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20<br />
HERRSCHINGER<br />
SPIEGEL<br />
– im Portrait –<br />
Ausgabe 4 • November 2012<br />
Die Arbeit im Dominikus-Ringeisen<strong>werk</strong>-Breitbrunn<br />
Ein Leben für Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungen<br />
(Text: hd/Fotos: hd) Wer auf <strong>de</strong>m<br />
Weg nach <strong>Herr</strong>sching durch Breitbrunn<br />
fährt, <strong>de</strong>m fällt <strong>de</strong>r große Gebäu<strong>de</strong>komplex<br />
an <strong>de</strong>r rechten Seite<br />
kaum auf. Ein Zaun, ein großer Hof,<br />
ein schönes Haus, das erahnen<br />
lässt, dass es <strong>de</strong>nkmalgeschützt ist.<br />
Aber das ist auch schon alles. Auf<br />
einem großen Schild steht:<br />
Dominikus-Ringeisen-Werk und<br />
St. Josefskongregation. Nichts <strong>de</strong>utet<br />
darauf hin, dass sich hinter dieser<br />
Fassa<strong>de</strong> sowohl im Außenbereich,<br />
als auch in <strong>de</strong>n Gebäu<strong>de</strong>n Außergewöhnliches<br />
verbirgt.<br />
Einen ersten Eindruck bekommt<br />
man, wenn man hinter die Gebäu<strong>de</strong><br />
blickt. Dort erkennt man, wie<br />
groß das Areal tatsächlich ist. Ein<br />
Weg führt zu mehreren großen<br />
Einzelhäusern, die sich alle in die<br />
Umgebung einpassen. Und er führt<br />
in einen riesigen, schön angelegten<br />
Park mit dutzen<strong>de</strong>n Sitzmöglichkeiten,<br />
an <strong>de</strong>nen man in aller Ruhe mit<br />
Blick auf <strong>de</strong>n See die Seele baumeln<br />
lassen kann. In einem kleinen<br />
• Aktuelles<br />
Waldbereich direkt am Ufer wur<strong>de</strong><br />
mit Steinen eine Grotte in <strong>de</strong>n höher<br />
liegen<strong>de</strong>n Erdbereich gebaut,<br />
in <strong>de</strong>r eine Marienfigur steht. Sie<br />
ist nur vom See aus zu sehen und<br />
das Plätschern eines direkt daneben<br />
verlaufen<strong>de</strong>n kleinen Flusses gibt<br />
<strong>de</strong>r Szenerie eine märchenhafte Atmosphäre.<br />
Eine in <strong>de</strong>r Hanglage fast<br />
gera<strong>de</strong> angelegte Rasenfläche dient<br />
Das Haus Berna<strong>de</strong>tte ist eines von drei Häusern in <strong>de</strong>nen die Menschen mit<br />
Behin<strong>de</strong>rung in verschie<strong>de</strong>nen Wohngruppen leben. Hier sind auch För<strong>de</strong>rgruppen<br />
untergebracht.<br />
als kleiner Sportplatz. Und über<br />
<strong>de</strong>m ganzen Grundstück liegt eine<br />
entspannte Ruhe. An <strong>de</strong>n Bäumen<br />
hängen Windspiele aus Topf<strong>de</strong>ckeln,<br />
geknüpften Fischen und an<strong>de</strong>ren<br />
Dingen, die bei einer leichten<br />
Brise hin und her schaukeln und leise<br />
Geräusche von sich geben o<strong>de</strong>r<br />
eben einfach nur nett ausschauen.<br />
Blick in die Vergangenheit<br />
Der Grund, warum es ausgerechnet<br />
in Breitbrunn mit seinen hohen<br />
Grundstückspreisen zu dieser weitläufigen<br />
Szenerie kommen konnte,<br />
führt in die Vergangenheit. Um die<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> war <strong>de</strong>r Privatgelehrte<br />
Franz Utz in Begleitung von<br />
Barbara Wolf zur Erholung in Breitbrunn<br />
und bei<strong>de</strong> fan<strong>de</strong>n Gefallen an<br />
<strong>de</strong>r Seenlandschaft. Barbara Wolf<br />
war sehr reich und kaufte die Villa<br />
Seeheim. Da sie eine pädagogischmusische<br />
