Reader zur Ausstellung Urbanes Leben - Württembergischer ...
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<strong>Reader</strong> <strong>zur</strong> <strong>Ausstellung</strong> <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong>
<strong>Reader</strong> <strong>zur</strong> <strong>Ausstellung</strong> <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong><br />
Rund die Hälfte aller Mitglieder des Württembergischen Kunstvereins sind<br />
KünstlerInnen. Vor diesem Hintergrund richtet der Kunstverein, als mittlerweile<br />
einer der Wenigen in Deutschland, regelmäßig eine <strong>Ausstellung</strong> der<br />
Künstlermitglieder aus. Dabei legt der künstlerische Beirat jeweils ein Thema<br />
fest, zu dem Vorschläge eingereicht werden können. Prinzipiell können alle<br />
Interessierten an der <strong>Ausstellung</strong> teilnehmen, sofern ihre Vorschläge den<br />
Rahmen einer Gruppenausstellung nicht sprengen beziehungsweise dem<br />
vorgegebenen Thema entsprechen. Ziel ist es, einen Einblick in die Vielfalt<br />
künstlerischer Ansätze sowohl im Hinblick auf die Mitglieder des Kunstvereins als<br />
auch auf ein bestimmtes Themenfeld aufzuzeigen. Zugleich dient die <strong>Ausstellung</strong><br />
als Plattform des gegenseitigen Austauschs, indem sie von zahlreichen<br />
Künstlergesprächen, Performances und vielem mehr begleitet wird.<br />
Thema der diesjährigen <strong>Ausstellung</strong> der Mitglieder ist das urbane <strong>Leben</strong>. Hierzu<br />
zeigen rund 200 KünstlerInnen – aus Stuttgart, der Region bis New York –<br />
Werke, die auf unterschiedlichste Weise Bezug auf die Stadt nehmen: von den<br />
urbanen Oberflächen, die die Frage nach der Unwirtlichkeit der modernen Stadt<br />
aufwerfen, bis zu den Bildzeichen, die den öffentlichen Raum hinter<br />
überbordenden Konsumbotschaften verschwinden lassen. Es werden individuelle<br />
Erlebnisräume thematisiert, die sich die StadtnutzerInnen in privaten Nischen als<br />
Gegenentwurf <strong>zur</strong> Monokultur des Ökonomischen aufbauen. Gleichzeitig wird der<br />
urbane Raum als Ort des Konflikts, der politischen Auseinandersetzung<br />
einerseits und der Solidarität und Freiheit andererseits verhandelt. Die<br />
<strong>Ausstellung</strong> <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> ist somit auch ein Spiegelbild der<br />
Wunschprojektionen auf Freiräume, Modelle der Partizipation und alternativen<br />
<strong>Leben</strong>spraxen.
Petra Aichholz, Hans Albrecht, Kurt App, Sabine Aurich, Cristina Barroso, Regine<br />
Bartholdt, Sigrid Baumann Senn, Gabriele Beitelhoff-Zeger, Roland Bentz, Ingeborg<br />
Benz, Ulli Berg, Ulrich Bernhardt, Dagmar Binanzer-Kraus, Renate Bogatke, Andreas<br />
Böhm, Albrecht A. Bopp, Željko Božičević, Johannes Braig, Brigitte Braun (NERZ-KG),<br />
Wolfgang Brenneisen, Ulrike Brennscheidt, Jörg Buchmann, Sibylle Burrer, Klaus<br />
Bushoff, Mariana Cinteanu, Tillmann Damrau, Lukas Derow, Lavinia Dieter, Klaudia<br />
Dietewich, Klaus Dietrich, Gerhard Dolde, Monika Drach, Karl Duschek, Tanja Duszynski,<br />
Christa Düwell, Regine E., Silke Eberspächer, Ralf Ehmann, Gert Elsner, Hildegard<br />
Esslinger, Sylvia Faragó, Susanne Feix, Barbara Fernandes, Klaus Fischer, Angelika<br />
Flaig, Sabine Fleischmann, Andreas Franz, Gudrun Freder, Gerhard Friebe, Edward<br />
Gaietto, Raúl López García, Martina Geiger-Gerlach, Peter Geisselmeier, Martina Geist,<br />
Gotthard Glitsch, Mariel Gottwick, Doris Graf, Renate Gross, Stefan Habermann, Erika<br />
Hart, Hannes Hartmann, Kanoko Hashimoto, Rolf Hausberg, Frank Haußmann, Thomas<br />
Heger, Tim Stefan Heger, Angelika Heinkel, Peter Helm, Michael Hermann, Ernst Günter<br />
Herrmann, Helga Hess-Feldbach, Ute Heuchel, Klaus Heuser, Angela Hildebrandt / Petra<br />
Pfirmann (The Piussisters), Ruth Hillebrand Dane, Julia Hillesheim, Helga Hodum,<br />
Renate Hoffleit, Frank N. Hoffmann, Gerrit Hoogerbeets, Irene Hoppenberg, Jean-Claude<br />
Houlmann, Manfred Hülsewig, Waltraut Huth-Rössler, Gottfried Hüttemann, Veronika<br />
Idler, Wolfram Isele, Melanie Jakel, Ingolf Jännsch, Elke Jetter, Tamara Kapp, Barbara<br />
Karsch-Chaïeb, Katrin Kinsler, Anja Klafki, Gudrun Knapp, Wolfgang Knauss, Agnieszka<br />
(Aga) Koch, Inge Koch, Peter Koch, Alfons Koller, Stephan Köperl, Susanne Krüger-<br />
Eisenblätter, Salla Kuhmo, Christian Lang, Elke Lang-Müller, Simone Lindner, Uli Luipold,<br />
Ursula Lux, Jens Lyncker, Peter Magiera, Doris Marquardt, Lisa Meixner, Frank Mezger,<br />
Christa Munkert, Chris Nägele, Wolfgang Neufang-Fleck, Wolfgang Neumann, Hartmut<br />
Ohmenhäuser, Andreas Opiolka, Martin Palm, Betina Panek (NERZ-KG), Dieter Paul,<br />
Roberta C. Penz, Andrea Peter, Hans Pfrommer, Helmut Ranftl, Martin Rauch, Christina<br />
Redenbacher-Merkert, Sieglinde Reiche, Thomas Reichle, Eva Maria Reiner, Susa<br />
Reinhardt, Heinz Renke, Georg Ribizel, Linus Roeder, Wolfgang Roh, Imelda Ruch,<br />
Maria Grazia Sacchitelli, Heike Sackmann, Monika Schaber, Kerstin Schaefer, Edeltraud<br />
Schäfer, Michael Schager, Nicole Scheller, Yvonne Schenk, Reinhard Scherer, Edgar<br />
Schmandt, Eva Schmeckenbecher, Martin Bruno Schmid, Uli Schmidt, Clemens<br />
Schneider, Volker Schöbel, Renate Schöck, Thorsten Schuberth, Uli Schuck, Jörg<br />
Michael Schulz, Peter Schumann, Ingrid Schütz, Michael Schützenberger, Ulrich Seibt,<br />
Pery Seidel, Uwe H. Seyl, Eun-Joo Shin, Natalia Simonenko, Elisabeth Smolarz, Kathrin<br />
Sohn, Stef Stagel, Aurélie Staiger, Robert Steng, Ursula Steuler, Karl Striebel, Ulrich<br />
Stürmer, Uelkue Suenguen, Kurt Laurenz Theinert, Claudia Thorban, Günther Titz, Siegi<br />
Treuter, Hannes Trüjen, Stefan Tümpel, Jutta Uhde, Thomas Ulm, Künstlergruppe<br />
verstoffwechselt, Steffen Vetterle , Bronislava von Podewils, Chen Wang, Veronika<br />
Weigel, Martina Weik, Julia Wenz, Oliver Wetterauer, Gert Wiedmaier, Sylvia Winkler,<br />
Irina Wolff, Joachim Wörner, Kathrin Wörwag, Angelika Zeller, Toni-Andrea Zelter,<br />
Annegret Ziegler, Danielle Zimmermann, Andrea Zug
Petra Aichholz<br />
NY – Serie, Intagliotypie, 2010<br />
2 Photos aus New York in verschiedenen Varianten übereinandergelegt<br />
Hans Albrecht<br />
Werkverzeichnis 19 /11, Fotografie, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Es handelt sich um eine fünfteilige Fotoarbeit (als Bodeninstallation).<br />
Die ausschnitthaft fotografierten Fahrbahnmarkierungen verweisen als im Prinzip unveränderbare<br />
(„markante“) Zeichen eindeutig auf den (bekannten) urbanen Raum. Als veränderbares Prinzip<br />
wirken die Schatten technischer Installationen am Fahrbahnrand.<br />
Eine zusätzliche „urbane“ Assoziation ergibt sich aus den sich zwangsläufig auf den<br />
glasgerahmten Fotos spiegelnden Deckenstrukturen des <strong>Ausstellung</strong>sraums. Diese sind als<br />
integraler Bestandteil des Werkes zu verstehen.<br />
Werkverzeichnis 19 /11 (Modell)<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 1
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Kurt App<br />
nur werktags, Video (7:20 min), 2011<br />
Die Arbeit zeigt Parallelitäten <strong>zur</strong> Rezeption visueller Eindrücke im urbanen <strong>Leben</strong>. Die<br />
Aufeinanderfolge der rhythmisch gegliederten Bilder ergibt einen neuen, szenischen<br />
Zusammenhang. Die Blicke aus Straßenbahn, Auto, Bus, Taxi, Vorortbahn zeigen schnell<br />
wechselnde Bilder mit Unterbrechungen ähnlicher Bildkompositionen. Die Eindrücke von<br />
ähnlichen Straßenzügen kontrastieren aber auch immer wieder mit unverwechselbaren,<br />
kennzeichnenden Ansichten.<br />
Das Material ist im Wesentlichen nach der Audiospur geschnitten, das bedeutet, dass die kurzen<br />
Szenen nach ihrer akustischen Brauchbarkeit verwendet wurden. Das Videomaterial stammt aus<br />
dem urbanen Umfeld dieser Stadt und aus der Stadt Abiko/ Chiba Prefecture/ Japan.<br />
Spektakuläre Medienbilder lassen oft eine kulturspezifische Merkmalhaltigkeit erkennen, die im<br />
Alltagsleben fehlt. Die schreienden Lichtreklamen mit unbekannten und unverständlichen Zeichen<br />
auf der Ginza lassen mehr Fremdartigkeit entstehen, als ein Blick in die Hinterhöfe der Vororte.<br />
Ebenso zeigt eine bierschwangere Volksfestatmosphäre mehr Möglichkeiten <strong>zur</strong> Zuordnung, als<br />
eine Straßenszene mit Fabrikgebäuden.<br />
Die Vervielfältigung von digitalisiertem Material ergibt Wiederholung, datenmäßig handelt es sich<br />
sogar um eine exakte Vervielfältigung, die mit den Schlagwörtern – cut, copy and paste –<br />
beschrieben wird. Gerade beim digitalen Video- und Audioschnitt fällt auf, dass es sich bei dem<br />
kopierten Objekt zwar um ein exaktes Duplikat handelt, aber es sitzt nicht mehr an der richtigen<br />
zeitlichen Stelle. So kommt es zu Wiederholungen, die in der realen Ausführung, etwa in der<br />
Musik, eine große Konzentration erfordern. Im Bereich der digitalen Arbeit genügt ein (Maus-)<br />
Ziehen und Klicken.<br />
2 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Sabina Aurich<br />
Fenster I-II, Holzdruck (Handabzüge), 2004/2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Die Setzung von Raum in Linie und Fläche, wie sie in ständiger Vervielfältigung und Abwandlung<br />
– etwa in urban-architektonischen Kontexten – wiederkehrt, ist niemals mit ihrer Wiederholung<br />
identisch, werden doch auch nur zwei Varianten niemals in derselben Perspektive und Hinsicht<br />
gesehen.<br />
Fenster vervielfältigen die Situation. Durch Transparenz, durch Spiegelung und durch den<br />
Transfer, der in zwei Richtungen erfolgt. Spurenlos sammeln sie Blicke. Und werden dabei<br />
gesehen.<br />
Cristina Barroso<br />
Constructed City, Acryl und Collage auf Leinwand, 2002<br />
Modulo, Collage auf Styropor und Kunststoff, 2011<br />
Modulo<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 3
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Regine Bartholdt<br />
Triptychon - Lichtgrafiken 19+06+12/09 2011, Fotografie analog, 2011<br />
[…] Regine Bartholdt unterläuft die Erwartungshaltungen des Betrachters, indem sie sich die<br />
Freiheit nimmt, mit den bildnerischen Mitteln von Malerei in der Fotografie zu spielen. Stand<br />
zunächst das abstrahierende, uminterpretierende Ablichten des menschlichen oder körperhaften<br />
Objekts im Vordergrund, das durch Überblendungen und Variation zum Bildzeichen umformuliert<br />
wurde, so avancierten schließlich konsequenterweise die technischen Mittel zum eigentlichen<br />
Bildgegenstand.<br />
[...]“Freiheit ist, gegen den Apparat zu spielen“, befand der Philosoph und<br />
Kommunikationstheoretiker Vilém Flusser in seinem Essay Für eine Philosophie der Fotografie<br />
von 1983. In dieser Aussage findet Regine Bartholdt auch ihre eigene Arbeitsweise charakterisiert.<br />
[...] Die Grundprobleme liegen im Bezugs- und Möglichkeitengeflecht zwischen Bild, Apparat,<br />
Programm und Information, die ein experimenteller Fotograf heute austarieren muss, ähnlich wie<br />
viele Künstler Anfang des 20. Jahrhunderts nach den Grundlagen einer selbstreferentiellen Kunst<br />
suchten. Indem sie, wie Wassily Kandinsky in seinen Bauhaus-Lehrbüchern, die kompositionellen<br />
Strukturelemente analysierten oder indem sich Maler wie László Moholoy-Nagy mit fotografischen<br />
Möglichkeiten jenseits der Wirklichkeitsabbildung beschäftigten. Schließlich knüpften 1967 die so<br />
genannten Konkreten Fotografen an diese Untersuchungen an.<br />
Vor dieser Folie entwickelt Regine Bartholdt seit 1998 ihre zwischen gegenständlicher Abstraktion<br />
und abstrakter Gegenständlichkeit angesiedelten Fotografien, die sie Lichtgrafiken nennt und<br />
damit ihr Verfahren nüchtern verortet. Allerdings nutzt sie das immaterielle Licht unter<br />
umgekehrten Vorzeichen, es wird <strong>zur</strong> Farbe materialisiert, um der Fotografie malerische<br />
Qualitäten zu eröffnen. Dabei hat die Fotografie durchaus Vorteile gegenüber der Malerei, denn<br />
die Farbmischungen, die durch Überblendungen und Mehrfachbelichtungen entstehen, sind<br />
notwendigerweise stimmig und immer harmonisch. Zudem gestattet das Licht, seinen<br />
immateriellen Charakter im Fotoabzug als transparentes Farbfeld zu bewahren, so dass selbst<br />
dichte Farbflächen eine Leichtigkeit erhalten.<br />
Die unvorhergesehenen Ereignisse auf der Bildfläche laden den Betrachter ein, in die von Regine<br />
Bartholdt entworfene Bildwelt einzutreten, zu verweilen und sich mit dechiffrierendem Sehen an<br />
diesem Spiel zu beteiligen. (Text verfasst von Ursula Köhler)<br />
Sigrid Baumann Senn<br />
Knotenkreuze, Stricke in Ascheteig, 2003<br />
Auf einer Straße der Stadt,<br />
Kreuzweise verknotete Strickstücke,<br />
Weißer Hanf auf grauem Asphalt verstreut,<br />
Durchschnittene Fesseln,<br />
Hastig gelöst,<br />
Von sechsseitig umschlossenen Päckchen.<br />
Der Inhalt verschwand,<br />
Die Knotenkreuze blieben,<br />
Zeichen der Armut im Überfluss.<br />
4 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Gabriele Beitelhoff-Zeger<br />
Trautes Heim, Glück allein, Collage/Laserdruck, 2010<br />
Werkbeschreibungen<br />
Grundlage für diese Collage ist ein moderner Bauplan eines Hauses, Abbildungen von<br />
Hochhäusern aus Katalogen und moderne Interieur-Fotos aus Zeitschriften, die als Collage<br />
zusammengeklebt und anschließend am Computer mit einem eigenen Familienfoto von 1961<br />
bearbeitet und zusammengefügt wurden.<br />
Beitelhoff-Zeger bedient sich surrealistischer Techniken um ihren Blick hinter diese Kulissen<br />
emotional aufzuladen: Einem Palimpsest ähnlich überlagern sich verschiedene, teilweise<br />
übermalte Motivebenen. Immer wieder finden sich leere Stellen, wo vorher Gesichter waren. Das<br />
Bild zeigt die typische Konstellation von Vater, Mutter, Kind. Doch der Mann wie auch das kleine<br />
Mädchen sind gesichtslos. Hinterfangen wird dieses scheinbare Familienidyll vor Bäumen durch<br />
ein Schlafzimmerinterieur und einen Bauplan.<br />
Roland Bentz<br />
Hauptbahnhof Stuttgart / Stuttgart 21 Komma 5, Farbradierung, 1998<br />
Die Radierung „Stuttgart Hauptbahnhof / Stuttgart 21 Komma 5“ entstand anlässlich der<br />
Beschlüsse zum Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofes im Jahr 1998. 2010 haben die Ereignisse<br />
in Stuttgart der Radierung wieder zu neuer Aktualität verholfen.<br />
Das Blatt wurde von zwei Kupferplatten mit einer Auflage von 90 Exemplare von Roland Bentz im<br />
Handabzug gedruckt.<br />
Hauptbahnhof Stuttgart / Stuttgart 21 Komma 5<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 5
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Ingeborg Benz<br />
Monotonie – Individualität, verschiedene Drucktechniken, 2011<br />
Der Begriff “Urbanität” lässt sich nicht eindeutig definieren. Die Stadt selbst bietet<br />
unterschiedlichste <strong>Leben</strong>sräume und auch ihre Bewohner haben individuelle Ansprüche an ihren<br />
<strong>Leben</strong>sraum “Stadt”. Im Gegensatz dazu stehen Begriffe wie Monotonie, Massenkonsum,<br />
Reizüberflutung, endlose Werbebanner, sowie steril begrünte Neubaugebiete an den Rändern der<br />
Stadt.<br />
Diese Monotonie und auch Trostlosigkeit wird in der 5-teiligen Serie aufgegriffen besonders in der<br />
städtebaulichen Planung. Hier dominieren Gleichförmigkeit und Sterilität, was wiederum die<br />
Anonymität im städtischen <strong>Leben</strong> fördert. Hier kann sich der Mensch kaum individuell entwickeln,<br />
bleibt unzufrieden und einsam. Er ist ein Fremder in seiner nächsten Umgebung und dennoch gibt<br />
es immer wieder Nischen im urbanen <strong>Leben</strong>sraum, die entdeckt und genutzt werden wollen. Denn<br />
die Urbanität lebt trotz aller Monotonie von ihrer Vielfalt auf engstem Raum, von unterschiedlichen<br />
Kulturen, der Individualität und der Toleranz. Dafür braucht es eine eigene Identität als Grundlage<br />
für eine soziale Gemeinschaft.<br />
Um urbanes <strong>Leben</strong> positiv zu gestalten, muss eigene Verantwortung übernommen werden – zum<br />
Beispiel bezüglich Mobilität, Müllvermeidung und sparsamen Umgang mit Ressourcen. Für eine<br />
menschliche und nachhaltige Zukunft benötigen wir Städte, in denen wir uns wohlfühlen können.<br />
Architekten und Künstlern wird es immer ein Anliegen sein, eine offene und lebenswerte<br />
Atmosphäre für den Menschen zu schaffen.<br />
Monotonie - Individualität, 5-teilig<br />
6 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
U!!i Berg<br />
Stuttgarter Wechselbäder, Projekt, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Meine Idee für die <strong>Ausstellung</strong> der Künstlermitglieder ist noch recht neu und soll während der<br />
Mitgliederausstellung realisiert werden.<br />
Es handelt sich hier um die „City-Light-Poster“, sie stehen an vielen zentralen Plätzen in der Stadt,<br />
werden wöchentlich neu bestückt mit zwei, maximal drei Werbeplakaten, die sich in<br />
regelmäßigem, zirka fünf Sekunden-Takt mal nach oben, mal nach unten bewegen.<br />
Und in genau solchen City-Light-Postern befindet sich auch der örtliche Stadtplan, der an einigen<br />
Plätzen in der Stadt zu finden ist. Oft ist auf der Rückseite des Stadtplans diese movende<br />
Werbung.<br />
In meiner Vorstellung stehen Passanten vor dem Stadtplan, versuchen sich zu orientieren, suchen<br />
nach einer bestimmten Straße, sind konzentriert, vertieft, plötzlich verschwindet der Stadtplan<br />
nach oben - und von unten taucht anstatt Reklame ein Stadtplan aus dem Jahr 2021auf, eine<br />
Arbeit von dem Stuttgarter Künstler Thomas Ulm – eine großartiger am PC manipulierter Stadtplan<br />
- und mitten in Stuttgart liegt jetzt ein herrlicher See.<br />
Ich stelle mir die verwirrende Situation vor, als ob eine Verwechslung bei der Eingabe der<br />
Reklame bestünde oder ein Spiel mit „versteckter Kamera“. Einerseits entspricht es einer fast<br />
alltäglichen Situationskomik, andererseits spiegelt es auch die verwirrenden Wechselbäder in<br />
unserer Stadt wider. Nach Absprache mit der Betreiberfirma Ströer, kann auf der Königstraße für<br />
einen Tag diese Aktion in einem City-Light-Poster stattfinden. An diesem Aktionstag werden<br />
Passanten, die vor die Stadtpläne treten, per Video aufgenommen, das Ergebnis kann<br />
anschließend im Kunstverein an die Wand projiiziert, oder als Video gezeigt werden.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 7
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Ulrich Bernhardt<br />
Chronoportait der Familie Klett, Lamdaprint laminiert auf Aludipont, 2008<br />
Meine neu entwickelte Form der Portraitkunst befasst sich nicht mit Einzelaspekten oder<br />
Einzelpersönlichkeiten, sondern es wird immer ein Zusammenhand hergestellt zwischen dem<br />
Vorher und dem Nachher. Dadurch können Generationsfolgen von Handwerkern, Unternehmern<br />
und sowie auch anderen traditionellen Berufszweigen als ein sich dynamisch verändernder<br />
Prozess dargestellt werden. Ebenso kann die Kontinuität von gesellschaftlichem und kulturellem<br />
Engagement, wie auch technisches und wissenschaftliches Fortschreiten im Fokus stehen.<br />
Gleichzeitig kann ich in der Kombination von alten Bild- und Fotodokumenten mit heutigen<br />
Bildtechniken ein ästhetischer und gesellschaftlicher Wandel aufzeigen. Die bildende Kunst kennt<br />
meist nur zeitlich getrennte Einzel- oder Familienportraits, und die Genealogie befasst sich mit<br />
Ansammlungen sorgfältig recherchierter und aufgereihter Fakten in einer chronologischen<br />
Stammbaumchronik. Die von mir durch andere Sujets entwickelte Form der Chronographie, ist für<br />
meine Kunst eine adäquate Form für die Abbildungen von Generationenfolgen und historischen<br />
Zusammenhängen geworden.<br />
Eines seiner größten Werke befindet sich in der U-Bahnstation Killesberg und ist ein<br />
chronographisches Portrait der Flüsse Rhein und Neckar. www.kulturstroeme.de<br />
Chronographisches Portrait der Familie Klett<br />
8 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Dagmar Binanzer-Kraus<br />
Tüten Memory, Einkaufstüten auf Karton handkoloriert, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Verwendung von vorgefundenen, beliebigen Einkaufstüten als grafische Elemente. Schwarz weiß<br />
dient als Gegensatz <strong>zur</strong> Überfülle an Farben und bunter Reklame in der Stadt, ergänzt lediglich<br />
durch wenige rote Zeichen vergleichbar mit Telefonkritzeleien. Auch in anderen Bildern und<br />
Zeichnungen beschränke ich mich öfters auf schwarz-weiß-rot. Onlineshop unter<br />
http://de.dawanda.com/shop/vineyART<br />
Tüten "Memory"<br />
Renate Bogatke<br />
Stuttgart 21, Collage, 2011<br />
Mein Kunstwerk ist eine Collage mit Fotos und Texten aus Zeitungen und Illustrierten und eigener<br />
Meinung. Das Volk kann noch so laut und lange krakeelen: die Planer werden Stuttgart 21<br />
durchsetzen. Dagegen kommt keiner an - die Steuerzahler sind unwichtig, Hauptsache, sie geben<br />
das Geld dafür.<br />
Es kommt aber günstiger, einen neuen Bahnhof beim Flughafen zu bauen und den jetzigen<br />
Bahnhof als Kulturzentrum und für andere Aktivitäten zu belassen.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 9
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Andreas Böhm<br />
Reihe zu Lichtspuren urbanen <strong>Leben</strong>s, Fotografie, 2010<br />
Stadtlandschaft durch Lichtspuren der Stadt, des <strong>Leben</strong>s in der Stadt. Spuren, die sich durch die<br />
Fahrt im Zug vervielfältigen, bündeln, wieder auseinandergehen und so eine Lichtstruktur urbanen<br />
<strong>Leben</strong>s entstehen lassen; Aspekte von Zeit und Geschwindigkeit.<br />
#9116<br />
Albrecht A. Bopp<br />
Anlagenlandschaft X, Siebdruck, 2004/11<br />
3 runde Siebdrucke einer Industrieanlage, seriell gedruckt und übermalt. Die Filme sind<br />
zeichnerisch entstanden.<br />
Anlagenlandschaft X<br />
10 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Željko Božičević<br />
German Bronx (eine Textperformance), Videoinstallation mit Objekt, 2007-2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Die Arbeit besteht aus 20 Kurzgeschichten und Textnotizen, die im Zeitraum von 4 Jahren in<br />
verschiedenen Großstädten Deutschland geschrieben sind. Es handelt sich einerseits um<br />
Beobachtungen des Stadtalltags, überwiegend in sog. „Bronx“-Vierteln (Schwabenbronx, Heslach;<br />
Nürnberger Bronx, Gostenhof; Leipziger Bronx, Eisenbahnstrasse...), andererseits um die<br />
