inklusion aus theologischer, fachlicher und - Diakonie Baden
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InklusIon <strong>aus</strong> theologIscher, fachlIcher <strong>und</strong> ökonomIscher sIcht<br />
Im gespräch: VorstandsVorsItzender oBerkIrchenrat urs keller, fInanzVorstand roBert Bachert <strong>und</strong> Vorstand sozIale arBeIt, kIrchenrat Jürgen rollIn<br />
Das Jahresmagazin 2011 hat diesmal das Thema „Inklusion“.<br />
Gr<strong>und</strong>lage ist die entsprechende UN Konvention,<br />
die auch von <strong>Baden</strong>-Württemberg fordert, die Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />
zu schaffen, damit Menschen mit <strong>und</strong> ohne<br />
Behinderungen gleichberechtigt miteinander leben<br />
können.<br />
Die drei Vorstände des Diakonischen Werkes <strong>Baden</strong> zu<br />
einem aktuellen Thema der Sozialpolitik:<br />
Rollin: Inklusion <strong>aus</strong> <strong>theologischer</strong> Sicht. Herr Keller sie<br />
sagen, dass Inklusion <strong>aus</strong> <strong>theologischer</strong> Sicht einen perspektiven<br />
Wechsel erfordert.<br />
Keller: Mein Impuls, zu einem theologischen Perspektivwechsel<br />
aufzurufen, entstammt zunächst nicht <strong>aus</strong> der Theologie,<br />
sondern <strong>aus</strong> der Sozialpsychologie. In der sozialpsychologischen<br />
Forschung wurde eindrücklich belegt, dass<br />
wir alle ein Bild von unserer sozialen Umgebung haben. Wir<br />
arbeiten also mit Annahmen, wie unsere soziale Umgebung<br />
ist, wie sie sich verhält, was sie von uns erwartet. Diese<br />
Annahmen entwickeln wir im Laufe unserer individuellen<br />
<strong>und</strong> gesellschaftlichen Sozialisation. Sie wirken auf unser<br />
Denken <strong>und</strong> Handeln, um es verkürzt <strong>aus</strong>drücken.<br />
Rollin: Können Sie dies in Bezug auf das Thema Inklusion<br />
verdeutlichen?<br />
Keller: Wenn wir z.B. jemanden begrüßen, dann arbeiten wir<br />
mit solchen Annahmen. Wir sagen „Guten Tag“ <strong>und</strong> reichen<br />
dazu unsere Hand. Wir nehmen an, dass unser Gegenüber<br />
auch „Guten Tag“ sagt <strong>und</strong> uns seine Hand reicht. Was passiert,<br />
wenn einer nicht nach diesen Annahmen handelt, also<br />
z. B. ein Fremder uns statt der Hand unvermittelt einen Kuss<br />
auf die Wange drückt, um ein harmloses Beispiel zu nennen.<br />
Es entsteht Irritation. Wenn man dies nun weiterdenkt <strong>und</strong><br />
sich vorstellt, dass keine unserer Annahmen bestätigt würden,<br />
wir also ohne Annahmen sozial handeln müssten, dann<br />
wären wir am Ende sozial handlungsunfähig.<br />
Wie bei der Begrüßung so arbeiten wir auch mit sozialen<br />
Annahmen wie behinderte Menschen sind, was sie brauchen,<br />
wie sie sich verhalten <strong>und</strong> so weiter. Ich weiß, dies<br />
klingt sehr plakativ <strong>und</strong> müsste differenzierter <strong>aus</strong>geführt<br />
werden. Diese Annahmen, die jedoch da sind, sind umso<br />
festgelegter, je unreflektierter sie übernommen werden <strong>und</strong><br />
je weniger wir die Chance oder die Notwendigkeit hatten,<br />
sie zu korrigieren. Kurz: Wir nehmen behinderte Menschen<br />
immer <strong>aus</strong> unserer Perspektive wahr <strong>und</strong> treffen so Annahmen<br />
über sie.<br />
Rollin: Was bedeutet dies nun für die theologische Perspektive?<br />
Keller: Wenn man so will, dann begegnen uns in den Evangelien<br />
zwei diakonische Modelle. Das eine Modell ist der Barmherzige<br />
Samariter. Er sieht denjenigen, der unter die Räuber<br />
gefallen ist <strong>und</strong> handelt. Er trifft seine Annahmen über die<br />