Ausbildung hatte, erhielt<br />
sie die Lizenz zur Führung eines<br />
Lan<strong>de</strong>rziehungsheimes. Sie gab Utz<br />
viel Geld und er kaufte im November<br />
1903 ein großes Grundstück<br />
in Breitbrunn. Auch die Schwester<br />
von Barbara Wolf, Amalie, zog nach<br />
Breitbrunn, verliebte sich in Franz<br />
Utz und die bei<strong>de</strong>n heirateten. Gemeinsam<br />
grün<strong>de</strong>ten sie ein Lan<strong>de</strong>serziehungsheim.<br />
Franz und Amalie<br />
Utz bekamen zwei Kin<strong>de</strong>r. Ein Jun-<br />
ge starb sofort nach <strong>de</strong>r Geburt. Das<br />
Mädchen, Erika-Marie, entwickelte<br />
sich geistig nicht normal. Um seinen<br />
Besitz zu vergrößern, kaufte Franz<br />
Utz viele Villen im Seenbereich und<br />
Ackerland. Trotz<strong>de</strong>m kam er nach<br />
<strong>de</strong>m ersten Weltkrieg in Finanznöte.<br />
Utz suchte nach einem Träger für<br />
die Lan<strong>de</strong>serziehungsanstalt und<br />
stieß durch Zufall auf die Arbeit <strong>de</strong>r<br />
St. Josefs-Schwesternkongregation<br />
in Ursberg. 1929 schenkte das<br />
Ehepaar Utz <strong>de</strong>r Kongregation ihr<br />
Anwesen. Allerdings hatten sie die<br />
Schenkung an mehrere Bedingungen<br />
geknüpft. So musste auch für<br />
das Wohl <strong>de</strong>r Familie Utz gesorgt<br />
wer<strong>de</strong>n, und Erika-Maria sollte zeitlebens<br />
in einem Dreizimmer-Appartement<br />
wohnen und eine eigene<br />
Schwester zur Pflege bekommen.<br />
Außer<strong>de</strong>m hatten die Schwestern<br />
eine hohe finanzielle Belastung<br />
übernommen. Für Breitbrunn war<br />
dies eine geschichtsträchtige Stun<strong>de</strong>,<br />
<strong>de</strong>nn: Es hatte nun ein Kloster.<br />
Nach <strong>de</strong>m Tod von Franz Utz, <strong>de</strong>r<br />
kurz nach seiner Frau starb, vermachte<br />
er <strong>de</strong>n Schwestern seinen<br />
gesamten Besitz. Doch auch hier<br />
gab es Bedingungen. Wertvolle Gemäl<strong>de</strong><br />
mussten an Galerien verkauft<br />
und die Bücher <strong>de</strong>r großen Bibliothek<br />
an wissenschaftliche Institute<br />
übergeben wer<strong>de</strong>n. Erika-Marie Utz<br />
starb 1974 in Breitbrunn. Sie wur<strong>de</strong><br />
im Grab ihrer Eltern beigesetzt.<br />
Dass sich Franz Utz <strong>de</strong>r Schwesterngemeinschaft<br />
St. Josefskongregation<br />
so zugetan fühlte, hatte einen<br />
Grund. Sie war 1897 von <strong>de</strong>m Pfarrer<br />
Dominikus Ringeisen gegrün<strong>de</strong>t<br />
wor<strong>de</strong>n. Dieser hatte 13 Jahre zuvor<br />
ein Kloster in Ursberg erworben und<br />
dort ein Zentrum für Menschen mit<br />
geistigen und mehrfachen Behin<strong>de</strong>rungen<br />
gegrün<strong>de</strong>t. Um erfolgreich<br />
arbeiten zu können, brauchte er<br />
aber Unterstützung. „Und in einer<br />
Zeit, in <strong>de</strong>r viele Frauen Halt suchten<br />
und nicht sozial arbeiten durften,<br />
war eine religiöse Gemeinschaft ein<br />
guter Ort, um ihnen bei<strong>de</strong>s zu ermöglichen“,<br />
erklärt die Oberin <strong>de</strong>r<br />
Breitbrunner Klosterfiliale, Schwester<br />
M. Tabita Miller CSJ. So grün<strong>de</strong>te<br />
Ringeisen die franziskanische<br />
Or<strong>de</strong>nsgemeinschaft. Ihr Leitgedanke<br />
war neben <strong>de</strong>n Gebeten und<br />
<strong>de</strong>n klösterlichen Verpflichtungen<br />
