Dokumentation der Fachtagung - Drogenberatung Wesel
Dokumentation der Fachtagung - Drogenberatung Wesel
Dokumentation der Fachtagung - Drogenberatung Wesel
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
<strong>Dokumentation</strong> <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong><br />
Risikofaktor männlich –<br />
Situation von Jungen von 8 bis 16 Jahren<br />
und jungenspezifische Prävention<br />
am 15.11.2006 im Kreishaus <strong>Wesel</strong><br />
Veranstalter:<br />
Information und Hilfe in Drogenfragen e.V. <strong>Wesel</strong><br />
In Kooperation mit:<br />
Gleichstellungsstellen Stadt und Kreis <strong>Wesel</strong><br />
Run<strong>der</strong> Tisch gegen häusliche Gewalt<br />
1
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
1. Aus dem Flyer:<br />
RISIKOFAKTOR<br />
MÄNNLICH<br />
Situation von Jungen von 8 bis 16 Jahren<br />
& Jungenspezifische Prävention<br />
<strong>Fachtagung</strong><br />
Für MultiplikatorInnen <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />
am 15.11.2006<br />
von 14.00 – 16.00 Uhr<br />
Kreishaus <strong>Wesel</strong><br />
Suchtmittelkonsum ist oft zentrales Element<br />
<strong>der</strong> männlichen Biografie. Zum Beispiel<br />
trinken Jungen vielfach häufiger und<br />
größere Mengen Alkohol als gleichaltrige<br />
Mädchen. Mehr Jungen als Mädchen<br />
haben Erfahrungen mit Cannabiskonsum.<br />
Gründe genug, die Jungen bezüglich ihres<br />
Suchtmittelkonsums genauer in den Blick<br />
zu nehmen und nach den Ursachen zu<br />
fragen. Konsum von Suchtmitteln senkt oft<br />
die Schwelle zur Ausübung von (häuslicher)<br />
Gewalt. Viele Eltern und MultiplikatorInnen<br />
erfahren Aggressivität als Entzugserscheinungen<br />
bei Alkohol- und Cannabiskonsum.<br />
Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es,<br />
die den Geschlechteraspekt in <strong>der</strong><br />
Präventionsarbeit mit Jungen berücksichtigen?<br />
Dazu erläutert Joachim Jahry, Präventionsfachkraft<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe Bottrop e.V.,<br />
Erklärungsmodelle zur Entwicklung <strong>der</strong><br />
männlichen Persönlichkeit in Beziehung<br />
zum Konsum erlaubter und verbotener<br />
Drogen. Im Anschluss stellt er 10<br />
Handlungsperspektiven für die suchtpräventive<br />
Arbeit mit Jungen vor.<br />
Danach stehen die Gleichstellungsbeauftragten<br />
von Stadt und Kreis <strong>Wesel</strong>,<br />
Bärbel Reining-Ben<strong>der</strong> und Petra Hommers<br />
sowie von <strong>der</strong> <strong>Drogenberatung</strong> <strong>Wesel</strong> Jörg<br />
Kons (geschäftsführen<strong>der</strong> Leiter) und<br />
Barbara Lübbehusen (Präventionsfachkraft)<br />
zur Diskussion <strong>der</strong> Situation von<br />
Jungenarbeit in Stadt und Kreis <strong>Wesel</strong> zur<br />
Verfügung.<br />
2
2. Begrüßung<br />
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Petra Hommers, Gleichstellungsbeauftragte Kreis <strong>Wesel</strong><br />
Sehr geehrter Herr Jahry,<br />
meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />
zur heutigen <strong>Fachtagung</strong> „Risikofaktor männlich „ – Situation von Jungen von 8 bis 16<br />
Jahren & jungenspezifische Prävention“<br />
begrüße ich Sie recht herzlich.<br />
Mein Name ist Petra Hommers, ich bin Gleichstellungsbeauftragte beim Kreis <strong>Wesel</strong><br />
und mit meiner Kollegin, Bärbel Reining-Ben<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Stadt <strong>Wesel</strong> Mitveranstalterin<br />
<strong>der</strong> heutigen <strong>Fachtagung</strong>.<br />
• Es ist schon etwas beson<strong>der</strong>es, wenn Frauenbeauftragte Mitveranstalterinnen<br />
einer <strong>Fachtagung</strong> sind, die sich ausschließlich dem Thema Jungen widmet und<br />
wenn eine Frauenbeauftragte Sie dazu auch noch begrüßen darf.<br />
• Es ist deswegen beson<strong>der</strong>s, weil Frauenbeauftragte nach ihrem ureigensten<br />
Auftrag parteilich sind, und zwar<br />
• parteilich für Frauen und Mädchen.<br />
Das wird weiterhin so bleiben, auch wenn ich heute hier stehe.<br />
• Dennoch gibt es Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> feministischen, parteipolitischen Arbeit.<br />
Sie hat sich den<br />
gesellschaftspolitischen Strömungen<br />
und den weiterentwickelten wissenschaftlichen Prozessen und<br />
Erkenntnissen angepasst.<br />
• Gen<strong>der</strong> Mainstreaming ist in aller Munde.<br />
• Ich denke, dass ich das Prinzip Gen<strong>der</strong> Mainstreaming vor so hochkarätigem<br />
Fachpublikum nicht mehr erklären muss.<br />
3
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
• In Umsetzung dieser Verän<strong>der</strong>ungsprozesse haben wir uns und unsere Arbeit<br />
reflektiert und sehen Chancen in <strong>der</strong> Entwicklung und Umsetzung einer<br />
geschlechterdifferenzierten und geschlechtsbewussten Pädagogik.<br />
• Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, um eine Welt zu erhalten, die von<br />
Geschlechtergerechtigkeit geprägt ist.<br />
Die heutige Veranstaltung hat ihren Fokus auf Jungen im Alter von 8 – 16 Jahren<br />
gerichtet.<br />
• Jungenarbeit, verstanden als eine fachlich reflektierte und bewusst initiierte<br />
Begegnung von Männern mit Jungen,<br />
• sie wäre ohne die Entwicklung <strong>der</strong> Mädchenarbeit nicht möglich gewesen.<br />
• Das durch die Emanzipationsbewegung <strong>der</strong> Frauen ausgelöste „in Frage stellen<br />
<strong>der</strong> männlichen Rollenbil<strong>der</strong>“ erfor<strong>der</strong>te die Suche nach entsprechenden<br />
Antworten für Jungen und für Männer.<br />
• Sicher haben viele von Ihnen das Buch „kleine Helden in Not“, 1990<br />
herausgegeben von Dieter Schnack, gelesen.<br />
Das Buch hat dazu beigetragen, dass sich in einer breiteren Öffentlichkeit<br />
die Erkenntnis durchsetzte, dass es Jungen in unserer Gesellschaft nicht<br />
automatisch besser geht als Mädchen.<br />
• In diesem Zusammenhang begann sich die Jungenarbeit zu positionieren als<br />
eine Arbeit, die sich weniger <strong>der</strong> Probleme annimmt, die Jungen machen, als <strong>der</strong><br />
Probleme, die sie haben.<br />
• Was wird denn heute den Jungen und Mädchen für ein Männerbild geboten?<br />
In <strong>der</strong> alltäglichen Versorgung o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit kommen sie<br />
doch kaum vor:<br />
Jungen (natürlich auch Mädchen) erleben die erziehende und versorgende<br />
Mutter, in Kin<strong>der</strong>gärten sind sie vorwiegend von Erzieherinnen umgeben und in<br />
den Grundschulen werden sie meistens von einer Lehrerin unterrichtet.<br />
Männer kommen verstärkt in <strong>der</strong> Rolle des Ernährers o<strong>der</strong> in Führungspositionen<br />
vor.<br />
• Jungen unterliegen dem Mythos, Männer müssen stark, mächtig und überlegen<br />
sein, dürfen keine Schwäche zeigen.<br />
In diesem Spannungsfeld ist es für sie oft schwer, sich zurecht zu finden.<br />
Das erklärt vielleicht, warum Jungen, junge Männer zu Suchtmitteln wie Alkohol o<strong>der</strong><br />
Drogen greifen, o<strong>der</strong> verglichen mit Mädchen gewalttätiger sind.<br />
Ich bin auf die Erklärungsmodelle zur Entwicklung <strong>der</strong> männlichen Persönlichkeit in<br />
Beziehung zum Konsum erlaubter und verbotener Drogen des Herrn Jahry gespannt<br />
