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Iris Dressler, Douglas' Gespenster (deu, Katalogbeitrag in: "Stan

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20<br />

Douglas’ <strong>Gespenster</strong><br />

Fotografie an ihren Untoten und Geköpften h<strong>in</strong>terlassen. 44) Doch noch die erste transatlantische<br />

Direktübertragung e<strong>in</strong>es Fernsehbildes war 1928 nur am abgeschlagenen Kopf e<strong>in</strong>er<br />

Bauchrednerpuppe durchzuführen, um am anderen Ende des Medienverbundes nichts anderes<br />

als e<strong>in</strong> Gespenst <strong>in</strong> Empfang zu nehmen. 45) Geköpfte und Bauchrednerei s<strong>in</strong>d den Medien<br />

immer schon e<strong>in</strong>geschrieben, wie Douglas es zum Beispiel <strong>in</strong> Even<strong>in</strong>g entlang der machtvollen<br />

Tautologien, die den stilistisch getrimmten »Talk<strong>in</strong>g Heads« von Nachrichtensprechern<br />

implementiert s<strong>in</strong>d, exemplifiziert, oder wie er es <strong>in</strong> Journey <strong>in</strong>to Fear aufführt, <strong>in</strong>dem er das<br />

Pr<strong>in</strong>zip der Synchronisation h<strong>in</strong>tertreibend den Sprechenden e<strong>in</strong> immer anderes Gesprochenes<br />

<strong>in</strong> den Mund legt.<br />

Douglas’ Reisen <strong>in</strong> die Vergangenheit s<strong>in</strong>d weder Rachefeldzüge noch Großvatermorde. Es<br />

s<strong>in</strong>d allemal Reisen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Angst, die verborgen bleiben sollte, Reisen <strong>in</strong> die Möglichkeitsräume<br />

des Anderen, e<strong>in</strong>er anderen, aus den Fugen geratenen Zeit. Se<strong>in</strong>e rekomb<strong>in</strong>ierenden Zeit- und<br />

Erzählmasch<strong>in</strong>en spielen dabei die Komb<strong>in</strong>ationsmöglichkeiten e<strong>in</strong>er bestimmten Anzahl von<br />

Bild- und Tonelementen über Stunden, Monate und Jahre – immer bis zur Erschöpfung der<br />

jeweils vorgegeben, der vorprogrammierten Möglichkeiten – durch. Zeit gerät hier also mit und<br />

als System aus den Fugen. Ungefähr siebzig Stunden würde es dauern, bis sich e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ationsvariante<br />

der Videoarbeit Klatsass<strong>in</strong> wiederholt. Sechs Zeitpunkte kreisen dabei um e<strong>in</strong>en<br />

diffusen Tag X des Jahres 1864, an dem im Dickicht der Wälder im westkanadischen Cariboo<br />

zur Zeit der zweiten Goldrauschära e<strong>in</strong> Deputy getötet wird, der se<strong>in</strong>en Mörder angeblich im<br />

Schlepptau führte. Zahlreiche Konflikte und offene Fragen überlagern sich <strong>in</strong> diesem »Western<br />

›<strong>in</strong> dub‹« ( Douglas), der historisch auf das Schicksal des Tsilqot’<strong>in</strong>-Häuptl<strong>in</strong>gs Klatsass<strong>in</strong><br />

zurückgeht. Dieser setzte sich 1864 im Chilcot<strong>in</strong>-Plateau mit e<strong>in</strong>er Gruppe von Kriegern gegen<br />

die Landnahme der Weißen zur Wehr, die über die Monopolisierung von Verkehrswegen vom<br />

Goldrausch <strong>in</strong> Cariboo profitieren wollten. Klatsass<strong>in</strong> sowie vier se<strong>in</strong>er Mitstreiter, die man<br />

festnahm und »rechtskräftig« verurteilte, wurden gehängt. E<strong>in</strong> weiterer Gefangener, der an e<strong>in</strong><br />

zweites Gericht überstellt werden sollte und dabei fliehen konnte, wurde nie gefasst – und<br />

somit wird er, quasi als Wiedergänger der Geschichte, zum Corpus delicti <strong>in</strong> Douglas’ Arbeit.<br />

