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Die im Schatten sieht man doch - die agenten

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Schauspielerin Claudia Michelsen<br />

<strong>Die</strong> <strong>im</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>sieht</strong> <strong>man</strong> <strong>doch</strong><br />

Von Anke Schipp<br />

Claudia Michelsen spielt Kommissarin Ann Gittel in der Kr<strong>im</strong>iserie „Flemming”<br />

02. November 2009 <strong>Die</strong> Frau, <strong>die</strong> Claudia Michelsen gerade mit sich herumträgt, ist<br />

Politikerin. Sie ist erfolgreich, selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Aber auch eine Frau<br />

ohne Kanten, von ihren Beratern und Referenten glatt poliert. Claudia Michelsen hätte <strong>die</strong><br />

Rolle vermutlich abgelehnt, wenn es da nicht <strong>die</strong> zweite Ebene gäbe: jenen Bruch in der<br />

Biographie, den es braucht, damit Michelsen sich für eine Figur interessiert - und damit sie<br />

bereit ist, <strong>die</strong>ser ihr unverwechselbares Gesicht zu verleihen.<br />

Im Foyer des Stuttgarter Hotels hätte <strong>man</strong> <strong>die</strong> Schauspielerin fast übersehen. Es ist ein<br />

typischer Abend nach Drehschluss: An der Bar mit Achtziger-Jahre-Charme (Holz an<br />

Messing) schlägt sich das Filmteam <strong>die</strong> Zeit be<strong>im</strong> Bier tot. Michelsen erscheint zum Interview<br />

mit einem Buch und bestellt eine Apfelsaftschorle. Sie liest gerade <strong>die</strong> Biographie von Clara<br />

Rojas, der kolumbianischen Politikerin, <strong>die</strong> gemeinsam mit Ingrid Betancourt sechs Jahre als<br />

Geisel der Farc-Rebellen <strong>im</strong> Dschungel lebte. Es ist <strong>die</strong> Annäherung an eine Figur: <strong>Die</strong><br />

Politikerin, <strong>die</strong> sie derzeit für eine Folge der ARD-Serie „Bloch“ mit <strong>Die</strong>ter Pfaff spielt,<br />

verbrachte nach einer Entführung ein Jahr in Geiselhaft in Honduras.<br />

Ihr Gesicht prägt sich ein - ihr Name nicht<br />

<strong>Die</strong> Schauspielerin mit Kollege Samuel Finzi<br />

Claudia Michelsen gehört zu den besten Schauspielerinnen <strong>im</strong> deutschen Fernsehen. Doch mit<br />

ihr ist es wie bei einem Ohrwurm, den <strong>man</strong> einmal <strong>im</strong> Radio hört, der einem nicht mehr aus


dem Kopf geht, aber wenn <strong>man</strong> gefragt wird, wie das Lied heißt, muss <strong>man</strong> passen. Ihr<br />

Gesicht prägt sich ein - ihr Name nicht.<br />

Michelsens Spielwiese ist der öffentlich-rechtliche Fernsehfilm um 20.15 Uhr. Ihre<br />

Spezialität: Dramen, in denen sie Frauen verkörpert, <strong>die</strong> ein durchschnittliches Leben in<br />

geordneten Bahnen führen, bürgerlich, wohlsituiert, abgesichert - und deren Welt plötzlich<br />

aus den Fugen gerät. In dem ARD-Film „Sieben Tage“ (Sendetermin 4. November, 20.15<br />

Uhr) spielt sie Marlies, eine Ehefrau und Mutter, <strong>die</strong> alles in Frage stellen muss, nachdem ihre<br />

14 Jahre alte Tochter verschwindet.<br />

Ihre Figuren reagieren nicht hysterisch oder schreien<br />

Zum Thema<br />

• Kr<strong>im</strong>i-Reihe: Man kann auch mit Anstand ermitteln<br />

Auch <strong>die</strong> Politikerin, <strong>die</strong> sie gerade in Stuttgart spielt, gerät ins Wanken. „Sie kommt aus der<br />