Identitätsbildung von Einheimischen und Ausländer. Die beiden Textgruppen ergänzen sich. Die<br />
Textnotizen sind zum Teil in der Videoarbeit integriert, zum Teil in einem Glasgefäß zum Ziehen<br />
angeboten (wie ein Los).<br />
Johannes Braig<br />
barock!, 3 S/W Fotografien auf Aluminium, 1995<br />
Zur fiktiven Rekonstruktion des Berliner (barocken) Stadtschlosses in seiner realen Dimension im<br />
Jahr 1994, wurde zum Befestigen der bedruckten Planen ein gewaltiges Gerüst aufgebaut. Es<br />
nahm fast den gesamten Platz vor dem damals noch vorhandenen Palast der Republik ein. Mich<br />
faszinierte der Moment als die Planen abgenommen wurden und nur noch die Gerüstkonstruktion<br />
zu sehen war.<br />
Die unendlich vielen Gerüststangen formten eine Zeichnung im Raum, die sich bei jeder<br />
Blickpunktänderung verschob. In der Glasfassade des Palast der Republik spiegelte sich diese<br />
Zeichnung im Raum und „verflüssigte“ sich in der Unebenheit der verspiegelten Fassade. Als<br />
Kontrast setze ich dazu die Wulstigkeit und Schichtung der barocken Fassade an der<br />
Klosterkirche in Weingarten, Württemberg.<br />
Das Modul als Ausdruck des modernen Ordnungsprinzips versus der Gesimsschichtung als<br />
Machtdemonstration vergangener Zeiten. Damals zeigten die waghalsigen Konstruktionen den<br />
Untertanen, dass die Kirche die Macht besitzt, den Himmel nicht einstürzen zu lassen. Dem<br />
modernen Menschen spiegelt das allgegenwärtige Modul als demokratisches Prinzip vor, dass<br />
jeder gleich viel bekommt.<br />
barock!, Fotoreihe<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 11
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Wolfgang Brenneisen<br />
Oben bleiben - unten bleiben, Fotografie, 2011<br />
Mit 18 seriell angeordneten Fotos im Format 20 cm x 30 cm werden der urbane Ort “Stuttgarter<br />
Hauptbahnhof” und die Auseinandersetzung um das Bauvorhaben “Stuttgart 21” kommentiert.<br />
Ulrike Brennscheidt<br />
Stuttgart 2011, Fotoarbeit, 2011<br />
Trotz der Gleichförmigkeit auch unserer Stadt trotz der Degradierung zu Konsumenten, trotz der<br />
Vereinnahmung ganzer Stadtviertel durch Investoren ist der Gedanke an eine lebendige Stadt<br />
immer wieder stärker als Wut und Ärger über die Abrissmentalität und Ignoranz. Die<br />
verschiedenen urbanen Möglichkeiten beginnen sich durchzusetzen – immer wieder- Ausstrahlung<br />
und atmende Räume gewinnen an Qualität.<br />
In meiner Arbeit beziehe ich mich auf Vielfalt und Widersprüche in drei Richtungen: Die<br />
Abrisshalden der alten Messe auf dem Killesberg, die formale Schönheit aufzeigen, das<br />
Kulturjuwel Veitskapelle in Mühlhausen und der Botanische Garten in Hohenheim.<br />
Sibylle Burrer<br />
einerseits andererseits, Zeitung Klebestoff Cutter, 2011<br />
Klaus Bushoff<br />
Vom Voyeurismus zum Schaufensterblick, Siebdruck mit Kohle und Sprühlack überarbeitet, 1996-<br />
2011<br />
“Der verführte Landmann oder die Gefahren der Stadt” (“Le paysan perverti ou les dangers de la<br />
ville”)<br />
Restif de la Bretonne (1734 – 1806)<br />
Edmond, der Landmann, kommt in die Stadt, wo ihm zahllose Unannehmlichkeiten widerfahren.<br />
Die Verderber besinnen sich seiner zu bemächtigen und sein überaus leidenschaftliches<br />
Temperament kommt ihnen dabei zu Hilfe.<br />
12 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Mariana Cinteanu<br />
Ohne Titel, Fotografie, 2010<br />
Reflektionen, die Wiederspiegelung …<br />
Die Aufmerksamkeit wecken … anregen …<br />
Das Unsichtbare sichtbar machen …<br />
Das Unscheinbare scheinbar machen …<br />
Tillmann Damrau<br />
BNSW(HAPPY), Radierung (Fotogravüre), 2004<br />
Werkbeschreibungen<br />
BNSW(HAPPY) ist Teil einer Serie kleinformatiger Fotogravüren mit dem Titel BNSW,<br />
BilderNamenSätzeWorte, zu der über mehrere Jahre hin Arbeiten entstanden sind.<br />
BNSW ist eine lose, unsystematische Folge von ca. 40 Arbeiten mit Bildern, Namen, Sätzen und<br />
Worten, die in irgendeiner Weise für die Arbeit von Tillmann Damrau insgesamt wichtig waren. Als<br />
Pendant zum „Visual Cruising“ seiner Bilder, veranschaulicht die Serie BNSW ein<br />
korrespondierendes „Mental Cruising“. Jede Arbeit ist jedoch als visueller Nukleus selbständig.<br />
BNSW(HAPPY) „reproduziert“ auf Zeitungspapier den Ausriss einer englischsprachigen Zeitung<br />
mit dem Satzfragment „happy just to be in one piece“. Das Zeitungsfragment mit dem Statement<br />
der Freude über die eigene Ganzheit reflektiert das paradoxe Insistieren des einzelnen auf<br />
Ganzheit in einer fragmentierten Gesellschaft. Dabei meint Ganzheit keineswegs<br />
Abgeschlossenheit, Beschränkung, sondern im Gegenteil Offenheit, Potenzialität, Fülle der<br />
Möglichkeiten. Jeder beansprucht ein ganzes <strong>Leben</strong>, eines, das seinen diversen Selbstbildern<br />
genügt und es ermöglicht diese im Alltag auch zu entwickeln.<br />
BNSW(HAPPY)<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 13
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Lukas Derow<br />
Kameoka x, UV Druck und violette Tusche und Spiegel, 2008<br />
Das Zentrum dieser Aneinanderreihung von 7 Einzelbildern bildet der Blick in eine Straßenflucht in<br />
einer beliebigen japanischen Kleinstadt. Wie bei einer Autofahrt huschen rechts und links des<br />
Bildzentrums, die im japanischen Straßenbild allgegenwärtigen Strom und Telefonmasten vorbei, -<br />
erscheinen zu bizarren Konstruktionen gespiegelt, verzerrt und flüchtig. Jede Bewegung des<br />
Betrachters verrückt den erkennbaren Bildausschnitt, - nichts scheint stabil, nur der Blick nach<br />
vorne, auf ein unbestimmbares Ziel.<br />
Kameoka x (Gesamtansicht)<br />
Lavinia Dieter<br />
StuttgART, Fotografie, 2011<br />
Wenn wir uns im öffentlichen Raum bewegen, sehen wir eigentlich nur das, was wir als Realität zu<br />
sehen gewohnt sind. Ein Platz ist nur ein leerer Raum, wenn er nicht mit Informationen gefüllt ist,<br />
die wir bereit sind wahrzunehmen. Die Werbung, die Logos, die an Gebäuden hängen, definieren<br />
Urbanität als Konsum. Der öffentliche Raum, die Straßen, Plätze, die Gebäude sind<br />
Informationsräume deren Inhalte auf uns abgestimmt sind. Wenn man sich dieser reflexartigen<br />
Wahrnehmung zu entziehen versucht, wenn man den Kommerz-Raum hinter sich lässt und nach<br />
subtileren Botschaften sucht, dann findet man eine Menge Zeichen eines parallel existierenden<br />
urbanen Universums.<br />
Diese Zeichen sind die Spuren derer, die als aktive Akteure auftreten möchten, statt passive<br />
Konsumenten zu sein. Manche unter ihnen versuchen den städtischen Raum mitzugestalten und<br />
dessen Inhalte mitzubestimmen. Andere möchten lediglich auf sich aufmerksam machen. Sie<br />
verlangen nach einem eigenen Platz in der heutigen Agora und deren einzige Botschaft lautet:<br />
‚Hier war ich‘.<br />
Claude Levi-Strauss stellt dem ‚Bastler‘ den ‚Ingenieur‘ gegenüber. Arbeitet der Ingenieur nach<br />
einem genau ausgedachten Entwurf, so macht der Bastler seine Arbeiten nicht davon abhängig,<br />
ob ihm die Rohstoffe oder Werkzeuge erreichbar sind, die er für die Realisierung eines Entwurfs<br />
braucht. Die Arbeiten des Bastlers sind dazu bestimmt, eingerissen zu werden, kaum dass sie sich<br />
14 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Werkbeschreibungen<br />
gebildet haben, damit neue Welten aus ihren Fragmenten entstehen. Der Bastler verwendet<br />
‚Abfälle und Bruchstücke‘, fossile Zeugen der Geschichte des Individuums oder einer Gesellschaft.<br />
Ihm geht es nicht um die Planung dauerhafter Objekte, dafür umso mehr, um die Bereitstellung<br />
von Möglichkeitsfeldern für Prozesse. Er ist Fachmann für die Neugestaltung des<br />
psychologischen Raumes, etwa indem er die Schranken zwischen high und low fallen lässt.<br />
Allerdings benötigen solche Experimente entsprechende Freiräume, wie sie bis jetzt nur in der<br />
Illegalität zu haben sind. Solche punktuellen Eingriffe sind aber in einer städtischen Wirklichkeit,<br />
die Schritt für Schritt ihre Oberflächen versiegelt, Räume wie Zwischenräume kontrolliert und<br />
überwacht, beinahe unmöglich. Walter Seitter, Levi-Strauss zitierend in ‚Zur Ökologie der<br />
Destruktion‘ aus ‚Aisthesis, Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik‘<br />
hrsgg. von Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Stefan Richter. Leipzig, Reclam 1990, S<br />
411 und 422)<br />
Der erste Schritt dieses Projektes war eine Art ‚Spurensuche‘. Die Stuttgarter Strassenkünstler<br />
sind Bastler im Sinne von Claude Levi-Strauss. Sie verwandeln Pfosten, Mülleimer, Wände,<br />
Strassenbeleuchtung in Träger einer bestimmten Botschaft. Damit erweitern sie den städtischen<br />
Raum, nutzen dessen Nischen aus, oder beschmutzen ihn - wie manche sicherlich geneigt sind<br />
zu glauben. Der zweite Schritt war die Filterung des gefundenen Materials und eine neue<br />
Zusammenstellung, welche zum Teil unerwartete Bezüge erkennen lässt.<br />
„Gesichter“ aus der Reihe StuttgART<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 15
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Klaudia Dietewich<br />
Megalimnion, Fine-Art-Print auf Photo Rag Hahnemühle, 2010<br />
Der Kleine Schlossplatz mit seinem vieldiskutierten Lichtband am Kunstmuseum Stuttgart ist ein<br />
zentrales Stück Stadtarchitektur und Zentrum jungen, urbanen <strong>Leben</strong>s. Vor allem die<br />
Skateboarder, aber auch die Passanten, Raucher und Clubbesucher haben die Glasscheiben für<br />
sich entdeckt und sie in gewissem Sinne umgestaltet. Die Spuren, die sie dabei hinterlassen, die<br />
Zerstörungen, sind die Motive für meine Werkserie „Metalimnion“, was so viel bedeutet wie<br />
Sprungschicht, die hier 2 Welten trennt: unten in den Räumen des Kunstmuseums die heile Welt,<br />
die Schätze der bürgerlichen Kultur, oben eine Halbwelt der Ordnungswidrigkeit und der<br />
individuellen Umwidmung öffentlicher Einrichtungen.<br />
Megalimnion<br />
16 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Klaus Dietrich<br />
Trasporto (Triptychon), Digitale Bildcollage als Lambdaprint, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Die Arbeit stellt urbanes Alltagsleben dar im Spannungsverhältnis von öffentlich und privat – online<br />
und offline. Aus gescannten Fotos und Chemigrafiken als Vorlagen für eine computergestützte<br />
Bildproduktion entstanden die Collagen. Die Gestaltungsmöglichkeiten der digitalen Medien<br />
ergeben eine Fortsetzung der Grafik und der Malerei mit anderen Mitteln.<br />
Trasporto<br />
Gerhard Dolde<br />
Mundart, Materialcollagen auf Holzkassetten. Montiert auf AluDibondplatte mit kaschiertem<br />
Digitaldruck der kompletten Serie, 2005-2010<br />
Kunst ist Nahrung. Kunst ernährt.<br />
Essen ist Lust. Lust ganz privat oder in aller Öffentlichkeit.<br />
Iss was! Iss was?<br />
Ich mache mir Essen. Ich mache mir nichts aus essen.<br />
Vor dem Essen kommt das Kochen.<br />
Ich habe ein Rezept. Ich koche nach Gefühl.<br />
Ich gehe in die Stadt, was essen. Essen wir heute draußen?<br />
Essen nach Plan. Kunst nach Rezept.<br />
Gegend, Ort, Verortung. Genius loci.<br />
Jäger und Sammler. Kunst und Künstler.<br />
Ich sammle Erfahrungen. Und spreche in Bildern.<br />
Wir sprechen mit dem Mund. Wir essen mit den Augen.<br />
Guter Geschmack kommt nicht von selbst.<br />
www.dolde.de/kunst<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 17
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Monika Drach<br />
ohne Titel, Objektinstallation (Tisch, Pullover, Text, Zeichnungen), 2010<br />
Mit den zeichnerischen „Reproduktionen“ eines Kleidungsstücks wird ein Prozess eröffnet, der das<br />
Thema „Vervielfältigung“ aufgreift und in eine unendlich fortsetzbar anmutende Reihung von<br />
unterschiedlichen Auffassungen treibt. Begrifflichkeiten werden konterkariert und ironisch<br />
gebrochen. Der Seemannspulli ist ein Stück gelebte Biografie. Die gezeichneten Skizzen<br />
versuchen, sich ihm immer wieder neu zu nähern. Der Pullover und seine Funktion lösen sich auf<br />
und geraten zu Befindlichkeitsstudien. Porträts?<br />
Installation ohne Titel<br />
Karl Duschek<br />
Die heraldischen Farben der Partnerstädte von Stuttgart, Tintenstrahldruck, 2011<br />
Die heraldischen (Wappen-)Farben der zehn Partnerstädte von Stuttgart sind nach dem Konzept<br />
'vier Quadrate ineinander versetzt' von Karl Duschek aufgebaut.<br />
18 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Tanja Duszynski<br />
Biutiful (1-12), Farbfotografie, 2010/11<br />
Werkbeschreibungen<br />
Seit etwa einem Jahr fotografiere ich zusätzlich zu meiner künstlerischen Arbeit bei den<br />
Demonstrationen und Ereignissen rund um den Protest gegen das Projekt S21.<br />
Um auch diese Bilder einem Publikum möglichst ereignisnah präsentieren zu können, habe ich am<br />
1. Januar 2011 meinen Blog fotodiabolik.blogspot.com eingerichtet, wo seither wöchentlich neue<br />
Fotos zu sehen sind.<br />
Von besonderem Interesse ist für mich die im Mittleren Schlossgarten entstandene Zeltstadt.<br />
- unkonventionell, phantasievoll, überaus farbenfroh präsentiert sich diese Welt jenseits von<br />
tradierten <strong>Leben</strong>sformen. Die Atmosphäre ist urwüchsig und unperfekt (daher auch der Titel der<br />
Serie, „BIUTIFUL“, entliehen dem Film von Alejandro González Iñárritu), immer im Wandel und<br />
bildet wie ich finde einen schönen Gegenpol <strong>zur</strong> Gleichförmigkeit und Standardisierung des<br />
öffentlichen städtischen Raums. Mehr unter fotodiabolik.blogspot.com und tanja-duszynski.de<br />
Aus der Fotoserie "Biutiful"<br />
Christa Düwell<br />
Bebauung (Areal A1 hinter dem Hauptbahnhof), Fotografie in Farbe und S/W, 2009-2010<br />
Seit Anfang 2009 habe ich Zutritt auf das Baugelände Areal A1/ neue Bibliothek am Mailänder<br />
Platz hinter dem Hauptbahnhof. Während dieser Zeit entstanden umfangreiche<br />
Fotodokumentationen, ungefähr 15000 Fotos im Bereich Beginn/Verlauf des Baus der neuen<br />
Bibliothek, Bauverläufe der Tunnel, Wegerschließungen, Gelände, Serien von Baufahrzeugen,<br />
Fahrzeugspuren (Schlamm, Trockenheit, Winter), auch in Details, Werkzeugen, Kabeln und<br />
Schläuche, Stahlbauarbeiten, Arbeiter, Arbeitsgänge, Baumaterialien, Gerüste, Materialkisten,<br />
Wasserspiegelungen,...<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 19
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Regine E.<br />
Mutationen, Zeitungen umstickt, 1997-1999<br />
Die Gegenwart ist das unerschöpfliche Reservoir für das Werk von Regine E. Mit ihren<br />
Zeitungsarbeiten bewegt sie sich auf dem Gebiet, in dem die Schnellebigkeit der Epoche eines<br />
ihrer wichtigsten Medien gefunden hat. Doch steuert sie einen Kurs, auf dem sie an die<br />
Nahtstellen einer anderen, verschütteten, möglicherweise nur noch als kulturelles Sediment <strong>zur</strong><br />
erfahrenden, gleichwohl lebendigen Wirklichkeit gelangt. Und sie stößt zu einem Zeitbegriff vor,<br />
der sich nicht im nervösen Registrieren von Sekundenbruchteilen erschöpft, sondern der so etwas<br />
wie eine kosmische Größe bedeutet, in der jedes Geschehen, jeder Act und jede Aktion aufgehen,<br />
selbst wenn sie hochaktuell sind – so wie sich in der Kunst von Regine E. Alles, von den harten,<br />
brutalen Fakten bis <strong>zur</strong> schönsten Verheißung, immer „parallel-gleichzeitig“ ereignet.<br />
(Auszüge aus einem Text von Michael Hübl)<br />
Dieses Wandobjekt besteht aus geschichteten Zeitungen. Aus Zeitungsschichten wurden Formen<br />
ausgeschnitten und umstickt, so entstanden drei Negativformen, die wiederum zusammengenäht<br />
wurden und dadurch miteinander kommunizieren. Das Objekt ist eines von 13 Wandobjekten, die<br />
Teil eines größeren Arbeitszyklus sind.<br />
Silke Eberspächer<br />
Brasilien (Künstlerbuch), Fotografie (Pigment-Druck), 2003<br />
In meinem Künstlerbuch “Brasilien“ habe ich ein altmodisches Gedicht, das mit blumigen Worten<br />
ein paradiesisches Bild von Brasilien entwirft mit Stadtansichten von Brasilia, Sao Paulo und Rio<br />
de Janeiro kombiniert.<br />
Das exotische Paradies, das der Text beschreibt, lässt sich in der Wirklichkeit, die durch die<br />
Fotografien dokumentiert wird, nicht einlösen. Gleichzeitig entsteht bei den Abbildungen – nicht in<br />
der Realität – ein Charakter, der sich dem Architekturmodell wieder annähert. Geahnte<br />
menschliche <strong>Leben</strong>sspuren, wie geöffnete Fenster oder ausgestellte Rollläden addieren sich zum<br />
Rhythmus der Fassaden.<br />
20 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Ralf Ehmann<br />
Außenwelt 1-5, Radierung, 2008<br />
Außenwelt (Auszug)<br />
Gert Elsner<br />
Einweg, Fotografie, 1996/2011<br />
Einweg (Ausschnitt)<br />
Werkbeschreibungen<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 21
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Hildegard Esslinger<br />
Straßenmarkierungen, Asphaltzeichnungen mit Kreide (Farbfotografie-Collage und Mappe),<br />
2003/2009/2011<br />
Jedes Foto ist eine Huldigung an das Unscheinbare.<br />
Straßenmarkierungen haben eine wichtige Funktion in unseren Städten, indem sie die Menschen-<br />
und Verkehrsströme lenken. Als solche werden sie bemerkt und befolgt, aber ihr Erscheinungsbild<br />
wird von den Menschen nicht wahrgenommen. Macht man aber gezielt auf die Formengebilde<br />
aufmerksam, entdeckt man ihre Schönheit. Rissig und brüchig geworden und eingebettet in den<br />
Asphalt, regen mich die Formen an, ihnen mit Kreide gezogene Linien als Partner zum Dialog<br />
beizugeben, um ein neues kleines Ereignis zu schaffen.<br />
Sylvia Faragó<br />
Budapest Blues 1 und 2, Fotoleporello, 2005-2009<br />
BUDAPEST BLUES ist eine Fotoserie in Leporelloform, die im Jahre 2005 entstanden ist.<br />
Budapest Blues 3, 4, 5 sind die Fortsetzungen: das letzte Leporello ist datiert auf 2009.<br />
Budapest Blues 1 und 2 zeigen das große Ring-Boulevard („Nagykörut“), heute benannt nach<br />
Kaisern und Königen.<br />
Budapest Blues 2 führt den Betrachter von der Margaretenbrücke zum „Boráros-Platz“ und<br />
Budapest Blues 1 zeigt die Gegenrichtung auf der anderen Seite: vom Westbahnhof <strong>zur</strong> Petöfi-<br />
Brücke.<br />
Die Plakate, Werbetafeln und Ladenbeschriftungen sind ein wildes Konglomerat aus Verfall,<br />
westlicher Produktwerbung, gediegener Tradition der Jahrhundertwende und Reste der<br />
(post)kommunistischen Warenwelt: billiger Kommerz und neureicher Luxus zugleich. Ein Spiegel<br />
der heutigen Bevölkerungsstruktur und <strong>Leben</strong>sgefühl – könnte man behaupten.<br />
Susanne Feix<br />
Not for highway use (I/XII – IV/XII), Installation (In Form geblasenes Glas, Gummireifen,<br />
Holzspäne), 2011<br />
Susanne Feix verbindet in ihrer Arbeit „Not for highway use“ (2011) mundgeblasenes Glas mit<br />
Gummireifen, die ihrer alltäglichen Funktion enthoben sind.<br />
Das kalte, harte, glatte und durchsichtige Glas steht im Gegensatz zum elastischen, schwarzen<br />
Gummi. Die Holzspäne lassen das Material Glas weicher und wärmer erscheinen und gleichen die<br />
Polaritäten aus. Durch die Anordnung wird auf den seriellen Charakter der Arbeit verwiesen, die in<br />
ihrer Stückzahl durch die Technik des In-Form-Blasens grundsätzlich fast unendlich<br />
vervielfältigbar ist. Der Reifen, als ein alltägliches Produkt <strong>zur</strong> Fortbewegung, kann eingebunden in<br />
seine neue Form nicht mehr benutzt werden und ist zum Kunstobjekt mit dem humorvollen<br />
Hinweis „Not for highway use“ erhoben worden.<br />
22 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Barbara Fernandes<br />
<strong>Leben</strong> und Arbeiten außerhalb der Stadt, Fotografie, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Mit der zunehmenden Urbanisierung wurden große Flächen für den Wohnungsbau und<br />
Industriebau gerodet - Wald und Weideflächen oder Kleingärten. Abkehr von der "Urbanität durch<br />
Dichte".<br />
Klaus Fischer<br />
Die unsichtbaren Städte I, Inkjetdruck auf Papier, 2010<br />
In den vergangenen Jahren habe ich mich malerisch mit urbanen Themen und dem Thema Figur<br />
im Raum auseinandergesetzt. Anonyme Menschengruppen bewegen sich in Räumen, die meist<br />
nicht näher definiert oder zu lokalisieren sind. Oft sind die Figuren von einem erhöhten Standpunkt<br />
aus gesehen, Schatten spielen eine wichtige Rolle.<br />
Dabei ist auch eine Serie von menschenleeren „Containerstädten“ entstanden, mit ihren endlos<br />
vervielfältigten, standardisierten Elementen. Diese sind das eigentliche Zentrum unserer bunten<br />
weltweiten Konsumwelt. Die sich immer wiederholenden gestapelten Körper tragen aber auch<br />
Spuren einer unterschiedlichen Geschichte, beherbergen von außen nicht erkennbar eine Vielfalt<br />
unterschiedlichster Inhalte.<br />
Die unsichtbaren Städte I<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 23
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Angelika Flaig // Claudia Thorban<br />
Palimpsest, Installation (Analogfotografie auf Leinwand mit Keilrahmen, Digitaldruck auf<br />
Acrylglas), 1980-2011<br />
Stark vergrößerte Pflanzenfragmente auf Acrylglas lassen die durch Befahren anonym<br />
individualisierten Leitlinien auf dem Asphalt durchscheinen. Das stark leuchtende Gelb illuminiert<br />
die ikonographische Wirkung der Installation hinsichtlich der Sehnsucht nach Renaturierung<br />
versiegelter Flächen in urbanen Räumen.<br />
Sabine Fleischmann<br />
Der Nächste bitte; 01, Graphit/ Öl/ Pigment/ Collage auf Holz, 2011<br />
Die Arbeit ist Teil einer Serie mit sitzenden Menschen.<br />
Das Verharren, das Innehalten, das Nichts-Tun ist Teil unserer technisierten Welt, in welcher der<br />
Mensch oft überflüssig ist. Der Zivilisationsmüll wird in der vorgestellten Arbeit durch die<br />
Collageelemente symbolisiert. www.terramata.de<br />
Der Nächste bitte<br />
24 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Werkbeschreibungen<br />
Andreas Nikolaus Franz<br />
Bahnhofsvision, Öl-Eitempera LW (ausgestellt ist ein FineArtPrint des Originals), 1997-1999<br />
Gudrun Freder<br />
natürliche und hergestellte Warenwelt, Fotoinstallation (Collage aus Fotos und Zeitung), 2011<br />
Gerhard Friebe<br />
S-Visions, sechs 3D-Foto-Montagen in Stereobetrachter, 2011<br />
Eine „3D-Fiction-Dia-Show“. Für Stuttgart erfand ich neue Stadtbilder. Hierzu komponierte ich<br />
Motive aus bis zu acht Fotos: Historische Raumbildfotos, aktuelle 3-D Dias, z.B. von Wüsten und<br />