und übergebe an Frau Lübbehusen, die die Mo<strong>der</strong>ation <strong>der</strong> heutigen <strong>Fachtagung</strong><br />
übernommen hat.<br />
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
4
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
3. Zum Hintergrund<br />
Jörg Kons, Geschäftsführen<strong>der</strong> Beratungsstellenleiter<br />
Herzlichen Dank Frau Hommers für die nette Begrüßung, die freundlichen Worte und<br />
die Gastfreundschaft in diesem Haus!<br />
Ihnen und Frau Reining-Ben<strong>der</strong>, den Gleichstellungsbeauftragten von Stadt und Kreis<br />
<strong>Wesel</strong>, möchte ich für Ihre Leistungen bei <strong>der</strong> sehr guten Kooperation zum Gelingen<br />
dieser Veranstaltung herzlich danken. Dass wir als Frauen und Männer die Situation<br />
von Mädchen und heute speziell von Jungen in den Blick nehmen ist mir insbeson<strong>der</strong>e<br />
unter Gen<strong>der</strong>gesichtspunkten beson<strong>der</strong>s wichtig.<br />
Ich möchte Ihnen allen kurz vorstellen, wie wir als <strong>Drogenberatung</strong> <strong>Wesel</strong> zu diesem<br />
Thema „Risikofaktor männlich“ gekommen sind.<br />
Das war ganz einfach: 70 % unserer Klientel in <strong>der</strong> <strong>Drogenberatung</strong> besteht aus<br />
Männern, 30 % sind Frauen.<br />
Im Dezember 2005 habe ich die <strong>Fachtagung</strong> <strong>der</strong> Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen<br />
zum Thema Risikogruppenorientierung besucht und gedacht, wir müssen etwas tun,<br />
bevor das Kind – in diesem Fall <strong>der</strong> Junge – in den Brunnen gefallen ist.<br />
Im <strong>Wesel</strong>er Männerforum haben wir uns als Männer aus verschiedenen Institutionen<br />
übergreifend Gedanken zu dem Thema gemacht: was brauchen Männer und Jungen<br />
und was gibt es bzw. kann ergänzt werden.<br />
Wir möchten Sie bitten, für eine aktuelle Bestandserhebung während <strong>der</strong> Veranstaltung<br />
auf den blauen Blättern ihre bestehenden Angebote für Jungen und auf den orangen<br />
Blättern die Wünsche und Ideen, die Sie zu jungenspezifischen Angeboten haben, zu<br />
notieren.<br />
Lassen Sie sich von dem Vortrag inspirieren.<br />
Ich freue mich, das Wort an Herrn Jahry von <strong>der</strong> Jugendhilfe Bottrop e.V.<br />
weiterzugeben.<br />
5
4. Referat:<br />
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Risikofaktor männlich<br />
Zur Situation von Jungen von 8 – 16 Jahren & jungenspezifische Prävention<br />
Joachim Jahry, Präventionsfachkraft Jugendhilfe Bottrop e.V. *<br />
Die meisten problematischen Lebensverläufe finden in männlichen Biografien statt.<br />
Drogenkonsum ist ein zentrales Element <strong>der</strong> männlichen Biografie.<br />
Der Druck, eine männliche Identität zu entwickeln, ist ein nicht zu unterschätzen<strong>der</strong><br />
Faktor bei <strong>der</strong> Erziehung und <strong>der</strong> dabei notwendigen Unterstützung. Entscheidend ist<br />
die Berücksichtigung lebensweltlicher Bezüge, um eine männliche Überrepräsentanz<br />
bei auffälligem Verhalten allgemein und dem problematischen Drogenkonsum im<br />
Jugendalter im Beson<strong>der</strong>en, zu erklären.<br />
Geschlechtsspezifische Ansätze und Konzepte sind für die Arbeit mit männlichen<br />
Jugendlichen zu entwickeln und zu präzisieren. Dies gilt auch für die Prävention.<br />
Im Zusammenhang mit dem problematischen Konsum verbotener Drogen sind den<br />
Merkmalen Alter und Geschlecht sowie den sozialen Kennzeichen Schichtzugehörigkeit,<br />
Schulbildung und eigener Beruf bislang nur wenig Aufmerksamkeit<br />
geschenkt worden. Die empirischen Ergebnisse zu den genannten Aspekten sind<br />
umfangreich und eindeutig. Dennoch haben diese Aspekte nur unzureichend<br />
Berücksichtigung in <strong>der</strong> Struktur und den Handlungsansätzen in <strong>der</strong> Drogen- und<br />
Jugendhilfe gefunden. Die gängigen Erklärungskonzepte von problematischem<br />
Drogenkonsum o<strong>der</strong> Abhängigkeit sind geschlechtsneutral. Dies gilt sowohl für<br />
lerntheoretische, psychoanalytische und multifaktorielle Erklärungsansätze (ausführlich:<br />
Friedrichs, 2001).<br />
Obwohl deutlich mehr verbotene Drogen von Männern konsumiert werden, hat diese<br />
Tatsache erst in jüngster Zeit eine breite professionelle, geschweige denn sonstige<br />
öffentliche Diskussion ausgelöst. Die Diskussionen werden eher „geschlechtslos“<br />
geführt. Auf den ersten Blick ist die Tatsache, dass problematische Verläufe im<br />
Zusammenhang mit Drogenkonsum männerdominant sind, und demnach männliche<br />
Jugendliche als gefährdeter betrachtet werden können, banal. Auf den zweiten Blick<br />
jedoch, bezogen auf die Struktur, Handlungs- und Interventionskonzepte, fundamental.<br />
Neben <strong>der</strong> Schichtzugehörigkeit ist es das Geschlecht männlich, das einen Risikofaktor<br />
für abweichendes Verhalten darstellt.<br />
Empirische Grundlagen<br />
Jungen sind im Vergleich zu Mädchen nicht nur krankheitsanfälliger, sie sind im Alltag<br />
auch gefährdeter (vgl. ausführlich Schnack und Neutzling, 1990 und überarbeitet 2000).<br />
Der „kleine Unterschied“ wird in <strong>der</strong> Kriminalstatistik zu einem Großen. Mehr als fünfmal<br />
so viel männliche Kin<strong>der</strong> und Jugendliche werden polizeilich auffällig im Verhältnis zu<br />
Mädchen.<br />
* Der Text geht auf ein gemeinsames Referat <strong>der</strong> Mitarbeiter des Jugendhilfe Bottrop e.V. (1999) zurück,<br />
das von Dr. Jürgen Friedrichs weiterbearbeitet und veröffentlicht wurde; zuletzt: Friedrichs, Jürgen<br />
(2006): Konstruktion von Männlichkeiten - Nutzen und Risiken des Konsums von Drogen. In: Zan<strong>der</strong>,<br />
Margherita, Hartwig, Luise, Jansen, Irma (Hrsg.): Geschlecht Nebensache? Zur Aktualität einer<br />
Gen<strong>der</strong>perspektive in <strong>der</strong> Sozialen Arbeit, S. 169 - 194. Wiesbaden<br />
6
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Dabei steigt die Quote mit zunehmendem Alter. Vor allem schwere Delikte werden viel<br />
häufiger von Jungen als von Mädchen begangen: Das Verhältnis männlich zu weiblich<br />
bei dem Delikt Körperverletzung beträgt 12 zu 1, bei Raub 57 zu 1 bei Diebstahl 60 zu<br />
1. So verwun<strong>der</strong>t es auch nicht, dass das Verhältnis <strong>der</strong> Inhaftierten männlichen zu<br />
weiblichen Jugendlichen 30 zu 1, <strong>der</strong> inhaftierten Heranwachsenden sogar 55 zu 1 ist.<br />
Die Opfer dieser Delikte sind ebenfalls überwiegend männlich.<br />
Bei dem Konsum erlaubter und verbotener Drogen existieren Differenzierungen nach<br />
dem Geschlecht. Wesentlich mehr männliche Jugendliche trinken häufiger und mehr<br />
Alkohol als gleichaltrige Mädchen. Überhaupt spielt <strong>der</strong> Konsum von Alkohol eine<br />
bedeutende Rolle in <strong>der</strong> männlichen Biografie. Alkohol ist auch die häufigste Verkehrsunfallursache<br />
<strong>der</strong> 21- bis 34-jährigen Männer.<br />
An Unfällen mit Personenschäden sind zehnmal mehr männliche alkoholisierte Fahrer<br />
als weibliche beteiligt. Repräsentative Umfragen geben aktuelle Konsumtrends wie<strong>der</strong>.<br />
So liegt die Zahl <strong>der</strong> 12- bis 25-jährigen Jugendlichen, die wöchentlich mindestens<br />
einmal Bier trinken, bei den Jungen bei ca. 40 %, bei den Mädchen etwa bei 10 %.<br />
