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Výstava „Hlasy svobody - Rádio Svobodná Evropa v období studené ...

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Stimmen<br />

der Freiheit<br />

Radio Free Europe<br />

im Kalten Krieg<br />

Stimmen der Freiheit – Radio Free Europe im Kalten Krieg<br />

Konzeption: Zuzana Jürgens (Tschechisches Zentrum München),<br />

Prokop Tomek (Militärhistorisches Institut, Prag)<br />

Ausstellungstext: Prokop Tomek<br />

Produktion: Lukáš Jiřička, Michal Hroza<br />

Grafik: Jaroslav Ježek<br />

Übersetzung: Anett Browarzik<br />

Filminterviews und Portraits: Nasiba Abbasova, Annelie Bachmaier, Margarethe Barié, Maria Dokic,<br />

Patricia Erkenberg, Mariya Heinbockel, Almut Karl, Monika Kindermann, Lisa Kitter, Iryna Lukashuk,<br />

Susanne Paul, Thomas Rabl, Maria Romanski, Sandra Szczesniak, Annik Trauzettel, David Wenig<br />

(Studierende des Elitestudiengangs Osteuropastudien an der LMU und der Universität Regensburg)<br />

unter der Leitung von Ruth Schneider und Raoul Eshelman<br />

Organisatoren: Tschechische Zentren – Institut zur Erforschung totalitärer Regime – Elitestudiengang<br />

Osteuropastudien (LMU/UR) – Collegium Carolinum<br />

Dank an: Petr Brod, Anneli Ute Gabanyi, Leszek Gawlikowski, Ludmil Janev, Jenny Keiser, Nina Kozlowski,<br />

Aleksander Menhard, Renata Rosenbusch, Kristina Váňová, Karel Čapek Gedenkstätte, RFE/RL-Archiv<br />

der russischen Redaktion<br />

Unter Schirmherrschaft des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und des tschechischen<br />

Außenministers und 1. Vize-Ministerpräsidenten Karel Schwarzenberg.<br />

Eine Ausstellung von: In Zusammenarbeit mit:


I.<br />

Beginn der tschechoslowakischen Sendung<br />

von Radio Free Europe<br />

Dem tschechoslowakischen Exil kam bei Radio Free Europe (RFE) in zweierlei Hinsicht eine wichtige<br />

Rolle zu. Die Tschechen und Slowaken begannen mit der ersten Probesendung des Radios am 14. Juli<br />

1950. Die reguläre Ausstrahlung wurde am 1. Mai 1951 auf der Mittelwelle 417 m gestartet. Bereits seit<br />

September 1949 arbeitete der Exilrat der freien Tschechoslowakei an deren Vorbereitung.<br />

Das Programm der ersten Probesendung aus dem Jahr 1950 wurde in der RFE-Redaktion im Empire<br />

State Building in New York aufgenommen. Die Aufnahmen kamen dann auf dem Luftweg nach München.<br />

In Deutschland wurde die Probesendung<br />

über den Kurzwellensender „Barbara“,<br />

der eine Leistung von 7,5 kW hatte,<br />

ausgestrahlt. Dieser befand sich auf einem<br />

Lastwagen, der auf der ehemaligen Militärbasis<br />

Lampertheim, nahe der tschechoslowakischen<br />

Grenze, stand. Nur zehn Stunden<br />

in der Woche wurden jeweils dreißigminütige<br />

Sendungen gesendet, die Nachrichten,<br />

Informationen und kurze politischen Analysen<br />

beinhalteten.<br />

Am 1. Mai 1951 fanden am Vormittag im<br />

Münchner Hotel Bayerischer Hof zwei Feier-<br />

lichkeiten statt: die Einweihung des Mittel-<br />

wellensenders und die Aufnahme der Sendungen<br />

in die Tschechoslowakei. Zu diesem<br />

Anlass sprachen der europäische Direktor<br />

von RFE Forrest McCluney, der tschechische<br />

römisch-katholische Priester und später<br />

sehr populäre Redakteur der RFE-Sendung<br />

zu Religion Alexander Heidler, der amerikanische<br />

Vertreter der Amerikanischen Arbeiterunion<br />

Irwing Brown, der Vorsitzende des<br />

Nationalkomitees für ein freies Europa (National<br />

Committee for a Free Europe - NCFE)<br />

Charles D. Jackson und letztlich auch der<br />

Direktor der tschechoslowakischen Redaktion<br />

Ferdinand Peroutka. Um elf Uhr vormittags<br />

desselben Tages ging RFE feierlich auf<br />

Sendung.<br />

Der Vorsitzende des Nationalkomitees<br />

für ein freies Europa Charles D. Jackson hob<br />

bei seiner Rede die einzigartige Rolle der Exilanten hervor und leitete die tschechoslowakische Sendung<br />

mit den Worten ein: „Aus dieser Station werden die freien Tschechen und Slowaken zu ihren geknechteten<br />

Landsleuten sprechen“.<br />

RFE-Redakteur Zdeněk Eliáš vor einem Modell des Eisernen Vorhangs und der Sendekarte von RFE. (Quelle: Privatarchiv Kate Elias)<br />

Das Nationalkomitee für ein freies Europa<br />

Der 1. Bericht des Leiters der Kultur- und Propagandaabteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei<br />

der Tschechoslowakei Gustav Bareš an Klement Gottwald über die Aufnahme der RFE-Sendungen.<br />

(Quelle: Nationalarchiv, CZ) Mitarbeiter des NCFE lesen Hörerbriefe. (Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen, CZ)<br />

Nach monatelangen Vorbereitungen wurde am 1. Juni 1949 in New York das Nationalkomitee für<br />

ein freies Europa (National Committee for a Free Europe – NCFE) ins Leben gerufen. Die Gründung gab<br />

damals der Vorsitzende Joseph Clark Grew, ein erfahrener Diplomat und Politiker, in einer Presseerklärung<br />

bekannt. Das Komitee wurde mehr als zwei Jahrzehnte von Persönlichkeiten der amerikanischen<br />

Politik, aus der Wissenschaft und dem Journalismus, darunter der spätere Präsident der USA Dwight D.<br />

Eisenhower, geprägt.<br />

Das NCFE wollte demokratische Politiker, die in die USA vor der kommunistischen Unterdrückung in<br />

Osteuropa geflohen waren, unterstützen. Der Aufenthalt der Exilanten in den USA sollte sinnvoll genutzt,<br />

ihre Gedanken und Ziele der amerikanischen Öffentlichkeit vermittelt werden. Die Idee der nationalen und<br />

individuellen Befreiung wollte man bei den Bewohnern der Länder des Ostblocks durch Rundfunk und<br />

Druckmedien stärken. Ein weiterer Programmpunkt war es, die Zusammenarbeit zwischen ähnlich denkenden<br />

Exilanten aus verschiedenen europäischen Ländern, die damals in den USA lebten, anzuregen<br />

und zu unterstützen.<br />

Aus einer Erklärung des NCFE: „Waffen und wirtschaftliche Hilfe sind unerlässlich, aber nicht ausreichend.<br />

Nur ein Sieg auf dem Gebiet der Gedanken und geistigen Werte kann von Dauer sein.“<br />

Die herausragendste Initiative des NCFE war die Gründung der Rundfunkstation Radio Free Europe,<br />

deren Symbol die „Glocke der Freiheit“ wurde. Sie stand für die Befreiung Osteuropas vom Kommunismus.<br />

Nachrichtenabteilung der tschechoslowakischen Redaktion. (Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen, CZ)


II.<br />

Wirkungsstätten: New York, München, Prag<br />

Organisatorisch ungewöhnlich war die Aufteilung von RFE in den New Yorker Teil – die Leitung mit der<br />

Programmdienststelle – und in den Münchner ausführenden Teil. Ab 1961 verblieb in New York nur noch<br />

eine Vertretung für die Berichterstattung aus den USA.<br />

In München war RFE zunächst in angemieteten Räumlichkeiten untergebracht. Aber bereits im Verlauf<br />

des Jahres 1951 zog das gesamte Personal in den Gebäudekomplex in der Oettingenstraße am<br />

Englischen Garten um. Das Gebäude, das ursprünglich als Krankenhaus konzipiert war, verließ RFE erst<br />

in den neunziger Jahren. Heute wird es von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität genutzt.<br />

Der Vorteil der Ansiedlung von RFE in München war die strategische Lage inmitten Europas, nicht allzu<br />

weit weg von den Zielländern der Sendungen. Trotz des schwer zu durchdringenden Eisernen Vorhangs<br />

ermöglichte dieser Standort einen leichteren Austausch von Informationen. München war für die Redakteure<br />

zugleich eine inspirierende Großstadt mit herausragenden Museeumssammlungen, Bibliotheken<br />

und einer Universität.<br />

Fernschreiber RFE 3-76. (© Josef Rakušan)<br />

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Herbst 1989 musste RFE nicht nur nach einer Neuausrichtung<br />

seiner Tätigkeit suchen, sondern aus fi nanziellen Gründen auch nach einem neuen Standort. Unter<br />

anderem dank der Unterstützung des tschechischen Präsidenten Václav Havel und des tschechischen<br />

Ministerpräsidenten Václav Klaus gelang es, RFE in Prag anzusiedeln. Im März 1995 zog RFE/Radio<br />

Liberty (RL) nach Prag um. Der Sendebetrieb in München wurde am 9. Juni desselben Jahres eingestellt.<br />

Eine Reihe von RFE/RL-Angestellten ging in Folge des Umzugs in den Ruhestand und blieb in München.<br />

Parallel wurde mit der Ausstrahlung aus dem Gebäude der ehemaligen Föderalversammlung auf dem<br />

Wenzelsplatz in Prag begonnen. Seit dem Jahre 2009 hat RFE/RL seinen Sitz in einem komplett neuen<br />

Spezialgebäude, das in Hagibor, Prag erbaut worden ist.<br />

Störung<br />

Das RFE-Gebäude heute. (© Prokop Tomek) „Erchingen 1“: Aufnahme des RFE-Sendemastes, aufgenommen durch die Staatssicherheit in den<br />

50er Jahren. (Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen, CZ)<br />

Karte mit Störorten, 1953. (Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen, CZ)<br />

Eingang in das RFE-Gebäude, erste Hälfte der 90er Jahre. (©Josef Rakušan)<br />

Control Master Room bei RFE, München. (©Josef Rakušan)<br />

Blick in die RFE-Studios, 50er Jahre. (Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen, CZ)<br />

Aufnahmenarchiv der RFE-Sendungen in München, 60er Jahre. (Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen,<br />

