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Der dramatische Untergang des Seefahrers Lüderitz - Golf Dornseif

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<strong>Der</strong> <strong>dramatische</strong> <strong>Untergang</strong> <strong>des</strong> <strong>Seefahrers</strong> <strong>Lüderitz</strong><br />

von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />

Einerseits gilt <strong>Lüderitz</strong> nach wie vor als unsterblicher Kolonialheld, andererseits ist sein<br />

Tod in den Meereswellen ohne Zweifel auf starrsinnige Besserwisserei zurückzuführen,<br />

denn alle sachkundigen Berater warnten ebenso eindringlich wie vergeblich vor dem<br />

verhängnisvollen Abenteuer mit mangelhafter Ausrüstung in jeder Beziehung.<br />

(Bericht <strong>des</strong> deutschen Generalkonsulats in Kapstadt an den Herrn Reichskanzler Fürst von Bismarck<br />

vom 10. Januar 1887)<br />

Euer Durchlaucht habe ich die traurige Meldung zu machen, dass Herr F.A.E. <strong>Lüderitz</strong> bei dem<br />

Versuch, in einem offenen Boot die Reise von der Mündung <strong>des</strong> Oranje Flusses nach Angra Pequena<br />

zurück zu legen, verunglückt ist.<br />

Die Nachricht, dass Herr <strong>Lüderitz</strong> vermisst werde, wurde dem Reuter´schen Nachrichtenbüro in London<br />

bereits am sechsten dieses Monats von <strong>des</strong>sen hiesigen Agenten telegraphiert, und es ist wohl<br />

anzunehmen, dass zahlreiche wahrscheinlich mehr oder weniger ungenaue Berichte über das<br />

tragische Ende <strong>des</strong> Mannes, <strong>des</strong>sen Name mit den Anfängen unserer Kolonialgeschichte so eng verbunden<br />

ist, den deutschen Zeitungen zugehen werden.<br />

Ich möchte es <strong>des</strong>halb nicht unterlassen, Euer Durchlaucht eine auf zuverlässigen Angaben beruhende<br />

Darstellung <strong>des</strong> Verlaufs dieser letzten von Herrn <strong>Lüderitz</strong> unternommenen Expedition und der<br />

zu seiner Auffindung und Rettung getroffenen Maßnahmen zu geben.<br />

Herr <strong>Lüderitz</strong> kam am 26. Mai <strong>des</strong> vorigen Jahres mit dem Postdampfer aus Europa in Kapstadt an.<br />

Einer der Hauptzwecke seiner Reise war die Erforschung <strong>des</strong> Oranje Flusses, da er ungeachtet aller<br />

ihm in dieser Beziehung zugegangenen gegenteiligen Berichte fest davon überzeugt war, dass die<br />

Barre (Sandbank) an der Mündung kein unüberwindliches Hindernis für die Schiffbarmachung <strong>des</strong><br />

unteren Flusslaufs sein würde.<br />

F.A.E. <strong>Lüderitz</strong> Joseph Steingroever


Außerdem beabsichtigte <strong>Lüderitz</strong>, im südlichen Teil unseres Schutzgebiets erneut nach Mineralien zu<br />

suchen. Vor allem hatte er sein Augenmerk, wie er mir vertraulich mitteilte, auf ein angeblich ab Angra<br />

Pequena nicht weit von der Küste gelegenes Salpeterlager gelenkt, von <strong>des</strong>sen Existenz ihm ein alter<br />

Schiffskapitän in Bremen berichtet haben soll.<br />

<strong>Lüderitz</strong> verließ Kapstadt am siebten Juni <strong>des</strong> vorigen Jahres mit seinem Schoner META und traf am<br />

13. Juni in Angra Pequena ein. In seiner Begleitung befanden sich Herr Henri Iselin aus Basel, ein<br />

Minen-Ingenieur, der mit <strong>Lüderitz</strong> aus Europa angereist war, sowie ein schottischer Bergmann<br />

namens Hoskins, den er in Kapstadt engagierte. In Angra Pequena hielt sich <strong>Lüderitz</strong> längere Zeit auf.<br />

Es fehlen nähere Nachrichten, wann er von dort aufgebrochen sein könnte. Am 30. August verließ<br />

<strong>Lüderitz</strong> Bethanien und dürfte zwischen dem 15. und 20. September in Nabas Drift am Oranje Fluss<br />

eingetroffen sein. In Angra Pequena hatte er den Steuermann der META, Joseph Steingroever,<br />

mitgenommen.<br />

Am 20. September begann mit den beiden zerlegbaren Segeltuchbooten (Berthou Section Fabrikat)<br />

ab Nabas Drift die gefährliche Fahrt stromabwärts. <strong>Lüderitz</strong> und Steingroever befanden sich in einem<br />

dieser Boote, Iselin und Hoskins in dem anderen. Nach dem letzten hierher gelangten Schreiben von<br />

<strong>Lüderitz</strong> (Aries Drift am 19. Oktober), <strong>des</strong>sen Abschrift ich hier beifüge, wurde die Reise von Nabas<br />

Drift zur etwa 10 bis 15 Meilen von der Flußmündung entfernten Aries Drift in 27 Tagen bewältigt.<br />

Es waren 52 Stromschnellen zu überwinden, sodass die Boote aus dem Wasser genommen und über<br />

Land getragen werden mussten. Nach Aussagen <strong>des</strong> Herrn Iselin sollen die Berthou Canvas Section<br />

Boote sich auf der ganzen Fahrt ausgezeichnet bewährt haben. Bei der Ankunft in Aries Drift fasste<br />

<strong>Lüderitz</strong> den unheilvollen Entschluss, in dem größten der beiden Boote, 12 Fuß lang und vier Fuß drei<br />

Zoll breit, über See nach Angra Pequena zurück zu kehren. (Umrechnung: 3.72 Meter Länge und 1,30<br />

Meter Breite).


Die Stromschnellen <strong>des</strong> Oranje<br />

machen sich am dramatischsten<br />

bemerkbar in Höhe der Augrabies<br />

Wasserfälle, die fast 200 Meter<br />

tief stürzen...<br />

Die Eingeborenen sprechen vom<br />

„Ort <strong>des</strong> großen Donners“ und<br />

seinen Teufelskräften, die<br />

Unheil verkünden...


Alle Vorhaltungen seiner beiden deutschen Begleiter und alle Versuche, ihm das waghalsige Vorhaben<br />

auszureden, waren vergeblich. Iselins Vorschlag, den Reitweg über Port Nolloth zu wählen,<br />

wies <strong>Lüderitz</strong> lachend zurück. Schließlich befahl er dem Steuermann Steingroever, ihn zu begleiten.<br />

<strong>Lüderitz</strong> und Steingroever verließen daraufhin, begleitet von mehreren Hottentotten, die das Boot und<br />

den Proviant trugen, Aries Drift am 20. Oktober. Sie wollten von der südlich ab Flussmündung gelegenen<br />

Alexander Bay ihre Reise Richtung Angra Pequena antreten.<br />

Die Bootsausrüstung muss als mangelhaft bezeichnet werden. <strong>Der</strong> mitgeführte Proviant reichte nicht<br />

für eine Woche aus. Das Boot hatte kein Schwert, der Bord war nur 2,5 Fuß hoch (etwa 75 cm) und<br />

das Wasserfahrzeug verfügte nur über zwei Ruder. Das Segel bestand aus einem alten Zeltdach. <strong>Der</strong><br />

Proviant umfasste sechs Flaschen kalter Kaffee, sieben Flaschen Trinkwasser und einen Kälbermagen,<br />

mit Frischwasser gefüllt. Hinzu kamen einige Dosen mit Konserven-Nahrung und etwas<br />

Fleischzwieback.<br />

Iselin und Hoskins erhielten von <strong>Lüderitz</strong> den Auftrag in Aries Drift abzuwarten und zwar solange, bis<br />

ihnen durch einen Boten ab Angra Pequena nach Ankunft der Bootsfahrer neue Weisungen zugehen<br />

würden. Iselin sollte in der Zwischenzeit in Aries Drift und Umgebung Mineralien aufspüren. Ende<br />

November empfing Iselin ein an <strong>Lüderitz</strong> gerichtetes Schreiben von John Müller.<br />

<strong>Der</strong> Brief, den Iselin öffnete, war am 23. November in Aus verfasst worden. Müller erkundigte sich<br />

darin nach dem Verbleib der Expedition. Da der Ort Aus nur drei Tagesreisen von Angra Pequena<br />

entfernt ist, hatte Iselin jetzt die Bestätigung, dass <strong>Lüderitz</strong> und Steingroever bis zum 20. November<br />

nicht ihr Ziel erreicht hatten.<br />

Iselin entschloss sich sofort, Aries Drift zu verlassen, schickte Hoskins über Land nach Aus und begab<br />

sich nach Port Nolloth. Vor dort aus erreichte er schließlich Kapstadt am 12. Dezember. Inzwischen<br />

hatte Herr Poppe am 19. November mit der META nach Angra Pequena geschrieben und John Müller<br />

benachrichtigt, dass nach einem Schreiben <strong>des</strong> Herrn <strong>Lüderitz</strong> vom 19. Oktober dieser am folgenden<br />

