12.03.2013 Aufrufe

Atmung und Schlaf von Irene Kopf

Atmung und Schlaf von Irene Kopf

Atmung und Schlaf von Irene Kopf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

04<br />

Titelthemen<br />

<strong>Atmung</strong> <strong>und</strong> <strong>Schlaf</strong> <strong>von</strong> <strong>Irene</strong> <strong>Kopf</strong><br />

Nach bis zu 30 fast beschwerdefreien Jahren stellen sich<br />

bei vielen Poliobetroffenen Erschöpfung, Müdigkeit, zunehmende<br />

Schwäche, Gelenk- <strong>und</strong> Muskelschmerzen sowie<br />

Atemnot ein.<br />

In einer <strong>von</strong> Halstead <strong>und</strong> Mitarbeitern vorgelegten Studie<br />

waren bei 42 % der ehemals akut an Polio Erkrankten<br />

neue, bisher nicht vorhandene respiratorische Störungen<br />

aufgetreten. Dabei handelt es sich meistens um mechanische,<br />

restriktive Atemstörungen. Nicht selten ist auch ein<br />

<strong>Schlaf</strong>apnoesyndrom kombiniert mit PPS-typischen respiratorischen<br />

muskulären Pumpfunktionsstörungen festzustellen.<br />

Wie ist es dazu gekommen?<br />

Während der akuten Polioerkrankung sterben Motoneuronen<br />

ab. Dadurch werden keine Reize <strong>von</strong> den defekten<br />

Nervenzellen mehr an die Muskelfasern weitergeleitet. Es<br />

kommt überwiegend zu Schädigungen der unteren Extremitäten<br />

oder des Rumpfes.<br />

Es gibt aber auch<br />

• Wirbelsäulenverkrümmungen (Skoliosen)<br />

• Gliedmaßenverkürzungen<br />

• Gelenkinstabilität<br />

• Muskuläre Ungleichgewichte<br />

• Primär bleibende Atemstörungen.<br />

Diese Atemstörungen wurden in den 50er Jahren des<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>erts mittels einer „Eisernen Lunge“ behandelt.<br />

Dabei handelt es sich um eine Kammer, die über dem Thorax<br />

angebracht war. Sie war in der Lage, einen Unterdruck<br />

auf die Thoraxwand auszuüben. Durch dieses Verfahren<br />

erfuhr der Patient eine recht physiologische Atemhilfe. Aufgr<strong>und</strong><br />