Er kommt wieder und bleibt als Flüchtiger.<br />

Doch nicht nur er hat e<strong>in</strong> Motiv, den Deputy, der ihn vor e<strong>in</strong> »anständiges« Gericht br<strong>in</strong>gen<br />

soll, das nur se<strong>in</strong> Tod be<strong>deu</strong>ten kann, zu ermorden: denn die Magie des Goldes ruft wie immer<br />

e<strong>in</strong>e Reihe frustrierter, neidischer und gescheiterter »stupid white men« auf den Plan. Zu<br />

diesen zählt an erster Stelle der Deputy selbst – nennt er sich doch im verme<strong>in</strong>tlichen Adressieren<br />

se<strong>in</strong>es Gefangenen, dessen Namen er nicht kennt 46) (aber zu wissen glaubt, ohne ihn<br />

zu verstehen) selbst so, bis er e<strong>in</strong>e bittere Sprachlektion erteilt bekommt. 47) Die Verhältnisse<br />

vom Nootka-Sund haben sich verkehrt: das Missverständnis bezeichnet nicht mehr die Missverstandenen,<br />

sondern den Missverstehenden. 48) Des Weiteren treten als »stupid white men«<br />

und potenzielle Mörder, Mittäter oder Mitwisser auf: e<strong>in</strong> selten nüchterner Dieb, der bereits<br />

gemordet hat; e<strong>in</strong> britischer Wirt, der, solange das Geld stimmt, »sogar« Indianer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Wirtshaus duldet; e<strong>in</strong> <strong>deu</strong>tscher M<strong>in</strong>enarbeiter, der nichts anderes als nach Hause möchte,<br />

dafür wahrsche<strong>in</strong>lich über Leichen gehen würde, und, wie der Wirt, womöglich mehr weiß,<br />

als er sagt, 49) sowie e<strong>in</strong> mäßig kompetenter schottischer Constable, der wiederum mehr sagt,<br />

44) Vgl. hierzu <strong>Iris</strong> Därmann,<br />

» Noch e<strong>in</strong>mal: ¾ Sekunde, aber<br />

schnell«, <strong>in</strong>: Tholen u. a. 1993<br />

( wie Anm. 42 ), S. 189–206.<br />

45) Nur e<strong>in</strong> Holzkopf konnte der<br />

Hitze des Sche<strong>in</strong>werferlichts<br />

standhalten. Vgl. hierzu: I.M.A.G.E.,<br />

»Die TV-Show als orbitale Bild- und<br />

Zeitreise«, <strong>in</strong>: ebd., S. 355–360.<br />

46) » Wir kennen se<strong>in</strong>en Namen<br />

nicht« be<strong>deu</strong>tet soviel wie<br />

»Klatsass<strong>in</strong> «.<br />

47) »Deputy: Laut Papieren heißt<br />

er Chilcot<strong>in</strong> George, aber ich<br />

glaube, dass se<strong>in</strong> <strong>in</strong>dianischer<br />

Name ›Midugh-lha Gwetah-hilih‹<br />

ist. Wirt: Warum sollte e<strong>in</strong> Indianer<br />

›stupid white man‹ heißen.«<br />

Douglas bezieht sich dabei auf Jim<br />

Jarmuschs Film Dead Man (1998).<br />

»Der Indianer Nobody, der e<strong>in</strong>en<br />

Mann Namens William Blake an<br />

dessen letzte Ruhestätte führt und<br />

dabei mit dem englischen Poeten<br />

verwechselt, nennt ihn andauernd<br />

›stupid white man‹, da dieser sich<br />

nicht an ›se<strong>in</strong>e‹ Gedichte er<strong>in</strong>nern<br />

kann.« <strong>Stan</strong> Douglas <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E-Mail<br />

an die Autor<strong>in</strong>. Übersetzungen<br />

durch die Autor<strong>in</strong>. Dies gilt auch<br />

für alle folgenden Zitate aus<br />

Klatsass<strong>in</strong>.<br />

48) Se<strong>in</strong>en heutigen Namen<br />

erhielt der Ort, auf den Douglas <strong>in</strong><br />

Nu•tka• (1996) referiert, aufgrund<br />

e<strong>in</strong>es Missverständnisses seitens<br />

James Cook. Vgl. dazu Charlotte<br />

Townsend-Gault, »Geschichtskunst:<br />

Nu•tka•, 1996«, <strong>in</strong> diesem Buch.<br />

49) In e<strong>in</strong>er Variante des Tag X<br />

beobachtet der Deutsche, wie der<br />

Dieb den Deputy erschießt, dem<br />

er, da dieser ja sowieso bereits tot<br />

ist und nicht gerade se<strong>in</strong> bester<br />

Freund war, se<strong>in</strong>e Uhr stiehlt. Vor<br />

Gericht verschweigt er aus guten<br />

Gründen, was er gesehen hat.<br />

»Der Mann [Gefangene] war als<br />

Krim<strong>in</strong>eller bekannt und wäre<br />

sowieso gehängt worden. Wen<br />

kümmert’s also«, sagt er später.<br />

Der Wirt wiederum sieht am Tag

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