Tag in einem offenen Boot von der Alexander Bay nach Angra Pequena in See zu gehen beabsichtigte.<br />

_________________________________________________________________________________<br />

Faktorei Angra Pequena und Hütten der Eingeborenen


Nach Eingang dieser Nachricht (die META traf am 25. November in Angra Pequena ein) ergriff Herr<br />

Müller sofort Maßnahmen, um die Küste bis zur Alexander Bay nach den Vermissten abzusuchen. Ab<br />

Aus schickte er den <strong>Lüderitz</strong>-Angestellten Hesslein mit einer gut ausgerüsteten Expedition über Land<br />

zur Alexander Bay. Müller verließ Angra Pequena mit der META am 6. Dezember, ausgestattet mit<br />

einem einwandfreien Rettungsboot (27 Fuß lang, sechs Fuß breit, dazu erfahrene Mannschaft als<br />

Besatzung).<br />

Am 23. Dezember erreichte die META Port Nolloth, ohne dass während der Suchaktion über 17 Tage<br />

auch nur die geringste Spur von dem vermissten Boot entdeckt werden konnte. Herr Müller verließ<br />

Port Nolloth am 25. Dezember und begab sich zu Pferd längs der Küste zur Alexander Bay. Dort fand<br />

er Spuren, dass <strong>Lüderitz</strong> und Steingroever hier die Bootsreise angetreten haben mussten. Auch<br />

Hesslein hatte sich inzwischen eingefunden. Am 30. Dezember traf Müller wieder in Port Nolloth ein.<br />

Ab Nolloth trat er am ersten dieses Monats in einem großen Rettungsboot die Rückreise nach Angra<br />

Pequena an, um sich dabei der Küste zu nähern soweit es wegen der starken Brandung möglich ist.<br />

Jede kleine Bucht sollte durchforscht werden.<br />

Nach Empfang der Nachricht von dem Vorgefallenen hat auch der Führer <strong>des</strong> Schoners SEABORD,<br />

Kapitän Petersen, sofort seine Hilfe angeboten und sämtliche Inseln vor der Küste abgesucht, ohne<br />

eine Spur der Vermissten zu entdecken.<br />

Die META verließ Port Nolloth am 28. Dezember und kam am 5. dieses Monats in Kapstadt an,<br />

worauf Poppe, Russow & Cie. die Nachricht telegraphisch nach Bremen meldeten, dass Herr <strong>Lüderitz</strong><br />

vermisst werde. Herr Iselin hat Kapstadt mit dem nach Angra Pequena und Walvis Bay bestimmten<br />

Schoner LOUIS ALFRED am 24. Dezember verlassen. Iselin beabsichtigte, von Angra Pequena,<br />

wenn möglich, an der Küste entlang bis zur Mündung <strong>des</strong> Oranje Flusses vorzudringen.<br />

Es ist somit nichts unversucht geblieben, um Nachrichten über das Schicksal der Verunglückten zu<br />

erhalten. Die Möglichkeit, dass sie von einem vorbei fahrenden Schiff aufgenommen und gerettet<br />

wurden, erscheint ausgeschlossen. Abgesehen von den bekannten vier kleinen Schonern verkehren<br />

an der Küste keine Segelschiffe mit Ausnahme der von Port Nolloth mit Kupfererz beladenen Schiffe.<br />

Am 7. August 1884 fand die feierliche Hissung der deutschen Flagge in Angra Pequena statt mit den<br />

Besatzungen der Kriegsschiffe SMS ELISABETH sowie SMS LEIPZIG. Man erkennt, wie Salut<br />

gefeuert wird. Die Skizze stammt von einem Offizier der ELISABETH.


Alexander Bay wurde zum Diamanten-Zentrum<br />

Camping und Ferienwohnungen: Porrt Nolloth heute


Nach dem Bericht <strong>des</strong> dortigen Hafenmeisters ist zwischen dem 6. Oktober und dem 3. November <strong>des</strong><br />

vorigen Jahres kein Schiff aus Port Nolloth abgegangen. Die Dampfer, welche Ende Oktober und<br />

Anfang November jenen Abschnitt der Küste mit einem Abstand von mehr als 100 Seemeilen<br />

passierten, haben längst ihre Bestimmungshäfen erreicht.<br />

Nach Ansicht <strong>des</strong> Schiffers Biester, Führer der META, ist es wahrscheinlich, dass der <strong>Untergang</strong> <strong>des</strong><br />

Bootes bereits während der ersten 24 Stunden nach Abreise aus der Alexander Bay erfolgte. <strong>Der</strong><br />

Wind, der bis zum 20. Oktober aus Süd und Südost wehte, schlug an jenem Tag bei sehr hoher See<br />

nach Norden um, sodass es einem kleinen Boot, gegen Wind und See ankämpfend, unmöglich gewesen<br />

sein muss, seinen Kurs nach Norden fort zu setzen.<br />

Heute ist hier der Schoner von Spence namens LILLA eingetroffen mit Nachrichten aus Walvis Bay<br />

vom 22. Dezember, aus Sandwich Harbour vom 28. Dezember und aus Angra Pequena vom 18.<br />

Dezember <strong>des</strong> vorigen Jahres, ohne dass bis dahin an einem dieser Plätze von den Vermissten etwas<br />

gehört worden wäre.<br />

Ein Schreiben <strong>des</strong> Herrn John Müller aus Port Nolloth, datiert vom 30. Dezember <strong>des</strong> vorigen Jahres<br />

(mit beiliegender Abschrift), gelangte am 7. dieses Monats in meinen Besitz. Ich habe auf Herrn Müllers<br />

Anfrage wegen der Entsendung eines Kriegsschiffs zur Unterstützung seiner Nachforschungen<br />

erwidert, dass ich keinen Augenblick gezögert hätte, an Eure Durchlaucht telegraphisch einen diesbezüglichen<br />

Antrag zu richten, wenn die geringsten Aussichten zur Rettung der Verunglückten noch<br />

vorhanden gewesen wären.<br />

(gezeichnet) Dr. Bieber<br />

Fürst Bismarck während der Berliner Kongo-Konferenz


Anlage I. – Porth Nolloth, am 30.12.1886<br />

An den K.D. Generalkonsul Dr. Bieber in Kapstadt<br />

Euer Hochwohlgeboren<br />

Fühle ich mich gedrungen die Mitteilung zu machen, dass Herr F.A.E. <strong>Lüderitz</strong> und Herr Steingroever<br />

sich am 22. Oktober in Alexander Bay südlich der Mündung <strong>des</strong> Oranje Flusses in einem Berthou<br />

Canvas Section Boot mit der Absicht eingeschifft haben, auf dem Seeweg Angra Pequena zu<br />

erreichen.<br />

Ich habe mich an Ort und Stelle von dieser Tatsache überzeugt. Da aber seit dem Datum über den<br />

Verbleib der beiden Herren nichts verlautet ist, unterliegt es keinem Zweifel mehr, dass ihnen ein<br />

Unglück zugestoßen ist.<br />

Ich habe von Angra Pequena aus eine Expedition südwärts und eine andere vom Oranje Fluss<br />

nordwärts abgesandt, um nach dem Herrn <strong>Lüderitz</strong> zu forschen. Morgen verlasse ich die Bay in einem<br />

Walfängerboot, um die Küste entlang zu fahren und die Inseln aufzusuchen.<br />

Könnte in Anbetracht der traurigen Sachlage das Reich mich durch Absendung eines Kriegsschiffes in<br />

meinen Bemühungen unterstützen?<br />

Euer Hochwohlgeboren ganz untertänigster (gezeichnet), John Müller, Bevollmächtigter der Firma<br />

F.A.E. <strong>Lüderitz</strong> in Angra Pequena.<br />

Anlage II. – Aries Drift, am 19. Oktober 1886<br />

Lieber Herr Poppe! Wollen Sie den einliegenden Brief gefälligst nach Bremen befördern. Wir kamen<br />

hier vorgestern an, nachdem wir mit den beiden Berthou Booten von Nabas Drift (Isabella Mine), wo<br />

Herr Petersen sich ankaufte, nach hier 27 Tage unterwegs waren und 52 Stromschnellen zu überwinden<br />

hatten. Gott sei Dank ist alles gut gegangen. Wir alle, also Iselin, Steingroever, Hoskins und<br />

ich, sind wohl und munter. Da wir hier keine Boten nach Aus finden können und die Landreise zu<br />

beschwerlich wäre, gehen Steingroever und ich morgen früh um sechs Uhr mit dem großen Barthou<br />

