Benutzersupport via Chat
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Themen Informationsvermittlung<br />
<strong>Benutzersupport</strong> <strong>via</strong> <strong>Chat</strong><br />
Ein Praxis- und Erfahrungsbericht der HeBIS-Verbundzentrale<br />
Rita Albrecht<br />
Zur Ausgangslage<br />
<strong>Benutzersupport</strong> gehört zu den klassischen Aufgabenfeldern einer Verbundzentrale<br />
– allerdings meint der Begriff „Benutzer1 “ in diesem Fall meist eher<br />
Bibliothekare, die die von der Verbundzentrale angebotenen Dienstleistungen<br />
zur Unterstützung ihrer lokalen Geschäftsgänge nutzen. Seit Ende des letzten<br />
Jahrtausends sind die Verbünde aber mit der Entwicklung neuer Nachweis- und<br />
Rechercheinstrumente und der flächendeckenden Einführung der (verbundübergreifenden)<br />
Online-Fernleihe auch in das direkte Geschäft mit dem Endkunden<br />
eingestiegen. Daraus resultiert, dass auch der klassische „Benutzer“ Hilfe und<br />
Unterstützung bei der Verbundzentrale als Anbieter von Dienstleistungen nachfragt.<br />
Allein schon der Dschungel an Nachweisoberflächen – VerbundOPAC, Verbundportal,<br />
OLC-Bestände, Spezialbibliografien, Datenbanken, lokaler OPAC usw.<br />
– stellt für ihn insofern eine Herausforderung dar, als ihm meistens gar nicht klar<br />
ist, für welche Recherche welches Produkt eingesetzt werden sollte. Nicht von<br />
ungefähr kommt der Ruf der Benutzer nach einer einfachen, Google-ähnlichen<br />
Suche2 (wenn sie nicht ohnehin gleich zu der Suchmaschine gehen und dort ihr<br />
Recherche-Glück versuchen!). Aber selbst, wenn der Benutzer die für ihn „richtige“<br />
Oberfläche gewählt hat, scheitert er noch oft genug an der Recherche selbst oder<br />
aber an der Frage, wie er an die gefundenen und für ihn interessanten Ressourcen<br />
herankommt und sie sich beschaffen kann.<br />
Die HeBIS-Verbundzentrale stellt sich seit Jahren aktiv den Problemen der Nutzer<br />
ihrer Dienstleistungen, indem sie in allen von ihr angebotenen Oberflächen eine<br />
Kontaktaufnahme anbietet. Standard ist die Angabe einer E-Mail-Adresse, unter<br />
der Support angefordert werden kann. Im HeBIS-Portal steht ein Anfrage-Formular<br />
zur Verfügung, bei dessen Versand automatisch Angaben zur durchgeführten<br />
Recherche mit übermittelt werden, um den Support zielgerichtet gestalten<br />
zu können. Obwohl nicht ausdrücklich angeboten, suchen einige Benutzer aber<br />
auch den telefonischen Kontakt und damit den direkten Dialog mit der Verbundzentrale;<br />
die Telefonnummern der Mitarbeiter und ihre Zuständigkeiten sind dem<br />
1 Sämtliche im Text verwendeten männlichen Bezeichnungen gelten selbstverständlich<br />
auch für die weiblichen Entsprechungen.<br />
2 Ergebnis der HeBIS-Umfrage „Unser Katalog soll besser werden!“. S.: Heike Nienerza,<br />
Bettina Sunckel, Berthold Meier: Unser Katalog soll besser werden! Kataloge und<br />
Portale im Web-2.0-Zeitalter. Ergebnisse einer Online-Umfrage im HeBIS-Verbund.<br />
In: ABI-Technik 31 (2011) 3, S. 130–149. DOI: 10.1515/ABI.2011.020<br />
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Informationsvermittlung Themen<br />
WWW-Angebot der Verbundzentrale 3 zu entnehmen. In einem Kalenderjahr kommen<br />
auf diese Weise einige hundert Benutzeranfragen an die Verbundzentrale<br />
zusammen.<br />
2006 2007 2008 2009 2010<br />
E-Mail-Anfragen 788 596 688 572 395<br />
Telefonische Anfragen k.A. k.A. 120 135 120<br />
Gesamt 788 596 808 707 515<br />
Tabelle 1: Benutzeranfragen 2006–2010<br />
