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Psychische Folgen von<br />
Sprachentwicklungsstörungen<br />
Sprachentwicklungsst rungen<br />
Fachtagung Bad Salzdetfurth am 8.10.2010<br />
Dr. Ann-Katrin Bockmann<br />
Universität Hildesheim
Vorstellung<br />
„Was bin ich?“<br />
„Wer bin ich?“
Sprachentwicklungsstörungen<br />
• Prävalenz: 7 – 14 % pro Geburtsjahrgang<br />
• eines der Hauptgesundheitsprobleme<br />
im Kindesalter<br />
• ein deutlich unterdiagnostiziertes Störungsbild<br />
(Tomblin et al., 1997)
Psychische Auffälligkeiten und SES<br />
Komorbidität:<br />
50% Kinder mit SES (DGKJP, 2007)<br />
70-95% Kinder mit schweren Sprachstörungen<br />
(Noterdaeme, 2008; Grimm, 1999)<br />
Vorschulalter:<br />
7% normalentwickelter dreijähriger Kinder<br />
58% sprachentwicklungsgestörter dreijähriger Kinder<br />
entwickeln psychiatrische Auffälligkeiten (Grimm, 1999)<br />
Risiko für psychiatrische Auffälligkeiten:<br />
Für Kinder mit SES = 4-5 x höher
Psychische Auffälligkeiten und SES<br />
Welche Störungen?<br />
Vor allem expansive Störungen:<br />
• Konzentrationsprobleme<br />
• Motorische Unruhe<br />
• Oppositionell-aggressives Verhalten<br />
Auch internalisierende Störungen:<br />
• Emotionale Störungen<br />
• Sozialer Rückzug<br />
• Verminderter Selbstwert
Psychische Auffälligkeiten und SES<br />
Rezeptive Störungen<br />
• Häufiger psychiatrische Störungen<br />
• Stärkere Beeinträchtigungen<br />
(kognitiv, emotional, sozial)<br />
• Schulische und berufliche Perspektiven<br />
deutlich stärker eingeschränkt (Noterdaeme, 2008)
Psychische Auffälligkeiten und SES<br />
SES vs. Artikulationsstörungen<br />
Studie: 77 Kinder mit SES, 38 Kinder mit<br />
Artikulationsstörungen, 129 sprachunauffällige Kinder<br />
Ergebnisse: Kinder mit SES zeigen kontinuierliche<br />
Zunahme psychiatrischer Auffälligkeiten; im<br />
Erwachsenenalter besonders Angststörungen und<br />
antisoziale Persönlichkeitsstörungen<br />
Kinder mit Artikulationsstörungen zeigen keine<br />
Zunahme psychiatrischer Auffälligkeiten<br />
(Suchodoletz, 2004)
Psychische Auffälligkeiten und SES<br />
Früh vs. spät diagnostizierte SES<br />
Rezeptive Sprache ist gleich stark eingeschränkt<br />
Früh diagnostizierte Kinder:<br />
Expressive Sprache deutlich besser<br />
Eher ängstlich und sozial zurückgezogen<br />
Spät diagnostizierte Kinder:<br />
Häufiger aggressives und delinquentes Verhalten<br />
Häufiger Depressionen
Psychische Auffälligkeiten und SES<br />
Warum?<br />
• Schulische Misserfolge<br />
• Frustrationen in alltäglicher Kommunikation<br />
• Belastete Eltern-Kind-Beziehung<br />
• Soziale Kontakte zu Peers erschwert<br />
• Beeinträchtigte Affektregulation
Folgen von<br />
Sprachentwicklungsstörungen<br />
Störungen<br />
der der<br />
Sprachentwicklung<br />
Lern- Lern-und und<br />
Schulprobleme<br />
Verhaltens- u. u.<br />
psychiatrische<br />
Störungen<br />
Später erhöhte<br />
Kriminalität<br />
Intelligenzentwicklung<br />
Sozial-kommunik.<br />
Bereich<br />
Persönlichkeits-<br />
Entwicklung
Sprachheilzentrum Bad Salzdetfurth<br />
Ergebnisse aus der Praxis<br />
• Stichprobe: 465 Kinder (74% Jungen, 26% Mädchen)<br />
• Zeitraum: 2000 bis 2009<br />
• Instrument: Child Behavior Checklist (CBCL)<br />
„Weint viel“, „Verlangt viel Beachtung“, „ist impulsiv oder<br />
handelt, ohne zu überlegen“, „wird gehänselt“, „ist verschlossen“,<br />
„nässt ein“, „hat Schwierigkeiten beim Sprechen, bitte<br />
