alltag. abgrenzung ist erlaubt, sinnvoll<br />

<strong>und</strong> notwendig. <strong>und</strong> es ist das paar selbst, welches entscheidet. eine weitere Möglichkeit<br />

des Schutzes für das paar liegt in <strong>der</strong> Verdunklung <strong>der</strong> bühne für die an<strong>der</strong>en paare.<br />

Symbolisch kann dieser Schutz durch eine Wand aus tuch hergestellt werden. Das paar<br />

kann dann durch spontane abstimmung festlegen, welche Szenen vor <strong>der</strong> Wand auf <strong>der</strong><br />

offen einsehbaren bühne gespielt werden <strong>und</strong> wann beide o<strong>der</strong> manchmal auch nur einer<br />

9


10 a. <strong>Schulz</strong><br />

von ihnen die verhüllte bühne betritt. <strong>Die</strong>se Momente werden sowohl von den spielenden<br />

partnerinnen als auch den zuschauenden gruppenteilnehmerinnen aufmerksam <strong>und</strong><br />

wachsam verfolgt. berührt wird ein zentrales thema: es gibt intimitätsgrenzen zwischen<br />

partnerinnen. es gibt bereiche des Denkens, Fühlens <strong>und</strong> Handelns, wo partnerinnen<br />

sich nicht nur explizit unterscheiden, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> jeweilige partner bewusst ausgeschlossen<br />

wird. Was auf den ersten blick wie eine Zurückweisung erlebt werden mag, enthüllt<br />

bei genauerem Hinschauen eine zentrale Funktion für die gemeinsame beziehung: eine<br />

partnerschaft mag nur gelingen, wenn beide partner einan<strong>der</strong> dem raum lassen, dass<br />

je<strong>der</strong> sich als Mensch <strong>und</strong> Person achtet <strong>und</strong> pflegt. <strong>Die</strong>s erhält auch die Erotik, die bei zu<br />

großer Vertrautheit manchmal entschwinden kann.<br />

Das Spiegeln stellt eine weitere Variante dar, einem paar Schutz vor zu großer Offenheit<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> damit verb<strong>und</strong>enen Verletzbarkeit zu bieten. Hierbei werden den gruppenteilnehmerinnen<br />

thematisch kurze informationen gegeben <strong>und</strong> die an<strong>der</strong>en paare in <strong>der</strong><br />

gruppe spielen die Szenen auf <strong>der</strong> basis ihrer eigenen Lebenserfahrung. <strong>Die</strong>se mögen<br />

die Lebenserfahrungen des ideengebenden paares treffend aufgreifen <strong>und</strong> so unbewusste<br />

einfühlung beweisen (Zweifühlung). Sie können <strong>der</strong> thematik aber eine völlig an<strong>der</strong>e<br />

Spielart geben <strong>und</strong> so auf gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, die dem ideengebenden<br />

<strong>und</strong> zuschauenden paar bislang noch nicht in den Sinn kamen <strong>und</strong> so wertvolle anregungen<br />

für das paar geben.<br />

4.5 Dynamik <strong>der</strong> Herkunftsfamilien<br />

Author's personal copy<br />

Menschen unterscheiden sich auch in <strong>der</strong> art, was sie als schützenswert in ihrem Leben<br />

ansehen, wie sie sich schützen <strong>und</strong> wie sie mit Verletzungen dieser Schutzzonen umgehen.<br />

<strong>Die</strong> entscheidung, was als persönlich <strong>und</strong> schützenswert angesehen wird, ist abhängig<br />

von gesellschaftlichen Vorgaben, erfahrungen in <strong>der</strong> Herkunftsfamilie <strong>und</strong> selber entwickelten<br />

Vorstellungen <strong>und</strong> Überzeugungen. in einer partnerschaft ist die Verständigung<br />

darüber, was ureigenes terrain <strong>der</strong> partnerschaft ist <strong>und</strong> was gegenüber an<strong>der</strong>en Menschen<br />

offenbart werden darf, von zentraler bedeutung für die paarbeziehung. Verletzungen<br />

dieser grenzen können schnell als illoyalität aufgefasst werden. gleichzeitig bedarf<br />

es eines längeren gemeinsamen Lernens an alltäglichen erfahrungen, um zu verstehen<br />

<strong>und</strong> zu begreifen, wo diese grenzen für die eigene partnerschaft sind. Das gespräch über<br />

persönliche Wünsche <strong>und</strong> grenzen kann für junge paare, <strong>der</strong>en eigene identität als paar<br />

noch nicht ausgereift ist, angstbesetzt sein. psychodramatische aufstellungen <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Herkunftsfamilien können dabei helfen zu verstehen, welche Lebensvorstellungen<br />

früherer generationen in den Herkunftsfamilien bei<strong>der</strong> partner verwirklicht wurden.<br />

psychodramatische aufstellungen <strong>und</strong> Familienskulpturen zielen auf die Darstellung<br />

des familiären beziehungsnetzes mit seinen bewussten <strong>und</strong> unbewussten Strebungen aus<br />

<strong>der</strong> persönlichen Sicht des protagonisten ab <strong>und</strong> erfolgen in Selbsterfahrungsgruppen.<br />

Sie dienen <strong>der</strong> Reflexion <strong>der</strong> eigenen Identität <strong>und</strong> <strong>der</strong> persönlichen Entwicklung. <strong>Die</strong><br />

Reflexion verläuft dann ohne den realen Partner mit seinen spontanen Reaktionen, Kommentaren<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Konfrontation mit einer ganz an<strong>der</strong>s erlebten realität, die die erlebte<br />

realität <strong>der</strong> protagonistin durch neue aspekte ergänzen o<strong>der</strong> sogar aufheben kann. <strong>Die</strong><br />

anwesenheit des partners bei einer aufstellung <strong>der</strong> eigenen Herkunftsfamilie kann für die<br />

partnerschaft durchaus befruchtend sein. Der partner kann aus seiner Sicht die beziehung


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

Author's personal copy<br />

seiner partnerin zu ihrer Herkunftsfamilie mit neuen aspekten <strong>und</strong> impulsen bereichern.<br />

<strong>Die</strong>ser prozess kann wechselseitig sein.<br />

<strong>Die</strong> psychodramatische aufstellung <strong>der</strong> eigenen Herkunftsfamilie vor dem partner<br />

erfor<strong>der</strong>t sehr viel gegenseitiges Vertrauen, achtsamkeit <strong>und</strong> respekt. <strong>Die</strong> psychodramatische<br />

