05.03.2013 Aufrufe

Proprioceptives Vibrationstraining – Physiologische Grundlagen Und

Proprioceptives Vibrationstraining – Physiologische Grundlagen Und

Proprioceptives Vibrationstraining – Physiologische Grundlagen Und

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

medizin<br />

<strong>Proprioceptives</strong> <strong>Vibrationstraining</strong> –<br />

<strong>Physiologische</strong> <strong>Grundlagen</strong> und<br />

medizinische Anwendungsbereiche<br />

Vom Muskel- und Knochenaufbau<br />

zum Fettabbau<br />

Christian Wüster 1 , Iris Lutz 2 , Jasmin Pourfard 3 , Christoph Uleer 3 , Gernot Felmet 4<br />

1 Praxis für Endokrinologie, Mainz & Universität Heidelberg, Abt. Innere Med. 1<br />

2 Institut für gesunde Lebensführung, Medi-ManAge, Mainz<br />

3 Gynäkologisch-onkologische Schwerpunkt Praxis, Hildesheim<br />

4 Artico Sportklinik, Villingen-Schwenningen<br />

496 C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503<br />

Foto: iStockphoto.com<br />

Zusammenfassung: <strong>Proprioceptives</strong> <strong>Vibrationstraining</strong> (PVT) ist eine Trainingsform zum Muskelaufbau. Das Prinzip basiert darauf, dass ein<br />

vorgedehnter Muskel auf Vibrationen mit unwillkürlichen rhythmischen Kontraktionen und Dekontraktionen reagiert. Dies führt nach längerer<br />

Zeit, ähnlich wie beim Krafttraining, zu einer Steigerung der Muskelmasse und Muskelkraft. Der Vorteil des PVT ist hierbei die Zeitersparnis. 90<br />

Minuten Krafttraining ist genauso effektiv wie 10 Minuten PVT. Nebenbei kommt es auch zu einem Abbau von subcutanem Fettgewebe. Diese<br />

beiden Effekte – Fettabbau und Muskelaufbau – kann man sich bei vielen medizinischen Indikationen zu Nutze machen. Bei Sarkopenien<br />

unterschiedlicher Genesen – Immobilisation postoperativ, physiologisches Altern, Glucocorticoidbehandlungen u. a. – wird PVT inzwischen<br />

erfolgreich eingesetzt. Bei kosmetischen Problemen oder verschiedenen Formen lokaler Lipodystrophien macht man sich den Fett reduzierenden<br />

Effekt von PVT zu Nutze. Insgesamt ist die Anwendung von PVT im medizinischen Bereich ein typisches Beispiel dafür, wie man ein im nicht<br />

medizinischen Bereich erfolgreiches System für Gesunde auf Kranke übertragen kann.<br />

Schlüsselwörter: <strong>Proprioceptives</strong> <strong>Vibrationstraining</strong>,<br />

