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Vision Schweiz – verantwortlich gesehen ... - Haus zum Dolder

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<strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong> <strong>–</strong> <strong>verantwortlich</strong> <strong>gesehen</strong>, wirtschaftlich<br />

ermöglicht, politisch verwirklicht<br />

P. Dr. Albert Ziegler, Zürich<br />

<strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>. Woran denken wir, wenn wir an dieses Wort denken? Die Vorstellungen<br />

mögen sehr unterschiedlich sein. Aber immer geht es irgendwie um die Zukunft der <strong>Schweiz</strong>.<br />

Hat sie überhaupt eine Zukunft, oder liegt sie nicht schon hinter ihr? Im Flecken Beromünster<br />

könnten einem solche Gedanken mit einem gewissen Recht durch den Kopf und das Herz<br />

gehen.<br />

Jedenfalls lohnt sich, darüber nachzudenken. Ich möchte unsere Zusammenkunft eröffnen mit<br />

drei Gedanken. Wir fragen:<br />

• Was ist eine <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>?<br />

• Was ist diese <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>, verantwortbar <strong>gesehen</strong>?<br />

• Was ist diese <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>, wirtschaftlich ermöglicht?<br />

Der Begriff <strong>Vision</strong> gehörte noch vor kurzer Zeit (fast) ausschliesslich in den Bereich des<br />

Religiösen. Hier ist die <strong>Vision</strong> ein innerlich wahrgenommenes Bild oder eine Bildfolge, die<br />

bei mystisch veranlagten Menschen auftreten kann. Diese religiösen <strong>Vision</strong>en haben eine<br />

Leitidee <strong>zum</strong> Inhalt, der zu folgen ist. 1 Nach dem Duden ist die <strong>Vision</strong> eine „Erscheinung“<br />

oder auch ein „Trugbild.“ 2 Heute ist allenthalben auch weltlich von der <strong>Vision</strong> die Rede. <strong>Vision</strong><br />

gehört damit zu jenen geschundenen Wörtern, die für alles Mögliche herhalten müssen und<br />

darum immer mehr ihre klare Bedeutung verlieren. Dies gilt es zu bedenken, wenn man die<br />

<strong>Vision</strong> der <strong>Schweiz</strong> zur Sprache bringt.<br />

Was ist eine <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>?<br />

Fast ist man geneigt, ironisch zu werden. Dann liesse sich sagen: Seitdem wir keine zündenden<br />

Ideen mehr haben, brauchen wir <strong>Vision</strong>en. Seitdem wir aufgehört haben, schöpferisch<br />

zu sein, müssen schon die Kinder in der Schule lernen, wenigstens kreativ zu werden.<br />

Allein Ironie ist die Grobheit der Intellektuellen und führt nicht weiter. Bleiben wir also kreativ<br />

bei der <strong>Vision</strong>. Aber wenn schon, müssen wir der <strong>Vision</strong> einen klaren Inhalt geben. Sonst<br />

behält die Stuttgarter Zeitung Recht, wenn sie schreibt: „Bei dem Worte ‚<strong>Vision</strong>‘ mag<br />

mancher ‚Realpolitiker‘ versucht sein, sich schauernd abzuwenden.“ 3<br />

1 Das <strong>Schweiz</strong>er Lexikon schreibt: „<strong>Vision</strong> [lat. ‚Schau‘], ein innerlich wahrgenommenes Bild oder eine<br />

Bildfolge, die bei mystisch veranlagten Menschen, oft in Verbindung mit Vorgängen im leiblichen, seelischen<br />

und geistigen Bereich, spontan oder auch im Verlaufe asketischer und geistlicher Übungen auftreten kann.<br />

<strong>Vision</strong>en haben u.a. zukünftiges Geschehen, ein Symbolbild zur Deutung eines Geschehens, eine Leitidee, der<br />

zu folgen ist, und oft religiöse Erscheinungen, z.B. Christus und Gottesschau, <strong>zum</strong> Inhalt.“<br />

2 Duden. Das Herkunftswörterbuch. Mannheim 1989, 790.<br />

3 Stuttgarter Zeitung aus dem Jahre 1964. Vgl. Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch. Tübingen 1992, 997. <strong>–</strong><br />

Im übrigen ist auch heute noch von Ideen die Rede. Denn „unter dem Motto ‚Wer keine Ideen hat, verschläft die<br />

Zukunft‘ stellte Hans-Ulrich Forrer, Gemeindepräsident von Kilchberg und Mitglied des Verfassungsrates,<br />

Lösungsansätze vor für die Kooperation der Gemeinden untereinander und mit dem Kanton.“ Neue Zürcher<br />

Zeitung. Zürich und Region, Nr. 267, Freitag, 16. November 2001, 49.<br />

1


1. <strong>Vision</strong><br />

„<strong>Vision</strong>en sind ein Bild der angestrebten Wunschzukunft.“ 4 Das heisst: Die <strong>Vision</strong> ist die<br />

handlungsleitende, phantasievoll-anschauliche Vorstellung einer gewünschten und erstrebten<br />

