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Otto Betz Die Ganzheit des Leibes Als ich — kurz nach ... - MMH/MMS

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<strong>Otto</strong> <strong>Betz</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Ganzheit</strong> <strong>des</strong> <strong>Leibes</strong><br />

<strong>Als</strong> <strong>ich</strong> ó <strong>kurz</strong> <strong>nach</strong> dem Abitur und vor Beginn <strong>des</strong> Studiums ó den<br />

ªSeidenen Schuh´ von Paul Claudel las, stiefl <strong>ich</strong> auf eine Stelle, die mir<br />

ganz groflen Eindruck machte ó und heute noch macht: ª<strong>Die</strong> Steine selber<br />

werden schreien, heiflt es. Wollt Ihr dem Menschenleib allein seine<br />

Sprache weigern? ´ 1)<br />

Hier wurde <strong>ich</strong> hingewiesen auf eine lange unselige Tradition, die den<br />

Leib n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong> ernst nahm, die ihm weder seine Wurde zugestand noch<br />

ihm sein Mitspracherecht beim Gotteslob gewahrte. <strong>Die</strong> Kˆrperl<strong>ich</strong>keit war<br />

eher eine peinl<strong>ich</strong>e Angelegenheit, die zwar n<strong>ich</strong>t zu leugnen war, aber<br />

mˆgl<strong>ich</strong>st n<strong>ich</strong>t grofl herausgestellt werden sollte. <strong>Die</strong> leibl<strong>ich</strong>en Begierden<br />

und Triebkr‰fte machten den Kˆrper zu einem recht zwiel<strong>ich</strong>tigen Gebilde,<br />

erst der Geist und die seelischen F‰higkeiten waren es wert, den Menschen<br />

als ein grofles Geschˆpf anzusehen und seine Berufung zum Partner Gottes<br />

zu rechtfertigen. Deshalb war es ratsam, den Kˆrper mˆgl<strong>ich</strong>st zu<br />

ver<strong>nach</strong>l‰ssigen, ihn durch radikale Askese dienstbar zu machen, damit<br />

s<strong>ich</strong> der ªbefreite Geist´ umso besser entfalten kˆnne. Nun las <strong>ich</strong> also bei<br />

Claudel: ªWollt ihr allein dem Menschenleib seine Sprache weigern? ´ Hat<br />

er n<strong>ich</strong>t selbst seine Grˆfle und seine Herrl<strong>ich</strong>keit? Spr<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t alles an<br />

ihm? M¸ssen wir Menschen n<strong>ich</strong>t ªals Leibwesen´ und in unserer<br />

ªVerleibl<strong>ich</strong>ung´ unsere Person verwirkl<strong>ich</strong>en? ó Das Wort Claudels war<br />

wie eine Erlˆsung, es machte Mut, einen Weg zu finden, der mit dem<br />

eigenen Leib auch die Welt ernst nahm und n<strong>ich</strong>t in einer Weltflucht das<br />

Heil suchte.<br />

Zur gle<strong>ich</strong>en Zeit las <strong>ich</strong> auch zum ersten Mal ein Buch von Martin Buber<br />

und fand bei ihm einen Satz, der in meinem Leben Epoche machte: ªIn der<br />

Askese schrumpft das geistige Wesen, die Neschama, zusammen, sie<br />

erschlafft, wird leer und tr¸be; nur in der Freude kann sie wachsen und s<strong>ich</strong><br />

erf¸llen, bis sie, alles Mangels ledig, zum Gˆttl<strong>ich</strong>en heranreift.´ 2)<br />

Blitzhaft wurde mir klar, dass es eine fragw¸rdige Form der Askese gibt,<br />

die n<strong>ich</strong>t befreit, sondern verk¸mmern l‰sst, die gerade die<br />

Schˆpfungswirkl<strong>ich</strong>keit n<strong>ich</strong>t annimmt, sondern verleugnet, die traurig<br />

macht und n<strong>ich</strong>t frˆhl<strong>ich</strong>. Wer kann leugnen, dass die Askese auch ein<br />

notwendiger Vorgang ist? Wir bed¸rfen der ‹bung, m¸ssen uns in tausend<br />

Verz<strong>ich</strong>thaltungen einlassen, aber die Freude und die Lebenslust d¸rfen<br />

solche ‹bungen n<strong>ich</strong>t antasten.<br />

Unsere Menschl<strong>ich</strong>keit entfaltet s<strong>ich</strong> im Gle<strong>ich</strong>klang mit unserem<br />