CZ)<br />

Nachrichtenabteilung der tschechoslowakischen Redaktion. (© Josef Rakušan)<br />

Die Bemühungen, das Informationsmonopol der kommunistischen Regierungen mithilfe von Radiosendungen<br />

zu durchbrechen, stießen hinter dem Eisernen Vorhang auf starken Widerstand. Ihr typischer<br />

Ausdruck wurde die Aussendung von Störsignalen, die das Anhören ausländischer Radiostationen unterbinden<br />

sollten, neben RFE insbesondere von BBC, Voice of America und Radio Vatikan. Die Störungen<br />

standen dabei im Widerspruch zu den internationalen Verpfl ichtungen der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten.<br />

Durch örtliche Störstationen, die größtenteils in großen Städten und Ballungsgebieten aufgestellt<br />

waren, wurde insbesondere die Mittelwelle gestört. Auf dem Land trat dies im Normalfall weniger häufi<br />

g auf. Aufgrund der technischen Beschaffenheit der Kurzwellenübertragung arbeiteten die Staaten des<br />

Ostblockes, darunter die Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen, Rumänien, Ungarn und die Sowjetunion,<br />

bei deren Störung seit Beginn der 50er Jahre zusammen.<br />

Polen hörte mit der lokalen Störung zwar im Jahr 1956 auf, fuhr jedoch mit der Fernstörung der<br />

Kurzwellenübertragung nach der politischen Abkühlung Anfang der sechziger Jahre bis in die achtziger<br />

Jahre hinein fort. Rumänien hörte mit der Störung im Jahr 1963 komplett auf, Ungarn ein Jahr später.<br />

Am längsten, d.h. bis ins Jahr 1988, störten die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Bulgarien den<br />

Sendebetrieb von RFE.<br />

RFE wehrte sich gegen diese Störungen durch den Einsatz immer stärkerer Sender, durch möglichst<br />

deutliche Radioansprachen und zahlreiche Wiederholungen der Sendungen. Die Wirksamkeit der Störungen<br />

war auch abhängig von der Tages- und Jahreszeit. Die Hörer bauten sich selbst spezielle Antennen<br />

oder fuhren übers Wochenende einfach aufs Land, um RFE zu hören.<br />

Einstiger Mast für die Fernstörung in Poděbrady heute. (©Prokop Tomek)<br />

(Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen, CZ)<br />

Die ehemalige Zentrale der Fernstörung in Poděbrady heute. (©Prokop Tomek)<br />

RFE-Sendemast in Portugal aus den 50er Jahren. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

(© Josef Rakušan)


III.<br />

Die Ballonaktion<br />

Hunderte Millionen Flugblätter wurden im Verlauf der 50er Jahren aus Tausenden von Ballons auf dem<br />

Gebiet der Tschechoslowakei, Ungarns und Polens verteilt. Im heutigen Zeitalter der Informationstechnologie<br />

sind die Ballonaktionen von Radio Free Europe ein aussagekräftiger Beweis für das Ausmaß der<br />

damaligen Teilung der Welt dar.<br />

So wurden in der ersten Hälfte der 50er Jahre in Bayern die Ballons, die nach Mittel- und Osteuropa fl iegen sollten, vorbereitet. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Die Flugblätter sollten die Rundfunksendungen ergänzen und das Pressemonopol der totalitären Staaten<br />

aufweichen. Weil Postsendungen im Ostblock einer strengen Zensur unterlagen und alles, was unerwünscht<br />

war, von den Zensoren vernichtet wurde, beschloss das Nationalkomitee für ein freies Europa,<br />

Informationen in Druckform mithilfe kleiner Ballons durch die Luft zu schicken.<br />

Auf dem Gebiet der Tschechoslowakei fanden in den Jahren 1951, 1953 und 1954-56 insgesamt drei<br />

Flugblattaktionen statt: „Winds of Freedom“, „Prospero“ und „Veto“. Die letzte war eine wortwörtlich<br />

gemeinte Kampagne, deren Ziel es war, die in dem Tschechoslowakischen Programm „Zehn Punkte<br />

der Volksopposition“ verborgenen Oppositionsansichten zu unterstützen. Außer dieser Materialien transportierten<br />

die Ballons in millionenfacher Aufl age die regelmäßig erscheinende „Flugblattzeitung“ Freies<br />

Europa sowie gelegentlich Broschüren.<br />

Im Jahr 1955 führte Radio Free Europe auch eine ähnliche Kampagne in Ungarn durch. Die sogenannte<br />

Operation „Focus“ hatte zum Ziel, latente Oppositionsbewegungen zu ermutigen.<br />

Anleitung zum Durchführen der Ballonaktion. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Das polnische Exil lehnte es ab, bei der heimischen Bevölkerung unbegründete Hoffnungen auf die<br />

Hilfe des Westens zu erwecken. Daher fl ogen die Flugblattballons erst ab dem Jahr 1955 nach Polen.<br />

Sie beförderten ausschließlich Informationsmaterialien, wie beispielsweise polnische Übersetzungen von<br />

George Orwells „Farm der Tiere“ oder den geheim gehaltenen Vortrag von N.S. Chruschtschow auf dem<br />

XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Von November 1955 bis August 1956 hatten<br />

die Ballons zugleich sieben Nummern der Zeitschrift „Wolna Europa – Freies Europa“ in millionenfacher<br />

Aufl age dabei. Nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands im Jahr 1956 beendete Radio<br />

Free Europe sämtliche Flugblattaktionen.<br />

Beenden der Ballonaktion. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Mechanismus zur Verteilung von Flugblättern aus dem Ballon nach Erreichen des Zielgebietes.<br />

(Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

RFE-Ballons aus Gummi mit Flugblättern. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Die Regierungen der Tschechoslowakei, Ungarns und Polens reagierten verärgert. Abgesehen von<br />

diplomatischen Protesten begannen sie damit, die Ballons abzuschießen, die Flugblätter einzusammeln<br />

und zu zerstören und in der offi ziellen Presse eine Gegenkampagne zu starten. Inwieweit die mit den<br />

Ballons überbrachten Informationen tatsächlich Einfl uss hatten, ließ sich zu der damaligen Zeit nicht auf<br />

unabhängige Art und Weise feststellen.<br />

Presse und Forschung bei Radio Free Europe<br />

Bereits die ursprünglichen Pläne des Nationalkomitees für ein freies Europa beinhalteten das Vorhaben,<br />

den Bewohnern der Länder hinter dem Eisernen Vorhang auch das gedruckte unzensierte Wort zu überbringen<br />

sowie den Westen über die Vorgänge in den unterdrückten Ländern zu informieren. So entstand<br />

im Jahr 1949 die Abteilung „Freie Europa-Presse“ (Free Europe Press).<br />

Die Abteilung begann damit, Informationsmaterialien über die Situation in Osteuropa für Fachleute<br />

und die breitere Öffentlichkeit im Westen herzustellen. Von der breiten Palette an Propagandamitteln in<br />

den USA zeugt die Tatsache, dass die Free Europe Press beispielsweise im Jahr 1951 unter dem Namen<br />

„Ungebeugt“ einen bemerkenswerten Comics über die demokratische Politikerin Milada Horáková, die in<br />

der Tschechoslowakei im Jahr 1950 hingerichtet worden war, herausgab.<br />

Auszüge aus dem Comic „Ungebeugt“ über Milada Horáková. (Quelle: Nationalarchiv, CZ)<br />

Entsprechend den nationalen Redaktionen bei RFE existierten auch nationale Abteilungen für Auswertung<br />

und Monitoring. Ihr Ziel war es, Informationen aus den offi ziellen Medien und weiteren Quellen hinter<br />

dem Eisernen Vorhang zusammenzutragen und zu analysieren. Die Angestellten dieser Forschungsabteilungen<br />

sammelten Auszüge aus der kommunistischen Presse und zeichneten auf Evidenzkarten persönliche<br />

Daten und weitere Angaben von Prominenten auf. Das Monitoring besorgte Aufzeichnungen der<br />

Sendungen und bereite diese zu Informationsdokumenten auf.<br />

Auch die Korrespondenten von RFE in Westeuropa sammelten Informationen. In den ersten Jahren des<br />

Senders kamen diese von Flüchtlingen aus den Ostblockstaaten, die detaillierte Beobachtungen lieferten,<br />

später von gelegentlichen legalen Besuchern. Die Grenzen in die Zielländer blieben aber verschlossen.<br />

In den achtziger Jahren veränderte sich die Situation. Zum Beispiel betrieb ab dem Jahr 1985 das Exilantenehepaar<br />

Čeřovský in München eine Informationsagentur, die „Free Press Agency“. Aktuelle Informationen<br />

von den Bürgerinitiativen oder Einzelheiten über die Verfolgung von Regimegegnern erhielt die<br />

Agentur durch Telefongespräche mit den Aktivisten der Bürgerinitiativen in der Tschechoslowakei. Die<br />

transkribierten Informationen stellte sie RFE/RL zur Verfügung. RFE/RL selbst durfte nämlich nicht direkt<br />

Informationen aus den Zielländern sammeln und konnte daher nur Informationen aus bereits publizierten<br />

oder aus anderen Quellen stammenden Nachrichten übernehmen.<br />

(Quelle: Nationalarchiv, CZ)


III.b<br />

Ferdinand Peroutka<br />

Direktor der tschechoslowakischen Redaktion wurde am 6. April 1950 in New York der tschechische<br />

Spitzenjournalist Ferdinand Peroutka. Für die amerikanischen Repräsentanten des NCFE repräsentierte<br />

er die demokratische Vergangenheit der Tschechoslowakei.<br />

Von links: Ferdinand Peroutka, Direktor der tschechoslowakischen Redaktion von RFE, und Bill Raffael, Produktionschef, am Tag der offiziellen Aufnahme des Sendebetriebs aus München am 1.5.1951.<br />

(Quelle: Karel Čapek Gedenkstätte)<br />

Ferdinand Peroutka wurde am 6. Februar 1895 in Prag geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg war<br />

er einer der Gründer des demokratisch-liberal ausgerichteten Journalismus in der neu gegründeten<br />

Tschechoslowakischen Republik. Mit seinem journalistischen Schaffen unterstützte er direkt den ersten<br />

tschechoslowakischen Präsidenten T.G. Masaryk. Aufgrund seiner Haltungen wurde er in den Jahren<br />

1939-1945 in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern interniert. In der schwierigen Atmosphäre<br />

der beschränkten Demokratie der Nachkriegsjahre 1945-1948 gab er die Zeitschrift „Dnešek“ („Heute“)<br />

heraus, damals eine der wenigen wirklich unabhängigen Periodika. Bald nach der kommunistischen<br />