Zukunft. Mit der <strong>Vision</strong> sind drei Einstellungen verbunden. Zunächst nehmen wir in Gedanken<br />

die Zukunft vorweg. Wir antizipieren gedanklich die Zukunft. Die gedanklich<br />

vorweggenommene Zukunft streben wir an. Wir wollen oder wir intendieren die Zukunft.<br />

Endlich soll die Zukunft nicht nur ein Traum am Himmel voller Geigen sein, sondern Hände<br />

und Füsse bekommen. Darum müssen wir die antizipierte und intendierte Zukunft auch <strong>–</strong><br />

Schritt für Schritt <strong>–</strong> realisieren.<br />

Das Entscheidende an der <strong>Vision</strong> ist mithin, dass sie handlungsmotivierend und handlungsleitend<br />

wirkt. Sonst bleibt sie eine Utopie und ein Traum, der sich nur zu bald als<br />

Schaum erweist.<br />

2. <strong>Vision</strong>en der <strong>Schweiz</strong><br />

Gewiss reden wir erst heute von der <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>. Doch was mit dem Wort gemeint ist, ist<br />

keineswegs neu. Seit eh und je hat, wer sich über die Zukunft der <strong>Schweiz</strong> Gedanken<br />

gemacht hat, <strong>Vision</strong>en der <strong>Schweiz</strong> vor dem geistigen Auge gehabt. Darf ich einige dieser<br />

vergangenen <strong>Vision</strong>en in Erinnerung rufen?<br />

Zwingli: Die arbeitsame <strong>Schweiz</strong><br />

Da war der Zürcher Reformator Huldrich Zwingli. Ihm stand die <strong>Vision</strong> einer arbeitsamen,<br />

friedlichen <strong>Schweiz</strong> vor Augen. 1524 verfasste er „eine freundschaftliche und ernste<br />

Ermahnung der Eidgenossen.“ Darin schreibt er: „Durch Arbeiten will sich niemand mehr<br />

ernähren. Weil es angeblich an Arbeitskräften fehlt, lässt man vielerorts die Grundstücke<br />

überwuchern, niemand mehr bebaut sie. [...]<br />

Doch Euer Eigennutzdenken hindert euch daran, so zu wirtschaften. Dieses Denken, das sich<br />

unter euch breitgemacht hat, lenkt euch von der Arbeit weg <strong>zum</strong> Müssiggang. Aber Arbeit ist<br />

etwas Gutes, etwas Göttliches. Sie bewahrt nicht nur vor Ausschweifung und Laster, sie<br />

beschafft auch das Getreide, mit dem sich der Mensch ohne schlechtes Gewissen ernähren<br />

kann, auch ohne befürchten zu müssen, dass er sich mit dem Blut Unschuldiger speise und<br />

sich damit beflecke.<br />

Arbeit macht auch den Körper frisch und stark und beseitigt Krankheiten, die durch den<br />

Müssiggang entstehen. Das Allerschönste aber ist, dass aus der Hand des Arbeiters Frucht<br />

und Gewächs entspringt, so wie aus der Hand Gottes bei der Schöpfung; der Arbeitende ist<br />

also äusserlich Gott ähnlicher als irgendein Wesen auf der Welt.“ 5<br />

Gotthelf: Die häusliche <strong>Schweiz</strong><br />

Jeremias Gotthelf stellt den <strong>Schweiz</strong>ern eine <strong>Schweiz</strong> vor Augen, die als Vaterland im Vaterhaus<br />

mit seiner Muttersprache ihren Ursprung hat. Für das <strong>Schweiz</strong>erische Schützenfest,<br />

das 1842 in Chur stattfinden sollte, schrieb er „eines <strong>Schweiz</strong>ers Wort an den<br />

4 Vgl. Gerhard Comelli und Lutz von Rosenstiel, Führung durch Motivation. Mitarbeiter für Organisationsziel<br />

gewinnen. München 1995, 62.<br />

5 Vgl Huldrich Zwingli, Schriften I. Zürich 1995, 322. Nur wenig später schreibt Heinrich Bullinger, Zwinglis<br />

späterer Nachfolger, eine ganz ähnlich lautende „Anklag und Ermahnung Gottes an die Eidgenossen“. Sie ist<br />

„eine der ältesten und charakteristischsten Werbeschriften für das reformierte Ideal einer Besserung des<br />

politischen Lebens aufgrund religiöser Umkehr“, in : Robert Durrer, Bruder Klaus, Die ältesten Quellen über den<br />

seligen Niklaus von Flüe. Sein Leben und sein Einfluss, Bd. 2. Sarnen, Nachdruck 1989, 641f.<br />

2


<strong>Schweiz</strong>erischen Schützenverein“. Darin sagt er: „Man lasse sich nicht verleiten durch blödes,<br />

irres Geschwätz! Im <strong>Haus</strong>e muss beginnen, was leuchten soll im Vaterlande; aus dem <strong>Haus</strong>e<br />

stammt die öffentliche Tugend, und wer kein treuer <strong>Haus</strong>vater ist, dem fehlet des alten<br />