des technischen Aufwands, der Unzulänglichkeit des<br />

in der Kabine eingeschlossenen Patienten, der schlechten<br />

Akzeptanz durch den Patienten wurde diese Methode durch<br />

andere verdrängt. Aber auch heute gibt es noch einige wenige<br />

Poliobetroffene, die mit diesem Verfahren leben.<br />

Ich möchte Ihnen nun die Entwicklung der Ursachen der<br />

gestörten <strong>Atmung</strong> aufzeigen:<br />

Schädigung der motorischen Vorderhornzellen<br />

<br />

Schädigung<br />

• der Atemmuskulatur<br />

• des Zwerchfells<br />

• der Zwischenrippenmuskulatur<br />

<br />

Atrophierte Brust- <strong>und</strong> Halsmuskulatur<br />

<br />

Keine Reservemuskulatur bei Belastung<br />

<br />

Zwerchfellverminderung<br />

<br />

Neurogene Schädigung der Rücken- <strong>und</strong><br />

Bauchmuskulatur<br />

<br />

Kyphoskoliose<br />

<br />

Eingeschränkte Beweglichkeit des Thorax<br />

<br />

Verminderte Ventilation <strong>und</strong> Gasaustausch<br />

<br />

CO 2-Konzentration im Blut steigt an<br />

<br />

Vermehrte Atemarbeit<br />

(führt zu schnellen <strong>und</strong> oberflächlichen Atem-<br />

bewegungen)<br />

Welche Symptome findet man bei PPS-Patienten mit spät<br />

einsetzenden Problemen der Lunge:<br />

• Zunehmende Kälteempfindlichkeit<br />

• Kalte Extremitäten<br />

• Erhöhte Infektanfälligkeit<br />

(Bronchien, Lungenbläschen)<br />

• Periphere Zyanosen (bläuliche Verfärbung der Haut)<br />

• „Dicke Beine“<br />

• Zunehmende Luftnot bei Anstrengung<br />

• Rasche Ermüdbarkeit<br />

• Vermehrtes <strong>Schlaf</strong>bedürfnis<br />

• Nächtliche <strong>Schlaf</strong>störungen.<br />

Um diese Symptome abzuklären, gibt es einige diagnostische<br />

Möglichkeiten. Zuerst möchte ich die Belastungsuntersuchungen<br />

wie die Ergometrie oder die Spiroergometrie<br />

nennen. Oftmals können diese Verfahren aber nicht eingesetzt<br />

werden, da viele Betroffene funktionelle Einschränkungen<br />

haben.<br />

Polio-Nachrichten Nr. 4/2007


Daher kommen weitere Verfahren zum Einsatz, wie z. B.<br />

• die Messung der Atemfrequenz<br />

• die Spirometrie mit Vitalkapazität <strong>und</strong> FEV 1<br />

• die Bodyplethysinographie mit Totalkapazität<br />

• die Blutgasanalyse.<br />

Tagesmüdigkeit <strong>und</strong> rasche Ermüdbarkeit bedürfen stets<br />

einer Überprüfung im <strong>Schlaf</strong>labor mittels einer polygraphischen<br />

<strong>Schlaf</strong>untersuchung. Dabei wird durch eine Vielzahl<br />

<strong>von</strong> pulmologischen <strong>und</strong> neurologischen Funktionsuntersuchungen<br />

festgestellt, ob eine respiratorische Störung<br />

vorhanden ist. Liegt eine derartige Störung vor, so kann man<br />

diese den nachstehenden drei Hauptdiagnosen zuordnen:<br />

1. dem Zentralen <strong>Schlaf</strong>apnoesyndrom<br />

2. dem Zentral-alveolären Hypoventilationssyndrom<br />

3. dem Obstruktiven <strong>Schlaf</strong>apnoesyndrom.<br />

Zu 1.<br />

Das Zentrale <strong>Schlaf</strong>apnoesyndrom ist sehr selten. Durch<br />

Schäden im zentralen Nervensystem wird die Atemmuskulatur<br />

wird unzureichend gesteuert. Das Gehirn „vergisst“ zu<br />

atmen. Die Zentrale <strong>Schlaf</strong>apnoe ist meist erblich bedingt,<br />

kann aber auch aus neurologischen Schädigungen resultieren.<br />

Zu 2.<br />

Die Zentral-alveolären Hypoventilationssyndrome sind<br />

gekennzeichnet durch länger anhaltende Minderbelüftung<br />

der Lunge im <strong>Schlaf</strong>. Sie ist bedingt durch ein Nachlassen<br />

des Atemantriebs aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher Ursachen.<br />

Zu 3.<br />

Die Obstruktiven <strong>Schlaf</strong>apnoesyndrome sind gekennzeichnet<br />

durch Hypersomnie (Schläfrigkeit) während der Wachphase<br />

sowie durch lautes <strong>und</strong> unregelmäßiges Schnarchen <strong>und</strong> periodisch<br />

wiederkehrende Atemstillstände im <strong>Schlaf</strong>.<br />

Normalerweise ist<br />

auch im <strong>Schlaf</strong> der<br />

Luftstrom durch Nase,<br />

Rachen <strong>und</strong> Luftröhre<br />

ungestört. Beim Obstruktiven<strong>Schlaf</strong>apnoesyndrom<br />

kommt es jedoch<br />

im <strong>Schlaf</strong> zu einer<br />

vorübergehenden Verlegung<br />

oder Verengung<br />

des Rachens.<br />

Dadurch bricht der<br />

Luftstrom ab <strong>und</strong> ein<br />

Atemstillstand tritt ein.<br />

Die damit einhergehende<br />

wiederholte Minderbelüftung<br />

der Lunge<br />

führt zum Absinken<br />

des Sauerstoffgehalts <strong>und</strong> zum Aufsteigen des Kohlendioxidgehalts<br />