Analysiert man die Themen der E-Mail-Anfragen, bestätigt sich, dass sich diese<br />
direkt auf zentrale Dienstleistungen beziehen und fast immer mit der Fernleihe<br />
zu tun haben. Dabei erweist sich die Anmeldeprozedur als hohe Hürde, denn im<br />
Mittel zielen rund ein Viertel aller Benutzeranfragen darauf in irgendeiner Form<br />
ab. Die meisten davon haben Probleme damit, dass sie für die Fernleihe zwar die<br />
identische Benutzernummer wie für die lokale Ausleihe benutzen müssen, dafür<br />
aber ein eigenes „Fernleihpasswort“ benötigen 4 . Aber auch allgemeine Fragen zur<br />
Fernleihe, etwa dazu, wie man überhaupt ein Konto für die Fernleihe erhält, werden<br />
häufig gestellt. Fragen zu Recherchetechniken und -strategien spielen hingegen<br />
bei den E-Mail-Anfragen eine nachgeordnete Rolle.<br />
2006 2007 2008 2009 2010 2011<br />
Fernleihe 455 299 367 275 206 185<br />
Anmeldung (Portal/Fernleihe) 87 132 189 145 93 145<br />
Internationale Fernleihe 62 53 37 31 32 25<br />
Sonstiges 184 112 95 121 64 64<br />
Summe 788 596 688 572 395 419<br />
Tabelle 2: E-Mail-Anfragen nach Themen 2006–2011<br />
Generell lässt sich feststellen, dass die Benutzeranfragen an die Verbundzentrale<br />
stark situativ geprägt sind und eigentlich einer unmittelbaren Beratungs- und<br />
Hilfestellung bedürften; entsprechende Supportangebote über asynchrone Kom-<br />
3 http://www.hebis.de<br />
4 Selbstverständlich konnten lokales und Fernleihpasswort identisch gewählt werden.<br />
Da lokale Anmeldung und Anmeldung zur Fernleihe aber oft zu völlig unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten erfolgten, wurden von den Benutzern meist unterschiedliche<br />
Passworte definiert. Ab Ende April 2012 wird der Anmeldevorgang zur Fernleihe in<br />
HeBIS technisch so umgestaltet, dass für die Authentifizierung die lokale Kennung<br />
verwendet wird und das Fernleihpasswort entfällt.<br />
Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 5 417
Themen Informationsvermittlung<br />
munikationswege sind somit eher als suboptimal einzustufen. Das Support-Team<br />
der HeBIS-Verbundzentrale hat deshalb nach synchronen Kommunikationsoptionen<br />
gesucht, mit denen die Benutzer schnelle Hilfe erhalten können. Vor dem Hintergrund<br />
der wachsenden Bedeutung des Internets als Kommunikationsplattform<br />
insbesondere unter den jüngeren Jahrgängen wurde ein telefonischer Support<br />
über eine Hotline verworfen und stattdessen die Einführung einer <strong>Chat</strong>-Funktion<br />
favorisiert. Das hat den großen Vorteil, dass der Einstieg in den <strong>Chat</strong> genau dort<br />
angeboten werden kann, wo Probleme entstehen und Fragen auftauchen.<br />
Beratung über <strong>Chat</strong> als Teil des Informationsangebotes im Internet gewinnt auch<br />
in Deutschland in einigen Branchen erkennbar an Bedeutung (z.B. bei Versicherungen<br />
und Reisebüros). Die HeBIS-Verbundzentrale ging deshalb davon aus, dass<br />
für viele ihrer Benutzer ein solches Angebot nicht fremd ist, auch wenn sich im<br />
deutschen Bibliothekswesen von wenigen Ausnahmen abgesehen die <strong>Chat</strong>-Auskunft<br />
bisher nicht durchgesetzt hat. In einem dreimonatigen Probebetrieb sollten<br />
zunächst Erfahrungen gesammelt werden.<br />
<strong>Chat</strong> mit QuestionPoint<br />
Die Entscheidung für eine <strong>Chat</strong>-Auskunft-Software war schnell gefallen. Die<br />
HeBIS-Verbundzentrale koordiniert und administriert seit vielen Jahren den<br />