<strong>Schweiz</strong>ers Art und Weise, dem fehlet der Heldenmut, der aus der Seele stammt, und was<br />

nützet in den Tagen der Gefahr der, welcher nur im Munde liegt?“ 6<br />

Bischof Besson: Die gesegnete <strong>Schweiz</strong><br />

Zu Beginn des 2. Weltkrieges schrieb Bischof Marius Besson ein „Gebet für das Vaterland“,<br />

das in den katholischen Kirchen während des ganzen 2. Weltkrieges Sonntag für Sonntag<br />

gebetet wurde. Darin entfaltet der Bischof das Bild einer <strong>Schweiz</strong>, die unter dem Segen<br />

Gottes steht: „Allmächtiger Gott, Du hast uns ein herrliches Vaterland gegeben und es bisher<br />

immerfort behütet; gib ihm auch weiterhin Deinen Segen. [ ... ] Ihr Heiligen alle, steht uns mit<br />

Eurer Fürbitte bei, damit wir durch wahrhaft christliches Leben und durch unwandelbare Treue<br />

dem Vaterlande allzeit Schutz und Wehr seien.“ 7 In diesem Zusammenhang könnte man auch<br />

an den Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag erinnern mit den entsprechenden<br />

Bettagsmandaten der Regierung. Bekannt wurden vor allem die vom Zürcher Staatsschreiber<br />

Gottfried Keller verfassten Mandate. 8 Doch das ist Vergangenheit, mag einer sagen.<br />

Gibt es auch heute noch die Idee der <strong>Schweiz</strong>? Es gibt sie durchaus. Bei seiner Wahl <strong>zum</strong><br />

Bundesrat entwickelte 1995 Moritz Leuenberger „die Idee einer <strong>Schweiz</strong> ohne Graben“. Er<br />

sagte: „Nur gemeinsam können wir die Idee einer <strong>Schweiz</strong> ohne Graben angehen <strong>–</strong> ohne<br />

Graben zwischen Arbeitslosen und solchen, die Arbeit haben, ohne Graben zwischen den<br />

Sprachregionen, ohne Graben zwischen Land und Stadt und vor allem ohne Graben zwischen<br />

Volk und Politik, denn in unserer Demokratie sind wir alle Politikerinnen und Politiker. Wir<br />

alle, und ich jetzt im besonderen, sind auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Im Vertrauen, dass<br />

mir diese Hilfe mit der Wahl zugesagt wurde, kann ich hier erklären: Ich nehme die Wahl an.“ 9<br />

Alles in allem zeigt sich: Die Idee der <strong>Schweiz</strong> lebt. Aber sie lebt so, dass sie von Zeit zu Zeit<br />

durch eine bestimmte Leitidee neue Lebendigkeit gewinnen muss. Da ist die arbeitsame, da<br />

die häusliche <strong>Schweiz</strong>. Da steht die Heimat unter dem Schutze Gottes. Da gilt es, Gräben zu<br />

überbrücken. Immer aber geht es um die <strong>Schweiz</strong> und ihre Zukunft. Welche verantwortbare<br />

Zukunft aber sehen wir für die <strong>Schweiz</strong>?<br />

3. Eine verantwortbare <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong><br />

Für mich selber steht diese <strong>Vision</strong> als Präambel in der <strong>Schweiz</strong>erischen Bundesverfassung<br />

von 1998. Die Präambel heisst:<br />

Im Namen Gottes des Allmächtigen!<br />

Das <strong>Schweiz</strong>ervolk und die Kantone, in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung, im<br />

Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden<br />

in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken, im Willen, in gegenseitiger<br />

Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, im Bewusstsein der<br />

gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen,<br />

gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des<br />

Volkes sich misst am Wohl der Schwachen, geben sich folgende Verfassung.<br />

6 Vgl. Jeremias Gotthelf, Sämtliche Werke, Bd. 15. Erlenbach/Zürich 1925, 301.<br />

7 Vgl. Katholisches Gesang- und Gebetbuch der <strong>Schweiz</strong> (KGB). Zug 1978, 810.<br />

8 Vgl. Bettag, in: <strong>Schweiz</strong>er Lexikon, Volksausgabe, Bd. 2. Visp 1998, 112.<br />

9 Vgl. Moritz Leuenberger, Träume und Traktanden. Reden und Texte. Zürich 2001, Vorspann, Bern 27.<br />

September 1995.<br />

3


Eine Staatsverfassung ist über alles Juristische und Grundrechtliche hinaus die Visitenkarte<br />

eines Volkes. Darin zeigt es nach innen und aussen, wer es ist, zu welchen Werten es sich<br />

bekennt und auf welche Werte hin es sich verpflichtet. In der Präambel der <strong>Schweiz</strong>erischen<br />

Bundesverfassung ist zweimal ausdrücklich von der Verantwortung die Rede. Es geht um die<br />