Ganzkörper-<strong>Vibrationstraining</strong>, Muskelaufbau, Osteoporose,<br />

Knochenaufbau, Bewegungstherapie, Krafttraining<br />

Einleitung<br />

Bereits vor mehr als 100 Jahren veröffentlichte Johann Wolff<br />

diese Theorie in seinem Buch „Das Gesetz der Transformation<br />

der Knochen“ [1]. Er formulierte damit als Erster den inzwischen<br />

allgemein akzeptierten „form-follows-function“-<br />

Zusammenhang, der besagt, dass Knochenmasse und -architektur<br />

durch Größe und Richtung der einwirkenden Kräfte<br />

bedingt werden. Das Skelettsystem unterliegt zeitlebens<br />

einem regen Umbauprozess, durch den der Knochen sich an<br />

veränderte mechanische und metabolische Gegebenheiten<br />

anpasst.<br />

Erste Aufzeichnungen über positive Effekte von Schwingungen<br />

hat es bereits im 19. Jahrhundert gegeben. Bei Parkinson-Patienten<br />

soll sich das Krankheitsbild durch Kutschen-<br />

oder Eisenbahnfahrten verbessert haben (Rückgang<br />

des Tremors). Bei dem Proprioceptiven <strong>Vibrationstraining</strong><br />

geht es um die Verabreichung mechanischer Vibrationen an<br />

den Körper. Die Vibrationen verursachen eine mechanische<br />

Belastung verschiedener Körpergewebe, wie zum Beispiel<br />

Knochen, Muskeln, Haut, Nerven usw. Die Vibration wird<br />

in erster Linie durch das unbewusste aktive An- und Entspannen<br />

der Muskeln gedämpft (myostatischer Reflex oder<br />

Dehnreflex). Jeder Muskel hat einen Dehnreflex, und hiervon<br />

wird beim <strong>Vibrationstraining</strong> Gebrauch gemacht. Der<br />

C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503 497


medizin<br />

Proz. Diff. Anfang-Ende [%]<br />

11<br />

9<br />

7<br />

5<br />

3<br />

1<br />

-1<br />

-3<br />

-5<br />

-7<br />

-9<br />

-11<br />

0,33<br />

LWS Galileo<br />

-1,20<br />

LWS Kraft<br />

Abb 1a: Prozentuale Änderung (%) der flächenbezogenen Knochenmasse der Lendenwirbelsäule (LWS) und des Oberschenkelhalses (OSH) der zwei<br />

Trainingsgruppen Galileo- bzw. Krafttraining (Kleinmond 2002) [12].<br />

Dehnreflex findet abhängig von der eingestellten Frequenz<br />

statt. Bei Frequenzen im Bereich von 20–30 Hz kommt es zu<br />

einer verstärkten Koaktivierung von Agonist und Antagonist<br />

im Sinne eines Schutzreflexes, wie in Untersuchungen an<br />

Skiabfahrtsläufern gezeigt werden konnte. Dieser Reflex<br />

führt zu einer höheren Gelenksteife und -stabilität sowie zu<br />

einem verstärkten Druck auf den Knochen [2]. Durch PVT<br />

bei diesen Frequenzen wird derselbe Effekt verbunden mit<br />

einer positiven Beeinflussung des Knochenstoffwechsels erwartet.<br />

Vorstudien ergaben einen raschen und deutlichen<br />

Anstieg von Koordination, Muskelmasse und –kraft, ohne<br />

negative Beeinflussung von Hämodynamik und Stoffwechsel<br />

[3-11].<br />

1960 erkannte W. Biermann angeblich als einer der Ersten<br />

in der ehemaligen DDR die Möglichkeiten des <strong>Vibrationstraining</strong>s.<br />

Seine Beschreibung der „cycloiden Schwingungen“<br />

und seine Arbeiten über die Wirksamkeit der<br />

„Rhythmischen Neuromuskulären Stimulationsmethode“<br />

wies den richtigen Weg. Wenig später übernahmen russische<br />

Wissenschaftler seine Erkenntnisse und nutzten sie für ihre<br />

Raumfahrtprogramme. Russische Kosmonauten konnten bis<br />

zu 420 Tage lang im All bleiben, während amerikanische Astronauten<br />

bereits nach 120 Tagen zur Erde zurückkehren<br />

mussten. Die russischen Kosmonauten konnten im schwerelosen<br />

All durch <strong>Vibrationstraining</strong> Muskeln aufbauen bzw.<br />

erhalten. Die russischen Kollegen untersuchten die unbe-<br />

498 C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503<br />

0,59<br />

OSH Galileo<br />

wussten Bewegungen und Muskelkontraktionen, die durch<br />

Vibrationen erzeugt werden. Interessant waren präliminare<br />

Untersuchungen von Nasarov et al. bei Kosmonauten mit<br />

Osteoporose nach Raumflügen. Die ersten Patienten, die auf<br />

der von Russen entwickelten Scheibe (Vibrationstrainer) getestet<br />

wurden, waren ältere Patienten: Die Knochen wurden<br />

fester, eine bis zu 34 % höhere Knochendichte konnte gemessen<br />

werden.<br />

Später entdeckten Balletttänzer mit kleinen muskulären<br />

Verletzungen des passiven Bewegungsapparates, wie zum<br />

Beispiel Achillessehnenverletzungen und Kniereizungen,<br />

dass ihre Verletzungen verschwanden, nachdem sie mit Vibrationsunterstützung<br />