Boot (12 Fuß lang, vier Fuß und drei Zoll breit) nach Angra Pequena auf See, wo wir bei diesem<br />

Südwind hoffentlich in etwa acht Tagen mit Gottes Hilfe ankommen werden. Ab Angra schreibe ich<br />

ausführlich.<br />

Mit freundschaftlichem Gruß Ihr (gezeichnet), F.A.E. <strong>Lüderitz</strong><br />

Aus ist inzwischen eine tote Bahnstation für Fracht


Bericht <strong>des</strong> Kaiserlichen Kommissars für Südwestafrika Dr. Göring an den Reichskanzler Fürst von<br />

Bismarck. – Keetmanshoop, am 22. Dezember 1886<br />

Euer Durchlaucht beeile ich mich in der Anlage zwei Briefe (einen Brief <strong>des</strong> Kapitäns Joseph Frederiks<br />

von Bethanien und einen Brief <strong>des</strong> Missionars Hegner aus Berseba) zu übersenden, welche die letzten<br />

Nachrichten über die von dem Herrn Adolph <strong>Lüderitz</strong> in Bremen zum Oranje Fluss unternommene<br />

Expedition enthalten.<br />

Dass <strong>Lüderitz</strong> und Steingroever in der Tat um den 22. Oktober das unglaubliche Wagnis unternommen<br />

haben und in einem kleinen Boot von der Mündung <strong>des</strong> Oranje Flusses in die offene See<br />

gesegelt sind, wird mir am hiesigen Platz durch die Händler Alcock und Bergmall bestätigt, welche<br />

gestern aus der Kapkolonie von Port Nolloth zurückgekehrt sind. Diese Händler trafen ungefähr am 7.<br />

November auf dem Weg von Port Nolloth zum Oranje Fluss den in dortiger Gegend lebenden Buren<br />

Raynier Coetzee.<br />

Alcock, der auf der Hinreise in die Kapkolonie die Expeditionsmitglieder am Oranje Fluss nicht weit<br />

von Nabas Drift angetroffen hatte, sah sich veranlasst, bei dem genannten Herrn nach der Expedition<br />

zu fragen, und erhielt folgende Auskunft:<br />

Vor etwa 14 Tagen, also ungefähr am 22. Oktober, habe er nicht weit von der Mündung <strong>des</strong> Oranje<br />

Flusses gefischt. Es seien dann zwei Herren, ein größerer mit goldener Brille und ein kleinerer, in<br />

einem kleinen Boot den Fluss herunter gekommen. Sie hätten versucht, aus der Oranje Mündung in<br />

die offene See zu rudern, was ihnen jedoch wegen der dortigen Stromschnellen und der vor der Mündung<br />

lagernden Sandbank nicht gelungen sei.<br />

Daraufhin hätten die Herren mit seiner Hilfe das leichte Boot ans Ufer gezogen und es zu einer Stelle<br />

<strong>des</strong> rechts vom Fluss gelegenen Seeufers getragen. Dort wurde durch ein vorliegen<strong>des</strong> Riff die<br />

Brandung gebrochen. Die Männer hätten erzählt, dass sie nach Angra Pequena segeln wollten. Auf<br />

die Frage, ob sie sich zutrauten, in einem so kleinen und zerbrechlichen Boot diese gefährliche weite<br />

Reise anzutreten, habe der kleinere Mann geantwortet, dass ihr Boot seetüchtig sei.<br />

Reichskommissar Dr. Göring mit Händlern und Siedlern


Mit günstigem Wind und günstiger Strömung würden sie in zwei Tagen ihr Ziel erreichen. Danach<br />

zogen die Herren das Segel auf und entfernten sich in nordwestlicher Richtung mit auffälliger<br />

Geschwindigkeit in ihrem Boot Richtung hohe See. Bald sei das kleine Boot wegen der hohen Dünung<br />

aus seinem Gesichtsfeld verschwunden. Weil man bis jetzt nichts weiter von den Männern gehört<br />

habe, sei mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie untergingen.<br />

Wären sie aber an die Küste zwischen Angra Pequena und dem Oranje Fluss getrieben worden und<br />

dort gescheitert, so müssten sie zurückgekehrt sein, sei es zum Fluss oder nahe Angra Pequna, oder<br />

sie könnten unterwegs verdurstet sein, weil es nirgendwo an Land Trinkwasser gibt. Wären sie an der<br />

Küste zwischen dem Oranje und Port Nolloth notgelandet, hätte man sie wahrscheinlich retten können,<br />

weil diese Gegend bewohnt ist und die Strecke zwischen Flussmündung und Port Nolloth in zwei<br />

Tagen zu Fuß bewältigt werden kann.<br />

Es wäre noch denkbar, dass die beiden Herren von einem vorbei fahrenden Schiff aufgenommen wurden,<br />

aber es ist kein solches Schiff in Kapstadt eingetroffen.<br />

Über die Expedition gestatte ich mir noch Folgen<strong>des</strong> mitzuteilen: Nachdem das Resultat der von Herrn<br />

Adolph <strong>Lüderitz</strong> zu Beginn seines Unternehmens ausgesandten Expedition Pohle ungünstig gewesen<br />

war, beschloss er im Frühling dieses Jahres selber eine Expedition zu führen. Die Deutsche Kolonial-<br />

Gesellschaft für Südwestafrika hatte sich mit 6.000 Mark daran beteiligt. Alle weiteren Kosten sollten<br />

von <strong>Lüderitz</strong> sowie Herrn von Ohlendorff aus Hamburg gemeinsam getragen werden.<br />

Es war die Idee <strong>des</strong> Herrn <strong>Lüderitz</strong>, am Oranje Fluss die Fortsetzung der im Klein-Namaqualand gelegenen<br />

Ookiep Mine in das Groß-Namaqualand aufzusuchen sowie die dortige Gegend bergmännisch<br />

gründlich zu erforschen. Später sollte ab Angra Pequena ein größeres Salpeterlager nahe<br />

der Pomona Mine erschlossen werden. Die neue Expedition bestand aus Adolph <strong>Lüderitz</strong>, dem<br />

schweizerischen Bergwerk-Ingenieur Iselin und dem qualifizierten Steuermann Steingroever<br />

(Bremen).<br />

„Port Vogelsang“ hieß diese <strong>Lüderitz</strong>-Handelsniederlassung


Ende Juli war man ab Angra Pequena aufgebrochen und über Aus, Bethanien, dem Lauf <strong>des</strong> Fisch<br />

Flusses folgend, Ende August bis zum Oranje Fluss vorgedrungen. Bei der Nabas Drift, wo Herr<br />

Petersen wohnt, machte die Expedition eine Ruhepause. Nach 14 Tagen wurden Fuhrwerke, Ochsen<br />

und Pferde sowie die in Aus mitgenommenen Leute zurück geschickt mit dem Auftrag, die Nachricht<br />

zu übermitteln, dass weitere Meldungen in zwei bis drei Wochen folgen würden.<br />

Bei meinem Eintreffen in Aus am 5. November waren noch keine Nachrichten eingegangen, obwohl<br />

bereits sechs Wochen Schweigen herrschte. Weil mir der unter den zurück geschickten Leuten befindliche<br />

Koch Freudenberg erzählte, dass die Herren höchstens für vier Wochen Proviant aus Reis, Mehl<br />

und Kaffee zur Verfügung hatten, riet ich dem Vertreter der Firma, Herrn John Müller, der mich bis Aus<br />

begleitete, sofort berittene Eingeborene zum Oranje Fluss zu senden, um nach dem Verbleib der<br />

Expedition zu schauen.<br />

Diese Reiter haben auf dem Weg den englischen Minenarbeiter getroffen, von dem in jenem Brief <strong>des</strong><br />

Kapitäns aus Bethanien die Rede ist. Wegen der Bedeutung und Tragweite <strong>des</strong> traurigen Ereignisses<br />

habe ich es für geboten erachtet, von hier aus einen Extraboten mit diesem Bericht nach Steinkopf zu<br />

schicken, von wo aus der Text durch die Post der Kap Kolonie sofort nach Kapstadt befördert werden<br />

kann.<br />

Ab Bethanien habe ich zwei Berichte nach Angra Pequena gesandt: Einmal den Bericht über den mit<br />

der Firma <strong>Lüderitz</strong> abgeschlossenen Vertrag zur Bildung und Unterhaltung einer Polizeitruppe.<br />

Außerdem den Bericht über eine Verordnung, vereinbart mit dem Kapitän von Bethanien und <strong>des</strong>sen<br />

