Proprioceptives Vibrationstraining â Physiologische Grundlagen Und
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medizin<br />
<strong>Proprioceptives</strong> <strong>Vibrationstraining</strong> –<br />
<strong>Physiologische</strong> <strong>Grundlagen</strong> und<br />
medizinische Anwendungsbereiche<br />
Vom Muskel- und Knochenaufbau<br />
zum Fettabbau<br />
Christian Wüster 1 , Iris Lutz 2 , Jasmin Pourfard 3 , Christoph Uleer 3 , Gernot Felmet 4<br />
1 Praxis für Endokrinologie, Mainz & Universität Heidelberg, Abt. Innere Med. 1<br />
2 Institut für gesunde Lebensführung, Medi-ManAge, Mainz<br />
3 Gynäkologisch-onkologische Schwerpunkt Praxis, Hildesheim<br />
4 Artico Sportklinik, Villingen-Schwenningen<br />
496 C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503<br />
Foto: iStockphoto.com<br />
Zusammenfassung: <strong>Proprioceptives</strong> <strong>Vibrationstraining</strong> (PVT) ist eine Trainingsform zum Muskelaufbau. Das Prinzip basiert darauf, dass ein<br />
vorgedehnter Muskel auf Vibrationen mit unwillkürlichen rhythmischen Kontraktionen und Dekontraktionen reagiert. Dies führt nach längerer<br />
Zeit, ähnlich wie beim Krafttraining, zu einer Steigerung der Muskelmasse und Muskelkraft. Der Vorteil des PVT ist hierbei die Zeitersparnis. 90<br />
Minuten Krafttraining ist genauso effektiv wie 10 Minuten PVT. Nebenbei kommt es auch zu einem Abbau von subcutanem Fettgewebe. Diese<br />
beiden Effekte – Fettabbau und Muskelaufbau – kann man sich bei vielen medizinischen Indikationen zu Nutze machen. Bei Sarkopenien<br />
unterschiedlicher Genesen – Immobilisation postoperativ, physiologisches Altern, Glucocorticoidbehandlungen u. a. – wird PVT inzwischen<br />
erfolgreich eingesetzt. Bei kosmetischen Problemen oder verschiedenen Formen lokaler Lipodystrophien macht man sich den Fett reduzierenden<br />
Effekt von PVT zu Nutze. Insgesamt ist die Anwendung von PVT im medizinischen Bereich ein typisches Beispiel dafür, wie man ein im nicht<br />
medizinischen Bereich erfolgreiches System für Gesunde auf Kranke übertragen kann.<br />
Schlüsselwörter: <strong>Proprioceptives</strong> <strong>Vibrationstraining</strong>,<br />
Ganzkörper-<strong>Vibrationstraining</strong>, Muskelaufbau, Osteoporose,<br />
Knochenaufbau, Bewegungstherapie, Krafttraining<br />
Einleitung<br />
Bereits vor mehr als 100 Jahren veröffentlichte Johann Wolff<br />
diese Theorie in seinem Buch „Das Gesetz der Transformation<br />
der Knochen“ [1]. Er formulierte damit als Erster den inzwischen<br />
allgemein akzeptierten „form-follows-function“-<br />
Zusammenhang, der besagt, dass Knochenmasse und -architektur<br />
durch Größe und Richtung der einwirkenden Kräfte<br />
bedingt werden. Das Skelettsystem unterliegt zeitlebens<br />
einem regen Umbauprozess, durch den der Knochen sich an<br />
veränderte mechanische und metabolische Gegebenheiten<br />
anpasst.<br />
Erste Aufzeichnungen über positive Effekte von Schwingungen<br />
hat es bereits im 19. Jahrhundert gegeben. Bei Parkinson-Patienten<br />
soll sich das Krankheitsbild durch Kutschen-<br />
oder Eisenbahnfahrten verbessert haben (Rückgang<br />
des Tremors). Bei dem Proprioceptiven <strong>Vibrationstraining</strong><br />
geht es um die Verabreichung mechanischer Vibrationen an<br />
den Körper. Die Vibrationen verursachen eine mechanische<br />
Belastung verschiedener Körpergewebe, wie zum Beispiel<br />
Knochen, Muskeln, Haut, Nerven usw. Die Vibration wird<br />