Bedürfnisse des Opfers <strong>und</strong> handelt. Was ja auch gut ist. Problematisch<br />
wird diese „Samariterdiakonie“ erst an der Stelle,<br />
wo sie auf Menschen trifft, die nicht wie in der Erzählung<br />
halbtot daliegen, also nicht handlungsfähig sind, sondern<br />
wo diese Menschen sich durch<strong>aus</strong> äußern könnten, wir sie<br />
jedoch in unserem diakonischen Handlungsimpuls gar nicht<br />
fragen, sondern einfach mit unseren Annahmen arbeiten<br />
<strong>und</strong> daher schon wissen, was für sie gut <strong>und</strong> richtig ist. In<br />
der Heilung des Blinden Bartimäus (Markus 10), der alle mit<br />
seinem Schreien nervt, sodass sie ihn schließlich zu Jesus<br />
lassen, damit dieser schnell das tut, was so offensichtlich ist,<br />
durchbricht Jesus diesen Handlungsstrang mit einer für alle<br />
unerwarteten Frage an den blinden Bartimäus. Jesus fragt<br />
ihn: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Diese Frage<br />
ist der Perspektivenwechsel. Jesus arbeitet nicht mit seinen<br />
sozialen Annahmen. Er macht mit seiner Frage den Blinden<br />
zum Subjekt. Er soll bestimmen, was Jesus für ihn tun soll.<br />
Inklusion, um unser Thema aufzunehmen, kann nur dort<br />
gelingen, wo wir bereit sind die Perspektive zu wechseln,<br />
unsere sozialen Annahmen zu hinterfragen <strong>und</strong> die behinderten<br />
Menschen Subjekt sein zu lassen.<br />
Rollin: Wo finden sich diese Ansätze in gesetzlichen<br />
Rahmenbedingungen wieder?<br />
Keller: Liest man die UN-Konvention über die Rechte von<br />
Menschen mit Behinderungen, dann liegt genau dieser Perspektivenwechsel<br />
zugr<strong>und</strong>e. In der Heilung des Bartimäus<br />
haben wir ein biblisches Modell für den notwendigen Perspektivwechsel,<br />
ohne den die Inklusion <strong>und</strong> das praktische<br />
Leben der UN- Konvention nicht gelingen wird.<br />
Bachert: Inklusion <strong>aus</strong> <strong>fachlicher</strong> Sicht. Herr Rollin was<br />
bedeutet das Thema Inklusion für die Mitglieder des Diakonischen<br />
Werks <strong>Baden</strong> in <strong>fachlicher</strong> <strong>und</strong> konzeptioneller<br />
Hinsicht?<br />
Rollin: Bereits seit einiger Zeit suchen unsere stationären<br />
Einrichtungen durch Feste <strong>und</strong> andere Aktivitäten Kontakt<br />
zu der Bevölkerung. Zu Festen wird die Bevölkerung im Ort<br />
eingeladen. So schaffen die Einrichtungen Begegnungsmöglichkeiten<br />
zwischen Bewohnern <strong>und</strong> anderen Bürgern. Das<br />
ist wichtig. Denn wenn Inklusion gelingen soll, müssen die<br />
Menschen zunächst die Gelegenheit haben, sich kennen zu<br />
lernen. Selbstverständlich hat der Wunsch zur Inklusion<br />
auch konzeptionelle Folgen. Die Einrichtungen treiben jetzt<br />
die Dezentralisierung voran. Das bedeutet neue Wohnformen<br />
wie ambulant Betreutes Wohnen, Außenwohngruppen,<br />
selbstständiges Wohnen.<br />
Bachert: Wie sehen die Gr<strong>und</strong>lagen für die Entwicklung<br />
neuer Angebote konkret für die <strong>Diakonie</strong> in <strong>Baden</strong> <strong>aus</strong>?<br />
Rollin: Jeder Mensch muss entscheiden dürfen, wie er<br />
leben möchte- auch Menschen mit Behinderungen, die in<br />
unseren Einrichtungen wohnen. Wenn also jemand <strong>aus</strong>ziehen<br />
möchte, um selbstständig zu wohnen, dann setzen<br />
die Einrichtungen alles daran, ihn darin zu unterstützen. In<br />
manchen Fällen müssen die Beteiligten sich eingestehen,<br />
dass der Betreffende noch nicht selbstständig genug ist.<br />
Manchmal stellt sich her<strong>aus</strong>, dass sein Zuh<strong>aus</strong>e nur in der<br />
