07.03.2013 Aufrufe

Ausgabe 6/2012 Oktober - November - Gemeinde Rammelsbach

Ausgabe 6/2012 Oktober - November - Gemeinde Rammelsbach

Ausgabe 6/2012 Oktober - November - Gemeinde Rammelsbach

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Gedankengebäude eindringen, das heute selbst für gebildete Laien schwer zugänglich<br />

ist. So wird es auch damals gewesen sein. Das Volk konnte ohnehin nicht lesen. Die<br />

Vorstellung, nach dem Thesenanschlag habe es so etwas wie einen kleinen Aufstand<br />

unter dem allgemeinen Christenvolk gegeben, ist vermutlich ziemlich abwegig. Die<br />

Thesen waren zu allererst gedacht zur Lektüre für die hochgelehrten Wissenschaftler<br />

der Wittenberger Universität. Für diese war der regelmäßige Kirchgang Pflicht, sie<br />

waren auch in der Lage, das komplizierte Gedankengebäude Luthers zu verstehen.<br />

Luther hatte mit der Kirchentür eine Form der Kommunikation gewählt, die heute<br />

nicht mehr zur Verfügung steht. Kein Professor einer Universität würde sich heute für<br />

irgendwelche Zettel an einer Kirchentür interessieren. Heute stünden solche Texte<br />

vermutlich im Internet. Im Übrigen gibt es unter den Wissenschaftlern Zweifel an dem<br />

Vorgang des Thesenanschlages, obwohl er durch Luthers Freund Melanchthon<br />

überliefert ist.<br />

Mit Luthers Thesen brachen ganze kirchliche Lehrgebäude zusammen, die bis<br />

dahin um die tausend Jahre gehalten hatten. Dieser rebellische Vorgang war wohl der<br />

erfolgreichste Antrieb bei der Verbreitung der Thesen. Aus dem jungen<br />

Wissenschaftler war ein Ketzer und Rebell geworden. Luthers Thesen waren eine Art<br />

Revolution in der Kirche und stellten Ihre Allmacht in Frage. Durch den Zweifel an<br />

der bisherigen Funktion der römischen Kirche drohten die Einnahmen aus dem<br />

Ablasshandel zu versiegen, zum anderen verlor die römische Kirche mit den Zweifeln<br />

an der dringenden Notwendigkeit der Bußübungen eine ordentliche Portion an Macht<br />

über ihre Gläubigen. Es ist also kein Wunder, dass Luther umgehend zur Rechenschaft<br />

gezogen wurde. Der Vorladung nach Rom wegen notorischer Ketzerei entzog er sich<br />

erfolgreich; vermutlich hätte er die Reise nach Rom nicht lebend überstanden. So<br />

folgte die Vorladung durch den römischen Kaiser Karl V. nach Worms mit den<br />

allbekannten Folgen.<br />

„Hier stehe ich und kann nicht anders, Gott helfe mir“<br />

soll er angeblich gesagt haben, als er widerrufen sollte. Vermutlich war ihm bei<br />

diesen Worten klar, auch diese Reise würde er nicht überleben. Aber sein Landesherr<br />

Friedrich der Weise dachte gar nicht daran, sich seinen klugen Wittenberger<br />

Theologen von irgendwelchen kaiserlichen Landsknechten auf das sichere Schafott<br />

führen zu lassen. So ließ er ihn für alle kaiserlichen Schächer unerreichbar auf die<br />

Wartburg bei Eisenach bringen.<br />

Es ist nicht verwunderlich, dass Luthers Landesherr Friedrich der Weise seine<br />

schützende Hand über diesen jungen theologischen Rebellen gehalten hat. Auch für<br />

die Fürsten im heiligen römischen Reich war eine gewisse Loslösung von den<br />

römischen Machtansprüchen hoch willkommen. Plötzlich sahen sie die Möglichkeit,<br />

auf dieser Erde niemandem mehr Rechenschaft schuldig zu sein. Letztlich auch dem<br />

Kaiser nicht, denn der hatte ohnehin keine allzu starke Stellung im römischen Reich.<br />

Vermutlich sind Erfolg und Wirkung dieses Thesenanschlages zur damaligen Zeit nur<br />

erklärbar mit der Chance erheblicher Machtverschiebungen und finanzieller<br />

Unabhängigkeit der Fürsten im damaligen Kaiserreich.<br />

7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!