in erster Linie durch das unbewusste aktive An- und Entspannen<br />
der Muskeln gedämpft (myostatischer Reflex oder<br />
Dehnreflex). Jeder Muskel hat einen Dehnreflex, und hiervon<br />
wird beim <strong>Vibrationstraining</strong> Gebrauch gemacht. Der<br />
C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503 497
medizin<br />
Proz. Diff. Anfang-Ende [%]<br />
11<br />
9<br />
7<br />
5<br />
3<br />
1<br />
-1<br />
-3<br />
-5<br />
-7<br />
-9<br />
-11<br />
0,33<br />
LWS Galileo<br />
-1,20<br />
LWS Kraft<br />
Abb 1a: Prozentuale Änderung (%) der flächenbezogenen Knochenmasse der Lendenwirbelsäule (LWS) und des Oberschenkelhalses (OSH) der zwei<br />
Trainingsgruppen Galileo- bzw. Krafttraining (Kleinmond 2002) [12].<br />
Dehnreflex findet abhängig von der eingestellten Frequenz<br />
statt. Bei Frequenzen im Bereich von 20–30 Hz kommt es zu<br />
einer verstärkten Koaktivierung von Agonist und Antagonist<br />
im Sinne eines Schutzreflexes, wie in Untersuchungen an<br />
Skiabfahrtsläufern gezeigt werden konnte. Dieser Reflex<br />
führt zu einer höheren Gelenksteife und -stabilität sowie zu<br />
einem verstärkten Druck auf den Knochen [2]. Durch PVT<br />
bei diesen Frequenzen wird derselbe Effekt verbunden mit<br />
einer positiven Beeinflussung des Knochenstoffwechsels erwartet.<br />
Vorstudien ergaben einen raschen und deutlichen<br />
Anstieg von Koordination, Muskelmasse und –kraft, ohne<br />
negative Beeinflussung von Hämodynamik und Stoffwechsel<br />
[3-11].<br />
1960 erkannte W. Biermann angeblich als einer der Ersten<br />
in der ehemaligen DDR die Möglichkeiten des <strong>Vibrationstraining</strong>s.<br />
Seine Beschreibung der „cycloiden Schwingungen“<br />
und seine Arbeiten über die Wirksamkeit der<br />
„Rhythmischen Neuromuskulären Stimulationsmethode“<br />
wies den richtigen Weg. Wenig später übernahmen russische<br />
Wissenschaftler seine Erkenntnisse und nutzten sie für ihre<br />
Raumfahrtprogramme. Russische Kosmonauten konnten bis<br />
zu 420 Tage lang im All bleiben, während amerikanische Astronauten<br />
bereits nach 120 Tagen zur Erde zurückkehren<br />
mussten. Die russischen Kosmonauten konnten im schwerelosen<br />
All durch <strong>Vibrationstraining</strong> Muskeln aufbauen bzw.<br />
erhalten. Die russischen Kollegen untersuchten die unbe-<br />
498 C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503<br />
0,59<br />
OSH Galileo<br />
wussten Bewegungen und Muskelkontraktionen, die durch<br />
Vibrationen erzeugt werden. Interessant waren präliminare<br />
Untersuchungen von Nasarov et al. bei Kosmonauten mit<br />
Osteoporose nach Raumflügen. Die ersten Patienten, die auf<br />
der von Russen entwickelten Scheibe (Vibrationstrainer) getestet<br />
wurden, waren ältere Patienten: Die Knochen wurden<br />
fester, eine bis zu 34 % höhere Knochendichte konnte gemessen<br />
werden.<br />
Später entdeckten Balletttänzer mit kleinen muskulären<br />
Verletzungen des passiven Bewegungsapparates, wie zum<br />
Beispiel Achillessehnenverletzungen und Kniereizungen,<br />
dass ihre Verletzungen verschwanden, nachdem sie mit Vibrationsunterstützung<br />
trainiert hatten. Darüber hinaus stellten<br />
sie fest, dass sich ihre Kraftwerte enorm verbesserten und<br />
sie höher springen konnten – und das mit einem Viertel des<br />
herkömmlichen Trainingsaufwandes. Auch andere Spitzensportler<br />
entdeckten die Leistungsfähigkeit durch Anwendung<br />