Aufstellung <strong>der</strong> Herkunftsfamilie in Gegenwart des Partners ist häufig mit dem<br />

Wunsch nach Verständnis <strong>der</strong> protagonistin für ihre eigenen Handlungen in <strong>der</strong> Familie<br />

verb<strong>und</strong>en. Verän<strong>der</strong>ungen in den persönlichen Haltungen sind oft erst möglich, wenn<br />

die eigene bisherige Haltung auf Verständnis, emotionales Verstehen, respekt <strong>und</strong> achtung<br />

trifft. <strong>Die</strong>s gilt insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn in <strong>der</strong> einen Herkunftsfamilie persönliche<br />

grenzen <strong>und</strong> intimitätsgrenzen nicht beachtet o<strong>der</strong> gar willentlich verletzt wurden, die<br />

abgrenzung <strong>der</strong> Familie nach außen aber sehr starr ist, während in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Herkunftsfamilie<br />

offenere grenzen nach außen üblich waren, persönliche grenzen innerhalb<br />

<strong>der</strong> Familie aber sehr genau beachtet wurden. <strong>Die</strong> fre<strong>und</strong>liche einladung des partners, <strong>der</strong><br />

offene grenzen kennt <strong>und</strong> schätzt, kann bei <strong>der</strong> partnerin Verwirrung hervorrufen, wenn<br />

diese die fre<strong>und</strong>liche einladung mit <strong>der</strong> interpretationsfolie <strong>der</strong> beziehungserfahrungen<br />

<strong>der</strong> eigenen Herkunftsfamilie wahrnimmt <strong>und</strong> abweisend reagiert, weil sie sich in ihrem<br />

Wunsch nach abgrenzung (bei gleichzeitiger Liebessehnsucht) bedroht fühlt.<br />

Zu Verdeutlichung seien zwei kleinere Szenen skizziert:<br />

„<strong>Die</strong> Festung“: Frau L., eine junge Frau von 23 Jahren, stellte ihre Familie in einem<br />

engen Kreis zu dem Zeitpunkt, als sie 5 Jahre alt war, auf. „Wir halten fest zusammen“,<br />

sprach <strong>der</strong> Vater (35) <strong>und</strong> hielt alle an<strong>der</strong>en mit den Händen <strong>und</strong> seinen blicken<br />

fest. <strong>Die</strong> Mutter (28) blickt zu boden. <strong>Die</strong> kleinen töchter schweigen stumm.<br />

„ich bestimme hier, wer da draußen was von unserer Familie erfährt. Man kann<br />

niemandem vertrauen außerhalb <strong>der</strong> eigenen Familie“. in einer weiteren Szene hält<br />

er seine tochter (die protagonistin) fest im arm. Sie windet sich. „als Kind konnte<br />

ich noch nichts offen sagen, aber jetzt achte ich sehr darauf, dass in meinen beziehungen<br />

meine grenzen beachtet werden“. im Kontakt mit ihrem partner achtet sie<br />

darauf, dass ihre grenzen beachtet werden <strong>und</strong> genießt es immer wie<strong>der</strong>, wenn<br />

ihr partner dies tut. Sie möchte ihn aber auch nicht durch rückzug zurückweisen.<br />

Daneben steht ihr Wunsch mehr von sich zu zeigen. <strong>Die</strong>se Wünsche lassen sich<br />

schon oft kongruent verfolgen, manchmal stehen sie im Wi<strong>der</strong>streit. Wenn sie auf<br />

ihre grenzen achtet, „hört“ sie zeitweilig noch die Stimme ihres Vaters wie einen<br />

Kommentar. Sie möchte lernen, selber zu entscheiden <strong>und</strong> sicher zu sein, wann<br />

sie etwas von sich selber offenbart <strong>und</strong> sich nicht mehr schämen müssen für eine<br />

eigene entscheidung. ihren partner hat sie sich zielsicher aus einer Familie gewählt,<br />

die sehr offen im Kontakt mit an<strong>der</strong>en ist, aber auch ihre eigenen Familiengeheimnisse<br />

wahren kann. Seine Familie wird in einem kurzen Spiel dargestellt, in dem<br />

die eltern <strong>und</strong> die vier geschwister alle wild durcheinan<strong>der</strong> reden, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>innen auftauchen <strong>und</strong> viel gelacht wird.<br />

Durch die Darstellung <strong>der</strong> Herkunftsfamilie wurde die innere Dynamik <strong>der</strong> partnerin<br />

deutlich. Der schnelle Wechsel von unsicherer Offenheit, plötzlichem rückzug ins Nachdenken<br />

<strong>und</strong> manchmal schroffer abgrenzung gegenüber dem partner, den sie aber auch<br />

schnell bereut, beinhaltete keine botschaft <strong>der</strong> Zurückweisung des partners, son<strong>der</strong>n war<br />

ausdruck einer Suche nach dem eigenen <strong>und</strong> dessen Lebbarkeit in <strong>der</strong> für sie wertvol-<br />

11


12 a. <strong>Schulz</strong><br />

len beziehung. <strong>Die</strong> Darstellung <strong>der</strong> Herkunftsfamilie sollte vor allem verdeutlichen, auf<br />

welchem beziehungs-hintergr<strong>und</strong> die protagonistin bestimmte bereiche als intim <strong>und</strong><br />

schützenswert ansah. auf diese Weise sollte <strong>der</strong> lebendige Dialog des paares über das,<br />

was je<strong>der</strong> von ihnen für sich selbst als persönlichsten bereich ansah, geför<strong>der</strong>t <strong>und</strong> bereichert<br />

werden.<br />

Der partner spielte mit Hilfe <strong>der</strong> gruppe kurz eine typische Szene seiner eigenen Herkunftsfamilie<br />

an.<br />

„Offene Grenzen“: <strong>Die</strong> Familienmitglie<strong>der</strong> bewegten sich schnell auf <strong>der</strong> bühne.<br />

Sie gingen aufeinan<strong>der</strong> zu, redeten miteinan<strong>der</strong>, wandten sich dann wie<strong>der</strong> neu<br />

ankommenden besuchern zu, <strong>und</strong> luden diese zu gemeinsamen gesprächen <strong>und</strong><br />

aktivitäten ein. Zwischendurch hob das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Familienmitglied die<br />