Verantwortung gegenüber der Schöpfung und um die Verantwortung gegenüber den künftigen<br />

Generationen.<br />

Mit andern Worten: Es geht um eine nachhaltige Verantwortung. Darum geht es um die Idee<br />

einer <strong>Schweiz</strong>, die, getragen von der Leitidee der nachhaltigen Entwicklung, wirtschaftlichen<br />

Wohlstand, soziale Sicherheit und ökologische Stabilisierung als drei gleichrangige Ziele<br />

gesellschaftlicher Entwicklung anerkennt und anstrebt. 10 Was ist nun diese nachhaltige <strong>Vision</strong><br />

der <strong>Schweiz</strong>, wenn wir sie unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung betrachten?<br />

Was ist die <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>, verantwortbar <strong>gesehen</strong>?<br />

Ähnlich wie das Wort <strong>Vision</strong> ist auch das Wort Verantwortung ein Allerweltswort geworden.<br />

Für manche Zeitgenossen hat es nur noch die Bedeutung der Zuständigkeit. „Ich bin<br />

zuständig oder <strong>verantwortlich</strong> dafür, dass die Ware rechtzeitig geliefert wird.“ Darum ist es<br />

gut, dieser Verantwortung ebenfalls genauer nachzufragen.<br />

1. Was ist Verantwortung?<br />

Verantwortung hat wörtlich mit der Antwort zu tun. Doch Verantwortung besagt nicht nur, dass<br />

ich Antwort im Sinne einer Auskunft gebe. Vielmehr muss ich in der Antwort der<br />

Verantwortung Rede und Antwort stehen. Derart lässt sich verantworten wie folgt umschreiben:<br />

Verantwortung ist die Pflicht einer Person, für ihr Tun und Lassen samt dessen Folgen<br />

Rechenschaft abzulegen und Rede und Antwort zu stehen.<br />

Dabei ist genauer zwischen <strong>verantwortlich</strong> und verantwortbar zu unterscheiden. Verantwortlich<br />

bin ich für das, wofür mich die andern zu Recht zur Rechenschaft ziehen können.<br />

Damit geht es bei der Verantwortlichkeit um die Pflicht zur Rechenschaftsablage. Demgegenüber<br />

besagt die Verantwortbarkeit die Fähigkeit, dieser Pflicht zu genügen. Verantwortbar<br />

handelt demnach, wer fähig ist, für das, wofür er <strong>verantwortlich</strong> ist, Rede und Antwort<br />

zu stehen und seinen Kopf hinzuhalten.<br />

Worum also geht es, wenn eine verantwortbare <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong> zu entwickeln ist? Es geht um<br />

die Fähigkeit, sich und den andern Rechenschaft darüber zu geben, welche <strong>Schweiz</strong> man in<br />

Zukunft anstrebt und welche man zu verwirklichen gedenkt. Es geht damit auch um das<br />

Bekenntnis, pflichtgemäss und damit nach bestem Wissen und Gewissen die Aufgabe zu<br />

erfüllen, die sich das <strong>Schweiz</strong>er Volk mit dem Bekenntnis in der Präambel selber auferlegt<br />

hat. Derart fragt sich: Vor wem sind wir als <strong>Schweiz</strong>er Volk für was <strong>verantwortlich</strong>?<br />

2. Verantwortlich vor wem?<br />

10 Vgl. Markus Vogt, Sustainable development, in: Lexikon der Bioethik, Bd. 3. Gütersloh 1998, 500-502.<br />

4


Verantwortung ist die Pflicht zur Rechenschaft gegenüber dem eigenen Gewissen, gegenüber<br />

den Mitmenschen und gegenüber Gott. Im Schatten der Kirchtürme von Beromünster<br />

wird man noch von der Verantwortung auch Gott gegenüber reden dürfen.<br />

Nicht umsonst und mit Nachdruck beginnt die Bundesverfassung „Im Namen Gottes des<br />

Allmächtigen!“ Es geht also bei der Verantwortung um die Verantwortung gegenüber jenem<br />

Gott, der jede und jeden von uns persönlich im Gewissen anspricht und in Anspruch nimmt.<br />

Es ist zugleich die Verantwortung vor jenem Gott, der uns auf die Gemeinschaft verweist und<br />

uns der Schwester oder des Bruders Hüter oder Hüterin sein lässt.<br />

Es ist gut, zu wissen, dass auch im neuen katholischen Gesangbuch sich ein „Gebet für die<br />

Heimat“ findet. Darin heisst es: „Gott Du willst, dass alle Menschen ein Zuhause haben und in<br />

Frieden leben. [...] Lass alle, die in unserem Land leben, ihre Verantwortung im Umgang mit<br />

Deiner Schöpfung wahrnehmen. Gib, dass in den Gemeinschaften, den Familien und<br />

Gemeinden Eintracht und Gerechtigkeit herrschen. Ermutige uns, dass wir uns für den<br />

Frieden in der Welt und für den Fortschritt aller Völker einsetzen.“ 11<br />

Gewiss: Wir sind <strong>verantwortlich</strong> vor Gott. Doch was haben wir vor Gott zu verantworten?<br />