leibl<strong>ich</strong>en Wachstum und der Entfaltung unserer Sinne. Das Sehendwerden<br />

ist ebenso ein sinnenhafter Prozess, wie es ein Vorgang unserer<br />

Gehirnkr‰fte ist. <strong>Die</strong> Hilfsbereitschaft und die emotionale Zuwendung sind<br />

auf unsere H‰nde angewiesen, damit wir zupacken kˆnnen und dem<br />

anderen Menschen beistehen. Das Zusammenwirken aller unserer Organe<br />

mit dem Gehirn ist so staunenswert, dass wir aus der Verwunderung n<strong>ich</strong>t<br />

mehr herauskommen, wenn wir erst einmal darauf aufmerksam geworden<br />

1


sind.<br />

Im Laufe seines Lebens wird ein Mensch immer identischer mit seinem<br />

Leib. Er hat eine unverwechselbare Art zu gehen und s<strong>ich</strong> zu bewegen,<br />

seinen Kopf zu halten, Hand- und Armbewegungen zu machen. Das<br />

Ges<strong>ich</strong>t bekommt seine Furchen und Fallen, alle Freuden und Note<br />

hinterlassen ihre Spuren, die Begl¸ckungen sind ebenso erhalten geblieben<br />

wie die Entt‰uschungen. Und wie einer seine Haare frisiert oder s<strong>ich</strong> mit<br />

Kleidern umgibt, bleibt ó aufs Ganze gesehen ó auch meist erhalten.<br />

Unsere Bekannten erkennen wir schon aus der Ferne, ihre Gestik oder ihr<br />

Gang signalisieren uns ihre Nahe. Oft ist es ein charakteristischer Zug um<br />

die Augen oder den Mund, der in uns ein Gef¸hl der Sympathie auslost und<br />

der uns die Verbundenheit mit ihm w<strong>ich</strong>tig erscheinen l‰sst.<br />

Aber wir geraten auch immer wieder in eine Routine leibl<strong>ich</strong>er Vollz¸ge.<br />

Mit einer gewissen Automatik f¸hren wir unsere kˆrperl<strong>ich</strong>en Handlungen<br />

aus und sind n<strong>ich</strong>t mehr mit unserer ganzen Person darin anwesend. Oder<br />

der Kˆrper erschlafft, weil seine innere Spannkraft <strong>nach</strong>gelassen hat,<br />

M¸digkeit und allgemeine Mattigkeit f¸hren zu einer geringen<br />

Aufmerksamkeit f¸r die Prozesse in unserem Leib. Deshalb ist es<br />

ungemein w<strong>ich</strong>tig, dass wir uns immer wieder auf den Leib besinnen und<br />

den Energiestrˆmen, die uns durchflieflen, freie Bahn schaffen. Damit ist<br />

n<strong>ich</strong>t nur an sportl<strong>ich</strong>e ‹bungen gedacht (so w<strong>ich</strong>tig sie sein mˆgen),<br />

sondern auch an ªgeistige Exerzitien´.<br />

Wer s<strong>ich</strong> darum bem¸ht, meditative ‹bungen zu machen, wird schnell<br />

merken, dass sie zun‰chst einmal leibl<strong>ich</strong>e ‹bungen sind: Man muss s<strong>ich</strong><br />

um das rechte Sitzen bem¸hen, damit die Wirbels‰ule aufsteigen kann, man<br />

muss darauf achten, dass der Kˆrper n<strong>ich</strong>t verkrampft ist, sondern eine<br />

gewisse Bewegl<strong>ich</strong>keit behalt, damit auch der Geist ªin der Schwebe´ sein<br />

kann. Der Atem muss ruhig gehen, ohne dass er k¸nstl<strong>ich</strong> dirigiert wird.<br />

Wer so in seinem Kˆrper ªdasein´ kann, wird auch zu seiner eigenen Mitte<br />

durchstoflen kˆnnen und eine wohl gespannte Ruhe erfahren.<br />

Aber auch im Stehen und in der Bewegung l‰sst s<strong>ich</strong> eine meditative<br />

Kˆrpererfahrung machen. Wer am Morgen <strong>nach</strong> dem Aufstehen ein paar<br />