Hände, schüttelte den Kopf, was mit einem respektvollen Kopfnicken beantwortet<br />

wurde. trotz <strong>der</strong> bereitschaft, an<strong>der</strong>e Menschen fre<strong>und</strong>lich aufzunehmen, verlor<br />

diese Familie nicht ihre eigene identität.<br />

intimität zwischen den partnerinnen entsteht, wenn die angst vor einer Wie<strong>der</strong>holung<br />

gewohnter beziehungsmuster sich durch Verstehen <strong>der</strong> Hintergründe <strong>der</strong> beziehungserfahrungen<br />

des Partners ansprechen <strong>und</strong> auflösen lassen. <strong>Die</strong> Reflexion <strong>der</strong><br />

beziehungsmuster <strong>der</strong> Herkunftsfamilien in gegenwart des partners hilft so, sich von<br />

situationsinadäquaten Handlungs- <strong>und</strong> rollenmustern <strong>der</strong> Vergangenheit („Schatten <strong>und</strong><br />

geister“) zu verabschieden (ben<strong>der</strong> <strong>und</strong> Stadler 2012, S. 184) <strong>und</strong> neue gestaltungsfreiheiten<br />

zu gewinnen.<br />

4.6 Symbole<br />

Author's personal copy<br />

Willi (2002) weist daraufhin, dass das ausleben erotischer <strong>und</strong> sexueller phantasmen <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>en uneingeschränkte Offenbarung gegenüber dem partner o<strong>der</strong> partnerin, wie es in<br />

den 70er Jahren gefor<strong>der</strong>t wurde, sich in <strong>der</strong> praxis nicht als lebbar erwies (S. 95). Das<br />

Sich – Fremdbleiben im Sich-begegnen sieht er vielmehr als eine wichtige Voraussetzung<br />

<strong>der</strong> Lebendigkeit <strong>und</strong> Dynamik <strong>der</strong> Liebe. er führt aus, dass die Liebesdynamik zu allzu<br />

viel Vertrautheit, Nähe <strong>und</strong> Harmonie, tendiert, was nicht nur die sexuelle Spannung aufhebt,<br />

son<strong>der</strong>n ganz allgemein die Dynamik <strong>der</strong> partnerschaft (S. 96). <strong>Die</strong> Wahl von Symbolen<br />

o<strong>der</strong> einer metaphorischen Sprache in <strong>der</strong> paarberatung (Haley 2010, S. 151 ff.,<br />

S. 225 ff.) bewahren vor mancher als beschämend <strong>und</strong> verletzend erlebter Offenheit, die<br />

gefahr läuft, spontane emotionale abwehrreaktionen hervorzurufen.<br />

Zur Vorbereitung von Zwiegesprächen über die beziehung werden die paare gebeten,<br />

bil<strong>der</strong> zu den themen, die sie besprechen wollen, zu malen o<strong>der</strong> Symbole für die<br />

themen zu wählen. Symbole wie bil<strong>der</strong> bedürfen <strong>der</strong> erklärung, rufen bei dem an<strong>der</strong>en<br />

phantasien hervor, über die sich die paare austauschen können („ich freue mich, dass<br />

Du Dein Herz so groß gemalt hast“. „Das da neben Dir soll wohl ich sein? Das hätte<br />

ich nie gedacht, dass Du mich noch so nahe haben wolltest“. „Der Stein steht für unsere<br />

beziehung. Sie ist hart geworden. Keine Kummertränen weichen ihn auf“ „<strong>Die</strong>se junge<br />

wartende Frau auf dem Laub im Wald bin ich <strong>und</strong> ich will, dass Du mich so siehst“.) <strong>Die</strong><br />

Wahrnehmung von Symbolen <strong>und</strong> bil<strong>der</strong>n ist intuitiv umfangreicher <strong>und</strong> direkter als die<br />

aufnahme von Worten alleine. Symbole <strong>und</strong> bil<strong>der</strong> regen zu spontanen reaktionen an


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

<strong>und</strong> erweitern die interaktionsdynamik. Das Hin- <strong>und</strong> Herwan<strong>der</strong>n im Dialog zwischen<br />

<strong>der</strong> Hinwendung zum partner <strong>und</strong> eigener Nachdenklichkeit <strong>und</strong> besinnung beim blick<br />

auf die bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Symbole dient <strong>der</strong> inneren erholung <strong>und</strong> entspannung während des<br />

emotional intensiven Dialoges. Symbole <strong>und</strong> bil<strong>der</strong> zeigen einiges, was Worte verhüllen,<br />

offenbaren aber nicht alles. Je<strong>der</strong> <strong>der</strong> partnerinnen mag für sich entscheiden, wie <strong>und</strong> wie<br />

offen die Symbole erklärt <strong>und</strong> interpretiert werden.<br />

4.7 geschenke<br />

auch das Überreichen von beziehungsgeschenken an den partner o<strong>der</strong> die partnerin<br />

kann Nähe <strong>und</strong> intimität in <strong>der</strong> partnerschaft för<strong>der</strong>n. Das Vorgehen ähnelt dem des Zauberladens<br />

(gellert <strong>und</strong> Nowak, 2004, S. 394). beim Zauberladen werden persönliche<br />

Fähigkeiten gegen erwünschte Fähigkeiten, über die an<strong>der</strong>e gruppenteilnehmer verfügen,<br />

ausgetauscht. Das Verhandeln <strong>und</strong> <strong>der</strong> austausch von Fähigkeiten („ich gebe Dir<br />

etwas von meiner Spontaneität <strong>und</strong> Du verrätst mir, wie Du es fertig bringst, so klar zu<br />

strukturieren“) stärkt die beziehung <strong>und</strong> gibt ihr neue impulse. auf einen kleinen tisch,<br />

<strong>der</strong> zwischen o<strong>der</strong> neben den partnern steht, stellen beide Symbole für Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Fähigkeiten auf, die in die beziehung eingebracht werden. eine uhr <strong>und</strong> eine<br />

Fe<strong>der</strong> stehen z. b. für mehr gemeinsame Zeit für Zärtlichkeiten, eine blume als Zeichen<br />

zur Bereitschaft für mehr Offenheit, eine wie<strong>der</strong> aufflammende Fackel für Erotik <strong>und</strong><br />