Gebirgen; oder eigene Stereoaufnahmen von Modellen, Skulpturen und Architektur. Die räumliche<br />
Illusion der Stereoskopie setzte ich ein, um meine Fiktionen als schon realisierte Tatsachen<br />
erscheinen zu lassen.<br />
Die sechs Bildmotive sind mit Sereobetrachtern zu sehen<br />
Titel: „reine Spekulation“ , „OaseS“ , „Der Nebelspalterboom“, „Die Musik-HOCH-Schule“,<br />
„potentielle Besucher“, „Der Lustwandlerpark“.<br />
"Der Lustwandlerpark" aus der Serie S-Visions<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 25
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Edward Gaietto<br />
URBAN for Sale, T-Shirts mit Siebdruck, 2011<br />
Ich Kaufe – Ich Trage – Ich Bin – Urban<br />
Das Bild der Urbanität ist unsere gestaltete Umgebung. Menschen gestalten unser urbanes Bild<br />
durch die Wahl ihrer Kleidung. Heutzutage ist für Menschen das T-Shirt die erste Wahl einer<br />
Ausdrucksform. Und diese vielen Persönlichkeiten gestalten täglich unser Stadtbild. Dadurch<br />
spielt die Architektur eine weniger große Rolle für den einzelnen Betrachter.<br />
Deshalb ist die einzige urbane Leinwand: der Mensch<br />
Das weiße T-Shirt neutralisiert die „Stadt-Persönlichkeit“. Die Tropfenform symbolisiert das<br />
„Anzapfen“ der Person des Trägers. Die Farbe des Tropfens verändert die Bedeutung des<br />
Symbols und schenkt dem Träger dadurch eine Identität, der die urbane Persönlichkeit nicht<br />
angreift.<br />
Der dargestellte Aufbau zeigt einen Stapel von T-Shirts in einem Verkaufsregal. Die Form<br />
symbolisiert das urbane Gebäude „Mensch“, in welches man sich „hinein kaufen“ könnte, ohne<br />
Angst zu haben, dass man seine Persönlichkeit gegenüber dem urbanen <strong>Leben</strong> verliert.<br />
Die verschiedenen Farben der Tropfen stehen für:<br />
Milch - <strong>Leben</strong><br />
Honig - Süß<br />
Senf - Würzig<br />
Spitzkraut - Natürlich<br />
Träne - Freude<br />
Wasser - Pur<br />
Blut - Liebe<br />
Schokolade - Schmutzig<br />
Öl - Maschinelles<br />
Gestreift – Unentschiedenheit<br />
Tarnfarbe – Unsichtbarkeit<br />
Flummi – Flexibilität<br />
Urban for Sale<br />
26 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Raúl López García<br />
Vernetzung, DigitalArt / Acrylglas, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Das Bild "Vernetzung" ist eine Darstellung urbanen <strong>Leben</strong>s in einem QR-Code als kartografisches<br />
Symbol der "Kommunikations-Konsum-Kultur", das als Vernetzung in der Vielfältigkeit der Kulturen<br />
und geprägt von universellen Standards unserer modernen Welt eine existenzielle Rolle spielt.<br />
Martina Geiger-Gerlach<br />
Beautiful News, Videoinstallation (1:00 min), 2009<br />
Das Bild brennender Fahrzeuge gilt weltweit als Symbol des Protestes in Städten. Die<br />
zerstörerische Kraft des Feuers wird dabei ebenso genutzt wie seine archaische Schönheit.<br />
Dank Handykameras und Web 2.0 erreichen uns trotz Zensur rasend schnell aktuelle Bilder<br />
solcher Szenarien von Protestbewegungen aus aller Welt.<br />
Ein brennendes Polizeimotorrad im Iran 2009, das mich in seiner skulpturalen Ästhetik überzeugt<br />
und darüber hinaus exemplarisch den Beginn dieser neuen basisdemokratischen, authentischen<br />
aber ungesicherten Form von Bildberichterstattung markiert, filme ich vom TV ab und arbeite es<br />
heraus. Ein Denkmal für den unbekannten Augenzeugen.<br />
http://geiger-gerlach.de/arbeitet/beautifulfilm.html<br />
Still aus "Beautiful News"<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 27
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Peter Geisselmeier<br />
handymania bis der arzt kommt, DigitalArt, Fotografie und Malerei, 2011<br />
auf diesen grafiken, in die eine eisenfolie einkaschiert ist, lassen sich magnetische figuren frei<br />
bewegen und anordnen; die figuren sehen – bis auf einige wenige „paradiesvögel“ – alle gleich<br />
smart aus, also vervielfältigt, genauso wie die stadtzentren wie vervielfältigt aussehen, überall auf<br />
der welt, beherrscht von shopketten, konzernen, banken, fresstempeln, coffeeshops,... noch nie<br />
wurde so viel kommuniziert und gleichzeitig so wenig inhalte und so viel bullshit transportiert; die<br />
'message' verbirgt sich hinter comics und bunten fassaden – kann und soll sich quasi 'erspielt'<br />
werden:<br />
deshalb ist es explizit erwünscht das bild zu bespielen: von kindern, jungen und alten.<br />
hierbei werden beschädigungen vom autor bewusst in kauf genommen!<br />
Martina Geist<br />
Kippender Stuhl I, Holzschnitt, 2009<br />
Der Holzschnitt ist und bleibt das Material und der Prozess, über die Martina Geist zu ihren Bildern<br />
findet. Das Schneiden von Linien ist ihre Form des Zeichnens, das Drucken ihre eigene Sprache,<br />
in der sich die Grafik der Linien und Flächen mit dem malerischen Moment der Aufladung von<br />
Farbe und Fläche mit der Energie des Durchreibens verbinden.<br />
Von der Konstruktion des Raumes und der Form der Dinge mittels der Perspektive bis <strong>zur</strong><br />
Sprengung und Auffächerung dieser Konvention in viele möglichen Ansichten und Facetten, die<br />
Bewegung, Spannung, Verdichtung als Momente der Zeit und der subjektiven Wahrnehmung als<br />
geistiger Leistung ins Bild bringen, die Geschichte der Abstraktion in Zeichnung und Fläche und<br />
Farbe, das alles bildet den entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund für die Interieurs und<br />
Stillleben von Martina Geist. Konzentration und Interesse für das Wesentliche des Bildes zeichnen<br />
die Arbeiten aus. (Aus: Werner Meyer, in: Martina Geist, tabula rasa, Freiburg, S. 5 -11)<br />
Kippender Stuhl I<br />
28 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Gotthard Glitsch<br />
Zellwuchs, Aquatinta-Radierung, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Das Thema der Arbeit ist das lichtgesteuerte (vegetative) Wachstum im Dunkel der Stadt. In den<br />
Formvarianten der Komposition, wie in der Technik der Radierung erscheint zugleich der Aspekt<br />
des Vervielfältigens.<br />
Mariel Gottwick<br />
“Mitmachen & sich sammeln“ aus der Serie „Gratis“, Lichtobjekte (Digitaldruck auf Plexiglas<br />
beleuchtet), 2002-2004<br />
Das Objekt „Mitmachen & sich sammeln“ ist in seiner äußeren Form wie ein Mandala aufgebaut,<br />
es setzt sich aus Sammelfigürchen zusammen, Sammelfigürchen, die man häufig als<br />
Gratiszugabe beim Kauf eines Konsumartikels erhält. Trotz millionenfacher Reproduktion entsteht<br />
häufig ein überhöhter Wert der Gratisgeschenke.<br />
Das Mandala entstammt ursprünglich der indischen Religion, und versinnbildlicht geistige<br />
Zusammenhänge. Es ist ein Kreisbild, bei dem die Wiederholung der Motive in ihrer Anordnung<br />
mit ausgeprägtem Mittelpunkt als Meditationshilfe dient. In der Psychoanalyse (nach C.G. Jung)<br />
gilt es als Symbol der Selbstfindung.<br />
Vervielfacht und in eine zentrierte Ordnung gebracht, werden die Sammelfigürchen in dieser Arbeit<br />
zu einer Meditationshilfe für Konsumenten. Diesen Gedanken nimmt der Titel ironisch auf. Da<br />
heißt es nicht nur „sammeln“, sondern „sich sammeln“ , wie - in sich gehen, sich vertiefen,<br />
meditieren.<br />
Überträgt man die ursprünglich religiöse Bedeutung des Mandalas auf die profane Welt des<br />
Konsums, so deutet sich in diesen Mandalas das sinnentleerte, beinah zwanghafte Konsumieren<br />
unserer Gesellschaft an.<br />
Mitmachen und Sammeln<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 29
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Doris Graf<br />
homo nudus atque apertus, Präsentation (Lamda-Großfoto, Diasec), 2011<br />
In Form von Kartenbildern beschreibe ich Menschen, welche als Konsumenten (besonders der<br />
Städter), lebend im Zeitalter der Informationstechnologien, nudus et apertus, d.h. schutzlos,<br />
entblößt und decodiert (auch offenzutage liegend), als auch leicht zugänglich in der Welt stehen.<br />
Grundlage der einzelnen Bilder sind einzelne Gespräche, bei welchen ein sogenannter erweiterter<br />
PIKTRÄT-Fragebogen, mit vielen unterschiedlichen, persönlichen und intimen Fragen ausgefüllt<br />
wird. Jeder entscheidet selbst, was er beantwortet, und was er ausstellen möchte (ob anonym,<br />
oder nicht, mit oder ohne Adressenangabe,...).<br />
Der Fragebogen setzt sich aus einer Kombination von Datenerhebungen zusammen, die man<br />
sowohl im Internet (Facebook, Foursquare, Google, und Singelbörsen) als auch in der<br />
wahrnehmbaren, uns umgebenden Wirklichkeit (Bankenscoring, Bonuspunktesammeln usw.)<br />
vorfindet. Neben dem Straßennetz des Wohnortes, und Bewegungsdiagrammen, werden<br />
Angaben zu den Hausbewohnern, Hobbys, Konsumverhalten und individuelle Besonderheiten<br />
wieder mit Hilfe von grafischen Symbolen beschrieben, die unter anderem auch an Rohstoffkarten<br />
der organischen und anorganischen Produktion erinnern. Zusätzlich gebe ich Datum, Uhrzeit und<br />
vorherrschende Außentemperatur an. Es entsteht ein kartografiertes, persönliches Profilbild.<br />
Derjenige, der sich kartografieren ließ, kann sich dann mit dem entstandenen Bild identifizieren<br />
und dadurch erzeuge ich einen Bezug zu seinen persönlichen Daten.<br />
Andererseits beschreibe ich kritisch einen Menschen, der standardisiert in seiner Vielfalt und<br />
Individualität, lesbar wie eine Karte wird.<br />
Ein < homo nudus atque apertus > liegt vor, möglich durch eine Kombination von Datenbanken.<br />
Die einzelnen Karten werden zu Sinnbildern, der heutigen Berechenbarkeit, Manipulierbarkeit und<br />
Nutzbarmachung der Individuen.<br />
30 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Renate Gross<br />
<strong>Leben</strong>skunst: Votido (SWR-Beitrag der Abendschau), Video, 2010<br />
Werkbeschreibungen<br />
VOTIDO ist – in Form einer Luxus-Lifestylezeitschrift – die Darstellung meiner<br />
Überlebensstrategien als freischaffende Malerin. VOTIDO ist eine neue Verknüpfung, Verbindung<br />
von Kunst und <strong>Leben</strong>.<br />
Ich "imitiere" eine Ausgabe der Zeitschrift VOGUE und illustriere, kommuniziere damit meinen Stil,<br />
meine <strong>Leben</strong>sart; darüber hinaus mein Wirtschaften – meine <strong>Leben</strong>s- und Überlebenskunst,<br />
meine <strong>Leben</strong>s-Haltung. Mit der Arbeit verbreite ich meine persönlichen Strategien der<br />
Wertschöpfung und Netzbildung mit der ich in der Gesellschaft lebe, überlebe. Sämtliche Fotos<br />
und Texte sind selbst erstellt. Heftthema ist „Serendipity“<br />
Die VOTIDO lebt vom Gegensatz zwischen dem augenscheinlich edlen Stil/Luxus und der<br />
dahinterstehenden Wirklichkeit: durch meine Maxime von meiner Kunst zu leben ergibt sich ein<br />
Etat auf/unter Sozialhilfeniveau; damit wirtschafte ich seit ca.1995. Kleider, Accessoires, Lifestyle<br />
und Good Food aus: Diakonieläden, Caritas, Rotkreuz, Flohmarkt, Freundenetzwerk und Tafelläden.<br />
VOTIDO= what i do= ist auch ein Projekt gegen die Scham arm zu sein; eröffnet einen<br />
Perspektivwechsel: fast ohne materielle Mittel, Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur aufzuzeigen.<br />
Das Projekt thematisiert den Umgang mit Ressourcen die jedem verfügbar sind und ist ein Anstoß<br />
zu anderem Umgang mit gesellschaftlichen TATSACHEN, schafft Spielraum da, wo eigentlich<br />
keiner ist. Der SWR hat ein Feature für die Abendschau gedreht (es wurde bereits auch im WDR<br />
gesendet und in einer weiteren populären SWR Sendung ausgestrahlt) und auf dem Dt. Tafeltag<br />
in Berlin Anfang Juni stellte ich mein Projekt vor.<br />
Die Meinung von Dr. Tilman Achtnich, SWR- Redakteur, zu dem Beitrag war, dass er vieles in den<br />
Menschen zum Schwingen brächte, weil er einen völlig anderen Umgang mit dem Thema Armut<br />
zeige, wie etwa der Film "Das <strong>Leben</strong> ist schön“.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 31
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Stefan Habermann<br />
My Life in a Shop Window, Serie aus sechs Fotografien, 2010<br />
Es handelt sich hierbei um manipulierte Fotografien, die jeweils eine Person in einem<br />
Schaufenster zeigen. Man kann aber nicht genau feststellen, ob es sich hierbei um verlebendigte<br />
Schaufensterpuppen handelt oder um vergegenständlichte reale Personen. Präsentiert sich hier<br />
eine wirkliche Person öffentlich in einem Fenster, in dem üblicherweise Konsumwaren ausgestellt<br />
werden? Fußgängerzone, Shoppingmeile, sich zeigen, gesehen werden, konsumieren – Man ist<br />
inmitten der urbanen Warenwelt. Im Auslagenfenster spiegeln sich Passanten und Teile des<br />
städtischen <strong>Leben</strong>s.<br />
Ein sehr aktueller, auch urbaner Aspekt ist der der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit (siehe<br />
z.B. facebook). Wie bin ich, wie will ich sein bzw. wahrgenommen werden? Welches Bild<br />
präsentiere ich von mir, für alle sichtbar, und wie kann ich möglichst viele erreichen? Inwieweit<br />
übernehme ich fremdbestimmte Bilder (bewusst oder unbewusst), zum Beispiel aus der<br />
Mode-/Medienwelt? Oute ich mich damit oder kann ich mich auch dahinter verstecken? – Die<br />
Ambivalenz dieser Situation zeigt sich im spiegelnden Schaufenster. – Einerseits bin ich<br />
ausgestellt und gut sichtbar, andererseits entstehen durch die Spiegelungen auch mögliche<br />
Täuschungen, Zweideutigkeiten: sind lebendige Personen wirklich dort oder zeigen die Körper nur<br />
besonders wirklichkeitsgetreue Wunschbilder? Schaufensterpuppen sind Massenprodukte, die<br />
trotz unterschiedlicher Modelle immer dieselbe Funktion und ähnliches Aussehen haben. Sie<br />
zeigen vereinfachte, standardisierte menschliche Körper, tausendfach produziert und<br />
aneinandergereiht entlang der Einkaufspassagen. – Verdoppelungen treten auch ein durch die<br />
sich spiegelnden Passanten, und diese werden bei Deckung mit der Puppe, bzw. der sich<br />
ausstellenden Person, Teil derselben. Inwiefern definiere ich mich so über vorgefertigte Produkte,<br />
identifiziere mich mit anderen? – Kann ich mich überhaupt davon freimachen?<br />
Und wenn hier tatsächlich ein Mensch posiert: nimmt er dann nicht bewusst Mimiken und Gesten<br />
einer standardisierten Puppe ein und vervielfältigt somit auch Vorgefertigtes? – Was ist<br />
individuelles Bild, was standardisiertes Bild?<br />
My Life in a Shop Window (Auszug)<br />
32 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Erika Hart<br />
Kopfgesellschaft, Objekt aus Ton (gefärbt mit Engobe-Weiss, Kupferoxyd), 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Zu meiner Betrachtung des „Stadt<strong>Leben</strong>s“ stellt sich das Gegenbild „Land<strong>Leben</strong>“ ein. Bietet doch<br />
das urbane <strong>Leben</strong> elitäre Ausbildung, hochqualifizierte Arbeit, feine Kultur. Das Individuum neigt<br />
zum Kopf-Menschen, Gefühl und Emotion werden erzogen und beherrscht: eine Kopfgesellschaft<br />
bildet sich.<br />
Kopfgesellschaft<br />
Hannes Hartmann<br />
wintercitylandscape, Video (300 min), 2009/2011<br />
Der Bildausschnitt zeigt ein Fenster und dahinter eine winterliche Landschaft. Unmittelbar vor der<br />
Kamera fährt eine S-Bahn ins Bild und hält, Menschen steigen aus und ein, sie fährt wieder ab. In<br />
der Spiegelung der vorbeifahrenden S-Bahn sieht man den Raum hinter der Kamera,<br />
vorrübergehende Menschen und die Kamera selbst. Hinter dem Fenster fahren immer wieder<br />
Nah- und Fernverkehrszüge durch den Fensterausschnitt und geben dann den Blick auf die<br />
Landschaft wieder frei.<br />
Gedreht ist das Video auf einem Berliner S-Bahnsteig im Laufe eines ganzen Tages (8. Januar<br />
2009). Die Arbeit untersucht die Nähe von Video und Malerei. Zunächst greift das Fensterbild ein<br />
traditionelles Sujet der Malerei auf – das Bild als illusionistischer Ausschnitt der Welt. Die<br />
bildparallele Bewegung der Züge betont die Zweidimensionalität des Mediums, wobei die<br />
Staffelung der vorbeifahrenden Züge in unterschiedlicher Entfernung <strong>zur</strong> Kamera mit dem<br />
illusionistischen Raum spielt. Über die Bewegung kommt Zeit als Faktor der Bildbetrachtung ins<br />
Spiel. Durch die Veränderung der Lichtsituation zwischen Innen- und Außenraum von morgens bis<br />
abends, verändert sich der Betrachtungsraum: ist zu Beginn die Landschaft hinter dem Fenster<br />
bildbestimmend, sieht man am Ende den im Fenster gespiegelten Innenraum hinter der Kamera<br />
mit den vorübergehenden oder wartenden Fahrgästen.<br />
Dauer und Bewegung bringen zusätzlich narrative Aspekte in die Arbeit und greifen einen<br />
Großstadtmythos vom Verkehr mit seiner pulsierenden Bewegung als Schlagader der Großstadt<br />
auf.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 33
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Kanoko Hashimoto<br />
9,94 e-8 km², 7,06 e-8km 2 , DigitalPrintArt (Acryl auf Baumwollgewebe), 2008<br />
Die Werke 9,94 e-8 km² (Das heißt 0,0000000994 km 2 oder 994 cm 2 ) und sind aus der Serie<br />
„heiter“, die ich seit 2008 fortsetze. Die Flächengröße sind individuell von bestimmten Personen,<br />
denen ich begegnet bin. Die gemalte Fläche des <strong>zur</strong> Person gehörenden Bildes ist, - auf den qcm<br />
genau, die Grundfläche der Person auf dem Boden unseres <strong>Leben</strong>sraums. Die blaue Malerei stellt<br />
den endlosen Raum dar, von der Grundfläche über dem Kopf dieser Person,nach oben. Diesen<br />
Endlosen Raum habe ich bei heiterem Wetter gemalt.<br />
Die Bilder zeigen also wie viel Raum das Individuum für sich beansprucht, auf der Erde<br />
gemessen, als Raum nach oben grenzenlos.<br />
9,94 e-8 km²<br />
Rolf Hausberg<br />
Ohne Titel, Holzschnitt (auf 2 Platten), 2010<br />
34 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Werkbeschreibungen<br />
Frank Haußmann<br />
Llum1, Installation (Rippen von Fächerpalmen, Stahlseile, Baustahl, Leuchtstoffröhren, Plexiglas,<br />
Fotoelemente), 2010/11<br />
„Llum1“ ist die erste Arbeit aus der Reihe „Llums de Catalunya / Lichter Kataloniens“, die<br />
unterschiedlichste Objekte mit regionalem Bezug auf Katalonien umfasst, als Widerspiegelung<br />
dieser mediterranen, doch hart industriell geprägten, traditionsbewussten, sich zugleich aber<br />
futuristisch gebenden Region um Barcelona. In „Llum1“ kommen spröde, aggressive, trotzdem<br />
naturhaft wirkende Materialien zum Einsatz, die sich, brutalistisch, doch fein verarbeitet, in einem<br />
gespannten schwebenden Gleichgewicht befinden.<br />
Kern des Objekts ist ein dreizackiger Wurfanker aus Eisen. Er spießt mit Stahldraht vorgespannte<br />
Palmrippen auf und zieht sie, verlängert um einen eisernen Riegel nach oben, während die<br />
Konstruktion gleichzeitig von Stahlseilen nach unten gezogen und so zusammengehalten wird.<br />
Stahldraht und Baustahl zwingen mit ihrer Kraft Natur standardisierend in eine Form, die dennoch,<br />
auch als Rekonstruktion ihrer selbst, eine eigene naturhafte Poetik entwickelt, andererseits aber<br />
auch Welt- und Gesellschaftsmodell sein kann.<br />
Schmale Leuchtstoffröhren als Träger fotografischer Elemente durchkreuzen das Objekt streng<br />
horizontal. So verschmelzen reale Objekte, die Plastisches und Authentisches einbringen mit<br />
filmisch-virtuell wirkenden Fotos, die eine Erinnerung an urbane Situationen, eine Ahnung von<br />
Landschaftsraum und Geschwindigkeit einbringen. Mit seiner sinnlichen Präsenz erinnert das<br />
Objekt an den katalanischen Modernismus, ohne dass dessen Formen nachgeahmt oder zitiert<br />
würden.<br />
Das seriell Beliebige wechselnder, immer gleicher Stadtsituationen, die schöne Brillanz beim Blick<br />
aus einem Autofenster bei Nacht wird durch das Motiv der Ab- und Ausrichtung von Natur durch<br />
Zwang und Licht gespiegelt. Das sperrige, ungewöhnliche Material, die unzeitgemäße Intensität in<br />
der technischen Ausführung des Objekts, das nicht beliebig Reproduzierbare und das assoziativ<br />
Vielschichtige will subjektiv erlebte Urbanität kondensieren, als Reflex auf die fremdbestimmten,<br />
nicht wirklich politisch mitgestaltbaren Formen des öffentlichen Raumes und <strong>Leben</strong>s in einem<br />
zunehmend an Struktur- und Gesichtsverlust leidenden Europa.<br />
Llum1 mit Leuchtbalken<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 35
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Thomas Heger<br />
Neue Helden, Foto (Basel), 2006<br />
Alter Ritter trifft unvermittelt auf neue Helden<br />
Tim Stefan Heger<br />
ohne Titel, Zeichnung auf Transparentpapier (Mischtechnik aus Lack, Inkjetdruck (pigmentierte<br />
Tinte), Folie und Papier), 2010<br />
Gezeigt wird eine eigene Fotografie des Künstlers von einem Schüler in Schuluniform der<br />
aufgestützt über seine Stadt (Tiruchirappalli, 820.000 Einwohner) blickt, sowie die Reproduktion<br />
einer Zeitungsabbildung einer Vogelzugformation.<br />
Linienzeichnung einer populären Ikone für ein in sich geschlossenes System. Gemein ist meinen<br />
Arbeiten die Befragung von Vertrautem: der erzählerischen Interpretation und abstrakten<br />
Repräsentation. Versuche der Annäherung aus neuem Blickwinkel durch Verknüpfungen und mit<br />
Bezug auf die Technik der paradoxen Parabel.<br />
ohne Titel<br />
36 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Angelika Heinkel<br />
Kleine Fluchten, Foto (kaschiert), 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Kleine Fluchten ist assoziiert mit einem neugierigen und überraschten Blick durch ein<br />
Schlüsselloch und den damit verbundenen Gefühlen von voyeuristischer Grenzüberschreitung.<br />
Die Verschwommenheit der Konturen verstärkt Gefühle von Intimität und dem Eindringen in einen<br />
Ort des privaten Rückzugs, einer ausgesprochen persönlichen Zuflucht. Der Blick möchte gerne<br />
noch in dieser Situation verweilen, sich aus Respekt aber gleichzeitig wieder abwenden.<br />
Peter Helm<br />
Blumenrabatten, Farb-Fotografie, 2010/2011<br />
Der moderne Mensch entfernt sich vom Land und zieht wieder in die Stadt.<br />
Doch trotzdem möchte er zum Wohlfühlen Pflanzen um sich herum haben, z.B. in städtischen<br />
Parkanlagen.<br />
Und wenn man diese künstlichen Anpflanzungen miteinander vergleicht, fällt auf, dass es zwar<br />
Blumen sind, aber diese häufig in einer schematischen und auch farblich eigenartigen Weise<br />
angeordnet sind. Obwohl es sich um natürliches Material handelt, wirken sie in einer gewissen<br />
Weise „künstlich“ und als Fremdkörper.<br />
Das möchte ich in meinen Bildern aufzeigen. Von daher findet die "Vervielfältigung" bereits vor Ort<br />