trainiert hatten. Darüber hinaus stellten<br />

sie fest, dass sich ihre Kraftwerte enorm verbesserten und<br />

sie höher springen konnten – und das mit einem Viertel des<br />

herkömmlichen Trainingsaufwandes. Auch andere Spitzensportler<br />

entdeckten die Leistungsfähigkeit durch Anwendung<br />

dieses Prinzips.<br />

Prinzip des PVT<br />

1,48<br />

OSH Kraft<br />

Körpergerechte Vibrationen, die gleichzeitig in allen drei<br />

Dimensionen aktiv sind, das heißt auf und ab, seitwärts und<br />

auch nach vorne und hinten, führen zu unwillkürlichen<br />

Kontraktionen und Dekrontaktionen von vorgedehnten<br />

Skelettmuskeln. Dabei können die Vibrationen in ihrem<br />

„Charakter“ wie folgt moduliert werden:<br />

– Frequenz (Häufigkeit der Vibration)<br />

– Amplitude (Ausschlag und Intensität der Vibration)<br />

Damit werden die spezifischen Oszillationen aller Gewebe,<br />

auch in deren tiefsten und feinsten Schichten, aktiviert und<br />

wiederhergestellt. Dieser Prozess wird auch als biomechanische<br />

oder neuromuskuläre Stimulation bezeichnet. Die Vibration<br />

imitiert somit die natürlichen Gegebenheiten im Organismus:<br />

sie erzeugt körpereigene Schwingungen. Bei angespannter<br />

Muskulatur entsteht so auf natürliche Weise der Aktivitätstremor,<br />

vor allem auch bei Muskeln, die nicht (mehr) dem eigenen<br />

Willen unterliegen. Dies kann jedoch auch gewisse Risiken<br />

bergen. Es sollte vermieden werden, zwei gleiche Schwingungen<br />

aufeinandertreffen zu lassen, da diese infolge der Resonanz<br />

verstärkt werden können. PVT wird gewöhnlich mit<br />

30–50 Hz durchgeführt. Resonanzverstärkungen der Eigenfrequenzen<br />

des Körpers (5–20 Hz) kommen daher beim Platten-<br />

PVT (PowerPlate u. a.) nicht vor.<br />

Vier Haupteffekte des PVT im Detail<br />

1. Kräftigung<br />

Mit PVT werden auch die Muskelgruppen angesprochen,<br />

die das Gehirn nicht anspricht. Durch die Vibration und die<br />

Anspannung des Muskels werden durch das Organ Länge<br />

und Weite des Muskels an das Rückenmark gesendet. Dadurch<br />

wird der Muskel in die Länge gezogen, das Gehirn<br />

aber nicht mit einbezogen. So werden 95–97 % aller Muskelfasern<br />

durch eine sogenannte Zwangsansteuerung angesprochen.<br />

So wird die<br />

– Maximalkraft<br />

– Kraftausdauer<br />

– Reaktivkraft<br />

– Schnellkraft<br />

erheblich verbessert. Die Muskelmasse hingegen wird nicht<br />

wesentlich verändert.<br />

Durch die von PVT erzeugten mechanischen Schwingungen<br />

(Vibrationen) kommt es bei unterschiedlichen Körperpositionen<br />

(stehend, liegend, sitzend) zu einem Schwingungstransfer,<br />

der Muskeln in unterschiedlichen Dehnungszuständen<br />

anregt. Außerdem werden vielfältige Reaktionen auf<br />

verschiedenen physiologischen Ebenen ausgelöst: Bindegewe-<br />

be, neuromuskuläre, vasculäre und humorale Systeme werden<br />

ebenfalls beeinflusst. Neben einer Verbesserung der Kraftfähigkeit,<br />

Muskelstraffung und Koordination wird die Beweglichkeit<br />