kooperativ betriebenen Auskunftsdienst InfoPoint, zu dem sich die Deutsche<br />
Nationalbibliothek, die Stadtbücherei Frankfurt und die Universitätsbibliothek<br />
Frankfurt zusammengeschlossen haben. Technische Basis für InfoPoint bildet<br />
das Auskunftssystem QuestionPoint von OCLC; genutzt wurde davon bisher im<br />
InfoPoint-Konsortium aber nur das Fragemodul mit Anfragen über Webformular<br />
und Antworten über E-Mail. Das ebenfalls enthaltene <strong>Chat</strong>-Modul und die in der<br />
Basisausstattung vorhandene Eingangsschleife für den <strong>Chat</strong> wurde bis dato von<br />
keiner der teilnehmenden Bibliotheken eingesetzt. Für die HeBIS-Verbundzentrale<br />
bedeutete dies die Möglichkeit, als vierter Partner in das InfoPoint-Konsortium<br />
einzusteigen und damit schnell und relativ kostengünstig Zugang zu einem<br />
<strong>Chat</strong>-System zu erhalten5 . Die bereits vorhandenen Systemerfahrungen waren bei<br />
der systeminternen Einrichtung des neuen Teilnehmers von großem Vorteil; eine<br />
größere Einarbeitungsphase war nicht erforderlich. Die anfallenden Administrationsarbeiten<br />
inklusive des Erstellens von Formularen konnten in wenigen Tagen<br />
erledigt werden.<br />
QuestionPoint wurde Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts nach Vorgaben der<br />
Library of Congress von OCLC entwickelt. Ziel war es bereits damals, die Benutzer<br />
dort abzuholen, wo Bedarf nach Unterstützung und Auskünften entsteht – im<br />
5 Die Partner des InfoPoint-Konsortiums teilen sich die anfallenden Grundkosten für die<br />
Nutzung von QuestionPoint.<br />
418 Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 5
Informationsvermittlung Themen<br />
Internet. Zudem sollte ein System geschaffen werden, das sowohl für die Benutzer<br />
als auch für die Auskunftsbibliothekare größtmögliche Transparenz bietet – entstanden<br />
ist so ein ausgereiftes System, in dem sich das gesamte Auskunftsgeschäft<br />
einer Bibliothek abwickeln lässt (sogar das an der Auskunftstheke, wenn man das<br />
möchte), wobei jeder einzelne Auskunftsvorgang jederzeit nachvollziehbar in allen<br />
Schritten im System dokumentiert wird. Den Bibliothekaren stehen zahlreiche<br />
Verwaltungsfunktionen und -optionen zur Verfügung, mit denen sich jeder Geschäftsgang<br />
abbilden lässt; eine Vielzahl von vordefinierten Statistikreports lässt<br />
(fast) keine Wünsche hinsichtlich der Auswertung des Auskunftsgeschäfts offen.<br />
Das System ist weltweit in rund 1.800 Bibliotheken aus 33 Ländern im Einsatz.<br />
Ein wichtiges Feature von QuestionPoint ist die systemseitig unterstützte Konsortialebene,<br />
mit der sich ein Zusammenschluss von Bibliotheken auf dem Feld<br />
der digitalen Auskunft realisieren lässt. Möglich gemacht werden beispielsweise<br />
gegenseitige Frageweiterleitungen oder nach Zeitfenstern gestaffelte Bereitschafts-<br />
und Abdeckungszeiten. Auch die Ausgabe gemeinsamer Statistikreports<br />
ist vorgesehen.<br />
QuestionPoint enthält ein <strong>Chat</strong>-Modul, das nach dem Kauf der amerikanischen<br />
24/7 Reference Cooperative durch OCLC im Jahr 2004 technisch komplett erneuert<br />
und nach den Anforderungen der Gruppe funktional ausgebaut wurde. Die 24/7<br />
Coop stellt heute die Mehrheit der QuestionPoint-Anwender; 55% der gesamten<br />
Benutzeranfragen gehen über die <strong>Chat</strong>-Funktion ein, die übrigen 45% über Webformular,<br />
E-Mail, Textmitteilungen oder als direkte Eingabe ins System durch Bibliothekare.<br />