Rat, betreffend die Ausübung der Gerichtsbarkeit im dortigen Umland.<br />

Da Herr Müller mit der META die Küste in der Nähe der Oranje Mündung absuchen will, nehme ich an,<br />

dass er bei diesem gefährlichen Unternehmen die Post nicht seinem Schiff anvertraut hat. Weil die<br />

LILLA mehrere Guano Inseln anlaufen wird, um die dort tätigen Männer mit Proviant auszustatten,<br />

wird es längere Zeit dauern, bis die erwähnten Berichte in Berlin eintreffen.<br />

(gezeichnet) Dr. Goering<br />

Gedenkstein für den Verschollenen in <strong>Lüderitz</strong>bucht


Anlage I. (Übersetzung aus dem Kap-Holländischen). – Bethanien, am 13. Dezember 1886. An den<br />

Kaiserlich Deutschen Kommissar, Herrn Dr. Goering, in Berseba.<br />

Edler und Hochachtbarer Herr!<br />

Gestern abend erhielt ich einen Brief von meinem Richter, dem jungen Daniel Frederiks in Aus, in<br />

welchem er mir schreibt, dass die Boten mit den beiden Reitochsen, die Herr Müller nach dem Oranje<br />

Fluss hinter Herrn <strong>Lüderitz</strong> her gesandt hat, wieder nach Aus zurückgekehrt sind mit einem englischen<br />

Minenarbeiter, der mit Herrn <strong>Lüderitz</strong> nach dem Oranje Fluss gereist war.<br />

<strong>Der</strong> besagte Minenarbeiter erzählt, wie Richter Daniel schreibt, dass Herr <strong>Lüderitz</strong> und der Herr<br />

Steingroever mit einem kleinen Boot vom Oranje Fluss auf den Ozean gesegelt sind und zwar am 22.<br />

Oktober. <strong>Der</strong> Minenarbeiter und zwei andere Männer schauten zu, wie die beiden Herren mit ihrem<br />

kleinen Segelboot auf das Meer gefahren sind.<br />

Während die beiden Herren noch deutlich im Boot erkennbar waren, weil sie sich noch nicht so weit<br />

entfernt hatten, verschwand das Boot auf einmal vor ihren Augen. Wir wissen nicht, ob das Boot<br />

untergegangen ist oder ob es sich über eine Woge in ein Wellental gesenkt hat. Von diesem Augen-<br />

Bismarck Telegramm anerkennt Landnahme


lick an ist das Boot aber nicht mehr gesehen worden und wir haben nichts mehr von Herrn <strong>Lüderitz</strong><br />

gehört. Herr Iselin hat sich nach Port Nolloth begeben.<br />

Herr Müller fährt mit der META zu jener Stelle, wo sich der Oranje Fluss in den Atlantischen Ozean<br />

ergießt, um Herrn <strong>Lüderitz</strong> zu suchen. Herr Hesslein (Kommis <strong>des</strong> <strong>Lüderitz</strong> Geschäfts in Aus) fährt<br />

über Land mit einer Ochsenkarre zu der Stelle, wo Herr <strong>Lüderitz</strong> in die See gesegelt ist.<br />

Ich bin sehr bekümmert wegen Herrn <strong>Lüderitz</strong>, weil ich früher auch einmal an der Stelle war. Ich weiß,<br />

dass diese Stelle sogar für größere Schiffe gefährlich ist. Ich glaube nicht, dass Herr <strong>Lüderitz</strong> mit<br />

seinem kleinen Boot durchgekommen ist, aber wir müssen noch abwarten bis Daniel kommt, der erst<br />

am 10. Dezember zur Bay gereist ist ab Aus. Dann werden wir wahrscheinlich deutlichere Nachrichten<br />

erhalten.<br />

Mit Hochachtung (gezeichnet) Joseph Frederiks.<br />

Nama Kapitän Joseph Frederiks


Trostloses Panorama verschrobener Frömmigkeit<br />

Unverständliche Schöpfungsgeschichte am Kreuzkap


Anlage II. – Berseba, am 21. Dezember 1886.<br />

Sehr geehrter Herr Doktor! Gestern früh kam Mr. W.H. Fischer von Port Nolloth hier an. Die<br />

Nachrichten, die er über Herrn <strong>Lüderitz</strong> und <strong>des</strong>sen Begleiter bringt, hellen keineswegs das Dunkel<br />

auf. Er hat Herrn Iselin gesprochen, der noch an der Drift <strong>des</strong> Oranje weilt.<br />

Es trifft zu, dass Herr <strong>Lüderitz</strong> und Herr Steingroever am 22. Oktober vom Standquartier aus, wo sich<br />

Herr Iselin befindet, aufgebrochen sind zur Alexander Bay, etwa eine Tagereise weit entfernt. Sie<br />

nahmen sieben Flaschen Kaffee und zwei Segelsäcke Trinkwasser mit, um von dort nach Angra<br />

Pequena zu fahren.<br />

Herr Steingroever hat Herrn Iselin versichert, dass Strömung und Wind günstig seien. Also werden sie<br />

Angra Pequena nach spätestens zwei Tagen erreichen. Darauf wartet jetzt Herr Iselin und wundert<br />

sich allerdings, dass Herr <strong>Lüderitz</strong> weder einen Wagen noch die META bestellt hat, um ihn am Ziel<br />

abzuholen. Iselin ist nicht allein dort, denn es sind Leute in der Nähe. Seine Lage scheint jedoch<br />

ziemlich trostlos und er dürfte arg mitgenommen erscheinen.<br />

Er wäre gern mit Mr. Fischer gereist, wollte aber die Gerätschaften mit Bohrern usw. im Gesamtwert<br />

von etwa 800 Mark nicht zurücklassen oder bei Mr. Hein in Aufbewahrung geben. So konnte aus<br />

seiner Reise nichts werden. Er wird inzwischen wohl Nachricht erhalten haben.<br />

Von Bethanien habe ich nichts gehört. Paul Frederiks kehrte gestern zurück. Durch ihn ließ ich seinen<br />

Vater (Kapitän Frederiks) ersuchen, so schnell wie möglich mit seinen Männern zu Hilfe zu kommen.<br />

Aus Gibeon habe ich bis jetzt nichts gehört.<br />

Verzeihen Sie bitte dieses flüchtige Schreiben. Herr Krabbenhöft, der meinen Brief mitnehmen will,<br />

wartet schon auf mich. Ich war noch in der Schule tätig.<br />

Hochachtungsvoll Ihr (gezeichnet) Hegner.<br />

Aufbruch der letzten <strong>Lüderitz</strong> Expedition


Was <strong>Lüderitz</strong> seinen Briefen anvertraute<br />

Am 8. November 1884 schrieb Adolf <strong>Lüderitz</strong> an Richard Lesser, Redakteur der KOLONIALZEITUNG,<br />

unter anderem über seinen Besitz in Afrika:<br />

„Ich denke, dass in diesem Jahr alles geordnet ist und dass ich dann eine sogenannte Charter<br />

bekomme, um endlich mal Geld heraus zu holen. Bis jetzt habe ich über 500.000 Mark in Angra<br />

Pequena stecken, weil alles, was herein kam, sofort wieder hinein gesteckt wurde. Die Expeditionen<br />

verschlingen zu große Summen und kein Mensch unterstützt mich dabei. Bankiers haben sich noch<br />

nicht gefunden, die mir auf Sicherheit für das Gebiet hier auch nur einen Pfennig geliehen hätten!<br />

Weil die gegenwärtige Ladung der TILLY erneut gegen Bargeld gekauft werden musste, sind vorläufig<br />

alle meine Geldmittel erschöpft, und ich kann nur noch das Allernotwendigste beschaffen“.<br />

(Anmerkung: <strong>Der</strong> <strong>Untergang</strong> der TILLY am 1. Februar 1885 an der Angra Spitze verschlimmerte die<br />

finanziellen Probleme beträchtlich.)<br />

In seiner Denkschrift vom 25. Februar 1885 an die Deutsche Kolonial-Gesellschaft erwähnte <strong>Lüderitz</strong><br />

unter anderem:<br />

„Ich als Privatmann kann mit meinem Kapital keine großen und schnellen Erfolge erzielen. Ständen<br />

mir solche Mittel zur Verfügung, so würde ich die Einfahrt in den Oranje Fluss suchen lassen. An<br />

seinen Ufern findet sich fruchtbares Weideland. Wenn die Einfahrt gefunden und festgestellt ist (was<br />

mit den nötigen Barkassen nicht schwierig sein dürfte, wie Captain Aschenborn von der NAUTILUS<br />

meinte), so könnte hier am Oranje Fluss die erste deutsche Niederlassung gegründet werden“.<br />

