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… was die Glocke hat geschlagen - Die Horen

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Jürgen Krätzer<br />

<strong>…</strong> <strong>was</strong> <strong>die</strong> <strong>Glocke</strong> <strong>hat</strong> <strong>geschlagen</strong><br />

Pink Floyd: High Hopes<br />

Pink Floyd<br />

Encumbered forever by desire and ambition<br />

There’s a hunger still unsatisfied<br />

Our weary eyes still stray to the horizon<br />

Though down this road we’ve been so many times<br />

The grass <strong>was</strong> greener<br />

The light <strong>was</strong> brighter<br />

The taste <strong>was</strong> sweeter<br />

The nights of wonder<br />

With friends surrounded<br />

The dawn mist glowing<br />

The water flowing<br />

The endless river<br />

Forever and ever<br />

Ausgewählt wurde der Titel Division Bell für das letzte Album der Pink<br />

Floyd von Douglas Adams, einem Freund David Gilmours. – Pink Floyd<br />

auf Tramptour durchs Weltall? Wie nichtig das Leben auf unserem Planeten<br />

ist und wie absurd jegliche Sinnsuche, wird in Adams’ Kultbuch jedenfalls<br />

hinreichend vorgeführt. <strong>Die</strong> Division Bell ertönt im letzten Song, High Hopes;<br />

nach dem Geläut der St. Paul’s Cathedral wird sie als Sologlocke an<strong>geschlagen</strong><br />

und bleibt fast durchgängig zu hören. Jene hier intonierte Division Bell<br />

ist im britischen Parlament zu vernehmen, wenn <strong>die</strong> Abgeordneten zur Stimmabgabe<br />

gerufen werden. Entscheidungen also sind zu fällen.<br />

Als David Gilmour Anfang der Neunziger <strong>die</strong>ses Lied schrieb, <strong>hat</strong>te er solche<br />

für sich zumindest im Privaten getroffen: Scheidung und erneute Heirat, <strong>die</strong><br />

Schriftstellerin Polly Samson wurde nicht nur Lebensgefährtin, sondern auch<br />

Koautorin, zum Beispiel der High Hopes, und Bandbegleiterin. Welcher Art aber<br />

sind jene Großen Hoffnungen?<br />

David Gilmour ist bei Erscheinen der CD achtundvierzig, <strong>die</strong> Fünfzig klopfen<br />

also an <strong>die</strong> Tür und damit <strong>die</strong> Gewissheit, dass <strong>die</strong> Restzeit weniger als <strong>die</strong><br />

bisher gelebte ist, und auch qualitativ erhebt sich so manch bange Frage. Selten<br />

nur bahnt sich trotziges Erkennen den Weg: »I knew the moment had arrived<br />

/ For killing the past and coming back to life« (Coming Back To Life). Wohl<br />

dem, der »sich selbst zu leben« (Lessing) vermag, auch wenn tabula rasa ein<br />

zwar verständliches, doch unrealistisches Verlangen ist. So bleibt nur <strong>die</strong> Inventur,<br />

<strong>die</strong> Bilanz ist so ungewiss wie <strong>die</strong> Prognose – »Hey you <strong>…</strong> did you ever<br />

205


Pink Floyd<br />

realise w<strong>hat</strong> you’d become«, fragt Poles Apart. Der Befund ist bitter, von<br />

Leere, vom Ausgebranntsein geht <strong>die</strong> Rede, von fehlender Luft zum Atmen,<br />

Krisensymptome: »I’m wearing the inside out« (Wearing The Inside Out),<br />

»You know I can’t breathe now« (Keep Talking).<br />

So ist man denn gewappnet und verknüpft mit High Hopes keinerlei Heilserwartung.<br />

Der Song beschließt <strong>die</strong> CD, bisher markiert er auch das Ende des<br />

Pink-Floyd-Werkes.<br />

206<br />

Große Hoffnungen<br />

Einst, hinter dem Horizont unsrer Jugend<br />

In einer fantastischen Welt ohne Schranken<br />

Streunten ach wunderbar weit <strong>die</strong> Gedanken<br />

Doch bald schon mahnte <strong>die</strong> <strong>Glocke</strong> der Tugend<br />

Am Ende der langen Straße, hinterm Damm,<br />

lungern sie noch immer am Scheideweg<br />

Sie waren uns auf der Spur, Kleingeister sonder Zahl<br />

Ketten lagen bereit, so preisgegeben<br />

Schäbigem Grund, <strong>was</strong> wär’ das für ein Leben<br />

Wir entkamen, bevor <strong>die</strong> Zeit uns <strong>die</strong> Träume stahl<br />