stets die Unterstützung von Menschen<br />
mit Behin<strong>de</strong>rungen und das<br />
Leben mit ihnen. Nach seinem Tod<br />
1904 führten die Schwestern <strong>de</strong>r<br />
St. Josefskongregation seine Arbeit<br />
Beim Besuch von Regina Hermans in einer Gruppe unterstützt diese eine<br />
Bewohnerin Aufgaben auf einem Blatt zu lösen. Diese hat einen Helm auf, damit<br />
sie sich bei einem eventuell epileptischen Anfall nicht verletzen kann.<br />
weiter. Im Laufe <strong>de</strong>r Jahre merkten<br />
die Schwestern allerdings, dass<br />
ihnen <strong>de</strong>r Nachwuchs fehlte. „Wir<br />
hatten in <strong>de</strong>n eigenen Reihen nicht<br />
mehr genug Mitarbeiterinnen, um<br />
die Arbeit leisten zu können. Innerhalb<br />
einiger Jahrzehnte schrumpfte<br />
die Anzahl <strong>de</strong>r Schwestern von<br />
über 1000 auf rund 300. In <strong>de</strong>n 70<br />
ger Jahren wur<strong>de</strong> durch die Errichtung<br />
einer Fachschule für Heilerziehungspflege<br />
am Standort Ursberg<br />
<strong>de</strong>n Schwestern und Mitarbeitern<br />
die Möglichkeit gegeben eine spezielle<br />
neue Ausbildung für Menschen<br />
mit Behin<strong>de</strong>rungen zu absolvieren“,<br />
erläutert Schwester M. Tabita Miller<br />
CSJ. Da die personellen Ressourcen<br />
<strong>de</strong>r Schwestern zurückgingen,<br />
wur<strong>de</strong> als Antwort 1996 das Dominikus-Ringeisen-Werk,<br />
eine kirchliche<br />
Stiftung <strong>de</strong>s öffentlichen Rechtes, in
Ausgabe 4 • November 2012<br />
<strong>de</strong>r Schwestern und Mitarbeiter und<br />
Mitarbeiterinnen gemeinsam tätig<br />
sind, gegrün<strong>de</strong>t.<br />
Zurück in die Gegenwart<br />
In Breitbrunn arbeiten die Schwestern<br />
und die weltlichen Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter, die alle einer<br />
christlichen Kirche angehören, Hand<br />
in Hand. „Ohne die Schwestern<br />
gäbe es dies hier alles nicht, auch<br />
<strong>de</strong>shalb ist uns die Zusammenarbeit<br />
und ihre Mitarbeit sehr wichtig“, sagt<br />
Einrichtungsleiterin Regina Hermans.<br />
Allerdings sind nur noch sieben<br />
Franziskanerinnen in Breitbrunn<br />
vor Ort und von ihnen ist die Hälfte<br />
schon betagt. Sie wohnen wie früher<br />
in einem eigenen Haus auf <strong>de</strong>m Areal<br />
und übernehmen bestimmte Aufgaben.<br />
Die Oberin Schwester Tabita<br />
beispielsweise arbeitet im Nachtdienst<br />
und in <strong>de</strong>r Sterbebegleitung.<br />
Sie unterstützt hierbei nicht nur die<br />
Sterben<strong>de</strong>n und ihre Angehörigen,<br />
son<strong>de</strong>rn auch die Mitarbeiterinnen.<br />
Einfacher Unterschied: Bei <strong>de</strong>r Separation<br />
leben zwei Gruppen von unterschiedlichen<br />
Menschen nebeneinan<strong>de</strong>r.<br />
Bei <strong>de</strong>r Integration wird eine Gruppe<br />
von Menschen in eine an<strong>de</strong>re integriert,<br />
sie bleibt dort aber für sich. Bei <strong>de</strong>r<br />
Inklusion hingegen leben behin<strong>de</strong>rte und<br />
nicht behin<strong>de</strong>rte Menschen neben- und<br />
miteinan<strong>de</strong>r.<br />
Gemeinsam bringen sie sich in <strong>de</strong>n<br />
religiösen Bereich ein, gestalten<br />
zum Beispiel Gottesdienste in <strong>de</strong>r<br />
wun<strong>de</strong>rschönen Kapelle <strong>de</strong>r Anlage,<br />