Leidenschaft.<br />

Symbolische beziehungsgeschenke entfalten erst ihre volle Wirkung, wenn die partnerinnen<br />

im Verlaufe einer intensiven auseinan<strong>der</strong>setzung ein tiefes Vertrauen <strong>und</strong><br />

gegenseitige glaubwürdigkeit wie<strong>der</strong> erlangt haben. <strong>Die</strong> beziehungsversprechen, die mit<br />

den geschenken ausgedrückt werden, werden von den partnerinnen gerade dann erst<br />

angenommen, wenn die art <strong>der</strong> präsentation seelisch berührt. Stottern <strong>und</strong> Stammeln,<br />

suchende bewegungen, fragende blicke <strong>und</strong> kurze berührungen, Stille <strong>und</strong> ein tieferer<br />

atem zeugen in diesen Momenten von aufrichtigkeit. <strong>Die</strong> annahme eines geschenkes<br />

kann das Versprechen in sich bergen, den an<strong>der</strong>en mit seinem geschenk <strong>und</strong> ihn selber<br />

als geschenk anzunehmen <strong>und</strong> nicht scheitern zu lassen. Was auch immer inhalt des Versprechens<br />

sein mag, ob mehr Offenheit, liebevolle achtsamkeit im alltag, mehr gemeinsame<br />

Zeit o<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e kleine gesten <strong>der</strong> aufmerksamkeit: es geht um die Stärkung<br />

<strong>der</strong> gegenseitigen bezogenheit. in dem geschenk zeigt sich aber auch, inwieweit es den<br />

Schenkenden gelungen ist sich emotional darin einzufühlen, wonach sich <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

sehnt <strong>und</strong> wie er/sie ist als Mensch. geschenke symbolisieren wie weit die erkenntnis<br />

über den partner/die partnerin gelungen ist.<br />

4.8 paarskulpturen<br />

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<strong>Die</strong> entwicklung zu mehr Nähe, gegenseitigem Vertrauen <strong>und</strong> spürbaren emotionen zeigt<br />

sich auch in bewegten <strong>und</strong> bewegenden paarskulpturen. <strong>Die</strong>se lassen sich immer wie<strong>der</strong><br />

als Selbstreflexion in die Beratung einbinden. „Sie schauen sich in <strong>der</strong> letzten Zeit viel<br />

öfter an als früher. Kann dies ein Zeichen von mehr Verb<strong>und</strong>enheit miteinan<strong>der</strong> sein, das<br />

Sie in <strong>der</strong> letzten Zeit entwickelt haben? Könnten Sie diese Verb<strong>und</strong>enheit ohne Worte<br />

einmal aus ihrer Sicht als Mann <strong>und</strong> aus ihrer Sicht als Frau darstellen?“ <strong>Die</strong> Nähe ent-<br />

13


14 a. <strong>Schulz</strong><br />

steht dadurch, dass <strong>der</strong> Fokus <strong>der</strong> Wahrnehmung bewusst auf beide partner gelegt wird<br />

<strong>und</strong> so gegenseitige Neugier för<strong>der</strong>t („ich wusste gar nicht mehr, dass Du mich mit solchen<br />

augen ansehen kannst. Was kann ich tun, damit Du mich öfter so anschaust – <strong>und</strong><br />

es natürlich auch von Dir aus willst, sonst hat es ja auch keinen Zweck“). paarskulpturen<br />

aus <strong>der</strong> Sichtweise bei<strong>der</strong> partner verstehe ich als vorsichtige einladung einan<strong>der</strong> wie<strong>der</strong><br />

näher zu kommen.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Paarberatung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Paargruppen lächeln sich die Paare häufiger an,<br />

ihre Bewegungen sind freier <strong>und</strong> fließen<strong>der</strong>, die Bewegungsräume, die die Partner einan<strong>der</strong><br />

einräumen, sind größer geworden. in einer paargruppe wurden die paare in größeren<br />

abständen aufgefor<strong>der</strong>t: „Wenn ihre partnerschaft sich als so etwas wie ein tanz verstehen<br />

ließe, welcher tanz wäre dies <strong>und</strong> wie würden Sie ihn tanzen?“ ein tanzendes<br />

paar wechselt von einem holprigen Walzer zum tango. ein an<strong>der</strong>es paar bleibt einige<br />

Momente stehen, dann bewegen sie sich je<strong>der</strong> für sich aufeinan<strong>der</strong> zu. Sie hebt die Hand.<br />

er lächelt <strong>und</strong> geht auf sie zu. Dann beginnen sie einen langsamen Schreittanz. <strong>Die</strong>se beispiele<br />

entstammen einer paargruppe. <strong>Die</strong> beziehungstänze weisen in <strong>der</strong> gruppe einen<br />

öffentlichen Charakter auf: so stellen wir uns dar vor den an<strong>der</strong>en. in Momenten <strong>der</strong><br />

Spontaneität wird daraus ein „So sind wir“.<br />

Wenn bereiche <strong>der</strong> intimität angesprochen werden, schwingen in den paarskulpturen<br />

andeutungen mit Symbolkraft für das paar mit. erotik <strong>und</strong> begehren müssen nicht<br />

detailliert gezeigt werden: oft genügt ein versteckter Hinweis, <strong>der</strong> für beide partner verständlich<br />

ist. Ein Paar steht aufrecht nebeneinan<strong>der</strong>. Sie schauen sich an. Er pflückt eine<br />

rose <strong>und</strong> reicht sie ihr. Sie nimmt diese lächelnd entgegen <strong>und</strong> freut sich. ein an<strong>der</strong>es<br />

paar kuschelt sich auf einer bank. ein junges paar läuft lachend <strong>und</strong> tuschelnd hinter den<br />

Vorhang <strong>der</strong> bühne. in den paarskulpturen, bewusst gestellt o<strong>der</strong> spontan entstanden, verdichten<br />

sich die neuen beziehungserfahrungen <strong>und</strong> erfahren ihre bestätigung.<br />

5 Erfahrungsräume<br />

Author's personal copy<br />

Systemisch ausgerichtete beraterinnen sehen Kontakt zwischen Menschen als etwas<br />

Natürliches <strong>und</strong> Spontanes an <strong>und</strong> fragen nach den bedingungen, unter denen Menschen<br />

diesen Kontakt aktiv verhin<strong>der</strong>n (Schlippe <strong>und</strong> Schweitzer 2010). <strong>Die</strong>ser gr<strong>und</strong>gedanke<br />

lässt sich auch auf das psychodrama übertragen. auf <strong>der</strong> psychodramatischen bühne erleben<br />

die protagonistinnen, wie sie sich behutsam aus emotionalen Verstrickungen lösen,<br />

sich von einengenden beziehungsmustern ihrer Herkunftsfamilien verabschieden, alte<br />

regeln, die nicht zu ihnen passen, verwerfen <strong>und</strong> langsam lernen authentischer zu fühlen,<br />

zu denken <strong>und</strong> zu handeln. beim rollentausch erfahren sie, wie die Welt <strong>und</strong> sie selber<br />

aus <strong>der</strong> Sicht des an<strong>der</strong>en erlebt werden. <strong>Die</strong>se erlebnisse lassen Zärtlichkeit, erotik<br />

<strong>und</strong> Sexualität wie<strong>der</strong> aufleben als wesentliche Ressourcen lieben<strong>der</strong> Beziehungen. <strong>Die</strong><br />

alten geister werden verabschiedet, die bühne gewinnt an raum, die protagonistinnen<br />

gewinnen an innerer Freiheit <strong>und</strong> mehr Vertrauen in sich selber. auf dieser freigeräumten<br />

bühne lässt sich atmen. auch gemeinsam.