Von Kapstadt aus fuhr <strong>Lüderitz</strong> mit seinen Begleitern, Iselin und Steingroever sowie Hoskins, auf dem<br />

ihm gehörenden Schoner META nach Angra Pequena, wo er am 3. Juni 1886 eintraf. Dort befand sich<br />

die Faktorei seines Geschäfts. Hier schrieb er seiner Frau am 20. Juni 1886:<br />

Gedenkplatte Territorium <strong>Lüderitz</strong> Nord als Protektorat


„Ich wurde ins große Haus gebracht. Es ist 40 mal 30 Fuß groß. Vor dem Haus befindet sich in<br />

Richtung Bay eine Veranda mit Backsteinen gepflastert. Davor sind zwischen den Pfeilern Beete,<br />

umgeben mit Drahtgittern. Leider sind die Blumen verwelkt in diesem Gehege.<br />

Das Esszimmer ist wie Eichenholz gestrichen. Die Türen dunkelbraun mit Eichenholzfarbe-Einfassungen.<br />

Die Fensterrahmen ebenso. Vor den Fenstern hängen Gardinen, die Müller und Franken<br />

selber auf der Maschine genäht haben. Mein Wohnzimmer ist wie mein Schlafzimmer mit Fellen belegt,<br />

mit Hottentotten-Utensilien an den Wänden geschmückt und sehr gemütlich.<br />

Die Verbindungstür ist durch eine Portiere aus Kattun und meine Hausflagge (blau mit weißem Anker)<br />

dekoriert. Alles schaut rein und proper aus! Im Esszimmer steht ein Bücherbord (sechs Fuß hoch). Es<br />

gibt Schränke für Glas und Porzellan, einen Tisch mit Uhr, eine Petroleum-Hängelampe, Stühle, zwei<br />

Korbsofas, eine Medizinkiste mit Decke. An den Wänden hängen Bilder vom Kaiser und Kronprinzen.<br />

Das andere Schlafzimmer benutzt Steingroever. Als Koch arbeitet Freudenberg (von der TILLY) und<br />

zum Aufwarten dient der kleine Kapstädter Albert (von deutschen Eltern). Alle sind nette und ruhige<br />

Menschen. Im Lagerhaus ist alles fix in Ordnung. Das frühere Wohnhaus ist als Kontor eingerichtet<br />

und in den Vorkammern schlafen Fritz, Heinrich sowie Bergmann Hoskins. Hinten ist das Zimmer <strong>des</strong><br />

Kochs und die Werkstatt.<br />

Im kleinen Wohnhaus schlafen Iselin und Franken, der Zimmermann Hans und Müller. Dann ist da<br />

noch das Arbeitszimmer für Steingroever, der sehr fleißig für das Museum Naturalien sammelt und der<br />

META übergibt. Wir haben eine Einfriedung für Schlachtschafe und Ziegen, einen Schweinestall und<br />

zwei Toiletten, davon eine verschließbar. Ein Taubenschlag beherbergt sechs Tauben, zum Teil<br />

bereits verspeist. Dann noch ein Hühnerhof.<br />

Es steht ein Pfer<strong>des</strong>tall bereit, in dem Leute aus dem Lan<strong>des</strong>inneren unterkommen können. Am<br />

Strand hat man einen Steindamm gebaut, 100 Meter lang, davor einen hölzernen Steg zum Anlegen<br />

für Schiffe. Es macht gewiss Vergnügen, jetzt die Faktorei zu besichtigen. Vom Steindamm verkehrt<br />

eine kleine Eisenbahn bis vor das Lagerhaus, sodass die Güter schnell unter Dach und Fach gebracht<br />

werden können. Wir haben ein Pulverhaus und einen Dynamitkeller, beide einige hundert Schritte entfernt.<br />

14 Tanks für Trinkwasser sind außen rot gestrichen, damit sie nicht rosten.<br />

Brigg TILLY ging im Februar 1885 vor Angra Pequena unter


<strong>Der</strong> Flaggenmast mit dem Protektoratsschild steht hundert Schritte hinter dem Wohnhaus. 200<br />

Schritte weiter befindet sich das eingefriedete Grab eines ertrunkenen Guano-Arbeiters von Penguin<br />

Island. Morgens um sechs Uhr wird eine Tasse Kaffee ans Bett gebracht und geweckt. Ich wasche<br />

Gesicht und Brust mit Meerwasser und die Hände mit Süßwasser. Um sieben Uhr wird die Glocke<br />

zum Frühstück geläutet. Kaffee, Butter, Brot, kaltes Fleisch usw. gibt es. Um 12 Uhr läutet es zum<br />

Lunch und abends um sechs zum Dinner mit frischem Fleisch, Geflügel, Suppe, Erbsen, Bohnen,<br />

Linsen.<br />

Zum Dinner kommt jeder mit Jacke und nicht in Hemdsärmeln! Abends unterhalten wir uns mit Zigarren<br />

und gehen zwischen 10 und 11 Uhr zu Bett. Die Tür steht den ganzen Tag über offen, obwohl<br />

es hier Winter ist. Die Sonne geht um sieben Uhr auf und um fünf Uhr unter, meistens wunderschön<br />

anzuschauen.“ ---<br />

Am 19. Oktober 1886 verschickte <strong>Lüderitz</strong> den letzten Brief an seine Frau in Deutschland:<br />

„Herzens Emmy! Nach glücklicher Reise kamen wir (in Aries Drift 100 km oberhalb der Oranje Mündung)<br />

vorgestern an. <strong>Der</strong> Oranje Fluss ist hübsch und romantisch, machte uns aber viel Arbeit, weil<br />

wir 52 Stromschnellen von Nabas Drift bis hierher zu überwinden hatten. Wir, das heißt Iselin, Steingroever,<br />

Hoskins und ich, sind alle wohlauf trotz der Strapazen.<br />

Hier können wir leider keinen Boten nach Aus schicken, um die Wagen zu holen, die uns und unser<br />

Gepäck befördern. Deshalb reisen Steingroever und ich morgen früh um sechs Uhr nach Angra<br />

Pequena, von wo aus ich ausführlich schreiben werde. Ich denke, ich werde in etwa acht Tagen Angra<br />

Pequena erreichen. Vor dort aus geht ein Bote nach Aus. Gott sei Dank, dass wir alle so weit<br />

gekommen sind!<br />

Kein Mensch hat bisher den Oranje Fluss so weit befahren und unsere kleinen Boote haben sich<br />

famos bewährt. In Angra finde ich hoffentlich einen Packen Briefe vor. Bislang haben wir mit der Welt<br />

außer Verkehr gestanden. Nur Fische, Vögel und Affen waren unsere Gefährten auf dieser Flussreise.<br />

Am Fischfluss hatten wir nächtlichen Besuch von Flusspferden, die sich aber schleunigst davon<br />

machten. Hoffentlich seid Ihr alle so wohlauf wie ich. Gott schütze Euch und uns fernerhin. Dieser<br />

Wisch geht per Boten über Port Nolloth nach Kapstadt.<br />

Herzliche Grüße an alle von Deinem treuen Adolf“.<br />

<strong>Lüderitz</strong>bucht nach einem Aquarell von M. Schöning


Aussage <strong>des</strong> Farmers Rainier Coetzee vor dem Magistrat zu Port Nolloth wie folgt:<br />

„Ich bin Farmer und wohne in Kort Doorn am Ufer <strong>des</strong> Oranje Flusses, ungefähr neun Meilen von der<br />

Mündung entfernt. Ich kenne die Herren <strong>Lüderitz</strong> und Steingroever. Sie kamen zu meinem Haus am<br />

21. Oktober <strong>des</strong> vorigen Jahres 1886 und waren den Fluss in einem Faltboot heruntergefahren. Sie<br />

kamen von Nabas Drift, wie mir Herr <strong>Lüderitz</strong> mitteilte. Er sagte: „Das Herabfahren war sehr mühsam<br />

wegen der zahlreichen Stromschnellen. Weil ich keine Gelegenheit hatte, meinen Wagen zu bestellen,<br />

um mich nach Angra Pequena zu befördern, werde ich das Boot benutzen.“<br />

Ich erwiderte: „Herr <strong>Lüderitz</strong>, scheuen Sie lieber keine Kosten und reisen Sie über Land statt mit<br />

einem so kleinen Boot auf See zu gehen. Sie werden sich ins Unglück stürzen, denn das Boot ist zu<br />

klein für die See“. Herr Steingroever sagte daraufhin: „Ich bin viele Jahre zur See gefahren und ich<br />

weiß, dass keine Gefahr besteht“. Nun meinte Herr <strong>Lüderitz</strong>: „Ich vertraue Steingroever, denn er ist ein<br />

erfahrener Mann“.<br />

Nachts schliefen die Herren in meinem Haus. Morgens fuhren sie in ihrem kleinen Boot ab und<br />

ruderten auf die Mündung <strong>des</strong> Flusses zu. Das Wetter war schön, auch am folgenden Tag. Aber einen<br />