Machtergreifung im Februar 1948 floh er vor der unausweichlichen neuerlichen Verfolgung, zunächst<br />

nach Großbritannien und danach in die USA, wo er sich den Vorbereitungen für die Sendungen von RFE<br />

anschloss. Im Radio arbeitete er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1961. Noch weitere zehn Jahre<br />

schrieb er für RFE als freier Mitarbeiter regelmäßig Kommentare („talky“). Er starb am 20. April 1978 in<br />

New York.<br />

Von links: Dr. Karel Steinbach und Ferdinand Peroutka in New York in den 70er Jahren. (Quelle: Karel Čapek Gedenkstätte)<br />

„Für die tschechoslowakische Redaktion war es ein Glücksfall, dass sie den anerkanntermaßen besten<br />

tschechoslowakischen Journalisten seiner Zeit hatten, Ferdinand Peroutka. Und ein weniger bedeutender<br />

Glücksfall war es, dass bei den sich in Entscheidungspositionen befindenden Amerikanern kein<br />

Zweifel daran bestand, dass Peroutka für die tschechoslowakische Sendung aufgestellt werden soll,“<br />

schrieb Peroutkas Mitarbeiter Miloslav Kohák.<br />

„Eine Zeitschrift bedeutete wenig in einem Land, wo die Freiheit regiert. Aber eine freie Zeitschrift,<br />

eine Rundfunkstation in einem diktatorischen Regime – das ist eine Revolution. Denn ein solches Regime<br />

gründet sich darauf und erhält sich dadurch, dass nur die Regierung sprechen und niemand darauf reagieren<br />

darf, dass jeder angeklagt, aber niemand sich verteidigen darf.“ Aus Peroutkas Ansprache bei der<br />

Aufnahme der Sendung am 1. Mai 1951.<br />

Ferdinand Peroutka im Sommerhaus in Rangely. (Quelle: Karel Čapek Gedenkstätte)<br />

Ferdinand Peroutkas Dienstausweis bei RFE. (Quelle: Karel Čapek Gedenkstätte) Ausgabe der Zeitschrift „Přítomnost - Gegenwart“ von September 1938, deren Chefredakteur<br />

Peroutka war. (Quelle: Karel Čapek Gedenkstätte)<br />

Abflug von Julius Firt, stellvertretender Direktor der tschechoslowakischen Redaktion, nach München, 1957. Von links: Samuel Beluš, Julius Firt, Hr. Škaloud, Ferdinand Peroutka.<br />

(Quelle: Karel Čapek Gedenkstätte)<br />

Identitätskarte von Peroutka bei seiner Emigration nach England 1948.<br />

(Quelle: Karel Čapek Gedenkstätte)


IV.<br />

Die tschechoslowakische Redaktion:<br />

<strong>Rádio</strong> <strong>Svobodná</strong> <strong>Evropa</strong><br />

Anfang 1950 wurde mit dem Aufbau des Redaktionsteams in den USA und in Deutschland begonnen.<br />

Der erfolgreiche Start der Radiosendungen wurde auch durch die Tatsache begünstigt, dass nach der<br />

Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei im Februar 1948 in einem Zeitraum von<br />

zwei Jahren zwanzigtausend Flüchtlinge das Land verließen.<br />

Die tschechoslowakische Redaktion, von links: Milan Schulz, Lída Rakušanová, Karel Moudrý, Karel Kryl. (©Josef Rakušan)<br />

In der Redaktion wechselten sich während ihres vierzigjährigen Bestehens viele hundert Mitarbeiter ab,<br />

oftmals namhafte Persönlichkeiten aus dem kulturellen und politischen Leben. Außer Ferdinand Peroutka<br />

oder dem Journalisten Pavel Tigrid waren das in den Anfängen zum Beispiel die Schriftsteller Egon Hostovský<br />

oder Jan Čep, in den achtziger Jahren der Sänger Karel Kryl oder der Dichter Ivan Diviš. Für diese<br />

Menschen wurde die Arbeit bei RFE zu einer Berufung. Ihre Integration in die Strukturen der neuen Heimat<br />

war dabei jedoch oftmals sehr gering, da sie immer noch auf eine baldige Rückkehr in die Heimat<br />

hofften. Aufgrund ihrer Anstellung bei RFE verloren sie die Möglichkeit, den Kontakt mit Freunden und<br />

Verwandten in der Tschechoslowakei zu pflegen. Gleichzeitig setzten sie sich der Gefahr der Vergeltung<br />

durch die Staatssicherheit aus.<br />

Ivo Faltis, Martin Štěpánek und Lenka Kravčíková im RFE-Studio München Anfang der 90er Jahre.<br />

(© Josef Rakušan)<br />

Die tschechoslowakische Redaktion wies im Vergleich zu den anderen Redaktionen bei RFE eine Besonderheit<br />

auf: Als einzige sendete sie für Menschen zweier Sprachen und Nationalitäten, für die Tschechen<br />

und die Slowaken. Diese Gemeinschaft wurde im Lauf der Jahre einer Reihe von Prüfungen unterzogen.<br />

Bis zum Zerfall des gemeinsamen Staates im Jahre 1992 hielt sie aber an.<br />

Der Weg zur Freiheit in der Tschechoslowakei war lang und beschwerlich. Nach der Hoffnung und den Exilantentätigkeiten<br />

in den fünfziger Jahren erschien der Reformweg des kommunistischen Regimes in den<br />

sechziger Jahren real. Die darauf folgenden Jahrzehnte der Normalisierung, “d.h. die Herstellung der alten<br />

Strukturen nach Niederschlagung des Prager Frühlings“ d.h. die Herstellung der alten Strukturen nach<br />

Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, und die gesellschaftliche Demoralisierung machten diese<br />

Hoffnung jedoch zunichte. Nach anfänglichen inneren Spannungen und der Suche nach der eigenen Rolle<br />

wurde die tschechoslowakische Redaktion mit der Zeit zu einem echten alternativen Medium und zweifellos<br />

zu einem Faktor der gesellschaftlichen Veränderungen im Jahre 1989. Die meisterhafte Berichterstattung<br />

während des turbulenten Jahres 1989 und Anfang November 1989 war ein großer Erfolg.<br />

Heimlich aufgenommene Bilder des Geheimdienstagenten Pavel Minařík: RFE in München im Jahr<br />

1975. (Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen, CZ)<br />

Sitzung der tschechoslowakischen Redaktion Anfang der 90er Jahre. (© Josef Rakušan)<br />

RFE und die Samtene Revolution<br />

Fast zwanzig Jahren nach der Unterdrückung der Reformen des Prager Frühlings 1968 erwachte die<br />

Zivilgesellschaft. Dies trug, zusammen mit weiteren Faktoren, dazu bei, dass die Sendungen von RFE<br />

für die Tschechoslowakei nicht nur zunahmen, sondern auch eine neue, viel grundsätzlichere Bedeutung<br />

erhielten. Aufgrund der vielen Mitarbeiter, die aus dem dissidentischen Umfeld kamen, und den Hörerreaktionen<br />

auf die Sendungen in Form von Briefen und Telefonaten wurde RFE praktisch zu einer einheimischen<br />

Station, die sich bloß auf dem Gebiet des Nachbarlandes befand. Im Dezember 1988 wurde die<br />

Störung der Sendungen von Radio Free Europe beendet, so dass die tschechischen und slowakischen<br />

Hörer im Schlüsseljahr 1989 einen viel leichteren Zugang dazu hatten. RFE trug dazu bei, die Atmo-<br />

sphäre im Land zu verändern, zum Beispiel durch das Vorlesen der Namen der Unterzeichner der Petition<br />

„Einige Sätze“ aus dem Jahr 1989, die von unabhängigen Initiativen ins Leben gerufen und von 40.000<br />

Menschen unterzeichnet worden war.<br />

Redakteurin Lída Rakušanová zerschneidet den Stacheldraht in Böhmisch Eisenstein. (©Josef Rakušan)<br />

Aufgrund günstiger Umstände konnte bereits am Dienstag, den 21. November 1989 Pavel Pecháček,<br />

der Direktor der tschechoslowakischen Redaktion von RFE, nach Prag fliegen und erhielt dort seine journalistische<br />

Akkreditierung. Am selben Tag zeichnete er auf dem Prager Wenzelsplatz aus dem Fenster<br />

des Hotels „<strong>Evropa</strong>“ die erste Demonstration auf, bei der die Vertreter des oppositionellen Bürgerforums<br />

sprachen, und übermittelte die Aufnahmen telefonisch an RFE.<br />

Die tschechoslowakische Redaktion im November 1989, von links: Petr Noskovič, Hr. Kusín, Karel Moudrý, Ivan Cikl, Petr Brod und Lída Rakušanová. (©Josef Rakušan)<br />

Die RFE-Reportage über die ersten Novemberdemonstrationen auf dem Wenzelsplatz besaß nicht nur<br />

einen symbolischen, sondern zweifellos auch einen Informationswert. Noch am Mittwoch, den 23. November<br />

1989, konnten die Angestellten des Tschechoslowakischen Fernsehens nicht frei senden, ähnlich<br />

erging es auch dem Tschechoslowakischen Rundfunk. Die Verteilung von Zeitungen, insbesondere des<br />

„Freien Wortes“ (Svobodné slovo) und der „Volksdemokratie“ (Lidové demokracie), wurde außerhalb von<br />

Prag durch die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei und den Geheimdienst verhindert. Doch<br />

das Ziel war noch lange nicht erreicht: Am Freitag, den 24. November 1989, wurde Pavel Pecháček auf<br />

Befehl der Staatssicherheit aus der Tschechoslowakei ausgewiesen


IV.b<br />

Pavel Pecháček<br />

Pavel Pecháček wurde, kurz nachdem sein Vater, Jaroslav Pecháček, aufgrund seiner Mitgliedschaft<br />

in der demokratischen „Volkspartei“ inhaftiert worden war, am 2. Juli 1940 geboren. Nach der Macht-<br />

übernahme durch die Kommunisten war Jaroslav Pecháček 1948 gezwungen, mit seiner Frau aus der<br />

Tschechoslowakei nach Westdeutschland zu emigrieren. Pavel und seine beiden jüngeren Geschwister<br />

wuchsen alleine in der Tschechoslowakei auf. Im Januar 1961 nahm Pavel Pecháček an der DAMU<br />

(Theaterfakultät der Akademie der Musischen Künste) in Prag sein Studium in den Fächern Regie und<br />