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

6 Liebesverletzungen<br />

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Das folgende beispiel entstammt dem letzten Drittel einer einjährigen psychodramagruppe<br />

zum thema „eigene Wege gehen“, ein ergänzendes angebot für Menschen, die<br />

sich zur trennung ihrer partnerschaft entschieden hatten, verlassen worden waren o<strong>der</strong><br />

innerlich ambivalent waren, ob sie die partnerschaft weiterführen o<strong>der</strong> eigene Wege<br />

gehen wollten. Ziel <strong>der</strong> gruppe war, sich mit den Folgen <strong>und</strong> auswirkungen von Liebesverletzungen<br />

auseinan<strong>der</strong> zu setzen, die erfahrungen zu verarbeiten <strong>und</strong> die Fähigkeit für<br />

neue befriedigende beziehungen zu wie<strong>der</strong>zuerlangen.<br />

Fehlende anerkennung, mangelndes einfühlungsvermögen, bewusste Verletzungen<br />

<strong>und</strong> Demütigungen zerstören auf Dauer intime beziehungen, die auf lieben<strong>der</strong> Nähe,<br />

achtsamer Zärtlichkeit <strong>und</strong> menschlicher Hingabe, Vertrauen <strong>und</strong> erotik aufgebaut sind.<br />

Liebes-verletzungen können je nach grad <strong>der</strong> erlebten Verletzung tiefe enttäuschung, lähmende<br />

Angst, grenzenlose Wut, aufflackern<strong>der</strong> Zorn o<strong>der</strong> auch blanker Hass hervorgerufen<br />

werden. <strong>Die</strong>se gefühle sind dann oft begleitet von dem Wunsch, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e solle „am<br />

eigenen Leibe spüren, was er mir angetan hat“. <strong>Die</strong>se gefühle, die die noch bestehende<br />

innere Verbindung zu dem partner wi<strong>der</strong>spiegeln, können in dem Wunsch o<strong>der</strong> <strong>der</strong> phantasie<br />

münden, den Menschen, <strong>der</strong> sie verletzt hat, ebenso zu verletzen o<strong>der</strong> gar zu töten.<br />

<strong>Die</strong> Offenbarung dieser phantasien ruft bei einigen protagonistinnen gefühle <strong>der</strong> Schuld<br />

(„Darf ich so etwas denken <strong>und</strong> fühlen?“) hervor, aber auch erleichterung hervor, dass<br />

diese gefühle gezeigt werden können <strong>und</strong> in <strong>der</strong> psychodramagruppe respektiert werden<br />

als Wunsch nach Vergeltung <strong>und</strong> gerechtigkeit. bei <strong>der</strong> Vergeltungs-Aggression geht es<br />

darum, einen Wi<strong>der</strong>sacher zu bestrafen, um das verletze Gerechtigkeitsempfinden o<strong>der</strong><br />

Selbstwertgefühl wie<strong>der</strong> herzustellen (Hutter 2007, S. 11). <strong>Die</strong> tiefe <strong>der</strong> gefühle trägt<br />

dabei <strong>der</strong> bedeutung rechnung, die <strong>der</strong> zerbrochenen partnerschaft beigemessen wird.<br />

<strong>Die</strong> szenische umsetzung griff die phantasien <strong>der</strong> protagonistin auf <strong>und</strong> half ihr, die<br />

emotionale basis dieser phantasien zu begreifen. <strong>Die</strong> Konkretisierung <strong>der</strong> phantasien in<br />

<strong>der</strong> psychodramatischen inszenierung zielte nicht darauf ab, die starken emotionen noch<br />

weiter anzuheizen <strong>und</strong> unkontrolliert umzusetzen, son<strong>der</strong>n wollten für die protagonistin<br />

eine bühne schaffen, in <strong>der</strong> sie ohne reale gefahr für an<strong>der</strong>e Menschen <strong>und</strong> für sich selber<br />

die beweggründe ihrer phantasien begreifen <strong>und</strong> die Kraft, die in den aggressionen<br />

steckte, für sich selber verwenden konnte. eine leichte Verfremdung in <strong>der</strong> inszenierung<br />

half dabei, dass die phantasien <strong>und</strong> die sie begleitenden gefühle von Schuld <strong>und</strong> Scham<br />

nicht ins grenzenlose wucherten <strong>und</strong> ängste schürten.<br />

„Du sollst spüren“: Frau L. berichtete in <strong>der</strong> gruppe über ihre Wut auf ihren ehemaligen<br />

partner, <strong>der</strong> sie geschlagen hatte <strong>und</strong> sie zu Sexualität hatte zwingen wollen.<br />

Nach einigem Zögern <strong>und</strong> vorsichtigen blicken sagte sie, dass sie den Wunsch verspüre<br />

diesen Mann mit einem Messer zu verletzen, damit er merke, wie weh er ihr<br />

getan hatte. Sie habe angst vor ihrem gefühl <strong>und</strong> es gäbe auch eine Stimme in ihr,<br />

die sie davon abhalte, ihn real zu verletzen. Für die psychodramatische inszenierung<br />

wählte sie eine Stellvertreterin, <strong>der</strong> sie ein unsichtbares Messer überreichte, das sie<br />

vor <strong>der</strong> gruppe beschrieb. Das Messer sollte kleine Zacken haben <strong>und</strong> war aus einer<br />

Reihe fiktiver unterschiedlicher Messer, die ihr <strong>der</strong> Psychodramatherapeut vorlegte,<br />

gewählt. („Hier ist ein Koffer mit unterschiedlichen Messern. Schauen Sie bitte ein-<br />