Für die Auskunftsbibliothekare wird ein <strong>Chat</strong>-Client angeboten, der neben der<br />
Wiedergabe des <strong>Chat</strong>-Dialogs und der Eingabefunktion optionale Werkzeuge wie<br />
vordefinierte Textbausteine, das Pushen von Webseiten oder das Co-Browsing mit<br />
dem Benutzer in Katalogen oder Datenbanken6 bereit hält.<br />
Der Benutzer wiederum kann den <strong>Chat</strong> aus Formularen heraus starten oder aber<br />
ein spezielles QuestionPoint-Widget (Qwidget) benutzen. Das Qwidget wird von<br />
OCLC vordefiniert zur Integration ins eigene Webangebot angeboten, wobei Layout-Details<br />
wie die Farbe und die enthaltenen Texte vom Anwender konfigurierbar<br />
sind. <strong>Chat</strong>-Formulare stehen als Servicezugang im HeBIS-Portal, im Verbund-<br />
OPAC und der Hessischen Bibliografie zur Verfügung, das Qwidget wurde so in<br />
das HeBIS-Webangebot integriert, dass es fest auf jeder Seite verankert ist und<br />
somit jederzeit bei Bedarf direkt aufgerufen werden kann.<br />
6 Leider ist dies nur unter ganz bestimmten technischen Voraussetzungen auf Seiten<br />
des Benutzers wie auch des Bibliothekars möglich und setzt Browser- und Java-<br />
Versionen voraus, die nicht der heutige Standard sind. Eine Änderung dieser<br />
technischen Voraussetzungen wird immer wieder von Anwenderseite angemahnt,<br />
scheint aber schwierig umzusetzen zu sein.<br />
Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 5 419
Themen Informationsvermittlung<br />
Abb. 2: Qwidget bei<br />
geöffnetem Service<br />
Abb. 1: <strong>Chat</strong>-Client in QuestionPoint<br />
Abb. 3: Qwidget außerhalb<br />
der Servicezeiten<br />
420 Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 5
Informationsvermittlung Themen<br />
Von jedem <strong>Chat</strong>-Vorgang erstellt QuestionPoint automatisch ein Transkript, das<br />
wie auch die über andere Kommunikationswege eingehenden Fragen jeweils als<br />
Auskunftsvorgang im System abgelegt wird. Das bietet im <strong>Chat</strong> die Möglichkeit,<br />
bei komplizierteren Fragestellungen oder solchen, die Recherchen oder Rückfragen<br />
an anderen Stellen erforderlich machen, auf die Anfrage später noch einmal<br />
per E-Mail mit weiteren Informationen zu reagieren. Diese Möglichkeit wird von<br />
den Auskunftsbibliothekaren der Verbundzentrale häufig und gerne genutzt.<br />
Auch der Benutzer erhält das <strong>Chat</strong>-Transkript per E-Mail zugeschickt, sodass er<br />
sämtliche ihm gegebenen Informationen nachvollziehbar schriftlich zur Verfügung<br />
hat.<br />
Einführung und Organisation<br />
Von Anfang an bestand im Team derer, die in der Verbundzentrale Benutzeranfragen<br />
bearbeiten, eine hohe Motivation und die Bereitschaft, das unbekannte<br />
Terrain des <strong>Chat</strong>tens zu betreten und auszuprobieren. Vor der dreimonatigen Probephase<br />
machten sich die Mitarbeiter mit den Funktionen des <strong>Chat</strong>s in Question-<br />
Point vertraut und hatten Gelegenheit zu ausgiebigen Tests. Außerdem wurden<br />
allen Mitarbeitern auch allgemeine Kenntnisse im Umgang mit QuestionPoint in<br />
internen Schulungen vermittelt. Von Anfang an erfolgte die Beteiligung am <strong>Chat</strong><br />
auf freiwilliger Basis, sowohl in der Vorbereitungs- und Testphase als auch bei Aufnahme<br />
des Probebetriebs. Der Produktivbetrieb wurde im November 2010 mit<br />
einem Team von fünf Mitarbeitern gestartet, die sich dazu entschieden hatten,<br />