Dramaturgie auf. Dort lernte er auch den späteren Präsidenten Václav Havel kennen, mit dem ihn noch<br />

heute eine enge Freundschaft verbindet.<br />

Pavel Pecháček. (©Josef Rakušan)<br />

Noch während seines Studiums übernahm Pavel Pecháček im Januar 1965 eine Stelle als Redakteur<br />

in der Nachrichtenredaktion des tschechoslowakischen Rundfunks. Im selben Jahr wurde Pavel Pecháček<br />

von der Staatssicherheit zu seinem Vater verhört, der zu dieser Zeit bereits bei Radio Free Europe in<br />

München arbeitete. Bis Ende der 60er Jahre blieb Pavel Pecháček jedoch für die Staatssicherheit von<br />

nur geringem Interesse – was sich mit seiner Emigration im September 1968 schlagartig änderte. Nach<br />

dem Einmarsch der sowjetischen Truppen im August 1968 sah Pavel Pecháček in der Tschechoslowakei<br />

keine Perspektive mehr für sich: Es gelang ihm unter dem Vorwand, in Jugoslawien Urlaub zu machen,<br />

aus der Tschechoslowakei auszureisen und mit seiner Familie nach Österreich zu fahren. Aufgrund seiner<br />

Erfahrungen beim Rundfunk sowie seiner Qualifikationen wurde Pavel Pecháček Ende 1968 Redakteur<br />

bei RFE in München. In seinen Sendungen verwendete er das Pseudonym „Petr Horák“.<br />

Pavel Pecháček und Lída Rakušanová. (©Josef Rakušan)<br />

Pavel Pecháček im Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter in Prag John Shattuck (1998-<br />

2000). (Quelle: Privatarchiv Pavel Pecháček)<br />

Im April 1974 musste Pavel Pecháček RFE jedoch aufgrund von Budgetkürzungen verlassen. Er<br />

bewarb sich erfolgreich um eine Anstellung in der tschechoslowakischen Redaktion von Voice of America<br />

(VOA). Mit seiner Familie zog er in die Vereinigten Staaten, wo er im November 1974 die US-amerikanische<br />

Staatsbürgerschaft erhielt. Im Frühjahr 1985 wurde Pavel Pecháček Direktor des tschechoslowakischen<br />

Programms von VOA. Unter seiner Führung erhöhten sich das Niveau der Sendungen sowie<br />

die Zahl der Zuhörer erheblich. 1989 kehrte Pavel Pecháček nach Deutschland zurück, wo er Leiter der<br />

tschechoslowakischen Redaktion von RFE wurde. Während der Samtenen Revolution im November 1989<br />

reiste Pavel Pecháček nach Prag. Als einziger Reporter berichtete er drei Tage telefonisch vom Wenzels-<br />

platz über die Demonstrationen.<br />

Von Februar 1994 bis Oktober 2001 war Pavel Pecháček Präsident von RFE. Im Oktober 2001 übernahm<br />

er die Leitung der Abteilung „Tschechische Angelegenheiten“. Seit 2008 ist Pavel Pecháček Berater<br />

des Präsidenten von RFE.<br />

Pavel Pecháček zusammen mit dem slowakischen Co-Direktor der tschechoslowakischen Redaktion Ivan Cikl Anfang der 90er Jahre. (Quelle: Privatarchiv Pavel Pecháček)<br />

Eröffnung der RFE-Redaktion in Prag 1990, im Hintergrund der tschechoslowakische Präsident<br />

Václav Havel und US-Botschafterin Shirley Temple Black. (Quelle: Privatarchiv Pavel Pecháček)<br />

Pavel Pecháček und Karel Moudrý, Redakteur bei RFE in den 80er und 90er Jahren in München und Prag. (Quelle: Privatarchiv Pavel Pecháček) Pavel Pecháček und Milan Schulz, RFE München, Ende der 80er Jahre. (©Josef Rakušan)<br />

Von links: Die Soziologin Jiřina Šiklová, Pavel Pecháček und der Publizist und Politiker Jan Ruml.<br />

(Quelle: Privatarchiv Pavel Pecháček)


V.<br />

Die polnische Redaktion: Radio Wolna Europa<br />

Bereits ab August 1950 wurden erste Programme für Polen von New York aus gesendet. Der Sendebe-<br />

trieb in polnischer Sprache aus München begann am 3. Mai 1952. In der polnischen Abteilung arbeiteten<br />

vor allem Emigranten, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht im kommunistisch regierten Polen leben woll-<br />

ten. Ab September 1981 kamen viele neue Mitarbeiter dazu, die sogenannte „Solidarność-Emigration“.<br />

Pfarrer Tadeusz Kirschke moderiert eine Sendung, 60er Jahre.<br />

(Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

Die Sendungen wollten die historisch begründete Westorientierung des polnischen Volkes langfristig<br />

stärken und einer Sowjetisierung entgegenwirken. Die Hörer sollten vertrauenswürdige Nachrichten über<br />

das politische Meinungsspektrum des Westens bekommen, um die verzerrten Informationen der Re-<br />

gimepropaganda zu korrigieren. Dabei sollte jedoch vermieden werde, falsche Hoffnungen zu erwecken,<br />

auf eine objektive Berichterstattung wurde daher großer Wert gelegt. Dieser Grundsatz wurde beispiels-<br />

weise bei der Flugblattaktion deutlich, bei der das polnische Exil nur Informationsflugblättern nach Polen<br />

zustimmte.<br />

Zu den Zielen gehörte außerdem, oppositionellen oder unabhängigeren Gruppierungen, wie Interessen-<br />

und Gewerkschaftsorganisationen, eine Plattform zur Meinungsäußerung anzubieten und dadurch<br />

indirekt das Machtmonopol der regierenden kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei<br />

(PVAP) aufzuweichen. Dass diese Vorgehensweise seine Berechtigung hatte, wurde durch die Entstehung<br />

der Gewerkschaftsorganisation Solidarność bestätigt.<br />

RFE-Redakteure Zygmunt Jabłoński und Roman Sikorski.<br />

(Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

Bedeutenden Raum nahmen im Hinblick auf die traditionell starke Rolle der katholischen Kirche religiöse<br />

Sendungen ein. Auch wenn diese nicht politisch ausgerichtet waren, hatten sie eine indirekte politische<br />

Bedeutung, da die Kirche eine der wenigen unabhängigen Autoritäten in Polen war.<br />

Das polnische kommunistische Regime verfolgte intensiv die Sendungen von RFE, nicht nur aus Gründen<br />

der potentiellen Gefährdung für die innere Stabilität des Landes, sondern es deutete die Sendungen<br />

zugleich als Inbegriff amerikanischer Interessen. Für eine Reihe von Bekundungen ziviler Unzufriedenheit<br />

im Verlauf der Jahre suchte es die Fehler nicht bei sich, sondern beim Einfluss des Auslandes, konkret<br />

bei der Stimme des freien Polens – Radio Free Europe. Daher reagierte es auf die Ausstrahlungen immer<br />

wieder gereizt und kämpfte, insbesondere mithilfe von Propaganda, intensiv dagegen an, z.B. mit Kommentaren<br />

oder Karikaturen.<br />

Sonderausgabe zu Solidarność der polnischen RFE-Redaktion.<br />

(Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

RFE-Redakteur Jan Tyszkiewicz interviewt den holländischen Sänger Ronnie Tober.<br />

(Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

Redakteur Witold Srzednicki beim Lesen internationaler Zeitungen, 1968.<br />

(Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

Zusammenkunft der Solidarność-Mitglieder, 1981.<br />

(Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

In der Zeit der Unruhen in Polen und während der Ausrufung des Kriegszustands im Jahr 1981 be-<br />

schuldigte der polnische Staat RFE der Aufwiegelung. In Wirklichkeit informierte die polnische Redaktion<br />

von RFE bloß über das Geschehen im Lande und veröffentlichte Dokumente von Solidarność.<br />

Der Sendebetrieb von RFE für Polen endete am 30.6.1994.<br />

Der erste Direktor der polnischen Abteilung Jan Nowak-Jeziorański. (Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

Polnische Spezialausgabe von Orwells „Farm der Tiere“ für die Ballonaktion 1955. (Quelle: Archiv der<br />

Geheimdienstunterlagen, CZ)<br />

RFE-Redakteur Henryk Rospendowski, polnisches Jugendprogramm. (Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

Polnische Karrikatur über RFE, die auf die Angst vor den Deutschen anspielt, um RFE zu diffamieren.<br />

(Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)


V.b<br />

Wiesław Wawrzyniak<br />

Wiesław Wawrzyniak wurde am 7. März 1950 in der Kurstadt Zoppot geboren. 1968 zog er nach dem<br />

Abitur in Danzig für das Studium der Soziologie in die Hauptstadt Warschau. Kurz vor seinem Abschluss<br />

entschied er sich 1973 für ein Auslandssemester in West-Berlin. Es war sein erster Aufenthalt in Deutsch-<br />

land, wo er sein Studium der Soziologie an der Freien Universität Berlin fortsetzte. 1975, zwei Jahre<br />

später, erkannte die Bundesrepublik Deutschland seinen Status an und erklärte ihn offiziell zum politi-<br />

schen Asylanten.<br />

Wiesław Wawrzyniak in seinem RFE-Büro bei der Arbeit, Mitte der 80 Jahre.<br />

(Quelle: Privatarchiv Wiesław Wawrzyniak)<br />

Interview mit Lech Walesa in seinem Garten in Danzig, 1990.<br />

(Quelle: Privatarchiv Wiesław Wawrzyniak)<br />

1977 verließ Wawrzyniak den europäischen Kontinent, um an der Carleton University in Ottawa (Kanada)<br />

„Soviet and East European Studies“ zu studieren. Dort machte er seinen Abschluss bei der Politikwissenschaftlerin<br />

Professor Teresa Rakowska-Harmstone, die ihm Kontakte zu der polnischen Redaktion<br />

von Radio Free Europe verschaffte.<br />

Titelblatt der Zeitung „Challenge and opportunity – Herausforderung und Chance“ des Nationalkomitees für ein Freies Europa, 1961. (Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

Im Oktober 1978 begann er mit der Anstellung als Redakteur in der polnischen Redaktion von RFE in<br />

München seine journalistische Karriere. Zunächst in der Jugendredaktion und als politischer Kommentator<br />

für die Sendung „Fakten, Ereignisse, Meinungen“ tätig, arbeitete er schon bald als Senior Editor<br />

und Managing Editor in leitenden Funktionen. 1987 bis 1988 stieg er zum Assistenten des Direktors der<br />

polnischen Redaktion auf, 1989 bis 1994 war er als leitender Redakteur für die Arbeit der Redaktion<br />

verantwortlich. 1989 erhielt er für seine Arbeit die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. In demselben<br />