Tag später, es war ein Sonntag, blies der Wind gegen ein Uhr nachmittags stark aus Nordwesten. Das<br />

Boot war leichtgewichtig, denn es wog nur 88 Pfund, wie mir Herr <strong>Lüderitz</strong> erzählte. Dieser<br />

Nordwestwind verursachte hohen Wellengang.<br />

Am 1. Januar suchte ich die Küste nördlich der Mündung <strong>des</strong> Oranje Flusses an zwei Tagen zu Pferd<br />

ab, um Spuren der Vermissten zu entdecken. Ich hatte keinen Erfolg“.<br />

Aussage <strong>des</strong> Farbigen Jan Toontijes vor dem Magistrat:<br />

„Ich bin ein Bruder von William Toontjes, diene beim Herrn Karl Brandt nahe Kort Doorn und arbeite<br />

dort als Hirte. Vor dem Jahreswechsel befand ich mich an der Mündung <strong>des</strong> Oranje Flusses, wo mein<br />

Bruder lebt. Vor Neujahr kam ein Canvasboot den Fluss bis zur Mündung herunter. Zwei Europäer<br />

saßen in diesem Boot. Ich half ihnen, das Boot aus dem Wasser zu ziehen. Das Boot wurde in zwei<br />

Teile zerlegt und auf den Strand nahe einer Hütte verbracht. Dort übernachteten die beiden Männer.<br />

Ruhiger Abschnitt <strong>des</strong> Oranje Flusses


Am nächsten Tag halfen folgende Personen beim Tragen <strong>des</strong> Boots, <strong>des</strong> Proviants und Trinkwassers,<br />

nach Alexander Bay: Klaas Zwartbooy, Pieter Jantjes, Piet Zwartbooy, ich selber sowie ein anderer<br />

Hottentott, <strong>des</strong>sen Namen ich nicht kenne! Wir entfernten uns am Abend und liefen am nächsten<br />

Morgen zurück nach Alexander Bay, wo wir die beiden Europäer mit ihrem Boot noch vorfanden.<br />

Die Herren kochten und nahmen ihr Frühstück zu sich. Danach schoben sie ihr Boot ins Wasser.<br />

William Toontjes, Klaas Zwartbooy und ich rollten unsere Hosen hoch. Die Europäer bestiegen das<br />

Boot und wir stießen es ab. Dann ruderten die Männer auf das Meer hinaus. Nachdem sie etwa eine<br />

halbe Meile gefahren waren, zogen sie die Ruder ein, setzten ein Segel und steuerten westwärts.<br />

Daraufhin ging ich die Küste entlang in Richtung Port Nolloth, drehte mich immer wieder um und<br />

blickte dem Boot nach bis es außer Sicht geriet. Es wehte ein leichter südöstlicher Wind, die See<br />

erschien ruhig und gegen Mittag kam eine frischere Brise auf.<br />

Kaufvertrag: Vogelsang, Frederiks, <strong>Lüderitz</strong> am 1.5.1883


Ich sah mir die Europäer in Alexander Bay genauer an. Einer war groß. Er trug eine Kappe mit einem<br />

auf die Schultern hängenden weißen Überzug, weiße Corduroy Hosen, eine dunkle Tweedjacke,<br />

schwarze Lederschuhe und eine vergoldete Brille. <strong>Der</strong> andere hatte ein dunkles Matrosenhemd an,<br />

schwarze Hosen und lederne Stiefel. Er war etwas kleiner und trug einen schwarzen Bart.<br />

Als ich den Mann mit der Brille fragte, wann er wieder zurückkommen wolle und woher er stamme,<br />

lautete die Antwort: „Ich werde 15 Tage auf See sein“. Später schwenkte er draußen auf dem Meer<br />

noch einmal sein Taschentuch in unserer Blickrichtung.<br />

Die einzigen anderen Worte, die ich den Mann mit der Brille sprechen hörte, waren: „Sobald wir mit<br />

dem Frühstück fertig sind, wollen wir das Boot ins Wasser schieben“. Die beiden Europäer redeten<br />

miteinander, aber mir war ihre Sprache unbekannt. Die letzten Worte <strong>des</strong> Manns mit Brille waren: „Ich<br />

werde in 15 Tagen dort sein“. Das sagte er beim Zubereiten <strong>des</strong> Frühstücks. Mehr habe ich nicht verstanden.<br />

Im Boot winkte er nur mit dem Taschentuch, rief uns aber nichts mehr zu“.<br />

<strong>Lüderitz</strong> und Vogelsang: Teamwork mit Hindernissen<br />

In einem alten Kaufmannshaus zu Bremen, gegenüber der Stadtwaage, befand sich das Geschäft <strong>des</strong><br />

wohlhabenden Tabak-Importeurs Franz Adolf <strong>Lüderitz</strong>. Dort fanden im Jahr 1882 Besprechungen <strong>des</strong><br />

zwanzigjährigen Heinrich Vogelsang mit dem etwa fünfzigjährigen Bremer Handelsherrn statt. Später<br />

kam Kapitän Timpe hinzu. <strong>Lüderitz</strong> wollte mit dem jungen Vogelsang von Eingeborenen in Südwestafrika<br />

Land erwerben, darauf Faktoreien errichten und alles unter den Schutz <strong>des</strong> Deutschen<br />

Reichs stellen lassen.<br />

Vogelsang reiste zunächst mit einem britischen Dampfer von Southampton nach Cape Town, wo er<br />

sich nach früheren Aufenthalten bereits auskannte. Er setzte sich mit der deutschen Firma Poppe,<br />

Rossouw & Co. in Verbindung, um gemeinsame Pläne auszuarbeiten. Nützliche Hinweise lieferte der<br />

in Kapstadt lebende Sohn <strong>des</strong> deutschen Missionars Hahn aus Südwest.<br />

Es war zu erfahren, dass der Hafen Angra Pequena dem Hottentotten Kapitän Joseph Frederiks<br />

gehörte, der in Bethanien wohnte. Drei junge Deutsche (Lahnstein, Francke und Wagner) verpflichtete<br />

man als kaufmännische Angestellte für die geplante Handelsniederlassung. Inzwischen wurde Ende<br />

Heinrich Vogelsang Dr. Gustav Nachtigal


Dezember in Bremen (1882) das kleine Segelschiff TILLY mit vielseitiger Ausrüstung beladen:<br />

Lebensmittel, Baumaterial für Hauskonstruktionen, Tauschartikel wie Tabak, bunt bedruckte<br />

Kattunstoffe, Hosen, Hemden, Jacken, Gewehre und Glasperlen.<br />

Nach ihrer Ankunft in Kapstadt lud die TILLY reichlich Trinkwasser und Proviant. Am 5. April 1883 ging<br />

die Fahrt weiter, begleitet von Vogelsang und <strong>des</strong>sen Gehilfen. Vier Tage später erreichte man die<br />

Dias-Spitze und die Bucht von Angra Pequna, 1487 von dem portugiesischen Seefahrer entdeckt und<br />

„Enge Einfahrt“ in <strong>des</strong>sen Muttersprache benannt.<br />

Vogelsang rechnete damit, die wertvollen Guano Inseln (Vogelkot als Düngemittel) mit dem Küstenland<br />

von Kapitän Frederiks ankaufen zu können, denn auch die vorgelagerten Inseln waren <strong>des</strong>sen<br />

Eigentum. Als vorläufiges Domizil der Expedition diente ein aus Kapstadt mitgebrachtes Zelt nach<br />

dem 9. April 1883. Mit dem Hausbau sollte zügig begonnen werden.<br />

Durch einen Buschmann Boten hatte Vogelsang bald nach seiner Landung einen Brief an den<br />

deutschen Missionar Bam in Bethanien geschickt, der eng mit Frederiks zusammen arbeitete als<br />

Seelsorger. Bam sollte eine Unterredung mit dem Kapitän vermitteln und als Fürsprecher dienen.<br />

Außerdem bat man den Missionar um Entsendung von Pferden <strong>des</strong> Kapitäns nach Angra Pequena für<br />

die Weiterreise.<br />

14 Tage danach trafen die erbetenen Reitpferde mit einigen Begleitern ein. Als seine Begleiter wählte<br />

Vogelsang von Pestalozzi und de Jongh, dazu zwei Eingeborene mit guten kapholländischen<br />

Sprachkenntnissen, sodass die Verständigung gut funktionierte. Die drei Europäer mussten sich auf<br />

erhebliche Strapazen gefasst machen.<br />

Nach 17 Stunden Ritt erreicht sie den Ort Aus mit der ersten Süßwasserquelle zwischen Angra<br />