Geiselhaft nach Hause und tut so, als ob nichts gewesen wäre. Als ob es <strong>die</strong>ses Jahr nicht<br />

gegeben hätte. Das funktioniert natürlich nicht, es bröckelt an allen Stellen“, erzählt<br />

Michelsen. Eine Figur, <strong>die</strong> ihr Kopfzerbrechen bereitet. Mehr als sonst: „Es ist seit langem<br />

eine Rolle, bei der ich etwas mehr nervös bin, als ich normalerweise nervös bin. Obwohl <strong>man</strong><br />

bei jeder Figur bei null anfängt“, gesteht sie. Wie zeigt <strong>man</strong> hinter der glatten Fassade den<br />

Druck <strong>die</strong>ser Frau, alles Erlebte verdrängen zu wollen?<br />

Vermutlich hilft Michelsen auch hier am Ende ihr ausdrucksstarkes Spiel. Es gibt wenige<br />

Darstellerinnen <strong>im</strong> deutschen Fernsehen, <strong>die</strong> Frauen in Grenzsituationen so glaubwürdig<br />

darstellen können - mit min<strong>im</strong>alen Mitteln. Ihre Figuren reagieren nicht hysterisch oder<br />

schreien. <strong>Die</strong> gesamte Gefühlspalette von Schmerz über Trauer bis zur Verzweiflung spielt<br />

sich in Michelsens Gesicht ab. Es reicht mitunter, wenn sich <strong>die</strong> Falten über ihrer Nase<br />

zusammenziehen oder <strong>die</strong> Augen sich kurz schließen, um <strong>die</strong> Gefühle zu ahnen. Oder wenn<br />

als Ausdruck von Wut an ihrer Stirn eine Ader anschwillt. Oder sich ihre rechte Augenbraue<br />

hebt, um ihre Zweifel zu zeigen.<br />

„Ich suche sie nicht bewusst“<br />

Sucht sie sich <strong>die</strong>se Rollen bewusst aus? Michelsen denkt kurz nach. „Mir begegnen <strong>im</strong>mer<br />

wieder <strong>die</strong>se Figuren, st<strong>im</strong>mt. Ich suche sie nicht bewusst. Was mich vielleicht interessiert, ist<br />

<strong>die</strong>ses Erwachen. Dass <strong>die</strong>se Frauen plötzlich merken, sie haben sich in ein festes<br />

Lebenskonstrukt hineingelebt, das mit ihnen selbst nichts mehr zu tun hat. Im besten Fall<br />

fangen sie an zu erwachen oder zu erblühen.“ Man merkt, dass Michelsen ihren Rollen mit<br />

großer Ernsthaftigkeit begegnet. In der Branche firmiert sie deshalb unter der Rubrik<br />

„Charakterdarstellerin“. Im Gespräch ist sie weniger ernst, als <strong>man</strong> vermutet hätte. Das laute<br />

Lachen, das <strong>man</strong>chmal plötzlich und unerwartet aus ihr herausbricht, <strong>sieht</strong> <strong>man</strong> bei ihren<br />

Fernseh-Figuren jedenfalls selten.


In der Branche firmiert sie unter der Rubrik „Charakterdarstellerin”<br />

Zum Phänomen der Claudia Michelsen gehört, dass es keine einzige schlechte Kritik über sie<br />

gibt. Selbst wenn ein Film zerrissen wird: Ihre Darstellung wird <strong>im</strong>mer gelobt, nicht selten<br />

euphorisch. Das gibt es <strong>im</strong> deutschen Fernsehen ansonsten nur noch bei Martina Gedeck.<br />

Ähnlich wie ihre Kollegin macht sich Michelsen in der Öffentlichkeit rar. Sie gibt kaum<br />

Interviews, in Talkshows findet <strong>man</strong> sie genauso selten wie auf dem roten Teppich vor<br />

