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Sander_Werkbetrachtung _Konditor

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BK13, Schwerpunktthema „Realismen - August <strong>Sander</strong>“<br />

<strong>Werkbetrachtung</strong> - <strong>Konditor</strong>meister<br />

<strong>Konditor</strong>meister, Köln-Lindenthal, ca. 1928<br />

Fotografie, Originalnegativ: Glasplatte 13 x 18 cm; Köln, August <strong>Sander</strong> Archiv,<br />

Deutschland<br />

Die Fotografie – Bildbeschreibung<br />

Das Foto zeigt einen <strong>Konditor</strong> in seiner Backstube, der beim Rühren<br />

innehält und in die Kamera schaut. Der Mann ist untersetzt, das<br />

Gesicht rund und voll, der Schädel kahl. Er trägt einen weißen<br />

Arbeitsmantel, steht etwas breitbeinig da. Die schwarzen Stiefel<br />

glänzen unter der dunklen gestreiften Hose.<br />

Von der Backstube sind rechts auf einem Bord große Behälter mit<br />

Etiketten und Griffen zu erkennen, darunter auf der Arbeitsfläche ein<br />

belegtes Kuchenblech. Im Hintergrund, mit abnehmender Helligkeit<br />

und Schärfe, die gekachelte Ofenwand mit ihren eisernen Türen.<br />

Das Licht fällt von links ein und unterstreicht das Runde, Füllige des<br />

Mannes, formt Kopf, Hände und den Topf mit dem runden Boden.<br />

Frontal und als ganze Figur, aus leichter Untersicht gesehen, steht der<br />

Mann dem Fotografen bzw. dem Betrachter gegenüber. Sein Blick ist<br />

seltsam leer.<br />

Das Foto ist kein schneller „Schnappschuss aus dem Berufsleben“:<br />

Der Mann hat eine Pose eingenommen. Er zeigt sich in seiner<br />

typischen Berufskleidung, mit seinen typischen Arbeitsgeräten und<br />

seine charakteristische Tätigkeit: das Rühren.<br />

Die erkennbaren Einzelheiten der Backstube, wie die Zutatenbehälter,<br />

das Kuchenblech und der Backofen ergänzen was hier gezeigt werden soll: das Porträt eines Berufes. Ein<br />

solches Foto ist ungeeignet fürs Familienalbum, da keine bestimmte Person gemeint ist, sondern ein Mann,<br />

der stellvertretend für alle <strong>Konditor</strong>enmeister stehen kann. Sein Adressat ist die Öffentlichkeit.<br />

Bis 1911 lässt sich bei August <strong>Sander</strong> das Ziel einer Katalogisierung des deutschen Volkes zurückverfolgen.<br />

Jede fotografierte Person war ein „Aushängeschild“ für ein bestimmtes Gewerbe, eine Klasse oder einen<br />

Berufsstand.<br />

Handwerker leisten „anschauliche“ Arbeit, die Stätte und Instrumente lassen sich ebenso wie der Vorgang<br />

der Arbeit selbst bildlich schildern, und von dieser Möglichkeit hat <strong>Sander</strong> hier souverän Gebrauch gemacht.<br />

Das Foto des <strong>Konditor</strong>meisters ist die wohl am häufigsten wiedergegebene Aufnahme August <strong>Sander</strong>s.<br />

Biografisches und künstlerische Entwicklung<br />

Geboren wurde August <strong>Sander</strong> 1876 in Herdorf, einer kleinen Stadt im Siegerland. Sein Vater war<br />

Bergzimmermann und besaß einen Bauernhof. Alles wies darauf hin, dass <strong>Sander</strong> wie selbstverständlich<br />

den Beruf des Vaters ausüben sollte. Erst 1896, als er zum Militär eingezogen wurde, verließ er den<br />

väterlichen Hof. Während seiner Militärzeit hatte er die Möglichkeit in einem Trierer Fotoatelier einer Art<br />

Lehrlingstätigkeit nachzugehen. Mit einem Zeugnis des Inhabers versehen machte er sich 1899 auf eine<br />

zweijährige Rundreise nach Magdeburg, Halle, Leipzig und Berlin, um in verschiedenen fotografischen<br />