Minuten ruhig am Fenster steht, seinen aufger<strong>ich</strong>teten Leib intensiv<br />

wahrnimmt, die Arme <strong>nach</strong> den Seiten ausbreitet und s<strong>ich</strong> so ˆffnet, Arme<br />

und Kopf <strong>nach</strong> oben hebt, um sie dann ganz langsam wieder sinken zu lassen,<br />

wird eine begl¸ckende Freiheitserfahrung machen, die den ganzen Tag vorh‰lt.<br />

In einem Ged<strong>ich</strong>t hat Werner Bergengruen den Leib<br />

zum Symbol einer Glaubenshaltung erhoben:<br />

ªDu Mensch <strong>nach</strong> Gott gebildet bist.<br />

Dein Leib ist Gle<strong>ich</strong>nis: Kreuz und Christ.<br />

Gerammt in Grund der Hauptstamm steht,<br />

Seitab der Schultern Querholz geht.<br />

Erkenn das Kreuz. Du hangst daran,<br />

Schmerzenskind und Schmerzensmann.<br />

Halswirbel f¸hren den Sprossenlauf<br />

Der Jakobsleiter himmelauf.<br />

Verh¸llt von dunklen Rippen brennt<br />

Herz: ewiges L<strong>ich</strong>t und Sakrament.<br />

2


Verborgener Felsborn pocht und schwillt.<br />

Neig d<strong>ich</strong> vor allem Menschenbild.ì 3)<br />

In ein paar Zeilen ist die ganze Menschengestalt in ihrer wesentl<strong>ich</strong>en Besonderheit<br />

eingefangen. N<strong>ich</strong>t nur das Baugesetz und die Struktur <strong>des</strong> <strong>Leibes</strong>, sondern auch die Dynamik<br />

und das Lebensgesetz werden angedeutet. Und der Schlussgedanke macht deutl<strong>ich</strong>: Wenn<br />

schon in der kˆrperl<strong>ich</strong>en Gestalt so viel Geheimnisvolles s<strong>ich</strong> andeutet, welche Ehrfurcht<br />

m¸ssen wir vor allen Wesen haben, die einen Leib durchwohnen, die uns in ihrer Leibl<strong>ich</strong>keit<br />

begegnen. Wenn wir bedenken, dass unser ªSelbstgef¸hl´, das Empfinden f¸r den eigenen<br />

Wert und die personale W¸rde, ganz wesentl<strong>ich</strong> mit unserer Leiberfahrung zusammenhangt,<br />

kˆnnen wir einer Leibverachtung n<strong>ich</strong>t mehr das Wort sprechen. Unsere ganze Lebensreise ist<br />

auch eine Entdeckungsfahrt, um diese leib-seelisch-geistige Wirkl<strong>ich</strong>keit unseres Selbst besser<br />

kennen zu lernen. Ernst Bloch spr<strong>ich</strong>t von dem ªhomo ignotus in uns´ 4), dem immer noch<br />

unbekannten Menschen, der s<strong>ich</strong> um den aufrechten Gang bem¸ht und versucht, s<strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong><br />

erheben zu kˆnnen. Es sind noch manche Reisen in unentdecktes Land zu unternehmen.Aber<br />

n<strong>ich</strong>t nur der aufrechte Gang muss gelernt werden und die stolze Erhebung, sondern auch das<br />

S<strong>ich</strong>-beugen und S<strong>ich</strong>-klein-Machen. Wer s<strong>ich</strong> nur erheben will, ger‰t allzu le<strong>ich</strong>t in<br />

eine grˆflenwahnsinnige Selbst¸bersch‰tzung. Das Gef¸hl der Kraft verf¸hrt zu<br />

‹berhebl<strong>ich</strong>keit und zur Herrschaft ¸ber andere. Deshalb leitet uns die<br />

Gegenbewegung <strong>des</strong> Abstiegs dazu an, auch die Grenze unserer Mˆgl<strong>ich</strong>keiten<br />

anzuerkennen. Wer stark ist, hat die Verantwortung, s<strong>ich</strong> denen zuzuwenden, die<br />

noch schwach sind. Wer steht, muss damit rechnen, dass andere s<strong>ich</strong> an ihm<br />

aufr<strong>ich</strong>ten wollen, um auch in den Stand zu kommen. ªKein Mensch lebt f¸r s<strong>ich</strong><br />

allein´, sagt die Bibel (Rom 14,7), das bedeutet auch, dass die Menschen f¸reinander<br />

verantwortl<strong>ich</strong> sind und s<strong>ich</strong> keiner dieser solidarischen Verbundenheit entziehen<br />

kann. Zur inneren Bewegl<strong>ich</strong>keit gehˆrt es, dass wir uns hergeben kˆnnen, also n<strong>ich</strong>t<br />

auf einer selbst-herrl<strong>ich</strong>en Position beharren, sondern uns beugen, wenn es die<br />