dieses Prinzips.<br />
Prinzip des PVT<br />
1,48<br />
OSH Kraft<br />
Körpergerechte Vibrationen, die gleichzeitig in allen drei<br />
Dimensionen aktiv sind, das heißt auf und ab, seitwärts und<br />
auch nach vorne und hinten, führen zu unwillkürlichen<br />
Kontraktionen und Dekrontaktionen von vorgedehnten<br />
Skelettmuskeln. Dabei können die Vibrationen in ihrem<br />
„Charakter“ wie folgt moduliert werden:<br />
– Frequenz (Häufigkeit der Vibration)<br />
– Amplitude (Ausschlag und Intensität der Vibration)<br />
Damit werden die spezifischen Oszillationen aller Gewebe,<br />
auch in deren tiefsten und feinsten Schichten, aktiviert und<br />
wiederhergestellt. Dieser Prozess wird auch als biomechanische<br />
oder neuromuskuläre Stimulation bezeichnet. Die Vibration<br />
imitiert somit die natürlichen Gegebenheiten im Organismus:<br />
sie erzeugt körpereigene Schwingungen. Bei angespannter<br />
Muskulatur entsteht so auf natürliche Weise der Aktivitätstremor,<br />
vor allem auch bei Muskeln, die nicht (mehr) dem eigenen<br />
Willen unterliegen. Dies kann jedoch auch gewisse Risiken<br />
bergen. Es sollte vermieden werden, zwei gleiche Schwingungen<br />
aufeinandertreffen zu lassen, da diese infolge der Resonanz<br />
verstärkt werden können. PVT wird gewöhnlich mit<br />
30–50 Hz durchgeführt. Resonanzverstärkungen der Eigenfrequenzen<br />
des Körpers (5–20 Hz) kommen daher beim Platten-<br />
PVT (PowerPlate u. a.) nicht vor.<br />
Vier Haupteffekte des PVT im Detail<br />
1. Kräftigung<br />
Mit PVT werden auch die Muskelgruppen angesprochen,<br />
die das Gehirn nicht anspricht. Durch die Vibration und die<br />
Anspannung des Muskels werden durch das Organ Länge<br />
und Weite des Muskels an das Rückenmark gesendet. Dadurch<br />
wird der Muskel in die Länge gezogen, das Gehirn<br />
aber nicht mit einbezogen. So werden 95–97 % aller Muskelfasern<br />
durch eine sogenannte Zwangsansteuerung angesprochen.<br />
So wird die<br />
– Maximalkraft<br />
– Kraftausdauer<br />
– Reaktivkraft<br />
– Schnellkraft<br />
erheblich verbessert. Die Muskelmasse hingegen wird nicht<br />
wesentlich verändert.<br />
Durch die von PVT erzeugten mechanischen Schwingungen<br />
(Vibrationen) kommt es bei unterschiedlichen Körperpositionen<br />
(stehend, liegend, sitzend) zu einem Schwingungstransfer,<br />
der Muskeln in unterschiedlichen Dehnungszuständen<br />
anregt. Außerdem werden vielfältige Reaktionen auf<br />
verschiedenen physiologischen Ebenen ausgelöst: Bindegewe-<br />
be, neuromuskuläre, vasculäre und humorale Systeme werden<br />
ebenfalls beeinflusst. Neben einer Verbesserung der Kraftfähigkeit,<br />
Muskelstraffung und Koordination wird die Beweglichkeit<br />
erhöht, was insbesondere auch im orthopädisch, neurologischen<br />
Rehabilitationsbereich eingesetzt werden kann.<br />
Bei den muskulären Effekten kommt es durch die PVT<br />
zum wiederholten Auslösen von Muskeldehnreflexen in Abhängigkeit<br />
von der gewählten Frequenz und der muskulären<br />
Vorspannung. In der Rekrutierungsphase wird die Anzahl<br />
der angesetzten motorischen Einheiten erhöht. Während der<br />
Synchronisationsphase wird eine Verbesserung der gleichzeitigen<br />
Aktivierung unterschiedlicher motorischer Einheiten<br />
erzielt. Die Re-Rekrutierungsphase ist die Inanspruchnahme<br />
von bereits ermüdeten bzw. willentlich nicht ansprechbaren<br />
motorischen Einheiten. In der Anpassungsphase erfolgt eine<br />