im Blut.<br />

Polio-Nachrichten Nr. 4/2007<br />

Titelthemen<br />

Die Häufigkeit des Obstuktiven <strong>Schlaf</strong>apnoesyndroms ist<br />

sehr hoch. Mehr als 5 % der erwachsenen Bevölkerung<br />

sind betroffen <strong>und</strong> bedürfen einer speziellen Behandlung.<br />

Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen. Aber<br />

auch bei Kindern kann bereits dieses <strong>Schlaf</strong>apnoesyndrom<br />

auftreten. Es kann also auch Menschen betreffen, die nicht<br />

unter dem Post-Polio-Syndrom leiden.<br />

Das Obstruktive <strong>Schlaf</strong>apnoesyndrom verursacht zahlreiche<br />

Beschwerden in der Nacht <strong>und</strong> am Tage. Zu den<br />

wichtigsten Symptomen gehören Abgeschlagenheit <strong>und</strong><br />

Tagesmüdigkeit bis hin zur unfreiwilligen Einschlafneigung<br />

auch in kritischen Situationen (z. B. beim Autofahren).<br />

Die Therapie des Obstruktiven <strong>Schlaf</strong>apnoesyndroms orientiert<br />

sich am Schweregrad der Erkrankung. Eine Basistherapie<br />

mit <strong>Schlaf</strong>hygiene <strong>und</strong> ggf. einer Gewichtsabnahme<br />

sowie Protusionsschienen sind stets angezeigt. In mittleren<br />

<strong>und</strong> schweren Fällen ist die nasale Beatmungstherapie (nC-<br />

PAP) die Methode der Wahl. Sie verhindert komplett das<br />

Auftreten obstuktiver Apnoen <strong>und</strong> führt damit wieder zu<br />

einer normalen, ungestörten <strong>Schlaf</strong>struktur.<br />

Bei der nasalen Beatmungstherapie wird ein kontinuierlicher<br />

Überdruck in den oberen Luftwegen des Patienten<br />

erzeugt, der das Zusammenfallen des Rachens im <strong>Schlaf</strong><br />

verhindert.<br />

Zur Erzeugung des Überdrucks wird <strong>von</strong> der „nCAP-Maschine“<br />

ein starker Luftstrom erzeugt, der über die Nasenmaske<br />

dem Patienten zugeführt wird. Dabei können verschiedene<br />

Masken zum Einsatz kommen. Man unterscheidet<br />

zwischen „Direct-nasal-“, „Oral-“, „Nasal-“ <strong>und</strong> „Vollgesichtsmasken“.<br />

05


06<br />

Titelthemen<br />

Nach einer Eingewöhnungsphase berichten die meisten Anwender<br />

über eine deutlich bessere <strong>Schlaf</strong>qualität <strong>und</strong> Rückgang<br />

bzw. Verschwinden der Beschwerden.<br />

Manchmal ist bei Austrocknen der Nasenschleimhaut die<br />

Verordnung eines Warmbefeuchters für die Atemluft erforderlich.<br />

Jedoch sind Wärme <strong>und</strong> Feuchtigkeit ein idealer<br />

Nährboden für Bakterien. Dieses Risiko kann man durch<br />

genaues Befolgen der Reinigungsanleitung weitgehend ausschalten.<br />

Obwohl die überwiegende Zahl der Betroffenen mittels<br />

nasaler Maskenbeatmung unterstützt werden kann, bedürfen<br />

einige wenige Patienten einer trachealen Beatmungskanülenversorgung.<br />

Dabei werden die Patienten über ein Tracheostoma<br />

langfristig bis dauerhaft beatmet.<br />

Der Beatmungsumfang in der häuslichen Umgebung kann<br />

wenige St<strong>und</strong>en bis zu einer „r<strong>und</strong>-um-die-Uhr“ Beatmung<br />

bedeuten. Darüber hinaus sind spezielle Inhalationsverfahren<br />

<strong>und</strong> physiotherapeutische <strong>Atmung</strong>sunterstützung notwendig.<br />