Pequena und Bethanien. Zwei Stunden später schwangen sie sich wieder in den Sattel. Wie es der<br />

Zufall wollte, begegnete das Trio alsbald unterwegs einem mit 16 Ochsen bespannten Treckwagen,<br />

kutschiert von Missionar Bam. Es war zu vernehmen, dass der Kapitän den Wunsch Vogelsangs<br />

wegen Landerwerb „wohlwollend prüfen“ wolle und eine Faktorei begrüße.<br />

Leutnant Graf v. Spee


Die Gespräche mit dem Chief verliefen langwierig und zäh. Ein Jagdgewehr wurde Frederiks als Präsent<br />

überreicht und mit Vergnügen entgegen genommen. Nach einigem Hin und Her schlug die Stunde<br />

der Vertragsunterzeichnung: Nun gehörten der Hafen von Angra Pequna und das angrenzende<br />

Land, fünf Meilen Umkreis in jeder Richtung, der Firma F.A.E. <strong>Lüderitz</strong> in Bremen. <strong>Der</strong> Kaufpreis: 100<br />

Pfund Sterling in Gold sowie 200 Gewehre mit Zubehör.<br />

Mehrere Monate danach reiste Vogelsang wieder nach Bethanien mit einem gut ausgerüsteten Ochsenwagen.<br />

Ergänzende Verhandlungen führten diesmal zum Kauf der ganzen Küste ab der Oranje<br />

Mündung bis zum 22. Grad südlicher Breite: 500 Pfund in Gold und 60 britische Gewehre.<br />

Am 24. April 1884 wurde der Beschluss <strong>des</strong> Fürsten und Reichskanzlers Otto von Bismarck in<br />

Kapstadt bekanntgegeben, dass sämtliche Besitzungen <strong>des</strong> Herrn <strong>Lüderitz</strong> nördlich vom Oranje jetzt<br />

unter dem Schutz <strong>des</strong> Deutschen Reichs stehen. Somit besaß Deutschland seine erste Kolonie<br />

offiziell.<br />

Vogelsang wartete mittlerweile auf das Eintreffen <strong>des</strong> Kanonenboots MÖWE, das den Reichskommissar<br />

Dr. Nachtigal mit seinem Stab befördern sollte. <strong>Der</strong> Kommissar hatte den Aufrag, mit den<br />

Kapitänen der Nama und Damara Freundschaftsverträge abzuschließen. Vogelsang begleitete Dr.<br />

Nachtigal.<br />

Vogelsang hatte die Operation gewissenhaft vorbereitet und die Kapitäne Jakob Isaak, Moses<br />

Witbooi, Andries Lambert und Jan Jonker Afrikaner durch reitende Boten eingeladen sich in Bethanien<br />

zu versammeln wegen einer wichtigen Sache. Beeindruckende Geschenke mussten vorgezeigt werden:<br />

Eine Uniform für Joseph Frederiks, Sättel, Wolldecken, Kleiderstoffe, Tücher, gute Jagdgewehre<br />

usw. Die geladenen Kapitäne durften sich als Ehrengäste <strong>des</strong> Reichskommissars betrachten, sodass<br />

reichlich Verpflegung und Spirituosen der Bewirtung dienten.<br />

Zerlegter Ochsenkarren überquert den Oranje


Zur deutschen Delegation gehörte auch der Unterleutnant zur See, Graf Spee, Offizier an Bord <strong>des</strong><br />

Kanonenboots MÖWE. Im Ersten Weltkrieg machte er Schlagzeilen als Admiral. <strong>Der</strong> junge Leutnant<br />

fand während der ersten Rast bei der Anreise einige Steine, die er für Diamanten hielt und mit Neugier<br />

betrachtete. Dr. Nachtigal und Vogelsang ernüchterten ihn aber mit der Erklärung, dass es sich nur<br />

um wertlosen Quarz handelte. Jahre später fand man beim Bahnbau in DSWA die ersten „richtigen“<br />

Diamanten.<br />

An dieser Stelle dürften den Leser ein paar Hinweise auf den früheren Lebenslauf <strong>des</strong> Heinrich<br />

Vogelsang interessieren, den man aus heutiger Sicht als „Aussteiger“ bezeichnen könnte. Schon als<br />

Fünfzehnjähriger wollte der Knabe Heinrich die Enge Bremens sprengen und ins verlockende Ausland<br />

ziehen. Er hatte sieben brave Geschwister, schlug jedoch aus der Art voller Tatendrang.<br />

Vergeblich suchte er bei den großen Bremer Exportunternehmen einen Job für Anfänger mit<br />

kaufmännischen Kenntnissen. Dann erklärte sich eine britische Firma bereit, ihn nach King Williams<br />

Town am Ostkap (Südafrika) zu schicken, wo er fast zwei Jahre mit offenen Augen und Ohren verbrachte.<br />

Plötzlich brach Krieg aus zwischen den Engländern und mehreren Stämmen der Zulus, und Heinrich<br />

meldete sich als Freiwilliger bei den Engländern. Die Strapazen waren zu groß für den jungen Mann:<br />

er musste den bunten Rock wieder ausziehen. Zurück in der Heimatstadt Bremen bemühte sich<br />

Heinrich um neue Afrika-Kontakte. Diesmal sandte ihn die Bremer Firma M. Vietor an die britische<br />

Gold Coast, wo Vietor mehrere Faktoreien unterhielt. Mit 18 Jahren durfte Heinrich endlich allein einer<br />

solchen Niederlassung vorstehen in Danoe!<br />

Erneut lief sein Zeitvertrag ab und Vogelsang blieb keine andere Wahl als in der alten Heimat eine<br />

Pause einzulegen. In dieser misslichen Situation lernte Heinrich Vogelsang (durch Zufall) Adolf<br />

<strong>Lüderitz</strong> kennen und sofort waren die beiden ein Herz und eine Seele mit ihren Kolonialplänen.<br />

Schreiben <strong>des</strong> Missionars Bam aus Bethanien an seine Missionsgesellschaft vom November 1884:<br />

„<strong>Der</strong> unlängst erwartete Generalkonsul und Kommissar für die Westküste Afrikas, Herr Dr. Nachtigal,<br />

war hier zu Besuch. Nachfolgend will ich berichten, wie es sich zugetragen hat, dass seit dem 28.<br />

Oktober das ganze Gebiet Bethanien unter deutscher Schutzherrschaft steht.<br />

Historische Mission Bethanien ab 1815


Am Freitag, den 24. Oktober, erschien der Herr Generalkonsul in Begleitung <strong>des</strong> Herrn Vogelsang und<br />

<strong>des</strong> Grafen Leutnant von Spee. Wir empfingen die Gäste mit Freuden und hießen sie in unserm Haus<br />

herzlich willkommen. <strong>Der</strong> Kapitän Frederiks hatte den Generalkonsul bei uns eintreten sehen. Bald<br />

erschien er in Begleitung seiner Ratsleute zur Begrüßung in seinem schwarzen Sonntagsanzug und<br />

hätte gewiss ein vorteilhaftes Äußeres präsentiert, wenn sein Hemd nicht so schmutzig gewesen<br />

wäre.<br />

<strong>Der</strong> Herr Generalkonsul schien sich aber mehr mit anthropologischen Studien als mit dem Zustand<br />

<strong>des</strong> Oberhem<strong>des</strong> zu befassen, denn er sprach später seine Verwunderung über die Gesichtszüge <strong>des</strong><br />

Kapitäns aus. Graf Spee meinte sogar, dass niemand in Europa den Kapitän auf der Straße für einen<br />

Ausländer halten würde, einmal abgesehen von der braunen Hautfarbe.<br />

<strong>Der</strong> Generalkonsul schüttelte dem Kapitän Joseph und den Ratsleuten kräftig die Hand und ließ dem<br />

Kapitän durch mich übersetzen, dass er schon viel über ihn vernommen habe und sich jetzt auf die<br />

persönliche Bekanntschaft freuen möchte. Danach zogen sich die Eingeborenen wieder zurück.<br />

Ich überreichte dem Generalkonsul eine von Missionar Hegner (Berseba) unterzeichnete Bittschrift, in<br />

der wir dem Kaiserlichen Kommissar den erheblichen sittlichen Schaden vor Augen führen, den der<br />

Handel mit Spirituosen hier im Land bereits angerichtet hat. <strong>Der</strong> Generalkonsul nahm unser Gesuch<br />

wohlwollend auf.<br />

Am Sonntag erschien der Generalkonsul in voller Uniform, die Brust mit zahlreichen Orden geschmückt,<br />

zum Gottesdienst. Auch Graf Spee hatte seine Uniform als Offizier der Kriegsmarine<br />

angelegt und unser Kapitän trug die ihm von Herrn <strong>Lüderitz</strong> zugedachte Uniform eines Ulanen. Den<br />

zugehörigen Säbel hatte er daheim gelassen.<br />

<strong>Der</strong> Generalkonsul reichte mir zur Übersetzung ins Kap-Holländische ein aus 13 Artikeln bestehen<strong>des</strong><br />