die auch Menschen aus <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
besuchen können.<br />
Dass es <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeit 81 Bewohnern<br />
<strong>de</strong>s Areals an nichts fehlt, dafür<br />
sorgen etwa 90 Mitarbeiter. Sie<br />
arbeiten direkt in <strong>de</strong>n Wohn- und<br />
För<strong>de</strong>rgruppen, in <strong>de</strong>r Verwaltung,<br />
als Pädagogen, Logopä<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r<br />
Haustechnik, Hauswirtschaft, im<br />
Pflegedienst und in vielen an<strong>de</strong>ren<br />
Bereichen. Einmal in <strong>de</strong>r Woche<br />
kommt ein Hausarzt zur Sprechstun<strong>de</strong>.<br />
„Wir versuchen alles perfekt<br />
zu organisieren, damit sich unsere<br />
Bewohner wohl bei uns fühlen“, sagt<br />
Regina Hermans. Doch nicht nur<br />
das. Es herrscht ein Geist in <strong>de</strong>n<br />
einzelnen Häusern, <strong>de</strong>r zeigt, dass<br />
auch Zuneigung und Engagement<br />
eine große Rolle spielen. Es gibt<br />
einen großen Gemeinschaftsraum,<br />
in <strong>de</strong>m nicht nur Gottesdienste son<strong>de</strong>rn<br />
auch zahlreiche Feste für alle<br />
stattfin<strong>de</strong>n. Die Betreuer fahren mit<br />
<strong>de</strong>n Bewohnern in Urlaub ans Meer,<br />
in die Berge, auf <strong>de</strong>n Bauernhof.<br />
Und sie machen mit ihnen Ausflüge,<br />
beispielsweise aufs Oktoberfest.<br />
Das Leben <strong>de</strong>r Menschen mit Behin<strong>de</strong>rung<br />
in Breitbrunn hat wie in<br />
je<strong>de</strong>m Haushalt, wie in je<strong>de</strong>r Familie<br />
einen Alltag. Dieser sieht so aus: Sie<br />
wohnen in Einzelzimmern in kleinen<br />
Wohngruppen zusammen. Dort<br />
verbringen sie ihre Freizeit, schlafen,<br />
kochen und essen. Und sie<br />
verbringen Zeit mit ihren Freun<strong>de</strong>n<br />
o<strong>de</strong>r ihrem Besuch. Hier ist ihr erster<br />
Lebensraum. Ihren zweiten Lebensraum<br />
verbringen sie in einer <strong>de</strong>r<br />
sechs För<strong>de</strong>rstätten vor Ort, einer<br />
Werkstatt für Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungen<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Seniorenstätte.<br />
In <strong>de</strong>r einrichtungseigenen För<strong>de</strong>rstätte<br />
arbeiten sie je nach Grad <strong>de</strong>r<br />
Behin<strong>de</strong>rung an Dingen, die ihnen<br />
Freu<strong>de</strong> bereiten. Sie stellen neben<br />
vielen an<strong>de</strong>ren Dingen Kerzenstän<strong>de</strong>r<br />
aus Holz her, verzieren Gegenstän<strong>de</strong><br />
mit Mosaik o<strong>de</strong>r weben. Sie<br />
kochen Apfelmus und sägen Sterne<br />
für Weihnachten aus. All diese Dinge<br />
wer<strong>de</strong>n auf Märkten o<strong>de</strong>r am Tag<br />
<strong>de</strong>r offenen Türe verkauft o<strong>de</strong>r an<br />
Freun<strong>de</strong> verschenkt. Manche lesen<br />
o<strong>de</strong>r schreiben, machen mit Hilfe<br />
<strong>de</strong>r Betreuerinnen eine Art Hausaufgaben.<br />
Die För<strong>de</strong>rstätten sind keine Werkstätten,<br />
wie sie in <strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rtenarbeit<br />
oft angeboten wer<strong>de</strong>n. Das liegt<br />
daran, dass in Breitbrunn viele Bewohner<br />
eine zu schwere Behin<strong>de</strong>rung<br />
haben und eine so anspruchsvolle<br />
Arbeit, wie sie dort gefor<strong>de</strong>rt<br />