Jahr wurde Wiesław Wawrzyniak als erster polnischer Mitarbeiter von RFE ausgewählt, auf einer Reise<br />

nach Warschau Journalisten für die geplante polnische Redaktion in Warschau zu rekrutieren. In der<br />

neuen Warschauer Redaktion arbeitete Wawrzyniak zeitweise in den Jahren 1991 bis 1996. 1997 kehrte<br />

er nach München zurück und machte ein Diplom als Public Relations Berater. Doch der kurze Exkurs in<br />

ein anderes Arbeitsgebiet blieb eine Ausnahme. Zwischen 1998 und 2006 arbeitete er als Freier Mitarbeiter<br />

für die polnische Redaktion der britischen BBC als Deutschlandkorrespondent. Es folgten eine<br />

dreijährige Korrespondententätigkeit und Kommentatorenfunktion für den polnischen Rundfunk, Polskie<br />

Radio S.A., in Warschau. Heute ist Wiesław Wawrzyniak als Europakorrespondent für das Polskie Radio<br />

S.A. in Chicago und New York beschäftigt. Sein Wohn- und Arbeitsort blieb nach seiner Zeit bei RFE<br />

Berlin.<br />

Józef Światło: „Za kulisami bezpieki a partii“<br />

(„Hinter den Kulissen der Geheimpolizei und der Partei“)<br />

Im Jahr 1953 gelang es dem Oberleutnant Jozef Światło, einem hochrangigen Angehörigen der Staatssicherheit,<br />

in den Westen zu entkommen. Światło war ein Vertreter der X. Abteilung des Ministeriums für<br />

öffentliche Sicherheit. Sein Ressort beschäftigte sich mit der Überwachung von Mitgliedern der PVAP,<br />

d.h. er gehörte zu den eingeweihten Kennern der Schwachstellen der Partei und der Staatssicherheit. Er<br />

nahm sogar persönlich an der Verhaftung von Personen wie Władysław Gomułka im August 1951 und<br />

Kardinal Wyszyńsky im September 1953 teil.<br />

Józef Światło bei der Arbeit. (Quelle: RFE/RL Inc. Archives)<br />

Im Oktober 1954 wurde erstmals über RFE die Sendung „Za kulisami bezpieki i partii – Hinter den<br />

Kulissen der Geheimpolizei und der Partei“ ausgestrahlt. Die täglich stattfindende Sendung wurde nach<br />

drei Monaten bis Januar 1955 fortgesetzt. Światło veröffentlichte Details über illegale und terroristische<br />

Methoden der Staatssicherheit, über die Lebensweise und die Schwächen der Machtelite der Partei<br />

sowie über ihre Abhängigkeit von Moskau.<br />

Die Sendungen stellte RFE in einer gleichnamigen Broschüre zusammen, die in Polen 1955 mithilfe<br />

von Ballons in einer Auflage von 800.000 Stück verteilt wurden.<br />

Józef Światłos Sendungen trugen dazu bei, die polnische Redaktion von RFE zwei Jahre nach Entstehung<br />

fest bei den Hörern in Polen zu etablieren. Von Bedeutung war dabei offenbar auch die Tatsache,<br />

dass es den polnischen Behörden nicht gelang, den Sendebetrieb von RFE wirksam zu stören.<br />

Die Informationen aus dem Inneren des Regierungsapparates stellten eines der wirksamsten Instrumente<br />

von RFE dar. Sie enthüllten die Schwächen sowie die wirkliche Funktionsweise des Regimes nicht<br />

nur vor überzeugten Regimegegnern, aber auch vor bis dahin loyalen Anhängern.<br />

Es ist unumstritten, dass sich Światłos Auftritt in RFE auf die Moral der Staatssicherheit und die Beziehung<br />

der Bürger zu ihr auswirkte. Die Enthüllung von Verfehlungen und Verbrechen demoralisierte zudem<br />

die Partei- und Sicherheitskader. Im Fall von Veränderungen der Machtverhältnisse würden Beweise über<br />

ihre Verbrechen existieren. In der Praxis führten die Sendungen daher auch zu personellen und organisatorischen<br />

Korrekturen im Sicherheitsapparat.<br />

Die polnische Redaktion besaß mit Józef Światło eine einzigartige Quelle. Die Methode der Enthüllungen<br />

verwendeten zwar auch die anderen Redaktionen, nur war es für sie wesentlich mühevoller, denn sie<br />

konnten nur auf die Analyse von Informationen zurückgreifen.<br />

„Fernsehen lügt“ schrieb jemand als Reaktion auf die Manipulierung der offiziellen Medien auf die Straße, Polen 80er Jahre. (Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)


VI.<br />

Die ungarische Redaktion: Szabad Európa Rádió<br />

Die ungarische Nachkriegsemigration war bunt. Als das Horthy-Regime im Jahr 1944 stürzte, flohen<br />

auch Faschisten oder Anhänger der antisemitischen Pfeilkreuzlerpartei in den Westen. Nach der Macht-<br />

ergreifung der Kommunisten folgten die demokratisch gesinnten Exilanten.<br />

Mit der Probesendung der „Stimme des freien Ungarns“ wurde in München am 4. August 1950 begonnen.<br />

Besondere Bedeutung gewann die Sendung in der Zeit des ungarischen antikommunistischen<br />

Aufstands im Herbst 1956. Der ungarische Aufstand richtete sich gegen die kommunistische Regierung<br />

und die sowjetische Vorherrschaft. Der Aufstand und insbesondere seine Unterdrückung wurden, ohne<br />

zu übertreiben, zu einem Schlüsselereignis der fünfziger Jahre, nicht nur für das ungarische Volk und die<br />

anderen Länder des Ostblocks, sondern auch für die weitere Arbeit von RFE.<br />

Die neue Führung unter Jánosz Kádár leitete in den darauffolgenden Jahren eigene liberalere Schritte in<br />

der Wirtschaft ein, was RFE in seinen Sendungen mit Verständnis reflektierte. Trotzdem hielt man sich<br />

mit Kritik, wenn notwendig, nicht zurück. RFE widmete sich gezielt der komplizierten Situation der ungarischen<br />

Minderheit im rumänischen Transsylvanien.<br />

Das Verhältnis Ungarns zu RFE lässt sich mit keinem anderen Land des Ostblockes vergleichen. Es<br />

gab weder Attentate, wie es bei Bulgarien oder Rumänien der Fall war, noch die medial groß inszenierte<br />

Rückkehr von Agenten, die bei RFE gearbeitet hatten, wie bei Polen oder der Tschechoslowakei. Bereits<br />

im Jahr 1964 hörten die Ungarn auf, die Ausstrahlung von RFE auf Ungarisch zu stören, in der Tschechoslowakei<br />

und in der SU setzten sie die Störung jedoch fort.<br />

Mitte der sechziger Jahre trafen sich sogar verdeckt Vertreter des ungarischen Regimes mit dem<br />

Direktoren der ungarischen Redaktion Joseph Szabados. Die ungarischen Sendungen reagierten zudem<br />

mit Verständnis im Hinblick auf die ungarischen Bemühungen um einen eigenen sozialistischen Weg.<br />

Beispielsweise konnte der Reporter der tschechoslowakischen Redaktion von RFE, György Varga, in<br />

den achtziger Jahren praktisch frei aus Ungarn berichten.<br />

Die Sendung von RFE konnte somit von allen Redaktionen zuallererst, nämlich im Jahr 1990, beendet<br />

werden.<br />

Die Ereignisse des Jahres 1956 in Ungarn<br />

Verlesung der Nachrichten, ungarische RFE-Redaktion. (Quelle: Open Society Archives, HU) Redaktionssitzung der ungarischen RFE-Redaktion. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Die bekannte ungarische RFE-Redakteurin Marie Horvath. (Quelle: Open Society Archives, HU) Auszüge aus RFE-Flugblättern für Ungarn. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Die ungarische Redaktion von RFE widersprach den bedrohlichen Anschuldigungen, dass sie den Aufstand<br />

provoziert habe. Tatsache ist jedoch, dass die ungarische Redaktion, wenngleich sie nachweislich<br />

nach den gültigen Richtlinien von RFE handelte, strittige bis inakzeptable Sendungen ausstrahlte. So<br />

sendete sie z.B. emotional aufgeladene Aufrufe an ungarische Soldaten, damit diese nicht gegen die<br />

Aufständischen kämpften. „Wer die Waffe gegen einen Aufständischen erhebt, ist ein Mörder“, erklang<br />

es am 24. Oktober 1956. „Oberst Glocke“, der eigentlich Julián Borsányi hieß, machte in der Sendung<br />

vom 27. Oktober seine Hörer darauf aufmerksam, dass in den Armeelagern ausreichend Munition und<br />

Brennstoff seien und gab Hinweise, wie man sich dies aneigne. Des Weiteren regte er an, die Kommunikationswege<br />

der sowjetischen Einheiten zu zerstören, genauso wie die Telefonleitungen. Derselbe<br />

Redakteur beschrieb am 28. und 30. Oktober den Zuhörern die Methoden des Partisanenkampfes und<br />

empfahl, sich von den jugoslawischen Partisanen inspirieren zu lassen. Die ungarische Redaktion zitierte<br />

in ihren Sendungen zudem die westliche Presse in einer Art und Weise, die bei den Zuhörern den Eindruck<br />

erweckte, dass die UNO sich mit der ungarischen Situation beschäftige und dass der Westen an<br />

der Schwelle zu einem Krieg stehe.<br />

Die Zuhörer in Ungarn suchten aber auch in der Auslandsberichterstattung Hoffnung und Hilfe und<br />

gaben den Worten im Äther bisweilen eine andere Bedeutung, als sie überhaupt haben konnte.<br />

Die Arbeit von RFE zur Zeit der ungarischen Krise wurde anschließend einer Untersuchung unterzogen,<br />

woraufhin der europäische Direktor von RFE Richard Condon gehen musste, ebenso wie sein politischer<br />

Berater William E. Griffith, der Direktor der ungarischen Redaktion Andor Gellért und dreizehn Mitglieder<br />

der ungarischen Redaktion. Die ungarische Krise und ihr tragischer Ausgang warfen berechtigte Fragen<br />

innerhalb der nationalen Redaktionen von RFE auf. Wie sollte man gegenüber seinen Landsleuten<br />

daheim eigentlich auftreten und wie ihnen im guten Glauben nicht schaden? Ist die Politik der Befreiung<br />

realistisch? Die gesamte Atmosphäre innerhalb von RFE veränderte sich entscheidend nach dem ungarischen<br />

Aufstand.