Diese Zahl ist seit Jahren konstant. Die Erfahrung mit einem Alkoholrausch ist in dieser<br />
Altersgruppe bei Jungen fast dreimal so hoch als bei Mädchen. Mehr männliche<br />
Jugendliche in dieser Altersgruppe haben Erfahrungen mit verbotenen Drogen (25<br />
männlich zu 18 weiblich). Mehr männliche Jugendliche haben Drogen angeboten<br />
bekommen, aber auch mehr männliche Jugendliche haben angebotene Drogen<br />
abgelehnt. Das durchschnittliche Alter beim ersten Konsum ist bei den Geschlechtern<br />
gleich.<br />
Cannabis ist nach wie vor die am häufigsten konsumierte illegalisierte Droge. Cannabiserfahrungen<br />
haben nach eigenen Angaben in Westdeutschland, in <strong>der</strong> Altersgruppe <strong>der</strong><br />
18- bis 59-jährigen, doppelt so viele Männer als Frauen.<br />
Heroin ist nach wie vor eine bevorzugt von Männern konsumierte Droge. Das Verhältnis<br />
männlich zu weiblich im Bereich <strong>der</strong> Heroinkonsumenten ist 4 zu 1 bis hin zu 5 zu 1.<br />
Auch bei den polizeilich registrierten Drogentoten gibt es eine Abweichung im<br />
Geschlechterverhältnis zu allen Heroinkonsumenten: 16 % sind weiblich, 84 % sind<br />
männlich. Diese Zahlen sind seit Jahren in einem ähnlichen Verhältnis.<br />
Neben dem Merkmal männlich zu sein besitzen die Drogentoten das Merkmal „sozial<br />
schwach“: 65 % waren arbeitslos und fast 30 % waren ohne Ausbildung. Diese hier<br />
aufgezeigten bundesweiten Unterschiede werden auch durch eigene Untersuchungen<br />
in einer ambulanten Behandlungseinrichtung bei fast 3.500 ambulant behandelten<br />
Heroinkonsumenten über einen Zeitraum von über 20 Jahren bestätigt (Jahresberichte<br />
Jugendhilfe Bottrop e.V.). Neben den spezifischen sozialen Faktoren waren 75 % aller<br />
behandelten Heroinkonsumenten <strong>der</strong> letzten 20 Jahre männlich.<br />
Geht man davon aus, dass grundsätzlich Männer in ihren Möglichkeiten <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Teilhabe bevorteilt werden, wirken die Zahlen zunächst paradox. Männer,<br />
und noch verstärkter die Jungen, agieren ihre Konflikte eher öffentlich aus. Dadurch<br />
werden sie als Täter und Opfer eher wahrgenommen und erfüllen eher, zumindest<br />
häufiger das Bild von „abweichenden Verhaltensweisen“. Erst in <strong>der</strong> Öffentlichkeit wird<br />
abweichendes Verhalten „auffällig“. Die meist männlichen, zumindest männlich<br />
geführten, Institutionen <strong>der</strong> Medizin, Pädagogik und Repression behandeln und<br />
bestrafen diese auffälligen Jungen und Männer.<br />
7
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Es handelt sich um soziale und nicht um biologische Unterschiede. Soziale Unterschiede<br />
zwischen Männern und Frauen, Armen und Reichen und den ethnischen<br />
Herkünften können nicht biologisch bestimmt werden. Die genaueren Umstände werden<br />
so nicht entschlüsselt und damit auch kein Schlüssel für den angemesseneren Umgang<br />
damit bereitgestellt. Es geht um die soziale Herstellung von Geschlecht.<br />
Die Herstellung von Geschlecht<br />
Eine erste Interpretation für die Sichtbarkeit männlicher Abweichung ergibt sich aus den<br />
Ergebnissen <strong>der</strong> Frauen- und Mädchenforschung. Dort wird bei Frauen und Mädchen<br />
von geschlechtsspezifisch nach „Innen“ gerichteten Bewältigungsstrategien als Risiko<br />
bei psychosozialen Belastungen gesprochen. Das Kompensationsschema von Frauen<br />
ist eine nach „Innen“ gerichtete Form <strong>der</strong> Bewältigung. Für Jungen und Männer kann so<br />
das „Aussen“ eine Richtung angeben. Beim „Aussen“ geht es um Öffentlichkeit.<br />
Einerseits erklärt es das „Wie“ aber nicht das „Warum“. An<strong>der</strong>erseits liegt dieser<br />
Erklärung die Annahme einer gleichen Art von Belastungen zu Grunde, als wenn<br />
lediglich die Bewältigungsstrategien an<strong>der</strong>s wären.<br />
Wenn das Phänomen problematischer Konsum illegalisierter Drogen männerdominant<br />
ist, müssen die Grundlagen <strong>der</strong> „Herstellung von Geschlecht“ Berücksichtigung finden.<br />
Die Theorien zur „hegemonialen Männlichkeit“ („hegemonic masculinity“; Connell, 1999)<br />
können in beson<strong>der</strong>er Weise die Risiken bei <strong>der</strong> „Bewerkstelligung von Männlichkeiten“<br />
darstellen. Hegemoniale Männlichkeit reproduziert sich über das Machtgefälle zum<br />
weiblichen Geschlecht und zu unterworfenen Männlichkeiten. An<strong>der</strong>s gesagt: Die<br />
Zweigeschlechtlichkeit, auf <strong>der</strong> unser gesellschaftliches Verstehen <strong>der</strong> biologischen<br />
Grundlagen menschlicher Existenz weitgehend beruht, ist eine gesellschaftliche<br />
Konstruktion, die eine asymmetrische Aufteilung von gesellschaftlicher Macht und<br />
Einfluss begründet.<br />
Seit Hun<strong>der</strong>ten, wenn nicht Tausenden von Jahren leben Menschen so zusammen,<br />
dass erwachsene, meistens weiße und christliche Männer die öffentliche Definitionsmacht<br />
haben. Diese Kultur ist genauso wenig biologisch bestimmt, wie sie vom Himmel<br />
gefallen ist o<strong>der</strong> von einer Art „Männlichkeitszentrale“ geleitet wird. Die kulturelle<br />
Übereinkunft <strong>der</strong> Kategorisierung und Zuweisung des sozialen Geschlechts (gen<strong>der</strong>)<br />
entsteht auch im komplexen Alltag gegenseitiger Anerkenntnis. Unter „Gen<strong>der</strong>ing“ wird<br />
<strong>der</strong> gesellschaftliche Prozess <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong> sozialen Kategorie Geschlecht<br />
verstanden.<br />
Gen<strong>der</strong>ing drückt die interaktionalen und prozessualen Dimensionen, in dem sich das<br />
soziale Geschlecht im Verlaufe <strong>der</strong> Biographie entwickelt, aus. Geschlecht wird<br />
interaktiv im alltäglichen Handeln hergestellt. Die Entdeckung <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Herstellung des Geschlechts ist so banal wie bahnbrechend (vgl. Voigt-Kehlenbeck<br />
[2005] S. 97).<br />
Es gibt nicht eine „Männlichkeit“, son<strong>der</strong>n immer nur auf die Situation und den Kontext<br />
bezogene Männlichkeiten, die zum Teil miteinan<strong>der</strong> konkurrieren und wi<strong>der</strong>sprüchlich<br />
sind. Die Hegemonie des Männlichen nährt sich nicht nur aus <strong>der</strong> Unterordnung von<br />
Frauen, son<strong>der</strong>n ebenso aus <strong>der</strong> Zuordnung, Unterordnung und Konkurrenz<br />
unterschiedlicher Männlichkeiten. Dies ist auch <strong>der</strong> Preis für die männliche Dominanz:<br />
Die Auslese. Männliches abweichendes Verhalten wird von daher nicht nur geahndet,<br />
son<strong>der</strong>n auch gewünscht.<br />
8
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Nach Kersten (1997, S. 47ff.; 1997a, S. 107) können drei zentrale Merkmale zur<br />
Herstellung des „Geschlechts Männlich“ genannt werden:<br />
Tabelle 1: Hegemoniale Männlichkeit und die Herstellung von Geschlecht<br />
Merkmale Kulturelle Ausprägungen<br />
„Provision“<br />
Versorgen und Fähigkeiten<br />
dazu<br />
(Ernährer <strong>der</strong> Gemeinschaft)<br />
„Protection“<br />
Beschützen des Territorium<br />
<strong>der</strong> Nachbarschaft, Nation<br />
„Procreation“<br />
Unterordnung von Frauen<br />
Männliche Kontrolle des<br />
Nachwuchses<br />
Familienernährer<br />
Erwerbstätigkeit<br />
Gewinnmaximierung und<br />
Konkurrenz<br />
Gewaltmonopole<br />
öffentliche Rituale<br />