Das Gras war kräftiger<br />

Und voller das Licht<br />

<strong>Die</strong> Freunde waren nah<br />

<strong>Die</strong> Nächte wunderbar<br />

Auf <strong>die</strong> glühende Asche der Brücken, <strong>die</strong> wir hinter uns gelassen,<br />

Schauten wir mit ahnungsvollem Blick,<br />

Wie grün doch <strong>die</strong> andere Seite war, wir konnten’s nicht fassen<br />

Schlafwandlern gleich zieht es uns Getriebene zurück<br />

Mit fliegenden Fahnen spielten wir <strong>die</strong> Helden<br />

In schwindelnden Höhen erträumter Welten<br />

Noch immer solches Sehnen und Verlangen<br />

<strong>Die</strong>ser ungestillte Hunger, <strong>die</strong>ses Bangen<br />

Noch immer schweifen zum Horizont unsre müden Augen<br />

Auf ausgetretenen Wegen, <strong>die</strong> längst nicht mehr taugen<br />

Das Gras war kräftiger<br />

Und voller das Licht


Alles schmeckte süßer<br />

<strong>Die</strong> Freunde waren nah<br />

<strong>Die</strong> Nächte wunderbar<br />

Der Morgennebel glüht<br />

Und wie stets fließt das Wasser<br />

In <strong>die</strong>sem endlosen Fluss<br />

Für alle Zeiten<br />

Pink Floyd<br />

Originaltext David Gilmour / Polly Samson unter:<br />

http://www.bruder-franziskus.de/pinkfloyd/pfltdb11.htm<br />

Reminiszenz an <strong>die</strong> Jugend also, vergangen <strong>die</strong> Zeit jener intensiven Erst- und<br />

Einmaligkeiten, »Remember when you were young, / You shone like the<br />

sun« (Erinnere dich: als du jung warst, / strahltest du wie <strong>die</strong> Sonne, Shine On<br />

You Crazy Diamond). Wie anders als klagen über das Verstreichen der Zeit, <strong>die</strong><br />

üblichen Bilder auch, elegische Archetypen: der Weg, <strong>die</strong> Brücke, der Fluss. Und<br />

ja, auch Pathos, aber damit steht der Song nicht allein, man schaue sich nur um<br />

in der Kunstgeschichte, ohne <strong>die</strong>s geht’s bei <strong>die</strong>sem Thema nun einmal kaum:<br />

Wie jammerte schon Werther über jenes »panta rhei«, und während sich Goethe<br />

später in seinem berühmtesten Stück wenigstens virtuell den Wunsch erfüllte,<br />

erfahrungssatt Jugend noch einmal zu (er)leben, war der Romantiker Berlioz<br />

realistischer: »<strong>Die</strong> Zeit ist der beste Lehrer – leider tötet sie alle ihre Schüler.«<br />

Trakl schließlich bringt es auf den Punkt: »Alle Straßen münden in schwarze<br />

Verwesung« – und selbst <strong>die</strong> Rolling Stones wissen (denkt man an ihr gegenwärtiges<br />

Gebaren, so muss man wohl sagen: wussten es zumindest einmal):<br />

Time waits for no one<strong>…</strong><br />

»You are young and life is long and there is time to kill today«, heißt es bei<br />

Pink Floyd einige Jahr(zehnt)e früher in Time, dem wohl zentralen Titel der genialen<br />

Scheibe Dark Side Of The Moon, obwohl auch da schon klar war: «The<br />

sun is the same in a relative way but you’re older, Shorter of breath and one day<br />

closer to death.« Mithin nichts Neues unter der Sonne, der im Unterschied zum<br />

Menschen stetigen, wie’s im Song heißt – und <strong>was</strong> für ein Reim: death auf breath,<br />

mit jedem Tag kürzer von Atem und dem Tode näher.<br />

Ein abgedroschenes Thema, <strong>die</strong> Bilder verschlissen wie <strong>die</strong> Klangteppiche?<br />

Mitnichten, wovon sonst sollte Kunst denn reden, wenn nicht vom Fadenschein<br />

der Moiren. Ein bewusstes Spielen mit Stoffen und Motiven, auch denen der eigenen<br />

Handschrift, ist et<strong>was</strong> Selbstverständliches in der Kunst, und eben auch<br />

das immer neue Gestalten solcherart Erfahrung wie jener der Vergänglichkeit.<br />

Erfahrungen aber kann man weder weitergeben noch übernehmen, man muss<br />

sie machen: »So, so you think you can tell / Heaven from Hell, / Blue skys from<br />

pain. / Can you tell a green field / From a cold steel rail? / A smile from a veil? /<br />