VI.b<br />

László László<br />

László László wurde 1929 in einem Vorort von Budapest geboren. Er studierte Jura in Budapest und<br />

nach seiner Flucht aus Ungarn in Innsbruck. In Österreich engagierte er sich im ungarischen Flüchtlings-<br />

kollegium. Seine Arbeit machte ihn bald in der ungarischen Gemeinschaft in Österreich sehr bekannt.<br />

Auf diese Weise war auch Radio Free Europe auf den jungen Mann aufmerksam geworden und bot ihm<br />

im August 1951 eine Stelle an. László László nahm das Angebot ohne lange zu zögern an und begann<br />

seine Arbeit als Redakteur für RFE in Innsbruck. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die ungarische Redaktion<br />

in der Aufbauphase. Ein kleines Team bestehend aus sechs Redakteuren hörte die für Ungarn relevanten<br />

Nachrichten im Radio ab und fasste sie zusammen. Mit seiner Arbeit hat László László die Entstehung<br />

der ungarischen Redaktion von Anfang an begleitet.<br />

Abschluss des Tarifvertrages Ende der 70er Jahre; László László fünfter von rechts. (Quelle: Privatarchiv László László)<br />

Am 1. Oktober 1951 wurde die ungarische Redaktion nach München verlegt und der junge László László<br />

zog in die bayerische Landeshauptstadt um. Innerhalb nur eines Jahres machte er bei Radio Free Europe<br />

Karriere: Er wurde zum Leiter des Nachrichtenbereiches in der ständig wachsenden ungarischen Redaktion<br />

ernannt.<br />

László László mit seinen Kollegen im Juni 1954. (Quelle: Privatarchiv László László)<br />

László László unterhält sich mit seinem Stellvertreter Bela Bartos, 1957. (Quelle: Privatarchiv László László)<br />

Trotz Bedrohungen seitens des kommunistischen ungarischen Regimes blieb László László seinen Überzeugungen<br />

und seiner Arbeit bei RFE treu. Lászlós Eltern verboten die ungarischen Behörden die Ausreise<br />

und wurden unter Druck gesetzt, ihren Sohn zur Aufgabe seiner Tätigkeit für RFE zu überreden.<br />

Der Druck blieb jedoch erfolglos. Vierzig Jahre lang war László László bei RFE tätig. Als schließlich das<br />

kommunistische System und die Sowjetunion zusammengebrochen waren, ging er 1991, in der Überzeugung,<br />

seine Arbeit vollbracht zu haben, in den Ruhestand.<br />

László László lebt mit seiner Frau in München. Sie haben zwei Kinder und fünf Enkelkinder.<br />

László László in seinem Büro, 1957-58. (Quelle: Privatarchiv László László)<br />

RFE-Werbematerialien für die Öffentlichkeit in Westeuropa. (Quelle: Open Society Archives, HU)


VII.<br />

Die rumänische Redaktion: Radio Europa Liberă<br />

Als Nicolae Ceauşescu im Jahr 1965 in Rumänien das höchste Amt im Staate übernahm, so war dies<br />

zweifelsohne ein Meilenstein für Radio Free Europe. Einige Jahre spielte die zu Beginn der 1960er Jahre<br />

eingeleitete autonome Außenpolitik Rumäniens eine gewisse Rolle bei der Gestaltung der Sendungen<br />

von RFE. Der Grund: Ceauşescu war für den Westen eine interessante politische Kraft, weil er es schaffte,<br />

das Land von Moskau politisch und militärisch abzugrenzen. Rumänien beteiligte sich als einziges Land<br />

des Warschauer Paktes nicht an der Okkupation der Tschechoslowakei im August 1968.<br />

Im Studio der rumänischen Abteilung in den 70er Jahren. (Quelle: Privatarchiv Mircea Carp)<br />

Nach der Verhärtung des innenpolitischen Kurses, die 1971 einsetzte, konzentrierten sich die politischen<br />

Kommentare von RFE in zunehmendem Maße auf die diktatorische Regierungsweise, den Klientelismus<br />

und den ausschweifenden Personenkult, den ergebene Funktionäre Ceauşescu und seiner Frau bereiteten.<br />

Der Ton der Kommentare wurde zunehmend sarkastisch, bissig und persönlich. Der Direktor der<br />

rumänischen Redaktion Noël Bernard (seit dem Jahr 1953, mit Unterbrechungen bis zum Jahr 1981), ein<br />

hervorragender Journalist, gab den Sendungen eine einzigartige persönliche Note. Die Sendungen der<br />

rumänischen Redaktion hatten wahrscheinlich die beste Hörerquote von RFE. Dies wurde auch durch die<br />

Tatsache begünstigt, dass Rumänien die Rundfunkübertragungen seit 1964 nicht störte, da die Führung<br />

des Landes bemüht war, den Westen für sich einzunehmen. Die Zensurpraxis im Land war ansonsten<br />

aber sehr streng, so dass die fähige rumänische RFE-Redaktion es schaffte, in der Heimat die Aufmerksamkeit<br />

der Zuhörer für sich zu gewinnen.<br />

Im Jahre 2004 wurden die Sendungen nach Rumänien eingestellt. Seither sendet Radio Free Europe aus<br />

Prag aber weiterhin in rumänischer Sprache in die Republik Moldau (Radio Europa Liberă) und ist somit<br />

die am längsten existierende Redaktion von RFE/RL!<br />

Mircea Carp<br />

Mircea Carp wurde 1923 im rumänischen Gherla geboren. Er kämpfte im Zweiten Weltkrieg in der rumänischen<br />

Armee, wurde jedoch 1946 aus der Armee entlassen und ein Jahr später verhaftet. 1948 gelang<br />

ihm die Flucht nach Österreich, wo er für die amerikanischen Besatzer arbeitete. 1951 konnte er schließ-<br />

lich in die USA emigrieren. Dort arbeitete er für den amerikanischen Auslandsradiosender Voice of America.<br />

Er begleitete Politiker auf offiziellen Staatsbesuchen in Rumänien. Dies war nicht ungefährlich, da in<br />

Rumänien immer noch ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Doch in der Zwischenzeit hatte er einen US-amerikanischen<br />

Pass erhalten, und der Umstand, dass er sich im Umfeld wichtiger amerikanischer Politiker,<br />

wie beispielsweise US-Präsident Nixon, aufhielt, schützte ihn vor erneuter Verhaftung.<br />

Mircea Carp, der rumänische König Mihai und der Direktor der rumänischen Redaktion Nicolae Stroescu<br />

im Büro Carps. (Quelle: Privatarchiv Mircea Carp)<br />

Mircea Carp beim Besuch von US-Präsident Nixon in Rumänien 1969 am Bukarester Flughafen<br />

Baneasa. (Quelle: Privatarchiv Mircea Carp)<br />

1978 wechselte Mircea Carp zur rumänischen Redaktion von Radio Free Europe nach München. Er<br />

übernahm dort die Stelle des stellvertretenden Direktors und verfolgte ein politisches Programm. Eigent-<br />

lich wäre Mircea Carp noch vor dem Regimewechsel in Bukarest 1989 in den Ruhestand gegangen,<br />

doch der unvorhergesehene Tod mehrerer Direktoren der rumänischen Abteilung Ende der 1980er Jahre<br />

zwang ihn, bei RFE zu bleiben. Es ist bis heute nicht eindeutig geklärt, ob die verstorbenen Direktoren<br />

Opfer von Anschlägen wurden. Vermutet wird allerdings, dass sie von der rumänischen Geheimpolizei<br />

verstrahlt worden sind.<br />

Mircea Carp arbeitete bis zum Umzug des Senders nach Prag im Jahre 1995 als stellvertretender Direktor<br />

der rumänischen Redaktion bei Radio Free Europe in München.<br />

Mircea Carp ist Autor eines Buches über Voice of America in Rumänien (Vocea Americii în România<br />

(1969-1978)), welches 1997 erschien. Er lebt mit seiner Frau in München und ist auch heute noch oft in<br />

Rumänien.<br />

„Ceauşescus Attentat“ auf Radio Free Europe in München<br />

Seit den siebziger Jahren wurden Mitarbeiter der rumänischen Redaktion zur Zielscheibe von Attentaten.<br />

Einige davon wurden vermutlich von der rumänischen Staatssicherheit, dem Departamentul Securităţii,<br />

üblicherweise bekannt als Securitate, initiiert und ausgeführt. Am 4. März 1975 stach ein unbekannter<br />

Angreifer den populären Musikredakteur Cornel Chriac nieder. Die populäre Redakteurin Monica Lovinescu<br />

wurde vor ihrem Haus in Paris von Unbekannten zusammengeschlagen. Im Juni 1981 wurde der<br />

Kommentator Emil Georgescu nach einer Serie an Drohungen und Erpressungen überfallen, durch Messerstiche<br />

verletzt und verstarb nicht lange danach.<br />

Zerstörte RFE-Büros nach dem Attentat 1975. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Im Jahre 1981 starb der Direktor der rumänischen Redaktion Noël Bernard an Krebs. An Krebs starb<br />

im Jahre 1988 auch einer seiner Nachfolger, der Historiker Vlad Georgescu. Einige Indizien weisen darauf<br />

hin, dass die rumänische Securitate für ihre Anschläge auf ihnen nicht genehme Regimegegner radioaktive<br />

Stoffe einsetzte.<br />

Zerstörte RFE-Büros nach dem Attentat 1975. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Das schwerwiegendste Ereignis war jedoch das Bombenattentat vom Samstag, den 21. Februar<br />

1981. Um 21.47 Uhr explodierte an der Außenmauer des RFE-Gebäudes im Englischen Garten in München<br />

eine Ladung Plastiksprengstoff. Die Explosion war extrem wirksam, und Teile des Gebäudes wurden<br />

erheblich zerstört. In dieser schicksalhaften Stunde befanden sich in den nahe liegenden Büros<br />

drei Mitarbeiter der tschechoslowakischen Redaktion. Alle drei wurden durch die Explosion verletzt, am<br />

schwersten die Sekretärin Marie Puldová.<br />

Erst zehn Jahre später konnte, dank der Öffnung der Archive hinter dem Eisernen Vorhang, in Erfah-<br />

rung gebracht werden, dass das Attentat von Johannes Weinrich, Mitglied der ultralinken terroristischen<br />

Gruppierung um Illich Ramírez Sánchez, bekannt auch als Carlos, ausgeführt worden war. In Auftrag<br />

gegeben wurde es jedoch wahrscheinlich von der rumänischen Securitate. Dass gerade die Räumlichkeiten<br />

der tschechoslowakischen Redaktion beschädigt wurden, war vermutlich ein Versehen. Weinrich<br />

wurde im Jahr 2000 von einem deutschen Gericht lebenslang wegen eines anderen Bombenattentats<br />

verurteilt. Eine lebenslange Strafe büßt in Frankreich auch Sánchez „Carlos“ ab.<br />