„Gartenzaun“<br />
Familiengründung<br />
Heterosexualität<br />
„Der Mann im Haus“<br />
• „Provision“ meint die kulturelle Darstellung <strong>der</strong> Fähigkeiten des Mannes, die<br />
Gemeinschaft zu versorgen. Die kulturellen Ausprägungen in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Industriegesellschaft westlicher Prägung verdeutlichen dies. Männlichkeit wird in dieser<br />
Facette hergestellt: Durch die Erwerbstätigkeit und die dadurch ermöglichte und<br />
realisierte Funktion als Ernährer <strong>der</strong> Familie. Männer sind dadurch in Konkurrenz auf<br />
dem Arbeitsmarkt. Statussymbole verdeutlichen den Erfolg: Größe des Autos,<br />
Jahreseinkommen und die Aufopferung für die Firma als Aufopferung für die Familie.<br />
Gewinnmaximierung ist eine <strong>der</strong> bedeutendsten Leitbil<strong>der</strong>.<br />
• „Protection“ lenkt die Aufmerksamkeit auf den Schutz <strong>der</strong> Gemeinschaft vor inneren<br />
und äußeren Feinden. Dies ist auf ein absteckbares Territorium bezogen: Das<br />
Familienhaus, <strong>der</strong> Wohnraum, die Nachbarschaft o<strong>der</strong> Nation. Bis auf den heutigen Tag<br />
ist „protection“ beson<strong>der</strong>s in den (männlichen) Institutionen des Gewaltmonopols<br />
Zuhause: Polizei und Justiz, Militär und unter dem Aspekt <strong>der</strong> Definitionsmacht <strong>der</strong><br />
„inneren Feinde“ in <strong>der</strong> Medizin. Kampfes- und Beschützerrituale finden sich auch im<br />
nicht-institutionellen Bereich, sie werden aber öffentlich und oft auch gemeinsam<br />
vollzogen. Bestimmte Arten zu feiern gehören ebenso dazu, wie <strong>der</strong> Streit um einen<br />
falsch stehenden Zaun mit Rechtsanwalt und Gericht. Zum Ernährer und Beschützer<br />
kommt <strong>der</strong> Erzeuger.<br />
• „Procreation“ meint nicht nur unmittelbar Sexualität als den Aspekt <strong>der</strong> männlichen<br />
Kontrolle über den Nachwuchs und die damit verbundene Unterordnung von Frauen<br />
und abweichenden Männlichkeiten. Die Hartnäckigkeit in <strong>der</strong> Abwehr von männlicher<br />
Homosexualität findet hier ihre entscheidende Triebfe<strong>der</strong>. Die Gründung einer Familie,<br />
also Heirat und Kin<strong>der</strong> sind weiterhin wesentlich. Im übertragenen Sinne geht es auch<br />
darum, sich von Frauen nichts sagen zu lassen, und das nicht nur in <strong>der</strong> Familie.<br />
9
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Die hier abgebildete Reihenfolge ist keine Rangfolge. In diesen drei Fel<strong>der</strong>n wird<br />
Männlichkeit „hergestellt“. Wer sich anhand dieser Merkmale nicht öffentlich zeigen<br />
kann, ist kein Mann, und wird von Mann und Frau (!) nicht als solcher geachtet.<br />
Auch in einer relativ einheitlichen Kultur wie <strong>der</strong> unseren muss also genauer bestimmt<br />
werden, was mit „Männlichkeit“ gemeint ist, um nicht den Alltagsvorstellungen und<br />
biologischen Erklärungsmodellen zu erliegen. So nehmen bekanntlich nicht alle Männer<br />
verbotene Drogen, tragen Schusswaffen und vergewaltigen. Männlichkeiten haben<br />
kulturelle und soziale Wurzeln. Im alltäglichen Verhalten sind Muster eingewebt, die im<br />
Handeln „daran erinnern“, was denn Mann- bzw. Frausein heißt, was dafür zu tun ist<br />
und was passiert, wenn davon abgewichen wird. Diese Identitätsbildung ist ein<br />
geschlechtsspezifischer, lebenslanger Prozess, <strong>der</strong> eine Integrationsarbeit erfor<strong>der</strong>t.<br />
Dabei wird nicht nur etwas Vorgegebenes übernommen, son<strong>der</strong>n alltäglich wird die<br />
eigene und fremde Identität als Mann o<strong>der</strong> Frau, als Junge o<strong>der</strong> Mädchen hergestellt.<br />
Für die Männer heißt das, möglichst nahe an die Männer heranzukommen, die die<br />
öffentliche gesellschaftliche Macht innehaben, am besten sie einzuholen und zu<br />
ersetzen. Diese Interpretationen bieten die Möglichkeit, die genannten Phänomene auf<br />
dem Hintergrund <strong>der</strong> „3 Merkmale“ so zu verstehen, dass eine Handlungsperspektive<br />
für die Arbeit mit jungen Männern entstehen kann.<br />
Für männliche Jugendliche ist die Herstellung von Männlichkeit eine entscheidende<br />
Entwicklungsaufgabe, die zahlreiche an<strong>der</strong>e Entwicklungsaufgaben beinhaltet.<br />
Gestaltet sich diese Aufgabe in den Bereichen „procreation“, „protection“, und<br />
„provision“ als schwierig o<strong>der</strong> nicht erreichbar, so wird abweichendes Verhalten<br />
einschließlich des problematischen Konsums verbotener Drogen wahrscheinlich. Es<br />
entsteht das Paradoxon, dass <strong>der</strong> Männlichkeitsbeweis gerade dort bedeutsam wird, wo<br />
<strong>der</strong> Ausschluss von männlich besetzten Sphären von Macht, Kontrolle, Status und<br />
gesellschaftlich anerkannter Tätigkeit am stärksten erfolgt. Dies ist in marginalisierten<br />
Schichten und Ethnien <strong>der</strong> Fall.<br />
Die Herstellung von Geschlecht und Drogenkonsum<br />
Wenn Jungen z.B. fortfahren, (verbotene) Drogen zu konsumieren, so gibt es einen<br />
direkten Zusammenhang mit dem Versuch <strong>der</strong> Herstellung ihrer Männlichkeit. Was ist<br />
dabei konkret ihr Nutzen für die Bewerkstelligung ihrer Männlichkeit? Der erste Zugang<br />
ist, dass Drogenszenen öffentliche, männlich dominierte Subkulturen sind. Diese<br />
entstehen in Konfrontation mit Normen, die von männlich bestimmten Institutionen<br />
gesetzt und durchgesetzt werden. Die Lukrativität einer subkulturellen „peer-group“<br />
einschließlich <strong>der</strong> Drogenszene steigt für männliche Jugendliche. So ist <strong>der</strong> Konsum<br />
verbotener Drogen eine Herausfor<strong>der</strong>ung, ein Abenteuer, verleiht Prestige und eröffnet<br />
Möglichkeiten des materiellen Erfolgs. Die Gratifikation liegt in einem Lebensstil (z.B.<br />
„Fixer-Sein“ als Beruf), <strong>der</strong> Identität als Mann bereitstellt.<br />
Diese Subkulturen sind geradezu eine Einladung an die randständigen Jungen, denen<br />
die Realisierung „normaler, etablierter“ Männlichkeiten erschwert o<strong>der</strong> unmöglich ist.<br />
Sie sind <strong>der</strong> herrschenden Kultur sozial und ökonomisch als Mann entbehrlich. In <strong>der</strong><br />
(Drogen-) Subkultur haben sie die Gelegenheit, das Gegenteil zu beweisen. Mit den<br />
ihnen zur Verfügung stehenden und aktiv auf- und ausgebauten Ressourcen gestalten<br />
sie allein und mit an<strong>der</strong>en soviel in den drei Merkmalen, wie sie brauchen, um als „guter<br />
und richtiger Mann“ da zu stehen.<br />
10
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Tabelle 2: Hegemoniale Männlichkeit und die Herstellung von Geschlecht in <strong>der</strong><br />
Subkultur<br />
Merkmale Abweichende<br />
Subkulturen<br />
„Provision“<br />
Versorgen und<br />
Fähigkeiten dazu<br />
Ernährer<br />
(<strong>der</strong> Gemeinschaft)<br />
„Protection“<br />
Beschützen des<br />
Territorium<br />
<strong>der</strong> Nachbarschaft /<br />
Nation<br />
„Procreation“<br />
Unterordnung von<br />
Frauen<br />
Männliche Kontrolle des<br />
Nachwuchses<br />
„Ersatz-Skills“<br />
(Fertigkeiten)<br />
Autos, gefährliches<br />
Fahren Diebstahl,<br />
Aktivitäten in <strong>der</strong><br />
Schattenökonomie,<br />
organisierte Kriminalität<br />
Konfrontationen<br />
Öffentliche Betonung<br />