Preisverleihungen. Für den Boulevard ist sie vermutlich zu langweilig: seit zehn Jahren liiert<br />

mit dem Schauspielerkollegen Anatole Taub<strong>man</strong>, Mutter zweier Töchter, nackt hat <strong>man</strong> sie<br />

<strong>im</strong> Fernsehen auch noch nicht gesehen.<br />

Stattdessen geht sie ins Theater<br />

Ihre Zurückhaltung hat nichts damit zu tun, dass sie schüchtern ist, eher interessiert sie der<br />

ganze Rummel nicht. Doch sie ahnt, dass sie das ändern muss. „Am einfachsten wäre es<br />

natürlich, wenn <strong>man</strong> seine Arbeit macht und dann wieder nach Hause geht. Das funktioniert<br />

heute aber nicht mehr so.“ Man müsse seine Sache auch verkaufen. „Ich bin noch <strong>im</strong>mer<br />

dabei, das zu lernen.“ Für einen ARD-Film wie „Sieben Tage“, der am kommenden Mittwoch<br />

gegen den Zweiteiler „Der Seewolf“ <strong>im</strong> ZDF konkurrieren muss und den sie „ein Juwel“<br />

nennt, rührt sie dann <strong>doch</strong> <strong>die</strong> Werbetrommel - freilich ohne Paukenschläge. Von ihr hört <strong>man</strong><br />

keine Schauspieler-Phrasen, <strong>die</strong> nach gespielter Bescheidenheit klingen wie „Ich bin so<br />

dankbar, mit <strong>die</strong>sem wunderbaren Regisseur arbeiten zu dürfen.“ Auf <strong>die</strong> Frage, ob sie wie<br />

viele amerikanische Schauspieler nach dem Dreh in ihren Figuren bleibt, antwortet sie:<br />

„Nee!“ Glucksendes Lachen. Das würden ihre Kinder schon nicht zulassen. „Und ich käme<br />

mir auch ziemlich dämlich dabei vor.“<br />

Obwohl Claudia Michelsen erst vierzig Jahre alt ist, kennt sie das Geschäft seit fast 25 Jahren.<br />

Sie wusste schon, dass sie zum Theater will, als andere Mädchen noch mit Puppen spielten.<br />

Sie wuchs in Dresden auf, dem „Tal der Ahnungslosen“, weil es kein Westfernsehen gab.<br />

Montagabends schaute sie sich alte Ufa-Filme an, samstagnachmittags <strong>die</strong> „Fl<strong>im</strong>merstunde“<br />

mit tschechischen oder russischen Märchenfilmen. Das mediale Unterangebot nennt sie ein<br />

Geschenk an ihre Kindheit. Stattdessen geht sie ins Theater. Ihre beste Freundin ist damals <strong>die</strong><br />

Tochter des Schauspielers Rolf Hoppe, der am Staatsschauspiel Dresden engagiert war. <strong>Die</strong><br />

beiden Mädchen verpassen keine Inszenierung. Michelsen will zunächst Opernregisseurin<br />

werden, bewirbt sich aber als Fünfzehnjährige gemeinsam mit Christine Hoppe an der


enommierten Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin, <strong>die</strong> damals auch<br />

„Babys“ aufn<strong>im</strong>mt, wie es intern heißt, „damit mehr junge Frauen ans Theater kommen“. Das<br />

war 1984. Beide werden aufgenommen - und starten durch.<br />

Als Jungstar erlebt sie auch <strong>die</strong> Wende<br />

Michelsen wird mit 19 Jahren an der Berliner Volksbühne engagiert und spielt gleich<br />

Hauptrollen. Eine Zeit, <strong>die</strong> sie bis heute prägt. „Theater hatte eine andere Kraft für das<br />