Firmen weitere Erfahrungen zu sammeln. Seine "Wanderjahre" gingen zu Ende, als er 1901 in ein Linzer<br />

Atelier eintrat und bald darauf gelang es ihm, Inhaber des Betriebs zu werden.<br />

<strong>Sander</strong> war ein erfolgreicher "Kunstfotograf", der vor allem der Linzer Oberschicht mit einfühlsamen<br />

Porträtaufnahmen schmeichelte, und von internationalen Ausstellungen kamen seine Bilder selten ohne<br />

Auszeichnungen zurück.<br />

Ende 1909 gab er aus nicht ganz deutlichen Gründen sein Linzer Atelier auf und siedelte sich in Köln-<br />

Lindenthal an. Dort konnte er nur bedingt an den Linzer Erfolg anknüpfen und war gezwungen, sich nach<br />

Ersatzaufträgen umzusehen. Es begann eine längere Zeit der Pendelfahrten zwischen dem Lindenthaler<br />

Atelier und Westerwälder Bauernhöfen, wo <strong>Sander</strong>s Bilder bald sehr gefragt waren. Diese neuen<br />

Auftraggeber hatten wenig mit dem Linzer Bürgertum gemeinsam; künstlerisch und geschäftlich musste<br />

<strong>Sander</strong> hier ganz neu anfangen. An seinen Westerwälder Kunden entwickelte er einen klaren nüchternen<br />

Stil.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg machte die politische und wirtschaftliche Krise mit dem daraus folgenden<br />

Auftragsmangel eine umgehende Rückkehr zur "geregelten" Arbeit unmöglich. <strong>Sander</strong> schloss sich in dieser<br />

Zeit den sogenannten "rheinisch-progressiven« Künstlern an und damit nahm seine Karriere als Fotograf<br />

eine entscheidende Wendung. <strong>Sander</strong> kam zu der Erkenntnis, dass Malerei und Fotografie zweierlei seien


und verschiedene Wege gehen müssten. Spätestens 1922 hatte er mit allen "kunstfotografischen"<br />

Bestrebungen gebrochen, um "exakte Fotografie" zu betreiben, wie er sie nannte. Von nun an war die klare,<br />

scharfe, als technisches Produkt erkennbare Porträtfotografie sein Ideal.<br />

<strong>Sander</strong>s Blickfeld erweitert sich auf die verschiedensten sozialen Gruppen, der Aufbau, die Ordnung der<br />

ganzen Gesellschaft beginnt ihn zu beschäftigen, und allmählich ergibt sich der Plan, in einer großen<br />

Porträtsammlung einen fotografischen Querschnitt durch alle Berufe, Klassen und Lebensbereiche des<br />

Weimarer Deutschland zu legen. Grundstock und Grundmuster dieses Projekts waren mit den Westerwälder<br />

Bauernporträts bereits vorhanden. Der dort tastend unternommene Versuch, die Einzelperson als Teil eines<br />

sozialen Mikrokosmos zu verstehen, ihre Prägung<br />

durch gruppenspezifische Formen des Familienlebens, der Arbeit und des Vergnügens darzustellen wird<br />

jetzt von <strong>Sander</strong> zum klaren Konzept ausgearbeitet und auf die verschiedenen Gesellschaftspartner<br />

angewendet, auf Arbeiter und Handwerker, das kleine, mittlere und große Bürgertum, sowie auf<br />

Randgruppen wie Zirkusleute und Landstreicher.<br />

1927 hatte <strong>Sander</strong> genügend Porträtmaterial zusammengetragen um damit im Kölner Kunstverein eine<br />

Ausstellung wagen zu können. 1929 erschienen 60 ausgewählte Aufnahmen <strong>Sander</strong>s in Buchform unter<br />

dem Titel "Anlitz der Zeit" mit einem Vorwort des Dichters Alfred Döblin.<br />

Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung begannen für <strong>Sander</strong> schlechtere Zeiten. Unmissverständlich<br />

war die Beschlagnahmung der Restauflage von "Anlitz der Zeit" und die Vernichtung der Druckstöcke, die<br />