Diese Art der Betreuung ist nur in wenigen Fällen in/<strong>von</strong><br />

der Familie zu leisten. In Abhängigkeit vom Grad der allgemeinen<br />

Pflege- <strong>und</strong> Hilfsbedürftigkeit besteht neben der<br />

fachlichen Betreuung auch eine Anwesenheitspflicht der<br />

Betreuer bei der Sicherung der Heimbeatmung.<br />

Diese hohen Betreuungsaufgaben sind kostenintensiv <strong>und</strong><br />

unterliegen der Gewährleistungspflicht <strong>von</strong> Kassen <strong>und</strong><br />

anderen Kostenträgern. Den Ärzten obliegt es, ihren Patienten<br />

eine qualifizierte Betreuung zu sichern auch gegen<br />

den Widerstand <strong>von</strong> Kostenträgern.<br />

Ergebnisse<br />

Generell kann man sowohl bei der nicht-invasiven Beatmung<br />

als auch bei der invasiven Beatmung folgende Ergebnisse erzielen:<br />

• Entlastung <strong>und</strong> Erholung der Atemmuskulatur /<br />

Verbesserung der Leistungsfähigkeit<br />

• Verbesserung der Lebensqualität<br />

• Möglichkeit einer selbstbestimmten Lebensführung<br />

• Verbesserung der Symptome<br />

• Wenn möglich <strong>und</strong> erwünscht: Lebensverlängerung<br />

Ausblick – Ges<strong>und</strong>heitliche Ziele<br />

Das ges<strong>und</strong>heitliche Ziel besteht darin, die wissenschaftlich<br />

gesicherten Erkenntnisse der <strong>Schlaf</strong>medizin zu nutzen,<br />

Polio-Nachrichten Nr. 4/2007


um allen vom nicht erholsamen <strong>Schlaf</strong> <strong>und</strong> seinen Folgen<br />

schwerwiegend Betroffenen sowie allen, die erheblich<br />

schlafbedingte ges<strong>und</strong>heitliche Risiken mit sich tragen, die<br />

angemessene <strong>und</strong> notwendige Versorgung zukommen zu<br />

lassen.<br />

Das oberste Ziel bleibt die Prävention. Die Betroffenen sollten<br />

ausreichend über Ursachen, Erscheinungsformen <strong>und</strong><br />

Folgen informiert werden!<br />

Mit diesem Appell möchte ich dieses Thema beenden.<br />

Das Hintergr<strong>und</strong>wissen verdanke ich in erster Linie dem<br />

Vortrag „Pneumologische <strong>und</strong> Sommnologische Diagnostik<br />

beim PPS-Patienten“ <strong>von</strong> Herrn PD Dr. Klaus Kienast,<br />

gehalten beim Poliotag am 08.09.2007 in Bad Ems.<br />

Glossar:<br />

Polio-Nachrichten Nr. 4/2007<br />

Weitere Quellen:<br />

<strong>Schlaf</strong>apnoe-Syndrom <strong>und</strong> Schnarchen, Peter Hannemann:<br />

<strong>Schlaf</strong>störungen, Ges<strong>und</strong>heitsberichtserstattung des<br />

B<strong>und</strong>es, Heft 27. Robert Koch Institut<br />

Weblinks:<br />

http: www.schlafapnoe-online.de<br />

http: www.vdk.de<br />

http: www.polio-sh.de<br />

http: www.wikipedia.org/w/index<br />

http: www.intensivcareunit.de<br />

http: www.heimbeatmung.de<br />

Titelthemen<br />

Atrophie Verringerung der Muskeln<br />

Ergometrie Gerät zur Messung der körperlichen Leistungsfähigkeit<br />

Hypersomnie Schläfrigkeit<br />

Kyphoskoliose Wirbelsäulenverkrümmung<br />

Neurogene Schädigung Nervenschädigung<br />

Periphere Zyanose bläuliche Verfärbung der Haut<br />

Polygraphische <strong>Schlaf</strong>untersuchung Aufzeichnung der elektrophysiologischen Parameter des <strong>Schlaf</strong>enden (EEG, EMG, EOC)<br />

restriktiv einengend<br />

respiratorisch die <strong>Atmung</strong> betreffend<br />

<strong>Schlaf</strong>apnoe durch den <strong>Schlaf</strong> hervorgerufener Stillstand der <strong>Atmung</strong> <strong>von</strong> 10 sec. Dauer<br />

Symptome Anzeichen, Merkmale<br />

Spiroergometrie Messung der körperlichen Leistungsfähigkeit anhand des Sauerstoffverbrauchs<br />

Poliomyelitis-Spätfolgen – Atemfunktionsstörungen<br />

Klinik <strong>und</strong> Behandlungsmöglichkeiten <strong>von</strong> Dr. med. Thomas Chr. Lehmann-Buri<br />