Situation erfordert.<br />

Wer s<strong>ich</strong> erhebt, kann die eigenen Kr‰fte entdecken, die in ihm aufsteigen, die<br />

ungelebten Mˆgl<strong>ich</strong>keiten wahrnehmen, die darauf warten, die eigene Existenz zu<br />

befruchten. Wer s<strong>ich</strong> niederbeugt, macht deutl<strong>ich</strong>, dass er n<strong>ich</strong>t nur f¸r s<strong>ich</strong> da ist,<br />

sondern auch anderen zugewandt ist. Er bezeugt aber durch seine Haltung auch, dass<br />

er die Relativit‰t seiner ªGrˆfle´ zugibt und s<strong>ich</strong> einer grˆfleren Wirkl<strong>ich</strong>keit<br />

unterstellt, er weifl s<strong>ich</strong> einer Wirkl<strong>ich</strong>keit untergeordnet, vor der er s<strong>ich</strong> verneigen<br />

kannÖ<br />

Ö<br />

Der Glaube wird ja n<strong>ich</strong>t nur ªmit dem Kopf gedacht´, er wird auch n<strong>ich</strong>t einzig mit<br />

dem Mund bekannt, er muss ªgetan´ werden, gestisch ausgedr¸ckt, gerufen und<br />

getanzt, mimisch unterstr<strong>ich</strong>en, mit den H‰nden ertastet, mit den Beinen erlaufen,<br />

mit den Lippen gef¸hlt, mit der Zunge geschmeckt. Mit welcher Eindringl<strong>ich</strong>keit<br />

schildert der erste Johannesbrief, warum die eigenen Glaubenserfahrungen<br />

weitergegeben werden m¸ssen: ªWas wir gehˆrt haben, was wir mit unseren Augen<br />

gesehen haben, was wir zu schauen und unsere H‰nde zu tasten bekamen: vom Wort<br />

<strong>des</strong> Lebens reden wir. Und zwar: Das Leben ist zum Vorschein gekommen, und wir<br />

haben gesehen und bezeugen und ber<strong>ich</strong>ten euch vom unendl<strong>ich</strong>en Leben, das beim<br />

Vater war und uns erschienen ist. Was wir gesehen und gehˆrt haben, ber<strong>ich</strong>ten wir<br />

auch euch ó damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt´ (1 Joh 1,1 ó 3). Der<br />

Briefschreiber kann s<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t genug tun im Nachweis der sinnenhaften<br />

Eindr¸cke, die er gesammelt hat und die er n<strong>ich</strong>t f¸r s<strong>ich</strong> behalten kann.<br />

3


Vergle<strong>ich</strong>t man die leibl<strong>ich</strong>en Ausdrucksformen der Frˆmmigkeit verschiedener<br />

Religionen, dann wird ers<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, dass sie nirgendwo fehlen und da8 sie s<strong>ich</strong> weithin<br />

gle<strong>ich</strong>en. Da m¸ssen Prozessionswege zur¸ckgelegt werden, werden Waschungen<br />

vorgenommen, bestimmte Gew‰nder werden angelegt, Verbeugungen und<br />

Handgesten haben einen w<strong>ich</strong>tigen Stellenwert. Segnungen und Kraft¸bertragungen<br />

durch Handauflegung finden s<strong>ich</strong> ¸berall. <strong>Die</strong> religiˆse Gemeinschaft bekundet ihre<br />

Zusammengehˆrigkeit durch das Umstehen eines Altars oder die Tischgemeinschaft<br />

und das verbindende Mahl. <strong>Die</strong> wiegende Bewegung der Muslime beim Koranlesen<br />

unterscheidet s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t sehr von der Gebetsform der Juden an der Klagemauer; der<br />

Leib verlangt <strong>nach</strong> einem rhythmischen Tun, <strong>des</strong>halb haben die Gesange und<br />

Hymnen eine so hohe Bedeutung. Der Leib ist der Tempel <strong>des</strong> Heiligen Geistes, sagt<br />