ein <strong>Chat</strong>-Angebot von Montag bis Freitag jeweils von 10 bis 16 Uhr zu machen und<br />
die Abdeckung dieser Zeiten ohne Einsatzplan zu realisieren. Es gab lediglich die<br />
Vorgabe, dass jeder sich in den <strong>Chat</strong> einloggen sollte, soweit es seine sonstigen<br />
Tätigkeiten und Aufgaben erlauben, und dass man sich bei erkennbaren Engpässen<br />
(z.B. Krankheit und Urlaub) so absprechen sollte, dass immer zumindest ein<br />
Auskunftsbibliothekar für den <strong>Chat</strong> zur Verfügung steht. Dieses System hat sich<br />
im Probebetrieb 100-prozentig bewährt und wurde später bei der Weiterführung<br />
im Routinebetrieb deshalb beibehalten.<br />
Trotz des internen Trainings und einer umfassenden Vorbereitung starteten die<br />
Mitarbeiter nach eigenen Aussagen mit mulmigen Gefühlen in den Produktivbetrieb<br />
und wussten nicht recht, was auf sie zukommt. Dabei war vor allem auch<br />
die mögliche Zahl eingehender <strong>Chat</strong>-Anfragen unkalkulierbar. Es zeigte sich aber<br />
schon nach kurzer Zeit, dass die Menge der <strong>Chat</strong>-Anfragen mit den vorhandenen<br />
Personalressourcen gut bewältigt werden konnte.<br />
Die ersten Erfahrungen der Auskunftsbibliothekare mit dem neuen Kommunikationsinstrument<br />
waren geprägt von großer Nervosität und Anspannung vor einem<br />
<strong>Chat</strong>; während des <strong>Chat</strong>-Dialoges wurde ein hoher Druck und die Situation insgesamt<br />
als stressig empfunden. Diese Anlaufprobleme wichen aber bereits nach<br />
Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 5 421
Themen Informationsvermittlung<br />
kurzer Zeit einer gewissen Routine im Umgang mit der Situation. Wichtig hierfür<br />
war der regelmäßige Austausch im Team und die Entwicklung von gemeinsamen<br />
oder persönlichen Strategien. Dazu gehört beispielweise das gezielte Nachfragen<br />
wie beim klassischen Auskunftsinterview, um dem Anliegen des Benutzers auf<br />
den Grund zu gehen, das Bereithalten von öfter benötigten Auskunftsquellen im<br />
Hintergrund in eigenen, zuvor schon geöffneten Fenstern oder aber die Entwicklung<br />
eines besonderen Schreibstils, der dem Benutzer deutlich signalisiert, dass<br />
der Bibliothekar noch dabei ist, sein Problem zu lösen bzw. zu antworten.<br />
Überrascht war das <strong>Chat</strong>-Team von den Inhalten der eingehenden <strong>Chat</strong>-Anfragen.<br />
Auf Informationsseiten zum HeBIS-<strong>Chat</strong> war die Ausrichtung des Service auf Hilfestellungen<br />
in allen Fragen rund um den Verbund beschrieben worden; was damit<br />
genau gemeint ist, hat sich Benutzern vermutlich aber eher nicht erschlossen.<br />
Herzlich willkommen beim HeBIS-<strong>Chat</strong>!<br />
Hier haben Sie die Möglichkeit, direkt mit einem Mitarbeiter der<br />
HeBIS-Verbundzentrale zu chatten um schnell und unkompliziert<br />
Antworten auf Ihre Fragen rund um den HeBIS-Verbund zu bekommen.<br />
Wir beraten Sie bei der Recherche in Katalogen sowie bei der<br />
Literaturbeschaffung und beantworten Fragen zur Fernleihe. Dieses<br />
Informationsangebot ist kostenlos und steht allen Interessierten zur<br />
Verfügung.<br />
Abb. 3: Infoseite zum <strong>Chat</strong> (Auszug)<br />
Durch die Integration der <strong>Chat</strong>-Einstiege in die Nachweisinstrumente des Verbundes<br />
war davon auszugehen, dass sich die Anfragen auf Rechercheprobleme<br />
und Fernleihfragen beziehen werden. Diese Erwartungshaltung wurde überwiegend<br />