erhöht, was insbesondere auch im orthopädisch, neurologischen<br />

Rehabilitationsbereich eingesetzt werden kann.<br />

Bei den muskulären Effekten kommt es durch die PVT<br />

zum wiederholten Auslösen von Muskeldehnreflexen in Abhängigkeit<br />

von der gewählten Frequenz und der muskulären<br />

Vorspannung. In der Rekrutierungsphase wird die Anzahl<br />

der angesetzten motorischen Einheiten erhöht. Während der<br />

Synchronisationsphase wird eine Verbesserung der gleichzeitigen<br />

Aktivierung unterschiedlicher motorischer Einheiten<br />

erzielt. Die Re-Rekrutierungsphase ist die Inanspruchnahme<br />

von bereits ermüdeten bzw. willentlich nicht ansprechbaren<br />

motorischen Einheiten. In der Anpassungsphase erfolgt eine<br />

neuronale, sensomotorische und morphologische Anpassung.<br />

Die neuronale Anpassung beinhaltet eine intra- und<br />

intermuskuläre Koordination sowie eine Erhöhung der Entladungsrate<br />

motorischer Einheiten. Die sensomotorische<br />

Anpassung führt über eine Stimulation vieler Rezeptoren zu<br />

einem positiven Einfluss auf die Krafterzeugung. Die morphologische<br />

Anpassung führt zu einer Steigerung der Anzahl<br />

kontraktiler Proteine und Verbesserung der Muskelstruktur.<br />

Durch die Kokontraktion von Agonist (zum Beispiel M.<br />

quadriceps) und Antagonist ist PVT eine Gelenk schonende<br />

Kräftigung durch geringe Schwerkräfte und fördert eine<br />

deutliche Verbesserung funktioneller Bewegungsmuster.<br />

2. Massage<br />

Bei der Durchblutungsmassage wird die Durchblutung angeregt.<br />

Das führt dazu, dass an diesen Stellen (Abdomen,<br />

untere Extremitäten, M. glutaeus max.), die oftmals schlecht<br />

oder gar nicht durchblutet werden, die Fettverbrennung vorbereitet<br />

wird. Es erfolgt eine lokale Fettverbrennung.<br />

3. Dehnung<br />

Durch PVT wird die Durchblutung angeregt und das Blut<br />

wird durch den bewegten Muskel besser durchgepumpt. Dadurch<br />

entsteht ein nur sehr geringer Dehnschmerz, den viele<br />

als solchen gar nicht wahrnehmen. Wichtig bei der Dehnung<br />

ist jedoch, dass diese nie länger als 30 Sekunden im Bereich<br />

von 30 Hz und der Amplitude „low“ durchgeführt werden<br />

sollte, da die Rezeptoren sonst zu stark betäubt werden<br />

könnten. Die Dehnung mit der PVT hält genauso lange an<br />

wie die herkömmliche Dehnung.<br />

C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503 499


medizin<br />

Percentage Change<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

-5<br />

-10<br />

-15<br />

p < 0.01<br />

Abb 1b: Prozentuale Veränderung der Muskelkraft, isometrisch (isometric strength) und dynamisch (dynamic strength) sowie der Ganzkörper- (BMD total<br />

body) und Schenkelhals- (BMD total hip) Knochendichte, Magermasse (lean mass) und Fettmasse (fat mass) bei postmenopausalen Frauen während eines PVT<br />

mit dem Gerät „PowerPlate“ (WBV), während konventionellen Krafttrainings (RES) und nicht trainierenden Kontrollen (CON) (Verschueren et al. 2004) [13].<br />