Paulus, <strong>des</strong>halb sollen wir Gott mit unserem Leib verherrl<strong>ich</strong>en (1 Kor 6,19f.). Ist<br />

diese Aufforderung von den Christen ¸berhaupt schon wirkl<strong>ich</strong> gehˆrt worden? Hat<br />

man s<strong>ich</strong> schon gefragt, was das zu bedeuten hat? Wohl gibt es bei der<br />

Sakramentenspendung die Waschungen und Salbungen, wer aber versteht solche<br />

rituelle Vorg‰nge als Heiligung <strong>des</strong> <strong>Leibes</strong>, als Ausze<strong>ich</strong>nung unserer<br />

Kˆrperl<strong>ich</strong>keit? Hier soll doch ein Tempel eingeweiht werden!<br />

Ö.<br />

Trotz der S¸nde Adams ist der menschl<strong>ich</strong>e Kˆrper so heilig, dass seine<br />

verschiedenen Teile mit den gˆttl<strong>ich</strong>en Kr‰ften und dem Heilswirken in<br />

Zusammenhang gebracht werden kˆnnen. Und die Sehnsucht geht dahin, dass die<br />

leibl<strong>ich</strong>e Gestalt wieder so l<strong>ich</strong>thaft sein soll, wie Gott sie haben wollte, ohne den<br />

inneren Riss, ohne die Widerst‰nde und die Blockaden. Am Ende wird aber wieder<br />

ein Leib erhofft, eine Entsprechung der Urgestalt <strong>des</strong> Anfangs. Wenn in der<br />

christl<strong>ich</strong>en Theologie so stark die Sch‰digung <strong>des</strong> Menschen durch die ªErbs¸nde´<br />

betont wird, dann soll damit n<strong>ich</strong>t ausgesagt werden, dass der Mensch dadurch die<br />

ªEbenbildl<strong>ich</strong>keit´ mit seinem Schˆpfer eingeb¸flt hatte. Es geht vielmehr darum,<br />

dass er innerl<strong>ich</strong> gespalten ist, die Leiberfahrung und die Geisterfahrung kˆnnen<br />

auseinanderklaffen, er hat Schwierigkeiten damit, seine innere Einheit zu erfahren,<br />

die eigene Geistigkeit in seiner Leibl<strong>ich</strong>keit darzustellen. Seine inneren Sinne sind<br />

n<strong>ich</strong>t so offen, dass er wirkl<strong>ich</strong> zum Sehenden und Hˆrenden wurde. Er bleibt hinter<br />

seinen Mˆgl<strong>ich</strong>keiten zur¸ck, vielle<strong>ich</strong>t verdirbt er auch seine kostbaren Gaben,<br />

indem er sie missbraucht, verk¸mmern l‰sst, sie r¸cks<strong>ich</strong>tslos ausbeutet oder<br />

zerstˆrt.<br />

Mit der Botschaft von der ªMenschwerdung Gottes´, die ja ªInkarnation´ genannt<br />

wird, ªFleischwerdung´, ist der menschl<strong>ich</strong>e Kˆrper in einer unglaubl<strong>ich</strong>en Weise<br />

aufgewertet worden. Gott sch‰tzt die Leibl<strong>ich</strong>keit so hoch, dass er in einer leibl<strong>ich</strong>en<br />

Gestalt uns ansprechen und erlosen will. Der Erlˆsungsweg ist kein Vorgang der<br />

Entleibl<strong>ich</strong>ung, wir wollen n<strong>ich</strong>t von unserem Kˆrper erlˆst werden, vielmehr soll<br />

der Leib seine wahre W¸rde bekommen. Wenn Friedr<strong>ich</strong> Christoph Oetinger (1702 -<br />

1782) gesagt hat: ªLeibl<strong>ich</strong>keit ist das Ende der Werke Gottes´, dann wollte er diese<br />

W¸rde der leibhaften Existenz auch als die Zielr<strong>ich</strong>tung der Schˆpfung hinstellen.<br />

Alles, was ist, will zur g¸ltigen Gestalt werden, will s<strong>ich</strong> ausdr¸cken und seine ihr<br />

innewohnende Initialidee verleibl<strong>ich</strong>en.<br />

Wir d¸rfen also die Freude erleben, dass unser Leib erstarkt, durch seine Kr‰fte,<br />

seine Ausdrucksf‰higkeit und Gestaltungsmˆgl<strong>ich</strong>keit s<strong>ich</strong> auch unser<br />

Selbstbewusstsein festigt und wir ªstehen´ kˆnnen, uns aufr<strong>ich</strong>ten und wirksam<br />

werden in der Schˆpfung. Gott ist n<strong>ich</strong>t eifers¸chtig auf diese Eigenkraft <strong>des</strong><br />