erfüllt, aber viele Benutzer nutzten das <strong>Chat</strong>-Angebot auch zur Klärung von<br />
Fragen rund um den Service ihrer lokalen Bibliothek (OPAC-Benutzung, Ausleihkonditionen,<br />
Öffnungszeiten, Ansprechpartner usw.), obwohl sie in ihren lokalen<br />
Umgebungen keinen direkten Zugang dazu hatten. Damit wird der Bedarf der<br />
Benutzer nach synchronen Kommunikationsmöglichkeiten deutlich; Bibliotheken<br />
und Bibliothekare sollten ihre bisherige Zurückhaltung beim <strong>Chat</strong> dringend überdenken.<br />
Von den Benutzern ging ein überaus positives Feedback zu dem <strong>Chat</strong>-Service ein,<br />
entweder schon im Verlauf des Dialoges („Vielen Dank. Das mit dem <strong>Chat</strong> ist ja<br />
wirklich eine tolle Sache!“) oder aber in einer im Anschluss geschalteten kurzen<br />
Befragung, in der fast ausnahmslos Bewertungen von „gut“ bis „ausgezeichnet“<br />
für den Dienst und seine Qualität vergeben wurden.<br />
Nach Abschluss der dreimonatigen Testphase nahm das <strong>Chat</strong>-Team eine Evaluation<br />
vor und zog ein positives Fazit: die interne Organisation des Service hatte sich<br />
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Informationsvermittlung Themen<br />
bewährt, die Menge war zu bewältigen, die <strong>Chat</strong>-Situation inzwischen vertraut<br />
und die Inhalte der Fragen weitestgehend kalkulier- und handhabbar. Noch wichtiger<br />
war dem Team aber das positive Nutzerfeedback, das allen das zufriedene Gefühl<br />
vermittelt hatte, mit dem <strong>Chat</strong>-Service genau das richtige Angebot gemacht<br />
zu haben. Die dauerhafte Fortführung des Service unter identischen Rahmenbedingungen<br />
stand deshalb niemals in Frage. Man vereinbarte im Team lediglich<br />
zusätzlich, dass bei anstehenden anspruchsvollen Tätigkeiten auf das Einloggen<br />
in den <strong>Chat</strong> bewusst verzichtet werden solle, um Überforderungen zu vermeiden.<br />
Der HeBIS-<strong>Chat</strong> im Regelbetrieb<br />
Seit März 2011 wird der HeBIS-<strong>Chat</strong> als Standard-Service der HeBIS-Verbundzentrale<br />
angeboten. Durch Schwangerschaft und Erziehungszeiten hat sich das<br />
Kernteam seitdem auf drei Mitarbeiter verkleinert, womit sich aber immer noch<br />
problemlos ohne Einsatzplan die Servicezeiten abdecken lassen. Die Menge der<br />
eingehenden Anfragen hat sich trotz einer über die Universität Frankfurt lancierten<br />
Werbeaktion in einem sozialen Netzwerk nicht wesentlich verändert,<br />
und auch inhaltlich stehen Fragen zu Verbunddienstleistungen weiterhin neben<br />
solchen mit lokalem Bezug. Auch die Fragen zu lokalen Gegebenheiten werden<br />
beantwortet, indem zumindest auf lokale Ansprechpartner oder entsprechende<br />
Informationsquellen verwiesen wird.<br />
E-Mail-Anfragen<br />
2011<br />
419<br />
Telefonische Anfragen 100<br />
<strong>Chat</strong>-Sitzungen 171<br />
Gesamt 790<br />
Tabelle 3: Benutzeranfragen 2011<br />
Gegenüber dem Vorjahr ist die Gesamtzahl der in der Verbundzentrale 2011 bearbeiteten<br />
Anfragen wieder auf das Niveau von 2009 angestiegen (+ 53,4%), wofür<br />
aber nicht nur die neu hinzugekommenen <strong>Chat</strong>-Sitzungen verantwortlich waren,<br />
sondern auch ein gestiegener Eingang an E-Mail-Anfragen. Der Anteil der <strong>Chat</strong>s<br />
am Gesamtaufkommen der Benutzeranfragen betrug 21,6%. Fast 60% aller <strong>Chat</strong>s<br />
werden aus dem HeBIS-Portal heraus gestartet, knapp 40% aus dem Qwidget heraus.<br />