4. Entspannung<br />

Bei der Entspannungsmassage kommt es durch die entspannte<br />

Lage zu einer passiven Bewegung der Muskeln und somit<br />

auch zum Abführen von Stoffwechselendprodukten.<br />

PVT-Geräte<br />

Isometric Strength<br />

p < 0.01 p < 0.01<br />

Es lassen sich zwei Arten von PVT-Standgeräten unterscheiden:<br />

Platte (u. a. PowerPlate®) oder Wippe (u. a. Galileo®).<br />

Die Wippe erzeugt sinusförmige Aufwärts- und Abwärtsbewegungen.<br />

Wenn der Trainierende mit beiden Beinen auf der<br />

Wippe steht, die Füße rechts und links der Achse aufgesetzt,<br />

stößt diese seitenalternierend abwechselnd ein Bein nach<br />

oben. Man spricht von seitenalternierender Vibration oder<br />

oszillierendem Wippbrett (Galileo 2000®) [12]. Bei den anderen<br />

Vibrationsgeräten (PowerPlate u. a.) ist die Platte auf in<br />

der Regel vier Federn gelagert und führt eine Auf-, Ab- und<br />

Seitwärtsbewegung durch (dreidimensionale Vibration) [13].<br />

Medizinische Anwendungen eines PVT<br />

p < 0.01<br />

Dynamic Strength<br />

WBV<br />

Medizinische Einsatzgebiete für PVT finden sich in fast allen<br />

Fachrichtungen, die häufigsten sind allerdings im osteolo-<br />

500 C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503<br />

RES<br />

CON<br />

Percentage Change<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

-1<br />

-2<br />

-3<br />

gisch-orthopädischen Bereich zu finden. In diesem Review<br />

können nicht alle Indikationen detailliert besprochen werden,<br />

die Autoren beschränken sich auf diejenigen, für die am<br />

meisten Evidenz in der Wirksamkeit vorliegt.<br />

PVT bei Osteoporose<br />

p < 0.05<br />

BMD Total Body BMD Total HIP<br />

WBV<br />

„Ohne Muskelkraft kein Knochenmassenzuwachs“, diese<br />

Grundvoraussetzung osteologischer Regulation ist die<br />

Hauptaussage der These von Wolff [1]. Das Wolff’sche Gesetz<br />

der Transformation der Knochen beschreibt die Anpassungsfähigkeit<br />

von Knochen auf physikalische Beanspruchung.<br />

Die Lokalität der „Mechanorezeptoren“ ist immer noch nicht<br />

vollständig aufgeklärt, man weiß nicht, ob ein solcher Rezeptor<br />

überhaupt existiert. In Zellkulturen mit Osteozyten zeigen<br />

diese jedoch an ihren Dendriten ein IGF-1-Signal nach<br />

mechanischer Belastung [14]. Schwerelosigkeit oder Immobilisation<br />

beispielsweise nach Tetraplegie führt zu systemischem<br />

Verlust an Knochenmasse. Allerdings zeigen Tetraplegier<br />

keine wesentlich erhöhte Frakturrate, mitbedingt<br />

durch die geringere Fallneigung aufgrund der reduzierten<br />

Mobilität. Die Knochenmasse wird auf ein, für den Körper<br />

individuell festgelegtes Niveau heruntergefahren. Man stellt<br />

sich vor, dass der Knochenmassen-Setpunkt möglicherweise<br />

RES<br />

CON<br />

Percentage Change<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

-2<br />

-4<br />

-6<br />

-8<br />

p < 0.01<br />

Lean Mass Fat Mass<br />

p < 0.01<br />

WBV<br />

neu festgelegt wird. Dies beweist jedoch auch, dass Muskelmasse<br />

nicht der einzige Regulator der Knochenmasse sein<br />

kann. Neuere Untersuchungen aus den Arbeitsgruppen von<br />

Karsenty et al. [15] und Herbert et al. [16] deuten auf eine<br />

zentrale Regulation der Knochenmasse über den hypothalamischen<br />

Leptin-Rezeptor hin.<br />

Mehrere Arbeiten haben sich mit dem Einfluss von PVT<br />

auf die Knochenmasse von Menschen beschäftigt [12, 13].<br />

Dabei zeigte sich kein signifikanter Einfluss eines Trainings<br />

mit dem PVT, wenn das Gerät „Galileo“ eingesetzt wurde<br />

(Abb. 1a). Unter der Verwendung des PVT-Gerätes „Power-<br />

Plate“ konnte jedoch ein deutlich signifikant positiver Effekt<br />

auf die Knochemasse im Vergleich zu der Kontrollgruppe,<br />

die konventionelles Krafttraining durchgeführt hatte, gezeigt<br />

werden. Dabei war der Kraftzuwachs mit konventionellem<br />

Training gegenüber PVT (mit Gerät „PowerPlate“) nicht signifikant<br />

unterschiedlich.<br />

Die Entwicklung und der Einsatz neuer unterstützender<br />

Therapie-Verfahren ist bei einer Volkskrankheit wie Osteoporose<br />

essenziell. Das Wissen über die klinische Charakterisierung<br />

und Diagnostik von Osteoporose ist im letzten Jahrzehnt<br />

in hohem Maße weiterentwickelt worden [17-20].<br />

Bisher fehlen die Publikationen von Ergebnissen eines PVT<br />

bei Patienten mit erniedrigter Knochendichte und/oder<br />

Frakturen. Eigene vorläufige Untersuchungen bei Patienten<br />

RES<br />

CON<br />

mit Osteopenie scheinen die Ergebnisse bei Gesunden zu<br />

bestätigen. Auch bei Patienten mit Frakturen scheint PVT<br />

nicht zu einer Progression von Wirbelkörpersinterungen zu<br />

führen. Dies ist allerdings abhängig von der gewählten „Dosis“,<br />

das heißt Frequenz und Dauer des PVT. Momentan<br />

werden in den PVT-Zentren Mainz, Hildesheim und Villingen-Schwenningen<br />

30 Hz und 30 Sekunden lang bei Patienten<br />

mit Osteoporose-assoziierten Frakturen 2x/Woche für<br />

3 Monate eingesetzt. Es folgt dann eine 3-monatige Pause<br />

und anschließend ein zweiter Zyklus. Bei Patienten nach<br />

TEP oder Metallimplantaten nach Frakturen sollte PVT<br />

nach Meinung der Autoren momentan noch nicht eingesetzt<br />

werden.<br />

Fazit für die Praxis<br />

<strong>Proprioceptives</strong> <strong>Vibrationstraining</strong> (PVT) führt bei Trainierenden<br />