3. Verantwortung für was?<br />

Kein Zweifel: Wenn wir von einer verantwortbaren <strong>Vision</strong> der <strong>Schweiz</strong> sprechen, dann geht es<br />

um die gegenwärtige und künftige Verantwortung für Land und Leute. Es geht um das Land.<br />

Es geht um die Menschen in diesem Land. Vor allem geht es um die Zukunft von Land und<br />

Leuten. Was bedeutet dies genauer?<br />

Verantwortung für eine gepflegte Landschaft<br />

Wir sind <strong>verantwortlich</strong> für unser Land und seine Landschaft. Diese Landschaft gilt es so zu<br />

kultivieren, dass sie nicht denaturiert wird. Sie muss für uns und die kommenden Generationen<br />

Arbeits-, Wohn- und Erholungsraum bleiben. Das ist die Verantwortung für unser<br />

Naturkapital. 12<br />

Dieses Naturkapital ist aber die Lebensgrundlage für die Menschen, Tiere und Pflanzen in<br />

unserem Land. Im Vordergrund stehen die Menschen mit ihrer Verantwortung nicht nur für<br />

Ihresgleichen, sondern auch für die Tiere und Pflanzen.<br />

Verantwortung für Menschen in Freiheit und Würde<br />

Eine Landschaft wird nur dadurch zur Heimat, dass sie mehr als lediglich Wohnraum und<br />

Aufenthaltsort ist. Heimat ist der Ort, wo man daheim ist und sich nicht mehr zu erklären<br />

braucht. Darum ist Heimat auch wörtlich der Ort, wo man lagern und sich niederlassen kann<br />

und wo man ohne Angst für Leben, Würde und Freiheit sich <strong>zum</strong> Schlafe niederlegen darf.<br />

Dabei ist Freiheit nicht nur die Freiheit von äusserem Zwang. Sie ist auch nicht die Aufforderung<br />

zur Beliebigkeit nach Lust und Laune. Genausowenig ist sie die Fähigkeit, dauernd<br />

das Gegenteil von dem zu tun, was man bisher gemacht hat. Vielmehr ist Freiheit die Freiheit<br />

zu einer Selbstbestimmung, die, wie Hilde Domin sagt, aus dem noch etwas macht, was die<br />

andern aus einem schon gemacht haben. 13<br />

11 Vgl. Katholisches Gesangbuch. Zug 1998, 627, Nr. 596/6. <strong>–</strong> Das Evangelisch-reformierte Gesangbuch bringt<br />

unter "Gottesdienste im Jahreskreis" auch einen Beitrag <strong>zum</strong> Dank-, Buss- und Bettag. Gesangbuch der<br />

Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen <strong>Schweiz</strong>. Zürich 1998, 617-625.<br />

12 Hier könnte man nicht zuletzt an die <strong>Vision</strong> Zwinglis und Bullingers denken.<br />

13 Vgl. dazu Konrad Hilpert (Hrsg.), Selbstverwirklichung. Chancen, Grenzen, Wege. Mainz 1987, 29, Anm. 29.<br />

5


Weil wir der Urheber unserer Selbstbestimmung sind, sind wir dafür auch <strong>verantwortlich</strong>.<br />

Darum ist Freiheit immer <strong>verantwortlich</strong>e und verpflichtende Freiheit. Pflicht ist, was man soll.<br />

Das verpflichtende Sollen ist, was der Freiheit die Freiheit lässt, ihr aber die Unverbindlichkeit,<br />

Beliebigkeit und damit die Willkür nimmt. Nur in einer solchen Freiheit bleibt die<br />

Würde der Menschen gewahrt.<br />

Die <strong>verantwortlich</strong>-verpflichtende Freiheit ist aber immer auch eine soziale Freiheit. Denn ich<br />

lebe meine Freiheit in einer Gemeinschaft von Menschen, die in gleicher Weise frei sind.<br />

Darum hört meine Freiheit dort auf, wo die Freiheit des andern beginnt. Nur als soziale lässt<br />

und macht Freiheit frei. Damit ist einerseits das Individualprinzip der personalen Würde<br />

eines jeden Menschen angesprochen. Anderseits geht es um die Sozialprinzipien der<br />

Subsidiarität, der Solidarität und nicht zuletzt der Rivalität. 14 In alldem ist die Verantwortung<br />

die Verantwortung nicht nur für das Naturkapital, sondern auch für das Human- und<br />

Sozialkapital der <strong>Schweiz</strong>.<br />

Verantwortung für die zu gestaltende Zukunft<br />

Es geht also um die verantwortbar gepflegte Landschaft für freie Menschen, die zuversichtlich<br />

und entschlossen der Zukunft entgegen gehen. Oft sind wir dabei, das Vergangene zu<br />

restaurieren. Das ist gut, genügt aber nicht. Sodann sind wir damit beschäftigt, die<br />