beschreiben…“, „ist lieber mit Jüngeren zusammen“
Sprachheilzentrum Bad Salzdetfurth<br />
Ergebnisse aus der Praxis<br />
• Aufenthaltsdauer: 16;11 Monate<br />
• Alter: 8;1 Jahre<br />
• Kinder mit klinisch bedeutsamen psychischen<br />
Auffälligkeiten (Gesamtwert CBCL ≥ 64): 22,37%<br />
• Überwiegend Jungen auffällig<br />
• Mehr internalisierende Störungen
Sprachheilzentrum Bad Salzdetfurth<br />
Effekte der stationären Maßnahme<br />
• 373 Kinder, bei denen die Eltern zu Beginn und<br />
Ende des Aufenthalts eine CBCL ausfüllten<br />
• Der Aufenthalt hat hoch signifikante Effekte auf<br />
- den Gesamtwert<br />
- den Wert für die internalisierenden Störungen<br />
- den Wert für die externalisierenden Störungen<br />
• Die Effekte gelten für alle Kinder,<br />
egal ob sie anfangs klinisch auffällig waren und<br />
ob spezifische psychische Interventionen stattfanden
Sprachheilzentrum Bad Salzdetfurth<br />
Ausblick und Fragen<br />
• Wie stabil sind die Veränderungen (z.B. nach 6 Monaten)?<br />
• Wie würden Profis (Psychologen, Lehrer, Erzieher,<br />
Logopäden) die Entwicklung beurteilen?<br />
• Welche Fortschritte gibt es in bestimmten<br />
Problembereichen (z.B. soziale Probleme)?<br />
• Wodurch kommt es zu diesen von den Eltern<br />
wahrgenommenen Verbesserungen?<br />
- durch die verbesserten Sprachfähigkeiten<br />
- durch den Rahmen / Struktur des SHZ
Fallbeispiele<br />
Anna (13 Jahre)<br />
Kevin ( 2 Jahre)<br />
Steven (10 Jahre)
Anna<br />
• Fünftes von neun Kindern<br />
• Freundlich, schüchtern und fleißig<br />
• Lernschwächen als Vorstellungsgrund<br />
• Nie Sprachstörung diagnostiziert<br />
• Keine Logopädie<br />
• Vorbefund (2004): IQ = 83 (K-ABC)<br />
• Anamnese: langsames Sprechen
Anna (Diagnostik I)<br />
Intelligenz (HAWIK IV):<br />
- Sprachverständnis (SV) = 57<br />
- Wahrnehmungsgebundenes logisches<br />
Denken (WLD) = 102<br />
- Arbeitsgedächtnis (AG) = 96<br />
- Verarbeitungs-<br />
geschwindigkeit (VG) = 106<br />
Gesamt IQ = 84
Anna (Diagnostik II)<br />
- Lesen und Schreiben: Prozentrang 1-2<br />
- Drei-Wünsche-Test: „Erzieherin werden…<br />
aber bin zu doof in Deutsch“<br />
- Satzergänzungstest: Ich finde es scheußlich…<br />
„nicht richtig sprechen kann“<br />
- Anamnesenacherhebung: verzögerter<br />
Sprechbeginn, spricht schon immer so<br />
durcheinander
Anna (Fazit)<br />
• Rezeptive Sprachstörung (ICD 10)<br />
• Logopädische Diagnostik/Therapie<br />
• Schulgespräch (mit Eltern und<br />
schulpsychologischem Dienst)<br />
• Tagesgruppe
Kevin<br />
• Jüngstes von 3 Kindern, 2;9 Jahre<br />
• Motorische Entwicklung unauffällig<br />
• Bis zum 2. Geburtstag sehr<br />
„pflegeleicht“<br />
• Expressiver Wortschatz:<br />
18 Wörter (ELAN)<br />
• Sprachverständnis scheint normal
Kevin<br />
• Zunehmende Verhaltensauffälligkeiten:<br />
Child Behavior Checklist (CBCL):<br />
„ist trotzig“, „antwortet nicht“,<br />
„schnell frustriert“, „schreit viel“,<br />
„schlägt andere Kinder“, „quengelt“,<br />
„schmollt“, „hat Wutausbrüche“<br />
• Maßnahmen:<br />
Heidelberger Elterntraining<br />
Kindergarteneintritt
Fazit<br />
Folgen von Sprachentwicklungsstörungen sind:<br />
• vielfältig<br />
• können sich in frühem Alter manifestieren<br />
• beeinträchtigen die kindliche Lebensqualität<br />
• beeinträchtigen die weiteren Entwicklungschancen<br />
Das frühe Erkennen und Behandeln von<br />
Sprachentwicklungsabweichungen ist<br />
unabdingbar!
Steven
Steven<br />
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.