statt.<br />
Blumenrabatten (Auszug)<br />
Michael Hermann<br />
Wunschtraum, Stahlobjekt (geschliffen und mit Klarlack lackiert), 1999<br />
Gedanken: Der wie über eine Standardschablone „gemachte“, immer mit gleichen Mitteln gleichen<br />
Zielen nachrennende Mensch – „uniformiert“ in Aussehen und Denkweise, zugeknöpft und durch<br />
selbst auferlegten Zwang gesteuert. Eine von sich selbst produzierte, sich immer wieder selbst<br />
reproduzierende „Ware“ – immer auf der Hut seinem gleichförmigen Gegenüber mindestens auf<br />
Augenhöhe zu begegnen.<br />
Bleibt Individualität auf der Strecke? Wünsche? Träume? Bauchgefühl? Manchmal die „Sau<br />
rauslassen“?<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 37
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Dietmar Herzog<br />
Prinzip der Umkehrung 1 bis 6, Fotomontage, seit 2009<br />
6-teilige Fotoserie und Textbeitrag<br />
Ernst Günter Herrmann<br />
Pero Pinheiro. 6 Tage, 9 Installationen, Fotodokumentation (4 Tafeln und ein Großfoto auf Textil),<br />
1994<br />
Die dokumentierte Installation entstand 1994 als freie Arbeit in einem Granitwerk in Lissabon,<br />
Portugal. Das verwendete Material sind Granit Rohblöcke in den industriellen Standardmaßen von<br />
ca. 1.30 x ca. 1.40 und zwischen 3.0 und 4,5 m lang. Die Maße von Breite und Höhe der Blöcke ist<br />
bestimmt durch die Öffnungen der Gattersägen, auf denen die Blöcke später zu Platten gesägt<br />
werden. Diese Granitblöcke sind also das Rohmaterial für Platten aus denen Gebäudefassaden<br />
oder Küchenarbeitsplatten gefertigt werden. Die Blöcke dieser Installationen stammen aus Indien,<br />
Afrika, Portugal, und Spanien. Sie wurden zufällig aus dem Blocklager des Werkes<br />
herausgegriffen, als Installation zusammen gestellt, danach fotografiert, umgeworfen und zu einer<br />
weiteren Arbeit zusammengebaut.<br />
Dieses Projekt dauerte eine Woche. Ich hatte 3 Assistenten, einen Kran, einen Bagger und einen<br />
Radlader als Hilfsmittel. Die Arbeit ist als Buch dokumentiert.<br />
Ähnliche Installationen wurden von mir im urbanen Kontext realisiert, (Würth Portugal in Lissabon<br />
und BW Bank, Börsenplatz in Stuttgart.) In jedem Fall behalten die Granitblöcke den Charakter der<br />
Halbfertigprodukte aus verschiedene Steinbrüchen, mit den Signaturen der Zwischenlager, und<br />
der Markierung ihrer Sägerichtung. Die Art ihrer Aufstellung ohne Dübel und mit Distanzen für den<br />
Angriff des Gabelstaplers, wie im Blocklager des Granitwerkes, betont den temporären Charakter<br />
und die Bildwirkung dieser Arbeiten im urbanen Kontext.<br />
Pero Pinheiro. 6 Tage, 9 Installationen (Auszug aus der Fotodokumentation)<br />
38 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Werkbeschreibungen<br />
Helga Hess-Feldbach<br />
Vielfalt, Collage (aus Naturmaterialien und Kunststoffen, Metall und Papier, auf Leinwand), 2010<br />
Eine Collage aus verschiedenen Materialien wie Kunststoffen, Holz, Papier und Metall und<br />
reproduzierbaren Medienprodukten,<br />
Die Vielfalt steht im Gegensatz <strong>zur</strong> Massenproduktion, Standardisierung im Gegensatz <strong>zur</strong><br />
Individualität.<br />
Ute Heuchel<br />
Triptychon „Deutscher Altar 2011“ (Stadt und Arbeitslosigkeit), Collage (Zeitungsausschnitt,<br />
gebundener Baugrus aus sechs Jahrzehnten, aufgeklebte beschriftete Katzenfutterdosenteile,<br />
industriell gefärbte schwarze Federn, Ölfarbe, Schriftzitate, Blut, Blattgold, auf Leinwand in<br />
gefasstem Schattenfugenrahmen (Tempera auf Kreidegrund)), 2011<br />
Auf der Mitteltafel ein aufgeklebter Zeitungsauschnitt aus der ZEIT vom 1. Juni 2011 als<br />
Visionsgeber und thematische und kompositorische Mitte, rechts und links darunter<br />
Papierausschnitte von Käthe Kollwitz' „Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden“ und Albrecht<br />
Dürers „Schmerzensmann“.<br />
Jede der Tafeln trägt eine Sonne, darunter angedeutete Stadtbauwerke auf Baustaubgrund. Vom<br />
Zeitungsausschnitt und den Sonnen ausgehend entwickelt sich auf allen drei Tafeln das Thema<br />
Stadtleben – Verlust von Stadterlebnisvielfalt und Individualität durch Arbeitslosigkeit,<br />
Arbeitslosenverwaltung. Da ich es als eines der zentralen ethischen Themen unserer Zeit halte,<br />
wenn nicht überhaupt das grundlegende, habe ich das künstlerische Format Altar gewählt.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 39
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Klaus Heuser<br />
ohne Titel, Collage, 2011<br />
Menschenmenge aus den fünfziger Jahren kontrastierend mit einem frühen Hitlerbild aus dem 1.<br />
Weltkrieg<br />
ohne Titel<br />
The Piussisters (Angelika Hildebrandt // Petra Pfirmann)<br />
Think Pius – First We Take Manhattan, Installation (Inkjetdruck, Schnur und Fries), 2011<br />
Beginn der Mission: The Piussisters holten 2010 die Kirche und das Dorf, unter Beistand von<br />
Bittstellern, in die Städtische Galerie, Bahnwärterhaus Esslingen.<br />
2011 im WKV: The Piussisters verlassen die Nische und expandieren nach und nach in Stuttgart,<br />
durch Vervielfältigung mittels Klonung.<br />
Ihr Ziel ist es, die Welt zu umarmen, um sie zu retten. Think Pius! Bei dieser Mission kann auf<br />
Nebensächlichkeiten keine Rücksicht genommen werden.<br />
Den Leitfaden bildet die Auseinandersetzung mit der These des Hl. Augustin: „Liebe, und tu was<br />
Du willst.“ Eine These mit einer langen Wirkungsgeschichte, die bis heute andauert. Die<br />
Begegnung mit ihr ist unvermeidlich. In Anlehnung daran, lautet die These der Piussisters, die wir<br />
als Freibrief verstehen: Think Pius – and do what you want.<br />
In der Arbeit werden, per Inkjetdruck auf dünner Pappe, Fotos bedrohter Tierarten, Fotos von<br />
Flüchtlingen, Randgruppen, Stadtbewohnern (aus den Medien) in kleinem Format vervielfältigt und<br />
ausgeschnitten.<br />
40 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Ruth Hillebrand Dane<br />
Swap Depths, Video (12:19 min), 2007<br />
Werkbeschreibungen<br />
Der computerbasierte Animationsfilm SWAP DEPTHS verstrickt den Betrachter in ein lebhaftes<br />
Spiel von Bezügen.<br />
Der Film verwendet neben einer Fotografie digitale Zeichnungen, die während der Laufzeit des<br />
Films per Programmierscript gesteuert werden. Durch rechnerisches Vervielfältigen eines<br />
geometrischen Vokabulars wachsen Formen und Figuren in einer kontinuierlichen Bewegung zu<br />
einem konstanten Fluss an. Hierbei erscheinen vor unterschiedlich definierten Hintergrundflächen<br />
fließende, vielfältig rhythmische Bilder, die manchmal angehalten werden, wieder ihre Bewegung<br />
beginnen, in ihr auseinanderfallen, sich sammeln und neu zusammensetzen.<br />
Digital bearbeitete Aufnahmen von Geräuschen und im Computer erzeugte Klänge werden in<br />
festgelegten Intervallen dynamisch in den Film geladen. Hierbei folgt die Programmierung <strong>zur</strong><br />
Steuerung des Sounds dem Prinzip der Bildprogrammierung. Ursprünglich kurze, dann<br />
rechnerisch vervielfachte Klänge, werden zunächst als einzelne Sound-Objekte aufgebaut, ihr<br />
klangliches Anwachsen im Verlauf plötzlich angehalten oder langsam <strong>zur</strong>ückentwickelt. Einzelne<br />
Clips sind unmittelbar mit einem Soundereignis verknüpft, bringen es mit oder lösen es aus,<br />
sobald sie aufgerufen werden. Es entstehen Soundüberlagerungen, Verdichtungen und<br />
Verlängerungen der Soundsequenzen, die jeweils "vorne" oder "oben" liegenden Klangebenen<br />
sind dominanter und drängen andere Klänge/Geräusche in den Hintergrund, die nun aus<br />
scheinbar größerer Entfernung zu hören sind. Der Klangraum öffnet sich in wechselnde<br />
Richtungen, es werden unterschiedliche "audioperspektivische" Eindrücke erzeugt, das visuelle<br />
Geschehen wird hierbei mehrdeutig wahrgenommen.<br />
Das Generieren der einzelnen Sequenzen erzeugt auf unveränderter Grundlage immer neue, nicht<br />
wiederholbare Bild- und Klangereignisse. Der Film variiert, in zweimaligem Durchlauf, vier vom<br />
Desktop aufgenommene Szenen mit jeweils unterschiedlichen Ergebnissen.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 41
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Julia Hillesheim<br />
Tatorte, Digitale Fotomontage, 2011<br />
Das städtischen <strong>Leben</strong> kann auch unheimlich sein. Die Bilder zeigen Fensterfronten in Stuttgart.<br />
Die Personen davor sind vom Fernsehbildschirm abfotografiert.<br />
Tatorte (Auszug)<br />
Helga Hodum<br />
Skyline (1 und 2), Radierung auf Büttenpapier, 1994<br />
42 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Renate Hoffleit<br />
100 x Urbane <strong>Leben</strong> (Auflage 5), Fotodruck auf Papier, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
In einer Foto-Collage - Werkmaße ca. 91 x 227 cm, sind 100 jeweils ca. postkartengroße<br />
Fotografien seriell aneinander und untereinander gereiht. Die Auswahl aus Tausenden meiner<br />
Fotografien war abhängig von deren kurzfristiger Verfügbarkeit aus meinen Archiven (Zufall) und<br />
deren Zuordnung zum Thema. Die Anordnung im Tableau erfolgte wiederum zufällig.<br />
Die Fotografien entstanden durch Beobachtung und spontanen Entschluss bei meinen<br />
Aufenthalten in USA, Japan, Israel, Irland, Italien, Spanien, Frankreich, Malta, Schweiz und<br />
Deutschland während eines Zeitraums von 4 Jahrzehnten. Die Fotos bergen auf mehreren<br />
Ebenen Informationen über urbanes <strong>Leben</strong> sowohl privater als auch öffentlicher Natur, in<br />
unterschiedlichen Ländern und Zeiträumen, wechselnden "Ideologien" und "Weltanschauungen".<br />
Dem persönlichen Blick auf "urbanes <strong>Leben</strong>" zum jeweiligen Zeitpunkt und Ort ist ein nicht<br />
geringer Anteil des Bildinhaltes zuzumessen.<br />
Die Postkartengröße des Einzelbildes erinnert an das Versenden von Grüßen, die aber zu keiner<br />
Zeit postalisch versandt wurden. Heute, mit Mitteln des elektronischen Bildtransfers, könnte dies<br />
zeitgleich mit Entstehen des Bildes tausendfach geschehen.<br />
Negative, Dias, Positivabzüge, abgespeicherte Dateien liegen weiterhin in meinen Archiven - die<br />
Auswahl aus der Vielfalt und die Art der Vervielfältigung sind - wie das Entstehen neuer Bilder -<br />
ein "work in progress".<br />
Frank N. Hoffmann<br />
Male – Female, Objektinstallation aus Readymades (Holzsockel (Acryl-bemalt), Schuhlöffel,<br />
Staketenspitzen, Stahlwolle), 2006-2011<br />
Vereinzelung, Individualisierung, Ego-Trip, Jugendwahn, Isolation, Einsamkeit, Gesellschaftlicher<br />
und individueller Autismus, Fun-Gesellschaft, Sexualität statt Beziehung, Sinnverlust, Jeder<br />
genügt sich selbst, Sozialisationsdefizite, …<br />
Gerrit Hoogerbeets<br />
to turn, turn, turn, Objektmontage und digitale Fotografie, 2010<br />
Theorieornament „urban“<br />
To turn, turn, turn,<br />
umdrehen, weiterdrehen, anturnen!<br />
Taschen, Verpackungen, trügerische Körper.<br />
Jede Kopie verbirgt einen Prozess der Umwendung,<br />
dessen Unsichtbarkeit anturned,<br />
die Kopie mit dem Original verwechseln zu wollen:<br />
„Ich“ möchte endlich seine Kopie turnen,<br />
in der urbanen Turnhalle.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 43
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Irene Hoppenberg<br />
Brown Bagging, Filzstift auf Packpapiertüten, 1993<br />
Meine Arbeit entstand während eines längeren Aufenthalts in New York, als Teil einer Werkserie<br />
mit Packpapiertüten. Im Amerikanischen bezeichnet man Einkaufen auch als “brown bagging“ und<br />
ich fing damals an, die Brown Bags zu sammeln, die ich von meinen Einkäufe <strong>zur</strong>ück brachte. Die<br />
braunen Papiertüten sind ein leicht erkennbares Relikt, ihre Sichtundurchlässigkeit schützt den<br />
Inhalt vor fremden Blicken.<br />
Meine Brown Bags für die <strong>Ausstellung</strong> im Württembergischen Kunstverein sind die Originale die<br />
ich damals aus New York mitbrachte. In ihrem Erscheinungsbild unterscheiden sie sich jedoch<br />
kaum von anderen Packpapiertüten. Sie sind ein Massenprodukt, dienen der Verpackung und<br />
werden überall verwendet. Inmitten der vielen Plastikgegenstände die uns gegenwärtig umgeben,<br />
gewinnen die einfachen braunen Tüten wieder an ästhetischem Reiz. Aufgeklappt und zu einer<br />
seriellen Reihe an der Wand befestigt, ragen die identischen Teile in den Raum und werden <strong>zur</strong><br />
Skulptur. In ihrer profanen Erscheinung, mit den einzelnen Wochentagen beschriftet, gliedern sie<br />
die Zeit in einen einförmigen Rhythmus.<br />
Die Benennung der Tage bezieht sich auch auf unser permanentes Shoppingverhalten, was je<br />
nach Standpunkt reines Freizeitvergnügen bedeutet, aber auch zum Konsumterror werden kann.<br />
Jean-Claude Houlmann<br />
City Life, Collage (Digitalprint, Acryl, Lasuren auf MDF-Platte), 2011<br />
Gezeigt wird der städtische Alltag aus einer erhöhten Perspektive, die den Blick auf die<br />
Gesamtheit ermöglicht – weg von den Einzelheiten. Die schwarz-weiße Darstellung erzeugt eine<br />
Distanz <strong>zur</strong> Realität.<br />
Manfred Hülsewig<br />
Multiple. Öffentliches Grün, Objektinstallation (Heißkleber, Reagenzgläser, Wasser, Pflanzen),<br />
2011<br />
„Öffentliches Grün“ zeigt Pflanzen, die gemeinhin als Unkraut gelten, die aber in einem eigentlich<br />
subversiven Sinn vital sind und in unserer steinernen städtischen Umwelt überleben.<br />
44 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Werkbeschreibungen<br />
Waltraut Huth-Rößler<br />
Diptychon Blickfeld Stadt, Collage (Kopien von Stadtpanteilen auf Transparentfolien, Tusche,<br />
Spraykleber und Acryl auf Glasscheiben), 2007<br />
Stadtpläne sind konzentrierte Transformation urbanen <strong>Leben</strong>s. Ihre Vervielfältigung macht Bezüge<br />
von Strukturen und Stadtentwicklung für den Einzelnen im Überblick und in Maßeinheiten<br />
erfassbar. Die Doppelglasscheiben ermöglichen adäquat das Arbeiten in mehreren strukturellen<br />
Schichten übereinander:<br />
1. Stadtplanteile reproduziert auf Transparentfolie<br />
2. Stadtplanquadratraster, ausgeführt in Tusche, als Maßeinheit<br />
3. Collagierte Farbflächen als unterlegte Schicht in der Art einer Hinterglasmalerei<br />
Gottfried Hüttemann<br />
Aber den Einsamen hüll’ In deine Goldwolken!, Fotoprint, 2010<br />
„Wie Korybanten- Tanz dröhnt die Musik der Millionen durch die Straßen laut. Der Schlote Rauch,<br />
die Wolken der Fabrik ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.“ - Georg Heym<br />
Das Gegenbild <strong>zur</strong> Tyrannei der Menge ist der Einsame, der Empfindsame, der Künstler, die<br />
Alten.<br />
Veronika Idler<br />
Spiegelungen, Fotografie (übermalt und auf Holz aufgezogen), 2010<br />
Das Triptychon mit den 3 Fotoarbeiten ist Teil einer umfangreicheren Serie zum Thema<br />
„Spiegelungen“ in verschiedenen Städten. Diese Serie ist offen und wird immer wieder erweitert<br />
und ergänzt.<br />
Spiegelungen<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 45
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Wolfram Isele<br />
artparade Erinnerung (Nr. 1-3), Radierung, Linoldruck, Holzschnitt, 2010<br />
Die drei Versionen von artparade Erinnerung basieren auf einer Radierung, die z.T. mit weiteren<br />
Motiven überdruckt wurde.<br />
Melanie Jakel<br />
ohne Titel, Collage, 2011<br />
Collage aus Zeitschriftenbildern über einer Acrylmalerei. Durch Überklebungen werden Augen und<br />
Mund eines Frauengesichts vervielfältigt.<br />
Ohne Titel<br />
46 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Ingolf Jännsch<br />
Bürger wollen nicht nur kaufen, Installation, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Auf einem Podest (80 x 60 x 80cm), zusammengefügt aus Verpackungs- und Warenschachteln,<br />
sind zwei digitale Bilderrahmen in einer Reihe befestigt. Zwei ‚Lumibären‘, nebeneinandersitzend,<br />
scheinen diese zu betrachten. Zeituhren bewirken deren zeitweise Erleuchtung.<br />
Die zwei Bilderrahmen zeigen gegensätzliche Bildwelten, einerseits abgebildete Personen, dem<br />
Verpackungsmaterial entnommen, andererseits Menschen während des Abrisses der Nordfassade<br />
des Stuttgarter Hauptbahnhofs. In die Bilder sind Worte oder Kommentare eingeblendet.<br />
Ausgangspunkt für die Arbeit ist die Feststellung, dass urbanes <strong>Leben</strong> in hohem Maße vom<br />
Konsum geprägt ist. Die Frequentierung der Stadt hat weitgehend mit Kaufen und Konsumieren zu<br />
tun. Das von der Obrigkeit geförderte Wachstumsdenken bewirkt die Produktion von immer mehr<br />
Ware mit Wegwerfcharakter. Um Bestehendes zu ersetzen wird Obsoleszenz mit verkauft. Der<br />
Wegwerfgedanke macht selbst vor dem denkmalgeschützten Bahnhofsgebäude nicht halt.<br />
Bürgern wird die Reduzierung ihrer kreativen Möglichkeiten auf die Wahl ihres Kaufgegenstandes<br />
bewusst, dessen Sortiment wiederum vorgegeben und manipuliert ist. Auch die Bürgerbewegung<br />
gegen „Stuttgart 21“ zeigt: „Bürger wollen nicht nur konsumieren.“<br />
Elke Jetter<br />
Man(n) sein. Trilogie, Collagen (aus Fundstücken, Ton, Silikon und Acryl), 2006/2007<br />
Einzeltitel<br />
Dan Forster in Duna Verde, 2006<br />
Norbert Dünn erfüllt seinen Auftrag, 2007<br />
Fred entspannt in Sicherheit, 2007<br />
Man(n) sein, ist die Frage nach der Individualität innerhalb einer Rollenzuordnung. Wie bedient<br />
man(n) sich der Rollenklischees um seine Individualität zu finden. Welche Bedingungen, welchen<br />
Preis bringen die Rollen mit sich. Wie austauschbar sind die Rollen, was sind deren Bedingungen.<br />
Welche Rollen kommen in Frage – ergeben ein IN-sein Figuren/Rollen der Männlichkeit im Alltag<br />
und der Ausnahmesituation.<br />
Readymades aus Fundstücken von belebten Plätzen urbanen <strong>Leben</strong>s. Readymades millionenfach<br />
vervielfältigte Gegenständen unserer westlichen Kultur.<br />
Tamara Kapp<br />
ohne Titel, Video, 2010<br />
Zur Zeit kann man in Stuttgart kaum einer Baustelle o. ä. Entgehen. Damit leben, heißt auch damit<br />
„arbeiten“. Hier ein Versuch dazu.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 47
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Barbara Karsch-Chaïeb<br />
The FACE- of Revo/Euro/Arab (history) -BOOK, 2-Kanal Videoinstallation, (3:19 min), 2011<br />
Eine Welle von Demonstrationen, Protesten, Unruhen und Revolutionen rollt über Nordafrika, den<br />
Nahen Osten, die Arabische Halbinsel und auch über Teile Europas. Scheinbar angestoßen durch<br />
Internetplattformen wie Facebook oder YouTube, die ebenso als Dokumentations- und<br />
Informationsforen dienen.<br />
Was treibt die Menschen auf die Straße?<br />
Die Sehnsucht nach Freiheit, Wohlstand und Glück, Unzufriedenheit mit politischen Systemen und<br />
Entscheidungen, sowie der Wunsch nach Veränderung und freier Meinungsäußerung!?<br />
Rufe, Schreie, Pfiffe, Sirenen, Gewehrsalven, Bilder von „wandernden“, aufbegehrenden<br />
unkontrollierten Menschenmassen, Soldaten und Polizisten, Steine-Werfer, ... tauchen zwischen<br />
einer Fahrt durch den Maghreb, sowie durch Deutschland in vielschichtiger Weise auf.<br />
(Die Videoinstallation basiert auf Filmmaterial aus Lybien, Syrien, Ägypten, Tunesien, Algerien und<br />
aus Griechenland, Mazedonien, Irland, Spanien, Deutschland)<br />
Katrin Kinsler<br />
Kunst kommt von Künstlern, Digital-Druck, 2011<br />
Das Plakat stellt die Frage nach dem Urheberrecht eines Kunstwerkes, dessen Vervielfältigung<br />
(z.B. als Kunstdruck) und dessen werbetechnische Vermarktung (als Plakat, T-Shirt-Aufdruck, etc.)<br />
im öffentlichen Raum.<br />
Das T-Shirt, in der Funktion einer Arbeitskleidung, wird vor dem Schaffensprozess vom Künstler<br />
am und nach dem Prozessende ausgezogen. Es verifiziert den Künstler als Urheber. Ganz<br />
nebenbei wird die Philosophische Frage, von was Kunst kommt, geklärt.<br />
Kunst kommt von Künstlern (Plakate im öffentlichen Raum)<br />
48 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Anja Klafki<br />
Infrabarock, Radierung / Hochdruck / Prägung, 2010<br />
Gudrun Knapp<br />
Am Bahnhof, Video (1:10 min) und Zeichnung (Tusche auf Papier), 2010<br />
Werkbeschreibungen<br />
Das Video zeigt Schrittzähler am Bahnhof Möhringen, am 18. August 2009, um 8:00 Uhr.<br />
Der Blick aus dem Fenster zeigt eine ganz normale städtische Situation am U-Bahnhof Möhringen.<br />
Hingehen, vielleicht hetzen, ankommen, einsteigen, weg. Ein früher Sommermorgen im<br />
städtischen Bereich. In meinem Video hasten sie dahin, die Bahnhofsgänger. Es ist der Versuch,<br />
die Spuren ihres Bahnhofsweges für unser inneres Auge sichtbar zu machen, einzubrennen,<br />
etwas festzuhalten, was flüchtig ist, immer und immer wieder. Im Video muss der Betrachter selbst<br />
die Spuren der Menschen nachverfolgen.<br />
In meinen Zeichnungen erfasse ich mit meinen Stiften die Schritte der Menschen, die in<br />
Möhringen <strong>zur</strong> U-Bahn gehen, warten, Fahrkarten kaufen, vorbei eilen, sich treffen, einsteigen. Es<br />
sind die unsichtbaren Spuren, die sie hinterlassen, die ich mit meinen Zeichnungen sichtbar<br />
mache. Ich folge dem Einzelnen solange ich kann, bis mein Stift sich an die Fersen eines anderen<br />
heftet und dessen Schritt eine Weile folgt. Die so entstandenen Momentaufnahmen beschreiben<br />
jeweils Zeiträume bis zu 10 Minuten.<br />
Am Bahnhof (Auszug)<br />
Infrabarock (Abbildung Detail)<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 49
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Wolfgang Knauss<br />
Papier trouvés, Fotografie, 2006<br />
Schritt für Schritt führt das Sichten, Sammeln und Ordnen von gebrauchten, weggeworfenen und<br />
wiedergefundenen Papieren verschiedenster Art zu reduzierten Collagen und<br />
Schwarzweißfotografien, die Wolfgang Knauss auf eigentümlich ästhetische Weise gestaltet.<br />
Dabei ist der erste Schritt, den Wolfgang Knauss macht, oft vom Zufall bestimmt. Das<br />
Ausgangsmaterial fällt im Moment des Sehens und Entdeckens dem Künstler zu. Fällt im Moment<br />
des Sehens und Entdeckens dem Künstler zu.Die Spurensicherung sieht auf den Boden, an die<br />
Wand, greift mit der Hand, fotografiert vor Ort, wenn das Gesichtete nicht fragmentarisch<br />
abnehmbar und transportabel ist. Wird hier die Poesie des Vergänglichen kreiert? Wohin führt die<br />
Spur? Im Prozess des Verfremdens wird scheinbar Unnützes wieder in die Welt des schönen<br />
Scheins überführt...<br />