Die <strong>Chat</strong>-Anfragen aus dem VerbundOPAC sind zahlenmäßig zu vernachlässigen,<br />
was aber wohl damit zusammenhängt, dass dieser Katalog ohnehin eher von<br />
Spezialisten mit besonderen Rechercheanforderungen genutzt wird 7 . Ob die Nut-<br />
7 Die Standardversorgung hinsichtlich Recherche und Bestellung inklusive Fernleih-<br />
option wird über das HeBIS-Portal und seine lokalen Sichten abgewickelt.<br />
Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 5 423
Themen Informationsvermittlung<br />
zer des <strong>Chat</strong>-Services möglicherweise auch andere Support-Angebote gefunden<br />
und in Anspruch genommen hätten, lässt sich nicht beurteilen. Fakt ist aber, dass<br />
auch Bibliothekare den Service als komfortables Kommunikationsmittel mit der<br />
Verbundzentrale für sich entdeckt haben, weil er ihnen eine direkte Kontaktaufnahme<br />
ermöglicht, ohne sich vorher umständlich Namen von Ansprechpartnern<br />
oder Telefonnummern heraussuchen zu müssen.<br />
Das Nutzerfeedback bezüglich des <strong>Chat</strong>-Angebotes ist weiterhin positiv. Dabei<br />
bestätigt sich aber auch wieder einmal, dass Nutzer die komplexen bibliothekarischen<br />
Welten nicht durchschauen oder schlichtweg ignorieren (müssen). Die<br />
Unterscheidung zwischen lokalen und zentralen Diensten und Zuständigkeiten<br />
ist kaum vermittelbar8 , noch weniger die Rolle einer Verbundzentrale, was sich in<br />
Dankesbezeugungen wie dieser manifestiert: „Großes Lob an Ihre Bibliothek, so<br />
eine Möglichkeit der Hilfe gibt es bei uns nicht.“<br />
Ausblick<br />
Derzeit richtet das für den HeBIS-<strong>Chat</strong> verantwortliche Team sein Augenmerk verstärkt<br />
darauf, den Service bekannter und noch besser auffindbar zu machen. In die<br />
kürzlich produktiv genommene neue OPAC-Version wurde ein verbessertes <strong>Chat</strong>-<br />
Formular integriert, das jetzt auch direkte Links auf Nutzungsbedingungen und<br />
Datenschutzhinweise enthält. Neu integriert wurde der <strong>Chat</strong> auch in den OPAC<br />
der Hessischen Bibliografie, die über eine völlig andere Nutzerstruktur verfügt als<br />
die übrigen Benutzeroberflächen des HeBIS-Verbundes. Erfahrungen damit lagen<br />
zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Textes noch nicht vor.<br />
Ein wichtiges Desiderat ist die Integration des <strong>Chat</strong>-Zugangs in soziale Netzwerke<br />
und die Nutzbarmachung über mobile Endgeräte. Hierfür bietet QuestionPoint<br />
schon vordefinierte Lösungen an, die entsprechend für die HeBIS-Nutzer adaptiert<br />
werden müssen. So ist beispielsweise eine mobile Version des Qwidget verfügbar,<br />
das über Webseiten oder Facebook zum Herunterladen bereitgestellt werden<br />
kann. Ein HeBIS-Auftritt in Facebook, mit dem gezielt vor allem Studierende<br />
und jüngere Nutzer erreicht werden können, ist derzeit in Vorbereitung und soll<br />
demnächst testweise frei geschaltet werden. Damit wird der Tatsache Rechnung<br />
getragen, dass Homepages heute für viele Internet-User nicht mehr die erste Anlaufstelle<br />
bei der Informationssuche sind.<br />
8 Dieser Erkenntnis hat der HeBIS-Verbund bereits vor Jahren mit der Einführung des<br />
HeBIS-Portals Rechnung getragen, in dem nicht mehr zwischen lokalen und zentralen<br />
Services unterschieden wird. Lokale Bestellungen und Vormerkungen in der eigenen<br />
Bibliothek können aus der gleichen Oberfläche heraus abgesetzt werden wie<br />
Fernleihbestellungen.<br />
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