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TRE 26, Art. Pharisäer (473) von Beginn an Laienbewegung ...

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<strong>TRE</strong> <strong>26</strong>, <strong>Art</strong>. <strong>Pharisäer</strong><br />

(<strong>473</strong>) <strong>von</strong> <strong>Beginn</strong> <strong>an</strong> <strong>Laienbewegung</strong>, dennoch Priester mit dabei<br />

Evtl. als Aufspaltung der Chasidim im 2. Jh. v.Chr. entst<strong>an</strong>den<br />

Die Priester-Tora, sonst nur für den sakralen Bereich gültig, sollte für das g<strong>an</strong>ze Volk gelten,<br />

d.h. auch für das alltägliche Leben: Reinheits- und Speisegebote (zur kultischen Reinheit),<br />

Absonderung <strong>von</strong> aller Unreinheit. Die Bedeutung des Priesterst<strong>an</strong>des wird so relativiert.<br />

Im Umg<strong>an</strong>g mit der Tora wollen die <strong>Pharisäer</strong> durch Akribie (Genauigkeit) der Tora-<br />

Befolgung das g<strong>an</strong>ze Volk heiligen, d.h. zur rechten Tora-Observ<strong>an</strong>z <strong>an</strong>leiten (Ex 19,6!)<br />

Als „Erklärer des Gesetzes“ erlegen sie daher dem Volk Regeln auf, die nicht Best<strong>an</strong>dteil der<br />

schriftlichen Tora sind. Die Anwendung auf den Alltag erforderte einen „schriftgelehrten“<br />

Ansatz, d.h. Auslegung der Tora durch Laien (daher oft Doppelnennung Ph. und<br />

Schriftgelehrte). Es entsteht eine mündliche Tora als „Zaun um das Gesetz“; (477) die<br />

Auslegung ist durchaus pragmatisch (Essener dazu: „Heuchelei“; Parteigänger:<br />

„Menschenfreundlichkeit“). Sie fragen „nach den konkreten Bedingungen und Möglichkeiten<br />

der Heiligung des Alltags durch die Tora“ und entwickeln so eine Tora-Kasuistik.<br />

Die <strong>Pharisäer</strong> betonen die Bedeutung der eigenver<strong>an</strong>twortlichen Entscheidung und erwarten<br />

endzeitlich Auferstehung und Gericht.<br />

Um ihr Programm umzusetzen, schlossen sich die <strong>Pharisäer</strong> in „Genossenschaften“<br />

zusammen, um im gemeinsamen Streben zusammen- und durchzuhalten. Das bedeutete aber<br />

auch die Absonderung vom Unreinen, und das ist nicht mehr der Nichtjude wie in Neh,<br />

sondern der gesetzesunkundige Jude, der das pharisäische Programm ablehnte. Das<br />

widersprach nicht den pädagogischen und missionarischen Aktivitäten der <strong>Pharisäer</strong>, die<br />

geradezu eine Volkspartei waren: (478) <strong>Laienbewegung</strong>, lebensnah, menschenfreundlich,<br />

nicht rigoristisch.<br />

Spätestens unter Salome Alex<strong>an</strong>dra (76-67 v.Chr.) waren die <strong>Pharisäer</strong> ein ernst zu<br />

nehmender Machtfaktor im Frühjudentum.<br />

(479) Anf. des 1. Jh. n.Chr. spalteten sich die <strong>Pharisäer</strong> in eine politisch gemäßigte (Hilleliten)<br />

und eine rigorose Richtung (Schammaiten). Die Zeloten boten eine Radikalisierung des<br />

pharisäischen Programms (Heiligung des Alltags auch im politischen Raum, d.h. Römer<br />

raus). Nach dem Jahr 70 wurde das Frühjudentum ausschließlich vom gemäßigten Flügel der<br />

<strong>Pharisäer</strong> bestimmt, die sich am Aufst<strong>an</strong>d nicht beteiligt hatten.<br />

Der Pharisäismus war nur eine Partei unter <strong>an</strong>deren, z.T. (480) im sp<strong>an</strong>nungsvollen Verhältnis<br />

bes. zu Essenern und Sadduzäern. Sozial waren die <strong>Pharisäer</strong> vom Kleinbürgertum und der<br />

städtischen Mittelschicht getragen, die Sadduzäer waren eine aristokratischen Priesterpartei.<br />

Nach dem Unterg<strong>an</strong>g des Tempels ermöglichte der pharisäische Umg<strong>an</strong>g mit der Tora die<br />

jüdische Existenz im Haus. Das Volk stellt nun selbst den Tempel dar. Zwischen<br />

Pharisäismus und Rabbinismus besteht eine grundlegende inhaltliche Kontinuität, auch wenn<br />

der Überg<strong>an</strong>g nicht so einfach ist, wie bisher <strong>an</strong>genommen wurde.<br />

(482) II. Neues Testament: Rahmenbedingung ist die Ablösung und damit Abgrenzung des<br />