15


Author's personal copy<br />

16 a. <strong>Schulz</strong><br />

mal hin <strong>und</strong> beschreiben Sie, was Sie sehen <strong>und</strong> was Sie wählen.“) <strong>Die</strong> protagonistin<br />

gab ihrer Stellvertreterin regie-anweisungen, wie diese das unsichtbare Messer<br />

führen, wie sie sich dabei bewegen <strong>und</strong> was sie dabei sagen solle. <strong>Die</strong> bewegungen<br />

wurden dabei – auf anregung des psychodrama-therapeuten – bewusst in Zeitlupe<br />

durchgeführt. <strong>Die</strong> Verlangsamung gab <strong>der</strong> protagonistin die Möglichkeit, sich auf<br />

die in einem kurzen Moment ablaufenden gedanken <strong>und</strong> gefühle zu konzentrieren<br />

<strong>und</strong> diese offen zu verbalisieren (von ameln et. al. 2004, S. 82). Während die Stellvertreterin<br />

das unsichtbare Messer langsam hob, die protagonistin anschaute <strong>und</strong><br />

auf ihre anweisungen wartete, offenbarte die protagonistin ihre absicht <strong>und</strong> ihre<br />

gefühle: „Du hast mich verletzt. Du sollst spüren wie weh Du mir getan hast. Du<br />

sollst spüren, welche angst ich hatte, als Du mich bedrohtest.“ <strong>Die</strong> Stellvertreterin<br />

hob behutsam das Messer höher <strong>und</strong> hielt blickkontakt mit <strong>der</strong> protagonistin. Je<strong>der</strong><br />

bewegung des unsichtbaren Messers entsprach eine seelische o<strong>der</strong> körperliche Verletzung<br />

<strong>der</strong> protagonistin. Der ehemalige partner wurde durch ein großes Kissen<br />

symbolisiert, das zwei gruppenmitglie<strong>der</strong> hochhielten. Der in <strong>der</strong> gruppe anwesende<br />

Mann war nicht bereit, sich für diese rolle zur Verfügung zu stellen. Zudem<br />

erwartete die protagonistin keine konkrete interaktion zwischen ihr <strong>und</strong> ihrem ehemaligen<br />

partner. Das Ziel dieser Szene war nicht die beziehungsklärung o<strong>der</strong> Vorbereitung<br />

auf eine beziehungsklärung, son<strong>der</strong>n die Wie<strong>der</strong>herstellung eines inneren<br />

gleichgewichtes <strong>der</strong> protagonistin. Zu dieser Dynamik passte es auch, dass <strong>der</strong> ehemalige<br />

partner in <strong>der</strong> psychodramatischen inszenierung nicht aktiv handeln durfte.<br />

Zwischendurch standen einige gruppenteilnehmerinnen auf, stellten sich hinter das<br />

Kissen, das den ehemaligen Partner <strong>der</strong> Protagonistin repräsentierte <strong>und</strong> fingen an<br />

wimmernd zu doppeln: „tu mir nichts.“ „ich habe angst.“ „ich will nicht sterben.“<br />

„Hilfe!“ „Das Messer tut weh.“ <strong>Die</strong>ses Wimmern rief bei <strong>der</strong> protagonistin<br />

eine sichtbare Zufriedenheit hervor. Sie ging von <strong>der</strong> bühne, gab noch einmal<br />

eine anweisung an ihre Stellvertreterin, schaute sich die Szene in einem sicheren<br />

abstand an <strong>und</strong> beendete dann die psychodramatische inszenierung.<br />

in <strong>der</strong> Nachbesprechung äußerte die protagonistin, dass sie nun nach <strong>der</strong> dem rollenspiel<br />

gar kein Verlangen mehr verspüre, ihren ehemaligen partner zu verletzen, was sie selber<br />

sehr beruhigte (Katharsis). <strong>Die</strong> als-ob-erfahrung auf <strong>der</strong> psychodramatischen bühne <strong>und</strong><br />

das anschließende Sharing in <strong>der</strong> gruppe reichten aus, um einen ersten mutigen Schritt<br />

zu unternehmen, von verletzenden erfahrungen vorsichtig abstand nehmen zu können.<br />

Nach Moreno ist Katharsis ein von emotionalem <strong>und</strong> kognitivem Verstehen getragener<br />

integrationsprozess, in dem Fragmentierung <strong>und</strong> Destruktion im einzelnen, beziehungen<br />

<strong>und</strong> sozialen bezügen überw<strong>und</strong>en wird (Hutter 2007, S. 21 f.).<br />

<strong>Die</strong> Verwendung eines Symbols für den ehemaligen partner (das Kissen) hat mehrere<br />

gründe. Der Versuch <strong>der</strong> besetzung <strong>der</strong> rolle mit einem konkreten Menschen kann bei<br />

diesem massiven Wi<strong>der</strong>stand hervorrufen („So bin ich nicht. Das spiele ich auch nicht.“).<br />

eigene gewalterfahrungen, die bislang auf emotionalem abstand gehalten wurden, o<strong>der</strong><br />

erfahrungen etwas unerträgliches aushalten zu müssen o<strong>der</strong> etwas unerträglichem ausgeliefert<br />

zu sein, können sich im Spiel durch heftige psychische <strong>und</strong> psychosomatische<br />

reaktionen (ängste, Hyperventilation, atemnot) äußern <strong>und</strong> den rahmen des psychodramatischen<br />

Spiels sprengen. ein Symbol bietet für die protagonistin <strong>und</strong> die gruppen-


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

teilnehmer eine offene Reflexionsfläche, die beliebig mit eigenen Erfahrungen gefüllt<br />

werden kann.<br />

7 Erotische Phantasien<br />

Author's personal copy<br />

Der Wunsch erotische Phantasien im psychodramatischen Spiel aufleben zu lassen, kann<br />

dem Wunsch entspringen, sich selber in einer sonst nur phantasierten rolle zu erleben.<br />

<strong>Die</strong>s kann zum beispiel eine Verführungssituation sein, die sich die protagonistin im<br />

realen Leben nicht gestattet o<strong>der</strong> die aus an<strong>der</strong>en gründen nicht umsetzbar ist. Das psychodramatische<br />

Spiel kann keine ersatzwelt für ungelebte o<strong>der</strong> nicht lebbare erotische<br />