von Risikoverhalten<br />
Kampfesmut und -<br />
vermögen<br />
Öffentliche Betonung<br />
von heterosexueller<br />
Potenz<br />
Frauenfeindlichkeit<br />
Homophobie<br />
Drogensubkultur<br />
Drogenhandel<br />
Fixersein als Beruf<br />
Risikobereitschaft bei<br />
<strong>der</strong> Beschaffung<br />
Gemeinschaft <strong>der</strong><br />
Drogenkonsumenten<br />
Helden <strong>der</strong> Szene<br />
Besetzung öffentlicher<br />
Räume<br />
coolness in und durch<br />
Drogenkonsum<br />
Beziehungswechsel und<br />
Schwängerung<br />
Bei dem Konsum von verbotenen Drogen handelt es sich also um ein in dem<br />
Zusammenhang höchst nützliches, abweichendes Verhalten. Wer mit dem Konsum<br />
einer solchen Droge beginnen will, muss sich einer Gruppe anschließen, die im<br />
Wi<strong>der</strong>spruch zu <strong>der</strong> Gesellschaft steht. Um Drogen zu nehmen, müssen spezielle<br />
Techniken erlernt werden, als Dauerkonsument bedarf es einer bestimmten Laufbahn.<br />
Das relative Eigenleben in den „peer-group“ bestimmten subkulturellen Zusammenhängen<br />
ist von bestimmten Werten, Normen, Symbolen und Verhaltensweisen geprägt.<br />
Gerade <strong>der</strong> Drogenkonsum in <strong>der</strong> Gruppe ist Entwicklung einer männlichen<br />
Gruppenkultur, die (konkurrierende) Statuskriterien in den Vor<strong>der</strong>grund stellt. Damit sind<br />
erste Schlüssel zu den Zahlen vom Beginn in <strong>der</strong> Hand. Damit ist <strong>der</strong> Beginn eines<br />
Verständnisses <strong>der</strong> Wirklichkeit, wie sie sich in Jugendhilfe und Drogenhilfe spiegelt<br />
gegeben: Je ärmer junge Männer sind, desto holzschnittartiger zeigt sich die<br />
Herstellung des männlichen Geschlechts und desto interessanter ist <strong>der</strong> Drogenkonsum,<br />
-handel und das Mann werden in dieser Kultur.<br />
Zusammenfassend stellt sich auch das abweichende Verhalten „Konsum verbotener<br />
Drogen“ eingebettet in eine männlich dominierte Subkultur als <strong>der</strong> Versuch junger<br />
Männer dar, eine „richtige“, ja „gute“, an den Leitbil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> bestimmenden Männlichkeit<br />
orientierte Form von Männlichkeit herzustellen. Es ist ihre letzte Ressource von<br />
Selbstwert (vgl. Kersten, 1997, S. 189).<br />
11
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Handlungsperspektiven<br />
In zehn zusammenfassenden und nach vorne weisenden, teilweise etwas provokanten<br />
Thesen werden Handlungsperspektiven aufgezeigt:<br />
1. Der Körper stellt die Frage, die Kultur / Gesellschaft gibt die Antwort darauf<br />
Die Herstellung von (sozialem) Geschlecht ist ein komplexer, interaktionaler und primär<br />
sozialer Vorgang. Das biologische Geschlecht ist uns nur als soziales zugänglich.<br />
Geschlechtsbezogene Prävention muss also biologische, medizinische, juristische<br />
Erklärungsmodelle hintenanstellen, o<strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Mühe unterziehen, diese Modelle in<br />
ihren sozialen Kontext zu stellen. Die scheinbare Naturwüchsigkeit<br />
geschlechtsspezifischer Handlungsweisen führt sonst in die Irre.<br />
2. Kein Mensch ist nur Mann o<strong>der</strong> Frau<br />
Der Umgang mit Drogen wird auch durch das Geschlecht mitbestimmt. Frau wie Mann<br />
sind arm o<strong>der</strong> reich o<strong>der</strong> beides nicht. Frau wie Mann sind gesellschaftlich integriert<br />
o<strong>der</strong> marginal o<strong>der</strong> beides usf. „Going Gen<strong>der</strong>“ muss durch „Going Social“ ergänzt<br />
werden.<br />
Nur unter Berücksichtigung des unmittelbaren Lebenskontextes und seiner sozialen<br />
Implikationen können angemessene Interventionen präventiver wie korrigieren<strong>der</strong> Art<br />
gefunden werden.<br />
3. Integration ist nie abstrakt, son<strong>der</strong>n immer konkret<br />
Die Geschlechterfrage ist eine zentrale Frage von Integration und Individuation,<br />
Partizipation und Autonomie. Und diese vier sind bekannterweise die Räume<br />
erfolgreicher Prävention. „Going Gen<strong>der</strong>“ o<strong>der</strong> „Doing Gen<strong>der</strong>“ ist nicht als ein neues<br />
Meta-Ziel zu verstehen. Gen<strong>der</strong> stellt eher die meist politisch motivierten Meta-Ziele <strong>der</strong><br />
Prävention (Verzögerung und Reduzierung des Konsums erlaubter Drogen;<br />
Verzögerung besser Verhin<strong>der</strong>ung des Konsums verbotener Drogen) tiefgreifend in<br />
Frage. Sie desavouiert sie nicht nur als „geschlechtsneutral“ son<strong>der</strong>n auch als sozial<br />
und politisch blind.<br />
4. Jungen brauchen konkrete Ziele<br />
Weg von abstrakten hin zu konkreten Zielen, das heißt auch in <strong>der</strong> Prävention zu<br />
fragenden Zielen zu kommen. Zum Beispiel: Wie können junge Männer in ihrem<br />
unmittelbaren Lebenskontext - quasi so wie sie jetzt „unterwegs sind“ - in die Lage<br />
versetzt werden, sich zu entwickeln, dass sie einen anerkannten Platz in <strong>der</strong><br />
Gesellschaft erlangen können, an dem sie we<strong>der</strong> sich noch an<strong>der</strong>e „zu sehr“<br />
schädigen? Das wird nicht ohne eine vorsichtige Affirmation ihrer Männlichkeit glücken.<br />
In <strong>der</strong> Hilfeplanung in Jugendhilfe und teilweise auch Drogenhilfe finden solche<br />
Haltungen zunehmend Raum: „Was ist <strong>der</strong> nächste Schritt?“<br />
12
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
5. Jungen brauchen einen neuen Blick<br />
Es gilt zunächst, „nur“ hinzusehen, wie sie „unterwegs sind“, wie sie - mehr o<strong>der</strong><br />
weniger geschickt - sich körperlich an ihren Idolen orientieren und ihre eigenen<br />
Nuancen finden, „Mann-sein“ darzustellen. Ausgehend von dem, wie konkret Menschen<br />
ihr Leben gestalten, also den Phänomenen, heißt noch vor <strong>der</strong> Formulierung von<br />
Zielen, die Haltung einer Suchbewegung des Verstehens einzunehmen. Mit dem<br />
ganzen Leib, mit Kognition und Phantasie:<br />
Dann ist neben allen an<strong>der</strong>en sogenannten Variablen auch das soziale Geschlecht<br />
unmittelbar greifbar. Der Blick auf die Jungen än<strong>der</strong>t sich und damit auch die präventive<br />
o<strong>der</strong> korrigierende Intervention. Wir brauchen dann einen offenen Diskurs unter den<br />
Professionellen über das Beobachtete, <strong>der</strong> sich auch traut, nicht sofort zu bewerten.<br />
6. Jungen brauchen keine Vorbil<strong>der</strong><br />
Vorbil<strong>der</strong> neigen dazu, darunter zu leiden, dass sie ihren meist moralischen Ansprüchen<br />
wie MANN zu sein hat (auch im Umgang mit Drogen) nicht genügen. Der Druck „ein<br />
gutes Vorbild“ („ein guter Mann“) zu sein, ermöglicht nicht gerade einen Einblick in die<br />
mögliche Vielfalt des Mann-Seins, in die Herstellung <strong>der</strong> Männlichkeiten. Ich würde<br />
vorschlagen sich von dem, was mit dem Begriff „Vorbild“ herumgeistert, ganz zu<br />
verabschieden, auch weil Vorbil<strong>der</strong> Abbil<strong>der</strong> generieren. Von Seite <strong>der</strong> Jungen aus<br />
kann man sagen, dass sie viel eher männliche Erwachsene als signifikante An<strong>der</strong>e<br />
benötigen, schöner gesagt ein Gegenüber und Orientierung.<br />
Ein Gegenüber, das zeigt, wie es als Mann seine Art gefunden hat, mit den Fragen<br />