Gegenwart zu optimieren. Wir machen, was schon da ist, immer noch etwas besser. Auch<br />

das ist gut. Allein, auch dies genügt nicht. Wir müssen vielmehr und entscheidend das<br />

Künftige kreieren.<br />

Nichts gegen das Restaurieren des Vergangenem. Es gilt, das Vergangene in Ehren zu<br />

halten. Wo könnte man das glaubwürdiger sagen als im Flecken Beromünster? Nicht weniger<br />

tut not, das Gegenwärtige zu optimieren. Ohne Optimierung des Gegenwärtigen gibt es keine<br />

Nachhaltigkeit der Zukunft. Aber wir sind in Gefahr, dass wir oft so damit beschäftigt sind, das<br />

Vergangene zu restaurieren und das Gegenwärtige zu optimieren, dass wir das<br />

Entscheidende vergessen, nämlich das Kreieren der Zukunft. Die Zukunft kommt nicht einfach<br />

als verhängnisvolles Schicksal über uns. Wir können und müssen die Zukunft selber gestalten;<br />

und wir müssen dies auf verantwortbare Weise tun.<br />

Damit sei keinem Allmachtswahn das Wort geredet. Es gibt Geschehnisse, auch künftige, die<br />

wir hinzunehmen und zu ertragen haben. Aber es gibt auch in Zukunft vieles, das man kann,<br />

wenn man ernsthaft will. Dafür braucht es jenes Selbstvertrauen, das im Gottvertrauen<br />

mündet, sich in einem gesunden Selbstwertgefühl äussert und damit die Mitte hält zwischen<br />

der Überheblichkeit und einem Minderwertigkeitskomplex.<br />

Bei der Gestaltung der Zukunft geht es noch mehr um jene Weltoffenheit, die weiss, wie<br />

notwendig heute die Wandlungsfähigkeit ist, wie dringend wir der Toleranz bedürfen, aber<br />

auch wie sehr wir den Mut haben müssen, innerhalb unserer Grenzen auch fremden Menschen<br />

den helvetischen Tarif zu erklären. Wenn unsere <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong> schon auf der<br />

Bundesverfassung beruht, dann haben nur jene Menschen in der <strong>Schweiz</strong> etwas zu suchen<br />

und zu finden, die grundsätzlich auf dem Boden dieser Verfassung stehen und damit Freiheit<br />

und Würde aller Menschen zu achten gewillt sind. In diesem Sinne geht es um die<br />

Verantwortung für das Zukunftspotential der <strong>Schweiz</strong>.<br />

Kur<strong>zum</strong>: Vor uns steht die <strong>Vision</strong> einer landschaftlich schönen, freiheitlichen, welt- und zukunftsoffenen<br />

<strong>Schweiz</strong>. Die <strong>Vision</strong> bleibt indes nur dann kein Traum, wenn wir sie auch<br />

14 Vgl. dazu Albert Ziegler, Verantwortung für das Wort. Kommunikation und Ethik. Frauenfeld 2000, 44-48.<br />

6


wirtschaftlich ermöglichen und politisch durchsetzen. An die wirtschaftliche Ermöglichung ist<br />

besonders zu denken.<br />

Was ist die <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>, wirtschaftlich ermöglicht?<br />

Noch einmal können wir uns fragen: Was denken wir uns, wenn wir das Wort Wirtschaft<br />

hören? Manche werden an die Wirtschaftskapitäne denken, um sie gleich <strong>zum</strong> einen mit<br />

Vorwürfen zu überhäufen <strong>–</strong> man denke an das Swissair-Debakel <strong>–</strong>, und um sich selbst<br />

anderseits aus der wirtschaftlichen Verantwortung zu stehlen. Dies wäre fatal. Wirtschaftende<br />

sind wir nämlich alle. Was ist denn die Wirtschaft?<br />

1. Was ist Wirtschaft?<br />

Wirtschaft ist jener Teil der Gesellschaft, in dem die materiellen Mittel so effektiv und effizient<br />

bereitgestellt werden, dass man der Knappheit genügend Rechnung trägt.<br />

Richtig verstanden ist das Ziel unseres Wirtschaftens, die Menschen als Geist-Leib-Wesen<br />

mit alldem zu versorgen, wessen sie zur Erhaltung ihres Daseins und zu einer<br />

menschenwürdigen Lebensführung bedürfen. Dabei geht es nicht nur um die Mittel für das<br />

physische Leben. Auch all jene Mittel sind bereitzustellen, ohne die der Mensch keine Kultur<br />

aufbauen und kein auch kulturell wertvolles Leben führen kann. In diesem Sinne hat schon<br />

Werner Sombart von der „Kulturfunktion der Unterhaltsfürsorge gesprochen“. 15 Er meint damit<br />

offenbar: Als Menschen sollen wir für den Lebensunterhalt in kulturell wertvoller Weise sorgen.<br />

Das heisst <strong>zum</strong> einen: Der Lebensunterhalt sollte nicht nur für das physische<br />