Christentums vom Judentum. Die Ev<strong>an</strong>gelien zeigen den Höhepunkt einer kritischpolemischen<br />

Einstellung gegenüber dem Pharisäismus. Die Schärfe der Abgrenzung ist ein<br />

Symptom der inneren Nähe des ältesten (Juden-)Christentums zum Pharisäismus. Die<br />

Ausein<strong>an</strong>dersetzung um die gesetzesfreie Heidenmission (Act 15; 21) zeigt das erhebliche<br />

pharisäische Potential in den frühen judenchristlichen Gemeinden.<br />

Paulus war <strong>Pharisäer</strong> und äußert sich nie gezielt <strong>an</strong>tipharisäisch. Er hat seine Schulung als<br />

<strong>Pharisäer</strong> wahrscheinlich in Jerusalem erhalten. Er hat sachlich vieles pharisäische Erbe in<br />

seine theologische Reflexion als Christ eingebracht, bei pharisäischen Themen wie Heiligung,<br />

Reinheit, Tempel Gottes (als ekklesiologisches Leitbild), auch beim Thema Rechtfertigung<br />

und Gesetz, hier allerdings unter der Voraussetzung der vorausgehenden Rechtfertigung in<br />

Jesus Christus. (483)


Ev<strong>an</strong>gelien: Hintergrund ist hier die Sp<strong>an</strong>nung zwischen Synagoge und Kirche, nicht mehr<br />

zwischen Pharisäismus und Jesusbewegung. Die <strong>Pharisäer</strong> erscheinen als schematisch<br />

gezeichnete negative Kontrastgruppe zu Jesus.<br />

Markus unterscheidet Schriftgelehrte und <strong>Pharisäer</strong> (Mk 2,16; 7,1); die <strong>Pharisäer</strong> treten<br />

(historisch korrekt) im Prozeß gegen Jesus g<strong>an</strong>z zurück).<br />

Lukas sieht <strong>Pharisäer</strong> als geldgierig und selbstgerecht (Lk 16,14f; 18,9), hat aber auch<br />

konfliktfreie Passagen (7,36ff.; 11,37f.; 13,31; 14,1ff.; vgl. Act 5,34ff.; 23,6ff.).<br />

Matthäus vertritt ein plakatives Feindbild, unterscheidet nicht zwischen <strong>Pharisäer</strong>n und<br />

Schriftgelehrten, zieht die <strong>Pharisäer</strong> auch in die Ver<strong>an</strong>twortung für den Prozeß und die<br />

Hinrichtung Jesu (Mt 21,45; 27,62) und kennzeichnet sie als Heuchler (MT 6,1ff.; 23,3.13ff.).<br />

Grund ist u.a. die Gesetzestheologie des Mt (Mt 23,2) und daher die Notwendigkeit der<br />

Abgrenzung (vgl. Mt 5,20).<br />

Joh<strong>an</strong>nes polemisiert am stärksten. Er bezieht die Polemik gegen die <strong>Pharisäer</strong> in den<br />

dualistischen Gegensatz zwischen Glaube und Unglaube ein, hier gelten die <strong>Pharisäer</strong> als<br />

Repräsent<strong>an</strong>ten der ungläubigen Welt (Joh 8,23.43f.) (484) trotz positiver Nachrichten in Joh<br />

8,30f. -<br />

Die Polemik entspricht dem auch <strong>an</strong>dernorts üblichen Stil. „Heuchler“ begegnet auch in<br />

innerpharisäischer Selbstkritik. Die Kritik der Ev<strong>an</strong>gelien richtet sich nicht nur nach außen,<br />

sondern ist auch Verkündigungs<strong>an</strong>liegen nach innen.<br />

Jesus selbst hatte wohl eine differenziertere Sicht des Pharisäismus; seine eschatologische<br />

Erneuerungsbewegung st<strong>an</strong>d dem Pharisäismus hillelitischer Prägung durchaus nahe, wie<br />

gerade die Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit den <strong>Pharisäer</strong>n belegt. Ähnlich: Anspruch einer<br />

<strong>Laienbewegung</strong>, Sammlung einer Jüngergemeinschaft, Heiligung als Tun des Willens Gottes.<br />

Unterschiede: <strong>Pharisäer</strong> konzentrierten sich besonders auf Reinheits- und Speisegebote; Jesus<br />

fehlte jede Abgrenzung gegenüber dem „Gesetzlosen“ wegen seines Verständnisses der<br />

Königsherrschaft Gottes als einer bereits wirksamen Macht der bedingungslosen Zuwendung<br />

Gottes zu Welt und Mensch. Das mußte zum Konflikt führen, (485) hat aber weder mit<br />

vordergründigem Antipharisäismus noch mit einer <strong>von</strong> vornherein gegebenen Absicht der<br />

<strong>Pharisäer</strong>, die Jesusbewegung auszulöschen, zu tun.

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