Publikum früher.“ Es habe eine unausgesprochene Verbindung zum Publikum gegeben. Wenn<br />

es während einer Inszenierung Hinweise oder Anspielungen gab, habe jeder gewusst, was<br />

gemeint war.<br />

Als Jungstar erlebt sie auch <strong>die</strong> Wende - und wie <strong>die</strong> Leute in ihrer Umgebung sich verändern,<br />

weil sie plötzlich glauben, mit Ellenbogen kämpfen zu müssen. „Für mich war das anders, ich<br />

war gerade am Loslaufen, war am Lernen. Für Leute, <strong>die</strong> zehn oder zwanzig Jahre älter<br />

waren, war das viel komplizierter.“ Sie spielt in Jean-Luc Godards Film „Deutschland Neu(n)<br />

Null“ eine Hauptrolle. Danach will sie nach Paris gehen - und landet in Los Angeles, weil sie<br />

den Regisseur Josef Rusnak kennenlernt, der dort lebt.<br />

2008 war sie für den Deutschen Fernsehpreis nominiert<br />

Wenn es einen Bruch in ihrem Leben gibt, dann war das damals, Anfang der neunziger Jahre.<br />

„Ich wollte aus Berlin weg. Nach dem ersten großen Taumel änderten sich <strong>die</strong> Menschen<br />

wahrscheinlich auch aus Hilflosigkeit. Berlin hatte für mich damals noch nicht <strong>die</strong> Energie<br />

wie heute.“<br />

Los Angeles genießt sie: „Da hat sich für mich vieles relativiert: Wer weiß denn dort schon<br />

von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz?“ 2001 kehrt sie zurück, mit ihrer vier Jahre<br />

alten Tochter <strong>im</strong> Gepäck, und startet <strong>im</strong> deutschen Fernsehen und Kino durch. 2008 brilliert<br />

sie in der Rolle der Stasi-Gefangenen Bettina in dem ARD-Film „Zwölf heißt: Ich liebe<br />

Dich“. Sie wird <strong>im</strong> selben Jahr für den Deutschen Fernsehpreis nominiert - den aber dann<br />

Kollegin Veronica Ferres gewinnt. Durch <strong>die</strong> Feuilletons weht sanfte Empörung.<br />

Einen Schub an Popularität wird ihr <strong>die</strong> Rolle der Kommissarin Ann Gittel in der ZDF-<br />

Kr<strong>im</strong>iserie „Flemming“ bringen (Start: 13. November, 21.15 Uhr) - schließlich liegen<br />

Kommissarinnen <strong>im</strong> deutschen Fernsehen <strong>im</strong> Trend. Michelsen will davon nichts wissen: „Sie<br />

ist keine typische Kommissarin, sie ist erstmal eine geschiedene Ehefrau und muss mit der<br />

Liebe ihres Lebens weiterarbeiten.“ <strong>Die</strong> Kommissarin ist frisch geschieden von Vincent<br />

Flemming, dem leichtfüßigen Polizeipsychologen, an dem sie sich - mal humorvoll, mal<br />

verärgert - abarbeitet. Immer noch genug Gelegenheiten also, um <strong>die</strong> Augenbraue<br />

hochzuziehen.<br />

Vom Theater zum Film<br />

Claudia Michelsen wird am 4. Februar 1969 in Dresden geboren. Nach einer Ausbildung an<br />

der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ erhält sie ihr erstes Engagement<br />

an der Berliner Volksbühne. Von 1994 bis 2001 lebt sie in Los Angeles. Seitdem ist sie vor<br />

allem in Fernseh- und Kinoproduktionen zu sehen. Für „Zwölf heißt: Ich liebe dich“ wird sie<br />

2008 für den Deutschen Fernsehpreis nominiert.


In der ZDF-Kr<strong>im</strong>iserie „Flemming“ spielt sie von 13. November an eine Kommissarin.<br />

Claudia Michelsen lebt mit ihrem Mann Anatole Taub<strong>man</strong> und zwei Kindern in Berlin.<br />

Text: F.A.S.<br />

Bildmaterial: ddp, dpa

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