zu einem ebenso signifikanten Muskelkraftzuwachs<br />

wie konventionelles Krafttraining. Dabei dauert das PVT ca.<br />

15 Minuten und wird 3 Monate lang 2-mal wöchentlich<br />

durchgeführt. Vergleichbar effektives konventionelles Krafttraining<br />

muss mindestens 1 _ Stunden 2- bis 3-mal pro Woche<br />

durchgeführt werden. Mittels PVT können gezielt die<br />

Muskelgruppen trainiert und aktiviert werden, wie es aus<br />

C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503 501


medizin<br />

Tab.1: Medizinische Einsatzgebiete für PVT<br />

Fachrichtung Erkrankungen<br />

Osteologie, Orthopädie, Rheumatologie – Osteoporosen (prim. u. sek.)<br />

– Glucocorticoid-induzierte Myopathien<br />

– Alters-assoziierte Sarkopenie<br />

– Chronic Fatigue Syndrome<br />

– Fibromyalgie<br />

– Rehabilitation nach Operationen (z. B. Kreuzbandplastik)<br />

Endokrinologie – Osteoporosen (prim. u. sek.)<br />

– Adipositas<br />

– Lipodystrophien<br />

– Diabetes mell. Typ II<br />

Gynäkologie – Beckenboden-Insuffizienz, Harninkontinenz<br />

– Tumor-Kachexie<br />

Neurologie – M. Parkinson<br />

Dermatologie – Cellulitis<br />

Sportmedizin – Ausdauertraining<br />

– Rehabilitation von Leistungssportlern<br />

Geriatrie – Neuromuskuläre Dysfunktion<br />

– Erhöhte Sturzneigung<br />

medizinischer Sicht erforderlich scheint. Osteoporose ist eine<br />

der Erkrankungen, bei der PVT neben den medikamentösen<br />

Therapien begleitend routinemäßig eingesetzt wird. Bei anderen<br />

Krankheiten wie Diabetes mell. oder Adipositas gibt es<br />

erste positive Erfahrungen. Nach Kreuzbandoperationen ist<br />

der Muskelaufbau essenziell, dies kann unter anderem durch<br />

PVT entsprechend erreicht werden.<br />

Literatur:<br />

1. Wolff J: Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin:<br />

Verlag von August Hirschwald 1892.<br />

2. Spitzenpfeil P, Mester J: Vibrationsbelastungen beim alpinen<br />

Skilauf. Sportorthopädie-Sporttraumatologie 1997; 13: 209–212.<br />

3. Mester J, Spitzenpfeil P, Schwarzer J, Seifriz F: Biological reaction to<br />

vibration-implications for sport. J Sci Med Sport 1999; 2: 211–26.<br />

502 C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503<br />

4. Rittweger J, Beller G, Felsenberg D: Acute physiological effects of<br />

exhaustive whole-body vibration exercise in man. Clin Physiol<br />

2000; 20: 134–42.<br />

5. Bosco C, Cardinale M, Tsarpela O: Influence of vibration on<br />

mechanical power and electromyogram activity in human arm<br />

flexor muscles. Eur J Appl Physiol Occup Physiol 1999; 79: 306–11.<br />

6. Bosco C, Iacovelli M, Tsarpela O et al.: Hormonal responses to<br />

whole-body vibration in men. Eur J Appl Physiol 2000; 81: 449–<br />

54.<br />

7. Rothmuller C, Cafarelli E: Effect of vibration on antagonist muscle<br />

coactivation during progressive fatigue in humans. J Physiol 1995;<br />

485: 857–64.<br />

8. Bosco C, Colli R, Introini E et al.: Adaptive responses of human<br />

skeletal muscle to vibration exposure. Clin Physiol 1999; 19: 183–7.<br />