Schriftstück mit der Überschrift „Schutz- und Freundschaftsvertrag zwischen dem Deutschen Reich<br />

und Bethanien“. Als die Übersetzung erledigt war, wurden die Herren Graf Spee und Vogelsang<br />

beauftragt, sich mit dem Dokument zum Kapitän zu begeben, um ihm den Inhalt vorzulesen und durch<br />

den Schulmeister dolmetschen zu lassen.<br />

Liebevoll restaurierte Kolonialhäuser in <strong>Lüderitz</strong>bucht


<strong>Der</strong> Kapitän möge dann mit seinen Ratsleuten alles besprechen und Beanstandungen oder Wünsche<br />

zu einzelnen Punkten mitteilen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und lautete, dass er nichts<br />

gegen die Sache an sich oder irgendeinen Artikel einzuwenden habe. Er sei bereit, den Kaiser von<br />

Deutschland um <strong>des</strong>sen Schutz für Bethanien zu bitten, doch wolle er diesen Schritt nicht ohne den<br />

Kapitän Jakobus Isaak von Berseba unternehmen.<br />

Ich riet dem Kapitän dringend ab, seine eigene Entscheidung von Jakobus Isaak abhängig zu machen,<br />

denn der Generalkonsul werde nicht so lange Geduld aufbringen. Schließlich gab ich dem<br />

Kapitän noch den Rat, alle vorstellbaren Klagen wegen <strong>des</strong> verkauften Lan<strong>des</strong> sofort vorzubringen.<br />

<strong>Der</strong> Generalkonsul sei ein gerechter und wohlwollender Mann, der keine Übervorteilung dulde.<br />

Am 28. Oktober gegen neun Uhr früh ließ der Kapitän den Generalkonsul bitten, vor der Rats- und<br />

Volksversammlung zu erscheinen. Graf Spee und Vogelsang begleiteten den Generalkonsul als<br />

Zeugen. <strong>Der</strong> Kapitän saß auf einem Lehnstuhl unter den schönen Bildern <strong>des</strong> Kaisers und <strong>des</strong><br />

Kronprinzen. Dazwischen hing eine Fotografie <strong>des</strong> Herrn <strong>Lüderitz</strong>. Gegenüber sah man an der Wand<br />

einen Ölfarbendruck mit dem Brustbild von Martin Luther, auch ein Geschenk von <strong>Lüderitz</strong>. Unter<br />

diesen Bildern nahmen wir nun Platz.<br />

<strong>Der</strong> Kapitän ergriff sogleich das Wort und sagte kurz, dass er nach reiflicher Überlegung bereit sei,<br />

einen Schutz- und Freundschaftsvertrag mit dem Deutschen Reich abzuschließen. Deshalb bitte er<br />

den deutschen Kaiser, über Bethanien die Schutzherrschaft zu übernehmen. <strong>Der</strong> Generalkonsul<br />

sicherte ihm das sogleich zu.<br />

Ich las danach die kapholländische Übersetzung <strong>des</strong> Vertrages langsam und deutlich vor. Christian<br />

Goliath dolmetschte hinterher: Das an Herr <strong>Lüderitz</strong> abgetretene Küstengebiet unterstellt der Kaiser<br />

dem Schutz <strong>des</strong> Reichs und übernimmt die Oberhoheit.<br />

Nun sagte der Kapitän jedoch zum Generalkonsul überraschend, dass er bei dem abgeschlossenen<br />

Landverkauf „selbstverständlich nur an den Sand“ (gemeint war offensichtlich mit dieser Formulierung<br />

ein sehr schmaler Küstenstreifen) gedacht habe und <strong>des</strong>halb den ursprünglich höheren bzw.<br />

vorgeschlagenen Preis entsprechend reduziert habe. Herr <strong>Lüderitz</strong> hätte seinerzeit in Gegenwart <strong>des</strong><br />

Kapitäns mit einem Zirkel auf einer Landkarte Entfernungen abgemessen, um festzulegen, wo die<br />

künftige deutsche Grenze landeinwärts verlaufen sollte.<br />

Parteizentrale der SWAPO in <strong>Lüderitz</strong>bucht


Jetzt habe er, der Kapitän, nachträglich erfahren, und zwar aus mehreren unterschiedlichen Quellen,<br />

dass das rechtswirksam von Herrn <strong>Lüderitz</strong> erworbene Gebiet viel weiter in das Lan<strong>des</strong>innere hinein<br />

reiche als ursprünglich abgesprochen. Damit sei er gewiss nicht einverstanden.<br />

Von Meilen (es wurden im Vertrag 20 geographische Meilen zitiert) habe er keine rechte Vorstellung<br />

und stets nur eine schmale unwirtliche Küstenlinie im Sinn gehabt bei Vertragsabschluss. Er, der<br />

Kapitän, würde niemals gutes Land einfach veräußern, das er selber am besten nutzen möchte!<br />

(Anmerkung: Um 1880 war in Deutschland die sogenannte geographische Meile gebräuchlich,<br />

umgerechnet (abgerundet) 7.420 Meter. Die britische sogenannte STATUTE MILE, ab 1824 auch<br />

IMPERIAL MILE genannt, entsprach (abgerundet) 1,609 Meter zum Vergleich.)<br />

<strong>Der</strong> Generalkonsul verstand die Verwirrung bzw. misstrauische Haltung <strong>des</strong> Kapitäns auf Anhieb und<br />

bat ihn, alle Bedenken sogleich zu Papier zu bringen und von den damals anwesenden Zeugen<br />

unterzeichnen zu lassen. <strong>Der</strong> Generalkonsul nahm den Vertrag dann mit nach Berlin, nachdem ich<br />

seinen Inhalt beglaubigt hatte.<br />

Am 29. Oktober wurde schließlich die Kaiserliche Flagge gehisst und zwar vor dem Haus <strong>des</strong><br />

Kapitäns. Aber wie schämte ich mich zugleich, als ich den Kapitän sturzbetrunken vorfand. Er hatte<br />

sich am Abend vorher aus der Faktorei eine Flasche Branntwein besorgt und ausgetrunken. Frederiks<br />

machte eine jämmerliche Figur: Den Säbel hatte er kreuzweise über die Schulter gehängt und die<br />

zugehörige Schärpe um den Leib geknotet. Mir war allerdings bekannt, dass der Kapitän als<br />

notorischer Alkoholiker immer wieder peinlich auffiel ohne Aussicht auf Besserung seines Zustands in<br />

naher Zukunft. Am 31. Oktober verließ uns der Herr Generalkonsul.<br />

Hochachtungsvoll (gezeichnet) Missionar Bam<br />

Buntglasfenster der Felsenkirche zu <strong>Lüderitz</strong>bucht


Quellen<br />

Schöning, M.: Heinrich Vogelsang in DSWA<br />

(Windhuk 1975)<br />

Weber, O.: Die letzte Reise von Adolf <strong>Lüderitz</strong><br />

(Windhuk 1973)<br />

<strong>Der</strong> geheimnisvolle Tod von F.A..E. <strong>Lüderitz</strong> nach Aktenlage<br />

(Windhuk 1953)<br />

<strong>Der</strong>nhardt, I.: Die Landungsstelle von Port Vogelsang<br />

(Windhuk 1998)<br />

Deutsches Kolonialblatt<br />

Sander, K.: Geschichte der Deutschen Kolonial-Gesellschaft SWA<br />

(Berlin 1912)<br />

Schüssler, W.: Adolf <strong>Lüderitz</strong><br />

(Bremen 1936)<br />

Wikipedia<br />

Technische Universität Freiberg (Orange River)<br />

Google Information<br />

History of Namibia – Prominent Individuals<br />

(Geskiedenismakers, Lester Venter, Rössing Uranium Limited)<br />

Henoch, H.: Adolf <strong>Lüderitz</strong><br />

(Berlin 1910)<br />

Dove, K.: Deutsch-Südwestafrika<br />

(Gotha 1896)<br />

<strong>Lüderitz</strong>, C.A.: Akten, Briefe und Denkschriften zur Erschließung von DSWA durch Adolf <strong>Lüderitz</strong><br />

(Bremen 1943 Privatdruck)<br />

Hesse, H.: Die Schutzverträge in SWA<br />

(Berlin 1905)<br />

Esterhuyse, J.: South West Africa 1880 – 1894<br />

(Cape Town 1968)<br />

Fabri, F.: Fünf Jahre deutscher Kolonialpolitik<br />

(Gotha 1889)<br />

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