Die Atemfunktionsstörungen sind die bezüglich Weiterleben<br />

wesentlichsten Poliomyelitis-Spätfolgen. Sie werden<br />

vielfach <strong>von</strong> den Betroffenen oder <strong>von</strong> ihren Mitmenschen,<br />

Therapeuten oder Ärzten nicht oder relativ spät erkannt.<br />

Subjektiv besteht oft keine Atemnot, da die Sauerstoff- <strong>und</strong><br />

Kohlensäurekonzentration im Blut nur sehr langsam, wenn<br />

gelegentlich auch in stark krankhafte Werte verändert <strong>und</strong>/<br />

oder stoffwechselmäßig kompensiert werden.<br />

Aufmerken lassen müssen die bekannten Symptome der<br />

chronischen Unterbeatmung:<br />

• Minderbelastbarkeit<br />

• <strong>Schlaf</strong>störungen<br />

• <strong>Kopf</strong>schmerzen<br />

• Blausucht/vermehrte rote Blutkörperchen<br />

• Herzrhythmus- <strong>und</strong> Herzreizleitungsstörung<br />

• Herz-Vergrößerung wegen erhöhten Blutdruckes<br />

im Lungenkreislauf (Cor-pulmonale)<br />

• im Röntgenbild Zwerchfellhochstand<br />

• Lungengewebeverdichtung<br />

• stark eingeschränktes Atemvolumen <strong>und</strong><br />

• geschwächter Ein- resp. Ausatemdruck etc.<br />

Bei den meisten Betroffenen handelt es sich um eine zunehmend<br />

muskulär eingeschränkte Störung der Atemmechanik<br />

(-pumpe) <strong>von</strong> Zwerchfell <strong>und</strong> Hilfsmuskulatur. Allein oder<br />

kombiniert bewirkt zudem eine oftmals zunehmende Wirbelsäulenverkrümmung<br />

(Skoliose) eine weitere Beeinträchtigung<br />

<strong>von</strong> Muskelfunktion <strong>und</strong> Lungenvolumen.<br />

Neben der mechanisch eingeschränkt bedingten chronischen<br />

Unterbeatmung gibt es auch Fälle <strong>von</strong> Atemfunktionsstörung<br />

wegen Fehlfunktion im Atemregulationszentrum<br />

des Hirns bei sonst ordentlichem Atemvolumen <strong>und</strong><br />

07


08<br />

Titelthemen<br />

gestörtem Gasaustausch. Die Empfindlichkeit auf eine Erhöhung<br />

der Kohlensäure im Blut ist vermindert. Es kommt<br />

zu einer ungenügenden bis fehlenden <strong>Atmung</strong> (Hyperventilation/Apnoe)<br />

u. a. nachts.<br />

Objektivierende Untersuchungen in beiden Fällen sind:<br />

• Blutgasanalysen,<br />

• Lungenfunktionsprüfung,<br />

• Röntgen,<br />

• EKG,<br />

• Messung der Sauerstoffsättigung,<br />

• eine Pulsoxymetrie <strong>und</strong> ggf. eine <strong>Schlaf</strong>laboruntersuchung.<br />

Behandlung der Atemregulations- <strong>und</strong><br />

-funktionsstörungen<br />

Ist es zu einer akut ungenügenden <strong>Atmung</strong> gekommen,<br />

z. B. im Zusammenhang mit einem Infekt in den Bronchien<br />

<strong>und</strong> Lungen, wird der Einsatz einer <strong>Atmung</strong>shilfe<br />

vom motivierten <strong>und</strong> kooperativen Patienten <strong>und</strong> seiner<br />

menschlichen Umgebung als Erlösung aus der Not <strong>und</strong> für<br />

eine bessere Lebensqualität im Alltag, in der Freizeit <strong>und</strong> im<br />

Beruf ohne Weiteres akzeptiert. Durch eine Atemhilfe kann<br />

sich das Zwerchfell wieder erholen, braucht aber gelegentlich<br />

Tage bis Wochen dafür.<br />

Eine wichtige Rolle spielt in der Behandlung der akut wie<br />

auch chronisch ungenügenden <strong>Atmung</strong> die physiotherapeutische<br />