Existenzminimum ausreichen, sondern auch eine Freizeitkultur ermöglichen. Zum andern<br />

bedeutet es: Auch schon die Bereitstellung des Unterhaltes und damit die Arbeit mit ihren<br />

Arbeitsverhältnissen soll ein Stück Kultur sein. In diesem Sinne sprechen wir bei den Bauern<br />

von der Agrikultur. Das Land soll kultiviert werden. Aber nicht nur das bearbeitete Land,<br />

sondern auch die arbeitenden Menschen sollten bei der Arbeit nicht Arbeitssklaven und<br />

Workaholics sein. Sie sollten in ihrer Arbeit und durch sie sich auch selber verwirklichen<br />

können.<br />

Die eigentliche Schwierigkeit des Wirtschaftens besteht bekanntlich in der Knappheit. Der<br />

Mensch hat unbegrenzt viele Wünsche. Zu ihrer Erfüllung stehen ihm nur begrenzte Mittel in<br />

Raum und Zeit zur Verfügung. Darum muss er immer wieder neu entscheiden, was er wofür<br />

einsetzen will, um sich in seiner Umwelt zu verwirklichen. Was braucht es dazu?<br />

2. Was braucht es <strong>zum</strong> erfolgreichen Wirtschaften?<br />

Wir wollen die Zukunft der <strong>Schweiz</strong> gestalten. Die Wünsche sind gross. Die Mittel bleiben<br />

knapp und werden knapper. Die knappen Mittel bereitzustellen ist anstrengend. Was braucht<br />

es angesichts dieser Situation für eine wirtschaftlich ermöglichte künftige <strong>Schweiz</strong>?<br />

Wir brauchen Leistungsfreude.<br />

Leistung ist jene Arbeit, in der wir unser Bestes geben, ohne dass wir uns dadurch schon zu<br />

Opfern der Leistungsgesellschaft machen würden. Leistung ist die Arbeit, auf die wir stolz<br />

sind, weil wir mehr Werte geschaffen haben, als wir für die Wertschöpfung in Anspruch<br />

genommen haben.<br />

15 Vgl. Walter Kerber, Sozialethik. Stuttgart 1998, 112.<br />

7


Wir brauchen Selbstbescheidung.<br />

Wir leben bekanntlich auf zu grossem Fusse. Früher gab uns die Armut das Mass. Wir<br />

mussten uns nach der Decke strecken. Wir hatten gelernt, in Armut oder doch in Bescheidenheit<br />

zu leben. Der bescheidene Wohlstand führte zu einem entsprechenden Wohlbefinden.<br />

Heute hat das Wohlbefinden mit dem Wohlstand nicht Schritt gehalten. Wir klagen alle, aber<br />

die meisten auf verhältnismässig hohem Niveau. Darum tut eine Selbstbesinnung not, die zur<br />

Selbstbescheidung führt.<br />

Gab früher die Armut das Mass, müssen wir uns heute selber das Mass geben und unsere<br />

überbordenden Wünsche mässigen. Wir sind und bleiben ein kleines Land, selbst wenn wir<br />

Grossbanken haben, die ihre grossen Geschäfte in aller Welt zu machen pflegen und die<br />

<strong>Schweiz</strong> auf ihrer Weltfahrt gerade noch und zur Not mitnehmen.<br />

Was uns heute wirtschaftlich not tut, ist die Tugend des Masshaltens, die freilich nicht zu einer<br />

selbstgenügsamen Mittelmässigkeit führen darf. Dies alles geht nicht ohne Besonnenheit 16<br />

und ohne die Fähigkeit zu verzichten. 17<br />

Wir brauchen Unternehmergeist.<br />

Was der <strong>Schweiz</strong> wirtschaftlich not tut, ist jener unternehmerische Geist, der einerseits weiss,<br />

wie wichtig und notwendig Gewinn ist, der aber auch weiss, dass Gewinn mehr ist, als<br />

Geldgewinn und nur dann ein echter Gewinn ist, wenn er nachhaltig bleibt.<br />

Derart geht es um jene Nachhaltigkeit, die bereits erwähnt worden ist. Weltweit wird sie heute<br />

als <strong>Vision</strong> der Zukunft <strong>gesehen</strong>. Es ist die <strong>Vision</strong>, dass bei der Entwicklung drei Ziele<br />

gleichrangig anzustreben sind, nämlich der ökonomische Wohlstand, die soziale Sicherheit<br />

und die ökologische Stabilisierung. Dies gilt auch und nicht zuletzt für eine wirtschaftlich zu<br />

ermöglichende <strong>Vision</strong> <strong>Schweiz</strong>.<br />

3. Worauf kommt es an und wie geht es weiter?<br />

Dieser Unternehmergeist muss auch in der Politik <strong>zum</strong> Ausdruck kommen. Denn nur auch mit<br />

Hilfe der Politik können wir die <strong>Vision</strong> der <strong>Schweiz</strong> verwirklichen. Es gilt:<br />