neuronale, sensomotorische und morphologische Anpassung.<br />
Die neuronale Anpassung beinhaltet eine intra- und<br />
intermuskuläre Koordination sowie eine Erhöhung der Entladungsrate<br />
motorischer Einheiten. Die sensomotorische<br />
Anpassung führt über eine Stimulation vieler Rezeptoren zu<br />
einem positiven Einfluss auf die Krafterzeugung. Die morphologische<br />
Anpassung führt zu einer Steigerung der Anzahl<br />
kontraktiler Proteine und Verbesserung der Muskelstruktur.<br />
Durch die Kokontraktion von Agonist (zum Beispiel M.<br />
quadriceps) und Antagonist ist PVT eine Gelenk schonende<br />
Kräftigung durch geringe Schwerkräfte und fördert eine<br />
deutliche Verbesserung funktioneller Bewegungsmuster.<br />
2. Massage<br />
Bei der Durchblutungsmassage wird die Durchblutung angeregt.<br />
Das führt dazu, dass an diesen Stellen (Abdomen,<br />
untere Extremitäten, M. glutaeus max.), die oftmals schlecht<br />
oder gar nicht durchblutet werden, die Fettverbrennung vorbereitet<br />
wird. Es erfolgt eine lokale Fettverbrennung.<br />
3. Dehnung<br />
Durch PVT wird die Durchblutung angeregt und das Blut<br />
wird durch den bewegten Muskel besser durchgepumpt. Dadurch<br />
entsteht ein nur sehr geringer Dehnschmerz, den viele<br />
als solchen gar nicht wahrnehmen. Wichtig bei der Dehnung<br />
ist jedoch, dass diese nie länger als 30 Sekunden im Bereich<br />
von 30 Hz und der Amplitude „low“ durchgeführt werden<br />
sollte, da die Rezeptoren sonst zu stark betäubt werden<br />
könnten. Die Dehnung mit der PVT hält genauso lange an<br />
wie die herkömmliche Dehnung.<br />
C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503 499
medizin<br />
Percentage Change<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
-5<br />
-10<br />
-15<br />
p < 0.01<br />
Abb 1b: Prozentuale Veränderung der Muskelkraft, isometrisch (isometric strength) und dynamisch (dynamic strength) sowie der Ganzkörper- (BMD total<br />
body) und Schenkelhals- (BMD total hip) Knochendichte, Magermasse (lean mass) und Fettmasse (fat mass) bei postmenopausalen Frauen während eines PVT<br />
mit dem Gerät „PowerPlate“ (WBV), während konventionellen Krafttrainings (RES) und nicht trainierenden Kontrollen (CON) (Verschueren et al. 2004) [13].<br />
4. Entspannung<br />
Bei der Entspannungsmassage kommt es durch die entspannte<br />
Lage zu einer passiven Bewegung der Muskeln und somit<br />
auch zum Abführen von Stoffwechselendprodukten.<br />
PVT-Geräte<br />
Isometric Strength<br />
p < 0.01 p < 0.01<br />
Es lassen sich zwei Arten von PVT-Standgeräten unterscheiden:<br />
Platte (u. a. PowerPlate®) oder Wippe (u. a. Galileo®).<br />
Die Wippe erzeugt sinusförmige Aufwärts- und Abwärtsbewegungen.<br />
Wenn der Trainierende mit beiden Beinen auf der<br />
Wippe steht, die Füße rechts und links der Achse aufgesetzt,<br />
stößt diese seitenalternierend abwechselnd ein Bein nach<br />
oben. Man spricht von seitenalternierender Vibration oder<br />
oszillierendem Wippbrett (Galileo 2000®) [12]. Bei den anderen<br />
Vibrationsgeräten (PowerPlate u. a.) ist die Platte auf in<br />
der Regel vier Federn gelagert und führt eine Auf-, Ab- und<br />
Seitwärtsbewegung durch (dreidimensionale Vibration) [13].<br />
Medizinische Anwendungen eines PVT<br />
p < 0.01<br />
Dynamic Strength<br />
WBV<br />
Medizinische Einsatzgebiete für PVT finden sich in fast allen<br />