Der Künstler agiert mit seiner Form der „Spurensicherung“ auf unsere Konsum- und<br />
Wegwerfgesellschaft. Die unter seiner Regie im Fotostudio perfektionierten<br />
Schwarzweißaufnahmen der „Papier trouvés“ konterkarieren unser Kunstverständnis.<br />
(Text von Dr. Monika Rudolph)<br />
Aga Koch<br />
Ohne Titel, Collage (Tintendruck, Papier, Acryl und Sand auf Leinwand), 2011<br />
Mich interessiert die Wand die schon einiges hinter sich hat, vergessen wurde und wenig<br />
Aufmerksamkeit bekommt. Die Spuren der Zeit und die Wirkung der Natur, „urbaner Natur“, geben<br />
einer Wand Charakter.<br />
Die Technik die ich für mich entwickelt habe, kam als Resultat meiner Versuche, dem Foto eine<br />
Struktur zu geben. Und so, aus zwei getrennten Welten entsteht eine dritte, (nicht so ganz)<br />
abstrakte Realität.<br />
Ohne Titel<br />
50 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Inge Koch<br />
Zeitungsspuren, Collage aus Etiketten (Zeitungsabdrücke), 2009<br />
Werkbeschreibungen<br />
Ein wichtiger Bestandteil urbanen <strong>Leben</strong>s ist die tägliche Zeitung. Diese vervielfältigte Meinung<br />
hinterlässt Spuren, die hier als Preisetiketten, aufgenommen werden, die üblicherweise Waren<br />
auszeichnen.<br />
Peterpaul Koch<br />
Berlin-Story, Fotografie (Pigmentdruck auf Barytpapier, 8-teilige Serie), 2010<br />
Mit meiner Fotoinstallation „Berlin-Story“ versuche ich einen Einblick in das städtische <strong>Leben</strong> in<br />
Berlin, im vorliegenden Fall Berlin-Mitte, zu geben. Berlin-Mitte, bis 1990 der „Mittelpunkt“ der<br />
Hauptstadt der DDR, ist vor allem ein Spiegelbild der im Ostteil liegenden Bezirke der Hauptstadt.<br />
Hier kann man das Ergebnis einer insgesamt gescheiterten Baupolitik des Berliner Senats nach<br />
der Wende besichtigen.<br />
Auf engem Raum sind Konsumtempel genauso vertreten wie luxussanierte Häuser, die sich viele<br />
Alt-Mieter nicht mehr leisten können und deshalb ausziehen mussten. Und es gibt (nur) noch<br />
wenige besetzte Häuser, die von den Bewohnern bewohnt und „verteidigt“ werden.<br />
Alfons Koller<br />
MoMA, html & php- Quell-Code der Portalseite des MoMA in New York auf Rettich, 2011<br />
Konzeptioneller Grundgedanke dabei ist:<br />
- kulturelle Inhalte sind essenzielle Bestandteile der menschlichen Gemeinschaft<br />
- virtuelle Welten und die reale Welt befinden sich in enger Interaktion und bedingen sich immer<br />
stärker gegenseitig<br />
- virtuelle Inhalte beeinflussen inzwischen reale Umstände aktiv<br />
Konsequenz: Kunst in virtuellen Räumen ist Kunst, die Einfluss nehmen kann.<br />
Die Werkgruppe: ‚Die Schwelle <strong>zur</strong> Kunst. Meine Museumssammlung‘ visualisiert dieses indem<br />
dort Information die das Netz <strong>zur</strong> Kultur am Beispiel ‚Museum‘ bereit hält, auf Nahrungsmittel<br />
kodiert werden. Der Quell-Code aus dem WWW. wird zum Bestandteil dessen, was wir essen,<br />
also selbst <strong>zur</strong> Nahrung …<br />
Susanne Krüger-Eisenblätter<br />
Gotthard-Tunnel-Bau, Papierschnitt/Collage, 2011<br />
Der Papierschnitt vermittelt, teils assoziativ, teils beschreibend, die Dimension des Großprojektes<br />
Gotthard-Tunnel, der bis 2015 fertig sein wird.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 51
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Salla Kuhmo<br />
MACH´S DIR DOCH SELBST, Installation, 2011<br />
Die Installation besteht aus einem Tisch auf einer Plastikplane, einer Schablone mit dem<br />
Markenzeichen der Künstlerin und einer Buntlack-Spraydose. An der Wand neben dem Tisch<br />
hängen vier Fotografien im Format DIN A4 mit Darstellungen zum Nachahmen. Daneben ist der<br />
Schriftzug „MACH'S DIR DOCH SELBST“ gesprüht.<br />
Hintergrund: Das Swoosh-Logo von Nike ist allgegenwärtig. Neben Werbeplakaten, Schuhen und<br />
T-Shirts gibt es den Swoosh mittlerweile auch als Tätowierung. Besonders in den USA ist der<br />
Swoosh ein beliebtes Tattoo-Motiv. Fotos von Swoosh-Fans lassen sich im Internet zahlreiche<br />
finden.<br />
Angeregt durch diese Art der Verbreitung des Swoosh, stellte die Künstlerin unter Verwendung<br />
ihres eigenen Markenzeichens einige Fotos nach. Anders als auf den Fotos aus dem Internet,<br />
worauf die Fans stolz sich und ihren Swoosh <strong>zur</strong> Schau stellen, sind die Personen auf diesen<br />
Fotos nicht identifizierbar und bleiben anonym. Damit bekommen sie einen exemplarischen<br />
Charakter und werden <strong>zur</strong> Aufforderung, es sich selbst zu machen.<br />
Christian Lang<br />
Stille Wasser, Objekt/Guckkasten (Spanplatten, Putz, SW-Fotografien, Stahl, Glühbirne, Kabel,<br />
Keramik, Holz, Lack), 1994<br />
Ein weiß verputzter, allansichtiger Kasten auf einem Stahlgestell lädt ein, ins Klosett zu schauen.<br />
Der Betrachter hebt dazu einen der sieben kleinen schwarzen Holzdeckel der Miniaturtoiletten an,<br />
die an den vier senkrechten Kastenwänden angebracht sind und setzt sein Auge an den<br />
Brillenrand. Der Blick in das von einer nackten Glühbirne beleuchtete Innere zeigt nur einen<br />
kleinen Ausschnitt – bedingt durch die schlauchartige Toilettenöffnung. Erkennbar sind fotografisch<br />
reproduzierte Graffiti und Klosprüche von öffentlichen Herrentoiletten, hauptsächlich der<br />
Universität Stuttgart (Keplerstraße) und der Kunstakademie Stuttgart aus dem Jahre 1994 (den<br />
damaligen Studienorten des Künstlers).<br />
Urbanität/ /Vielfalt Vervielfältigung: Öffentliche Toiletten sind für jedermann zugängliche Räume,<br />
daher unpersönlich und standardisiert eingerichtet. Abschließen erlaubt eine zeitweise Intimität,<br />
ein Unbeobachtetsein. Gleichwohl garantiert die öffentliche Zugänglichkeit dem Benutzer ein<br />
Publikum, was anreizt, individuelle Spuren zu hinterlassen. Die Folgenlosigkeit und Anonymität<br />
des dort unkorrekten Tuns macht Toiletten zu Orten kleiner gesellschaftlicher Anarchien.<br />
Hinterlassenschaften verschiedenster Art konfrontieren den Nutzer mit dem Vorgänger.<br />
Zeitkapsel: Die Toiletten von 1994 existieren vermutlich alle nicht mehr in dieser Gestalt.<br />
Zeittypische Bezüge <strong>zur</strong> Tagespolitik finden sich neben den zu allen Zeiten ähnlichen<br />
Obszönitäten und Banalitäten, doch auch Poetisches. Interessant ist der Vergleich von Universität<br />
und Akademie, der durch die Beschriftung möglich wird.<br />
Voyeurismus wird inszeniert: Der Betrachter ist bereits indiskret, wenn er mit den Inhalten<br />
konfrontiert wird.<br />
Der Titel erlaubt Assoziationen: Stille Wasser sind tief – und hier? Stille Wasser sind unbewegte<br />
Wasser. Stille Örtchen? Orte der Stille lassen an Meditation und innere Einkehr denken.<br />
52 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Elke Lang-Müller<br />
Aus Beton und Stein erwachsen Gedanken, Radierung, 1995<br />
Werkbeschreibungen<br />
Diese Radierung ist bereits 1995 in aufwendiger Arbeit entstanden und zwar aufgrund zweier<br />
Skizzen, die ich nach einem Eindruck der städtischen Aufgeregtheit angefertigt habe.<br />
Aus Beton und Stein erwachsen Gedanken<br />
Lima-Art (Simone Lindner und Tom Lindner-Malorny)<br />
Ghetto, Mixed Media, 2010<br />
Links: C-Print auf Dibond unter Acryl,<br />
Mitte: Acryl auf Leinwand, Collage aus Foto, Muranoglas und Porzellan<br />
Rechts: Keramikfliesen mit Transferdruck und Glasur<br />
„Ghetto“ ist ein Mixed-Media –Triptychon der eine Abbildung eines Kanals in Venedig zeigt. Es ist<br />
der Übergang zwischen dem „normalen“ Venedig (Fondamenta degli Omersini) und dem alten<br />
Ghetto (Campo di Ghetto) Venedigs, in Form einer Brücke, zu sehen. Rechts mündet die Brücke<br />
an den hohen Fassaden des Ghettos, links sind die niedrigeren Häuser des jüdischen<br />
Arbeiterviertels zu sehen. Der Ort ist nachts fotografiert worden. Es ist völlig still und<br />
menschenleer. Während der Nazizeit waren in diesem Ghetto tatsächlich viele tausend Juden<br />
eingesperrt. Auch heute leben in diesem Stadtviertel noch orthodoxe Juden.<br />
Der Mittelteil des Bildes weist auf deren Anwesenheit hin, vier Menschen in typischer Kleidung<br />
gehen bei Aqua alta auf die Straße, während ein Fünfter schmunzelnd hinterher sieht. Das <strong>Leben</strong><br />
im jüdischen Ghetto ist heute kaum mehr von dem im übrigen Venedig zu unterscheiden. Einzig<br />
eine Polizeiwache auf dem Campo di Ghetto nuovo weist uns auf die Vergangenheit und auch die<br />
gegenwärtig politische Brisanz hin.<br />
Die rote Brücke verleitet zum Hinübergehen. Vom einen in den anderen Teil Venedigs.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 53
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Uli Luipold<br />
Wolkenkratzer in Belém / Brasilien, Digitalfotografie (laserbelichteter C-Print auf Alucubond), 2011<br />
Hochhäuser als Möglichkeit <strong>zur</strong> fast beliebigen Vervielfältigung von Wohn- und Arbeitsraum.<br />
Ursula Lux<br />
Metamorphose 1 und 2 (die Rettung), Objekt (Gegenständen und Kokons aus Draht, Zellulose und<br />
Hautleim), 2010<br />
Metamorphose 1: Kokon mit Stuhl in seinem Inneren. Sinnbild für die Vereinzelung des<br />
Individuums in der Anonymität der Großstadt, aber auch Schutz vor dem Zuviel an Eindrücken,<br />
Schutz vor möglichen Verletzungen. Der Kokon bietet die geschützte Umgebung zu reifen, sich zu<br />
entwickeln. Die Kokonhaut wurde von außen, „der Umwelt“, den Rettern, zerschnitten. Das insich-<strong>zur</strong>ückgezogene<br />
Individuum befreit, (wieder) aufgenommen in die menschliche<br />
Gemeinschaft.<br />
Metamorphose 2: Kokon mit Stuhl, auf dem die Kleider und Schuhe einer Frau liegen. Der Kokon<br />
wieder als Sinnbild für die Vereinzelung des Individuums in der Anonymität der Großstadt, aber<br />
auch Schutz vor dem Zuviel an Eindrücken, Schutz vor möglichen Verletzungen. Und immer ist<br />
der Kokon die Keimzelle für Veränderung. Der Kokon wurde von innen aufgebrochen. Das<br />
Individuum hat seine Entwicklung vollendet, sich aus eigener Kraft befreit, und hat <strong>zur</strong>ück in die<br />
menschliche Gemeinschaft gefunden. Zurück bleibt die leere Hülle.<br />
Jens Lyncker<br />
ohne Titel, Fotografie (Digital C-Print), 2009<br />
Die eigene Einfahrt für das eigene heilige Blech - an der Schnittstelle zwischen privatem und<br />
öffentlichem Raum, gleichermaßen verbindend und trennend - wird durch alle <strong>zur</strong> Verfügung<br />
stehenden Mittel, wie Tore, Pfosten, Schilder, verteidigt. Doch verhindert das nicht den gleichsam<br />
voyeuristischen Blick auf das Dazwischen und Dahinter in seiner ganzen Vielfalt und gibt<br />
Aufschluss über das Verhältnis des (nicht nur Stadt-)menschen zum Auto.<br />
54 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Werkbeschreibungen<br />
Peter Magiera<br />
Protokolle des Grundwassermanagements, Schab-/Ritztechnik und Tuschezeichnung, 2011<br />
Die 18 Motive haben eine verhalten farbige Kunstpostkarte als Grundlage: „Von den Wundern“<br />
(Graphit, Buntstift 1995), ebenfalls von Magiera.<br />
Durch Schab- und Ritztechnik, sowie durch Tusche und Stahlfeder ergeben sich fließende, sich<br />
stauende, z.T. flirrende Strukturen und Bewegungsmuster, Anmutung von Wasser – verstärkt<br />
durch aufgespießte <strong>Leben</strong>ssymbole – die zarten Fische.<br />
Grundwasser in seiner Bildung und seinem Fließen ungestört, wird alles Oberirdische ernähren,<br />
tragen, auch ertragen. Aus 90 Brunnenbohrungen im Stuttgarter Innenstadtbereich und im<br />
Schlossgarten soll nun das Grundwasser - jetzt in 4 Meter Tiefe - abgesaugt werden, um den S-<br />
21-Tunneltrog trocken bauen zu können.<br />
Die Grundwasserabsenkung um 15 Meter, während der gesamten Bauzeit, wird den Baumbestand<br />
aller betroffenen Bezirke, zumal den des Schlossgartens, massiv schädigen, alle unterirdischen<br />
Rohr- und Leitungsstrukturen und auch alle Gebäude in ihrer Statik verändern. Als Erstes wird das<br />
Stuttgarter Rathaus Risse zeigen, dann der Landtag, einige Banken samt Oper, schließlich wird<br />
sich der Bahnhofsturm etwas neigen, später vielleicht auch die zentrale Wasseraufbereitung unter<br />
sich begraben, oder auf den ganzen Tunnelbahnhof krachen.<br />
Das wäre alles nicht so tragisch, aber dass Pflanzen und Jahrhunderte alte Bäume sterben<br />
werden, keine Heimat mehr sein können für Hasen, Eichhörnchen, Vögel, Käfer, dass unsere<br />
Augenweide stirbt oder vor uns flieht, wird uns erst bewusst, wenn es immer einsamer wird um<br />
uns herum und wenn es schwerfällt und schmerzt, preisgünstig zu atmen.<br />
Protokolle des Grundwassermanagements<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 55
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Doris Marquardt<br />
Müllbunker Münster, Aquarell/Collage, 2011<br />
24-teililiges, faltbares Bildobjekt, Wasserfarben auf Architektenplan des MB Mü, verpackt in 24<br />
spiegelnden Plastiktaschen, versehen mit 24 glänzenden Plastikengeln, hinterlegt mit<br />
Rosenpapier und Spiegelfolie. Je nach Lichteinfall verschwindet das Bild hinter den Spiegelungen.<br />
Der Bildgegenstand sind Figuren, Müllbunker, müllige Rosen, Rauchwolkenrosen.<br />
Lisa Meixner<br />
Chiron (wenn einer Zweigestalt ist), Video (13 min), 2010<br />
„Chiron (wenn einer Zweigestalt ist)“ ist ein Film über die menschliche Hand, über die<br />
Beziehungen zwischen Sprache und Gestik. Er verknüpft die Evolutionstheorie des französischen<br />
Anthropologen André Leroi-Gourhan mit dem Mythos des Zentauren Chiron und erzählt dabei von<br />
der hybriden Existenz des modernen, urbanen Menschen und seiner unzertrennlichen<br />
Verbundenheit mit Fahrzeugen, Touchscreens und Internetanschlüssen.<br />
Frank Mezger<br />
DRUCK, Holzschnitt, 2010<br />
Das grafische Wortbildzeichen DRUCK bezieht sich in diesem Zusammenhang auf zwei<br />
Bedeutungsebenen:<br />
1. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong>: Megalopolis/global village, hier verstanden vor allem als reale Kommunikation<br />
life – im Gegensatz zu virtueller Kommunikation. Das Zeichen Druck steht semantisch für eine<br />
Reihe von Polaritäten wie Verdichtung, kultureller Brennpunkt, Entspannung, <strong>Leben</strong>squalität<br />
gegenüber Konkurrenzdruck, Leistungsdruck, Stress, Zeitdruck, Kostendruck, (ökonomischer/<br />
ökologischer Druck), Mediendruck, politischer Druck, sozialer Druck, etc. im Konfliktfeld<br />
Kommune/ Wirtschaft.<br />
2. Vervielfältigung: Das Wortbildzeichen DRUCK ist eine Komponente der Werkreihe<br />
„Wort/Text–Form–Farbe–DRUCK–Papier“. Diese Werkreihe bildet eine „Kulturbegriffskette“,<br />
welche ihren Ursprung im urbanen <strong>Leben</strong> hat, besonders seit dem Beginn der Drucktechnik im 15.<br />
Jahrhundert- Das Zeichen DRUCK hat als Holzdruck, gedruckt vom Blockdruckstempel einen<br />
semantischen Bezug zu:<br />
- Den Printmedien=Druck=Vervielfältigung.<br />
- Es zeigt die drei Basisdruckfarben Gelb, Magenta und Cyan und im Überdruck die substraktiven<br />
Farbmischwerte Orange, Violett und Grün als Grundlage der Drucktechniken.<br />
- Das Zeichen bietet als Medium Druck im künstlerisch-technischen Reproduktionsverfahren<br />
(Bildbearbeitung) eine breite Vielfalt von Variationsgraden in den Farbstellungen bei allen<br />
Drucktechniken.<br />
56 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Christa Munkert<br />
„Das Pelzchen“, Plakate mit Dispersionsfarbe überarbeitet, 2010<br />
Überarbeitung zweier CLP-Plakate der Firma H&M mit Dispersionsfarbe.<br />
Chris Nägele<br />
Oifach schee, Lichtinstallation, 2007<br />
Werkbeschreibungen<br />
Mit einer Tapete im Stil der siebziger Jahre kaschierte Holztafel. Einzelne Ornamente werden als<br />
Lichtzeichnung in Form feiner Neonkonturen wiederholt.<br />
NERZ-KG (Brigitte Braun // Betina Panek)<br />
Himmel und Hölle, Installation und Aktion, 2011<br />
Postwurfsendungen und Prospekte, in Geschäften ausgelegt oder als Beilage in der Tagespresse,<br />
sind eine gängige Methode der Werbung. Ihre hohen Auflagen sollen möglichst viele Personen<br />
erreichen, um mit verheißungsvollen Angeboten und Abbildungen, Wünsche und Bedürfnisse zu<br />
wecken. Sie sind ein Massenprodukt, das, bevor es nach sehr kurzer Zeit zum Altpapier wird, die<br />
Aufgabe hat Massen für den Konsum von Massenware zu begeistern.<br />
Im Kontext der Installation und Aktion „HIMMEL und HÖLLE“ erhält der, <strong>zur</strong> Origamiform gefaltete<br />
Werbeprospekt, neue Bedeutungen.<br />
Zunächst transportiert der Titel dieses Spiels die Dialektik des Konsumphänomens: Fluch und<br />
Segen – Glück und Elend. Durch das Falten wird das Altpapier zu einem ansprechend bunten,<br />
ästhetischen Objekt. Seine Form hat Modellcharakter und weckt Assoziationen an<br />
Architekturelemente. Mehrere Faltformen können auch zu neuen Gebilden gestapelt werden.<br />
Durch die Faltung wird aus dem massenhaften Druckerzeugnis ein handgearbeitetes Objekt.<br />
Origami ist eine alte Kulturtechnik, die einen meditativen Charakter hat und zugleich, so wissen es<br />
die Pädagogen, Geschicklichkeit und geistige Fähigkeiten fördert.<br />
Die Arbeit „HIMMEL und HÖLLE“ berührt Fragen <strong>zur</strong> Vervielfältigung im Kunstkontext selbst, wie<br />
beispielsweise Original und Reproduktion, Multiple, Höhe von Auflagen oder die Frage nach<br />
Urheber- und Autorenschaft.<br />
Die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen ihre eigene HIMMEL und HÖLLE zu falten, sie<br />
mit nach Hause zu nehmen oder der Installation hinzu zu fügen.<br />
Diese Faltspiele der <strong>Ausstellung</strong>sgäste werden durch die Autorisierung von NERZ-KG mittels des<br />
Stempels selbst zum Kunstobjekt oder Teil der Installation. Hier wiederholt sich ein Prinzip der<br />
Warenwelt, bei dem der eigentliche Produzent nicht in Erscheinung tritt, sondern die Signatur wie<br />
ein Firmenlabel oder Markenname gesetzt wird.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 57
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Wolfgang Neufang-Fleck<br />
Straße, Digitalprint, 2011<br />
Wolfgang Neumann<br />
Bestadtung, digitale Kaltnadelradierung (Pigmentdruck auf Bütten), 2011<br />
Die elektrische Radierung wird durch eine Kaltnadelradierung auf einer Renalonplatte gewonnen,<br />
die gescannt wird. Danach wird sie mit Grautönen am Rechner „coloriert“, was in etwa einer<br />
Aquatinta ähnelt.<br />
Männer in Anzügen haben wie Straußen oder Zecken ihre großen/kleinen Köpfe im Boden/Sand<br />
stecken, machen dazu mehr oder weniger interessante gymnastische Übungen oder Faxen. Im<br />
Untergrund sieht man eine heitere Truppe weiterer Herren, die mit Schaufeln Erde nach oben zu<br />
werfen scheinen. Die Situation ähnelt einer Spatenstichsituation für große Bauvorhaben, bei<br />
denen sich Repräsentanten für Fotos zusammenfinden. Beides zusammen mit dem Titel<br />
„Bestadtung“ gibt eine bizarre und assoziationsreiche Situation wieder, die ein urbanes Bild nicht<br />
vorführt, sondern indirekt in seiner Voraussetzung spiegelt.<br />
Bestadtung<br />
Hartmut Ohmenhäuser<br />
Zerteilter Engel, Fotografie (2-teilig,SW-Ausdruck (Pigmenttinten), kaschiert auf Alu-Dibond), 2011<br />
Stümperhaft abgedeckt erscheinende Stromleitungen, teilweise mit Isoliermaterial ummantelt;<br />
Plastikfolie, Metallhalterungen mit Glasisolatoren, Relikte aus einer vermeintlich vergangenen<br />
Epoche. Zeichenhafte Botschaft: Für was steht sie?<br />
Dieses Motiv, gesehen und fotografiert in Tulle/ Frankreich, verfolge ich nunmehr seit über zwei<br />
Jahren. Es gibt weitere Ansichten, die ebenso spannend erscheinen. Die vorliegenden Fotografien<br />
entstammen der bisher letzten Serie.<br />
58 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Andreas Opiolka<br />
Custom House, Fotografie (Fine Art Print auf Kunstdruckpapier, kaschiert), 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Mitte Juni 2011 war ich zu einem Arbeitsaufenthalt in Dublin und habe in einer Reihe von Stadt-<br />
und Straßenansichten versucht, das <strong>Leben</strong> in Irlands Hauptstadt festzuhalten. Dabei ist auch die<br />
Fotografie „Custom House“ entstanden.<br />
Im Vordergrund links ist das Custom House (Symbol der ehemals britischen Macht und damit auch<br />
Zeichen des bis heute anhaltenden Konflikts zwischen Großbritannien und Irland), zentral im<br />
Hintergrund sind die Neubauten der Docklands zu sehen, z. B. das Convention Center Dublin von<br />
K. Roche mit seiner „gekippten Glastonne“ oder auch die 2009 fertig gestellte, harfenähnliche<br />
Samuel Beckett Bridge von Stararchitekt S. Calatrava, die einmal mehr das arme, nördlich der<br />
Liffey gelegene Dublin, mit dem reichen Süden verbinden soll.<br />
Die Docklands, vor Jahren noch heruntergekommenes Hafengebiet und in den 1970er-und<br />
1980er-Jahren angeblich eines der gefährlichsten Elendsviertel der, wurden ab 1996 durch die<br />
Dublin Docklands Development Authority grundlegend erneuert. Mit einem finanziellen Gewaltakt<br />
wurde innerhalb kürzester Zeit ein Stadtviertel mit Banken, schicken Büros, Shoppingcentern und<br />
Cafés aus dem Boden gestampft. Die Finanzkrise hat den Bauboom gestoppt: Bauruinen stehen<br />
neben in Stahl und Glas glänzenden Prachtbauten unserer heutigen Zeit, der umstrittene U2-<br />
Tower und der geplante „Riese“ von Antony Gormley können nicht gebaut werden.<br />
In der Konfrontation von alt und neu, mit der latent sichtbaren Gegenüberstellung von arm und<br />
reich, der Abbildung von Architektur, die Macht, Geld und Politik in unterschiedlicher Weise<br />
symbolisieren, spiegelt die Fotografie „Custom House“ das von Spannungen und Konflikten<br />
aufgeladene <strong>Leben</strong> in Dublin wieder. Mein Standpunkt als Fotograf, der Moment der Auslösung<br />
und die Art und Weise der digitalen Bildbearbeitung zeigt aber auch meine distanzierte Sicht auf<br />
die angesprochenen Problemfelder.<br />
Custom House<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 59
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Martin Palm<br />
Nacht, Fotografie (farbig, mehrteilige Serie), Jahr unbekannt<br />
Nacht (Auszüge)<br />
Dieter Paul<br />
Reisende, Spurensicherung/Foundart (gefundene Fotofixautomaten-Polaroids), 1996/97-2008<br />
Reisende (Hängung der Fotoreihe)<br />
60 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Andrea Peter<br />
Stückwerk 5 - Flurstücke -, Druckserie, Jahr unbekannt<br />
Werkbeschreibungen<br />
In der Druckserie "Flurstücke" befasse ich mich mit der Zerteilung und Zerstückelung der<br />