nach „Versorgen“, „Beschützen“ und - nennen wir es mal so - „Erschaffen“ umzugehen<br />
und in <strong>der</strong> Lage ist, darüber eine Kommunikation in Gang zu bringen und am Laufen zu<br />
halten.<br />
7. Jungen brauchen wenig Worte<br />
Gerade für diese Kommunikation braucht Mann nicht immer Worte. Die Choreographie<br />
<strong>der</strong> Männlichkeiten ist meistens stumm. Die Bil<strong>der</strong> dazu sind nicht nur in <strong>der</strong><br />
klassischen High Noon Situation im Western zu finden, son<strong>der</strong>n an jedem Kiosk an<br />
einer Straßenecke, an dem Männer stehen, o<strong>der</strong> dem Tanz um den Kicker- o<strong>der</strong><br />
Billardtisch in Kneipe o<strong>der</strong> Jugendzentrum. Die wenigen Dialoge sind kurz und knapp.<br />
Die Kernpunkte, Merkmale <strong>der</strong> Männlichkeiten werden nonverbal hergestellt.<br />
Gerade Jungen und junge Männer sind auch nur schwer zur Sprache zur bringen.<br />
Vielleicht zum Erzählen über das Erlebte, schwerer aber über sich selbst und die eigene<br />
Emotionalität. Die Hürden, die daran hin<strong>der</strong>n, sind auch nicht einfach zu überspringen.<br />
Sie sind teilweise existentiell und heißen Scham, Schuld, nutz- und wertlos sein,<br />
(sozialer) Tod. Das „Zeigen“ von Alternativen, einer Variante gelungener Männlichkeit,<br />
wird also oft im sprachlosen, körperlichen Raum verbleiben müssen, ohne sprach- und<br />
fraglos hegemoniale Männlichkeit zu reproduzieren.<br />
13
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
8. Jungen brauchen Männer<br />
„Doing Gen<strong>der</strong>“ heißt also auch und zentral Beziehungsarbeit: In <strong>der</strong> Familie, in Schule,<br />
Jugendeinrichtung etc. Das erwähnte, direkte Gegenüber von Jungen im obigen Sinne.<br />
Beziehungsarbeit heißt dann, diese Last des Gegenüberseins zu tragen und die Lust zu<br />
haben, Entwicklungsbegleiter <strong>der</strong> Jungen in ihrem unmittelbaren Lebenskontext zu sein.<br />
Wenn Frauen zu diesem Gegenüber werden, ist dies nicht defizitär, aber an<strong>der</strong>s. Als<br />
„Trägerin“ geübt, ist um so erfor<strong>der</strong>licher, den eigenen Teil <strong>der</strong> Herstellung des sozialen<br />
Geschlechts mit zu betrachten. So o<strong>der</strong> so erfor<strong>der</strong>t diese Art <strong>der</strong> Entwicklungsarbeit<br />
ein hohes Maß an Empathie und zum Teil eben auch Sympathie bei <strong>der</strong> harten Arbeit<br />
„Herstellung von Männlichkeit“.<br />
Und egal, ob Träger o<strong>der</strong> Trägerin, da wo Beziehungsarbeit nicht mehr ehrenamtlich<br />
„funktioniert“, z. B. in <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> im Jugendverband, kostet sie (mehr) Geld. Und<br />
wenn denn dann ein gelungenes, sich und an<strong>der</strong>e möglichst wenig schädigendes<br />
Leben eigentlich das Wertvollste ist (wie jetzt zu Weihnachten wie<strong>der</strong> viele behaupten<br />
werden), könnte es ja auch das Teuerste sein. Das nur nebenbei.<br />
9. Jungen brauchen Arbeit<br />
Doch wir können uns noch so viel anstrengen. Die fehlenden Möglichkeiten zur<br />
Erlangung von Erwerbsarbeit sind in ihrer Bedeutung für die Herstellung des<br />
männlichen Geschlechts durch nichts zu kompensieren. We<strong>der</strong> Eltern, noch Schule<br />
o<strong>der</strong> Sozialarbeit können an diese Stelle treten. Keine Beziehungsarbeit kann<br />
„Provision“ substituieren und <strong>der</strong> Attraktivität <strong>der</strong> Illegalität ist kaum etwas<br />
entgegenzusetzen. Egal wie viel Phantasie wir aufwenden, hier neue Wege zu gehen.<br />
Ohne eine reale Möglichkeit in diesem Bereich seinen „Mann zu stehen“ bleiben gerade<br />
für marginalisierte junge Männer nur sehr schmale Wege.<br />
10. Jungen brauchen Freiheit<br />
Ein großes Wort. Und es ist nicht die Freiheit des Marktes gemeint, o<strong>der</strong> die willkürliche,<br />
ja zufällige Freiheit, die von Biologie und Hirnforschung immer bestritten wird, als ob<br />
jemand behauptet hätte, dass es sie gäbe. Die Wahlfreiheit, etwas an<strong>der</strong>es, ja wenn<br />
nötig das Gegenteil zu tun, wenn es denn einen Grund dafür gibt, die ist gemeint, wenn<br />
noch einmal gesagt werden muss, dass nur je<strong>der</strong> soviel än<strong>der</strong>n kann, wie er Spielraum<br />
hat. Das ist gerade für die Prävention wichtig. Wenn schon die Männer, die vielfältigste<br />
(legale) Ressourcen zur Verfügung haben, immer wie<strong>der</strong> ihre Männlichkeit kollektiv wie<br />
subjektiv so herstellen, als wenn sie Jäger und Sammler von vor 12.000 Jahren wären<br />
und zwar nicht aus „Bosheit“, son<strong>der</strong>n aus Angst - bis dahin gehend, dass sie sich über<br />
die Legalität stellen, sie ignorieren, den Konflikt damit suchen o<strong>der</strong> willfährige männliche<br />
Helfer finden ...<br />
Wie sollen denn dann die (jungen) Männer, <strong>der</strong>en Ressourcen marginalisiert sind, eher<br />
im Überlebenskampf auf <strong>der</strong> Straße geschult - diese letzte Ressource von Identität so<br />
mir nichts, dir nichts aufgeben.<br />
O<strong>der</strong> auch nur sich unterordnen unter überlegene (nicht immer stärkere) Männer in<br />
Erziehung, Justiz o<strong>der</strong> auch Beratung?<br />
14
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Konzepte von Kompetenztraining und -erweiterung greifen ja bekanntlich nur dann,<br />
wenn erste Erfahrungen von Selbstwirksamkeit gemacht wurden und nicht - wie in den<br />
sogenannten „Anti-Aggressionstraining“ - auch noch ein Frontalangriff auf die Kraft zur<br />
Durchsetzung gestartet wird.<br />
Und gerade hier gilt: Es gibt zur Beziehungsarbeit keine Alternative!<br />
Verän<strong>der</strong>te Erfahrungen müssen also an alten „andocken“ können um im Leben positiv<br />
wirksam zu werden.<br />
Die methodischen Herangehensweisen müssen gerade unter diesem Aspekt immer<br />
durch den Filter nicht nur <strong>der</strong> Theorie, son<strong>der</strong>n auch noch durch den Filter <strong>der</strong> eigenen,<br />
ethischen Grundhaltung: Erweitern die Methoden die Freiheit, auch und gerade bei <strong>der</strong><br />
Herstellung des männlichen Geschlechts?<br />
Wir brauchen daher das offene Gespräch, über das was wir beobachten, bei <strong>der</strong><br />
spannenden Herstellung <strong>der</strong> Geschlechter, bei unseren Klienten und bei uns selbst.<br />
Denn: Je<strong>der</strong> kann sich nur soviel än<strong>der</strong>n, wie er Spielräume, also Freiheit hat.<br />
Es liegt auch an uns - unsere eigene Freiheit nutzend -, diese Spielräume für Männer<br />
und Frauen zu schaffen.<br />
15
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Kommentierte Literaturhinweise<br />
Die bei den beson<strong>der</strong>s interessanten Veröffentlichungen sind die Autoren fett gedruckt.<br />
GRUNDLAGEN:<br />
BausteineMänner (Hg.)<br />
Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in <strong>der</strong> Geschlechtertheorie<br />
Argument Verlag, Berlin 1996<br />
Strukturierte Aufsatzsammlung unterschiedlicher Autoren. Insbeson<strong>der</strong>e im Theorieteil interessante, zum Teil<br />
disparate Ansätze.<br />
Lothar Böhnisch; Reinhard Winter<br />
Männliche Sozialisation. Bewältigungsprobleme männlicher Geschlechtsidentität im Lebenslauf<br />
Juventa Verlag, Weinheim 4 2001<br />