Do you think you can tell?« (Wish You Were Here).<br />

Zugegeben, manchmal verlieren sich <strong>die</strong> Songs ein wenig in Psychosen oder<br />

Mystizismen – jedoch alles einfach als »Bombastrock« abzutun und nicht mehr<br />

zuzuhören, dafür aber so manch kokett zelebrierten Dilettantismus anderer<br />

207


Pink Floyd<br />

(jung, jünger, am jüngsten) Bands als »authentisch« oder gar »innovativ« zu lobpreisen,<br />

ist schon ein merkwürdiges Signet unserer postmodernden Zeiten. Ob<br />

sich allerdings jene hinter der »ragged band« verbergen, wie auf einigen Fanseiten<br />

behauptet wird, welche High Hopes vor allem auf <strong>die</strong> Bandgeschichte beziehen,<br />

ist wohl zweifelhaft: solche Angst – »to tie us to the ground« – ist existentieller<br />

Natur. Jenes Bild vom am Grund gefesselt sein meint ein Runterziehen<br />

und nicht Bodenhaftung, es taucht immer wieder auf, beispielsweise im<br />

schon zitierten Wish You Were Here: »Swimming in a fish bowl, / Year after year,<br />

/ Running over the same old ground.«<br />

Bleibt <strong>die</strong>ses merkwürdige »Grün« im Text, es hätte seine Berechtigung gehabt,<br />

<strong>die</strong>s wörtlich zu übersetzen, zitiert doch »Das Gras war grüner« ein<br />

englisches Sprichwort: The grass is always greener on the other side of the fence,<br />

stets ist das Gras auf der anderen Zaunseite grüner. Hübsche Ironie der<br />

Sprachgeschichte, dass eine solche Redewendung im Land der Rasenfanatiker<br />

entstand, im Deutschen tun’s <strong>die</strong> süßer schmeckenden Kirschen aus Nachbars<br />

Garten. Müßig zu streiten, ob damit nun des Menschen profaner Neidimpetus,<br />

fernwehe oder gar utopische Sehnsüchte ins Bild gebracht werden, für den Blick<br />

zurück im Text ist es sicher hilfreich, um das offenbar gängige Wortspiel zu wissen<br />

– »But the grass is greener here and / I can see all of your snakes« heißt es<br />

auf der jüngsten CD Marilyn Mansons, »Green is the colour of her kind« in einem<br />

frühen Song der Pink Floyd.<br />

Nicht zuletzt klagt High Hopes auch <strong>die</strong> nun fernen Freunde ein, ein Zustand,<br />

der <strong>die</strong> Band eingeholt zu haben scheint: von einer gerade mal zwanzigminütigen<br />

Reunion zum letzten Live 8 einmal abgesehen, gab es Auftritte und Projekte<br />

nur noch »solo«, und letztere wirken zumindest musikalisch wie ein zweiter<br />

Aufguss. <strong>Die</strong> Midlife- also auch eine Schaffenskrise. Reif für <strong>die</strong> Insel? David Gilmours<br />

letzte Solo-CD jedenfalls vollzieht solches nicht nur im Titel, sondern<br />

spielt es auch durch: On An Island (2006). Erstaunlich genau verortet – der<br />

Eröffnungssong Castellorizon meint eine bei Tauchern beliebte mediterrane Insel<br />

–, hält <strong>die</strong>s Fleckchen Erde offenbar genügend Freiräume bereit: Jenes<br />

»Take a breath / Take a deep breath now / Take a breath / A deep breath now /<br />

Take a breath« steht dem atembeklemmenden Keep Talking oder »Shorter of<br />

breath« aus Time geradezu antithetisch gegenüber – immer wieder <strong>die</strong>ses Bild<br />

vom Durc<strong>hat</strong>men, das auch ein Aufatmen ist –, und das »fish bowl« (Wish You<br />

Were Here) <strong>hat</strong> dem weiten Meer Platz macht.<br />

Auch wenn das Pendel sich (natürlich) noch immer zwischen zugelassener<br />

Nähe und fremdelnder Ungewissheit bewegt: Auf einmal wird <strong>die</strong>se zunächst<br />

irritierende Island-Plätschermusik akzeptabel, sind <strong>die</strong> sanften Meereswogen<br />

zu hören, ein »Just blue« ersetzt das obige »Green«, und in den schlichten Harmonien<br />

ist so et<strong>was</strong> wie ein ironisch abgeklärtes Beisichsein zu erahnen.<br />

Na, das wär’s doch.<br />

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