Fachrichtungen, die häufigsten sind allerdings im osteolo-<br />
500 C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503<br />
RES<br />
CON<br />
Percentage Change<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
-1<br />
-2<br />
-3<br />
gisch-orthopädischen Bereich zu finden. In diesem Review<br />
können nicht alle Indikationen detailliert besprochen werden,<br />
die Autoren beschränken sich auf diejenigen, für die am<br />
meisten Evidenz in der Wirksamkeit vorliegt.<br />
PVT bei Osteoporose<br />
p < 0.05<br />
BMD Total Body BMD Total HIP<br />
WBV<br />
„Ohne Muskelkraft kein Knochenmassenzuwachs“, diese<br />
Grundvoraussetzung osteologischer Regulation ist die<br />
Hauptaussage der These von Wolff [1]. Das Wolff’sche Gesetz<br />
der Transformation der Knochen beschreibt die Anpassungsfähigkeit<br />
von Knochen auf physikalische Beanspruchung.<br />
Die Lokalität der „Mechanorezeptoren“ ist immer noch nicht<br />
vollständig aufgeklärt, man weiß nicht, ob ein solcher Rezeptor<br />
überhaupt existiert. In Zellkulturen mit Osteozyten zeigen<br />
diese jedoch an ihren Dendriten ein IGF-1-Signal nach<br />
mechanischer Belastung [14]. Schwerelosigkeit oder Immobilisation<br />
beispielsweise nach Tetraplegie führt zu systemischem<br />
Verlust an Knochenmasse. Allerdings zeigen Tetraplegier<br />
keine wesentlich erhöhte Frakturrate, mitbedingt<br />
durch die geringere Fallneigung aufgrund der reduzierten<br />
Mobilität. Die Knochenmasse wird auf ein, für den Körper<br />
individuell festgelegtes Niveau heruntergefahren. Man stellt<br />
sich vor, dass der Knochenmassen-Setpunkt möglicherweise<br />
RES<br />
CON<br />
Percentage Change<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
-2<br />
-4<br />
-6<br />
-8<br />
p < 0.01<br />
Lean Mass Fat Mass<br />
p < 0.01<br />
WBV<br />
neu festgelegt wird. Dies beweist jedoch auch, dass Muskelmasse<br />
nicht der einzige Regulator der Knochenmasse sein<br />
kann. Neuere Untersuchungen aus den Arbeitsgruppen von<br />
Karsenty et al. [15] und Herbert et al. [16] deuten auf eine<br />
zentrale Regulation der Knochenmasse über den hypothalamischen<br />
Leptin-Rezeptor hin.<br />
Mehrere Arbeiten haben sich mit dem Einfluss von PVT<br />
auf die Knochenmasse von Menschen beschäftigt [12, 13].<br />
Dabei zeigte sich kein signifikanter Einfluss eines Trainings<br />
mit dem PVT, wenn das Gerät „Galileo“ eingesetzt wurde<br />
(Abb. 1a). Unter der Verwendung des PVT-Gerätes „Power-<br />
Plate“ konnte jedoch ein deutlich signifikant positiver Effekt<br />
auf die Knochemasse im Vergleich zu der Kontrollgruppe,<br />
die konventionelles Krafttraining durchgeführt hatte, gezeigt<br />
werden. Dabei war der Kraftzuwachs mit konventionellem<br />
Training gegenüber PVT (mit Gerät „PowerPlate“) nicht signifikant<br />
unterschiedlich.<br />
Die Entwicklung und der Einsatz neuer unterstützender<br />
Therapie-Verfahren ist bei einer Volkskrankheit wie Osteoporose<br />
essenziell. Das Wissen über die klinische Charakterisierung<br />
und Diagnostik von Osteoporose ist im letzten Jahrzehnt<br />
in hohem Maße weiterentwickelt worden [17-20].<br />
Bisher fehlen die Publikationen von Ergebnissen eines PVT<br />
bei Patienten mit erniedrigter Knochendichte und/oder<br />
Frakturen. Eigene vorläufige Untersuchungen bei Patienten<br />
RES<br />
CON<br />
mit Osteopenie scheinen die Ergebnisse bei Gesunden zu<br />
bestätigen. Auch bei Patienten mit Frakturen scheint PVT<br />