Ganz gut gelungener Versuch einer „Gesamtschau“, <strong>der</strong> allerdings stark psychoanalytischen Erklärungsmustern<br />
verhaftet bleibt.<br />
Robert W. Connell<br />
Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten<br />
Verlag Leske + Budrich, Obladen 1999<br />
Ein leicht zu lesen<strong>der</strong> Überblick über die Erkenntnisse neuerer, geschlechtsbewusster Sozialwissenschaft zum<br />
„Thema Mann“ mit <strong>der</strong> Qualität eines Standardwerkes. Sehr zu empfehlen!<br />
Elisabeth Glücks; Franz G. Ottemeier-Glücks<br />
Geschlechtsbezogene Pädagogik. Ein Bildungskonzept zur Qualifizierung koedukativer Praxis durch<br />
parteiliche Mädchenarbeit und antisexistische Jungenarbeit<br />
Votum Verlag, Münster 1994<br />
Aufsatzsammlung aus <strong>der</strong> Heimvolkshochschule „Alte Molkerei Frille“ mit dementsprechenden Schwerpunkt. In <strong>der</strong><br />
Tendenz in Theorie und Praxis eher zu „therapeutisch“ ausgelegt.<br />
Jürgen Friedrichs<br />
Drogen und Soziale Arbeit<br />
Leske + Budrich, Obladen 2002<br />
Grundaufriss mit Erklärungsmodellen und Handlungsperspektiven für Beratung und Prävention. Auf den S. 150-165<br />
die in Bottrop entwickelten Gedanken zum „Risikofaktor männlich“, die Grundlage des heutigen Vortrags sind.<br />
Sam Keen<br />
Feuer im Bauch. Über das Mann-Sein<br />
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1992<br />
Zur Warnung und Abschreckung: Der amerikanisch / “spirituelle“ Ansatz zum Mann in uns allen.<br />
Joachim Kersten<br />
Gut und (Ge)schlecht. Männlichkeit, Kultur und Kriminalität<br />
Materiale Soziologie TB 7, Walter de Gruyter Verlag, Berlin 1998<br />
Für „Liebhaber“: Die <strong>der</strong>zeit beste Erklärung für „männliches“ Verhalten.<br />
Joachim Kersten<br />
Risiken und Nebenwirkungen: Gewaltorientierungen und die Bewerkstelligung von „Männlichkeit“ und<br />
„Weiblichkeit“ bei Jugendlichen <strong>der</strong> un<strong>der</strong>class<br />
in: Kriminologisches Journal, 6. Beiheft 1997, Juventa Verlag, Weinheim, S. 103-114<br />
Hervorragende Analyse <strong>der</strong> Geschlechter- und Risikodynamik. Sehr zu empfehlen!<br />
Joachim Kersten<br />
Sichtbarkeit und städtischer Raum. Jugendliche Selbstinzenierung, Männlichkeit und Kriminalität<br />
In: W. Breyvogel: Stadt, Jugendkulturen und Kriminalität, Bonn 1998, S. 112-128.<br />
Ein genauer Blick auf auffällige Jugendliche im öffentlichen Raum.<br />
16
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Kurt Möller (Hg.)<br />
Nur Macher und Macho? Geschlechtsreflektierende Jungen- und Männerarbeit<br />
Juventa Verlag, Weinheim 1997<br />
Guter Überblick (unterschiedliche Autoren) zum Thema in Theorie und Praxis. Sehr zu empfehlen!<br />
Lotte Rose / Ulrike Schmauch (Hg.)<br />
Jungen - die neuen Verlierer? Auf den Spuren des öffentlichen Stimmungswechsels<br />
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2005<br />
Aktuelle Aufsatzsammlung unterschiedlicher Qualität zur kritischen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem „Jungen-Boom“.<br />
Regionalstelle Frau + Beruf Bottrop / Jugendhilfe Bottrop e.V. (Hg.)<br />
Arbeit & Geschlecht<br />
<strong>Dokumentation</strong> einer <strong>Fachtagung</strong> am 20.03.2002<br />
Kann in Bottrop angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
Dieter Schnack; Rainer Neutzling<br />
Kleine Helden in Not. Jungen auf <strong>der</strong> Suche nach Männlichkeit<br />
Rowohlt Verlag, Reinbek 1990 und 2 2000<br />
Immer noch <strong>der</strong> „Klassiker“ gleichwohl eher journalistisch und psychologisierend. Beeindruckendes Zahlenmaterial<br />
ab S. 101.<br />
Margherita Zan<strong>der</strong> / Luise Hartwig / Irma Jansen (Hg.)<br />
Geschlecht Nebensache? Zur Aktualität einer Gen<strong>der</strong>-Perspektive in <strong>der</strong> Sozialen Arbeit<br />
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006<br />
Aktuelle Aufsatzsammlung anlässlich einer Ringvorlesung. Durch drei von 16 AutorInnen werden auch Fragen von<br />
Männlichkeit, Drogenkonsum und Jungenarbeit vertiefend thematisiert.<br />
METHODEN:<br />
Siegfried Heppner<br />
Bewußte Jungenarbeit im Rahmen einer geschlechtsspezifischen Jugendbildungsarbeit<br />
in: dt. jugend, 43. Jg. 1995, H.12, S.539-544<br />
Ganz brauchbarer Praxisartikel, <strong>der</strong> auf Abenteuerpädagogik setzt.<br />
Josef Koch<br />
Sozialarbeit am Körper. Gewalt und Abenteuer als Nähekonzept und die Möglichkeiten <strong>der</strong> Pädagogik<br />
in: Janssen u.a.: Krisen und Gewalt. Ursachen, Konzepte und Handlungsstrategien in <strong>der</strong> Jugendhilfe, Votum<br />
Verlag1993, S. 122-133<br />
Ausgezeichnete Begründung erlebnispädagogischer Arbeit mit Jungen mit plastischen Praxisbeispielen. Sehr zu<br />
empfehlen!<br />
Josef Koch<br />
Flüsse, Flöße, Floßgesellen. Projekte als Lernmethode zur Versöhnung von Kopf und Hand<br />
Marburger Beiträge zur Sozialarbeit mit Sport und Bewegung Nr. 4, AFRA Verlag, Frankfurt ²1992<br />
Inhaltliche und praktische Anleitung zum gemeinsamen Bauen von Flößen, incl. damit zu fahren.<br />
Roland Müller; Lotte Rose<br />
Hammer, Fräse, Sägespäne. Hand-Werk in <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />
Marburger Beiträge zur Sozialarbeit mit Sport und Bewegung Nr. 6, AFRA Verlag, Frankfurt 1995<br />
Aufsatzsammlung mit vielen praktischen Beispielen, die relativ leicht umzusetzen sind.<br />
Lotte Rose<br />
Mädchenabenteuer - Jungenabenteuer. Überlegungen zur geschlechtsbewußten Professionalisierung<br />
<strong>der</strong> Erlebnispädagogik<br />
jugend&gesellschaft 1-1998, S.8-11<br />
Der Versuch zu begründen, weshalb abenteuerliche Erlebnispädagogik sinnvollerweise eher etwas für Mädchen als<br />
für Jungen ist.<br />
Uwe Sielert<br />
Jungenarbeit. Praxishandbuch für die Jugendarbeit 2<br />
Juventa Weinheim 2 1993 und völlig neu überarbeitet 2002<br />
Früher etwas altbackenes (Erstauflage 1989) Anleitungsbuch für den Jugend- / Jungenarbeiter. Jetzt aufgefrischt.<br />
17
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
Ute Straub<br />
Adoleszenz und Autonomie. Autonomieerwerb - (k)eine Entwicklungsaufgabe im Jugendalter<br />
neue praxis 2/1999, S. 180-192<br />
Ein geschlechtsspezifischer Blick auf Sozialisationstheorien, <strong>der</strong> Standards in Beratung und Prävention in Frage<br />
stellt.<br />
Georg Vogel<br />
„... immer gut drauf?“ Ideenbuch zur jungenspezifischen Suchtprävention<br />
Aktion Jugendschutz Bayern, Fasaneriestraße 17, 80636 München, Fax: 089/1235642<br />
In den theoretischen Grundlagen akzeptabel. Im Praxisteil herausragend gut in <strong>der</strong> Auswahl und Zusammenstellung.<br />
Sehr zu empfehlen!<br />
UND SONST:<br />
„Jungenlust - Jungenfrust“<br />
<strong>Fachtagung</strong> „Sexualpädagogische Jungenarbeit“ am 13.11.1997 in Wuppertal<br />
DVD: 12 Jugendvideoproduktionen.<br />
Thema: „Jungensexualität“ 140 Min. und Begleitheft mit Originaltönen<br />
Medienprojekt <strong>der</strong> Stadt Wuppertal, Neumarkt 10, 42103 Wuppertal, Tel. 0202/5632647, Fax: 0202/5638137<br />
Ein erhellendes Hauptreferat und Workshops auf <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong>, vor allem aber sehr gute Videos zum Anschauen,<br />
Verstehen und vielleicht Selbermachen.<br />
Und natürlich ganz viele KINO-FILME<br />
(auffallend viele „Jugendfilme“ sind Jungenfilme!)<br />
zum Beispiel (in <strong>der</strong> Reihenfolge <strong>der</strong> Erstaufführung):<br />