Wünsche sein. Das psychodrama bietet aber die Möglichkeit, z. b. eigene Verführungskünste<br />

spielerisch anzudeuten o<strong>der</strong> sogar eigene grenzen zu überschreiten <strong>und</strong> sich so<br />

in <strong>der</strong> rolle einer kreativen Verführungskünstlerin lustvoll zu erleben. Sicherheit bietet<br />

dabei das als-Ob des psychodramatischen Spiels, das niemals den Charakter einer<br />

wirklichen beziehung annehmen darf. <strong>Die</strong>s kann im Spiel deutlich gemacht werden: die<br />

bewegungen <strong>der</strong> Spielerinnen zielen auf das gegenüber im Spiel, berührungen werden<br />

<strong>der</strong> nur angedeutet, liebevoll zärtliche blicke verkürzt <strong>und</strong> mit einem neutralen blick<br />

beendet. bei unklarheiten über die ebene kann das Spiel sofort unterbrochen werden.<br />

„ist das noch Spiel o<strong>der</strong> meinst Du mich?“ Was auf <strong>der</strong> bühne ausgesprochen wird, hat<br />

jenseits <strong>der</strong> bühne keine geltung. <strong>Die</strong> psychodramatischen Szenen können dabei von<br />

unterschiedlicher Dauer sein. <strong>Die</strong> Dauer bestimmen die protagonistinnen selber.<br />

„zärtliches Flüstern“: Eine Frau steht auf <strong>und</strong> flüstert ein paar liebevolle Worte ins<br />

Ohr eines Mannes, <strong>der</strong> schon auf <strong>der</strong> bühne steht. Der lacht. Sie läuft schnell zu<br />

einem an<strong>der</strong>en <strong>und</strong> flüstert diesem etwas zu. Der guckt erstaunt, erfreut <strong>und</strong> verlegen.<br />

„Ich möchte nicht sagen, was ich geflüstert habe“, sagt sie. „Und Ihr sagt es<br />

bitte auch nicht“, wendet sie sich an die beiden Männer.<br />

„Umkreisungen“: zwei gruppenteilnehmerinnen, ein Mann <strong>und</strong> eine Frau, betreten<br />

die psychodramatische bühne <strong>und</strong> beginnen einan<strong>der</strong> zu umkreisen. Sie blicken<br />

sich an. Sie schaut ihn offen an, er erträgt den blick. Sie blickt ihn sichtbar lustvoll<br />

an, er weicht vorsichtig aus. Sie deutet an, dass sie sich an ihn lehnt <strong>und</strong> schließt die<br />

augen. Der Mann hält sie – mit etwas abstand – fest.<br />

„Männer“: ein Mann geht auf einen an<strong>der</strong>en Mann zu, streichelt ihn vorsichtig an<br />

den armen, am rücken, hält blickkontakt, wie weit er gehen darf. Der an<strong>der</strong>e Mann<br />

bleibt bewegungslos stehen. er mag die berührung nicht. <strong>Die</strong> Szene endet schnell.<br />

<strong>Die</strong> protagonisten brauchten die Szenen in <strong>der</strong> gruppe nicht erklären. es reichte, dass<br />

die protagonistinnen ihre bedeutung kannten. in den o.g. Szenen ging es darum, kurz in<br />

eine rolle zu schlüpfen, zu spüren, wie es sich anfühlt in dieser rolle, <strong>und</strong> sich kognitiv<br />

<strong>und</strong> emotional die erlaubnis zu geben, im eigenen alltag einmal eng gesetzte grenzen<br />

bewusst zu überschreiten, um durch neue erfahrungen das eigene Leben zu bereichern.<br />

ein gruppenspiel mit einer anti-rollen-besetzung eignet sich auch für erotische<br />

phantasien. <strong>Die</strong> Festlegung auf anti-rollen soll den gruppenspielerinnen die Möglichkeit<br />

geben, bislang ungelebte rollen in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> zu stellen <strong>und</strong> sie als vielleicht<br />

auch überraschende ressource wahrzunehmen. <strong>Die</strong> Wahl <strong>der</strong> anti-rolle kann den grup-<br />

17


18 a. <strong>Schulz</strong><br />

penteilnehmerinnen selber überlassen werden, anregungen für rollen geben. Vorherige<br />

kurze Vignetten können dabei als anwärmung dienen, aber auch rollenkonserven wie<br />

„Don Juan“, „ein Vamp“, „<strong>Die</strong> Nymphomanin“, aber auch rollen, die auf eine noch nicht<br />

altersgemäße reifung <strong>und</strong> emotionale bindung an den gegengeschlechtlichen elternteil<br />

hinweisen wie z. b. „Der ewige Jüngling“, „die prinzessin des Vaters“. im gruppenspiel<br />

besteht auch die Möglichkeit, rollen zu wechseln, wenn diese als nicht passend o<strong>der</strong><br />

spielbar erlebt werden, <strong>und</strong> mit Verhaltensmöglichkeiten zu experimentieren, spontane<br />

<strong>und</strong> neue reaktionen bei sich selber <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en Mitspielerinnen zu erleben. „geheimaufträge“<br />

an einzelne Mitspielerinnen beleben die Dynamik des gruppenspiels. Sie<br />

erfolgen vor dem Spiel o<strong>der</strong> während des Spiels durch Doppeln o<strong>der</strong> als spontane absprache<br />

im Spiel. einer o<strong>der</strong> zwei Mitspielerinnen z. b. obliegt es, jemanden aus einer<br />

einengenden rolle heraus zu locken, an<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> ausgestaltung ihrer rolle zu begrenzen.<br />

Das Ziel dieser „geheimaufträge“ ist es, immer wie<strong>der</strong> neue impulse einzubringen,<br />

die die Mitspielerinnen ermutigen, Neues auszuprobieren. <strong>Die</strong> gruppenspiele sind oft mit<br />

viel Spielfreude verb<strong>und</strong>en. in ihnen schwingt mit die Lust am Leben. <strong>Die</strong> gruppenspiele<br />

enden mit einer langen Nachbesprechung über die erfahrungen in den rollen sowie die<br />

interaktion zwischen den Mitspielerinnen während des Spiels. gruppenspiele wirken sich<br />

auch auf den umgang <strong>der</strong> gruppenteilnehmer <strong>der</strong> psychodramagruppe untereinan<strong>der</strong> aus.<br />

Sie können zu einem persönlicheren, spontanerem umgang miteinan<strong>der</strong> führen <strong>und</strong> die<br />

gruppen- kohäsion stärken, aber auch zu irritationen, wenn die Spielszenen im gruppenspiel<br />

offen o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Hinterbühne bewertet werden.<br />