nicht zu einer Progression von Wirbelkörpersinterungen zu<br />
führen. Dies ist allerdings abhängig von der gewählten „Dosis“,<br />
das heißt Frequenz und Dauer des PVT. Momentan<br />
werden in den PVT-Zentren Mainz, Hildesheim und Villingen-Schwenningen<br />
30 Hz und 30 Sekunden lang bei Patienten<br />
mit Osteoporose-assoziierten Frakturen 2x/Woche für<br />
3 Monate eingesetzt. Es folgt dann eine 3-monatige Pause<br />
und anschließend ein zweiter Zyklus. Bei Patienten nach<br />
TEP oder Metallimplantaten nach Frakturen sollte PVT<br />
nach Meinung der Autoren momentan noch nicht eingesetzt<br />
werden.<br />
Fazit für die Praxis<br />
<strong>Proprioceptives</strong> <strong>Vibrationstraining</strong> (PVT) führt bei Trainierenden<br />
zu einem ebenso signifikanten Muskelkraftzuwachs<br />
wie konventionelles Krafttraining. Dabei dauert das PVT ca.<br />
15 Minuten und wird 3 Monate lang 2-mal wöchentlich<br />
durchgeführt. Vergleichbar effektives konventionelles Krafttraining<br />
muss mindestens 1 _ Stunden 2- bis 3-mal pro Woche<br />
durchgeführt werden. Mittels PVT können gezielt die<br />
Muskelgruppen trainiert und aktiviert werden, wie es aus<br />
C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503 501
medizin<br />
Tab.1: Medizinische Einsatzgebiete für PVT<br />
Fachrichtung Erkrankungen<br />
Osteologie, Orthopädie, Rheumatologie – Osteoporosen (prim. u. sek.)<br />
– Glucocorticoid-induzierte Myopathien<br />
– Alters-assoziierte Sarkopenie<br />
– Chronic Fatigue Syndrome<br />
– Fibromyalgie<br />
– Rehabilitation nach Operationen (z. B. Kreuzbandplastik)<br />
Endokrinologie – Osteoporosen (prim. u. sek.)<br />
– Adipositas<br />
– Lipodystrophien<br />
– Diabetes mell. Typ II<br />
Gynäkologie – Beckenboden-Insuffizienz, Harninkontinenz<br />
– Tumor-Kachexie<br />
Neurologie – M. Parkinson<br />
Dermatologie – Cellulitis<br />
Sportmedizin – Ausdauertraining<br />
– Rehabilitation von Leistungssportlern<br />
Geriatrie – Neuromuskuläre Dysfunktion<br />
– Erhöhte Sturzneigung<br />
medizinischer Sicht erforderlich scheint. Osteoporose ist eine<br />
der Erkrankungen, bei der PVT neben den medikamentösen<br />
Therapien begleitend routinemäßig eingesetzt wird. Bei anderen<br />
Krankheiten wie Diabetes mell. oder Adipositas gibt es<br />
erste positive Erfahrungen. Nach Kreuzbandoperationen ist<br />
der Muskelaufbau essenziell, dies kann unter anderem durch<br />
PVT entsprechend erreicht werden.<br />
Literatur:<br />
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Verlag von August Hirschwald 1892.<br />
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Osteodensitometrie. Dtsch Ärztebl 1998; 95: 2547–2551.<br />
Prof. Dr. med. Christian Wüster<br />
ist Endokrinologe mit eigener Endokrinolo-<br />
gie-Schwerpunktpraxis in Mainz gegenüber<br />
dem Hauptbahnhof. Er ist Lehrbeauftragter<br />
an der Universität Heidelberg, dort 1994 habi-<br />
liert zum Thema Wachstumshormon, Calci-<br />
tonin und Osteodensitometrie. Er ist Mitbe-<br />
gründer des European Center for Aging Re-<br />
search and Education (ECARE), einer inter-<br />
nationalen Organisation zur Förderung der<br />
Forschung und ärztlichen Weiterbildung auf<br />
dem Gebiet der Präventivmedizin.<br />
Praxis für Endokrinologie, Bahnhofplatz 2,<br />
D-55116 Mainz, Tel. 06131-231362<br />
E-Mail: Wuester@endokrinologie-mainz.de<br />
C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503 503