Die Münchner Abendzeitung vom 23. Februar 1981 berichtet über das Bombenattentat auf das RFE-Gebäude. (Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)


VIII.<br />

Die bulgarische Redaktion: Radio Svobodna <strong>Evropa</strong><br />

Das bulgarische Nachkriegsexil in den USA war nicht sehr zahlreich, bis zum Jahr 1949 waren es nur<br />

etwa 2000 Menschen. Daher war es sehr mühselig, geeignete Mitarbeiter für die Radioredaktion zu finden.<br />

Trotzdem konnte mit einer Probesendephase für Bulgarien am 11. August 1950 begonnen werden.<br />

Hörerbrief an die bulgarische RFE-Redaktion aus Bulgarien. (Quelle: Privatarchiv Jenny Keiser)<br />

Der reguläre Sendebetrieb wurde am 1. September 1951 aufgenommen.<br />

Aufgrund der geographischen Lage Bulgariens war der direkte Kontakt seiner Bewohner mit den Ideen<br />

und Wertvorstellungen des Westens eingeschränkt. Ziel der Sendungen war daher, eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

der Bulgaren mit dem Westen aufzubauen. Wichtig war es, die bulgarischen Hörer<br />

über westeuropäische Intellektuelle und kulturelle Entwicklungen, von denen sie aufgrund der Medienzensur<br />

ausgeschlossen waren, zu informieren. Die Sendungen bemühten sich zudem, westeuropäische<br />

Materialien, Meinungen und Kommentare mit Bezug zu Bulgarien vorzustellen.<br />

Das bulgarische Regime war vermutlich das repressivste in Europa. Darum war es der bulgarischen<br />

Redaktion wichtig, innenpolitische Ereignisse in anderen Ländern des Ostblocks, wie z.B. die Lockerung<br />

der Parteikontrolle, die Streuung der politischen Macht oder Abweichungen vom stalinistischen Landwirtschaftsmodell,<br />

genau zu beobachten. RFE war der Ansicht, dass das angrenzende Jugoslawien, als<br />

unabhängiger, jedoch auf der kommunistischen Idee gegründeter Staat, beispielgebend für Bulgarien<br />

sein konnte. Es diente als Inspirationsquelle und mögliches Gegengewicht zur UdSSR in Bulgarien.<br />

Die wachsende Beliebtheit von RFE zog ein größeres Interesse von Seiten der Staatssicherheit nach<br />

sich: „Die bulgarische Geheimpolizei (DS) gab täglich zwei Mitteilungsblätter über das Programm von<br />

Die bulgarische RFE-Redakteurin Jenny Keiser bei der Arbeit. (Quelle: Privatarchiv Jenny Keiser)<br />

RFE heraus. Eines mit dem Stempel „vertraulich“ in einer Auflage von 200 Stück, das zweite „streng<br />

vertraulich“ nur für einen Kreis um den Vorsitzenden der Partei und des Staates Todor Živkov“, erinnert<br />

sich Dimiter Inkiow, Schriftsteller und Kommentator von RFE. Ab 1988 wurde RFE zur wichtigsten westlichen<br />

Rundfunkstation in Bulgarien, denn von da an war es möglich, direkten telefonischen Kontakt aus<br />

Bulgarien mit der Redaktion in München aufzunehmen. Am Ende des Jahres 1988 wurden außerdem die<br />

Störungen der Sendung eingestellt.<br />

RFE beendete seine Sendungen nach Bulgarien am 31. Dezember 2003.<br />

RFE/RL und die Katastrophe von Tschernobyl<br />

Am 26. April 1986 kam es zur Überhitzung und Explosion des sowjetischen Atomkraftwerks Tschernobyl.<br />

Es handelte sich um einen der schlimmsten Unfälle in der Geschichte der Atomenergie. Die radioaktive<br />

Wolke flog damals aus der Ukraine über Osteuropa bis nach Skandinavien.<br />

Die Katastrophe und sämtliche damit verbundenen negativen Vorfälle wurden im Ostblock aus Propagandagründen<br />

verschwiegen. Die sowjetischen Medien schwiegen noch zwei Tage nach dem Unfall,<br />

genauso verhielten sich verständlicherweise die Satellitenstaaten.<br />

Die Informationspolitik zu den Gefahren der Atomstrahlung beeinflusste dabei das Leben von Millionen<br />

Bewohnern Europas auf völlig grundlegende Weise. Das Schweigen und die Nicht-Aufnahme entsprechender<br />

Untersuchungen waren unverzeihlich. Kaum hatten westliche Überwachungsstellen den Unfall<br />

registriert, informierten Radio Free Europe, Radio Liberty und weitere ausländische Rundfunkstationen<br />

über Tschernobyl und notwendige Schutzmaßnahmen. Auch nachdem die offiziellen Nachrichten der<br />

UdSSR darüber berichteten, widmeten sich die westlichen Medien der Katastrophe und ihren Folgen<br />

weitaus detaillierter.<br />

Die bulgarische Regierung war die letzte im Ostblock, die ihre Bürger über die Katastrophe unterrichtete.<br />

Die bulgarischen Ämter wurden von der Situation vollkommen unvorbereitet überrascht; es fehlten<br />

Messapparaturen, adäquate Krisenpläne und -maßnahmen.<br />

Die bulgarische RFE-Redaktion erfasste noch ein Jahr nach der Katastrophe einen nicht enden wollenden<br />

Strom von Telefonaten aus Bulgarien mit Bitten um detaillierte Informationen und Ratschläge über<br />

Präventivmaßnahmen zum Schutze der Gesundheit.<br />

Erst nach einem Jahr gestanden die Behörden ein, dass Bulgarien teilweise radioaktiven Niederschlägen<br />

ausgesetzt war und dass das Vorkommen dreier gefährlicher Elemente verzeichnet wurde – radioaktives<br />

Jod, Caesium und Strontium. Die Werte erreichten angeblich jedoch keine gefährlichen Grenzwerte.<br />

In Wirklichkeit gehörte Bulgarien zu den am stärksten betroffenen Ländern. Nach 1989 wurden letztlich<br />

zwei Verantwortliche für das Verschweigen von Informationen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.<br />

Ljuben Mutafoff<br />

Ljuben Mutafoff wurde 1933 in Bulgarien geboren. Bereits im Alter von 10 Jahren zog er mit seinen Eltern<br />

nach Bayern, wo er auch das Gymnasium besuchte. 1953 – mit 20 Jahren – begann er seine Karriere<br />

bei Radio Free Europe. Dabei halfen ihm vor allem seine Sprachkenntnisse – neben seiner Muttersprache<br />

Bulgarisch spricht er fließend Deutsch, Englisch und Französisch. Dank seiner Kenntnisse der kyrilli-<br />

schen Schrift, wie sie in Bulgarien verwendet wird, erhielt er zunächst eine Stelle als Sekretär in der bulgarischen<br />

Redaktion von Radio Free Europe. In den 1950ern sendete diese Redaktion täglich nur fünf<br />

Minuten Nachrichten, die Ljuben Mutafoff zur Überprüfung durch die Zentrale des Radiosenders in den<br />

USA ins Englische übersetzte. Später begann er, auch am Programm des Radiosenders mitzuwirken.<br />

Dabei konnte er seine Hobbys mit dem Beruf verbinden. So arbeitete er anfangs in der Musikredaktion<br />

der bulgarischen Redaktion, wo er sich besonders mit Klassik und Jazz befasste. Nebenbei war er auch<br />

in der Sportredaktion beschäftigt, was ihm unter anderem die Möglichkeit gab, von den Olympischen<br />

Winterspielen 1976 in Innsbruck zu berichten. Das war eine Besonderheit, da die Mitarbeiter von Radio<br />

Free Europe nicht als Journalisten für dieses Sportereignis akkreditiert waren. Da aber ein österreichi-<br />

scher Sender Ljuben Mutafoff und seinen Kollegen Senderäume zur Verfügung stellte, konnten sie zwar<br />

nicht von den Sportstätten, jedoch trotzdem aus Österreich von den Ergebnissen berichten. Aber auch<br />

privat ist Sport seine Leidenschaft – in seiner Jugend spielte er 10 Jahre lang Handball, unter anderem<br />

auch in der Nationalmannschaft. Für Radio Free Europe gründete er einen eigenen Sportverein und trat<br />

mit dessen Fußballmannschaft gegen andere Journalisten an.<br />

Ljuben Mutafoff in der Musikredaktion. (Quelle: Privatarchiv Ljuben Mutafoff)<br />

Insgesamt arbeitete Ljuben Mutafoff 40 Jahre für Radio Free Europe in München, von 1953 bis 1993.<br />

Das Wichtigste für ihn war seine Arbeit als verantwortlicher Redakteur in der Nachrichtenabteilung, für die<br />

er auch auf eine Beförderung in die Administration des Senders verzichtete. Sein Gespür als Redakteur<br />

half ihm dabei, eine Falschmeldung von einer richtigen Information zu unterscheiden und die wichtigen<br />

Nachrichten herauszufiltern.<br />

Gruppenfoto der bulgarischen Redaktion aufgenommen von Ljuben Mutafoff. (Quelle: Privatarchiv Ljuben Mutafoff)<br />

Ljuben Mutafoff lebt noch heute mit seiner Frau in München. Vor acht Jahren besuchte er zum ersten Mal<br />

seit seiner Kindheit wieder Bulgarien, gemeinsam mit seinem Freund Dieter Kronzucker.