- Denn sie wissen nicht, was sie tun<br />
- Stand by me<br />
- My private Idaho. Das Ende <strong>der</strong> Unschuld<br />
- Romeo und Julia<br />
- Tigerland<br />
- Frem<strong>der</strong> Freund<br />
- Road to Perdition<br />
- Oi! Warning<br />
- Trainspotting<br />
- Club <strong>der</strong> toten Dichter<br />
- Rumble fish<br />
- Sommersturm<br />
- Sweet Sixteen<br />
- Dealer<br />
- Stricktly Ballroom<br />
- Cinema Paradieso<br />
- Die Reifeprüfung<br />
18
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
7. Statement von Bärbel Reining-Ben<strong>der</strong> Gleichstellungsbeauftragte Stadt <strong>Wesel</strong><br />
Jungen nehmen die Botschaften <strong>der</strong> Geschlechterhierarchie sehr früh auf und lernen<br />
einen männlichen Dominanzanspruch. Immer noch sollen Jungen zu ‚richtigen’<br />
Männern werden, d.h. stark, mutig, cool, wild, potent usw. Wenn sie diesem Bild<br />
entsprechen wollen, müssen sie vieles an<strong>der</strong>e unterdrücken:<br />
Sie wollen/sollen nicht schwach, ängstlich, klein, weich, abhängig, sanft usw. sein.<br />
Diese Gefühle/Eigenschaften gelten als weiblich und werden schnell als ‚Schwäche’<br />
interpretiert. Viele Jungen unterdrücken deshalb emotionale Anteile und stürzen<br />
dadurch in ein großes Dilemma und in Unsicherheiten.<br />
Das männliche Dominanzverhalten ist in vielen Bereichen zu beobachten. In<br />
Jugendzentren z.B. dominieren Jungen häufig die Räume o<strong>der</strong> auch Geräte und<br />
technische Ausstattung. Sie bilden Cliquen, haben eine übertrieben sexualisierte<br />
Sprache, üben untereinan<strong>der</strong> Gewalt aus und achten nicht auf sich und ihr<br />
Wohlergehen.<br />
Die Geschlechterrollen sind bei uns noch weitgehend traditionell besetzt, auch wenn in<br />
den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen ist.<br />
Im Großen und Ganzen gibt es in den geschlechtstypischen Einstellungs- und<br />
Lebensmustern eine Mo<strong>der</strong>nisierung, allerdings auch starke Tendenzen in <strong>der</strong><br />
traditionellen Beharrung.<br />
Wir brauchen also beides – Mädchenarbeit und Jungenarbeit.<br />
Mädchenarbeit hat Einzug gehalten in viele Bereiche <strong>der</strong> Jugendhilfe. Auch in<br />
<strong>Wesel</strong> gibt es verschiedene Angebote. Dennoch ist sie nicht als<br />
Querschnittaufgabe abgesichert. Es gibt noch viele blinde Flecken in Schule und<br />
Jugendhilfe. Ich sehe nicht, dass wir in <strong>Wesel</strong> über sporadische Ansätze in <strong>der</strong><br />
Mädchenarbeit hinweggekommen sind. Ich denke, das liegt auch daran, dass in<br />
pädagogischen Studiengängen und Ausbildungskonzepten diese Ansätze nicht<br />
selbstverständlich enthalten sind und es immer wie<strong>der</strong> auf Eigeninitiative bzw.<br />
handelnde Personen ankommt. Ist in einer Einrichtung eine Pädagogin<br />
beschäftigt, die an bewusster Mädchenarbeit interessiert ist, wird etwas<br />
angeboten.<br />
Bewusste Jungenarbeit wird spätestens seit <strong>der</strong> Erkenntnis interessant, dass<br />
Jungen Probleme machen und diese auch wahrgenommen werden als Ergebnis<br />
des männlichen Dominanzverhaltens.<br />
Auch zum Thema „Jungenarbeit“ gibt es in <strong>Wesel</strong> vereinzelte Angebote, die<br />
darauf setzen, dass Jungen ihre kommunikativen, sozialen und emotionalen<br />
Kompetenzen erweitern können. Sie sind allerdings noch rarer gesät als<br />
Angebote für Mädchen. Im übrigen gibt es zwar viele Angebote für Jungen aber<br />
nach meinem Verständnis kaum bewusste Jungenarbeit.<br />
Ich behaupte, dass sowohl die Mädchenarbeit als auch die Jungenarbeit in<br />
<strong>Wesel</strong> noch weitgehend unbeackerte Fel<strong>der</strong> sind, obwohl das KJFöG eine<br />
geschlechterdifferente Kin<strong>der</strong>- und Jugendarbeit vorschreiben.<br />
19
INFORMATION UND HILFE IN DROGENFRAGEN E.V.<br />
FLUTHGRAFSTR. 21, 46483 WESEL, TEL.:0281-22432, FAX: 0281-28691<br />
8. Angebote von Jungenarbeit in Stadt und Kreis <strong>Wesel</strong><br />
- FB Jugendkreis <strong>Wesel</strong>: Jungenarbeitskreis mit hauptamtlichen Mitarbeitern <strong>der</strong><br />
offenen Jugendarbeit, die dann erlebnispädagogische Events organisierten<br />
- „Männer, Autos und Drogen“ eine Angebot von <strong>Drogenberatung</strong> und Fahrschulen<br />
- Jugendzentrum Karo: Jungenübernachtungen, Coolnesstraining, Sportangebote,<br />
- Musikangebote, Beratung (Hilfestellung), sexualpädagogisches Angebot (in<br />
- Planung)<br />
- „Wilde Kerle“ Gruppenangebot für Jungen von 10 – 12 Jahren, Caritas<br />
- Erziehungsberatungsstelle<br />
- Stadt Hamminkeln / Hauptschule Dingden: Berufsorientierung für Jungs,<br />
- Jungenaktionstag/ neben dem schon bekannten firesday<br />
- Neukirchener Erziehungsverein / KJHB Moers: Jugendtreff, 12 – 15 Jahre, jeden<br />
- Montag und verschiedene sportliche Angebote<br />
- AWO – Beratungsstelle für Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonflikt-<br />
beratung, Beratungsangebote für männliche Jugendliche mit<br />
Migrationshintergrund<br />
- Therapeutische Männer – Gruppe – Caritas – Kath.Eheberatung <strong>Wesel</strong>, Väter-<br />
/Männerselbsthilfe, Vätertreff (Mo, 19 – 21 Uhr, Haus am Dom mit Unterstützung<br />
Caritas Eheberatung <strong>Wesel</strong>)<br />
- Jugendzentrum Hamminkeln (Juze)<br />
1x wöchentlich: „Mucki-bude“ Kraft und Ausdauertraining im eigenen Haus<br />
1x wöchentlich: Sportangebote Fußball und Tischtennis in großer Turnhalle<br />
einzelne Veranstaltungen: Seifenkistenbau, Slot – car Rennen usw.<br />
9. Wünsche an Jungenarbeit in Stadt und Kreis <strong>Wesel</strong><br />
- Elternseminar zu Väter + Söhne<br />
- Elternseminar zu Mütter + Söhne<br />
- bessere Vernetzung, um nicht jeweils das Rad neu zu erfinden<br />
- örtliche Arbeitskreise zu Jungenför<strong>der</strong>ung<br />
- Walter Ba<strong>der</strong> Realschule Xanten: Jungentraining (Finanzierung)<br />
- Jungen als Mobbing – Opfer – Gruppenangebot<br />
- Seminare am Berufskolleg Dinslaken: „Was mache ich mit meiner Aggressivität“,<br />
„Kommunikationsübungen“, „Verhaltenstraining“<br />
- Gleichwertig: Jungenför<strong>der</strong>ung + Mädchenför<strong>der</strong>ung<br />
- „bewusste“ Jungenarbeit<br />
- Selbstbehauptungstraining für die Altergruppe 10 – 13 Jahre<br />
- Gruppen für junge Männer/Jugendliche, die Schlüsselfunktionen nicht erlernt<br />
haben (die nicht in <strong>der</strong> Lage sind z.B. eine Ausbildung zu machen)<br />
- Vorbil<strong>der</strong> am besten Väter („gute“ Vorbil<strong>der</strong> + „schlechte“ Vorbil<strong>der</strong>)<br />
- Freiräume in denen sie „wild“ sein können<br />
- Mütter, die ihre Jungen auch Männer werden lassen; Juze Hamminkeln<br />
- Box – Training für Jungen als Form <strong>der</strong> Gewaltprävention<br />
- Fachspezifische Reflexion zwischen Mann sein/Junge sein und <strong>der</strong> Einstellung<br />
zu Mädchen + Frauen<br />
- Veranstaltungen zum Thema: Was ist das: A.) Mensch z. B. Biographien, z. B,<br />
als: B.) <strong>der</strong> Mensch als „bewegte Plastik“ bzgl.: Was tut <strong>der</strong> „Mensch“? Pflege<br />
von möglichen Gedanken z. B. in einem Menschenleben läuft <strong>der</strong> Mensch ca.<br />
einmal um den Äquator; Kontakt: R. Höfscher Tel: 0281/1640735, Lehrer, Sport,<br />
Technik, Englisch, Kampfsport und Bewegung<br />
20