stationären Einrichtung bleiben kann. In vielen Fällen gelingt<br />
es, Menschen mit Behinderungen selbstständiges Wohnen<br />
zu ermöglichen, das anfangs von einem Sozialarbeiter der<br />
Einrichtung begleitet wird. Da ist es wichtig, es auf die individuellen<br />
Bedürfnisse des Betreffenden zuzuschneiden. Ob<br />
Inklusion gelingt, hängt letztlich nicht nur vom guten Willen<br />
des Betroffenen <strong>und</strong> der Einrichtung ab. Das braucht außer-<br />
dem eine geeignete Infrastruktur, ein aufgeschlossenes soziales<br />
Umfeld. Als Diakonisches Werk <strong>Baden</strong> unterstützen wir<br />
unsere Mitglieder darin durch fachliche <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />
Beratung.<br />
Bachert: Gibt es Schwerpunkte bei der Verbesserung<br />
der Inklusionsorientierung der Angebote der <strong>Diakonie</strong><br />
in <strong>Baden</strong><br />
Rollin: Das ist regional sehr verschieden <strong>und</strong> eine Frage der<br />
Analyse des Umfeldes, der Kapazitäten der Einrichtung <strong>und</strong><br />
ihrer Kooperation mit Sozialhilfeträger, Lokalpolitik, Verbänden<br />
<strong>und</strong> Vereinen vor Ort. Entscheidend ist meiner Meinung<br />
nach, dass die Einrichtungen Inklusion wollen <strong>und</strong> diese entsprechend<br />
ihrer Möglichkeiten vorantreiben. Ob Inklusion<br />
gelingt, ist letztlich eine Frage des Ressourceneinsatzes <strong>und</strong><br />
der Ressourcensteuerung. Mir ist besonders wichtig, dass<br />
wir die Bedürfnisse behinderter Menschen ernst nehmen<br />
<strong>und</strong> wertschätzend mit ihnen umgehen. Dazu gehört für mich<br />
auch eine effektive Gestaltung des persönlichen Budgets.<br />
Dadurch kann jemand selbst entscheiden, wann <strong>und</strong> wofür<br />
er Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Die Ausgestaltung des<br />
persönlichen Budgets ist für mich eine wesentlicher Punkt,<br />
an dem sich zeigt, ob <strong>und</strong> wie wir Inklusion leben wollen.<br />
12 Mitarbeitendenzeitschrift | Dezember | Ausgabe 10/2011 | www.diakonie-baden.de Mitarbeitendenzeitschrift | Dezember | Ausgabe 10/2011 | www.diakonie-baden.de<br />
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Foto: A. Schmidt<br />
Fortsetzung auf der nächsten Seite ...
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was uns InklusIon kostet<br />
fortsetzung des InterVIews<br />
Keller: Inklusion <strong>aus</strong> finanzieller Sicht. Herr Bachert was bedeutet für sie<br />
als Finanzvorstand die Umsetzung der Inklusion für die <strong>Diakonie</strong> in <strong>Baden</strong>?<br />
Bachert: Der Gedanke der Inklusion von Menschen in der Gesellschaft der sich zum<br />
Beispiel im Koalitionsvertrages <strong>Baden</strong>-Württemberg wiederfindet, wird von uns ja<br />
<strong>aus</strong>drücklich befürwortet. Inklusion kann auch realisiert werden über ein Leben in<br />
einer stationären Einrichtung oder einer ambulanten Maßnahme <strong>und</strong> erfordert die<br />
Weiterentwicklung unserer Leistungsangebote <strong>und</strong> Einrichtungen.<br />
Keller: Sie sprechen von finanziellen Ressourcen, die benötigt werden, um<br />
die Inklusion in den Einrichtungen <strong>und</strong> ambulanten Maßnahmen umzusetzen.<br />
Wie hoch sind die Kosten, die auf die <strong>Diakonie</strong> in <strong>Baden</strong> zu kommen, wenn es<br />
um den Umbau der Einrichtungen <strong>und</strong> Dienste geht zum Beispiel auf Gr<strong>und</strong><br />
gesetzlicher Anforderungen?<br />
Bachert: Die Heimbauverordnung fordert zum Beispiel im Altenhilfebereich 100<br />