Behandlung <strong>und</strong> Betreuung.<br />

Schwierig ist es aber in den Fällen, wo die Ateminsuffizienz<br />

nur allmählich eintritt. Die Betroffenen bek<strong>und</strong>en meist<br />

große Mühe, die Notwendigkeit der assistierten Beatmung<br />

einzusehen. Dem Poliomyelitiker, der für eine ungenügende<br />

<strong>Atmung</strong> gefährdet ist, fehlt meist das Gefühl der subjektiven<br />

Atemnot – das Hauptmotiv für das Akzeptieren der vorbeugenden<br />

Atemhilfe.<br />

Es gelingt aber oft, dem Betroffenen die Atemhilfe (mit<br />

einem geeigneten Gerät <strong>und</strong> M<strong>und</strong>stück) „übungshalber“,<br />

„für alle Fälle“ nahe zu bringen. Solche Vorbereitungen,<br />

notwendigerweise auch in psychologischer Hinsicht, erleichtern<br />

eine später im Notfall eventuell notwendig werdende<br />

Beatmung.<br />

Die kontrollierte <strong>und</strong>/oder unterstützte Be-<strong>Atmung</strong> bewirkt<br />

eine Entlastung der Atemmuskulatur. Die bei grippalen<br />

Bronchialinfekten gefürchtete Atemkrise kann verhindert<br />

<strong>und</strong> die Widerbelebungsphase auf der Intensivpflegestation<br />

den Betroffenen erspart werden.<br />

Bei den Atemrisikopatienten muss selbstverständlich der<br />

Kräftehaushalt, die Arbeits- <strong>und</strong> Freizeitsituation neu überprüft<br />

<strong>und</strong> entsprechend angepasst werden. „Verschnaufpausen“<br />

sind hier „buchstäblich“ gemeint.<br />

Die physiotherapeutische Atemtherapie soll auf die Verbesserung<br />

der Atemarbeit, des Atemvolumens <strong>und</strong> der allgemeinen<br />

Lockerung gerichtet werden.<br />

Im Hinblick auf die persönlichkeitsgestaltende Bedeutung<br />

der <strong>Atmung</strong> ist auch an eine gestalttherapeutische Atemtherapie<br />

zu denken, soweit dies körperlich-funktionell möglich<br />

ist.<br />

Mit Bronchien erweiternden Theophyllin-Präparaten wird<br />

die Zugkraft der Zwerchfellmuskulatur verbessert <strong>und</strong> die<br />

Ermüdung verzögert, die Sensibilität des Atemzentrums auf<br />

Blut-Kohlensäure-Anstieg wird verfeinert, <strong>und</strong> somit können<br />

die Atemstillstands-Phasen verringert werden.<br />

In der ganzen Betreuung der Atembehinderten ist die Existenz<br />

eines Stützpunktes/einer Ambulanz <strong>von</strong> größter, zum<br />

Teil auch vitaler Wichtigkeit. Vielfach können dadurch<br />

rasch <strong>und</strong> kompetent, teilweise auch interdisziplinär, medizinische<br />

<strong>und</strong> technisch-apparative Probleme gelöst werden.<br />

Für Betroffene mit Poliospätfolgen können auch psychologische,<br />

soziale, finanzielle <strong>und</strong> versicherungstechnische<br />

Fragen <strong>und</strong> Sorgen durch die Vertrauenspersonen eines solchen<br />

Stützpunktes/Ambulanz beantwortet <strong>und</strong> behandelt<br />

werden.<br />

Wichtig ist dabei, dass die Betroffenen mit Poliomyelitis-<br />

Spätfolgen, PPS <strong>und</strong> Atemgelähmten sich nur an einen Ort<br />

begeben müssen, damit die Lösung ihrer Probleme koordiniert<br />

<strong>und</strong> schnell gef<strong>und</strong>en werden kann, vor allem bei<br />

kombinierten medizinischen <strong>und</strong> technischen Problemen<br />

<strong>und</strong> Zwischenfällen.<br />

Dr. med. Thomas Lehmann-Buri<br />

gehört dem Fachausschuss der Schweizerischen Interessen-<br />

Gemeinschaft für Polio-Spätfolgen (SIPS) an.<br />

Er ist Spezialist für Poliomyelitis-Spätfolgen <strong>und</strong> Atemlähmung.<br />

Polio-Nachrichten Nr. 4/2007

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!