wird, nicht leisten können. Die Bewohner<br />
mit einer weniger starken<br />
Behin<strong>de</strong>rung fahren in Werkstätten<br />
nach Machtlfing o<strong>de</strong>r Fürstenfeldbruck.<br />
„Dieser zweite Lebensraum<br />
ist für uns nichtbehin<strong>de</strong>rte Menschen<br />
wichtig und für unsere Be-<br />
Aktuelles •<br />
wohner genauso. Sie müssen eine<br />
Abwechslung erleben und Aufgaben<br />
haben, die sie for<strong>de</strong>rn. Nur Bewohner,<br />
<strong>de</strong>ren Behin<strong>de</strong>rung so stark ist,<br />
dass sie auch <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen in<br />
<strong>de</strong>n För<strong>de</strong>rstätten nicht gewachsen<br />
sind, haben diesen zweiten Lebensraum<br />
nicht“, so Regina Hermans.<br />
Neben <strong>de</strong>n För<strong>de</strong>rstätten gibt es<br />
Regina Hermans sitzt zwischen einer Häuserlandschaft, die von <strong>de</strong>n Bewohnern<br />
für <strong>de</strong>n Park hergestellt wur<strong>de</strong>n.<br />
in Breitbrunn eine Seniorenstätte.<br />
Hier fin<strong>de</strong>n die älteren Bewohner<br />
ihren zweiten Lebensraum. Viele<br />
von ihnen sind schon seit 60 o<strong>de</strong>r<br />
70 Jahren in Breitbrunn, haben also<br />
fast ihr ganzes Leben hier verbracht.<br />
„Einige kannten noch Franz Utz und<br />
erzählen von <strong>de</strong>n ersten Stun<strong>de</strong>n<br />
in Breitbrunn. Wie sie in <strong>de</strong>r Küche<br />
gearbeitet und in kleinen beengten<br />
Verhältnissen gelebt haben. Es ist<br />
unglaublich interessant, was sie<br />
berichten“, sagt die Einrichtungsleiterin.<br />
Dass sie sich so mitteilen<br />
können, hat einen einfachen Grund:<br />
Die meisten von ihnen haben keine<br />
so starke Behin<strong>de</strong>rung wie die Menschen,<br />
die in <strong>de</strong>n jüngeren Jahren<br />
nach Breitbrunn kamen. „Früher<br />
gab es einfach an<strong>de</strong>re Voraussetzungen<br />
für die Aufnahme. Die ersten<br />
Bewohner hatten vergleichsweise<br />
leichte Beeinträchtigungen.“<br />
Wer in Breitbrunn Aufnahme fin<strong>de</strong>t,<br />
ist im Erwachsenalter. Welches Alter<br />
genau die Bewohner haben müssen,<br />
kann man nicht festlegen. Solange<br />
sie aber in die Schule gehen<br />
o<strong>de</strong>r eine Ausbildung machen, sind<br />
Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungen meist<br />
in Kin<strong>de</strong>r- und Jugen<strong>de</strong>inrichtungen<br />
untergebracht. Mit <strong>de</strong>m Übergang<br />
ins Arbeitsleben beginnt für sie ein<br />
neuer Lebensabschnitt – und zwar<br />
in Breitbrunn. Viele Bewohner haben<br />
hier auch eine neue Heimat<br />
gefun<strong>de</strong>n, eine neue Familie haben<br />
sie hier jedoch nicht. „Das will auch<br />
niemand, <strong>de</strong>nn die meisten haben<br />
eine Familie. Sie bekommen Besuch<br />
von Eltern, Nichten und Neffen,<br />
Schwestern und Brü<strong>de</strong>rn, Onkel und<br />
Tanten. Eine Familie ist etwas Beständiges<br />
und diese Beständigkeit<br />
HERRSCHINGER<br />
SPIEGEL<br />
können wir gar nicht leisten. Wir<br />
haben wechseln<strong>de</strong> Mitarbeiter und<br />
auch die Schwestern wer<strong>de</strong>n älter<br />
und schei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Kongregation<br />
aus“, erläutert Regina Hermans.<br />
Und da in Breitbrunn auch Menschen<br />