Prozent Einzelzimmer. D.h. jeder betreute Mensch hat einen Anspruch auf ein<br />
Leben in einem Einzelzimmer. Die Verordnung lässt nur unter wirtschaftlichen, technischen<br />
oder konzeptionellen Bedingungen, Ausnahmeregelungen zu. Dies bedingt<br />
Umbaukosten von Gebäuden bei gleichbleibender Belegung, es wird Kosten durch<br />
Belegungsrückgänge <strong>und</strong> im laufenden Betrieb erzeugen sowie Kosten für den<br />
Umbau anfallen lassen. Reine Kosten (Baukosten: Gebäude <strong>und</strong> Ausstattung) pro<br />
neuem Platz (mittelfristig) entstehen in folgender Höhe: Für die Altenhilfe: 80.000<br />
Euro pro Platz 5.900. Das sind insgesamt 472 Millionen Euro. Für die Jugendhilfe:<br />
70.000 Euro pro Platz 1.200. Das sind insgesamt 84 Millionen Euro. Für die Eingliederungshilfe<br />
entstehen Kosten von 80.000 Euro pro Platz 2.000. Das sind dann 160<br />
Millionen Euro. Insgesamt fallen bei vorsichtiger Schätzung allein in der <strong>Diakonie</strong> in<br />
<strong>Baden</strong> an reinen Baukosten r<strong>und</strong> 700.000.000 Millionen Euro an.<br />
Keller: Was für Kosten spielen noch eine Rolle?<br />
Bachert: Es kommen Kosten der Dezentralisierung <strong>und</strong> Kosten für den Rückbau der<br />
Infrastruktur hinzu. Hier werden vor allem Kosten für die Stilllegung von Gebäuden<br />
entstehen. Daneben fallen Kosten des Um- oder Abb<strong>aus</strong> der Infrastruktur z.B. bei Komplexträgern an. Beispiele dafür sind:<br />
Kosten der Instandhaltung oder des Abb<strong>aus</strong> vorhandener Infrastruktur. Gemeint sind hier Wasseraufbereitungsanlagen, Kanalisation,<br />
Straßen, Zentrale Küchen <strong>und</strong> Fernwärmeanlagen aber auch Kosten wegen neuer gesetzlicher Regelungen: zum Beispiel<br />
des Energieeinspargesetzes <strong>und</strong> des Brandschutzes.<br />
Keller: Welche Anliegen hat die <strong>Diakonie</strong> <strong>aus</strong> ihrer Sicher gegenüber der Politik <strong>und</strong> den Städten <strong>und</strong> Gemeinden?<br />
Bachert: Dazu möchte ich drei Gesichtspunkte benennen: 1. Die reinen Kosten der<br />
Realisierung der Inklusion bei den vorhandenen Einrichtungen <strong>und</strong> Diensten betra-<br />
gen in der <strong>Diakonie</strong> in <strong>Baden</strong> r<strong>und</strong> 700 Millionen Euro. Die Städte <strong>und</strong> Kommunen<br />
werden gebeten hier ihren Beitrag zu leisten <strong>und</strong> <strong>aus</strong>kömmliche Investitionsvereinbarungen<br />
mit den Anbietern zu treffen. 2. Die <strong>Diakonie</strong> ist bereit über entsprechende<br />
Programme ihre Mitglieder bei diesem erforderlichen Umbau fachlich zu<br />
begleiten <strong>und</strong> finanziell zu unterstützen. So steht vom Diakonischen Werk <strong>Baden</strong> ein<br />
Darlehensfonds in Höhe von r<strong>und</strong> 50 Millionen Euro zur Verfügung. 3. Vor allem für<br />
die Dezentralisierung <strong>und</strong> den Abbau der Infrastruktur werden zusätzliche Gelder<br />
benötigt. Politik, Städte <strong>und</strong> Gemeinden sollten die nötigen Gelder zum Beispiel im<br />
Rahmen von Stadtentwicklungsprogrammen zusätzlich zur Verfügung stellen.<br />
Impressum<br />
Her<strong>aus</strong>geber: Diakonisches Werk der<br />
Evangelischen Landeskirche in <strong>Baden</strong> e. V.<br />
Vorholzstraße 3, 76137 Karlsruhe,<br />
Redaktion: Angelika Schmidt,<br />
Satz: Martin Gloge<br />
oeffentlichkeitsarbeit@diakonie-baden.de,<br />
Internet: www.diakonie-baden.de<br />
Spendenkonto:<br />
Evangelische Kreditgenossenschaft, Karlsruhe,<br />
Konto 4600 (BLZ 520 604 10)<br />
14 Mitarbeitendenzeitschrift | Dezember | Ausgabe 10/2011 | www.diakonie-baden.de