1934 von der Reichskammer für bildende Künste veranlasst wurde. Obwohl <strong>Sander</strong> niemals eine offizielle<br />

Begründung dafür zuging, ist deutlich, dass er darin die deutsche Gesellschaft sozial weniger einheitlich und<br />

rassisch weniger rein darstellte, als es damals an der Tagesordnung war.<br />

<strong>Sander</strong> wich auf die Landschaftsfotografie aus. Wochenlange Wanderungen führten ihn ins Siebengebirge,<br />

die Eifel, in den Westerwald, an Rhein und Mosel.<br />

1944 fiel das Lindenthaler Atelier Bombenangriffen zum Opfer. Es war <strong>Sander</strong> gelungen, wenigstens die<br />

künstlerisch wertvollen Bildbestände nach Kuchhausen, einem kleinen Dorf bei Bad Honnef zu retten.<br />

<strong>Sander</strong> hat den "Menschen des 20. Jahrhunderts" nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch Bauernporträts in<br />

größerer Zahl hinzugefügt. Die Herausgabe des Porträtwerks scheiterte nicht nur an seinen nachlassenden<br />

Kräften, auch die Gesellschaft hatte sich völlig verändert. Ihre Schichtung war nach dem totalen<br />

Zusammenbruch weitgehend eingeebnet worden.<br />

Wenn auch keine der geplanten Veröffentlichungen mehr zustande kamen, blieb <strong>Sander</strong> doch der Trost,<br />

nicht ganz vergessen zu sein. 1955 stattete ihm der große amerikanische Fotograf Edward Steichen, damals<br />

Direktor der Fotosammlung am Museum of Modern Art in New York, einen persönlichen Besuch ab und<br />

nahm einig seiner Porträts in die Ausstellung "The Family of Man" auf. <strong>Sander</strong>s Wirkung setzte sich nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg in Amerika voll durch, wo z. B. Diane Arbus sich mit schockierender Schärfe und<br />

sozialkritischem Engagement der Randschichten der Bevölkerung annahm. August <strong>Sander</strong> starb 1964.<br />

Die Neue Sachlichkeit<br />

Trotz aller konservativen Grundprinzipien nimmt <strong>Sander</strong> an der Bewegung der "sachlichen Fotografie"<br />

insofern teil, als er 1921 zu möglichst detailscharfen Glanzpapierabzügen übergeht, die als technisches<br />

Produkt klar erkennbar sind. Die neuen Ziele hießen: Bildschärfe, Klarheit des Themas und fotografische<br />

Exaktheit. Man sollte das bald Neue Sachlichkeit nennen.<br />

1924, aus Anlass einer Ausstellung zeitgenössischer Malerei in der Mannheimer Kunsthalle, in welcher<br />

besonders Gemälde Aufsehen erregten, die ihre Motive in ganz kühl sachlicher Weise darstellten, prägte der<br />

Direktor dieses Museums, Gustav F. Hartlaub, den Ausdruck Neue Sachlichkeit. Die Neue Sachlichkeit ist<br />

ein Realismus besonderer Art: alles Gegenständliche ist scharf beobachtet, überdeutlich gezeichnet und<br />

modelliert und einem klaren Bildaufbau fest eingeordnet, oft so fest, dass Bewegungslosigkeit, ja Starrheit<br />

die Folge ist.<br />

Von Anfang an verläuft sie in zwei Strängen: einmal der radikale und gesellschaftskritisch betonte Verismus<br />

von Georges Grosz und Otto Dix, und der mehr romantisch gestimmte, dingliche Realismus, wie ihn<br />

Alexander Kanoldt oder Georg Schrimpf vertreten. <strong>Sander</strong> hatte seinen Höhepunkt in den zwanziger Jahren,<br />

als er mit großartiger Einfachheit und Strenge die Menschen seiner Zeit darstellte. Er ist damit im wahrsten<br />

Sinne einer der Erfüller der Neuen Sachlichkeit geworden.<br />

Wolf-Dieter Fröscher, Kunstmappen

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