Menschen, im Gegenteil, er will ja, dass dadurch die Welt vorangetrieben wird. In<br />

einem k¸hnen Gebetstext hat der grofle sp‰tmittelalterl<strong>ich</strong>e Theologe und Philosoph<br />

4


Nikolaus Cusanus (1400 -1464) diesem Gedanken Ausdruck gegeben:<br />

ªWie wirst DU d<strong>ich</strong> mir geben,<br />

wenn du n<strong>ich</strong>t erst MICH selbst mir gibst?<br />

Wie <strong>ich</strong> so im Schweigen der Betrachtung ruhe,<br />

hast du, Herr, mir in der Tiefe<br />

meines Herzens geantwortet.<br />

Du sagst zu mir:<br />

Sei du dein, so werde <strong>ich</strong> dein sein!<br />

O Herr, du Begl¸ckung in aller Wonne,<br />

du hast es zur Sache meiner Freiheit gemacht,<br />

da6 <strong>ich</strong> mein sein kann, wenn <strong>ich</strong> so gewollt habe.<br />

Wenn <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mir gehˆre,<br />

dann gehˆrst auch du n<strong>ich</strong>t mir.<br />

Insofern drangst du m<strong>ich</strong> zu meiner Freiheit,<br />

da du n<strong>ich</strong>t mein sein kannst,<br />

wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t selbst besitze.<br />

<strong>Die</strong>s hast du aber in meine Freiheit gestellt,<br />

du nˆtigst m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, sondern wartest,<br />

dass <strong>ich</strong> selbst w‰hle, mir zu gehˆren. ´<br />

Cusanus hˆrt: ªSei du dein, so werde <strong>ich</strong> dein sein! ´ Und wir d¸rfen vielle<strong>ich</strong>t<br />

erg‰nzen: Sei du in deinem Leib, und <strong>ich</strong> werde in deinem Leib sein. Nimm d<strong>ich</strong> in<br />

deiner Leibl<strong>ich</strong>keit ernst, denn Gott will d<strong>ich</strong> in deiner Leibl<strong>ich</strong>keit haben und will<br />

s<strong>ich</strong> in deiner Leibl<strong>ich</strong>keit ausdr¸cken.<br />

Anmerkungen:<br />

1) Paul Claudel, Der Seidene Schuh oder Das Schlimmste trifft n<strong>ich</strong>t immer,<br />

Salzburg, 1949(4),134.<br />

2) Martin Buber, <strong>Die</strong> j¸dische Mystik, in: <strong>Die</strong> Gesch<strong>ich</strong>ten <strong>des</strong> Rabbi Nachmann,<br />

Frankfurt/M.1955,17.<br />

3) Werner Bergengruen, Membra Vestra Templum sunt <strong>Die</strong> Vivi, in: Figur und<br />

Schatten. Ged<strong>ich</strong>te, M¸nchen 1958,90.<br />

4) Ernst Bloch, Antwort an Marcuse, in Neues Forum XVI (1969).<br />

Entnommen in Ausz¸gen: ÑDer Leib als s<strong>ich</strong>tbare Seeleì, Kreuz Verlag Stuttgart 1991, 226-239.<br />

Neuerscheinung als gek¸rzte Ausgabe: Ñ Der Leib und seine Sprache - <strong>Die</strong> Symbolik der menschl<strong>ich</strong>en Gestaltì ,<br />

Topos plus Verlagsgemeinschaft, Kevelaer 2003<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Betz</strong><br />

Prof. Dr. phil., Studium der Philosophie und Theologie, Germanistik und P‰dagogik.<br />

1964 - 1985 Professor f¸r allgemeine Erziehungswissenschaft und P‰dagogik an der<br />

Universit‰t Hamburg. Autor und Herausgeber zahlre<strong>ich</strong>er B¸cher und Anthologien<br />

5


zu Themen der Spiritualit‰t, Literatur, Anthropologie, Mythologie und<br />

Symbolkunde.<br />

Er z‰hlt zu den bedeutensten Kennern <strong>des</strong> Werks der Hildegard von Bingen. Auch<br />

<strong>nach</strong> seiner Emeritierung gefragter Referent und Seminarleiter in Deutschland,<br />

÷sterre<strong>ich</strong> und der Schweiz. Er lebt mit seiner Frau in Passau.<br />

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