Die Globalisierung der Wirtschaft fordert die Internationalisierung der Politik und <strong>–</strong> spätestens<br />

seit dem 11. September 2001 <strong>–</strong> die weltweite Solidarisierung aller Menschen, für<br />

die der einzelne Mensch mit seinem Anspruch auf Würde wichtiger ist als das Durchsetzen<br />

abstrakter Ideen.<br />

Diese Globalisierung der Wirtschaft, Internationalisierung der Politik und Solidarisierung der<br />

Menschen führt zur Revitalisierung der Heimat. Denn der Mensch ist von <strong>Haus</strong>e aus kein<br />

Globetrotter und Global Player. Er will zu <strong>Haus</strong>e und bei sich und andern Menschen daheim<br />

sein. In einer Welt, die mehr und mehr der Erklärung bedarf, braucht er einen Ort, in dem er<br />

ohne grosse Erklärungen und Selbstreflexion er selber sein darf und mit andern auf den Weg<br />

zu gehen vermag.<br />

Sollten wir nicht das Wort Jeremias Gotthelfs weiterdenken: Auch in der kleinen <strong>Schweiz</strong><br />

muss beginnen, was wachsen soll in weiter Welt. Darum sind wir schon jetzt und erst recht in<br />

der Zukunft nur dann gute <strong>Schweiz</strong>erinnen und <strong>Schweiz</strong>er, wenn wir mehr sind als nur<br />

16 Vgl. Maximilian Forschner, Besonnenheit, in: Lexikon der Ethik. München 1997, 27f.<br />

17 Vgl. Alfred Schöpf, Verzicht, in: Lexikon der Ethik. München 1997, 322f.<br />

8


<strong>Schweiz</strong>erinnen und <strong>Schweiz</strong>er. Auch und gerade als <strong>Schweiz</strong>erin und <strong>Schweiz</strong>er müssen wir<br />

lernen, global zu denken, regional zu handeln, lokal zu wohnen und nachhaltig zu sorgen.<br />

Das ist zuallererst die höchstpersönliche Aufgabe eines jeden einzelnen Menschen. Nicht<br />

weniger ist es eine gesellschaftliche Aufgabe. Denken wir nur an unser Schulwesen, das<br />

nach wie vor auch jene Bildung vermitteln muss, dank der heranwachsende Menschen so ins<br />

Bild gesetzt und so auf dem Laufenden gehalten werden, dass sie informiert, orientiert und<br />

engagiert sind.<br />

Nicht zuletzt sollten diese Menschen befähigt werden, die geforderte auch wirtschaftliche<br />

Leistung nicht widerwillig und irgendwie, sondern mit Freude, dem Sinn für Qualität und dem<br />

Bewusstsein für Verantwortung zu erbringen. Wer Leistung fordert, muss noch lange nicht<br />

dem Leistungsprinzip frönen, nach dem die Plätze in der Gesellschaft <strong>–</strong> ausschliesslich oder<br />

vorwiegend <strong>–</strong> aufgrund erbrachter wirtschaftlicher Leistung verteilt werden.<br />

Jedenfalls wird man unserem Altbundesrat Hans Peter Tschudi Recht geben müssen, wenn<br />

er schreibt: „Alle Aufwendungen, die der Sozialstaat vorsieht, und alle Leistungen, die von ihm<br />

erbracht werden, müssen von der Wirtschaft erarbeitet werden. Grenzen des Sozialstaats<br />

ergeben sich deshalb aus der Tragfähigkeit der Wirtschaft.“ 18<br />

Die soziale Tragfähigkeit der Wirtschaft hängt nicht zuletzt von einer entsprechenden<br />

Wirtschaftspolitik ab. Hans Peter Tschudi sagt wiederum mit Recht: „Die Wirtschaftspolitik<br />

darf nicht unsozial, die Sozialpolitik aber auch nicht unwirtschaftlich sein. Ziel der Wirtschaft<br />

ist die Erarbeitung von Erträgen, die befriedigende Verhältnisse ermöglichen. [...] Die<br />

Sozialpolitik soll die Entwicklung der Wirtschaft nicht hemmen; sie darf ihre Produktivität nicht<br />

beeinträchtigen. Diese Grundsätze sind kaum umstritten, doch ist deren Konkretisierung am<br />

Einzelfall schwierig.“ 19<br />

Diese Worte von Altbundesrat Hans Peter Tschudi verdienen, auch heute beachtet zu<br />

werden. Darum genügt es nicht, die <strong>Vision</strong> der <strong>Schweiz</strong> lediglich wirtschaftlich zu sehen. Sie<br />

ist auch politisch zu gewichten und durchzusetzen bis in den schwierigen Einzelfall hinein.<br />

Was dies bedeutet und fordert, wird uns gewiss auf die ihm eigene klare Art Herr Dr. Iwan<br />

Rickenbacher sagen.<br />

18 Hans Peter Tschudi, Die Sozialverfassung der <strong>Schweiz</strong>. Der Sozialstaat. Schriftenreihe des<br />

<strong>Schweiz</strong>erischen Gewerkschaftsbundes. Bern 1986, 82.<br />

19 ebda, 86f.<br />

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