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Nachruf für Melanie Weber Der skeptische Philosoph Michel de ...

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<strong>Nachruf</strong> <strong>für</strong> <strong>Melanie</strong> <strong>Weber</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>skeptische</strong> <strong>Philosoph</strong> <strong>Michel</strong> <strong>de</strong> Montaigne schrieb mal, mit sarkastischem<br />

Neid, dieses Wort: „Immer sterben die an<strong>de</strong>ren – und das eigne Grab bleibt leer<br />

...“<br />

Daran mußte ich <strong>de</strong>nken, als mich nun Ullrich anrief, <strong>de</strong>r Sohn meiner Freundin<br />

<strong>Melanie</strong> <strong>Weber</strong>. Am Telefon aus <strong>de</strong>r Stadt Aalen erreichte er mich in Altona mit<br />

<strong>de</strong>r lange schon erwarteten Schreckensbotschaft: „Meine Mutter ist in <strong>de</strong>r Nacht<br />

von Freitag auf Sonnabend in Freiberg gestorben.“<br />

Und weil ich ja weiß, welche menschliche und politische Tragödie <strong>Melanie</strong><br />

<strong>Weber</strong> durchlitt, als sie noch gesund in <strong>de</strong>r kranken DDR lebte, und weil ich<br />

weiß, wie viele Jahre <strong>Melanie</strong> dann im wie<strong>de</strong>rvereinigten Deutschland zäh und<br />

schmerzgefoltert gegen <strong>de</strong>n Krebs in ihrem Körper und zugleich - mit Eifer aber<br />

ohne Geifer - gegen die lachen<strong>de</strong>n Erben <strong>de</strong>r stalinistischen Nomenklatura in<br />

ihrem Kaff ankämpfte, dachte ich an eine Phrase, mit <strong>de</strong>r wir Hinterbliebenen<br />

uns in solch einem Falle ein bißchen trösten: Jetzt geht’s ihr besser.<br />

<strong>Melanie</strong> <strong>Weber</strong> war eine zerbrechliche Frau, aber gebrochen wur<strong>de</strong> sie nie. Sie<br />

war eine unermüdliche Kämpferin, zuerst gegen <strong>de</strong>n politischen Krebs in <strong>de</strong>r<br />

DDR-Gesellschaft – und dann gegen <strong>de</strong>n biologischen Krebs im eigenen<br />

Körper.<br />

Auf alten und neueren Fotos, die sie mir schenkte und die ich mir in meinem<br />

Arbeitszimmer in Hamburg an die Wand pinnte, kann ich es erkennen: sie muß<br />

wohl das schönste Mädchen in dieser sächsischen Bergbau-Metropole Freiberg<br />

gewesen sein.<br />

<strong>Der</strong> Vater ihres Sohnes, ein junger Ingenieur <strong>für</strong> Gastechnologie, wur<strong>de</strong> vom<br />

Moloch <strong>de</strong>r Staatssicherheit gekidnappt, als er noch nicht mal wissen konnte,<br />

daß seine hübsche kleine Freundin ein Kind von ihm unter <strong>de</strong>m Herzen trug. Er<br />

verschwand auf Nimmerwie<strong>de</strong>rsehn. Eine kafkaeske Lebens- und romantische


Liebesgeschichte. <strong>Melanie</strong> hat sie mir anvertraut. Und ich habe sie mir natürlich<br />

ganz genau aufgeschrieben. Und so weiß ich es: Sie war damals die<br />

unglücklichste schwangere Frau in <strong>de</strong>n Krallen <strong>de</strong>r Staatssicherheit, in dieser<br />

Stadt mit <strong>de</strong>r berühmten Bergbauaka<strong>de</strong>mie. Und <strong>Melanie</strong> erwies sich dann als<br />

eine <strong>de</strong>r mutigsten und eigenwilligsten Wi<strong>de</strong>rstandskämpferinnen in <strong>de</strong>r DDR-<br />

Diktatur. Eine Novelle, werweiß: ein Roman.<br />

Sie lockte mich vor vielleicht 10 Jahren zu einem aufregen<strong>de</strong>n Konzert in ihre<br />

Stadt. Es kamen allerhand Freun<strong>de</strong>, und natürlich saßen im Publikum auch<br />

unsere treuen Fein<strong>de</strong>. Alles wie im richtigen Leben.<br />

Ihren Namen und ihre Telefonnummer und die Postadresse brauche ich nun<br />

lei<strong>de</strong>r nicht mehr. Aber schon aus Trotz gegen <strong>de</strong>n Tod wer<strong>de</strong> ich die Daten<br />

meiner lieben Freundin <strong>Melanie</strong> <strong>Weber</strong> in meinem Notizbuch nun nicht einfach<br />

ausstreichen. Dabei könnte ich es ruhig tun, <strong>de</strong>nn in meinem Gedächtnis blüht<br />

sie als die schönste zertretene Blume in diesem sächsischen Garten hinter <strong>de</strong>m<br />

verrosteten Stacheldraht.<br />

Wolf Biermann am 23. Juni 2011

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