Landschaft - mit ihrer Ausbeutung und "Urbarmachung". Diese (Aus)-Nutzung ist für mich<br />
gleichbedeutend mit ihrer Urbanisierung, da das Land / die Landschaft ganz klar im Gefolge der<br />
Stadt und ihr untergeordnet gesehen wird – es/sie hat keinen eigenen Wert, sondern dient der<br />
Versorgung der in vielerlei Hinsicht hungrigen Stadt (Nahrungsmittelproduktion,<br />
Energieerzeugung, Umlenkung des städtischen Verkehrs auf das Land, Wohnraumbeschaffung<br />
etc.).<br />
Sie besteht aus Einzeldrucken und kleinen Druckserien, die sowohl scheinbar unberührte<br />
Landschaftspartien, als auch industrialisierte sowie zerklüftete, zusammengestückelte Landschaft<br />
enthalten.<br />
Flurstücke (Auszug)<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 61
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Hans Pfrommer<br />
3 verworfene Entwürfe für ein Willy-Brandt-Denkmal Im Kreisverkehr, Linolschnitt, 2010<br />
Diese drei „Entwürfe“ stellen isoliert drei Details im <strong>Leben</strong> des Politikers dar, die der Nicht-Brandt-<br />
Experte in der Zeit nach Willy Brandt möglicherweise als erstes assoziiert: Den Kniefall in<br />
Warschau, die durch eine Darstellung des Stolperns über ein Dickicht aus Mikrofilm reichlich<br />
einfältig symbolisierte Guillaume-Affäre und schließlich das berühmte gewordene Zitat vom<br />
Zusammenwachsen dessen was zusammengehört, hier durch zwei seltsam florale Elemente ins<br />
Bild gesetzt.<br />
Der gewisse Pathos, der diesen erwähnten Geschichtsausschnitten (wie eigentlich jedem<br />
Denkmal) eignet, steht im Gegensatz zum profanen Funktionsbau Kreisverkehr, dessen Nutzung<br />
dem einzelnen Verkehrsteilnehmer auch kaum Zeit und Aufmerksamkeit zu einem bewussten<br />
Erinnern an irgendwelche ehemaligen Bundeskanzler gewährt.<br />
Außerdem stellt der Kreisverkehr eine Schnittstelle zwischen urbanem <strong>Leben</strong> und dem finanziellen<br />
Überleben mancher Bildender Künstler dar: Dadurch, dass seit einigen Jahren der Umbau<br />
normaler Straßenkreuzungen zu „Kreiseln“ dermaßen en vogue geworden ist, beziehen sich auch<br />
ein stattlicher Anteil aller Ausschreibungen von Kunst-am-Bau-Aufträgen auf die künstlerische<br />
Gestaltung von eben Kreisverkehren.<br />
Mein Linolschnitt kann also als die Darstellung erster noch nicht befriedigender (und deshalb<br />
energisch getilgter) Gedanken und Skribbeleien irgendeines mit entsprechender Aufgabe<br />
versehenen Bildhauers gelesen werden, als der noch nicht ganz geglückte Versuch, einen<br />
Ausschnitt urbanen <strong>Leben</strong>s etwas aufzuhübschen.<br />
Bronislava von Podewils<br />
Turbinen, Metall und Karton, 2011<br />
Mein Ansatz ist Abfallprodukte wieder in den Alltag zu integrieren.<br />
Ausgediente Lampenschirmgestelle, die mit farbig gefassten Kartonstreifen als Schirm versehen<br />
sind, werden zu Objekten die nicht mehr an ihren ursprünglichen Zweck denken lassen. Sie<br />
erinnern waagerecht ausgerichtet eher an Maschinenteile.<br />
Sie könnten ganz schwer sein, doch alles nur feig, Sie sind leicht und sind nicht wirklich<br />
Maschinenteile. Verpackungskartons, die durch einen lasierenden Farbauftrag einen „neuen“<br />
sowie anderen Charakter bekommen, der mich an die Struktur von Krokodilhaut erinnert, macht<br />
für mich die Objekte bei genauerem hinsehen noch dubioser.<br />
62 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Helmut Ranftl<br />
Entrata, Montage aus Inkjet-Drucken/ Wachs auf handgeschöpftem Papier, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Oftmals wird von der Türe bzw. dem Eingangsbereich eines Gebäudes vom „Gesicht“ des Hauses<br />
gesprochen. In unserem urbanen Umfeld fällt unter anderem die Eintönigkeit des<br />
Massenproduktes Haustüre negativ auf. Vervielfältigte Banalität und Hässlichkeit stehen im<br />
Gegensatz zu persönlicher Ausstrahlung vieler Eingänge von Bauwerken in italienischen Städten:<br />
Gegenbilder!<br />
Die künstlerisch umgesetzte Vervielfältigung findet dementsprechend nicht mit geschönten<br />
Hochglanzfotos statt, sondern mit Inkjet-Drucken auf handgeschöpftem Papier, die <strong>zur</strong><br />
Stabilisierung der Farben mit Wachs überzogen werden. Dadurch bleibt die Einmaligkeit und<br />
Morbidität dieser Eingangs-Strukturen lebendig und jedes ausgedruckte Foto bekommt sein<br />
Eigenleben.<br />
Entrata<br />
Martin Rauch<br />
LPA + Schiff, Installation (UV-Inkjetprint und Papier), 2011<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 63
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Christina Redenbacher-Merkert<br />
<strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> – im Auge behalten, Collage, 2011<br />
<strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> wird dargestellt an der Widerstandsbewegung gegen Stuttgart 21, die das <strong>Leben</strong><br />
in dieser Stadt nachhaltig verändert hat und weit über die lokalen Grenzen hinaus Beachtung<br />
findet. Es wurde eine Collage gestaltet, in der ausschließlich vervielfältigtes Material wie<br />
Postkarten, Zeitungsausschnitte, Prospekte, Reproduktionen auch eigener Werke sowie Embleme<br />
des Aktionsbündnisses verwendet werden.<br />
Die Komposition ist bildnerisch und inhaltlich streng durchgestaltet; jedes Teil, bis hin zum<br />
kleinsten Schnipsel, hat eine doppelbödige oder mehrschichtige Bedeutung – symbolisch,<br />
philosophisch, bildhaft. So wird zum Beispiel Schiller – Dichter, Revolutionär, Philosoph, Schwabe<br />
– ebenso eingebunden in Bild und Wort wie der Schmetterling als Symbol der Metamorphose.<br />
Die Collage ist wie ein Musikstück aufgebaut dessen Hauptthema, mit Variationen, der Bahnhof<br />
ist. Dieser Bahnhof ist ein Wahrzeichen der Stadt und steht für Kraft, Bewegung, Ideal, Kunst. Er<br />
ist der dramatische Mittelpunkt des Ganzen. Beobachtet wird das Geschehen von vielen Augen,<br />
die diese Bewegung im urbanen <strong>Leben</strong> Stuttgarts aufmerksam verfolgen.<br />
Sieglinde Reiche<br />
Schwebezone, Linolschnitt (Hochdruck, Schablonendruck, Maschinenabzug, Offsetfarbe auf<br />
Cromolux-Papier), 2005<br />
Ganz aktuell steht die Entscheidung <strong>zur</strong> Präimplantationsdiagnostik (PID). Die PID greift ganz<br />
unmittelbar und im frühesten Stadium in das Individuum Mensch ein und hat eher die Tendenz <strong>zur</strong><br />
Vereinheitlichung/Vervielfältigung. In meinen Arbeiten befasse ich mich mit der Spannung, die<br />
jeder Mensch in der westlichen Kultur durchlaufen muss, bevor er auf die Welt kommt. Er wird<br />
vorher durchgecheckt, ob er in unser modernes <strong>Leben</strong> passt. Vervielfältigung des Menschen in<br />
unserer modernen Gesellschaft.<br />
Thomas Reichle<br />
Freies Spiel der Lichter 1 und 2, Fotografie, 2010<br />
Irrlichter streben scheinbar richtungslos in die hereinbrechende Nacht und doch ist in der<br />
Bewegung eine gewisse Ordnung, eine Schraffur zu erkennen. Die Dichte der Stadt, ihre<br />
bemessenen Areale, ihre bunten Lichter spiegeln sich in dunklen Fensterfronten wieder. Die Achse<br />
aus Licht gibt im 2. Bild plötzlich Menschen zu erkennen, die in den Quartieren der Stadt auf der<br />
Suche sind.<br />
64 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Werkbeschreibungen<br />
Eva-Maria Reiner<br />
Hemdentisch (Gitter), Objektinstallation (Blusen, Hemden, Bildhalter, Tischgestell), 2011<br />
Für die Arbeit „Hemdentisch (Gitter)“ verwende ich handelsübliche rahmenlose Bildhalter sowie<br />
Damenblusen und Herrenhemden, sogenannte Konfektionsware. Die Hemden und Blusen<br />
kommen direkt aus dem Handel, manche sind noch mit dem Preisschild oder dem Label des<br />
Herstellers versehen.<br />
Die Textilien sind weißgrundig und tragen diverse Gittermuster, in die Rückenpartie spanne ich<br />
einen Bildhalter ein, welcher das jeweilige Stoffdesign hervorhebt. Die bestückten Bildhalter<br />
drapiere ich, mit der Glasscheibe nach oben und bestimmten Ordnungsprinzipien folgend, auf<br />
einem Tisch. Die aus dem Glas überstehenden Kleidungsteile – Schultern, Kragen und Ärmel -<br />
hängen im lockeren Faltenwurf über die Tischkante herab.<br />
Susa Reinhardt<br />
Mädchen, Fotoserie (C-Print), 1999-2011<br />
Im Jahr 1999 habe ich eine Serie zum Thema Abbildung und Selbstdarstellung von Mädchen<br />
begonnen. Es geht dabei um Mädchen im Alter von 14 bis 22 Jahren, die mit ihrer Eigenart im<br />
Mittelpunkt der Aufnahmen stehen. Ich möchte zeigen, wie die Mädchen die Images der Medien<br />
nutzen, um ihr Aussehen besser <strong>zur</strong> Geltung zu bringen.<br />
Der affirmative, scheinbar ungebrochene Umgang mit den Medien wirkt gegenwärtig stärker denn<br />
je. Sich in Bezug zu Bildern aus den Medien zu bringen ist fur Teenager eine<br />
Selbstverständlichkeit geworden. Innerhalb dieses Rahmens zeigen die Fotografien die<br />
Verletzlichkeit, Originalität und wirkliche Stärke der Mädchen. Die Grenze von Projektion und<br />
Authentizität innerhalb dieses Szenarios ist nicht mehr sichtbar, und es entsteht fur mich eine<br />
reizvolle, komplexe und mysteriöse Schönheit, die ich abbilden möchte.<br />
Bei der Auswahl der Umgebungen dient auch Landschaft als Projektionsfläche von Emotionen.<br />
Natur symbolisiert immer auch ambivalente, existentielle Gefuhle, die fur mich in Verbindung <strong>zur</strong><br />
spannungsgeladenen Zeit der Pubertät stehen.<br />
Jenny (Auszug aus der Serie Mädchen), 2001<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 65
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Heinz Renke<br />
Frau, Collage (Schwarz/weiß), 2004<br />
Georg Ribizel<br />
PolitKUNST, Collagen, 1986-96/1999/2003-2011<br />
Serie von Text/Bildcollagen auf Grundlage von politischen Plakaten zu Hartz 4, dem G8 Gipfel und<br />
Stuttgart 21.<br />
Linus Roeder<br />
Palettenklötze, Installation (Holz), 2010/2011<br />
Die Europalette – dieses Jahr 50 geworden – ist wie ein Symbol für rationalisierten, uniformierten,<br />
globalisierten Verkehr. Von Stadt zu Stadt, von Region zu Region, von Land zu Land, von<br />
Kontinent zu Kontinent. Immer schneller, immer weiter, immer austauschbarer. Überall gibt es<br />
dieselben Geschäfte, dieselben Fußgängerzonen, dieselben Sachen mit den mutmaßlich<br />
wichtigen Labels drauf.<br />
Ob Stuttgart, Frankfurt, Berlin, ob Wien, Kopenhagen, Paris, ob New York, Melbourne, Tokio –<br />
überall sieht man immer dieselben uniformierten Menschen in sich immer gleicher werden<br />
Städten.<br />
Dieser Warenträger ist nach DIN EN 13698 exakt 120 cm x 80 cm x 14,4 cm groß, besteht aus 11<br />
Brettern und 9 normierten Holzklötzen, die mit 78 Spezialnägeln, jeder in genau vorgegebener<br />
Position, dem Nagelbild, zusammen gehalten werden. Alles, absolut alles ist an diesem Produkt<br />
vorgeschrieben. Die Epal, ein behördenartiger Dachverband, vergibt Lizenzen <strong>zur</strong> Herstellung und<br />
überwacht weltweit die Einhaltung der gesetzesgleichen Produktionsbestimmungen, sodass alle<br />
70 Millionen jährlich fabrizierten Paletten exakte Klone der Urpalette sind. Jede Individualität ist<br />
unbedingt zu vermeiden!<br />
Und doch scheint sich auch dieser gesichtslose Warenträger gegen eben diese Gesichtslosigkeit<br />
zu wehren: jede schreibt ihre eigene Geschichte. Die Spuren, die auf ihren Reisen um die Welt in<br />
die Paletten eingraviert werden, machen sie zu Individuen.<br />
Die verwundeten Palettenklötze sind höchst individuell und sehr ästhetisch.<br />
Wolfgang Roh<br />
Sublimation, Fotografie, 2011<br />
In urbanen Räumen treffen dynamische Abläufe auf statische Strukturen. Geschwindigkeit lässt<br />
Details in der Wahrnehmung verschwinden. Je größer die Geschwindigkeit, desto mehr fällt der<br />
Blick auf das Ganze; die Konturen werden weich bis sich die Formen schließlich auflösen. Urbane<br />
Strukturen zeigen sich von ihrer abstrakten Seite.<br />
66 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Imelda Ruch<br />
Urban, Xerografie von Collage, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
In meiner Arbeit habe ich Sprache verwandt, weil ich finde, dass sie ein wichtiges Medium ist, das<br />
gleichzeitig Bewegung bringt und das bewegte Zentrum definiert und unterstützt.<br />
-<strong>Leben</strong>sbereich Stadt --- Energie und Chaos-<br />
Maria Gracia Sacchitelli<br />
Zuspiel, Installation mit Fundstücken, 2011<br />
Seit Monaten sammle ich die Überbleibsel von Plakaten und Aushängen im öffentlichen Raum,<br />
wie Klebebänder, Papierreste, Kordel, usw. Ich finde sie auf Hauswänden, Stromkästen,<br />
Fensterscheiben und Bauzäunen der Stadt Stuttgart.<br />
Die bildlich-schriftliche Kommunikation im urbanen Umfeld ist durch die Vervielfältigung von Text<br />
und Bild geprägt. Diese gesammelten Papierstücke und Klebereste sind ihre beiläufige<br />
Begleiterscheinung und geben auf subtile Weise Auskunft über die Fülle vermuteter Botschaften<br />
im öffentlichen Raum.<br />
Heike Sackmann<br />
Lost in the city, Collage/Fotomontage, 2011<br />
Die Frage nach dem Code, Collagen-Tableau, 2011<br />
In den letzten fünf Jahren hat sich die Künstlerin Heike Sackmann hauptsächlich mit grafischen<br />
Techniken auseinandergesetzt. In dieser Zeit ist auch der Werkzyklus „Was am Tage übrig blieb –<br />
Bruchstücke der Nacht“ entstanden.<br />
Die Collage „Lost in the City“ blieb als Ausgangswert für „die Frage nach dem Code“ beibehalten.<br />
Lost in the city<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 67
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Monika Schaber<br />
Map, Holzschnitt (9-teilig, Offsetfarbe auf Japanpapier), 2007-2010<br />
Ausgangspunkt der Arbeit ist eine Tischlerplatte, die schrittweise mit der Bohrmaschine bearbeitet<br />
wurde. Erste spärliche Markierungen verdichten sich und zeigen nach und nach Strukturen, die an<br />
aus großer Höhe gesichtete Siedlungsfelder erinnern, die sich in weiteren Bearbeitungsphasen<br />
dann aber auch wieder aufzulösen scheinen.<br />
Die Bearbeitungszustände wurden über Handabzüge dokumentiert. Die Drucke führen in der<br />
kartenartigen Zusammenstellung, je nach Anordnung, zu neuen bildnerischen Aussagen.<br />
Die Arbeit „Map“ erinnert in ihrer Ambiguität an die Verletzlichkeit und Flüchtigkeit unserer<br />
scheinbar so soliden Strukturen.<br />
Edeltraud Schäfer<br />
upside-down oder Metamorphose des Konsums, Collage (Papiereinkaufstüten und Acrylfarbe),<br />
2010<br />
Konsumkritik – Einkaufstüten als Sinnbild des Konsums.<br />
Was, wenn sie kopfstehen?<br />
Identische braune Papiereinkaufstüten - mit identischen Faltungen, linear angeordnet in zwei<br />
Richtungen, mit gleichen Abständen - entwickeln sich durch konkret-geometrische und sich<br />
wiederholende Farbfelder in Schwarz und Weiß zu einer neuen, dreidimensionalen<br />
Eigenständigkeit.<br />
Kerstin Schaefer<br />
wie gerufen, Wandinstallation (industrieller Wandteppich als Pinnwand, mehrfach<br />
übereinanderkopierte und bemalte sowie collagierten Zettel & DIN A4-Kopien (Unikate),<br />
Stecknadeln), 2011<br />
Kerstin Schaefer spickt einen IKEA-Standardteppich mit unkenntlich gemachten Kopieunikaten.<br />
Die Informationen der Überlagerungen sind chaotisch, unleserlich und lächeln kryptisch. Sie sind<br />
1A akkurat gehängt. Jedes der einzelnen Blätter feilscht gierig um die Aufmerksamkeit des<br />
vorbeistreifenden Besuchers und tut so, als wäre nichts. Das Tonerschwarz saugt alles auf.<br />
Ist das hier ein Kontakthof oder hat einer eine echte Wut?<br />
68 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Michael Schager<br />
Die Erkenntnis, Fotocollage, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Wie definiert man Urban(ität)?<br />
Was bedeutet Urbanität im Zusammenhang mit Architektur/Städtebau und Soziologie?<br />
Architektur/Städtebau<br />
- bezeichnet den Eindruck von Stadt hervorrufende Anmutung eines Raums<br />
- Die Anmutung ergibt sich grundsätzlich sowohl aus bestimmten Mustern baulicher Strukturen, als<br />
auch aus bestimmten Mustern von Funktionen bzw. der Benutzung eines Raums<br />
- Stimmen die wahrgenommenen Muster mit dem überein, was eine Person oder eine Mehrzahl<br />
von Personen als typisch städtisch begreift, wird dem entsprechenden Raum Urbanität<br />
zugesprochen<br />
Soziologie<br />
- wird eine <strong>Leben</strong>sweise umrissen, wie sie in einer Groß- oder Weltstadt entstehen kann: das<br />
kritisch-kühle, wendige Verhalten des sich in zahlreichen sozialen Rollen bewegenden und<br />
informierten Großstädters im Gegensatz zum unkundig-einspurigen "provinziellen" Verhalten der<br />
Landbevölkerung<br />
Fragen, welche die Definition und die aktuelle politisch-künstlerische Situation aufwerfen<br />
- Wie soll die Zukunft der Stadt aussehen?<br />
- der Bürgermeister lädt zum 5. Weltkongress „Urban mobility and the social space challenge“<br />
- im Schauspiel Stuttgart läuft „Metropolis/The Monkey Wrench Gang“ wo genau dieses Thema<br />
umgesetzt wird<br />
- der informierte/mündige Bürger fragt sich „Wem gehört die Stadt?“, „Wie soll die Zukunft der<br />
Stadt aussehen?“<br />
- Warum sehen z. B. Einkaufszentren in jeder Stadt gleich aus?<br />
- Dürfen Chinesen ein ganzes Dorf kopieren?<br />
- Existieren bald nur noch Kopien von den Kopien?<br />
- Müssen/Dürfen/Sollen letzte Refugien vereinnahmt werden?<br />
- Geht es nur noch schneller, weiter, höher? Künstliche Inseln im Meer, mit Wolkenkratzern<br />
Weltrekorde aufstellen…<br />
- Wo findet man sich als Individualist in Zeiten der Globalisierung noch wieder?<br />
- Soll man sich überhaupt wiederfinden?<br />
Thematische Umsetzung in einer Collage<br />
- Der Charakter des einsamen Stadtmenschen wurde aus Zeitungsausschnitten entwickelt<br />
- Dieser wurde dann fotografiert und als Kopie in die urbane Landschaft eingefügt<br />
- Für den urbanen Hintergrund wurden etliche Häuserausschnitte zu einem Bild zusammengefügt<br />
und kopiert<br />
- Um einen räumlichen Effekt zu erzielen wurden nochmals einzelne Fragmente kopiert und in<br />
unterschiedlicher Höhe wieder in die Collage eingefügt<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 69
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Nicole Scheller<br />
Amorphe Blüten, Collage aus Versandhauskatalogen, 2008<br />
Die mechanische Vervielfältigung durch industrielle Massenproduktion unterscheidet sich von der<br />
Vervielfältigung in der Natur. Meine Arbeiten stehen im Spannungsfeld von aus<br />
Massenproduktionen entstandenem Material und einer Formgebung, die an natürliche, organische<br />
Prozesse erinnert.<br />
Bei der Arbeit „amorphe blüten“ werden Versandhauskataloge in sich verjüngenden Schichten so<br />
angeordnet, geschnitten und übereinander geklebt, dass Formen entstehen, die an Blüten oder<br />
menschliche Formen erinnern. Die Einzelteile sind miteinander verbunden, bilden einen<br />
gemeinsamen Organismus, der unhierarchisch strukturiert ist. Es entsteht eine plastische<br />
Oberfläche, jede Figur besitzt ein Zentrum. Die unterschiedlichen Schichten spielen an auf<br />
Scheinidentitäten, mit denen Menschen sich umgeben, mit denen unter anderem in<br />
Versandhauskatalogen geworben wird: Mode, Schmuck, Möbel, Ambiente,... Die Reklamewelt der<br />
Versandhauskataloge flimmert in diesen Schichten um die menschlichen Figuren, deren<br />
Formverwandtschaft mit Blüten gleichzeitig auf ihre Identität als Teil der Natur hinweist.<br />
Bei meinen Arbeiten aus PET-Flaschen, deren Bestandteile zu Blüten umgeformt werden, wird ein<br />
Massenprodukt aus Kunststoff scheinbar in den natürlichen Kreislauf <strong>zur</strong>ückgeführt und auf seine<br />
ästhetischen Möglichkeiten hin untersucht.<br />
Die natürlichen Ressourcen Holz und Erdöl sind Ausgangsmaterialien für Kunststoffe.<br />
Plastikblumen, die aus toten Ästen wachsen, weisen auf diesen natürlichen Prozess hin.<br />
Weitere Informationen auf meiner Homepage: www.malerei-nische.de<br />
Yvonne Schenk<br />
„Imaginärer Sommerspaziergang im Regen am See“, Fotografie, 2011<br />
Gegenbild in Bezug auf das urbane <strong>Leben</strong>; Sehnsüchte eines Städters<br />
Materialien: Elemente der Massenproduktion wie Abfallpapier, Verpackungsfolie mit Sprühfarbe,<br />
Spiegelglasscherben kombiniert mit abgestorbenen Pflanzenteilen aus der wahren Welt (mehr<br />
wird vom Schlosspark wohl nicht übrigbleiben).<br />
70 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Reinhard Scherer<br />
Orte, Photoprint auf Al-Dibond, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Kristalline Skulpturengruppen aus Stahl bilden durch unterschiedliche Formen, Charakteristik und<br />
Größe „Orte“. Als Modelle können sie auf den urbanen Raum übertragen werden.<br />
Orte<br />
Edgar Schmandt<br />
Im System, MT auf Papier, 2011<br />
Die Welt in Zahlen, Zeichen, Scalen, Nummern, Ziffern, Tabellen, Daten, Codes, Programmen,<br />
Schaltungen – Das vermessene, vernetzte, archivierte, gespeicherte, geortete, errechnete.<br />
Programmierte, digitalisierte Individuum.<br />
Eva Schmeckenbecher<br />
ohne Titel, Collage (C-Prints auf MDF), 2002<br />
Im Umgang mit dem fotografischen Bild als Stellvertreter von Wirklichkeit wird das Gestalten von<br />
<strong>Leben</strong>sräumen und das persönliche Verorten darin hinterfragt.<br />
Abbild-/Motivebene, formale/strukturelle Ebene, Material, unterschiedliche Eigenschaften der<br />
verwendeten Bildmedien, Textfragmente und Betrachterwirklichkeit vernetzen sich.<br />
Collage ohne Titel<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 71
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Martin Bruno Schmid<br />
Bukarest Billboards, Fotografie, 2011<br />
Die ca. 150 Fotografien umfassende Serie der „Bukarest-Billboards“ entstand während zweier<br />
Arbeitsaufenthalte in Bukarest in den Jahren 2009 und aktuell 2011.<br />
Beeindruckt von der großen Zahl an leeren, weißen, nicht vermieteten Werbeflächen durchstreifte<br />
ich die Metropole und dokumentierte diese städtischen Situationen in Fotografien.<br />
Interessant zu sehen, was sich innerhalb dieser zwei Jahre in der Stadt bewegte und veränderte.<br />
So waren einige Werbefläche immer noch leer und (verschmutzt) weiß, andere inzwischen<br />
vermietet, (viele) neue (aber auch noch leere, nicht vermietete) kamen hinzu.<br />
Die leeren Billboards entwickelten sich für mich zum (traurigen) Sinnbild dieser Stadt, einer<br />
Metropole auf dem unbarmherzig schnellen Weg in Richtung West.<br />