<strong>Die</strong> Konkretisierung erotischer phantasien im rollenspiel hat ihre grenzen. erotische<br />

Szenen können in <strong>der</strong> Wahrnehmung des protagonisten einen für ihn zu hohen realitätsgehalt<br />

aufweisen. <strong>Die</strong> ebenen <strong>der</strong> realität <strong>und</strong> <strong>der</strong> Surplus-realität verschwimmen <strong>und</strong><br />

lassen diagnostisch einen tiefer liegenden Konflikt vermuten.<br />

„Träume“: in einer Wunscherfüllung sah sich <strong>der</strong> junge protagonist im Kreis von<br />

jungen Frauen, die ihn umwarben, lustvoll ansahen, zu berühren trachteten, im<br />

Spiel aber nicht wirklich berührten. Während die Mitspielerinnen ihre rollen mit<br />

viel Spaß <strong>und</strong> Spielfreude umsetzten, erlebte <strong>der</strong> protagonist dieses Spiel als sehr<br />

realitätsnah, beängstigend <strong>und</strong> verwirrend. ihm standen zu diesem Zeitpunkt keine<br />

Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung im Spiel adäquat auf die realisierung<br />

seiner Wunschträume zu reagieren. <strong>Die</strong> grenzziehung zwischen den realitäten<br />

erfolgte in diesem Fall durch die beendigung <strong>der</strong> Szene mit einer längeren auszeit<br />

zur bilanzierung (Woerner 1993, S. 146) über den unterschied zwischen „gespielten“<br />

rollen <strong>und</strong> „realem“ Verhalten zwischen den gruppenteilnehmerinnen.<br />

8 <strong>Die</strong> kostbare Zeit<br />

Author's personal copy<br />

<strong>Die</strong> unterschiedlichen aspekte von intimität, erotik <strong>und</strong> Sexualität lassen in Skulpturen<br />

darstellen <strong>und</strong> verdichten. <strong>Die</strong> Skulptur kann zur anwärmung als einstieg in die thematik<br />

dienen. „Welche aspekte von erotik <strong>und</strong> Sexualität kennen Sie?“ <strong>Die</strong> Formulierung<br />

beinhaltet bewusst eine Distanzierung. <strong>Die</strong> gruppenteilnehmerinnen brauchen<br />

nicht explizit über sich selber zu sprechen. Sie Sammlung gleicht einem brainstorming


<strong>Die</strong> <strong>Löwin</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />

zur anwärmung an das thema. Wenn die gruppe noch wenig vertraut ist miteinan<strong>der</strong>,<br />

können die themen durch Symbole dargestellt werden. Das folgende beispiel zeigt den<br />

langsamen aufbau einer ersten gruppenskulptur aus <strong>der</strong> anfangszeit einer gruppe, bei<br />

<strong>der</strong> zunächst einmal beziehungsthemen genannt werden, als gr<strong>und</strong>lage für intimität <strong>und</strong><br />

Sexualität.<br />

„Brainstorming“: „ich bin die Zeit, die wir miteinan<strong>der</strong> verbringen. ich trage eine<br />

kleine uhr bei mir“, beginnt eine gruppenteilnehmerin du stellt sich auf die bühne.<br />

„umarmungen <strong>und</strong> liebevolle blicke sind mir wichtig“, spricht eine weitere <strong>und</strong><br />

stellt sich neben sie. „berührungen“, sagt die Dritte. „Lust“, sagt einer <strong>der</strong> Männer<br />

in <strong>der</strong> gruppe. „ein Spaziergang in <strong>der</strong> abendsonne“ gesellt sich hinzu <strong>und</strong> „die<br />

Zärtlichkeit“.<br />

ich verwende Skulpturen gerne im Verlauf einer psychodramagruppe, weil sie sehr schnell<br />

die reichhaltigkeit des thema aufzeigen. Hier ein beispiel aus <strong>der</strong> endzeit einer gruppe,<br />

in <strong>der</strong> keine Symbole mehr verwandt wurden, son<strong>der</strong>n die gruppenteilnehmerinnen die<br />

inzwischen viel persönlicheren themen direkt darstellten:<br />

„Lust <strong>und</strong> Intimität“: „ich bin die Lust auf erotik.“ „ich stehe für die begierde.“<br />

„ich liebe die zärtlichen berührungen“. „ich liebe die Heimlichkeit <strong>der</strong> Liebe.“ „ich<br />

nehme mir, wen ich will“. „ich bin die Klugheit <strong>und</strong> wähle mit bedacht, wem ich<br />

meine Liebe schenke.“ „ich bin die eifersucht <strong>und</strong> passe auf.“ „ich bin die angst,<br />

die geliebte zu verlieren.“ „ich werfe die alten Verbote über bord.“ „Wir haben<br />

immer angstfrei miteinan<strong>der</strong> reden können“, sagt <strong>der</strong> älteste in <strong>der</strong> gruppe.<br />

Später, als alle gegangen sind, kommt er noch einmal auf mich zu. Wir schauen uns<br />

gemeinsam einen baum an mit kleinen Zetteln zum thema intimität, die die gruppenteilnehmerinnen<br />

im Verlaufe <strong>der</strong> psychodramagruppe angeheftet haben. „Meine Frau <strong>und</strong><br />

ich erinnern uns gerne an früher an unsere frühere Lebenskraft“, meint er <strong>und</strong> lächelt.<br />

„aber wir reden auch ganz oft über unser alter <strong>und</strong> wie kostbar die Zeit ist, die wir miteinan<strong>der</strong><br />

verbringen. <strong>und</strong> wir reden über den tod <strong>und</strong> die einsamkeit, wenn wir voneinan<strong>der</strong><br />

getrennt sind.“ er heftet seinen Zettel an den baum <strong>und</strong> verlässt die bühne.<br />

Literatur<br />

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<strong>Andreas</strong> <strong>Schulz</strong> 1955, psychologischer psychotherapeut, psychodrama-therapeut,<br />

Supervisor (DgSv). arbeitsschwerpunkte:<br />

psychodrama mit eltern, paaren <strong>und</strong> Familien, Workshops<br />

zum thema „psychodramatische arrangements in <strong>der</strong> arbeit<br />

mit paaren <strong>und</strong> Familien“, Supervision <strong>und</strong> Fortbildungen für<br />

tageseinrichtungen für Kin<strong>der</strong>, Leitungssupervision bei Qualifizierungslehrgängen.<br />

Psychodramatische Teamaufstellungen.

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