mit erworbenen Hirnschä<strong>de</strong>n<br />
leben, haben viele auch Kin<strong>de</strong>r und<br />
Ehepartner, die kommen. Sie haben<br />
nach einem Unfall o<strong>de</strong>r einer Krankheit<br />
ihr „normales“ Leben verloren,<br />
ihre Familie jedoch nicht.<br />
Diese Bewohner wer<strong>de</strong>n übrigens<br />
auch an<strong>de</strong>rs betreut, als die Menschen<br />
mit angeborenen Behin<strong>de</strong>rungen.<br />
„Sie stan<strong>de</strong>n mitten im<br />
Leben und haben einen an<strong>de</strong>ren<br />
Hintergrund. Man hat in <strong>de</strong>n vergangenen<br />
zehn Jahren, in <strong>de</strong>nen sich<br />
die Betreuung <strong>de</strong>r Menschen mit erworbener<br />
Hirnschädigung stark verän<strong>de</strong>rt<br />
hat, festgestellt, dass sie eine<br />
an<strong>de</strong>re Assistenz brauchen und an<strong>de</strong>re<br />
medizinische Aspekte zu Grun<strong>de</strong><br />
gelegt wer<strong>de</strong>n müssen“, sagt<br />
die Einrichtungsleiterin. Außer<strong>de</strong>m<br />
seien die Angehörigen intensiver<br />
dabei und hätten selbst einen hohen<br />
Unterstützungsbedarf. Und genau<br />
diesen Ansprüchen wür<strong>de</strong> man in<br />
ihrem Team Rechnung tragen.<br />
So idyllisch das Anwesen in Breitbrunn<br />
auch liegt, es hat auch<br />
Nachteile. Nachteile, die viele<br />
an<strong>de</strong>re Wohnorte für Behin<strong>de</strong>rte<br />
auch haben. Nicht nur, dass es für<br />
die Behin<strong>de</strong>rten oft sehr steil ist,<br />
es liegt auch am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ortes<br />
und so außerhalb <strong>de</strong>s Dorflebens,<br />
außerhalb <strong>de</strong>r Gemeinschaft. Und<br />
gera<strong>de</strong> das soll eigentlich seit einiger<br />
Zeit vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. „Es<br />
gibt das sogenannte Inklusionsgesetz,<br />
das be<strong>de</strong>utet, dass Menschen<br />
mit und ohne eine Behin<strong>de</strong>rung<br />
mit- und nebeneinan<strong>de</strong>r leben<br />
sollen. Dass sie alle das Recht<br />
haben in <strong>de</strong>n gleichen Häusern<br />
zu leben und die gleichen Schulen<br />
zu besuchen. Wir wür<strong>de</strong>n gerne<br />
versuchen, das für einige unserer<br />
Bewohner zu realisieren aber bei<br />
<strong>de</strong>n Menschen herrscht oft Verunsicherung,<br />
wenn sie ihren Alltag<br />
mit jeman<strong>de</strong>m verbringen sollen,<br />
<strong>de</strong>r beispielsweise manchmal<br />
laute und unverständliche Töne<br />
von sich gibt, <strong>de</strong>r auch die Nähe<br />
von Frem<strong>de</strong>n sucht und sie gerne<br />
in <strong>de</strong>n Arm nimmt“, sagt Regina<br />
Hermans. Inklusion, das ist für sie<br />
eine tolle I<strong>de</strong>e, an <strong>de</strong>r alle arbeiten<br />
müssen: Sie ist geglückt, wenn<br />
auch ein Mensch mit Behin<strong>de</strong>rung<br />
in <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r Gesellschaft, auch<br />
z.B. einer Dorfgemeinschaft so<br />
bleiben kann, wie er ist und einen<br />
Platz gefun<strong>de</strong>n hat. Erfolgreiche<br />
Ansätze gibt es bereits. Es braucht<br />
viele kleine Schritte um Menschen<br />
mit und ohne Behin<strong>de</strong>rung zusammenzubringen<br />
und zu erkennen,<br />
dass wir gegenseitig voneinan<strong>de</strong>r<br />
nur gewinnen können.<br />
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