Für die <strong>Ausstellung</strong> im WKV möchte ich mich auf eine radikale Auswahl von max. 5 gerahmten<br />
Fotografien beschränken. Anhand einer Auswahl von fünf Fotografien lässt sich meines Erachtens<br />
trotz der extremen Limitierung die Serie sinnvoll und verständlich im Sinne des Themas „<strong>Urbanes</strong><br />
<strong>Leben</strong> / Vervielfältigung“ darstellen.<br />
Ulrich Schmidt<br />
jealousie, Inkjetdruck (Lackspray, und Acryl auf Papier), 2011<br />
Ein Werkzyklus aus insgesamt 20 Einzelbildern.<br />
Aus Beton, dem gesichtslosen Billigbaustoff, entstehen massenhaft unbunte, beängstigende, viel<br />
zu große, tote Umgebungen, Funktions- und Wohnmaschinen, in die der Mensch mit Graffiti etwas<br />
Farbe bringt. Auch die Schablone, die dazu verwendet wurde, erlaubt die Vervielfältigung. Aber es<br />
entsteht ein imaginäres Fenster. Und in diesem geschieht <strong>Leben</strong> - der Mensch und das durch ihn<br />
gestaltete individuelle Umfeld kommt zu Vorschein. Jetzt kann eine Geschichte erzählt werden.<br />
Für Ulrich Schmidt ist die urbane Umgebung die Quelle für Motive, die während der künstlerischen<br />
Umgestaltung ein Eigenleben entwickeln. So entstehen dynamische Farbräume, die im Detail<br />
abstrakt wirken, während das Motiv im Gemälde als Ganzes wiedererkennbar ist, und dann<br />
überraschend neu wirkt.<br />
Für die Mitgliederausstellung 2011 hat er einen eigenen Werkzyklus entwickelt, der den Menschen<br />
als Opfer und Gestalter seiner <strong>Leben</strong>sumgebung in den Mittelpunkt setzt.<br />
jealousie (Auszug)<br />
72 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Clemens Schneider<br />
Magic City, Videopanoramazeichnung (11 Min), 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Die Videopanoramazeichnung ist eine Panoramazeichnung, die mit einer Filmkamera abgefilmt ist<br />
und nur als Videofilm gezeigt wird. Sie besteht aus zwei Teilen:<br />
Der erste Teil der Videopanoramazeichnung zeigt eine imaginäre Stadtansicht (mit Bleistift<br />
gezeichnet). Der zweite Teil besteht aus einer Bleistiftzeichnung und Fotocollageelementen.<br />
Volker Schöbel<br />
BOPSERWALD - Das Leiden und Sterben der Bäume, Fotografie, 2008-2011<br />
Diese Baumserie in 11 Bildern zeigt meine momentane Arbeit und mein Interesse, Veränderungen<br />
in mir und ausserhalb von mir in meiner unmittelbaren Umgebung, dem Bopser, zu suchen, zu<br />
entdecken und in Schwarzweiss- Fotoserien festzuhalten. Längere Zeit schon ist der Bopser für<br />
mich der Ort, an dem ich diese Wahrnemungen direkt erlebe. Im Laufe der zeit verändert sich der<br />
blick, verändern sich die Gedanken, die Empfindungen und die Kreativität.<br />
Jeder Tag ist anders, ist neu, bringt überraschendes, unvorhergesehenes, jede Lichtsituation ist<br />
unvergleichlich, sie bestimmt den Rhythmus, den intensiven blick, die Sehweise das veränderte<br />
Interesse. Immer wieder sind es vor allem die Bäume im Bopserwald, die ich aufsuche, weil sie<br />
gefällt werden, gestapelt UND abtransportiert werden. ich begegne ihnen öfters, den schönen und<br />
stattlichen, den hundertjährigen oder den noch viel älteren, die aber in absehbarer zeit gerodet<br />
und gefällt werden, die beschnitten und verletzt zu traurigen Haufen zusammengekarrt werden<br />
und meistens ein bitteres ende in einem Sägewerk finden.<br />
Die Bäume im Bopserwald,<br />
sie leiden und sterben.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 73
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Renate Schöck<br />
<strong>Urbanes</strong> Miteinander, Fotografie, Jahr unbekannt<br />
Die Serie (Fotos) beleuchten ein Paar, welches durch eine städtische <strong>Ausstellung</strong> geht. Sie fit, er<br />
gebrechlich im Rollstuhl sitzend, ein Bild des Miteinander zweier Stadtbewohner. (Es sind 5 Fotos<br />
in denen der Weg durch die <strong>Ausstellung</strong> gezeigt wird.)<br />
Thorsten Schuberth<br />
Patterns, Bleistift auf Papier, 2010<br />
<strong>Urbanes</strong> Miteinander (Auszug)<br />
Zeichnen ist für mich eine Methode, zeitlich-räumliche Bewegungen und Entwicklungen zu<br />
verstehen und fest zu halten.<br />
In den beiden Arbeiten wird die Nutzung zweier Stuttgarter Plätze festgehalten (Marienplatz und<br />
Marktplatz).<br />
Marienplatz (Auszug aus "Patterns")<br />
74 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Ulrike Schuck<br />
VerkorXste Stadt, Fotografie, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Wie Spielfiguren, fühlen sich die Menschen M_01_11 auf dem Plan der Stadt, scheinbar wahllos<br />
verstreut, zugleich zu Gruppen sortiert, bewegen sie sich auf der urbanen Struktur des Plans.<br />
Einige sind verstrickt, verbunden mit der Gruppe, andere stehen mehr als Außenseiter scheinbar<br />
als Beobachter daneben, und schauen auf die verkorXste Stadt.<br />
Jörg Michael Schulz<br />
Zeitschnitt, Fotografie (Montage/C-Print), 2007<br />
„Zeitschnitt“ bildet die Phase 3 der Reihe „24 hours in a city“. In dieser Reihe geht es in mehreren<br />
Phasen um die künstlerische Repräsentation der Stadt mit Hilfe von Regeln, die das genaue<br />
Hinschauen provozieren.<br />
Phase 1 (Querschnitt) suchte die Stadt in einem Querschnitt zu sezieren. Phase 2 (Ikonographie)<br />
ergründet mittels der Isolierung von Details die Ikonographie der Stadt.<br />
Phase 3 (Zeitschnitt) schneidet Momente aus der Vielfalt des Geschehens und legt die<br />
Ausschnitte übereinander. Die vervielfältigende Abbildung einzelner Momente auf ein einziges Bild<br />
löst das Wesen der fotografischen Abbildung auf: Statt aus der Vielfalt der möglichen Augenblicke<br />
einen Augenblick zu fixieren, legt die Montage sie dutzendweise übereinander.<br />
Gezeigt werden drei Szenen eines Winterabends einer Kreuzung in der Hauptstadt.<br />
Zeitschnitt (Auszug)<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 75
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Peter Schumann<br />
Goddess Hebe and King Burger, Fotomontagen, 2011<br />
Goddess Hebe, Gemälde (Gouache-Technik), 2008<br />
Ausgangsbasis des Zyklus ist ein Gemälde.<br />
Es zeigt die mythologische Figur Hebe, die im Begriff ist ihr Attribut, eine Schale, fallen zu lassen.<br />
Das Gemälde findet sich wieder als Fotomontage in einer Folge von Stadtansichten. Fotografiert<br />
wurden banale Motive, gefunden an alltäglichen Wegen.<br />
Sinn der Fotomontagen ist es, die Banalität der Orte aufzubrechen, eine poetische Umwandlung<br />
zu bewirken. Die Durchdringung von urbaner Wirklichkeit und künstlerisch subjektiver Bildkreation<br />
anhand von Reproduktionen, führt zu vielfältigen Bedeutungsebenen.<br />
Goddess Hebe and King Burger (Auszug aus Fotomontagen- Reihe)<br />
Ingrid Schütz<br />
Dornröschenweg, Fotografie (21-teilig, 21 C-Prints), 2007/2011<br />
Dornröschenweg, Schneewittchenweg, Rotkäppchenweg,… Ein Märchenviertel in der Stuttgarter<br />
Vorstadt. Fotografiert sind Straßenschilder mit Märchennamen und dazugehörige Details der<br />
Straßen, Vorgärten und Häuser in Möhringen. Die Motive stehen für die (vergebliche) Suche nach<br />
dem Märchenhaften in der suburbanen Architektur einer typischen Vorstadtwohnsiedlung. Die<br />
romantische Vorstellung, welche die Märchennamen evozieren, wird konterkariert durch die<br />
spießbürgerliche Architektur der 60-iger/70-iger Jahre, die teilweise im Hintergrund der<br />
fotografierten Straßenschilder oder auf Einzelmotiven zu erahnen ist.<br />
76 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Michael Schützenberger<br />
Handy, Objekt (Holz, Nagel, Farbe), 1995<br />
Ulrich Seibt<br />
choise # 3, Materialmix, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Objekt aus Gegenständen der Einrichtungsbranche und des Baumarktes, geteilt, geformt,<br />
montiert.<br />
Petry Seidel<br />
meine Stadt – gestreift, Fotografie (überarbeitet), 2011<br />
Zu dem Thema habe ich eine überarbeitete, 9- teilige Fotoserie gestaltet. Es geht um Plätze und<br />
Straßen auf denen sich `Stadtmensch´ häufig aufhält. Die Basis als Treffpunkt hat aktuell einen<br />
besonderen Stellenwert. Ich denke z. B. an den Tahrirplatz in Kairo, auf dem die Welle der<br />
arabischen<br />
Demokratiebewegung einen Meilenstein erreicht hat.<br />
Die Streifen und andere Vorgaben stehen metaphorisch für Möglichkeiten – hier darf man dies und<br />
das, auch Zurechtweisungen, Barrikaden, Einschränkungen. Manchmal werden die Verordnungen<br />
von Bürgern in Frage gestellt, immer häufiger. Wir fragen uns - wem gehört die Stadt ?<br />
Eun-Joo Shin<br />
Ehepaar, Linoleumdruck (2-teilig), 2011<br />
Die beiden eingereichten Bilder sind Linoleum-Drucke und bilden eine Werkeinheit. Dargestellt ist<br />
ein seit kurzem verheiratetes homosexuelles Paar. Die beiden symbolisieren Freiheiten, welche<br />
Menschen in Großstädten haben. Deren Anonymität wird durch die plakathafte Wirkung des<br />
Linolschnittes unterstrichen, die einen Abstand zwischen die individuellen Persönlichkeiten der<br />
Dargestellten und den Betrachter bringt.<br />
Die Bilder entstanden in einer aufwendigen Drucktechnik in drei Schritten, in denen sukzessive<br />
immer mehr Linoleum entfernt wurde (Methode der „verlorenen Platte“). Die drei Farbschichten<br />
des fertigen Druckes verleihen dem Bild mehr räumliche und emotionale Tiefe, als dies bei dem<br />
klassischen Druckverfahren mit einer Platte möglich wäre.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 77
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Elisabeth Smolarz<br />
Insha'Allah, Video, 2011<br />
„Insha'Allah“ (If It's God's Will) explores the fast track urbanization in Doha, caused by the wealth<br />
produced by Quatar's oil and gas exports. The effort to achieve a global urban identity results in a<br />
„copy and paste“ - pattern of Western architecture, which is being created for a population that<br />
hasn't arrived yet. Filmed during a sand storm on a saturday, the video shows empty streets and<br />
construction sites – between bright future and apocalypse.<br />
Kathrin Sohn<br />
Meine Stadt, Film (11 Min), 2011<br />
Wie sieht eigentlich mein urbanes <strong>Leben</strong>, meine Stadt aus? Wie bewege ich mich in der Stadt?<br />
Wie brauche/verwende/nutze ich Stadt?<br />
Vor den Augen des Betrachters entsteht ein Stadtplan, mein persönlicher Stadtplan von Stuttgart.<br />
Mit dem Stift werden die regelmäßig <strong>zur</strong>ückgelegten Wege und Orte nach gefahren, bzw. markiert<br />
und die jeweilige Nutzung angegeben. Die Länge und der Verlauf der Strecken, die Abstände und<br />
Größe der Orte werden der subjektiven Wahrnehmung entsprechend wiedergegeben.<br />
Stef Stagel<br />
Die Konjunktur kommt nur langsam wieder auf Touren, Rauminstallation (Diaprojektion auf<br />
Glasscheiben)<br />
Die Installation erzeugt mit reduzierten Mitteln ohne den Einsatz von Abbildungen den Eindruck<br />
des 'Von-einer-komplexen-Struktur-Umgebenseins', vielschichtig und transparent.<br />
78 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Aurélie Staiger<br />
Stuttgarts’ feurige Vergangenheit, Installation (Readymades und Inkjetdrucke), 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Die Installation " 'Stuttgarts' feurige Vergangenheit" aus 2011 setzt sich mit dem sogenannten<br />
Schwäbischen Vulkan auseinander, einer Reihe von 360 Vulkanschloten zwischen<br />
Kirchheim/Teck und Reutlingen mit Bad Urach im Zentrum, die vor 16 Millionen Jahren aktiv<br />
gewesen sind und dessen nördlichster Ausläufer an die Stuttgarter Südgemarkung grenzt – dem<br />
Scharnhäuser Vulkan. Da Scharnhausen <strong>zur</strong> Stadt Filderstadt gehört, aber der Scharnhäuser<br />
Vulkan aufgrund seiner räumlichen Nähe zu Stuttgart schon fast als ein Stuttgarter Vulkan<br />
anzusehen ist, habe ich das Wort Stuttgart im Namen in Anführungszeichen gesetzt. Und der<br />
Name der Installation spielt darauf an, daß kaum ein Stuttgarter um Stuttgarts vulkanische<br />
Vergangenheit weiß, die auf sein aktuelles urbanes <strong>Leben</strong> so viele positive Auswirkungen hat, will<br />
er etwas für seine Gesundheit tun: die Kohlensäure in den Bad Cannstatter Bädern, und in noch<br />
stärkerem Maße das Bad Uracher und das Beurener Heilbad ist vulkanischen Ursprungs. Und die<br />
Kohlensäure sprudelt bis heute. Die Installation besteht aus einem Wäscheständer, einem<br />
Ventilator, roten und gelben Wäscheklammern, Prospekthüllen, Inkjetdrucken von Internettexten<br />
und einem Wechselrahmen. Im Wechselrahmen befinden sich dieselben Texte wie in den<br />
Prospekthüllen, damit der Betrachter den Inhalt der Texte auch erfassen kann. Der<br />
Wäscheständer symbolisiert die Festigkeit der Schwäbischen Alb, die Wäscheleinen die<br />
Breitengrade, der Ventilator den Wind des Vergessens. Dieses Vergessen wissen die in<br />
Feuerfarben gehaltenen Wäscheklammern, die die ausgedruckten Informationen mit eisernem<br />
Griff gegen den Wind festhalten, geschickt zu verhindern.<br />
Robert Steng<br />
Urlaub vom System pt.II, 2010<br />
Die Arbeit „Urlaub vom System pt.II“ ist ein Wandobjekt aus zersägten und neu gefügten<br />
Möbelteilen. 12 bis 16 einzelne Tafeln werden zu einem geometrischen Relief zusammengestellt<br />
und auf eine Unterkonstruktion montiert.<br />
Bei Streifzügen durch den Stuttgarter Stadtraum finde ich Möbelteile auf dem Sperrmüll. Mich<br />
Interessieren u.a. Materialien aus den 50er und 60er Jahren, einer Zeit als massenproduzierte<br />
Möbel noch mit einem relativ hohen Anteil an handwerklicher Arbeit hergestellt wurden.<br />
Diese Generation von einst hochwertigem Mobiliar ist jetzt - altersbedingt - häufig auf dem<br />
Sperrmüll zu finden. Merkmale sind edle Furniere und schleiflackierte Oberflächen.<br />
Der Reiz besteht für mich darin, aus diesen Materialien neue Objekte zu schaffen die<br />
durch komplexe Muster auf den ersten Blick eine hohe dekorative Aussagekraft haben und somit<br />
den ehemaligen materiellen Wert aufgreifen und überhöhen. Auf den zweiten Blick sind die<br />
Gebrauchsspuren und die Merkmale der Massenproduktion (billige Spanplatte als Trägermaterial<br />
etc) zu erkennen, die in meiner Bearbeitung durch sägeraue Kanten, Fehlstellen, Leimreste etc.<br />
reflektiert werden.<br />
Die Arbeit interpretiert damit Fragen der Wertschöpfung und der Einordnung in Werteskalen. Sie<br />
spiegelt ein städtisches <strong>Leben</strong>sgefühl, das durch Mode und Design bestimmt ist und diese<br />
fortlaufend recycelt.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 79
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Urlaub vom System pt.II<br />
Ursula Steuler<br />
Will ich? Ja?, Fotografie (C-Print auf AluDibond), 2009<br />
Der Titel nimmt Bezug auf die türkische Heiratsformel "Evet. Ja, ich will", stellt aber zugleich ganz<br />
allgemein die Freiwilligkeit zum Ja-Wort in vielen Migrantenfamilien in Frage und greift damit ein<br />
Thema auf, das heute unter dem Stichwort ‚Migration’ viele Städte betrifft.<br />
Fotografiert wurde der Hochzeitsschmuck von Migrantinnen auf einem weißen Satinkissen mit<br />
roter Seidenkordel (gemäß dem bei türkischen Bräuten üblichen roten Gürtel), das auf einer von<br />
der jeweiligen Migrantin gefertigten rosa Handarbeit liegt. Die Handarbeiten sind in einem<br />
Deutschkurs entstanden, der gezielt auf die aus der Heimat mitgebrachte Tradition der Frauen<br />
<strong>zur</strong>ückgreift und einen Tausch anbietet: Deutsch im Tausch gegen Handarbeit mit den Materialien<br />
der Künstlerin, bestimmt zum Einsatz in Installationen.<br />
Thematisiert wird so die häufige Immigrationsheirat wie auch die Einreise nach Deutschland bei<br />
schon bestehender Ehe (vgl. Gastarbeiter) und der damit nötige, mühsame (gar nicht rosige!)<br />
Prozess des Ankommens und des Spracherwerbs, erst recht der Integration. Kunstgras spricht<br />
vom Vergessen, Verdrängen oder Nicht-wissen-wollen schwieriger Erfahrungen, auch auf Seiten<br />
der hiesigen Gesellschaft.<br />
Auch wenn die Frauen selbst nicht abgebildet sind, geraten hier doch Individuen in ihrer Vielfalt<br />
mit ihrer persönlichen Geschichte in den Fokus.<br />
80 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Karl Striebel<br />
Aufmarsch 20, Siebdruck, 2008<br />
Werkbeschreibungen<br />
<strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> wird begleitet von einem gewissen Zwang <strong>zur</strong> Ordnung. Die Ordnung wird in der<br />
Regel durch die Polizeigewalt gesichert oder hergestellt. Sie kann jedoch ins Wanken kommen.<br />
Dieses Prinzip der Ordnung, das durch leichtes Verschieben ins Wanken kommen kann und dann<br />
das urbane <strong>Leben</strong> „in Unordnung“ bringt, habe ich in einer Siebdruckserie dargestellt.<br />
Ausgangspunkt für die Serie ist ein Photo, das uniformierte Polizisten bei einem Geleitzug ihrer<br />
getöteten Heilbronner Kollegin zeigt.<br />
Aufmarsch 20<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 81
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Ulrich Stürmer<br />
Venti-Art-or – Stuttgart 21, Installation (Ventilator, Papier, Kunststoff), 2011<br />
Als Ausgangsmaterial für die Installation "Stuttgart 21" verwende ich einen Ventilator, der<br />
ursprünglich für Werbezwecke der Firma Martini verwendet wurde.<br />
Die Installation setzt sich mit dem gleichnamigen Bahnprojekt auseinander. Genau wie der<br />
Schriftzug verschwindet und wieder erscheint, verhält es sich mit der Diskussion um das<br />
Bahnprojekt. Ein Ende der Diskussion scheint derzeit nicht in Sicht, da in der badenwürttembergischen<br />
Verfassung die Hürden für einen Volksentscheid bzw. eine<br />
Volksabstimmungen zu hoch sind (33 % aller Wahlberechtigten müssen einer Vorlage zustimmen,<br />
was bedeutet, dass bei einer Wahlbeteiligung von 67%, mehr als 50 % für eine Vorlage stimmen<br />
müssten.<br />
Zum Vergleich: Die Wahlbeteiligung 2011 in Baden-Württemberg lag bei 66,3 %). Um tatsächlich<br />
Frieden in die Diskussion zu bekommen, müsste zunächst die Hürde für eine Volksabstimmung<br />
gesenkt und danach eine Volksabstimmung durchgeführt werden.<br />
Es geht bei dem Projekt "Stuttgart 21" schon längst nicht mehr um den Bahnhof, sondern um mehr<br />
Demokratie.<br />
Ülkü Süngün<br />
Site/Meeresblick, Fotografie auf MDF Platte, 2010<br />
Meine Fotografien nehmen den Betrachter mit auf eine ca. 200km lange Reise, die in Istanbul<br />
beginnt und westwärts entlang der Marmarameerküste über Tekirdag verläuft. Türkische<br />
Ferienhaussiedlungen, genannt „Site1“ wechseln sich mit Industrieanlagen und<br />
Sonnenblumenfeldern ab. Diese „Sehenswürdigkeiten“, an denen mein Auge fest haftet, sind auch<br />
der Ausgangspunkt von Fragen die ich mir stelle:<br />
Wie verändern der sommerliche <strong>Leben</strong>swandel und die damit verbundenen Ansprüche die<br />
Landschaft mit der Zeit? Hier seien Probleme wie die Wasserversorgung und die industrielle<br />
Verschmutzung des Marmarameeres angesprochen. Die Bebauung trockengelegter Flussläufe<br />
hatte in den vergangenen Jahren fatale Folgen. Lässt sich an der Architektur dieses Landstriches<br />
rückwirkend etwas über gesellschaftliche Strukturen (z.b. gated communities) ableiten und<br />
erfahren?<br />
Mit dem bautechnisch erfüllten Wunsch, sich einen Platz am Meer zu ergattern, wird der Weg<br />
dahin unweigerlich verbaut und verschlossen und dieses ersehnte Meer wird immer<br />
unerreichbarer. Mit zunehmender Entfernung zu Istanbul, so scheint es, reist man bezüglich der<br />
Bebauungsdichte und -art immer weiter <strong>zur</strong>ück in der Zeit. Die Siedlungen werden nach ca. 250km<br />
spärlicher und machen Sonnenblumenfeldern Platz, die sich sicherlich auch bald in<br />
Ferienhaussiedlungen umwandeln werden. Geschwindigkeit und Richtung werden ebenfalls<br />
thematisiert, auch im übertragenen Sinne auf die Entwicklung.<br />
„Site“ ist ein Langzeitprojekt. Die vorliegende Serie „Meeresblick“ ist eine daraus entnommene<br />
Auswahl. Ich möchte immer wieder neue Serien zusammenstellen, diese datieren und hoffe<br />
daraus neues herauslesen und die permanenten und rasanten Veränderungen erfassen zu<br />
können. Ich habe bisher jeden Sommer in diesem Landstrich verbracht, grade deswegen versuche<br />
ich durch die Bilder meinen Standpunkt zu bestimmen und meiner ambivalenten Verbundenheit<br />
mit dieser Region Rechnung zu tragen.<br />
82 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Kurt Laurenz Theinert<br />
Zeitfenster „Warten, Darmstadt“, Digital Fineart Print auf Alu-Dibond, 2010<br />
Werkbeschreibungen<br />
Beständiges ausblenden - Flüchtiges sichtbar machen,<br />
ein neues Prinzip um Zeit in der Fotografie abzubilden.<br />
Die Serie „Zeitfenster“ nutzt ein typisch fotografisches Prinzip, um Zeit auf eine neue Weise<br />
darzustellen - die Tatsache, dass Negativ und Positiv sich sowohl in Farbe als auch in Helligkeit<br />
und Kontrast gegenseitig neutralisieren. Im Gegensatz zu anderen fotografischen Mitteln wie<br />
Bewegungsunschärfe oder der Sequenz bilden die „Zeitfenster“ nur die Veränderung in der Zeit ab<br />
- alle anderen Bildinhalte neutralisieren sich zu 50% Grau. Wie zwei unterschiedliche Standpunkte<br />
räumliches Sehen ermöglichen, so wird durch die Überlagerung zweier Zeitpunkte ein Zeitraum<br />
sichtbar, der so sonst nicht zu sehen ist.<br />
Warten, Darmstadt<br />
Site/Meeresblick (Auszug)<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 83
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Günther Titz<br />
6753 V, Acryl auf Papier auf Holz (8-teilige Serie), 2008<br />
Günther Titz sucht nach Formen, wobei Form für den Künstler in erster Linie Proportionalität<br />
bedeutet. Er distanziert sich dabei vom Prozess einer Komposition, von der Malerei als<br />
Schöpfung. Statt von einer Komposition wird jedes Bild von seinem eigenen Findungsprozess<br />
bestimmt.<br />
Siegi Treuter<br />
Reflexion (Serie), Pigment-Transfer-Print/Öl auf Leinwand, 2010<br />
Konsum - working :<br />
Eine Spiegelung der Illusionen und Wünsche vor einer Fassade des Scheins außerhalb der<br />
eigenen Behausung.<br />
Das immer schnellere Tempo der neuen Wahrnehmungen fällt in das Gehirn der Menschen ein.<br />
Der Label- und Haben- Zugzwang wird zum Ballast und endet nicht selten mit Unzufriedenheit.<br />
Auch zum Ruin führend.<br />
Stuttgart schaut nach Berlin - Berlin nach London - London nach New York.<br />
Das Dorf <strong>zur</strong> Stadt- auch das ist schon gesättigt mit dem Sperrmüll von morgen.<br />