9. Issurin VB, Liebermann DG, Tenenbaum G: Effect of vibratory<br />

stimulation training on maximal force and flexibility. J Sports Sci<br />

1994; 12: 561–6.<br />

10. Schlumberger A, Salin D, Schmidtbleicher D: Strength training with<br />

superimposed vibrations. Sportverletz Sportschaden 2001; 15: 1–7.<br />

11. Bongers PM, Hulshof CT, Dijkstra L: Back pain and exposure to<br />

whole body vibration in helicopter pilots. Ergonomics 1990; 33:<br />

1007–26.<br />

12. Kleinmond, C: Einfluss von dynamischem Krafttraining mit und<br />

ohne Vibration auf Knochenmasse und -festigkeit bei postmeno-<br />

pausalen Frauen. Dissertation 2002 Charite, Universitätsmedizin<br />

Berlin, http://www.charite.de/zmk/veroeffentlichungen.htm# .<br />

13. Verschueren, SMP, Roelants M, Delecluse C et al.: Effect of 6-Month<br />

Whole Body Vibration Training on Hip Density, Muscle Strength,<br />

and Postural Control in Postmenopausal Women: A Randomized<br />

Controlled Pilot Study. J Bone Miner Res 2004;19: 352–359.<br />

Published online on December 22, 2003; doi: 10.1359/<br />

JBMR.0301245.<br />

14. Cheng M, Zaman G, Rawlinson SCF et al.: Mechanical Strain<br />

Stimulates ROS Cell Proliferation Through IGF-II and Estrogen<br />

Through IGF-I. Journal of Bone and Mineral Research Oct 1999;<br />

Vol. 14, No. 10: 1742–1750.<br />

15. Ducy P, Amling M, Takeda S et al.: Leptin inhibits bone formation<br />

through a hypothalamic relay: a central control of bone mass. Cell.<br />

2000 Jan 21; 100 (2): 197–207.<br />

16. Baldock PA, Sainsbury A, Couzens M et al.: Hypothalamic Y2<br />

receptors regulate bone formation. J Clin Invest 2002; 109: 915–<br />

921. DOI:10.1172/JCI200214588.<br />

17. Wüster C: Prävention und Therapie der Osteoporose. Münch.<br />

Med. Wschr. 1995; 137: 846–851.<br />

18. Wüster C, Leidig G, Schwarz W et al.: Vertebral fracture develop-<br />

ment and lumbar BMC: a 5-year analysis of patients with<br />

osteoporosis. Osteoporosis Int 1991, 1; 3: 211.<br />

19. Wüster C, Pourfard J, Lüttje D et al.: Osteodensitometrie:<br />

Möglichkeiten und Tücken. Geriatrie Journal 2000; 9: 17–21.<br />

20. Wüster C, Engels K, Renner E et al.: Meßwertinterpretation in der<br />

Osteodensitometrie. Dtsch Ärztebl 1998; 95: 2547–2551.<br />

Prof. Dr. med. Christian Wüster<br />

ist Endokrinologe mit eigener Endokrinolo-<br />

gie-Schwerpunktpraxis in Mainz gegenüber<br />

dem Hauptbahnhof. Er ist Lehrbeauftragter<br />

an der Universität Heidelberg, dort 1994 habi-<br />

liert zum Thema Wachstumshormon, Calci-<br />

tonin und Osteodensitometrie. Er ist Mitbe-<br />

gründer des European Center for Aging Re-<br />

search and Education (ECARE), einer inter-<br />

nationalen Organisation zur Förderung der<br />

Forschung und ärztlichen Weiterbildung auf<br />

dem Gebiet der Präventivmedizin.<br />

Praxis für Endokrinologie, Bahnhofplatz 2,<br />

D-55116 Mainz, Tel. 06131-231362<br />

E-Mail: Wuester@endokrinologie-mainz.de<br />

C. Wüster / prevention and anti aging 2 (2006) 496–503 503

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!