IX.<br />

Radio Liberty<br />

Die Rundfunksendungen beschränkten sich nicht nur auf die Länder Mittel- und Osteuropas. Am 19.<br />

Januar 1951 wurde unter dem Patronat amerikanischer Behörden formal das „Amerikanische Bürgerkomitee<br />

für die Befreiung der Menschen der Sowjetunion“ gegründet. Nach schwierigen Verhandlungen<br />

der Exilgruppen begann die Radiostation Radio Liberation am 1. März 1953 zu senden. Die Sendungen<br />

richteten sich an die Bürger der zahlreichen Nationalitäten in der Sowjetunion. Daher waren sie nicht nur<br />

auf Russisch, sondern sendeten nach und nach in fast zwanzig Sprachen der Völker der Sowjetunion. Die<br />

Zielrichtung dieser Sendungen wird in einem zeitgenössischen Zitat aussagekräftig charakterisiert: „Rund-<br />

funkstation des Koordinationszentrums für den antibolschewistischen Kampf“. Dass es sich tatsächlich<br />

um einen Kampf handelte, davon zeugt die Tatsache, dass die UdSSR augenblicklich damit begann, die<br />

Ausstrahlungen zu stören und Morde an Mitarbeitern der Station in München zu verüben: Im September<br />

1954 wurden Leonid Karas, im November desselben Jahres der Direktor der aserbaidschanischen<br />

Redaktion Abo Fatalibey ermordet. Im Verlauf der Zeit veränderte sich jedoch das ursprünglich radikale<br />

Konzept von Radio Liberation und ähnelte mehr und mehr dem von Radio Free Europe. Das belegt auch<br />

die Umbenennung in Radio Liberty am 5. September 1956.<br />

Radio Liberty sendete in die Länder der UdSSR Mitte der 50er Jahre. (Quelle: RFE/RL-Archiv der russischen Redaktion)<br />

Anfangs setzte sich das Personal vor allem aus politischen Flüchtlingen aus Russland zusammen, die<br />

nach 1917 und nach 1945 Russland bzw. die UdSSR verlassen hatten. Die Zusammensetzung des Personals<br />

veränderte sich sukzessiv, und in den sechziger Jahren arbeiteten hier auch Menschen, die mit<br />

den demokratisch denkenden Dissidenten in den UdSSR in Verbindung standen, oder, in wachsender<br />

Zahl, auch jüdische Emigranten, die ab Anfang der sechziger Jahre aus der Sowjetunion auswandern<br />

durften.<br />

Propagandaflugblatt von RFE. (Quelle: Archiv der polnischen RFE-Redaktion)<br />

Ein bedeutendes Ereignis organisatorischen Charakters war die Zusammenführung von Radio Free Europe<br />

und Radio Liberty am 2. Oktober 1976 zu einer Organisation (RFE/RL). Jede Station blieb aber weiterhin<br />

selbständig, ebenso wie die einzelnen Redaktionen.<br />

Zwischen den Ausrichtungen der einzelnen nationalen Redaktionen gab es große Unterschiede. Am 8.<br />

Oktober 1984 wurden die estnische, die litauische und die lettische Redaktion aus Radio Liberty ausge-<br />

gliedert und zu RFE überführt. Es handelte sich ohne Zweifel um einen Sieg der baltischen Exilbewegung.<br />

Indirekt wurde somit anerkannt, dass die baltischen Länder, von der Sowjetunion im Jahr 1940 okkupiert,<br />

keineswegs zur UdSSR, sondern zu den anderen unterdrückten europäischen Staaten gehörten.<br />

Die Mehrheit der Redaktionen des ursprünglichen Radio Liberation existiert bis heute.<br />

Der Komponist Vernon Diuk (eig. Name Vladimir Dukelskij) unterhält sich in der Wohnung des Schauspielers Marlon Brando mit den Redakteuren von Radio Liberation Viktorie Semjonova und Michail Korjakov.<br />

(Quelle: RFE/RL-Archiv der russischen Redaktion)<br />

Das erste Gebäude von Radio Liberation, das ehemalige Flughafengebäude im deutschen Oberwiesenfeld, 50er Jahre. (Quelle: RFE/RL-Archiv der russischen Redaktion)<br />

Vasilij Frank, Mitarbeiter von Radio Liberation, zuständig für Interviews mit Emigranten und den Nachrichtendienst. (Quelle: RFE/RL- Archiv der russischen Redaktion)


X.<br />

Amerikanische Politik<br />

An der Geschichte von RFE können gut die einzelnen Phasen der Westpolitik nachvollzogen werden:<br />

„Aufhalten des Kommunismus“, „Befreiung der unterdrückten Länder“, Gradualismus – die Bemühung,<br />

natürliche Liberalisierungsströmungen innerhalb der Länder des Ostblocks zu unterstützen –, Entspannungspolitik<br />

– die Lockerung der Beziehungen bei gleichzeitiger Anerkennung des Status quo –, neuerlicher<br />

Kalter Krieg und sein Ende.<br />

RFE/RL wollte seinen Hörern das wirkliche Leben in den USA vermitteln und führte zahlreiche Interviews mit amerikanischen Persönlichkeiten, so z.B. mit dem Bürgerrechtler Martin Luther King.<br />

(Quelle: RFE/RL Inc. Archives)<br />

Das Entstehen unabhängiger Medien in einem solchen Umfang wie es bei Radio Free Europe der Fall<br />

war, war einzigartig. Die Existenz und das Fortbestehen des Radios in den folgenden Jahrzehnten sind<br />

bis heute erstaunlich. Der Westen sah drei Wege des Widerstands gegen die drohende kommunistische<br />

Expansion: einen wirtschaftlichen, einen militärischen und einen ideologischen. Für den ersten Weg stand<br />

der Marshallplan für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas nach dem Krieg, für den zweiten stand<br />

die Gründung der NATO und für den dritten die Entstehung des Nationalkomitees für ein freies Europa.<br />

Radio Free Europe und später auch Radio Liberty waren somit definitiv nicht bloß Rundfunkstationen<br />

gewesen, sondern zugleich wichtige Instrumente einer breiter verstandenen Diplomatie und Politik.<br />

Interview mit dem Sänger Tom Jones. (Quelle: RFE/RL Inc. Archives) Interview mit einem Vertreter der amerikanischen Indianerbewegung.<br />

(Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Nach dem Jahr 1956 wurden RFE und RL zu professionellen und flexiblen Radiostationen, die als alternative<br />

Informationsquellen dienten. Mit Feingefühl beschrieben sie die politischen und wirtschaftlichen<br />

Veränderungen hinter dem Eisernen Vorhang. Von den westlichen Medien beschäftigte sie sich am intensivsten<br />

mit der öffentlichen und gezielten Kommunikation mit den Bewohnern der Länder aus Mittel- und<br />

Osteuropa und der Sowjetunion.<br />

Der Glaube an den Gradualismus wurde durch den Einmarsch der Armeen des Warschauer Paktes<br />

in die Tschechoslowakei begraben. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Entspannungspolitik, die<br />

Anerkennung des Status quo, zu einer tragfähigen Alternativvision. Doch wenn RFE/RL nur ein Propagandainstrument<br />

der amerikanischen Politik oder der CIA gewesen wäre, ist es wichtig zu fragen: Hätte<br />

die Sowjetunion von einem ähnlichen Instrument zur Durchsetzung ihrer Politik im Westen Gebrauch<br />

machen können?<br />

Interview mit dem amerikanischen Präsidenten John Fitzgerald Kennedy. (Quelle: RFE/RL Inc. Archives)<br />

Interview mit dem amerikanischen Außenminister Henry Kissinger. (Quelle: RFE/RL Inc. Archives)


Der Einfluss des Auslandsrundfunks auf den Fall<br />

der Regime in Mittel- und Osteuropa<br />

Wie sich bald erwiesen hatte, gab es intelligentere Mittel als nur Stärke, um die Demokratien in den Ländern<br />

hinter dem Eisernen Vorhang zu erneuern.<br />

Eine weitere, noch nicht beantwortete Frage ist der Einfluss der Sendungen auf die Gesellschaft, die politische<br />

Entwicklung in den Zielländern und auf den Zerfall der totalitären Regime.<br />

Soldaten der rumänischen Volksarmee verfolgen eine Fernsehansprache von Nicolae Ceauşescu. (Quelle: Militärhistorisches Institut, Prag)<br />

Die Hörerrezeption hinter dem Eisernen Vorhang lässt sich nicht genau messen. Eine gewisse Antwort<br />

lässt sich aus den Informationen der Flüchtlinge und derjenigen, die in den Westen reisen konnten, ableiten.<br />

Die staatliche Macht selbst führte keine sehr objektiven Untersuchungen durch. Interessant ist auch<br />

die hohe Anzahl von Anrufen auf die speziell für RFE eingerichtete Nummer ab dem Jahr 1985. Nach<br />

1989 war das Interesse der Bewohner an den Mitarbeitern und den Sendungen von RFE/RL unumstritten,<br />

bisweilen sogar überraschend und sagte viel über die Popularität und die Autorität des Radios aus.<br />

Auch ehemalige Dissidenten, jetzige Politiker, sparten nicht mit Worten der Anerkennung. Der Fall der<br />

Regime in den Ländern Mittel- und Osteuropas kann letzten Endes auch als Beweis für eine erfolgreiche<br />

Mission ausgelegt werden.<br />

Antikriegsdemonstration an der Berliner Mauer, die sich u.a. auch gegen RFE richtete. (Quelle: RFE/RL Inc. Archives)<br />

Auf der anderen Seite konnte dieses einzelne Instrument allein nicht zu grundlegenden politischen Veränderungen<br />

führen. Vielmehr handelte es sich dabei um einen Faktor von vielen. Überdies ging es nicht nur<br />

um die Sendungen an sich. Bereits die Existenz von RFE, die Tatsache, dass es ohne Rücksicht auf die<br />

physischen und medialen Attacken Tag für Tag seiner Aufgabe eines alternativen Informationsmediums<br />

nachkam, machte aus RFE ein Symbol der Freiheit.<br />

Radio Free Europe war hinsichtlich des Umfangs und der Zeit seines Bestehens unvergleichlich. Für die<br />

Regierungen der Zielländer stellte es die Personifizierung des Feindes dar, für die Verfolgten war es ein<br />

entferntes Licht am Ende des Tunnels. Es wurde zu einem Zufluchtsort für Flüchtlinge vor der Totalität,<br />

zu einem Zentrum der freien Kultur und des unabhängigen Denkens<br />

Leonid Iljitsch Breschnew auf einem Propagandafoto mit dem Volk. (Quelle: Militärhistorisches Institut, Prag)<br />

Der Generalstab der rumänischen Volksarmee bei der feierlichen Übergabe neuer Militärgeräte, 1. Hälfte der 70er Jahre. (Quelle: Militärhistorisches Institut Prag)<br />

Westberliner winken an der Sektorgrenze Bernauer Straße ihren Verwandten auf der anderen Seite der Mauer zu, 1961. (Quelle: Archiv der Geheimdienstunterlagen, CZ)<br />

Sendemast Playa de Pals in Spanien, von dem aus RFE auf Mittelwelle nach Mitteleuropa ausgestrahlt wurde. (Quelle: Open Society Archives, HU)<br />

Der tschechische Liedermacher und RFE-Mitarbeiter Karel Kryl bei seinem ersten Konzert in Prag nach der Emigration, Dezember 1989. (Quelle: Privatarchiv Wiesław Wawrzyniak)

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