Reflexion (Auszug)<br />
84 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Hannes Trüjen // Oliver Grajewski // Jürgen Palmtag<br />
Dein Bild!, digitale Webanwendung und Projektdokumentation, 2009<br />
„Some people spread around a lot of newspapers“*<br />
Werkbeschreibungen<br />
Das Projekt „Dein Bild!“ wurde 2009 in der Oberwelt, Stuttgart, durchgefuhrt. - Eine<br />
Webanwendung* ermöglicht es Bildelemente der drei Kunstler neu zu komponieren und so neue<br />
Bilder in gemischter Autorenschaft zu erstellen. Das Werk der Gewinnerin (Beate Baumgätner)<br />
des 2009 ausgeschriebenen Wettbewerbs wurde nach einer öffentlichen Jurierung (Jury<br />
bestehend aus Isabel Skokan vom Kunstmuseum, der Galeristin Angelika Harthan, Susanne<br />
Jakob vom Kunstverein Neuhausen und Jens Hermann von der Oberwelt) in die Sammlung des<br />
Kunstmuseums aufgenommen.<br />
---------------------------------------------------------------------<br />
Cut up...Sampling...Copy Paste - Fragmentierung und Neukontextualisierung in Zeit und Ort, die<br />
stetige Weiterverwertung und Umwertung von Bild- und Klangwelten sind Grundprinzipien der<br />
Gestaltung.<br />
Ob analog oder zunehmend digital – die Welt ist ein Archiv. Wo künstlerische Autorenschaft und<br />
Position, der Wert des Originals und die prozessuale Qualität zwischen den Klicks liegt, lässt sich<br />
in dieser <strong>Ausstellung</strong> debattieren...<br />
Alle Drei Künstler pflegen, aus konzeptionellen Gründen, künstlerische Arbeitsformen parallel zum<br />
klassischen <strong>Ausstellung</strong>sbetrieb.<br />
Oliver Grajewski ist als Zeichner für Printmedien tätig und veröffentlicht die Reihe der<br />
autobiografischen Tigerboy Comics.<br />
Jürgen Palmtag hat neben seinen Bildwelten mit Soundperformances Nähen zu aktuellen<br />
Musiktendenzen der avantgardistischen elektronischen Musik.<br />
Hannes Trüjen arbeitet mit dem Malereiprojekt „painting placement“ an der Grenze zum<br />
angewandten Design.<br />
Gemeinsam ist den drei Positionen ein prozessorientiertes Arbeitsverständnis. Aus<br />
unterschiedlichsten High- und Low culture Bildarchiven werden Elemente zitiert und neu<br />
kontextualisiert.<br />
---------------------------------------------------------------------<br />
*<br />
... Some people spread around a lot of newspapers<br />
and I pick some things up to write a song about it.<br />
It's usually right there in my head before I start.<br />
... I don't even consider that I'm writing songs.<br />
I don't even consider that I've wrote it when I got it done.<br />
The song was there before me.<br />
... That's what I feel about.<br />
(Bob Dylan, Broadside Show, WBAI-FM Radio, New York City, May 1962)<br />
Die Web-Anwendung ermöglicht ein digitales Abbild auf einer Arbeitsbühne zu bewegen, zu<br />
drehen, zu skalieren und in verschiedenen Schichtungen zu einem neuen Bild zu kombinieren.<br />
http://permanent-painting.com/<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 85
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Stefan Tümpel<br />
Einwegpalette Nummer 3, Dispersion auf Holz<br />
Einwegpaletten sind Wegwerfartikel.<br />
Sie sind die Träger großer Warenströme und landen dann beim Müll. Einwegpaletten sind schön.<br />
In ihrer gleichmäßigen Rasterstruktur erwecken sie bei mir Assoziationen an Architektur,<br />
Rasterung, Wiederholung, System, Einwegpaletten sind häufig nur sägerau belassenes<br />
Weichholz, meist werden sie im Osten bzw. Südosten Europas produziert..<br />
Palette Nummer 7 ist mit einem Zeichen Versehen.<br />
Dieses Zeichen steht für mich für Größe, Ausdehnung, Raum, Begrenzung.<br />
Die Einwegpalette hat einen langen Weg hinter sich, ihre Aufgabe hat sie erfüllt, mit dem Zeichen<br />
versehen und den damit verbundenen Assoziationen wird sie zum Träger einer Botschaft und<br />
entgeht (vorläufig) ihrem Ende.<br />
Einwegpalette Nummer 3<br />
Jutta Uhde<br />
An der Straße, Fotografie (farbig) und Fotokopie (S/W) auf Pappe, 2011<br />
geregelt der Verkehr<br />
geregelt das Entsorgen der Konsumreste<br />
gestaltet –bewusst, unbewusst<br />
mutwillig, zufällig<br />
einmal oder immer wieder –<br />
die Straßenecken.<br />
86 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Thomas Ulm<br />
Beantwortung der Frage: Wird S 21 gebaut?, Video (2 Min), 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Die Nachrichtenlage hinsichtlich der Chance, dass Stuttgart 21 nicht gebaut wird, ändert sich bis<br />
zum heutigen Tag ständig (Stand Anfang Juli 2011). Für viele Stuttgarter (wie auch für mich)<br />
bedeutet das neben rationalen Einstellungen auch ein Wechselbad der Gefühle. Die Frage, ob<br />
Stuttgart 21 kommt, wird dann <strong>zur</strong> bangen Frage, also einer Frage, die mit Bange gestellt wird.<br />
Während sich die „politische Gemeinschaft“ (John Friedmann) im Protest auf der Straße öffentlich<br />
versammelt und ausdrückt, ereignet sich dieses Bangen eher in der Vereinzelung des privaten<br />
(häuslichen) Raums.<br />
In meinem Video greife ich die naive Seite der emotionalen Einstellungen auf, indem ich ein mir<br />
aus Kinder- und Jugendtagen vertrautes Spiel auf S 21 übertrage. Damals galt das Abzählen von<br />
Knöpfen oder Blütenblättern der Beantwortung der Frage, ob sie mich liebt. „Sie liebt mich, sie<br />
liebt mich nicht, sie liebt mich, sie liebt mich nicht… .“ Jetzt wird daraus: „Er wird nicht gebaut, er<br />
wird gebaut, er wird nicht gebaut, er wird gebaut...“.<br />
Die gezielt naive Herangehensweise an das Thema Stuttgart 21 ist für mich aber auch mit einem<br />
zutiefst politischen Aspekt verbunden.<br />
Der rechteckige Bildausschnitt einer festen Kamera kann jederzeit als Templum der Auguren<br />
gelesen werden, der römischen Beamten, die zu ergründen hatten, ob ein vom Staat geplantes<br />
Unternehmen den Göttern genehm sei.<br />
Künstlergruppe verstoffwechselt<br />
Kunst als Arznei, Installation, 1991-2011<br />
Kolportage, Installation/Projektdokumentation, 2011<br />
Kunst als Arznei<br />
„Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient!<br />
Sie haben sich für den „Kamm“ als Werk ihres Vertrauens entschieden. „Kamm“ ist nach<br />
anhaltenden epistemologischen Vorschriften hergestellt und unterliegt regelmäßigen<br />
kunsttheoretischen Qualitätskontrollen.“<br />
Dieser Auszug leitet den Anfang eines Beipackzettels ein, den wir zu der Arbeit „Kamm“ von<br />
Marcel Duchamp erstellt haben. Insgesamt haben wir sieben bekannte Kunstwerke auf<br />
möglicherweise auftretende physische oder psychische Symptome untersucht, die sich bei<br />
längerer Auseinandersetzung mit dieses einstellen könnten. Mit den daraus resultierenden<br />
Ergebnissen gestalteten wir zu den von uns ausgewählten Kunstwerken je einen individuellen<br />
Beipackzettel, der alle Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen etc. enthält, die wir<br />
feststellen konnten.<br />
Das Besondere dieser Beipackzettel sind die darin verborgenen zwei verschiedenen<br />
Terminologien. Beiden gemeinsam ist ihre schwer verständliche Sprache. Zum einen ist es die<br />
typische Ausdrucksform des Beipackzettels von Medikamenten, zum anderen die Sprache der<br />
Kunst, wie sie oftmals in Texten <strong>zur</strong> Kunst verwendet wird.<br />
Im Gegensatz zum bloß beschreibenden Text eines Werkes, in dem eine feste individuelle<br />
Aussage getroffen wird, versuchen wir beim Beipackzettel, den Betrachter dazu an<strong>zur</strong>egen,<br />
eigene Wahrnehmungen zu reflektieren, und so neue Spielräume für eigene Assoziationsketten<br />
entstehen zu lassen.<br />
Für die Beipackzettel haben wir Arzneimittelpackungen entworfen, auf denen das von uns<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 87
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
ausgewählte Kunstwerk ganz oder teilweise abgebildet ist, d.h. es wird <strong>zur</strong> Hülle für ein<br />
„Medikament“, welches aber nicht vorhanden ist. Stattdessen befindet sich in ihr der jeweilige<br />
Beipackzettel für das Kunstwerk, der den Inhalt (im doppelten Wortsinn) repräsentiert. Der<br />
Beipackzettel wird also zum Inhalt, wobei das Kunstwerk, welches auf der Verpackung abgebildet<br />
ist, im Wesentlichen nur noch ein gestalterisches Element darstellt.<br />
Installation "Kunst als Arznei"<br />
Kolportage<br />
An verschiedenen, ausschließlich dem Kunstbetrieb zugehörigen Orten werden Sandsteine<br />
kleineren Formats in dessen Oberfläche Textzeilen oder Schriftzeichen eingehauen sind, in der<br />
Nähe der Eingänge abgelegt.<br />
Die Schriftzeichen sind ihrer Herkunft nach nicht eindeutig zuzuordnen, weisen aber in ihrem<br />
Duktus eine starke Ähnlichkeit mit japanischen, türkischen, oder arabischen Schriftzeichen auf.<br />
Ziel ist es, eine Art kommunikativen Austausches über Schrift und Sprache und dessen Herkunft<br />
hervor<strong>zur</strong>ufen. Bei genauerer Recherche wird sich herausstellen, dass sich hinter den<br />
Schriftzeichen kein sprachlicher Inhalt verbirgt. Die Schrift wird also zum Ornament, und durch das<br />
Fehlen von Information gleichsam zum Bild. Es wird nicht eine Nachricht im eigentlichen Sinne in<br />
Verbreitung gebracht, sondern durch die Verbildlichung ein Zustand kolportiert, der z.T. auf<br />
Vorurteilen beruht oder auf diese versteckt hinweisen soll.<br />
Die Nachricht ist eine abwesende, nicht nachweisbare. Sie hinterlässt Fragen, die einem auch im<br />
alltäglichen <strong>Leben</strong> begegnen. Durch das in Stein gehauene “Ornament“ und durch das<br />
verwendete Material werden die Schriftzeichen aufgewertet und bekommen eine seriös wirkende<br />
Präsenz. Sie erzeugen ein dubioses Gerücht, dessen Verfasser erst mal im Geheimen bleibt, was<br />
Teil der Kolportage ist.<br />
In der Mitgliederausstellung im Kunstverein sollen Fotografien <strong>zur</strong> Dokumentation zu sehen sein.<br />
Auszug aus "Kolportage"<br />
88 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Chen Wang<br />
Flyer, Korrekturmaus auf Werbeflyer, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
Werbung und Kommerz begegnen uns an jeder Ecke der Stadt. Die reine Masse suggeriert<br />
zahllose Möglichkeiten und eine beinahe unendliche Auswahl. Doch der vorhandene Überfluss<br />
lässt uns darin versinken, uns darin verlieren. Alles wird unübersichtlich, nahezu gleich und lässt in<br />
letzter Konsequenz alle Unterschiede verschwinden.<br />
Die Gleichförmigkeit und Tristesse die sich als Konsequenz aus der Reizüberflutung ergibt, stelle<br />
ich in meiner Arbeit „Flyer“ dar.<br />
Veronika Weigel<br />
Grün und Rot ergibt Braun – Der Protest richtet sich häuslich ein, Installation (Verschiedene<br />
Stoffe, bedruckt, bestickt, Webpelze, Flokati, genäht), 2011<br />
An der Wand hängt ein Bild, zusammengestellt aus verschiedenen Stoffen, das maßgeblich<br />
gegliedert wird durch drei Flächen in den Farben Grün, Rot und Braun. Auf dem Boden liegen<br />
zwei Sitzkissen, die ebenfalls diese Farbkombination aufgreifen. Sie laden dazu ein, sich in dieser<br />
farblichen Atmosphäre niederzulassen.<br />
Das Werk beschäftigt sich mit der neu entstandenen Protestkultur, die durch die Ablehnung des in<br />
Stuttgart geplanten Tiefbahnhofs entstanden ist.<br />
Stuttgart 21 wurde im Sommer 2010 von den Medien bereitwillig <strong>zur</strong> Füllung des Sommerloches<br />
aufgegriffen und professionell mit Unterhaltungswert aufbereitet in unsere Wohnzimmer gespült.<br />
Eine Protestkultur entstand, die die Gemüter spaltete und die Diskussionen belebte. Es wurde<br />
eine Welle an Gestaltungseuphorie ausgelöst, die schließlich sogar die Parteienlandschaft<br />
änderte.<br />
Grün und Rot, zwei Komplementärfarben wirken in der Zusammenschau wie ein Ganzes. Mischt<br />
man aber beide Farben ergibt sich die Farbe Braun.<br />
Braun erinnert an Schlamm, Schlammschlacht, also primitive Formen der Auseinandersetzung,<br />
Gewalt eingeschlossen. Ein gewisses Maß an Gewalt ist das Salz in der Suppe des Protestes,<br />
sowohl bei der Darstellung in den Medien, als auch für den Erhalt des Kampfgeistes bei den<br />
Protestierenden.<br />
Der Protest braucht die Medien als Sprachrohr. Gleichzeitig setzt er sich dabei der Gefahr aus<br />
zum Event, zum Konsumgut zu degenerieren.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 89
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Martina Weik<br />
1. Wartesaal<br />
2. An der langen Leine<br />
3. Klick<br />
4. stand by I<br />
5. stand by II<br />
Näharbeiten (auf Stoff, mit Acryl und Tusche gefärbt), 2009<br />
<strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> findet heute bedingt durch den digitalen Gesellschaftswandel zum großen Teil im<br />
Netz für alle zugänglich statt.<br />
In der Stadt und im Dorf.<br />
Im Urlaub und bei der Arbeit.<br />
Diese Veränderung bedeutet für den Künstler ein wahres Umdenken. Es erfordert zum Einen<br />
seine Präsenz im Internet, z.B. auf der eigenen Homepage, in YouTube, myspace, ...<br />
Das vermeintlich Individuelle wird <strong>zur</strong> Massenware... als Foto, Film für jedermann jederzeit an<br />
allen Orten abrufbar und unentgeltlich reproduzierbar.<br />
Zum Anderen gilt es für den Künstler mit Originalität das ursprüngliche Werk vor der<br />
Vervielfältigung zu bewahren. Nur mit einer eigens konzipierten, unkopierbaren Technik gelingt es<br />
ihm das Interesse am Original zu erhalten. Nur so kann er in dem elektronischen Dschungel<br />
überleben.<br />
Mein Beitrag zu diesem Thema sind fünf handgenähte und kolorierte Stoffbilder, die sich mit den<br />
oben genannten Aspekten der Veränderung unseres Gesellschaftsverhaltens beschäftigen.<br />
Zudem lege ich den Originalen jeweils eine Kopie bei, um Qualitätsunterschiede zu<br />
demonstrieren.<br />
Wartesaal<br />
90 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Julia Wenz<br />
Cityscapes, Scherenschnitt auf Werbebannern, 2009-2010<br />
Werkbeschreibungen<br />
Der öffentlich Raum wird zunehmende zum Werbeträger. Nach dem Motto "Sex sells" werden die<br />
Fassaden der immer ähnlicher werdenden Städte als Flächen für Konsum-Maßnahmen<br />
zweckentfremdet. Es entstehen immer mehr urbane Räume, die auf aller Welt gleich aussehen.<br />
Ausrangierte Werbetafeln waren das Grundmaterial für meine Scherenschnitte. Die entstandenen<br />
Stadtansichten zeigen schablonenhaft die stattfindende Vervielfältigung austauschbarer<br />
<strong>Leben</strong>swelten.<br />
Durch die Hängung entsteht ein künstlicher Raum der mit Perspektiven, Durch- und Einsichten<br />
spielt und ein immer gleiches Thema variiert.<br />
Oliver Wetterauer<br />
Böse Welt, Öl auf Holz, 2010<br />
Böse Welt<br />
Cityscapes (Auszug)<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 91
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Gert Wiedmaier<br />
no. 10 aus der Reihe "les gens anonyme" no. 10, Fotografie/Lambdaprint (Diasec) auf Acrylglas,<br />
2011<br />
Anonyme Menschen/Passanten in einer Großstadt (Paris) fotografiert.<br />
Projektion dieser Aufnahme/ Diapositiv auf eine halbtransparente Wachstafel, dadurch entsteht<br />
Unschärfe und ein spezielles Licht. Diese Projektion ist Ausgangsmaterial (für die Diasec-<br />
Fotoarbeit) und wird abfotografiert.<br />
Les gens anonyme, no. 10<br />
92 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Sylvia Winkler // Stephan Köperl<br />
El Oso Verde, Video (3:30 Min), 2011 (gedreht in Madrid)<br />
Werkbeschreibungen<br />
Auch die spanischen Sparkassen sind von der Finanzkrise betroffen und auf Unterstützung durch<br />
die öffentliche Hand angewiesen. Das Logo einer großen Sparkasse setzen wir in ein Kostüm um,<br />
ähnlich denen, welche auf den Plätzen Madrids zu sehen sind. Der grüne Bär, dem viele<br />
Menschen ihre Finanzen anvertraut haben, tritt plötzlich als prekärer "Walking-Act" in<br />
Erscheinung.<br />
El Oso Verde (Still aus Video)<br />
Irina Wolff<br />
Mode und Architektur, Fotocollage, 2006<br />
Im Mittelpunkt meines Konzeptes steht die Demonstration von Massenproduktion und Uniformität<br />
in der Architektur und Mode<br />
Joachim Wörner<br />
abseits. hortus conclusus, Digitalfotografie auf Aluminium (3-teilig), 2011<br />
<strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> ist geprägt durch Normierung und einen Verlust an Selbstbestimmung. Ein<br />
Übermaß an Dynamik, Lärm und optischen Reizen lenkt den Blick auf Randzonen der Stadt.<br />
Abseits der Standards entwickeln sich individuelle <strong>Leben</strong>sformen. Die Abgeschlossenheit des<br />
Gartens ermöglicht den Rückzug - Stille und Dunkelheit. Dennoch bleibt die Erinnerung an die<br />
Realität der Stadt erhalten. Die Stadt ist Teil des hortus conclusus. Die Stadt ist Teil der Natur.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 93
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Kathrin Wörwag<br />
pop up, fotografische Dokumentation (2-teilig) und Plakatreihe (5-teilig), 1991<br />
Fotografische Dokumentation einer Aktion in Stuttgart:<br />
Einem Teil des Plakats wird die Funktion des Ganzen zugewiesen. Aus Veranstaltungsplakaten<br />
von Popgruppen werden einzelne oder mehrere abgebildete Bandmitglieder herausgeschnitten<br />
und in stark vergrößertem Format dupliziert. Die Kopien werden wiederum an etablierte<br />
Plakatwände aufgeklebt.<br />
Angelika Zeller<br />
3 Versuche die Welt zu retten, Multiple (Luftballons und Faden), 2010<br />
Geflickte Luftballons<br />
Andrea-Toni Zelter<br />
ohne Titel, Fotografie (5-teilige Serie), 2011<br />
Alle Fotografien sind in Japan entstanden und sind ein Spiegel urbanen <strong>Leben</strong>s mit der<br />
Notwendigkeit nach Mobilität und Energie.<br />
Oben links die Silhouette eines Tokioter Viertels. In den dämmernden Himmel ragen eine auf rot<br />
gestellte Ampel (gestoppte Mobilität), Laternen (Energiebedarf) und das Gerippe eines Baumes<br />
(Natur und Stadt).<br />
Unten links, die sich in einer Scheibe reflektierende Straßenszene eines vorbeifahrenden Busses<br />
(ein Objekt der Mobilität).<br />
Rechts Oben die Silhouette von Häusern und Stromkabeln vor dem Abendhimmel.<br />
Rechts unten zwei Personen, die abends auf den Bus warten.<br />
Das rechts abgesetzte Foto zeigt die Reflexion einer Fußgänger Kreuzung in der Fassade des<br />
Hauptbahnhofes von Kyoto. Es ist die Spiegelung und Vervielfältigung verschiedener<br />
Verkehrsknotenpunkte. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> ist unter anderem geprägt von hoher Mobilität, ja sogar<br />
vom Zwang <strong>zur</strong> Mobilität. Dieser Zwang wird verursacht durch die Trennung von Wohnen,<br />
Arbeiten und Freizeit.<br />
ohne Titel (Auszug)<br />
94 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –
Annegret Ziegler<br />
leben, leben, leben, Photo-Collage mit Holz und Lack, 2011<br />
Werkbeschreibungen<br />
schnell, schneller, am schnellsten, die Städte pulsieren, Menschen in Massen, Geräusche, viele<br />
Geräusche, laute Geräusche, Gerüche, Farben, viele Farben, bunte Farben, leuchtende Farben,<br />
pastöse Farben, Menschen unterschiedlicher Hautfarben, weiß, rot, schwarz, misch, Stimmen,<br />
Sprachen, fremde Sprachen, viele Sprachen, lachen, weinen, Gefühle, Stress, Hektik, schnelle<br />
Füße, rennende Füße, langsame Füße, stehende Füße, Stillstand, viele Schuhe und Fahrzeuge,<br />
einparkend, haltend, rote Ampel, Gummigerüche, andere Gerüche, Parfum, gerade war es doch<br />
noch da, klar, deutlich, weg; Bewegung, immer mehr Bewegung, kein Stillstand, Entwicklung,<br />
schneller, immer schneller, belebende Entwicklung, fragwürdige Entwicklung, Kinder. Kinderlärm?<br />
Doch nur Kinderlaute, Multi-Kulti, Werbung, noch mehr Werbung, Lichter, hell, heller, am hellsten,<br />
Menschen im Schaufenster, alles im Fluss des <strong>Leben</strong>s, heute ist morgen und morgen schon<br />
Vergangenheit, in die Stadt ziehen - fortziehen, Fortschritt, noch mehr <strong>Leben</strong>, noch mehr<br />
Bewegung, Fortschritt, immer mehr und noch mehr, Neues da, Neues veraltet, also Altes-Neues?<br />
Hochhäuser, noch mehr Häuser, kleine, mittlere, große Häuser, bewohnte, „entwohnte“ Häuser,<br />
einsame Häuser, volle Häuser, immer noch mehr vom mehr, Platz, kein Platz, viel Platz auf wenig<br />
Raum, Erschaffung neuen <strong>Leben</strong>sraums, neuer Raum, Einsamkeit, alleine, Zweisamkeit,<br />
„Vielsamkeit“, Individuum, Menge, Vielfalt, Vervielfältigung, Wiederholung, die Wiederholung,<br />
Wiederholung von der Wiederholung<br />
<strong>Leben</strong> noch mehr <strong>Leben</strong>!?!<br />
Was bleibt!?!<br />
Anpassung!?!<br />
Danielle Zimmermann<br />
Trash, Installation (Plastiktüten/-verpackungen, Malereien mit Lackmalstiften auf Plastiktüten),<br />
2011<br />
In der Installation Trash (2011) geht es um die stufenweise Aufwertung gefundener Wegwerfartikel<br />
(vorrangig Plastikverpackungen): von der achtlos dahingeworfenen Abfalltüte bis hin zum<br />
traditionellen Keilrahmenbild. Diese Plastikhüllen dienen Danielle als Malgründe, auf welche sie<br />
mit Lackmalstiften und Eddings zeichnet.<br />
Inhaltlich greift die Künstlerin unterschiedliche Motive aus Boulevard-Zeitschriften,<br />
Modemagazinen und dem Internet auf, die sie dann collageartig mit dem auf den Plastiktüten<br />
aufgedruckten Design kombiniert.<br />
– MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 – 95
<strong>Württembergischer</strong> Kunstverein. <strong>Urbanes</strong> <strong>Leben</strong> / Vervielfältigung<br />
Andrea Zug<br />
Miauco, du bist nicht gesellschaftsfähig, Zeichnung / Aquarell / Fotomontage, 2011<br />
Miauco spricht zwei Fremdsprachen und betreibt eine Physiotherapeutische Praxis im Bereich<br />
„Heilen durch Schnurren“. Miauco gönnt sich gerade eine Auszeit. Ohne sich jedoch dem<br />
Netzwerk unserer Zivilisation, den Zwängen menschlicher Verhaltensweisen und den<br />
zivilisatorischen Strukturen entziehen zu können. Diese sind der Maßstab aller Dinge, ohne die ein<br />
Überleben unmöglich zu sein scheint. Sie sind aber auch die Ursache für eine Sehnsucht nach der<br />
Poesie urbaner Schauplätze. In „Miauco, du bist nicht gesellschaftsfähig“ stelle ich diesen Wunsch<br />
nach Schönheit in der urbanen Wirklichkeit nach. Mit historischen Ansichtskarten um 1900 von<br />
Städten wie z.B. Marseille, Monacco, Roma, Venezia, Konstantinopel, Berlin, Köln, Venice,<br />
London, New York und Paris. In einem Rahmen ebenfalls um 1900.<br />
96 – MITGLIEDERAUSSTELLUNG 2011 –